Don Bosco – Das Stichwort
Eine Schule des Lebens
und Glaubens
18 · Don Bosco Magazin 6/2008
„Oratorium“, so nannte Don
Bosco die erste von ihm ge-
gründete Einrichtung. Das
Wort stammt vom lateini-
schen Verb für beten: „orare“.
Ein „Oratorium“ war ur-
sprünglich ein Gebetsraum.
Doch schon der hl. Philipp
Neri (1515-1595), der Apostel
Roms und das große Vorbild
Don Boscos, sah im Oratori-
um auch einen Ort des geteil-
ten Lebens und Glaubens. An
diesem ganzheitlichen Ver-
ständnis orientierte sich auch
Don Bosco.
Am Anfang seines Wirkens
stand das „Sonntagsoratori-
um“, zu dem er auf den Stra-
ßen Turins verlassene und he-
rumstreunende junge Arbeits-
immigranten versammelte.
An ihrem freien Tag lud er sie
zu Geselligkeit und Spiel, zu
Katechismusunterricht und
zum Empfang der Sakramente
ein. Die Jugendlichen kamen
schon bald zu Hunderten,
weil sie sich bei Don Bosco
willkommen und angenom-
men wussten. Dieser erkannte
im Oratorium mit seiner Of-
fenheit eine Möglichkeit, die
vielen Jugendlichen anzuspre-
chen, die von den traditionel-
len Pfarreien nicht erreicht
wurden und so leicht an den
Rand von Kirche und Gesell-
schaft gerieten.
Anfangs wurde er wiederholt
mit seiner oft ungezwungenen
Jungenschar vertrieben und
musste sich einen neuen Platz
für sie suchen; oft unternahm
er mit ihnen auch ausgedehn-
te Wanderungen in die Umge-
bung Turins. Deshalb nannte
man das Oratorium der ersten
Jahre auch „Wanderoratori-
um“, bis es im Jahre 1846 im
Pinardi-Haus in Turin-Valdoc-
co seinen endgültigen Ort
fand.
Im Jahre 1852 vertraute der
Turiner Erzbischof Don Bosco
zu dem von ihm gegründeten
Oratorium auch die anderen
beiden Oratorien der Stadt an.
Hier entwickelte Johannes
Bosco seine „Pädagogik der
Vorsorge“. Dabei war es zu-
nehmend nicht mehr nur eine
reine Freizeitstätte. Mit der
Zeit kamen auch eine Abend-
schule, Werkstätten für die Be-
rufsausbildung, ein Heim und
ein Gymnasium hinzu. Für sie
alle aber war die ganzheitliche
Idee Don Boscos vom Oratori-
um als Schule des Lebens und
als Schule des Glaubens in ei-
nem Klima der Familiarität
prägend.
Haus, Pfarrgemeinde,
Schule und Spielhof
Seine Nachfolger sprechen
heute vom „oratorianischen
Geist“, der sich in vier Quali-
tätsmerkmalen des salesiani-
schen Wirkens ausdrückt:
Werke im Sinne Don Boscos
sollen ein HAUS sein, wo jun-
ge Menschen sich wertge-
schätzt erfahren wie in einer
Familie; sie sollen wie eine
PFARRGEMEINDE sein, in
der ihnen durch das Zeugnis
des Lebens und (wenn mög-
lich) das Zeugnis des Wortes
die Frohbotschaft verkündet
wird; sie sollen eine SCHULE
sein, wo sie ihre von Gott ge-
schenkten Gaben entfalten
und sich auf das Leben vorbe-
reiten können; und sie sollen
wie ein SPIELHOF sein, wo
junge und erwachsene Men-
schen einander freundschaft-
lich begegnen und ein frohes
und familiäres Klima erfah-
ren, in dem man wachsen
kann.
Diese vier Qualitätskriterien
sollen dafür sorgen, dass den
jungen Menschen das gegeben
wird, was sie für ihre ganzheit-
liche Entfaltung brauchen. Sie
sind für alle Werke und Pro-
jekte im Geiste Don Boscos
auch heute leitend.
Mal steht das eine Kriterium
im Vordergrund, mal das an-
dere. Doch wo eine der vier
genannten Dimensionen au-
ßer Acht gelassen oder ver-
nachlässigt wird, mag es sich
um eine professionelle Ein-
richtung handeln, jedoch
nicht um eine solche im Geis-
te Don Boscos.
Die vier Qualitätskriterien be-
dingen und ergänzen einan-
der. Und das ist sehr bedeut-
sam in Zeiten, in denen nur
diejenigen pädagogischen und
pastoralen Einrichtungen und
Projekte eine Zukunftschance
haben, die sich durch ein kla-
res Profil auszeichnen.
P. Reinhard Gesing (46)
leitet das Institut für
Salesianische Spiritualität
in Benediktbeuern.