Ich fühle mich in der Pflicht, Euch zu danken. Ich tue es gern mit diesem Brief wie ich es
auch persönlich tue, wenn ich Euch bei den Besuchen der Provinzen und Gemeinschaften
treffe. Einerseits ist jeder Mitbruder ein Schatz für die Kongregation. Ich werde nicht müde,
das zu wiederholen und es Euch spüren zu lassen. Andererseits ist die laikale wie die priester-
liche salesianische Berufung ein außerordentliches Geschenk für jeden von Euch. Das ist
meine Erfahrung und, wie ich mir vorstellen kann, auch Eure Erfahrung. Gerne bete ich unter
diesem Blickwinkel einige Psalmen wie z.B. den Psalm 16, wo wir lesen: „Ich sagte zum
Herrn: Du bist mein Herr; mein ganzes Glück bist du allein... Du, Herr, gibst mir das Erbe
und reichst mir den Becher; Du hältst mein Los in deinen Händen. Auf schönem Land fiel mir
mein Anteil zu. Ja, mein Erbe gefällt mir gut“ (16, 2-6). Dabei beziehe ich mich nicht auf die
Tatsache, dass ich Generaloberer bin. Das ist ein Dienst, der zeitweilig zu erfüllen ist. Viel-
mehr meine ich das unschätzbare Geschenk der Berufung des auf Jesus ausgerichteten Leben-
sprojekts, der uns beim Namen ruft, uns auswählt, um bei ihm zu sein und seine Leidenschaft
für Gott und den Menschen zu teilen (vgl. Mk 3, 13-15). Eine Berufung zu haben, bedeutet:
entdeckt zu haben, dass das Leben Sinn hat. Ein schöner „Traum“, der Traum Gottes ist zu
verwirklichen. Eine uns von Gott übertragene Sendung ist zu erfüllen. Ein Ziel ist zu errei-
chen, nämlich: Menschen, die uns anvertraut sind. Und das erfüllt ein ganzes Leben mit Kraft
und Freude, ein Leben, das sich als geeinigt erweist wie das Don Boscos (vgl. Konst. 21). Das
ist die salesianische Berufung.
Sie ist ein solch kostbares Geschenk des Herrn, das sorgfältig gepflegt und den Jugendlichen
mit aller Entschiedenheit vorgestellt wird, weil wir wollen, dass sie mit uns glücklich sind.
Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass das größte und am meisten verbreitete Problem
unter den Jugendlichen nicht das ist, was die Aufmerksamkeit erregt wie die Droge, der Alko-
hol und auch nicht die Verwirrung auf dem Gebiet der Sexualität, wenngleich sehr viele
Jugendliche da hinein verwickelt sind – und das ist natürlich ein Problem, das uns nicht indif-
ferent lassen kann. Das wahre Problem aber ist das Fehlen der Richtung, des Horizonts, des
Sinnes, des Lebenskonzeptes. Das verführt zu einem oberflächlichen Leben, indem man
Dinge und Erfahrungen konsumiert ohne ein Element, das ihr Leben vereinigt und mit Kraft
erfüllt. Ich danke Euch also für Eure Berufung, die immer reicher sein wird an einer immer
gelungeneren Biographie. Wie soll man am Ende des Lebens in einem Buch oder in einem
Totenbrief die Geschichte der Treue zu Gott für die Jugendlichen zusammentragen, verwoben
in ein Netz von Freuden und Traurigkeiten, Träumen und Enttäuschungen, Hoffnungen und
Frustrationen, Schweiß, Tränen und Lächeln?
Deshalb erlaubt mir, dass ich mir die Worte des Paulus zu Eigen mache, um Gott für das zu
danken, was Ihr seid – Gottgeweihte für die Jugend – und für das, was Gott für Euch ist – das
einzige und höchste Gut. Wie der Apostel möchte auch ich sagen: „Zunächst danke ich
meinem Gott durch Jesus Christus für Euch alle, weil Euer Glaube in der ganzen Welt ver-
kündet wird. Denn Gott, den ich im Dienst des Evangeliums von seinem Sohn mit ganzem
Herzen ehre, ist mein Zeuge: Unablässig denke ich an Euch in allen meinen Gebeten und bitte
darum, es möge mir durch Gottes Willen endlich gelingen, zu Euch zu kommen. Denn ich
sehne mich danach, Euch zu sehen; ich möchte Euch geistliche Gaben vermitteln, damit Ihr
dadurch gestärkt werdet, oder besser: damit wir, wenn ich bei Euch bin, miteinander Zuspruch
empfangen durch Euren und meinen Glauben“ (Röm 1, 8-12)
2. „Ich habe Gott versprochen, bis zu meinem letzten Atemzug....“ (MB XVIII, 258)
Wie Ihr Euch erinnert, habe ich schon in meinem ersten Brief den Wunsch zum Ausdruck ge-
bracht, aus der Heiligkeit ein Lebensprogramm, eine Leitungsentscheidung und ein erziehe-
risches Angebot zu machen. Aus diesem Blickwinkel habe ich die Aussage gewagt, dass
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