Armut


Armut

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FRANZ SCHMID
DIE NEUE ARMUT DER JUGEND
UND DIE DAMIT VERBUNDENEN HERAUSFORDERUNGEN
FÜR DIE ERZIEHERISCHE SENDUNG
DER SALESIANER DON BOSCOS 1
1 NEUE ARMUT
1.1 Armutsverständnis
Man glaubte, die Armut nach Ende des Zweiten Weltkrieges überwunden zu haben,
doch blieb die Armut von Frauen und alten Menschen. Und Armut wandelt sich. Heute trifft
Armut ebenso junge Menschen. Man spricht von einer »neuen Armut«. Armut wird einmal
als eine extreme Form sozialer Ungleichheit verstanden. Generell aber muss ein Mangel an
Ressourcen als Armut bezeichnet werden.
In Europa gilt jemand als relativ arm, dem weniger als 50 % des durchschnittlichen
Nettoverdienstes seines Landes zum Leben zur Verfügung stehen. Dabei wird die Ressour-
ce Einkommen als Kriterium angenommen. Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) räumt je-
der Bürgerin und jedem Bürger einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU)
ein, die eine tägliche Lebensführung entsprechend der Würde des Menschen sicherstellen
soll. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger nahm in den 80er Jahren um mehr als 100 % zu.
Nach dem ersten gesamtdeutschen Armutsbericht, den der Deutsche Gewerkschaftsbund
(DGB) und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) 1994 vorlegten, lebten
damals 7,25 Millionen Menschen in Deutschland in relativer Armut - 4,65 Millionen im Wes-
ten, 2,6 Millionen im Osten.2 Das waren in den alten Bundesländern DM 854,00, in den neu-
en Ländern DM 623,00 monatlich.
Als absolut arm gilt, wem es an ausreichenden Mitteln fehlt, um seine körperliche
Existenz zu sichern. Dies bedeutet, es fehlt an Nahrungsmitteln, Kleidung, Unterkunft und an
der notwendigen Gesundheitsversorgung. In einem reichen Land wie Deutschland gilt diese
krasse Form der Armut als weitgehend überwunden, wobei es Gruppen gibt, die darunter
leiden, z. B. alleinstehende Wohnungslose.
In bekämpfter Armut leben Personen, die monatlich staatliche Hilfen (Sozialhilfe)
beziehen und deren Existenzminimum damit gesichert sein soll.
Verdeckte Armut kennzeichnet Personen, die ihren Anspruch auf staatliche Hilfen
nicht geltend machen, sei es aus Unkenntnis, Scham, Angst vor Sanktionen, Folgewirkun-
gen für Familienangehörige oder bei Ausländern aus Angst vor Ausweisung. Diese „Dunkel-
1 Vortrag im Rahmen der Veranstaltung „Don Bosco 2000. Seminar zur Förderung der europäischen
Zusammenarbeit der Verantwortlichen der Don-Bosco-Bewegung in den verschiedenen Ländern: KAMPF GE-
GEN NEUE FORMEN DER ARMUT UND GEGEN SOZIALE AUSGRENZUNG VON JUNGEN MENSCHEN IN
EUROPA“, organisiert von Don Bosco International (Brüssel) und dem Dikasterium für salesianische Jugendpas-
toral (Rom) vom 4.-8. Januar 2000 in Benediktbeuern.
2 Die Sozialberichterstattung gilt als notwendiges Instrument zur Armutsbekämpfung. Sie zeigt, dass
Kinderarmut eingebettet ist in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext. Dabei kommt regionalen Analysen eine
wichtige Bedeutung zu, weshalb auch einzelne Städte damit begonnen haben, ihre Armutsberichte zu erarbeiten.

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ziffer der Armut“ wird auf ca. 35-50% der Anspruchsberechtigten geschätzt. Laut Armutsun-
tersuchung des Deutschen Caritasverbandes von 1992 kommt im Durchschnitt auf zwei So-
zialhilfeempfänger mindestens ein Anspruchsberechtigter, der seine Ansprüche nicht gel-
tend macht. Bei älteren Anspruchsberechtigten ist das Verhältnis sogar 1:1.3
Das Verständnis von »Neuer Armut« geht wesentlich weiter als die fiskalische Be-
schreibung. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe, um Teilhabe am sozialen und kulturellen
Leben, um Zugang zu schulischer und beruflicher Bildung, um Arbeit, um Wohnung, um Ge-
sundheit.
Auch die deutschen Bischöfe haben dieses Verständnis aufgegriffen und sprechen in
dem gemeinsam mit der Evangelischen Kirche Deutschlands herausgegebenen »Wort zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland« von einem komplexen „Verliererschick-
sal“ der Armen. Dabei meinen sie höhere Bedürfnisse, die Arme nicht befriedigen können:
Selbstentfaltung, Unterhaltung, Freizeit, Urlaub, gesellschaftliches Mitgestalten. Sie spre-
chen von psychischen Folgen, die gerade Kinder und Jugendliche treffen, sowie von der Ge-
fahr einer Spaltung der Gesellschaft in eine reiche und eine arme.4
Übereinstimmend sind alle Armutsforscher der Meinung, dass Armut soziale Proble-
me erzeugt, die der Gesellschaft letztlich mehr Geld kosten als die präventive Bekämpfung
der Armut.
1.2 Das Gesicht der Not unter Jugendlichen
Ganz offensichtlich ist in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren die
Zahl jener jungen Menschen gewachsen, die weder die materiellen noch die sozialen Res-
sourcen haben, um ihr eigenes Leben nach individuellen und sozial verträglichen Maßstäben
selbstbestimmt führen zu können. Den Blick für diese Gruppen Jugendlicher zu schärfen
bedeutet, folgende Entwicklungen wahrnehmen:
In der Bundesrepublik leben im Jahr 2000 ca. 2,3 Millionen Sozialhilfeempfänger.
Dies bedeutet, dass 1,3 Millionen Haushalte „laufende Hilfe zum Lebensunterhalt“ erhalten.
Damit hat sich der Anteil von Bezieherinnen und Beziehern von Sozialhilfe in den vergange-
nen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Nimmt man (nur) einmal geleistete Hilfen dazu, so er-
rechnet sich eine Zahl von 4,2 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die auf Leistungen
des Sozialamtes angewiesen sind. Der „Armutsbericht der Caritas“ bezifferte für 1989 die
Zahl der Jugendlichen unter 15 Jahren, die von Sozialhilfe leben, auf 7,8 %. Die aktuellste
Statistik aus dem Jahr 1995 belegte, dass 47 % der Sozialhilfeempfänger junge Menschen
unter 25 Jahren sind.
4,047.221 Bürgerinnen und Bürger waren im Dezember 1999 in der Bundesrepublik
Deutschland arbeitslos, davon waren 1,380.932 (34,1 %) Langzeitarbeitslose. Im Januar
1997 waren 527.304 junge Erwachsene unter 25 Jahren ohne Arbeit gewesen, im Dezember
1999 waren 412.865. Die Zahl der als arbeitslos gemeldeten Jugendlichen unter 20 Jahren
betrug im Dezember 1999 97.033; sie lag um 6,0 % unter der des Vorjahres. Besonders
problematisch ist die Jugendarbeitslosigkeit in den ostdeutschen Bundesländern. Mit 29.391
lag die Arbeitslosigkeit der unter 20jährigen hier um 11,4 % unter der des Vorjahres. In
Westdeutschland nahm die Arbeitslosigkeit der unter 20jährigen gegenüber dem Vorjahr um
2,8 % auf dann 66.427 ab.5
Der Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit im Jahr 1999 hängt mit dem von der Bun-
3 HAUSER, Richard / HÜBINGER, Werner: Arme unter uns. 2 Bde. Freiburg im Breisgau: 1993
4 Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Hrsg.
vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe-
renz. Bonn: 1997
5 Daten der Bundesanstalt für Arbeit (www.arbeitsamt.de - 05.01.2000).

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desregierung beschlossenen und den Arbeitsämtern durchgeführten „Sofortprogramm zum
Abbau der Jugendarbeitslosigkeit“ (Jump) zusammen. Für dieses Programm stellte die Re-
gierung zwei Milliarden Mark zur Verfügung; 600 Millionen kamen aus dem Europäischen
Sozialfonds.6
Eine besondere Problemgruppe stellt die der obdachlosen jungen Menschen dar. In
deutlicher Verschiebung der Obdachlosenpopulation gibt es zunehmend junge Menschen,
die aus Familie, Erziehungsheim, Ausbildung und Arbeit ausgestiegen sind (oder entlassen
wurden) und, auf staatliche Hilfe angewiesen, weder Wohnung noch Arbeit finden. Etwa
150.000 Obdachlose leben in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit auf der Straße (da-
von 23.000 Frauen), weitere 800.000 Menschen leben in Notunterkünften. Etwa 50.000 Kin-
der leben in Notunterkünften, Obdachlosenheimen und auf der Straße. Es besteht die Ge-
fahr, dass sie Schule, Ausbildung und Beruf vernachlässigen und in ein fragwürdiges Milieu
abgleiten, in dem häufig auch ein Kontakt zu Drogen, Prostitution und Kriminalität gegeben
ist. Die überwiegende Zahl dieser »Bahnhofskinder« hat im Elternhaus Arbeitslosigkeit und
Alkoholismus, nicht selten Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch erlebt.
Die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen sind oft auch davon abhängig, wel-
cher „ethnischen Gruppe“ sie angehören. Kinder und Jugendliche aus ausländischen Fami-
lien unterliegen den oben genannten Beschränkungen in viel häufigerem Maße und sind zu-
dem im Ausbildungs- und im Beschäftigungsbereich besonders benachteiligt. Dies gilt ins-
besondere für ausländische Mädchen und junge Frauen. In besonderer Weise benachteiligt
sind Heranwachsende, die als Aussiedler nach Deutschland kamen und kommen bzw. die
auf der Flucht sind: unbegleitete Asylsuchende oder auch Kinder und Jugendliche, die mit ih-
ren Familien in Deutschland Schutz und Hilfe suchen.
Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende
15 % der Familien mit mehr als 5 Personen leben unter der Armutsgrenze. Kinderrei-
che Familien sind von Armut mehr betroffen als andere. Eine Folgen davon scheint die Zu-
nahme von Singles und Paaren ohne Kinder, die sprunghaft zunehmen. Nur in 15 % der
Münchner Haushalte leben noch Kinder - davon in 59 % jeweils nur ein Kind.
Ebenso wie die Mehrkindfamilien sind auch alleinerziehenden Elternteile mit einem
Bein in der Armutsfalle. 26 % aller Alleinerziehenden in Deutschland sind von Armut betrof-
fen, allein in Bayern real 340.000 Teilfamilien. Ein Leben mit dem Existenzminimum bzw. un-
ter einer eingeschränkten ökonomischen Situation müssen auch viele „Scheidungskinder“
führen. Rund 30% aller geschiedenen Frauen mit Kindern unter 18 Jahren haben nur ein
monatliches Nettoeinkommen von unter 1.200 DM zur Verfügung.
Was bedeutet diese neue Armut bzw. was fordert sie heraus? Zur Deutung der Situa-
tion wird im Folgenden das Paradigma „Normalität“ verwendet. Dieses Paradigma wird be-
vorzugt, weil es sehr aussagekräftig erscheint. Es sagt mehr als „sozialer Wandel“,
„Veränderung“ oder auch „Hinwendung zur Lebenswelt“. Der Verlust von Normalität führt in
aller Regel zu sozialer Ausgrenzung.
2 Das Ende der Normalität 7
6 Von Januar bis September 1999 nahmen 187.900 Jugendliche an dem Programm teil. Unter ihnen be-
fanden sich 111.900 junge Männer und 76.000 junge Frauen. 24.600 Ausländer, 5.600 Behinderte wie auch
38.300 sozial Benachteiligte fanden einen Platz in einer der zahlreichen Maßnahmen. In den alten Bundeslän-
dern nahmen 120.600 und in den neuen Bundesländern 67.300 junge Menschen an den teils kurzfristigen, teils
längeren Maßnahmen teil.
7 MÜNCHMEIER, Richard: Krise als Chance. Sozialpädagogik auf der Suche nach Zukunft. In: Soziale
Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Hrsg. von Thomas Rauschenbach und Hans Gängler. Neuwied:
(Luchterhand) 1992, S. 133-145

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Der soziale Wandel der letzten Jahrzehnte war so gewaltig, dass bis dahin „Norma-
les“ nicht mehr gültig ist. Früher war es ausreichend, flexibel, gut ausgebildet, anpassungs-
bereit und zukunftsorientiert zu sein, um im Normalen zu bleiben. In der Gegenwart ist das
kein Garant mehr für Wohlergehen. Erziehung und Bildung haben das Wohlergehen ge-
währleistet. Deshalb wurden die Erziehungs- und Bildungssysteme in den letzten Jahrzehn-
ten entsprechend erweitert und verbessert. Sozialisation sollte die sozialen und politischen
Kompetenzen entwickeln, damit sich der »mündige« Bürger entwickeln konnte. Nach und
nach sollten offene, präventive Angebote und Beratung kontrollierende und repressive Inter-
ventionen ablösen. Die von der Gesellschaft organisierten Sozialen Dienste versuchten, sich
stärker als »Bildungsbereich« zu verstehen und effektiver zu werden.8 So sollte alles seinen
„normalen“ Gang weitergehen können.
2.1 Pluralisierung und Individualisierung
Die generelle Modernisierung der Gesellschaft ist nun in seiner Logik unkalkulierbar
geworden. Es gibt keine allgemeingültigen Normen mehr. Das Leben von Kindern, Jugendli-
chen und Familien muss in ökonomischer, normativer und kultureller Hinsicht mit subjektiven
Verarbeitungsweisen und Orientierungsmustern gelöst werden: Es gibt keine »normale« Le-
bensführung und keine »Normalbiographie« mehr; keine ist wie die andere. Das bedeutet,
dass eine große Anzahl von Normalitäten entsteht.9 Wir müssen also von einer »Pluralisie-
rung von Normalität« sprechen. Die Auflösung der kollektiven Verbindlichkeit der »Normal-
biographie« bedeutet gleichzeitig die »lndividualisierung« der Lebensmuster. Das heißt, sie
müssen individuell ausgearbeitet werden.
2.2 Arbeit gewinnt eine neue Bedeutung
Arbeit, genauer: Lohnarbeit, spielt in der modernen Gesellschaft eine herausragende
Rolle. Sie ist das unabdingbare Fundament der Erwachsenenexistenz. Sie sichert ihre öko-
nomische Basis und ihre soziokulturellen Entfaltungsmöglichkeiten. Die Vorbereitung auf ein
stabiles Arbeitsverhältnis steht deshalb im Zentrum der Jugendphase. Arbeit war bisher
auch das zentrale Medium der sozialen Integration und schließlich waren Arbeit und Beruf
der Ort, an dem Erfüllung und Lebenssinn erfahrbar waren. Es lässt sich also sagen: Die
Normalbiographie war um die Arbeit herum organisiert.
Während aber einerseits die Bedeutung der Lohnarbeit wächst, wird sie für einen Teil
der Menschen schwerer erreichbar. Dies hat sowohl quantitative wie auch qualitative Grün-
de. Seit fast 20 Jahren erleben wir auch in den europäischen Ländern steigende Zahlen von
Beschäftigungslosen. Immer mehr sind auch Jugendliche davon betroffen. Untersuchungen
besagen, dass in den letzten 20 Jahren etwa jeder 3. Bürger der Bundesrepublik Deutsch-
land im beschäftigungsfähigen Alter mindestens einmal von Arbeitslosigkeit betroffen war.
Arbeitslosigkeit droht zu einer » Normalerfahrung« zu werden.
Die eigentliche Brisanz dieser Entwicklung liegt im Schwinden der sozialintegrativen
Kraft des Arbeitsmarkts und der Arbeit. Es ist nicht mehr Arbeit für alle da und somit ist der
„normale“ Lebensentwurf, der auf Vollzeitarbeit gründet, für zunehmend mehr Menschen
nicht mehr gegeben.
2.3 Arbeit soll nicht alles sein
Untersuchungen zum Wertewandel in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutsch-
land zeigen, dass eine wachsende Zahl von Menschen Vorbehalte dagegen anmeldet, Arbeit
8 Von der Notwendigkeit präventiver, öffentlich finanzierter Angebote sind aber noch immer nicht alle
überzeugt. Selbst Politiker, die das Geld bewilligen müssen, meinen, Prävention bewirke nichts und die beste-
henden gesellschaftlichen Strukturen reichten aus, „Normalität“ zu sichern.
9 Ein Jugendlicher erlebt innerhalb eines Tages vier verschiedene Wertwelten: die der Familie, die der
Gleichaltrigengruppe, die der Schule bzw. des Berufes und die der Medien. Er passt sich an die jeweilige Situati-
on an, bildet aber keine überdauernde Werthaltung.

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und berufliche Leistung ganz oben auf der Werteskala anzusiedeln und zum Lebensinhalt zu
machen. Sie wollen sich nicht dem Zwang einer arbeitszentrierten Lebensführung unterwer-
fen. Sie wünschen sich eine Organisation und Inhalte der Arbeit, die eine bessere Balance
mit anderen Lebensinhalten (insbesondere mit Familie, Gemeinschaft, sozialen Aktivitäten,
Freizeit) erlauben. Soll ein neues Verständnis von Arbeit unterstützt werden, damit es sich in
der Gesellschaft durchzusetzen beginnt? Es scheint notwendig, Aktivitäten in der Freizeit zu
unterstützen, die Identität verleihen und Sinn machen.
2.4 Die Familie verliert an Bedeutung
Auch die Vorstellung von einer leistungsfähigen »Normalfamilie« kann heute nicht
mehr aufrecht erhalten werden. In der zweiten Hälfte des 20. Jhdt. setzte sich die sog. »Gat-
tenfamilie« durch. In einer Familie leben heute nicht mehr mehrerer Generationen zusam-
men. Weitere Trends sind in der Abnahme der »Heiratsneigung« und in der wachsenden
Anzahl kinderloser Paare zu sehen. Am auffälligsten aber ist der Trend zur Verkleinerung
der Familie durch das Absinken der Geburtenrate auf nur noch 1,4 Kinder in Deutschland.
Über ein Drittel der Kinder (36 %) wächst in der BRD heute als Einzelkind auf. Diese Einzel-
kinder sind auf Gleichaltrigenkontakte außerhalb der Familien angewiesen.
Diese Ein-Kind-Familie hat keine verwandtschaftlicher Netze. Die Kinder von Einzel-
kindern werden onkel- oder tantenlos aufwachsen und keine Cousinen oder Cousins haben.
Ohne Gleichaltrigenkontakte laufen sie Gefahr, nur mit Erwachsenen - und Computern -
aufzuwachsen. Sie lernen keinen „sozialen“ Umgang.
Durch die Zunahme von Trennung, Scheidung und Wiederverheiratung erfährt eine
große Zahl von Kindern Familie nicht mehr als überdauernde, stabile Intimgruppe. Kinder
behalten ihre leiblichen Eltern nicht mehr selbstverständlich auch als soziale Eltern. Und sie
werden in neuerliche Partnerfindung ihrer Väter und Mütter involviert.
In der Bundesrepublik Deutschland sind etwa 50 % der Mütter mit Kleinkindern er-
werbstätig. Dies verändert nicht nur die Rollen- und Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau.
Dies wirft Fragen nach der besseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kinderhaben auf
und erfordert Möglichkeiten der Kinderbetreuung außerhalb der Familien.
2.5 Sozialisationsweisen und -ziele werden pluralisiert und individualisiert
Auch die Erziehungsstile in Elternhaus und Schule haben sich in den letzten Jahren
auffallend verändert. Während 1951 »Gehorsam und Unterordnung« für 25 % der Bevölke-
rung der Bundesrepublik Deutschland wichtige Erziehungsziele waren, galt dies 1983 nur
noch für 9 %. Dagegen hat das Erziehungsziel »Selbständigkeit und freier Wille« einen An-
stieg der Zustimmung von 28 % (1951) auf 49 % (1983) erfahren.
Hinter diesem Wertewandel in der Erziehung steht die Auflösung traditioneller Wert-
muster. Kontrollierende Instanzen, die Orientierung geben und den einzelnen entlasten, ha-
ben an Bedeutung verloren. Dies betrifft insbesondere religiöse Muster. Auch die individuelle
Lebensplanung und Lebensführung folgte keinen Traditionen mehr: Welchen Beruf jemand
ergreift, wird nicht durch die Familie bestimmt. Das moderne Bildungswesen für alle Jugend-
lichen und die überregionale Mobilität haben dazu geführt, dass der Lebensweg v.a. von der
individuellen Leistung, der Qualifikation und individuellen sozialen Kompetenz abhängig
sind.10
Je weniger »Identität« aus Rollen und Gruppenzugehörigkeit kommt, desto stärker
wächst der Bedarf der Menschen, die eigene Bedeutung zu erleben, sich selbst zu erfahren
und mit sich zu experimentieren. Der einzelne muss zum »Produzenten« seiner Identität
werden, er unterliegt dem »Druck«, »etwas aus sich zu machen«, sich selber zu stilisieren.
Die bisher „normale“ Entwicklung gibt es nicht mehr.
Die Liste der Veränderungen könnte lange fortgesetzt werden. Die alten „Normalitä-
10 Die Eltern, die eine einfache Schulbildung absolviert haben, sind gar nicht in der Lage, ihren Kindern
zu helfen und zu raten; die neue Welt ihrer Kinder ist ihnen fremd.

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ten“ gibt es fast nirgends mehr. Die Schulen sind ebenfalls ganz anders als vor 30 Jahren.
Die Freizeiten sehen ganz anders aus. Auch die Medien haben die Welt total verändert. Wir
glauben, dass das alles für die junge Generation viele Gefahren in sich birgt. Viele von uns
fragen sich, ob das Fehlen von „Normalität“ zu labilen Persönlichkeiten führt und zu instabi-
len Gesellschaften. Wir fragen uns, ob die junge Generation nicht in Kürze großen Manipula-
tionen zum Opfer fällt oder sich radikalen Organisationen anschließt. – Alle scheinen von der
„neuen Armut“ und der fehlenden Normalität betroffen.
Was kann die Pädagogik beitragen, dass die fehlende Normalität nicht in eine Ka-
tastrophe führt?
3 Neue pädagogische Konzepte
3.1 Präventive und offene Angebote
Seit Mitte der 1960er Jahre werden in Deutschland präventive Konzepte verfolgt, die
vor allem in offenen Formen der Beratung bestehen. Beratung sollte bei biographischen
Entscheidungen (z.B. im Bereich von Schulbildung, Berufsentscheidung, Fragen der Ablö-
sung von der Herkunftsfamilie und Partnerwahl) problematische Entscheidungen verhindern
und abweichendes Verhalten (z.B. Schuleschwänzen, Ausbildungsabbruch, Sucht- und Ei-
gentumskriminalität) ausschließen. Es sollte zu keinen Brüchen kommen, man wollte „die
Biographie im Fluss halten“. Bildungsberatung wurde ebenso ausgebaut wie Erziehungs-
und Eheberatung.
Diesem Beratungskonzept lag ein »bildungsoptimistisches Jugendkonzept« zugrun-
de. Man glaubte, dass dadurch soziale Integration und soziale Platzierung in der Erwachse-
nengesellschaft gelingen kann. Das Bildungswesens wurde quantitativ und qualitativ erwei-
tert und für alle Jugendlichen zugänglich. Man glaubte: Wer sich ausreichend qualifiziert, am
Bildungswesen partizipiert, sich der Disziplin des Lernens und der Vorbereitung unterwirft,
der erwirbt gute berufliche und soziale Chancen.
Wo die Handlungsmöglichkeiten den Jugendlichen unklar oder unbekannt waren,
sollte »Jugendinformation« Abhilfe schaffen; es wurden Formen der Bildungs- und Ausbil-
dungsberatung, Beratung in medizinischen und rechtlichen Fragen usw. angeboten. Wenn
Jugendliche Defizite in ihren Handlungsmöglichkeiten aufwiesen, wurden Formen der »psy-
cho-sozialen Beratung« (z.B. soziale Trainings, Selbständigkeits- und Selbstsicherheitstrai-
nings, Suchtberatung, Krisenintervention usw.) praktiziert.
Diese Beratung, die sich auf konkrete Probleme bezog, hat ihre Chance verloren. Die
Probleme der Jugendlichen wurden derart diffus, dass es unmöglich wurde, Ursachen und
Defizite zu diagnostizieren. Beratung gilt nicht mehr konkreten, benennbaren Schwierigkei-
ten, sondern wird zu einer allgemeinen Lebensberatung. Therapeutisches Handlungsreper-
toire kann häufig nicht angewendet werden.11 Es macht einen großen Unterschied, Jugendli-
che zu beraten, die institutionell integriert sind, oder aber sich in einer Situation befinden, die
vor dem Hintergrund von Individualisierung, zerbrochener „Normalbiographie“ nunmehr den
Integrationsprozess als ganzen und in einem sehr existentiellen Sinne zum Thema hat. Ju-
gendlichen ist in einer Situation des verengten Ausbildungs- und Arbeitsmarktes nicht mehr
mit Informationen gedient. Ihre abweichenden Verhaltensweisen lassen sich nicht mehr als
psycho-soziale Störungen normaler Entwicklung oder als Verhaltensauffälligkeiten einord-
nen.
Unter den Anforderungen der alltäglichen Lebensbewältigung suchen Jugendliche
Orientierungs- und Verständigungsangebote mit Gebrauchswert, mit denen man im Alltag
etwas anfangen kann. Die Probleme, die Jugendliche in die Beratung hineintragen, können
nicht einfach als »psychische« behandelt werden. Sie lassen sich aber auch nicht nach dem
Muster Angebot und Nachfrage regeln.
11 Immer mehr Jugendliche erweisen sich als therapieresistent.

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3.2 Chancen der Sozialpädagogik 12
Es lassen sich allgemeine Rahmenbedingungen und vermutbare Entwicklungen in
groben Zügen abschätzen.13
1. Die Tendenzen sozialen Wandels schlagen sich für die einzelnen Personen in der Chan-
ce (und in dem Zwang) zur Individualisierung ihrer Lebensführung nieder. Jeder muss
seine Fragen für sich lösen. Sozialpädagogik muss ihre Angebote individualisieren; Kon-
zepte haben immer nur für eine kleine Gruppe Gültigkeit. Angebote werden immer auch
nur von wenigen wahrgenommen. – Die Zeiten, in denen viele kamen, sind vorbei.
2. Diese Tendenz wird folgende Trends verstärken:
- große Einrichtungen und stationäre Maßnahmen werden sich hin zu ambulanten Hilfen
entwickeln. Die Einrichtungen werden lebensweltnah und zahlreicher sein;
- es wird weniger Einrichtungen brauchen, die auf differenzierte Problemlösungen zuge-
schnitten sind, aber mehr, die prophylaktisch und präventiv arbeiten;
- es wird weniger Arbeit mit »Fällen« geben, die nach einer bekannten Methode „behan-
delt werden, aber mehr Arbeit in der Form einer offenen Kommunikation mit »Klienten«.
3. Sozialpädagogik muss ihre Angebote mit den Adressaten »aushandeln«. Die Hilfe muss
zusammen mit den Klienten entwickelt werden. Dabei erhält die Sozialpädagogik Kon-
kurrenz von anderen Anbietern.14 Dadurch gerät sie in den Zwang der Profilbildung. Pä-
dagogen arbeiten immer weniger direkt mit Kinder und Jugendlichen, sondern sie orga-
nisieren Einrichtungen und unterstützen Aktivitäten von Jugendlichen.
4. Die Individualisierung der Nachfrage nach Angeboten, Diensten und Ressourcen, die
privat oder kommerziell angeboten werden, wird im Bereich offener Angebote zu einer
Vielfalt von Arbeitsformen, Inhalten und Angeboten führen – sowohl in der Familienar-
beit, als in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Unter dem Leitkonzept »Prävention«
werden solche Aktivitäten zunehmen, die nicht auf eine bestimmte Auffälligkeit reagie-
ren, sondern von vielen genutzt werden, die darin einen Gebrauchswert entdecken.
5. Da vielen Jugendlichen aus sozial benachteiligten Milieus die vorhandenen Angebote
keine Integrations- und Entwicklungschancen bieten, organisieren sie selbst Aktivitäten,
in denen sie mit neuen Lebens-, Lern- und Arbeitsformen experimentieren. Die Sozialpä-
dagogik unterstützt solche »alternativen« Integrations- und Partizipationsmöglichkeiten
und gibt ihnen die notwendige Dauerhaftigkeit.
6. Der Individualisierungsprozess wird die Angebote der Sozialpädagogik nach eigenen
Strategien und Präferenzen wahrnehmen bzw. neue Angebote anregen. Allgemeines
Motiv für diesen »weichen« Teil der Sozialpädagogik wird das Bedürfnis nach Selbstent-
faltung und Verbesserung der Lebensmöglichkeiten sein. Ein anderer Teil von Familien,
Kindern und Jugendlichen wird aufgrund sozialstruktureller Belastungen (Autonomiever-
luste durch Krankheit, Sucht, Devianz etc.) nicht imstande sein, die für eine normale Le-
bensführung notwendigen Ressourcen aufzubringen. Dieses Klientel (»harter« Bereich)
wird die Sozialpädagogik auf Dauer beschäftigen.
7. Die Sozialpädagogik hat keine Kontrolle über Normalität auszuüben und verliert den
12 „Sozialpädagogik“ wird in der Bundesrepublik Deutschland jene Teildisziplin der Erziehungswissen-
schaft genannt, die außerhalb von Familie, Schule und Beruf erzieherische Angebote bereithält, mit diesen aber
zusammenwirken und sie unterstützen. Teilweise sind diese Angebote durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz
und andere Gesetze (Jugendgerichtsgesetz, Jugendschutzgesetze u. a.) geregelt. Zu den Einrichtungen und
Maßnahmen zählen Kindertagesstätten, Freizeiteinrichtungen, Kinderheime und Erziehungsberatungsstellen e-
benso wie Jugendberufshilfe, Jugendgerichtshilfe und pädagogischer Jugendschutz. Es handelt sich nicht um
therapeutische Maßnahmen. Ihre Arbeitsweise ist häufig der der Sozialarbeit sehr nahe.
13 Die nachfolgenden Thesen entstammen dem Diskussionszusammenhang des Projekts »Jugendhilfe
und sozialer Wandel« am Deutschen Jugendinstitut (Münchmeier, Schefold, Vetter, von Wolffersdorff).
14 Auf der Suche nach Hilfe werden zur Zeit in Deutschland alle möglichen Angebote wahrgenommen,
die keine sozialpädagogischen Ziele verfolgen, wie z. B. „erlebnisorientierte“ Aktionen etc. Aber auch die Ar-
beitsvermittlung, kann nun auch von privaten Organisationen geleistet werden.

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»normativen Horizont«. Sie teilt das mit allen anderen pädagogischen Arbeitsfeldern.
Pädagogik - als wissenschaftliche Disziplin - kann die Bedingungen sozialpädagogischen
Handelns aufklären. Sie kann aber keine Zielentscheidungen oder Handlungsanweisun-
gen geben, da diese nur situativ und individuell getroffen werden können. Sozialpädago-
gik kann aber »kommunikative« Ressourcen anbieten, die es ermöglichen, solche Ent-
scheidungen qualifiziert zu treffen. Damit wird sozialpädagogische Praxis zu etwas ande-
rem als einer »Anwendung von (theoretischem) Wissen«. Sie wird zur
»Verständigungsarbeit«.
4 Perspektiven Salesianischer Pädagogik
Die gesellschaftlichen Veränderungen betreffen die Salesianer Don Boscos selbst
sowie ihre Einrichtungen. In einer Zeit eines starken Rückgangs der Mitgliederzahlen in Eu-
ropa geht gleichzeitig eine Neubestimmung und Neuorganisation ihrer Arbeit einher. Das
bedeutet das Ende von „Normalität“ für die Salesianer: Unsicherheit und Angst begleiten die
Suche nach einem Neuanfang.
Die Zielgruppe „ärmere Jugend“
Mit ihrer Option für die „ärmere Jugend“ befinden sich die Salesianer in der Tradition
Don Boscos, in Übereinstimmung mit der Kirche und den Bedürfnissen der Gesellschaften in
Europa. Wenn sie sich den Armen und marginalisierten Jugendlichen zuwenden, sind sie „i-
dentisch“. Nachdem diese Jugend häufig wenig gesellschaftliche Lobby hat, wird der Einsatz
für sie nicht nur Zustimmung finden.
Das Konzept der Prävention
Don Boscos „Methode der Prävention“ war (im deutschen Sprachraum) bis in die
70er Jahre des 20. Jhdt. eher als „präventive Repression“ missverstanden worden.15 Erst
durch die öffentliche Diskussion wird der Begriff „Prävention“ auch von den Salesianer wie-
der entdeckt und positiv bewertet.16 – Als Prävention (im weiteren Sinne, bzw. die Primär-
prävention) kann jede Form von Bildung und Erziehung gelten.
Die Organisation der Sozialpädagogik der Salesianer
Die gesellschaftlichen Bedingungen und die staatlichen Voraussetzungen in den ver-
schiedenen Ländern erlauben den Salesianer unterschiedliches Engagement und verschie-
dene Organisationsformen. Die Salesianer konnten in Deutschland als Träger der Jugendhil-
fe anerkannt und im Rahmen der Jugendgesetze aktiv werden; damit konnten sie auch öf-
fentliche Mittel in Anspruch nehmen. Sie arbeiteten traditionsgemäß in Anstalten, Einrichtun-
gen, in denen Kinder und Jugendliche (stationär) für längere Zeit untergebracht wurden. In
den letzten Jahrzehnten entwickelten die Salesianer in Deutschland ein starkes Engagement
in der Jugendberufshilfe. In Österreich waren diese gesetzlichen Bedingungen nicht gege-
ben und so engagierten sich die Salesianer dort für die „ärmere Jugend“ in den »Oratorien«
(Jugendzentren) der von ihnen geleiteten Pfarreien. Die Salesianer werden zu den beste-
henden stationären und offenen Formen ihrer Arbeit weitere Formen entwickeln müssen, die
flexibel auf aktuelle Bedürfnisse eingehen.
Die Arbeitsweisen der Salesianer
Die Arbeitsweise der Salesianer ist häufig mit dem Begriff »Assistenz« identifiziert
worden. Damit war die Qualität der Beziehung von Erzieher und Zögling gemeint, die sich
durch Intensität, Dauerhaftigkeit und Ganzheitlichkeit auszeichnete. Diese Arbeitsweise
scheint in hohem Maße geeignet, den Bedürfnissen der Zeit zu entsprechen, da sie auf indi-
15 Vgl. u. a. BRAIDO, Pietro: Junge Menschen ganzheitlich begleiten. Das pädagogische Anliegen Don
Boscos. München: 1999, S. 39ff.
16 Als Beispiel für dieses Bemühen kann die Existenz des „Kölner Kreises“ gelten, der sich zur Aufgabe
gemacht hatte, die Pädagogik Don Boscos in die Gegenwart zu übersetzen.

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viduelle Anliegen einzugehen vermag. Sie ist in der Lage, quasi mit jedem Jugendlichen in-
dividuelle Pläne und Strategien zu entwickeln. »Assistenz« möchte „durch Mitgehen und Mit-
leben verändern“.
Die Professionalisierung der Arbeit der Salesianer
Die Öffentlichkeit setzt Standards für die Arbeit mit jungen Menschen. In Deutschland
sind nur Personen mit einer pädagogischen Fachausbildung für die Arbeitsfelder der Sozial-
pädagogik zugelassen. Die Salesianer haben 1967 mit einer solchen Fachausbildung in Be-
nediktbeuern begonnen.17 Seit ca. 1985 wird durch das Jugendpastoralinstitut Benediktbeu-
ern eine sehr qualifizierte und vielseitige Fortbildung für die Einrichtungen der Salesianer or-
ganisiert. Die jüngsten Entwicklungen in der Sozialpädagogik zeigen einen Bedarf an neuen
Qualifikationen: v. a. Betriebswirtschaft und Management. Die Organisation von Projekten
und Maßnahmen, das Arbeiten in „offenen Situationen“, verlangt andere Qualifikationen als
die Arbeit als Lehrer. Salesianer werden mehr denn je zum Studium der Theologie je eine
weitere Qualifikation benötigen. – Es wird immer Aufgabe der Salesianer sein, ihre Konzepte
pädagogisch so zu begründen und darzustellen, damit sie von der sehr säkularisierten Welt
verstanden werden.
Zusammenarbeit – Vernetzung
Lange bevor 1996 das Generalkapitel der Salesianer Don Boscos die Mitglieder der
Kongregation zur Zusammenarbeit mit Laien aufgerufen hat, waren sehr viele Laien in ver-
antwortungsvollen Positionen in Einrichtungen der Salesianer tätig. Mehr und mehr werden
sie Verantwortung übernehmen. Mitunter werden die Einrichtungen der Salesianer andere
Rechtsformen annehmen müssen, um die Beteiligung und die Übernahme von Verantwor-
tung durch Laien zu ermöglichen.
Salesianische Einrichtungen sind keine „Inseln“, sondern neben vielen anderen Ein-
richtungen anderer Träger Partner und - Konkurrenten. Die Finanzsituation der Länder ver-
langt klare Kalkulationen und verlässliche Planungen. Die Salesianer sind ein Träger unter
vielen und müssen flexibel reagieren. Sie besitzen kein Monopol. Die Situation verlangt,
dass die Salesianer auch mit solchen Organisationen zusammenarbeiten, die weltanschau-
lich andere Positionen vertreten.
Autor: Dr. Franz Schmid SDB, Prof. für Pädagogik und Sozialpädagogik an der Kath. Stif-
tungsfachhochschule München Abt. Benediktbeuern
17 Die Fachhochschule (University of Applied Sciences) für Sozialpädagogik in Benediktbeuern ist heute
in Trägerschaft einer Stiftung, die die Bayerischen Bischöfe gegründet haben.