Don Bosco – Das Stichwort
Pädagogik des Herzens
statt harter Strafen
Zwei ausländische Jugend-
liche schlagen in der Mün-
chener U-Bahn einen Rentner
brutal zusammen – seit die-
ser erschütternden Meldung
kurz vor Weihnachten 2007
wird in Deutschland darüber
gestritten: Wie kann man am
wirkungsvollsten Jugendkri-
minalität entgegentreten? Die
einen verlangen eine Ver-
schärfung des Jugendstraf-
rechts; die andern sehen die
Gefahr, dass dies sogar das
Gegenteil bewirken wird.
Wer auf dem salesianischen
Hintergrund die Diskussion
verfolgt, mag sich an die
Worte Don Boscos in seiner
Abhandlung über das Präven-
tivsystem aus dem Jahre 1877
erinnert fühlen: „Zu allen
Zeiten wurden in der Erzie-
hung der Jugend zwei Systeme
angewandt: das präventive
und das repressive.“ Das Re-
pressivsystem bestehe darin,
Vorschriften zu erlassen, de-
ren Befolgung zu überwachen
und deren Übertretung zu be-
strafen. Diese vermeintliche
Art von Pädagogik, die vor
allem von Disziplin, Härte
und Sanktionen geprägt ist,
war zur Zeit Don Boscos all-
gemein üblich.
Der junge Priester Johannes
Bosco begegnete ihr im da-
maligen Jugendgefängnis von
Turin und war über ihre zer-
störerischen Auswirkungen
zutiefst bestürzt. Er erlebte,
wie viele junge Menschen ge-
brochen wurden und wie
viele von ihnen, kaum entlas-
sen, wieder rückfällig wur-
den. In seinen Erinnerungen
schrieb er später: „Wer weiß,
sagte ich zu mir, wenn diese
Jungen draußen einen Freund
hätten, der sich um sie küm-
merte, ihnen helfen und sie
in der Religion unterrichten
würde, wer weiß, ob sie sich
dann nicht vom Untergang
fernhalten könnten oder sich
wenigstens die Zahl derer ver-
ringerte, die wieder ins Ge-
fängnis müssen?“
Das Präventivsystem
Don Boscos
Der angehende Jugendseel-
sorger Don Bosco entschied
sich für den „präventiven“,
das heißt den vorbeugenden
Weg der Erziehung, der später
auch „Pädagogik der Vorsor-
ge“ genannt wurde. Er wollte
es gar nicht so weit kommen
lassen, dass junge Menschen
erst auf die schiefe Bahn gera-
ten – eine Idee, die damals
wie heute höchst aktuell ist.
Darum nannte Don Bosco
seinen pädagogischen Ansatz
später auch „Präventivsys-
tem“ und stellte ihn ganz be-
wusst dem „Repressivsys-
tem“ entgegen.
Er charakterisierte das Prä-
ventivsystem mit einfachen
Worten so: „Es besteht darin,
dass man die Vorschriften be-
kanntmacht und dann die Ju-
gendlichen derart überwacht,
dass das achtsame Auge der
Assistenten immer auf ihnen
ruht. Wie gütige Väter sollen
diese mit ihnen sprechen, bei
jedem Anlass als Führer die-
nen, gute Ratschläge erteilen
und sie liebevoll zurechtwei-
sen … Dieses System stützt
sich ganz auf Vernunft, Reli-
gion und Liebenswürdigkeit.
Deshalb schließt es jede ge-
waltsame Züchtigung aus und
sucht auch leichtere Strafen
fernzuhalten.“
Don Bosco wählte damit den
Ansatz einer Herzenspädago-
gik, die das Vertrauen des
jungen Menschen erobern
und ihn so für das Gute ge-
winnen will und darum auch
durch Herausforderungen zu
fördern vermag. Im tiefsten
Wesen ist das „Präventivsys-
tem“ kein wissenschaftlich
reflektiertes System, sondern
Ausdruck einer spirituellen
Grundhaltung den jungen
Menschen gegenüber, die in
der vorsorgenden und voraus-
eilenden Liebe des biblischen
Vater-Gottes ihr Vorbild und
ihr Maß hat.
In einem Filmbeitrag zum The-
ma Jugendkriminalität sagte
ein junger Mann, der straffällig
geworden ist, auf die Frage
nach den Gründen: „Man will
Anerkennung!“ Diese jungen
Menschen rechtzeitig zu ge-
ben, genau das ist das Anliegen
einer „Pädagogik der Vorsorge“
im Geiste Don Boscos.
P. Reinhard Gesing (45)
leitet das Institut für
Salesianische Spiritualität in
Benediktbeuern. In unserer
Serie erläutert der Theologe
Schlüsselbegriffe des Erzie-
hungsmodells Don Boscos.
2/2008 Don Bosco Magazin · 19