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Ja, in einer Zeit schlimmer Ereignisse - denken wir nur an das Massaker in Erfurt −, in der große
Verunsicherung überall zu spüren ist, scheint meines Erachtens der Schlüsselbegriff "Beziehung"
eine lebenswichtige Bedeutung ganz neu zu erhalten. Junge Menschen müssen die Möglichkeit
haben, in Beziehungen zu Menschen zu treten, die es wagen, einen wertorientierten Weg zu gehen.
Da helfen Menschen wenig, die einen Wertekatalog vermitteln wollen, sondern da sind Menschen
gefragt, die ihren eigenen Lebensweg bewusst gehen. Mit den Grundprinzipien der Freiheit, Offenheit
und Transparenz kann eine vertrauensvolle Beziehung wachsen, die es jungen Menschen
ermöglicht, ihren Lebensweg als Suche nach Sinn und Orientierung und einen verlässlichen
Werthintergrund zu begreifen. Somit kann ihr Lebensweg auch zu einem Glaubensweg werden.
Glauben wird dabei nicht als Wissenspaket weitergegeben, sondern durch Beziehungen zu
wertorientierten Menschen angeregt.
Aber wie können wir heute solch einen Weg beschreiten? Ich bin überzeugt davon, dass dies Don
Bosco uns auch heute noch mit ganz einfachen Mitteln klar machen kann: er war einfach da, hatte
Interesse an seinen Jugendlichen, an ihren tagtäglichen Kleinigkeiten. Zeit für junge Menschen und
Interesse an ihnen zu haben setzt jedoch voraus, dass ich mich auch als jemanden empfinde, der auf
dem Weg ist, der Geduld mit sich und mit anderen aufbringt und der gleichzeitig ein Rückgrat hat, das
noch nicht steif geworden ist, sondern bei Wind und Sturm auch manchmal ganz schön in Wanken
gerät, aber nicht gleich einknickt. Menschen werden um so notwendiger, die den Mut haben,
Jugendlichen nicht nach dem Mund zu reden, weil sie diese ernst nehmen und deshalb auch
manchmal Reibfläche für sie sind, die einen Dialog wagen, weil sie unbändiges Interesse am jungen
Menschen haben, an ihrer Entwicklung und ihrer Suche nach Orientierung und Sinn. Diese
Reibfläche, die nicht zerkratzen und vernichten soll, sondern die etwas Festgefahrenes aufreißt, um
neues Wachstum zu ermöglichen, eine solche Reibfläche zu sein, verlangt viel von denen, die dies
wagen, aber es verschafft auch Einblicke unter die Krusten, ja, es geht unter die Haut. Dieser Dialog,
der auf gleicher Augenhöhe gewagt wird, öffnet neue Einsichten in das Denken und vor allem in die
Überzeugungen des anderen. Und dafür sind junge Menschen offen. Ja, ich meine, ihre Lethargie
schreit uns dies lautlos entgegen. Ein großer, fast unstillbarer Hunger nach Interesse, Zeit und Dialog
ist aus ihren Augen abzulesen. Doch Wachstum braucht Geduld und Gelassenheit und nicht den
Anspruch nach kurzfristiger Erfolgsmeldung. Denn dieser Samen geht nicht sofort auf, sondern muss
langsam wachsen, braucht viel Zeit. Die Ernte kommt oftmals erst viel später und die, die den Samen
ausstreuen, sind häufig nicht mehr diejenigen, die sich über die Früchte freuen können.
Vielleicht denken Sie jetzt, das wäre ja schön, wenn wir uns diese Zeit nehmen könnten, wenn wir
statt regalbiegender Berichte, statt stundenlanger Diskussionen über die Qualität unserer Arbeit,
diese Zeit für Dialog und Interesse für junge Menschen nutzen könnten. Und damit bin ich beim
zweiten Teil meines Vortrages, beim Träger und seinem Profil.
Was macht das Profil eines Trägers aus? Sind freie Träger tatsächlich das, was vielleicht oftmals von
außen besonders von katholischen Trägern erwartet wird? Haben sie ein klares Profil, eine klare
Wertorientierung? Der Leiter des Bayerischen Landesjugendamtes, Dr. Robert Sauter, der sich einen
Namen für markante und provozierende Äußerungen gemacht hat, sagte einmal: "Ein großes
Problem stellt die Sprachlosigkeit freier Träger dar: Es gelingt den freien Trägern kaum mehr, ihre
spezifische Profilierung auch sprachlich zu fassen und damit auch kommunizierbar zu vermitteln, im
Falle der Kirchen also religiöse Grundüberzeugungen und Maßstäbe als religiöse, nicht als politische
zu begründen."
Die Rolle freier Träger in unserem Staat ist sehr hoch angesiedelt: nicht nur, dass wir geduldet
werden, sondern dass uns sogar eine Vorrangstellung eingeräumt wird, ist für andere europäische
Staaten nicht vorstellbar. Warum wurde uns diese wichtige Stellung durch unsere Verfassungsväter
zugedacht? Gerade unsere eigene deutsche Geschichte hat deutlich gemacht, wie schnell staatliche
Systeme ideologisch vereinnahmen können. Die Väter des Grundgesetzes haben dies erkannt und
deshalb den staatlichen Stellen eine Neutralitätsverpflichtung auferlegt. Gleichzeitig war ihnen