Don Pascual Chávez Villanueva
Generaloberer der Salesianer Don Boscos
zum
für die
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Mitglieder der Don-Bosco-Familie!
Zum Abschluss des Jahres 2006, das mit dem wunderbaren Geschenk der Erklärung des heroischen Tugendgrads und der Verehrungswürdigkeit Mama Margaretas ein Jahr der Gnade für die Don-Bosco-Familie war, sowie zum Beginn des Jahres 2007, das sich reich an Hoffnungen vor uns auftut, setze ich mich mit Euch in Verbindung, wie es Don Bosco getan hat, und wünsche Euch die Fülle des Lebens in Christus. Gleichzeitig überreiche ich Euch das geistliche und pastorale Programm für dieses Jahr, das gerade das Leben zum Thema hat.
1. Einleitung
Der Leitgedanke des vergangenen Jahres hat in der Don-Bosco-Familie eine große Begeisterung geweckt und eine Fülle von Initiativen angeregt. Mit dem diesjährigen Leitgedanken möchte ich zur Fortsetzung der eingeleiteten Aktivitäten ermutigen und gleichzeitig neue Sichtweisen eröffnen.
Im Verlauf des Jahres 2006, das wir dem Engagement für die Familie gewidmet haben, konnten wir das große kirchliche Ereignis des fünften Internationalen Familienkongresses erleben, bei dem der Wert der Liebe und des menschlichen Lebens, dessen bevorzugter Raum die Familie darstellt, bekräftigt wurde. Die Worte, die der Papst an Hunderttausende von Teilnehmern – darunter zahlreiche Mitglieder der Don-Bosco-Familie - gerichtet hat, machen Hoffnung und verpflichten uns, unseren Weg der Verteidigung des Lebens und für die Erneuerung der Familie, der Wiege des Lebens und der Liebe, fortzusetzen.
Zur gleichen Zeit haben wir aber dramatische Ereignisse erlebt, bei denen wir wieder einmal die Verachtung des menschlichen Lebens erkennen mussten: die Kriege im Irak und im Mittleren Osten, die terroristische Gewalt, der unaufhaltsame Vormarsch der Emigration, der Missbrauch und die Ausbeutung der Kinder und Frauen, die Gesetze, die das Experimentieren mit embryonalen Keimzellen billigen, usw.
Das alles zeigt uns, dass das große Geschenk des Lebens heute bedroht ist, wie der verehrte Johannes Paul II. vor den Jugendlichen beim achten Weltjugendtag bekräftigte: „Im Lauf der Zeit werden die Bedrohungen gegenüber dem Leben nicht weniger. Im Gegenteil, sie nehmen enorme Dimensionen an. Es handelt sich nicht nur um Bedrohungen, die von außen kommen, von Naturkräften oder von den „Kains“, welche die „Abels“ umbringen; nein, es handelt sich um Bedrohungen, die auf wissenschaftliche und systematische Weise programmiert sind. Das 20. Jahrhundert wird einmal als Epoche massiver Angriffe auf das Leben gelten, als eine unbegrenzte Serie von Kriegen und eine ständige Zerstörung unschuldiger menschlicher Leben. Die falschen Propheten und die falschen Lehrmeister haben den größtmöglichen Erfolg erreicht.“1
Gegenüber dieser Realität dürfen wir nicht gleichgültig bleiben - insbesondere als Mitglieder der Don-Bosco-Familie, animiert vom Geist des Humanismus des hl. Franz von Sales, den Don Bosco gelebt und uns als kostbares erzieherisches Erbe überliefert hat. Es ist ein Humanismus, der uns anspornt, all das Positive im Leben der Menschen, in den Dingen und in der Geschichte zu schätzen, zu verteidigen und zu entwickeln, an die Kraft des Guten zu glauben und uns zu bemühen, es mehr zu fördern als über das Böse zu lamentieren, das Leben und alle menschlichen Werte, die sich darin begegnen, zu lieben.2
Wir müssen uns von Gott, der das Leben liebt, angefragt fühlen. Wenn das menschliche Leben aus dem Geist Gottes selbst hervorgeht, wenn es göttlicher Atem ist, wenn wir nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen sind, weht notwendigerweise über unserer Existenz die göttliche Liebe. Gott liebt alle seienden Wesen. Er kann nichts von dem hassen, was er liebevoll geschaffen hat.
Im Gegensatz zu dem, was die denken, die mit der finsteren Überzeugung leben, dass Gott eine Bedrohung für das menschliche Dasein und eine unterdrückende Präsenz darstellt, die man ausmerzen muss, um leben und sich ganz seiner Existenz erfreuen zu können, verkünden wir unseren Glauben an Gott als den besten Freund des Menschen und den zuverlässigsten Verteidiger seines Lebens. So hat er sich in der Geschichte Israels fortwährend erwiesen und so drückt sich der Autor des Buchs der Weisheit aus:
„Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben, oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre? Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist. Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben, Herr“ (Weish 11,24-12,2).
Gott gibt das Leben aus Liebe, er bewahrt es in der Liebe und bestimmt es dazu, zu lieben. Es ist die Liebe Gottes, die uns anspornt, das Leben zu lieben, es mit einem verantwortlichen Dienst zu fördern, es hoffnungsvoll zu verteidigen, seinen Wert und Sinn zu verkündigen, besonders den schwächsten und hilflosen Jugendlichen, die in die Leere oder in die Unrast abdriften.
Deshalb bitte ich die ganze Don-Bosco-Familie, sich von diesem Gott, der das Leben liebt, sowie von seiner Liebe zum Leben leiten zu lassen und sich mit Entschiedenheit für dessen Verteidigung und Förderung einzusetzen.
Zu einer Zeit, in der das Leben besonders bedroht ist, verpflichten wir uns als Don-Bosco-Familie:
das Leben mit Dankbarkeit und Freude als unverletzliches Geschenk anzunehmen,
das Leben in einem verantwortlichen Dienst mit Leidenschaft zu fördern,
die Würde und die Qualität eines jeden Lebens, besonders des schwächsten, ärmsten und wehrlosesten, hoffnungsvoll zu verteidigen.
Dieser Leitgedanke will eine „präzise und feste Bestätigung des Werts des menschlichen Lebens und seiner Unverletzlichkeit sein, und gleichzeitig ein leidenschaftlicher Aufruf im Namen Gottes an alle und jeden: achte, verteidige, liebe das Leben, jedes menschliche Leben, und diene ihm! Nur auf diesem Weg wirst du Gerechtigkeit, Entwicklung, wahre Freiheit, Frieden und Glück finden!“.3
2. Zweideutigkeit der aktuellen Lebenskultur
Papst Benedikt XVI. sagte zu den Priestern der Diözese Rom: „Ich glaube, dass dies in gewisser Weise der Kern unserer Pastoral ist: zu einer echten Option für das Leben und zur Erneuerung unserer Beziehung zu Gott zu verhelfen – einer Beziehung, die uns das Leben gibt und uns den Weg zum Leben weist“.4
Unser erstes Bemühen muss also darauf ausgerichtet sein, einige der schwerwiegenden Widersprüche der Kultur unserer Zeit zu erkennen, die Fragen, welche die Lebensart der zeitgenössischen Menschen stellt, aufzugreifen und das aufzuwerten, was es an Positivem im modernen Leben gibt, um es zu stärken und die „Kultur des Todes“ zu entlarven, welche die Existenz des menschlichen Seins und seiner Welt bedroht.
° Der proklamierte und verteidigte, aber auch angegriffene und bedrohte Wert des menschlichen Lebens
Der moderne Mensch hat zweifellos ein weit lebendigeres Bewusstsein von der Würde der menschlichen Person und seiner unverletzlichen Rechte erlangt. Heute reagiert man heftig gegen die Todesstrafe, die Folter, die Misshandlungen und gegen jede Beleidigung, welche die Person erniedrigt. Die modernen Gesetzgebungen und sozialen Vorkehrungen enthalten in vielfältiger Weise diese Forderung nach Respekt vor der Person und nach Verteidigung des menschlichen Lebens.
Es wäre aber ein Irrtum, die Übergriffe zu ignorieren, die weiterhin gegen das begangen werden, was man sozial proklamiert und was in den Gesetzen festgelegt wird. Das menschliche Leben wird durch die Abtreibungspraktiken noch vor der Geburt ausgemerzt. Das Gleiche geschieht in mehr oder weniger endstadiumartigen Situationen kraft einer falsch verstandenen „Pietät“ gegenüber dem Kranken oder eines proklamierten „würdigen Todes“ oder der Euthanasie.
Ein Skandal, der zum Himmel schreit, ist die Existenz zahlreicher misshandelter und sexuell missbrauchter Kinder sowie von zur Prostitution gezwungenen Frauen, die von Gruppen ausgenützt und versklavt werden, welche sich zur Bedienung des Sexualmarktes organisiert haben.
Besonders desolat ist das traurige Schauspiel so vieler Personen, besonders Jugendlicher, die vom Strudel des Drogenmissbrauchs oder vom Alkoholkonsum erfasst sind oder sich einem misslungenen, ungeordneten und unverantwortlichen Lebensstil hingeben.
In einer immer weiter entwickelten Gesellschaft und Welt, in denen die Möglichkeiten eines würdigen Lebens stets reichhaltiger werden, wächst trotzdem die Zahl der Personen, die ausgeschlossen und gezwungen sind, an der Grenze des Existenzminimums zu leben, sowie die Zahl von Nationen und ganzen Kontinenten, die ausgebeutet und vergessen sind, als handelte es sich um Lebewesen der zweiten Kategorie.
° Lebensqualität: ein zweideutiges Ziel
Lange Zeit war die Sorge der Völker darauf ausgerichtet, die fundamentalen und unverzichtbaren Bedingungen sicherzustellen, um überleben zu können. Das war die einzige Zielsetzung, die man anstreben konnte, als es noch keine Ressourcen gab, um größere Erwartungen zu hegen. Seit einigen Jahren ist dann die Lebensqualität zu einem neuen Ziel der Gesellschaft und der Individuen geworden.
Diese Sorge um die Lebensqualität kann, je nach dem Zweck, den sie verfolgt, zu sehr verschiedenen Konsequenzen führen: wenn sie inspiriert ist von einem humanitären Willen, die günstigsten Bedingungen für die Ausdehnung und Entwicklung eines würdigen Lebens für alle menschlichen Wesen zu entwickeln; oder wenn sie zu einer in sich absoluten Forderung wird, inspiriert vom Nützlichkeitsdenken und von purem Genussstreben, auf deren Basis man misst, bewertet und sogar diejenigen vom Leben ausschließt, die ein bestimmtes Niveau nicht erreichen. Auf diese Weise führt man eine Teilung ein, beispielsweise zwischen Kranken, die mit jeder erdenklichen Art von Mitteln behandelt werden, und Kranken mit geringer Lebensqualität (bestimmte Behinderte, Alte ohne Familie, chronisch Kranke usw.), die vernachlässigt werden können und denen man schlimmstenfalls eine wirksamere Therapie verweigern kann. Es gibt Leben, die für weniger wichtig oder weniger nützlich gehalten werden; Leben, die als überflüssig gelten und an den Punkt kommen, dass man sie als eine Gefährdung für das Wohlergehen der anderen einschätzt und die deshalb eliminiert werden.
Um wenigen aus genuss- und konsumorientierter Mentalität heraus eine hohe Lebensqualität zuzugestehen, begünstigt man den Zerfall und die Zerstörung des planetarischen Ökosystems (Verschmutzung und Verseuchung in ihren vielfältigen Formen, Klimawechsel, Krise der Wasserversorgung, Verminderung der Artenvielfalt usw.), indem man ein nicht vertretbares Entwicklungsmodell favorisiert und die Zukunft der ganzen Menschheit kompromittiert.
° Zunahme der zerstörerischen Aggressivität
Neben so vielen Zeichen, die beweisen, wie die Wertschätzung des menschlichen Lebens, die Achtung vor jedem Lebewesen und der Respekt vor dem Bereich der Natur zunehmen, vermehren sich leider auch die Erscheinungsformen einer immer schlimmeren und zerstörerischen Gewalt. Denken wir nur an die Kriege und an das Waffengeschäft, das sie aufrechterhält: Sie häufen fortwährend Tausende von unschuldigen Opfern an. Denken wir auch an die grausamen Kämpfe zwischen Völkern und Ethnien, die ganze Bevölkerungsgruppen zwingen, die eigenen Wohnungen zu verlassen und außerhalb des eigenen Landes Zuflucht zu suchen. Denken wir an steigende fremdenfeindliche Gewalt gegen Immigranten, die als Gefahr und Bedrohung gelten und die ausgenützt werden, während man ihnen die fundamentalsten Rechte verweigert.
Es gibt noch andere Formen von Gewalt, die ihre Wurzel in einer lebensfeindlichen Einstellung haben, ausgelöst von der Enttäuschung der tiefsten Sehnsüchte des Menschen. In ihr wachsen die Feindseligkeit, die Zurückweisung und der Hass gegenüber dem Leben und gegenüber den anderen. Man zerstört Sachwerte, misshandelt Personen und fügt mutwillig Schaden zu... Diese Gewalt dominiert vielfach in Jugendbanden oder in Gruppen, die Gewalttaten auf den Straßen begehen usw.
° Eine Kultur, die sich gegen das Leben richtet
Der Aspekt, der Anlass zu größerer Sorge gibt, ist die Verbreitung einer Form des Denkens, Bewertens und Verhaltens, die als normal erscheint, die manchmal sogar unter dem Vorwand der Verteidigung der Freiheit dargestellt wird und die, statt das Leben zu verteidigen und zu fördern, es zum Verderben, zur Entleerung und schlimmstenfalls zu seiner Ausrottung führt. Es ist das, was Papst Johannes Paul II. eine „Kultur des Todes“ nannte: „Wir stehen vor einer viel weiter reichenden Wirklichkeit, die man als eine echte und ausgesprochene Struktur der Sünde betrachten kann, geprägt von der Durchsetzung einer Anti-Solidaritätskultur, die sich in vielen Fällen als wahre ‚Kultur des Todes’ herausstellt... Auf diese Weise wird eine Art ‚Verschwörung gegen das Leben’ entfesselt. Sie bezieht nicht nur die einzelnen Personen in ihre individuellen, familiären oder gruppenartigen Beziehungen mit ein, sondern geht noch weit darüber hinaus, um schließlich auf Weltebene die Beziehungen zwischen den Völkern und Staaten zu schädigen und durcheinanderzubringen“.5
Angesichts dieser Situation fühlen wir uns zutiefst als Erzieher aufgerufen, die den Jugendlichen helfen wollen, den absoluten Wert eines jeden Lebens – insbesondere des menschlichen Lebens - zu entdecken und zu fördern. Hier sind einige dieser Herausforderungen und Anfragen:
- Das letzte Fundament des absoluten Werts eines jeden Lebens
Warum verdient es jedes menschliche Leben, immer, in jeder Situation und unter allen Umständen verteidigt und respektiert zu werden? Gibt es Leben, die mehr wert sind als die anderen?
Wo findet man das Kriterium für eine Lebensqualität, die der menschlichen Person wirklich würdig ist?
- Die Herausforderung der Förderung des Lebens für alle, besonders für die Schwächsten und Hilflosesten
Ist es menschlich, dass sich gerade die große Sensibilität des zeitgenössischen Menschen für ein erfüllteres und besseres Leben oftmals in eine größere Bedrohung für das Leben der Schwächsten und Hilflosesten verkehrt?
- Die Herausforderung der Evangelisierung in diesem Kontext und in dieser Kultur
Wie soll man sich mit dieser dem Leben entgegengesetzten Kultur auseinandersetzen und in ihr das „Evangelium des Lebens“ als heilende und belebende Kraft für alle verkündigen?
Wie kann man in unseren Gemeinschaften, unter den Jugendlichen und in der Don-Bosco-Familie einen Lebensstil nach der Vorgabe Don Boscos pflegen, der alle anspornt, das Leben als Geschenk und als einen Dienst zu lieben, zu werten, zu verteidigen und zu fördern?
3. Einbeziehung der Don-Bosco-Familie in die Verteidigung des Lebens
Diese Vision der Wirklichkeit wäre nicht realistisch, wenn wir nicht die vielen Bemühungen, Engagements und Leistungen herausstellen würden, die von Seiten der verschiedenen Gruppen der Don-Bosco-Familie in allen Teilen der Welt getätigt werden. Als Beispiel möchte ich Euch einige der gemeinsamen und bedeutsamen Initiativen unserer Don-Bosco-Familie vorstellen und Euch zugleich einladen, die bereits in jedem Land oder in jeder Region existierenden Ressourcen, Initiativen und Möglichkeiten kennen zu lernen, aufzuwerten und weiterzuentwickeln. Hier folgt nun ein zweifellos lückenhaftes Verzeichnis der Initiativen, die das Engagement der Don-Bosco-Familie für das Leben unter Beweis stellen:
Die Solidaritätsbewegungen, ins Leben gerufen angesichts der großen Unglücksfälle in diesen letzten Jahren („Tsunami“, Erdbeben, Überschwemmungen, Brände, Attentate, Kriege...), welche die Verfügbarkeit und Flexibilität so vieler Menschen, besonders aus den einfachen Schichten, aufzeigen, die bereit sind, mit Großherzigkeit auf die Notlagen der anderen zu antworten und das Leben der Ärmsten zu verteidigen, indem sie ihnen Hoffnung und Zukunft geben.
Die tägliche An- und Aufnahme so vieler Jugendlicher in Gefährdungssituationen, Straßenkinder, arbeitsloser Jugendlicher usw. seitens Tausender von Erziehern, die sich mit Großherzigkeit und salesianischem Gespür einsetzen, um ihnen zu helfen, ihre Situation der Ausgrenzung und der Gefährdung zu überwinden und mit größerer Qualität auf ihre Zukunft zuzugehen.
Die verschiedenen Hilfsprogramme für die Flüchtlinge und Immigranten, welche die Don-Bosco-Familie in manchen Ländern betreibt, indem sie sich um deren Aufnahme und Erziehung bemüht und ihnen dabei behilflich ist, sich positiv in die neue Kultur einzugliedern.
Die aktuellen Initiativen in Afrika, wie die Programme „Stop au SIDA!“ und „Love matters“, um gegen das Drama der AIDS-Krankheit anzugehen, die diesen leidgeprüften Kontinent im Griff hat und Millionen von Menschen zum Tode verurteilt, während gleichzeitig Millionen von Waisen zurückbleiben. Die Don-Bosco-Familie führt Vorbeugungsstrategien mit dem Ziel durch, die Jugendlichen professionell über das Thema zu informieren und ihre Gewissen zu formen, da sie sich dessen bewusst ist, dass man diese Pandemie nicht mit prophylaktischen Mitteln besiegt, sondern mit einer wirksamen Erziehung.
Die Tausenden von Erzieherinnen und Erziehern, die in den verschiedenen salesianischen Werken und Präsenzen in der Erziehung der Jugendlichen beschäftigt sind und diese vorbereiten, damit sie sich in die Arbeitswelt eingliedern können.
Die beachtliche humanitäre Arbeit der Erziehung und der Evangelisierung, die man in den Missionen leistet, und die oftmals eine der wenigen Möglichkeiten der Verteidigung des Lebens und ganzheitlichen menschlichen Förderung für Tausende von Menschen und für ganze Bevölkerungen ist.
Der großzügige Einsatz in den Missionen durch eine beachtliche Aktivität, die nicht nur die Existenz der eingeborenen Völker erhalten, sondern vor allem deren Entwicklung, ihre öffentliche und soziale Anerkennung, mit ihren eigenen Rechten der Sprache, der Kultur, der Weltsicht, der sozialen Organisation und der politischen Repräsentanz fördern will.
Die Arbeit so vieler Familien, die zwar unter Schwierigkeiten, aber mit Hingabe und Großherzigkeit in das tägliche Bemühen um Erziehung und Verteidigung des Lebens eingebunden sind.
Das Volontariat in seinen verschiedenen Formen: sozial, missionarisch, berufungsorientiert.
Und viele andere Initiativen und Wirklichkeiten, die Tag für Tag ein Netzwerk bilden, das eine große Zahl von bedrohten und gefährdeten Menschen auffängt, und die mit Entschiedenheit und Großherzigkeit das Bemühen fördern, einen mehr menschlichen, solidarischen Lebensstil im Geist des Evangeliums aufzubauen und so „die Kultur des Lebens“ zu schaffen.
Ich glaube, dass wir mit dieser großen Quantität und Qualität von Menschengruppen auf die großen Herausforderungen, die uns heute die Verteidigung des Lebens stellt, zugehen können und müssen. Der Leitgedanke ist ein Ansporn, die eigene Berufung zum Leben zu vertiefen; eine Einladung, die Kräfte zu vereinen und in unseren Bemühungen fortzuschreiten, mit Kreativität und Dynamik auf die enormen Herausforderungen zu antworten.
4. Der Gott, der das Leben liebt
Von den ersten Seiten des Buchs der Genesis an bis zur letzten Seite des Buchs der Geheimen Offenbarung bringt die Heilige Schrift den Glauben und die tiefe Überzeugung des Gottesvolks zum Ausdruck, dass das Leben von Gott kommt und dass man es vor Ihm, der es bewahrt und beschützt, leben muss. Es ist ein Segen Gottes, der in diesem Geschenk seine Liebe und Großherzigkeit aufleuchten lässt. Es ist das höchste Gut, das Gott gewähren kann.
Deshalb ist das Erste, was man tun kann: sich am Leben zu freuen. Der erste Auftrag, den wir von Gott erhalten, ist der: zu leben. Dieser Auftrag steht nicht auf Steintafeln geschrieben; er ist vielmehr in das Innerste unseres Seins eingemeißelt. Unsere erste Gehorsamsgeste gegenüber Gott ist die, das Leben zu lieben, es mit dankbarem Herzen anzunehmen, mit Sorgfalt zu hegen und alle Möglichkeiten zu entfalten, die darin eingeschlossen sind.
Die Bibel stellt immer wieder den unmittelbaren Bezug des Lebens zu Gott heraus. Das Leben des Menschen kommt von Gott. Es ist – wie Johannes Paul II. sagte – „ein Geschenk, mit dem Gott seinem Geschöpf etwas von sich mitgibt“.6 Gott ist der einzige Herr des Lebens. Der Mensch kann nicht darüber verfügen. Leben und Tod sind in den Händen Gottes: „In seiner Hand ruht die Seele allen Lebens und jeden Menschenleibes Geist“ (Ijob 12,10). Jedes Leben kommt von Gott und Gott behütet es. Er schafft den Menschen nicht, um ihn sterben zu lassen, sondern damit er lebt (vgl. Weish 2,23).
Genau deshalb ist der Gott des Lebens der „Gott der Armen“, denen es gerade noch gelingt, zu überleben. Er ist der „Gott der Gerechtigkeit“, der die in Schutz nimmt, die bedroht sind von Missbräuchen und Ungerechtigkeiten seitens der Starken und Mächtigen (vgl. Rechtsvorschriften des Bundes, Ex 21,1-23,9). Nur der dem Leben treu bleibende Gott kann sich durch die Geschichte hindurch als Verteidiger des Lebens der Armen, Schwachen, Witwen, Fremden und Hilflosen offenbaren. Diesen Gott zu kennen, bedeutet, die Gerechtigkeit zu praktizieren, die Leben gibt, und zu kämpfen gegen die Ungerechtigkeit, die tötet. An Ihn zu glauben, will besagen: die Solidarität mit dem zu fördern, der leidet und verlassen stirbt. Seine Stimme zu hören, heißt: das Auge und das Ohr zu öffnen für seinen ständigen Anruf: „Was hast du mit deinem Bruder gemacht?“ (vgl. Gen 4,9-10).
Der Gott, der sich schon im Alten Testament als „Freund des Lebens“ erweist, ist in Jesus Christus Mensch geworden. In Ihm konnten die Jünger mit ihren Augen den sehen und mit ihren Händen den berühren, der „Wort des Lebens“ ist (vgl. 1 Joh 1,1). Seine Worte und seine Gesten sind seit damals darauf ausgerichtet, Leben und Heil im menschlichen Sein zu fördern. Das war in der Tat die Erinnerung, die von Jesus in der ersten Gemeinschaft zurückblieb: „Gott hat Jesus von Nazareth gesalbt mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, ihn, der umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm“ (Apg 10,38).
Für Jesus ist das Leben ein wertvolles Geschenk, „mehr als die Nahrung“ (Mt 6,25). Die Rettung eines Lebens steht auch über dem Sabbat (vgl. Mk 3,4), weil „Gott nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden ist“ (Mk 12,27). Die Verteidigung des menschlichen Lebens ist ein zentraler Gedanke im Programm vom Gottesreich. Die beiden Aspekte – die Ausrufung des Reiches Gottes und die Sorge für das Leben des Menschen – enthalten den Inhalt seiner messianischen Tätigkeit, wie immer wieder aus den Berichten des Evangeliums hervorgeht: „Er zog in ganz Galiläa umher,... verkündete das Evangelium und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden“ (Mt 4,23; 9,35; Lk 6,18). Ja, die heilende Tätigkeit charakterisiert sogar am deutlichsten den Messias. Hier offenbaren sich am unmittelbarsten die Werke des Gesandten Gottes: „Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Mt 11,5).
Auch im Johannes-Evangelium ist das Leben der zentrale Wert. Jesus ist der Bringer und der Garant eines „ewigen“ und endgültigen Lebens, d.h. eines Lebens, das Gott seinen Töchtern und Söhnen mitteilt und das seine letzte Erfüllung im Jenseits finden wird. Deshalb präsentiert uns der Evangelist Christus als „das Brot des Lebens“ (Joh 6,35.48), als „das Licht des Lebens“ (Joh 8,12), als „den Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) und als „die Auferstehung und das Leben“ (11,25), so dass jeder - ob Frau oder Mann -, „der an Ihn glaubt, leben wird, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25).
Dieses ewige Leben kann schon jetzt vom Glaubenden erfahren werden: „Wer glaubt, hat das ewige Leben“ (6,47); wer sein Wort hört, „hat das ewige Leben... und ist vom Tod zum Leben übergegangen“ (Joh 5,24); „Wer sein Fleisch isst und sein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und er wird ihn auferwecken am letzten Tag“ (6,54). Die fundamentale Erfahrung aber, welche die Öffnung und Ausrichtung auf dieses ewige Heil hin garantiert, ist immer die Liebe: „Wir wissen, dass wir vom Tod zum Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod“ (1 Joh 3,14).
Jesus liebt und schützt nicht nur das Leben; er gibt auch sein Leben hin als höchsten Liebesdienst, damit die Menschheit nicht im Tod und in der endgültigen Zerstörung endet. „Ich gebe mein Leben hin... Niemand entreißt es mir. Ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen“ (Joh 10,17-18). Wenn Jesus sich hingibt bis in den Tod, dann nicht deswegen, weil er das Leben verachtet, sondern weil er das Leben so sehr liebt und es für alle will, auch die Unglücklichsten und die Betrübtesten, und er will es endgültig, in Fülle und ewig.
Dieses aus Liebe „gekreuzigte Leben“ ist „Skandal und Torheit“ gemäß den heute in der Gesellschaft geltenden Lebensmodellen. Aus dem Blickfeld des Glaubens aber ist es das letzte Kriterium eines jeden Lebens, das im Vollsinn menschlich ist und nicht entstellt oder verfälscht vom Egoismus, vom Mangel an Solidarität und von Ungerechtigkeit. Dieses „gekreuzigte Leben“ ist für die Glaubenden sogar die höchste Offenbarung der Liebe Gottes zum Menschen und seiner Wertschätzung und Verteidigung des menschlichen Lebens: Es ist das „Evangelium des Lebens“.
Dieses Evangelium gipfelt in der Auferstehung. Der Gott, der Jesus auferweckt, ist ein Gott, der dort Leben sät, wo die Menschen Tod säen. So predigen die Apostel: „ Ihr habt ihn getötet..., aber Gott hat ihn auferweckt“ (Apg 2,23-24). Derjenige, welcher an diesen auferweckenden Gott glaubt, an den „Gott der Lebendigen“, beginnt, das Leben in einer ganz neuen Weise und mit ganzer Liebe zu lieben. Der Osterglaube spornt den Glaubenden an, sich auf die Seite des Lebens zu stellen, wo immer er es verletzt, geschmäht oder zerstört sieht. Sein Kampf gegen den Tod geht nicht aus irgendeinem ethischen Imperativ hervor, sondern aus dem Glauben an diesen auferweckenden Gott, der will, dass der Mensch für immer seines göttlichen Lebens teilhaftig werde. Hier erreicht die christliche Wahrheit über das Leben seinen Höhepunkt: „Seine Würde ist nicht nur an seine Ursprünge, an seine Herkunft von Gott gebunden, sondern auch an sein Ziel, an seine Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott in dessen Erkenntnis und in der Liebe zu Ihm. Im Licht dieser Wahrheit präzisiert und vervollständigt der hl. Irenäus seine Lobpreisung des Menschen: ‚Ehre Gottes ist der lebendige Mensch; das Leben des Menschen aber besteht in der Anschauung Gottes’“.7
5. Lassen wir uns leiten von der Liebe Gottes zum Leben
Die Liebe Gottes zum Leben spornt uns zu dem Bemühen an, den Wert des menschlichen Lebens zu bezeugen, zu verkündigen und zu lieben. Johannes Paul II. hat geschrieben: „ Man muss das Evangelium des Lebens dem Herzen jedes Mannes und jeder Frau nahe bringen und es in die verborgensten Winkel der ganzen Gesellschaft einpflanzen“.8 Diese Botschaft fordert von uns, mit Klarheit und Entschiedenheit den unverletzlichen Charakter des Lebens darzulegen.
Das Leben des menschlichen Seins ist zerbrechlich, gefährdet und flüchtig; aber es ist eine heilige und unverletzliche Wirklichkeit. Gott hat seinen eigenen Atem in den Menschen eingehaucht, er hat ihn erschaffen „nach seinem Bild und Gleichnis“ (Gen 1,27). Keiner kann über das Leben nach eigenem Gutdünken verfügen, nicht über das eigene und nicht über das anderer. Dieses von Gott erhaltene Leben ist das unzerstörbare Wesensfundament jedes Menschen, der erste Wert, auf den sich alle übrigen Werte und Rechte stützen und auf dem sie sich entwickeln.
Das Gebot Gottes ist klar und unmissverständlich: „Du sollst nicht töten“ (Ex 20,13). Auch wenn es in negativer Form formuliert ist, so drückt es doch den fundamentalen Sinn des Lebenswertes aus und spornt uns fortwährend an, ihn auch heute zu bekräftigen.
Angesichts der zahlreichen Attentate gegen das Leben bekommt heute die Aufgabe entscheidende Wichtigkeit, eine Erziehung zu fördern, die sensibler ist gegenüber dem Wert des Lebens, dem Respekt vor ihm und seiner Verteidigung; eine Erziehung, die fähig ist, eine ganzheitliche Vision vom Leben und seinem Heil anzubieten und der Person ethischen Sinn zu vermitteln. Die neuen Generationen brauchen die Begegnung mit Eltern und Erziehern, die wahre „Meister des Lebens“ sind. Sie haben es nötig, dazu angeleitet zu werden, für das Leben dankbar zu sein, in gesunder und bescheidener Weise zu leben, die Verantwortung für die eigene Existenz zu übernehmen und sie aufzubauen; Scheitern, Schwierigkeiten, Entsagungen und Leiden einzubeziehen; das Leben und Gott, der es schenkt, zu feiern; es in Liebe und Hingabe zu leben.
Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss man an die Berufung und die Sendung der Familie erinnern. Deren erzieherische Verantwortung ergibt sich aus ihrem eigenen Wesen und aus ihrer spezifischen Berufung, Lebens- und Liebesgemeinschaft zu sein, dazu bestimmt, „die Liebe zu bewahren, zu offenbaren und mitzuteilen“.9
Es handelt sich um eine sorgfältige Arbeit der Formung des moralischen Gewissens. Mit ihrem Wort und ihrem Zeugnis kann die Familie in den täglichen Beziehungen und Entscheidungen belehren, erziehen und dazu verhelfen, die großen Werte der Freiheit, des Respekts vor den andern, der Aufnahmebereitschaft, des Dialogs, des Gerechtigkeitssinns, der Solidarität und der Hingabe seiner selbst zu leben. Auf diese Weise werden die Eltern die Kinder mit Mut und Vertrauen zu den wesentlichen Werten des menschlichen Lebens erziehen.
6. Don Bosco liebte das Leben und förderte es für die Jugendlichen, besonders die ärmsten
Für uns Mitglieder der Don-Bosco-Familie findet die Liebe zum Leben und das Engagement für das Leben in Don Bosco ein Leitbild und einen Lehrmeister.
Seit seiner Kindheit legte Don Bosco eine große Vitalität an den Tag. Von seiner Mutter, Mama Margareta, lernt er, die Schönheit der Natur und des Lebens zu entdecken. Er erfreut sich am Glanz der schönen Aussicht, der Hügel und der in Blüte stehenden Felder, die Becchi umgeben. Erstaunt betrachtet er die sternenklaren Nächte, fasst Zuneigung zu einem kleinen Vogel, dem er mit Zärtlichkeit folgt. In all diesen Dingen lehrt ihn seine Mutter, das Werk des Schöpfergottes, der sich seiner Töchter und Söhne annimmt, seine Weisheit, seine unbegrenzte Macht und vor allem seine Liebe zu erkennen. Auf diese Weise öffnet sich Johannes für eine positive und vom Glauben an die Vorsehung geprägte Sicht des Lebens. Er vermag sich der einfachen Augenblicke des ländlichen Lebens zu erfreuen und mit den Schwierigkeiten, die er von jung auf zu Hause antrifft, umzugehen, ohne sich entmutigen zu lassen. In diesem Geist versucht er, seinen Kameraden die Freude mitzuteilen, und unterhält sie an den Festtagen mit einer Fülle von Spielen. Immer aber ist er beseelt von einer erzieherischen Absicht: sie besser zu machen und ihnen zu helfen, die Pflichten eines guten Christen zu erfüllen. Schon als junger Student in Chieri gründet er mit seinen Freunden das „Bündnis der Freude“, dessen erste Norm lautet, immer fröhlich zu sein und sich darum zu bemühen, den Herrn niemals zu beleidigen.
Wenn Don Bosco als Priester durch die Strassen Turins streift und die Gefängnisse besucht, wird ihm deutlich, dass die Jugendlichen das Glück suchen, sich nach Lebensfreude sehnen und danach, angehört und geschätzt zu werden. Und wenn sie manchmal ihre Sehnsucht leben, indem sie falsche Wege gehen, die sie ins Gefängnis führen, so ist es nicht deshalb, weil sie schlecht wären, sondern weil sie keine Personen finden, die an sie glauben und ihnen helfen, die eigenen Energien und Qualitäten positiv zu entfalten. Darum setzt Don Bosco sein Leben für sie ein und schafft mit ihnen ein positives Lebensumfeld, in dem sie die Freude erleben können, mit reichhaltigen Möglichkeiten, zu spielen und sich zu vergnügen, sich zu bilden und Arbeit zu finden, sich in einem Familienklima geliebt, angenommen und geschätzt zu fühlen. Das Spiel, die Musik, das Theater, die Ausflüge und Spaziergänge sind für Don Bosco wichtige Instrumente der Erziehung und ein Weg, um ihre Herzen zu erobern und so diesen Jugendlichen zu helfen, ihre besten Qualitäten zu entwickeln, sich befähigt zu fühlen, Gutes zu tun, und sich für die anderen und die Gesellschaft nützlich zu machen. Auf diese Weise leitet Don Bosco sie dazu an, die Freundschaft mit Jesus Christus kennen zu lernen und zu leben.
Wir können sagen, dass Don Bosco mit seinen Jugendlichen in Valdocco eine echte Lebenspädagogik lebt, eine Pädagogik der Freude und des Festes. Er lädt sie dazu ein, sich ihrerseits zu engagieren und selbst unter den Kameraden dieses Klima zu fördern. Er schreibt in der Biographie des Francesco Besucco: „Wenn du gut werden willst, praktiziere nur drei Dinge, und alles wird gut gehen... Hier sind sie: Freude, Studium, Frömmigkeit. Das ist das große Programm; wenn du es praktizierst, wirst du glücklich leben können und viel Gutes für deine Seele tun.“ Die Freude ist das wesentliche Kennzeichen des familiären Klimas und Ausdruck der Liebenswürdigkeit, logisches Ergebnis einer Führung, die auf der Vernunft und einer inneren, spontanen Religiosität fußt; diese hat ihre letzte Quelle im Frieden mit Gott und im Leben der Gnade.10 Deshalb ist die Freude für Don Bosco nicht nur ein Mittel, um die Ernsthaftigkeit der Erziehung annehmbar zu machen, sondern eine Lebensform, die auf die Realität des Jugendlichen und seine Sehnsucht nach Leben eingeht. Don Bosco versteht das, und er will, dass man es ganz verwirklicht. Er begreift, dass das tiefste Bedürfnis des Jugendlichen die Lebensfreude, die Freiheit, das Spiel und die Freundschaft ist. Aber besonders Don Bosco als Priester glaubt zutiefst, dass das Christentum keine Verbotsreligion ist, sondern vielmehr die Religion des Lebens, des Glücks, der Liebe. Mit der Pädagogik des Festes und der Freude öffnet er die Jugendlichen für Jesus Christus. Er führt sie zu einer persönlichen Freundschaftsbeziehung mit Ihm. Angesichts eines Bildes vom christlichen Leben, das diese Jugendlichen von der Gesellschaft ihrer Zeit als tristes Leben bekommen, voll von Entsagungen und Verboten, ein für die Jugendlichen wenig geeignetes Leben, bietet Don Bosco eine Form des glücklichen und freudigen christlichen Lebens an.
Don Bosco heiligte die Arbeit und die Freude. Er war der Heilige der christlichen Liebenswürdigkeit, des aktiven und freudigen Lebens. Darin besteht seine Originalität. „In einem genialen Einfall seiner Liebe, voll von menschlichem Verständnis, überzeugt von den natürlichen und aufrichtigen Anforderungen der Jugend und des gesunden Lebens, heiligt Don Bosco zusammen mit der Arbeit die Freude zu leben, zu wirken und zu beten“.11
Don Bosco lebt und vermittelt all seinen Söhnen, Mitarbeitern und Freunden eine positive und ganzheitliche Lebenssicht. Er glaubt an die Güte und die Würde einer jeden Person, besonders eines jeden Jugendlichen, vor allem des ärmsten und des am meisten gefährdeten. Er schreibt: „Der Erzieher muss sich davon überzeugen, dass alle oder fast alle diese lieben Jugendlichen eine natürliche Intelligenz haben, um das Gute, das ihnen zuteil wird, zu erkennen, sowie ein sensibles Herz, das sich leicht öffnet für die Dankbarkeit“.12 Darum glaubt er an die Fähigkeit, einen Jugendlichen zurückgewinnen zu können, und an die Wirksamkeit der erzieherischen Arbeit, wenn sie mit großherziger Hingabe gelebt wird und wenn man die Methode der Vernunft und der Liebenswürdigkeit befolgt.
Den verlassenen und gestrauchelten Jugendlichen muss geholfen werden, den elementarsten Sinn des Lebens zu finden. Das bedeutet: ihre Sehnsucht nach Leben zu wecken, sich durch Arbeit und im Schweiß des Angesichts die Mittel zu verdienen, um für sich und ihre Familienmitglieder ein würdiges Leben sicherzustellen. Für diejenigen, die affektive Mängel aufwiesen, nahm sich Don Bosco vor, ein Klima und ein reiches Netz familiärer Beziehungen und der Freundschaft zu knüpfen, das sie befähigte, ein affektives Leben voll intensiver praktischer und emotionaler Möglichkeiten zu führen.
Don Bosco war darüber hinaus davon überzeugt, dass der christliche Glaube und die Freundschaft mit Jesus Christus die stärkste und wirksamste Energie liefern, um das erzieherische Bemühen zu unterstützen und zu einem freudigen und glücklichen Lebensstil hier auf Erden anzuleiten und eine Glückseligkeit für immer im ewigen Leben zu gewährleisten. Zu diesem Zweck siedelte er (und verkündete es mit aller Deutlichkeit) die höchste erzieherische Zielsetzung in der Heiligkeit an; nicht etwa als ein Ziel für einige Privilegierte, sondern als Ideal für alle. So drückte er es in der „Guten Nacht“ aus, die Dominikus Savio dazu anspornte, das Bemühen um die Heiligkeit auf sich zu nehmen: „Es ist der Wille Gottes, dass wir alle heilig werden; es ist sehr leicht, das zu schaffen; und ein großer Lohn ist im Himmel für den bereitet, der sich heiligt“.13
Beständig ist in ihm, dem Priester und Erzieher, der Wille lebendig, das aufzuwerten und zu entfalten, was es an Positivem im Leben und im Herzen jeder Person gibt; ein christliches Leben zu fördern, das fähig ist, zu genießen und zu schätzen, was an Menschlichem, an Positivem und Edlem im Leben eines jeden Tages und im Herzen der Menschen – auch der unglücklichsten – existiert, und sich gleichzeitig zu bemühen, die Erziehung und die Kultur für Jesus Christus zu öffnen in der Überzeugung, dass wir nur in Ihm im Vollsinne befreit werden können.14
Wenn wir als Don-Bosco-Familie Don Bosco folgen wollen, sind wir berufen, zu bezeugen und zu verkünden, dass das menschliche Leben heilig und unverletzlich ist und dass es deshalb nicht nur nicht unterdrückt werden darf, sondern im positiven Sinn beschützt und verteidigt werden muss. Der Wert des Lebens ist Wesensbestandteil des Evangeliums Jesu. In einer Kultur und Zivilisation, die das Leben radikal bedroht, muss die Don-Bosco-Familie besonders sensibel sein im Hinblick auf einen Erziehungsdienst, der das ganze Leben und das Leben aller pflegt und annimmt.15 Sie muss vor allem in der Lage sein, über das entstehende Leben hinaus das bedrohte Leben so vieler Jugendlicher zu begleiten und zu beschützen, die mit der Armut, der Ausgrenzung, dem Leiden, dem Mangel an Idealen und mit der Sinnlosigkeit zu kämpfen haben. Insbesondere für das Leben dieser Jugendlichen sind wir berufen, „Zeichen und Botschafter der Liebe Gottes“16 zu sein.
7. Engagement der Don-Bosco-Familie zu Gunsten des Lebens
Die Kirche hat das Evangelium des Lebens empfangen und ist gesandt, es zu verkündigen und Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Berufung und Sendung fordert die großherzige Aktion aller ihrer Mitglieder, auch der Don-Bosco-Familie. Zusammen müssen wir die Pflicht spüren, „das Evangelium des Lebens zu verkünden, es in der Liturgie und in der gesamten Existenz zu feiern, ihm zu dienen mit den verschiedenen Initiativen und Strukturen der Unterstützung und der Förderung“.17
In Anbetracht solch feierlicher Aussagen zu Gunsten des Lebens, die neben tiefgreifenden Einstellungen gegen das Leben stehen, muss unser erzieherisch-pastoraler Dienst dessen Wert bezeugen und verkünden und darum bemüht sein, es zu verteidigen und zu fördern in einer glaubwürdigen Kultur des Lebens.
7.1 Den Wert jedes menschlichen Lebens verteidigen
Das menschliche Leben sah sich immer Gefahren ausgesetzt, war bedroht von Gewalt und Tod. Heute sind die Bedrohungen des Lebens nicht nur nicht geringer geworden, sondern nehmen alarmierende Dimensionen an, die sogar in systematischer und wissenschaftlicher Form programmiert werden. Manchmal kommt man gar an den Punkt, wo man den gewaltsam verursachten Tod als Ausdruck des Forschritts und der Zivilisation betrachtet.
Die alten Bedrohungen, Frucht des Hasses, der Gewalt und der gegensätzlichen Interessen (Tötungen, Kriege, Massaker), noch verschärft von der Gleichgültigkeit und dem Mangel an Solidarität, dauern fort. Neben diesen Formen gibt es die Gewalt, ausgeübt gegen Millionen von menschlichen Wesen, die mit Mühe und Not über die Runden kommen und vor Hunger sterben. Es gibt das skandalöse Waffengeschäft, das trotz so vieler Verurteilungen weitergeht; die Störung der ökologischen Gleichgewichte, die Verbreitung der Droge, die Verkehrsunfälle, die terroristischen Attentate, die wahre Blutbäder in der Menschheit zur Folge haben. Von seinen Anfängen bis zu den letzten Augenblicken leidet das menschliche Leben an der unbegreiflichen Bedrohung der Menschen selbst.
Angesichts seiner derzeitigen Verdunkelung ist es mehr denn je nötig und dringend, den unverletzlichen und heiligen Wert des menschlichen Lebens zu verteidigen. Deshalb müssen wir unter uns und den Jugendlichen eine positive Grundeinstellung gegenüber dem Leben fördern. Das setzt folgendes voraus:
° Das Leben als Geschenk betrachten
Oft wird das Leben mehr als ein Produkt der Fähigkeit und Macht des Menschen gesehen als ein Geschenk Gottes. Diese rein produktive Mentalität führt leicht zu einer unterschwelligen Ausgrenzung gegenüber den unerwünschten, unbequemen und „unproduktiven“ Leben: ungeborene Kinder, physisch oder geistig Benachteiligte, mit Mängeln behaftete Leben. Betrachtet man das Leben als Geschenk, so führt das dazu, in der Haltung der Dankbarkeit, des Lobes und der tiefen Freude zu leben, sich zu engagieren, für das Leben Sorge zu tragen und es zu lieben, indem man versucht, alle positiven Möglichkeiten zu entfalten.
° Eine ganzheitliche Lebenssicht fördern
Für alle menschlichen Wesen ist das Leben mehr als das bloße materielle Wohlergehen oder der ökonomische Fortschritt. Das Leben ist ein Weg zur persönlichen Verwirklichung; einer Verwirklichung, die nicht nur die materielle, ökonomische oder soziale Aktivität umfasst, sondern auch den Fortschritt im spirituellen Leben. Die Verteidigung des Lebens erfordert, dass man die Verantwortung übernimmt und sich bemüht, alle Möglichkeiten des Lebens und der Natur zu lieben und zu entfalten, um sie zu ihrer Fülle und zur echten menschlichen Qualität zu führen. Mit einer ganzheitlichen Lebenssicht zu leben, erfordert auch, den übertriebenen Aktivismus zu überwinden, der uns hindert, andere wichtige Aspekte des Lebens wie die persönliche Begegnung und die Freundschaft, das Schweigen und die Kontemplation, die Freude und die Schönheit sowie den unentgeltlichen Dienst zu pflegen.
Das Leben der Armen beschützen
Wertvoll und des Respekts würdig ist jedes menschliche Leben. Daraus folgt, dass man nicht nur das gesunde, nützliche und glückliche Leben rechtfertigt, sondern auch das eingeschränkte Leben, das Leben in Schmerz und Krankheit, das des ungeborenen Kindes und das des invaliden Alten. Wertvoll ist nicht nur das Leben der Mächtigen, sondern auch das Leben der Armen und der Verlassenen.
Als Töchter und Söhne Don Boscos fühlen wir uns in besonderer Weise berufen, uns beschützend des Lebens so vieler Jugendlicher anzunehmen, die sich in Armut und an den Rändern der Wohlstandsgesellschaft einen Weg bahnen müssen. Wir müssen fähig sein, uns neue Formen der missionarischen Präsenz in der Welt der Ausgrenzung und des Ausschlusses auszudenken und zu schaffen. Hier einige konkrete Anregungen:
° Betreuung der gefährdeten Jugendlichen
Jede salesianische Präsenz muss darum bemüht sein, auf die wachsenden Herausforderungen zu antworten, vor die uns die Jugendlichen stellen, die in der Ausgrenzung oder in risikoreichen Situationen leben: Straßenkinder, ohne Familie oder von ihr entfernt; Jugendliche ohne Bildung und ohne Arbeit; die Immigranten, besonders die Jugendlichen, die allein und ohne ihre Familie ankommen; Jugendliche, die der Kriminalität ausgeliefert oder Opfer sexueller Ausbeutung sind; und zahlreiche andere erniedrigende Situationen, in denen das menschliche Leben der Gefahr und der Verletzung ausgesetzt ist.
Es ist unsere Aufgabe, diese Jugendlichen aufzunehmen; ihnen zu helfen, die Liebe zum Leben und die echten Werte wiederzufinden; sie solchermaßen zu erziehen und zu bilden, dass sie in der Lage sind, sich positiv in die Gesellschaft zu integrieren; sie zu begleiten bei ihrer Eingliederung in die Welt der Arbeit; ihre Öffnung auf Gott hin als zentrales Element der Menschwerdung zu entwickeln; ihnen Jesus Christus zu verkünden und sie auf eine persönliche Beziehung mit Ihm auszurichten, und zwar in einem einfachen christlichen, frohen, positiven und ihnen angepassten Stil.
° Begleitung und Hilfe für Familien in schwierigen Situationen
Eine besondere Fürsorge verdienen die Familien, die in schweren Spannungen leben oder schon auseinandergebrochen sind; Familien, die auf enorme Schwierigkeiten bei der Erziehung ihrer Kinder stoßen, und solche in anderen unangenehmen Situationen. Als Antwort auf den Leitgedanken des vergangenen Jahres sind viele Initiativen entstanden: Unterstützung und Hilfe für Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe, Förderung und Orientierungshilfen für Ehepaare in schwierigen Situationen, Gründung von Familiengruppen und -gemeinschaften usw. Ich lade Euch ein, auf diesem Weg weiterzugehen. Im Kommentar zum Leitgedanken des Jahres 2006 schlug ich eine Reihe von Verhaltensweisen und Handlungsmöglichkeiten vor, um deren Vertiefung ich Euch bitte. Die Familie ist das vorrangige Umfeld für die Verteidigung und die Förderung des Lebens, und als solches muss sie auch weiterhin bevorzugtes Objekt unserer pastoralen Fürsorge sein.
7.3 Zum Wert des Lebens erziehen
Um das Leben zu verteidigen und sich darum zu sorgen, muss man zum Wert des Lebens erziehen: „Um tatsächlich ein Volk zum Dienst am Leben zu sein, müssen wir mit Beständigkeit und Mut diese Inhalte von der Erstverkündigung des Evangeliums an sowie später in der Katechese und in den verschiednen Formen der Predigt, im persönlichen Dialog und in jeder erzieherischen Tätigkeit anbieten“.18
Das ist eine Aufgabe, die uns alle verpflichtet: Eltern, Lehrer, Katecheten und Theologen. Wie ich bereits angedeutet habe, sind die neuen Generationen dringend darauf angewiesen, in ihren Eltern, Erziehern und Katecheten echte „Meister des Lebens“ zu finden. Sie wollen von uns nicht nur Wissen, Information und Lehre, sondern sie wollen Personen, die ihnen einen positiven Weg des Lebens aufzeigen, sie anspornen und sie bei der Entwicklung ihrer besten Qualitäten und Möglichkeiten begleiten. Wir müssen fähig sein, mit unseren Worten und mit unserem Leben den absoluten Wert des Lebens herauszustellen, indem wir uns bemühen, ihm die bestmögliche Qualität zu geben, stets eine Haltung des uneingeschränkten Respekts für die Menschen, eine positive und hoffnungsvolle Sicht ihnen und ihrer Zukunft gegenüber zu wecken und alles zu bekämpfen, was daran hindert, in Würde und Solidarität zu leben. Unsere Einstellungen und unsere täglichen Gesten, wenn auch gering und schlicht, müssen für die Jugendlichen eine echte Lebensschule sein.
Als Erzieher müssen wir es auch verstehen, in den Jugendlichen die Freude am Leben, die Würdigung der tiefsten menschlichen Werte, die Freude am unentgeltlichen Dienst für die anderen und an der uns umgebenden Natur zu wecken. Wir müssen in ihnen den Sinn für das Leben als Berufung und als Dienst wachrufen und sie dazu erziehen, verantwortliche und aktive Bürger beim Aufbau einer menschlicheren, freieren und solidarischeren Gesellschaft zu sein.
Ein anderer wichtiger Aspekt der Verpflichtung, zum Wert des Lebens zu erziehen, ist der, „den Jugendlichen zu helfen, die Sexualität, die Liebe und die gesamte Existenz entsprechend ihrer wahren Bedeutung und in ihrer innigsten Beziehung zu leben... Nur eine echte Liebe kann das Leben behüten“.19 Darum ist es notwendig, eine glaubwürdige Erziehung zur Liebe gemäß der typischen Erfahrung Don Boscos und den Kriterien seines Erziehungssystems zu entwickeln. Im pastoralen Angebot, das den Leitgedanken des vergangenen Jahres begleitete, wurden einige Schritte benannt, die in diesem Sinn gegangen werden sollten. Es ist wichtig, sie auch wirklich im gesamten erzieherischen Prozess in Betracht zu ziehen.
Man wird kaum zu einer echten Wertschätzung des menschlichen Lebens gelangen, wenn es nicht im familiären Umkreis gewürdigt wird, wenn in diesem ein Klima der Gewalt herrscht, wenn man als Zeichen des Fortschritts die Unterbrechung eines unbequemen oder unerwünschten Lebens präsentiert, wenn man im Leben die Leistungsstärke, den Erfolg oder die Macht als Zielsetzung hat. Die Mentalität und die Grundeinstellungen vermitteln sich im positiven oder negativen Sinn durch die tägliche Dynamik des familiären Lebens. Die Familie erzieht oder verzieht durch das Wort und Beispiel, durch die getroffenen Wahlen und Entscheidungen, durch die Beziehungen, Gesten und konkreten Zeichen.
Bezüglich dieser Aufgabe der Erziehung zum Wert des Lebens nenne ich Euch einige erzieherische Bereiche und Angebote, die – wie mir scheint – besondere Möglichkeiten unter der Voraussetzung bieten, dass sie für ein authentisches Klima der Familiarität sorgen. Ich stelle zwei heraus:
° Das Oratorium-Jugendzentrum als typischer salesianischer Bereich ist ein Umfeld des Lebens und der unentgeltlichen Aufnahme aller Jugendlicher, ein Raum für den jugendlichen Geltungsdrang, in dem man lernt, das Leben zu genießen und sich dafür zu engagieren; ein Ort, an dem sich ein spontaner und unentgeltlicher Kontakt zwischen Erziehern und Jugendlichen stabilisiert und an dem beide einbezogen sind und sich begleiten auf einem Weg der Erziehung und des menschlichen und christlichen Wachstums.
Das salesianische Oratorium und Jugendzentrum muss für die Jugendlichen ein echtes „Laboratorium des Lebens und des christlichen Lebens“ werden; zu einem Bereich, in dem sie ihre vitale Welt leben, die eigenen Werte, ihren Geltungsdrang, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen ausdrücken und entwickeln können; ein Umfeld, in dem sie auch positive und bedeutsame erzieherische Angebote und Personen finden, die sie aufnehmen und begleiten.
Damit das salesianische Oratorium dieses Engagement für das Leben erfüllen kann, muss es einige wichtige Voraussetzungen sicherstellen:
einen Raum darstellen, in dem man die persönlichen Beziehungen pflegt, das Zusammensein, das freie Gespräch und die wechselseitige Kommunikation fördert;
die Vielfalt der für die Jugendlichen bedeutsamen Initiativen, die ihren Erwartungen und Bedürfnissen entsprechen, unterstützen;
Räume schaffen, in denen sie als die Hauptpersonen leben und agieren können;
eine aktive Präsenz von Erwachsenen und jungen Erwachsenen als Animatoren fördern, die für die Jugendlichen zu Bezugspunkten und zum Ansporn werden;
ein erzieherisches und kulturelles Qualitätsangebot bereithalten;
ein Programm der Evangelisierung und Erziehung zum Glauben entwerfen, das im Leben des Jugendlichen verwurzelt ist.
Auf diese Weise wird das Oratorium zum Ort werden, an dem die Jugendlichen die Botschaften, Erfahrungen und Werte, die sie in anderen Bereichen (Familie, Schule, Pfarrei, Freundeskreis usw.) empfangen haben, einbringen und wiedergeben und einen bedeutsamen Lebensstil für ihre Zukunft erarbeiten.
° Das Volontariat ist eine wichtige Erfahrung für die Jugendlichen, besonders wenn sie sich dem Problem ihrer Zukunft stellen. Es kann viel mehr sein als eine punktuelle und vorübergehende Erfahrung, sofern es sich in eine echte Lebensschule verwandelt, verstanden als unentgeltlicher und wirksamer Dienst in Situationen der Armut und der Not. Wenn man das Volontariat mit einem systematischen Prozess der Vorbereitung durchführt, der dem Jugendlichen hilft, die eigenen Motivationen heranreifen zu lassen, sowie mit einer persönlichen Begleitung und in einer Gruppe, fördert und entwickelt es eine persönliche Lebensoption. Im Volontariat lernen die jungen Erwachsenen, verantwortliche Bürger und engagierte Christen zu sein.
Jesus Christus als Sinn und Quell des Lebens verkünden
Die Verkündigung des Evangeliums vom Leben muss die Jugendlichen zur Begegnung und zur persönlichen Beziehung mit Jesus Christus führen. In Ihm werden sie das Leitbild, den Weg und die Kraft für ein erfülltes menschliches Leben finden. Vielleicht war sie nie so nötig wie heute: die Evangelisierung, die Verkündigung Jesu gegenüber einer Welt, die ihrerseits trügerische und verführerische Leitbilder herausstellt, welche nicht in der Lage sind, dem Leben Sinn zu geben. Die Jugendlichen erleiden oftmals eine enorme innere Leere, die sie auszufüllen suchen mit Vergnügen, Belustigungen, Sex und Drogen oder gar indem sie die verschlungenen Wege der Gewalt und der Kriminalität beschreiten. Aber weder das Vergnügen, noch der Konsum, noch das Sich-Festklammern an verschiedenen Formen der Ausnützung des gegenwärtigen Augenblicks befriedigen ihre Erwartungen und ihre Bedürfnisse. Es gibt auch viele Jugendliche, die in sozialen und wirtschaftlichen Situationen des Ausschlusses oder schwerer persönlicher Zerbrechlichkeiten, in einer immer härteren Welt leben. Gerade in diesen Situationen muss wie eine „gute Nachricht“ das Evangelium von Gott als Freund des Lebens widerklingen, muss man Jesus Christus und sein Angebot des Glücks vergegenwärtigen.
Die Evangelisierung ist das beste Angebot des erfüllten und glücklichen Lebens. Deshalb müssen wir darum bemüht sein, sie mit Offenheit und Hingabe in allen jugendlichen Bereichen zu verwirklichen. Angesichts der Vielfalt dieser Bereiche erfordert die Evangelisierung verschiedene Angebote je nach der Situation der Jugendlichen, an die wir uns richten. Ich nenne drei davon:
In den Bereichen, in denen sich die Jugendlichen in der Indifferenz und Oberflächlichkeit eines leeren oder materialistischen Lebens befinden, werden wir ihnen einen stufenförmigen Weg aufzeigen, der ihnen hilft, die positiveren und tieferen Werte zu entdecken und zu schätzen, die Freude der Innerlichkeit und des Schweigens zu erfahren, die Sinnsuche in ihnen wachzurufen und sie für Gott zu öffnen, indem man die religiöse Dimension des Lebens entfaltet.
Den Jugendlichen, die eine gewohnheitsmäßige und oberflächliche religiöse Praxis oder nur im Dienst der eigenen Interessen und Bedürfnisse leben, helfen wir, die Person Jesu zu entdecken, sich für Ihn zu begeistern und schließlich die persönliche Entscheidung zu treffen, Ihm entschlossen zu folgen, indem sie sich auf einen ernsthaften Weg der Erziehung zum Glauben einlassen.
Für diejenigen dagegen, die schon zu Gruppen oder Bewegungen der christlichen Bildung gehören, bieten wir einen systematischen Weg an, der ihnen hilft, ihren Glauben immer mehr zu personalisieren, ihn zu feiern und ins Leben umzusetzen, bis hin zu einer reifen Berufungsentscheidung des christlichen Lebens.
Diese Programme der Erziehung zum Glauben zu fördern, ist der wertvollste und bedeutsamste Beitrag, den wir in unserem Bemühen zu Gunsten des Lebens leisten können.
Für das Leben danken und es feiern
Früchte des Evangeliums vom Leben sind die Freude, die Bewunderung, das Lob, die Dankbarkeit gegenüber Gott, der das Leben liebt, für sein Geschenk. Die Verkündigung weckt eine tiefe Grundhaltung der Feier des Evangeliums vom Leben. Jedes Leben als Geschenk Gottes hat nicht nur eine Dimension des Engagements der zu erfüllenden Aufgabe, sondern auch des Kultes. Schon aus sich heraus ist es Ausdruck des Lobes, weil jedes menschliche Leben ein Wunder der Liebe ist. Es anzunehmen, bedeutet schon Lob und Danksagung.
Das Leben zu feiern, regt dazu an, einen kontemplativen Blick zu pflegen: auf die Natur, die Welt, die Schöpfung und das Leben, denen gegenüber wir oft Haltungen des Nützlichkeits- und Konsumdenkens einnehmen; auf die Personen, mit denen wir häufig oberflächliche oder rein funktionale Beziehungen aufrechterhalten; auf die Gesellschaft und die Geschichte, die wir oftmals lediglich nach unseren Interessen betrachten... Wir müssen unsere egoistischen Verhaltensweisen überwinden, um zu einer kontemplativen Grundhaltung zu gelangen, die einen Blick in die Tiefe gestattet, um die Schönheit und Größe der Welt, der Menschen und der Geschichte aufzunehmen und zu bewundern. Wir müssen lernen, die Dinge, die Menschen und das Leben in all seinen Formen anzunehmen, zu respektieren und zu lieben. Wir müssen es verstehen, uns des Schweigens zu erfreuen, müssen das geduldige Zuhören, die Bewunderung und die Überraschung angesichts des Unvorhergesehenen und des Unvorstellbaren lernen. Wir müssen in der Lage sein, dem anderen Raum zu gewähren, um mit ihm eine neue Beziehung der Intimität und des Vertrauens einzugehen.
Aus dieser kontemplativen Perspektive ergeben sich das Lob und das Gebet. Feiern heißt: den Gott des Lebens, der uns in seinen mütterlichen Schoß hineingewoben und geborgen hat, zu bewundern, zu lieben und zu Ihm zu beten. Es bedeutet: Ihn zu preisen und Ihm zu danken: „Ich danke Dir, dass Du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind Deine Werke“ (Ps 139,14). Das Leben des Menschen ist eines der größten Wunder der Schöpfung.
Sich mit Liebe um die Schöpfung kümmern
Der biophile (d.h. lebensliebende) Gott (philópsychos ist der im Buch der Weisheit 11,26 verwendete Begriff) liebt nicht nur das menschliche Leben; er liebt jedes Leben, weil alles Geschaffene Werk seiner Liebe ist. Zusammen mit dem Wert und der Würde des menschlichen Lebens hebt die Hl. Schrift von den ersten Seiten an auch die ausdrückliche Würdigung der Güte und Qualität der Natur hervor: „Gott sah alles, was er gemacht hatte; und siehe: es war sehr gut“ (Gen 1,31). Tiere, Pflanzen, Firmament, Sonne, Meere... alles ist gut, alles hat Wert in sich.
Aber diese Würdigung ist nur real, wenn der Mensch die Würde der Erde anerkennt, die Natur respektiert sowie den Reichtum, der den Geschöpfen innewohnt, annimmt. Und nur diese reale Würdigung führt zur Bestätigung ihres Wertes und ihrer Rechte und folglich dazu, die Ausplünderung und den Missbrauch zu überwinden, bis hin zu einer respektvollen Entwicklung der Umwelt und zu einem harmonischen Zusammenleben mit der Natur.
Die Industriegesellschaft hat die Produktion und die Effizienz gefördert. Oft aber hat sie den Menschen „entmenschlicht“ und ihn in einen bloßen Produzenten/Konsumenten verwandelt. Die Kultur des Lebens zeigt uns den Weg zu einer wahren ökologischen Grundhaltung: die Liebe zu den menschlichen Wesen, zu den Tieren und zu den Pflanzen; die Liebe zu allem Geschaffenen; das Bemühen, alle Lebenszeichen gegen die Mechanismen von Zerstörung und Tod zu verteidigen. Angesichts der Bedrohungen durch ungehörige Ausbeutung, durch Unterdrückung der Natur und durch eine untragbare Entwicklung muss man an die Worte des großen Häuptlings Seattle erinnern: „Wer die Erde verwundet, verwundet die Söhne und Töchter der Erde.“
Die Ökologie ist ein glaubwürdiges Zeichen der menschlichen Solidarität, die freilich die Erhaltung und den Gebrauch der Ressourcen der Erde mit einschließt, wie der Hl. Stuhl in einem Dokument anlässlich der Vorbereitung des Weltgipfels 2002 über die nachhaltige Entwicklung bekräftigt. Diese Entwicklung muss auf „soliden ethischen Werten basieren, ohne die kein Fortschritt nachhaltig sein wird“. Deshalb „kann man den Begriff der nachhaltigen Entwicklung nur begreifen aus der Perspektive einer menschlichen und ganzheitlichen Entwicklung“. In diesem Sinne wird gefordert, dass man den Begriff „menschliche Ökologie“ anwendet, der impliziert: „die moralischen Bedingungen im Umgang der menschlichen Wesen mit der Umwelt sicherzustellen und zu wahren“. Die Pflege der Familie, die Förderung und der Schutz der Arbeit, der Kampf gegen die Armut, die Entwicklung der Erziehung und der Gesundheitsdienste, die Solidarität zwischen den Nationen im Dienst an der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung... sind einige der Elemente, die der Hl. Stuhl für eine Ökologie benennt, die der menschlichen Person würdig ist.20
Die Pflege des Geschaffenen und die Liebe zu ihm, der Einsatz und die Sorge für die Ökologie werden im Rahmen des Lebens eines jeden Tages gefördert, indem man die Jugendlichen dazu erzieht, die Natur zu respektieren und sich um sie kümmern, ihre Güter (das Wasser, die Pflanzen, die Tiere, die Dinge...) mit Mäßigkeit zu gebrauchen und immer das Wohl aller zum Ziel zu haben, ein positives Engagement des Schutzes und der nachhaltigen Entwicklung der Erde und der natürlichen Ressourcen zu wecken... Eine ökologische Mentalität und Grundeinstellung zu formen und zu entwickeln, ist heute ein wichtiges Element einer ganzheitlichen Erziehung.
Wie sollte man an diesem Punkt nicht den hl. Franz von Assisi und seinen Gesang der Geschöpfe in Erinnerung rufen?
Du höchster, mächtigster, guter Herr,
Dir sind die Lieder des Lobes,
Ruhm und Ehre und jeglicher Dank geweiht;
Dir nur gebühren sie, Höchster,
und keiner der Menschen ist würdig, Dich nur zu nennen.
Gelobt seist Du, Herr,
mit allen Wesen, die Du geschaffen,
der edlen Herrin vor allem, Schwester Sonne,
die uns den Tag heraufführt und Licht mit ihren Strahlen, die Schöne, spendet;
gar prächtig in mächtigem Glanze:
Dein Gleichnis ist sie, Erhabener.
Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Mond und die Sterne.
Durch Dich sie funkeln am Himmelsbogen
und leuchten köstlich und schön.
Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Wind und Luft
und Wolke und Wetter,
die sanft oder streng, nach Deinem Willen,
die Wesen leiten, die durch Dich sind.
Gelobt seist Du, Herr,
durch Schwester Quelle:
Wie ist sie nütze in ihrer Demut,
wie köstlich und keusch!
Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Feuer,
durch den Du zur Nacht uns leuchtest.
Schön und freundlich ist er am wohligen Herde,
mächtig als lodernder Brand.
Gelobt seist Du, Herr,
durch unsere Schwester, die Mutter Erde,
die gütig und stark uns trägt
und mancherlei Frucht uns bietet
mit farbigen Blumen und Kräutern.
Gelobt seist Du, Herr,
durch die, welche ergeben um Deiner Liebe willen
Pein und Trübsal geduldig tragen.
Selig, die's überwinden im Frieden:
Du, Höchster, wirst sie belohnen.
Gelobt seist Du, Herr,
durch unsern Bruder, den leiblichen Tod;
ihm kann kein lebender Mensch entrinnen.
Wehe denen, die sterben in schweren Sünden!
Selig, die er in Deinem heiligsten Willen findet!
Denn sie versehrt nicht der zweite Tod.
Lobet und preiset den Herrn!
Danket und dient Ihm in großer Demut!
8. Abschluss: zwei Texte zum Mitdenken
Als eine Art Synthese dessen, was ich gesagt habe, präsentiere ich Euch vor allem diesen Text, erarbeitet von den verschiedenen religiösen Traditionen, die zum VI. Parlament der Weltreligionen 2004 in Barcelona versammelt waren:
Wir Bürger und Bürgerinnen der Welt,
Menschen auf dem Weg, Menschen, die suchen,
Erben des Vermächtnisses der alten Traditionen,
wollen proklamieren:
dass das menschliche Leben an sich wunderbar ist;
dass die Natur unsere Mutter und unser Heim ist,
und dass sie geliebt und behütet werden muss.
dass der Friede erbaut werden muss mit Kraft,
mit der Gerechtigkeit, mit Vergebung und mit der Großherzigkeit;
dass die Verschiedenheit der Kulturen
ein großer Reichtum und kein Hindernis ist;
dass sich die Welt uns als Schatz präsentiert,
wenn wir sie mit Tiefe leben;
und die Religionen wollen Wege sein
zu dieser Tiefe;
dass die Religionen bei ihrem Forschen Kraft und Sinn finden
in der Öffnung auf das unfassbare Geheimnis hin;
dass die Bildung von Gemeinschaften uns in dieser Erfahrung hilft;
dass die Religionen ein Punkt des Zugangs sein können
zum inneren Frieden, zur Harmonie mit sich selbst und mit der Welt,
zu dem, was sich in einen bewundernden, freudigen und dankbaren Blick wandelt;
dass wir, die wir verschiedenen religiösen Traditionen angehören,
den Dialog unter uns führen wollen;
dass wir mit allen teilnehmen wollen
am Kampf zur Schaffung einer besseren Welt,
zur Lösung der schwerwiegenden Probleme der Menschheit:
des Hungers und der Armut,
des Kriegs und der Gewalt,
der Zerstörung der natürlichen Umwelt,
des fehlenden Zugangs zu einer tiefen Lebenserfahrung,
des Mangels an Respekt vor der Freiheit und der Verschiedenheit;
und dass wir mit allen die Früchte unseres Forschens
nach den höchsten Sehnsüchten des menschlichen Seins teilen wollen,
im tiefsten Respekt vor dem, was jeder ist,
und mit dem Vorsatz, dass alle zusammen
ein Leben führen können, das lebenswürdig ist.
Der zweite Text, den ich Euch zum Schluss vorstelle, ist – wie in den vergangenen Jahren – eine Fabel, welche die Wichtigkeit der positiven Grundeinstellung gegenüber dem Leben herausstellt. Das ist es, was den Unterschied ausmacht zwischen der Kultur des Todes, in der wir leben können, ohne uns darüber Rechenschaft zu geben, und der Kultur des Lebens, welche die eigene Existenz und die der andern mit Freude, Farbigkeit und Großherzigkeit erfüllt.
Bei meinem Besuch in Weißrussland war ich angenehm berührt von der Jugendgruppe, die ich in Minsk traf, und von der Darstellung einer Geschichte, die sie in Szene setzten. Sie hat mir so gut gefallen und ich fand sie so aufschlussreich, dass ich mir sagte: Das ist es, was ich der ganzen Don-Bosco-Familie mitteilen und was ich mit jedem ihrer Mitglieder tun möchte: meinen gelben Schirm weiterzugeben, den auch ich von Don Bosco erhalten habe.
Es gab einmal ein graues und tristes Dorf. Wenn es dort regnete, gingen alle Bewohner mit schwarzen Schirmen durch die Straßen – immer streng mit schwarzen Schirmen.
Unter den Schirmen machten alle ein faltenreiches und trauriges Gesicht... Unter einem schwarzen Schirm kann es ja auch gar nicht anders sein!
Aber eines Tages, als der Regen niederprasselte, stärker denn je, tauchte plötzlich ein etwas bizarrer Herr auf, der unter einem gelben Schirm daherspazierte. Und als ob das noch nicht genügen würde – dieser Herr lächelte sogar.
Einige Passanten schauten ihn schockiert an unter ihrem grauen Regenschirm, der sie schützte, und knurrten:
„Seht nur, was für ein Einfall! Er wirkt wirklich lächerlich mit seinem gelben Schirm. Das ist nicht seriös. Der Regen ist doch eine ernste Sache, und ein Regenschirm kann nicht anders als schwarz sein!“
Andere gerieten in Zorn, und einer sagte zum andern: „Aber was für eine verrückte Idee ist das, mit einem gelben Schirm herumzulaufen? Dieser Typ ist nur ein Exhibitionist, einer, der unter allen Umständen bemerkt werden will. Das ist keineswegs vergnüglich!“
In der Tat gab es nichts Amüsantes in diesem Dorf, wo es immer regnete und alle Schirme schwarz waren.
Nur die kleine Natasha wusste nicht, was sie denken sollte. Ein Gedanke, der ihr ständig durch den Kopf ging: „Wenn es regnet, ist ein Schirm ein Schirm. Ob gelb oder schwarz – was zählt, ist doch, einen Schirm zu haben, der vor dem Regen schützt.“
Mehr noch: Der Kleinen fiel auf, dass dieser Herr unter seinem gelben Schirm aussah wie einer, der sich rundum wohlfühlt und glücklich ist. Sie fragte sich, warum wohl.
Eines guten Tages kam Natasha aus der Schule und merkte, dass sie ihren schwarzen Schirm zu Hause gelassen hatte. Sie zog die Schultern ein und ging ohne Kopfbedeckung nach Hause, indes der Regen ihr Haar durchnässte.
Der Zufall wollte es, dass sie schon bald dem Mann mit dem gelben Schirm begegnete, der sie lächelnd ansprach:
„Kind, willst du dich vor dem Regen schützen?“
Natasha zögerte. Wenn sie einwilligte, hätten sich alle über sie lustig gemacht. Aber sofort kam der andere Gedanke: „Wenn es regnet, ist ein Schirm ein Schirm. Ob gelb oder schwarz – was soll’s? Es ist immer besser, einen Schirm zu haben, als sich vom Regen durchnässen zu lassen.“
Sie nahm an und suchte Schutz unter dem gelben Schirm an der Seite des freundlichen Herrn.
Da verstand sie, warum er so glücklich war: Unter dem gelben Schirm existierte das schlechte Wetter gar nicht mehr! Da war eine große warme Sonne am blauen Himmel, an dem die Vöglein zwitschernd dahinflogen.
Natasha machte ein so verblüfftes Gesicht, dass der Herr in Lachen ausbrach: Ich weiß! Auch du hältst mich für einen Verrückten, aber ich will dir alles erklären. Auch ich war einmal traurig in diesem Dorf, wo es immer nur regnet. Auch ich hatte einen schwarzen Schirm. Aber eines Tages, als ich aus dem Büro kam, vergaß ich den Schirm, und machte mich auf den Weg nach Hause so, wie ich war. Auf der Straße traf ich einen Mann, der mir anbot, unter seinem gelben Schirm Schutz zu suchen. So wie du habe ich gezögert, weil ich Angst hatte, anders zu sein als die anderen und mich lächerlich zu machen. Aber dann nahm ich an, weil ich noch mehr Angst davor hatte, mir eine Erkältung zu holen. Und ich merkte wie du, dass unter dem gelben Schirm das schlechte Wetter verschwunden war. Dieser Mann belehrte mich, warum die Menschen unter dem schwarzen Schirm traurig waren: Das Prasseln des Regens und der schwarze Schirm machten sie mürrisch, und sie hatten überhaupt keine Lust, sich miteinander zu unterhalten. Dann ging der Mann plötzlich weg, und ich merkte, dass ich seinen gelben Regenschirm in der Hand hielt. Ich lief ihm nach, aber ich konnte ihn nicht mehr einholen. Er war verschwunden. So habe ich den gelben Schirm behalten, und das schöne Wetter hat mich nicht mehr verlassen.“
Natasha rief aus:
„Was für eine Geschichte! Und ist ihnen das nicht peinlich, den Schirm eines anderen zu behalten?“
Der Herr antwortete:
„Nein, weil ich sehr wohl weiß, dass dieser Schirm allen gehört. Jener Mann hatte ihn zweifellos auch von einem anderen bekommen.“
Als sie vor Natashas Haus angekommen waren, verabschiedeten sie sich.
Kaum war der Mann weggegangen und verschunden, merkte das Mädchen, dass sie den gelben Schirm in der Hand hielt. Aber dieser freundliche Herr – wer weiß, wo der nun war.
So behielt Natasha den gelben Schirm, wusste aber schon, dass er schon bald wieder den Besitzer wechseln und in andere Hände übergehen würde, um vor dem Regen zu schützen und das „dauerhaft Schöne“ zu anderen Menschen zu bringen.
Ich schließe, indem ich die Glückwünsche für ein gutes Jahr 2007 erneuere. Lasst uns würdige Gläubige eines Gottes sein, der das Leben liebt, und als Don-Bosco-Familie zusammen mit Ihm für den Aufbau der Kultur des Lebens wirken.
Don Pascual Chávez Villanueva
Generaloberer
1 Johannes Paul II., Ansprache während der Gebetswache beim achten Weltjugendtag in Denver am 14.08.1993, in L’Ossservatore Romano, 17./18.08.1993.
2 Vgl. Carta della Missione della Famiglia Salesiana, Nr. 9.10.16.
3 Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae (EV), 5.
4 An den Klerus der Diözese Rom, Fastenzeit 2006, in L’Osservatore Romano, 04.03.2006, S. 4ff.
5 EV 12
6 EV 34
7 EV 38.
8 EV 80.
9 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 17.
10 Vgl. P. Braido, Prevenire non reprimere. LAS, Rom 1999, S. 324-325.
11 F. Orestano, zitiert von P. Braido, a.a.O., S. 236.
12 A. da Silva Ferreira, Il dialogo tra don Bosco e il maestro Francesco Bodrato – 1864, RSS 3 (1984) 385.
13 G. Bosco, Vita del giovanetto Savio Domenico... S. 50, OE XI S. 200.
14 Vgl. P. Braido, a.a.O., S. 233.
15 Vgl. EV 87.
16 Konstitutionen SDB, 2.
17 EV 79.
18 EV 82.
19 EV 97.
20 Vgl. Dokument des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden anlässlich der Weltgipfelkonferenz über die nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (26. August – 4. September 2002).