Kommentar_ Jahresleitgedanke 2013_DinA_4


Kommentar_ Jahresleitgedanke 2013_DinA_4

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Don Pascual Chávez Villanueva SDB
Generaloberer der Salesianer Don Boscos
„Freut euch im Herrn!
Noch einmal sage ich: Freut euch!“
(Phil 4,4)
Wie Don Bosco bieten wir den Jugendlichen
durch eine Pädagogik der Güte
die Frohe Botschaft an
Kommentar
zum
Leitgedanken des Jahres 2013
für die
Don-Bosco-Familie

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Jahresleitgedanke 2013
_________________________________________
„Freut euch im Herrn!
Noch einmal sage ich: Freut euch!“
(Phil 4,4)
Wie Don Bosco bieten wir den Jugendlichen durch eine Pädagogik
der Güte
die Frohe Botschaft an.
_________________________________________
Liebe Brüder und Schwestern der Don-Bosco-Familie!
Das zweite Jahr dieses Trienniums der Vorbereitung auf die Zweihundertjahrfeier der Geburt Don
Boscos wird auf seine Pädagogik ausgerichtet sein. Im Jahr 2012 haben wir unsere Aufmerksamkeit
auf seine Geschichte gerichtet und haben versucht, besser zu verstehen, wie sein ganzes Leben von der
Vorliebe für die Jugendlichen geprägt war. Für dieses Ziel hat er alle seine Kräfte eingesetzt, weil er
begriffen hatte, dass dies die Sendung war, die Gott ihm anvertraut hatte.
Im Jahr 2013 wird es unser Ziel sein, Don Boscos erzieherisches Angebot zu vertiefen: das, was Don
Bosco den Jugendlichen anbieten wollte, sowie die Methode, die er gebrauchte, um die Tür ihres Her-
zens zu öffnen und ihr Vertrauen zu gewinnen und um sie – in menschlicher und christlicher Hinsicht
– zu starken Persönlichkeiten heranzubilden. Ganz konkret wollen wir Don Bosco als Erzieher näher
kommen. Es geht folglich darum, das Präventivsystem zu vertiefen und zu aktualisieren. Das also ist
das Thema des Jahresleitgedankens 2013.
Auch diesmal ist unsere Herangehensweise nicht nur rein intellektueller Art. Einerseits ist ein vertief-
tes Studium der salesianischen Pädagogik sicher notwendig, um sie gemäß der Sensibilität und den
Anforderungen unserer Zeit zu aktualisieren. Heute haben sich die sozialen, ökonomischen, kulturel-
len, politischen und religiösen Kontexte, in denen wir uns befinden, um unsere Berufung zu leben und
die salesianische Sendung zu vollziehen, tiefgreifend gewandelt. Andererseits ist es um der charisma-
tischen Treue zu unserem Vater willen gleichermaßen nötig, uns den Inhalt und die Methode seines
erzieherischen und pastoralen Angebots anzueignen. Im Kontext der Gesellschaft von heute sind wir
berufen, wie er heilige Erzieher zu sein, indem wir wie er unser Leben hingeben und für die Jugendli-
chen und mit ihnen arbeiten.
1 Zur Wiederentdeckung des Präventivsystems
Wenn wir die erzieherische Erfahrung Don Boscos überdenken, sind wir aufgerufen, sie heute in
Treue lebendig werden zu lassen. Sicher sind wir alle davon überzeugt, dass in Bezug auf einige seiner
Ausdrucksformen und Interpretationen sein Präventivsystem – insofern es an eine Welt gebunden ist,
die nicht mehr existiert – „überholt“ zu sein scheint. In der Tat haben sich im Verlauf des 20. Jahrhun-
derts zahlreiche und tiefgreifende „Umwälzungen“ auf pädagogischem, psychologischem, religiösem,
kulturellem, philosophischem, technologischem und demographischem Gebiet vollzogen. Die Welt ist
nunmehr ein „globales Dorf“ geworden. Sie ist durchdrungen von ständigen, globalisierenden Neue-
rungen der Medien, die alle Kulturen weltweit beeinflussen. Das Denken scheint geprägt zu sein von

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den neuen kulturellen Kriterien der Produktivität, der Wirksamkeit, des Kalküls und der wissenschaft-
lichen Rationalität. In dieser Lesart der sozialen Phänomene scheinen viele alte Interpretationskatego-
rien heute überholt zu sein.
Für eine richtige Aktualisierung des Präventivsystems sollte man nicht sofort an Programme und For-
meln denken oder allgemeine und gute „Slogans“ für alle Situationen bekräftigen. Vielmehr soll unser
Bemühen auf ein geschichtliches Verständnis der Methode Don Boscos gerichtet sein, wohl wissend,
dass manche situationsgebundene Überlegungen ihm Anlass zu prinzipiellen Festlegungen und zu the-
ologischen, anthropologischen, pastoralen, pädagogischen Ausprägungen gaben, die er für die Jugend-
lichen seiner Zeit für geeignet hielt. Dieses geschichtliche Verständnis wird uns dazu verhelfen, seine
Erfahrung nicht zu isolieren, indem wir sie mit ihren Prinzipien mit Hilfe neuer Formen anwenden. Es
geht darum, konkret zu analysieren, wie differenziert sein Handeln für die Jugendlichen, für das Volk,
für die Kirche, für die Gesellschaft, für das Ordensleben war; und auch wie differenziert seine Art und
Weise war, die Jugendlichen des ersten Sonntagsoratoriums, die Jugendlichen des kleinen Seminars
von Valdocco, die salesianischen und die nichtsalesianischen Priesteramtskandidaten und die Missio-
nare zu erziehen. Das tut der Tatsache keinen Abbruch, dass schon im ersten Oratorium des Pinar-
dihauses einige wichtige Intuitionen präsent waren, die in fortschreitendem Maße in ihrer tieferen Gül-
tigkeit als menschlich-christliche Synthese immer tiefer erfasst werden sollten:
a) eine flexible Struktur (das ist die Art und Weise, mit der Don Bosco an das Oratorium denkt),
die als Werk der Vermittlung zwischen Kirche, städtischer Gesellschaft und der Lebenswelt
der Jugendlichen des einfachen Volkes fungiert;
b) der Respekt und die Wertschätzung der Lebenswelt des einfachen Volkes;
c) die Religion, die das Fundament einer Erziehung gemäß der katholischen Pädagogik darstellt,
wie es ihm im Konvikt vermittelt worden war;
d) eine dynamische Verflechtung zwischen religiöser Bildung und menschlicher Entwicklung,
zwischen Katechese und Erziehung; mit anderen Worten: die Verbindung von Erziehung und
Erziehung zum Glauben (die Integration von Glauben und Leben);
e) die Überzeugung, dass die Unterweisung ein wesentliches Element für die Erleuchtung des
Geistes ist;
f) eine Erziehung, die, wie die Katechese auch, in allen Ausdrucksformen entwickelt wird, so-
fern sie mit der Begrenztheit von Zeit und Ressourcen vereinbar sind; Alphabetisierung derer,
die nie irgendeine Form der schulischen Unterweisung genießen konnten, die Arbeitsvermitt-
lung, die Assistenz während der Woche, die Entwicklung wechselseitiger Gruppenaktivitäten
usw.;
g) sinnvolle Freizeitbeschäftigung und Wertschätzung der Freizeit;
h) die Liebenswürdigkeit als erzieherischer Stil und, allgemeiner gesagt, als christlicher Lebens-
stil.
Aus der Dynamik seiner besonderen Erfahrung wird diese Methode, die von einem bestimmten Zeit-
punkt an „Präventivsystem“ genannt wird, bekannt gemacht und als allgemeine Methode präsentiert.
Don Bosco hat sie vorgeschlagen und wollte, dass sie für die Erziehung und Umerziehung der Jugend-
lichen aus den verschiedensten Gruppen angewendet werde.
Wie bekannt ist und wie wir es in der Charta der charismatischen Identität der Don-Bosco-Familie
geschrieben finden, enthält das Präventivsystem „konzentriert die pädagogische Weisheit Don Boscos
und begründet die prophetische Botschaft, welche er seinen Erben und der ganzen Kirche hinterlassen
hat. Es ist eine spirituelle und erzieherische Erfahrung, die sich auf die drei Säulen Vernunft, Religion
und Liebenswürdigkeit stützt:
Vernunft unterstreicht die Werte des christlichen Humanismus, in dem sich beispielsweise die
Suche nach Sinn, Arbeit, Studium, Freundschaft, Fröhlichkeit, Frömmigkeit, eine nicht von

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der Verantwortung losgelöste Freiheit, die menschliche Klugheit und die christliche Weisheit
harmonisch verbindet.
Religion bedeutet, der rettenden Gnade Raum zu geben, die Sehnsucht nach Gott zu pflegen,
die Begegnung mit Christus, dem Herrn, zu fördern, der dem Leben einen vollen Sinn zu ver-
leihen vermag und die Antwort auf das Verlangen nach Glück ist, und sich fortschreitend in
das Leben und die Sendung der Kirche einzugliedern.
Liebenswürdigkeit drückt die Notwendigkeit aus, dass die Jugendlichen, wenn die erzieheri-
sche Beziehung etwas bewirken will, nicht nur geliebt werden müssen, sondern auch erfahren,
dass sie geliebt werden. Die Liebenswürdigkeit ist ein besonderer Stil der Beziehung und ein
Wohlwollen, welches die Energien der jugendlichen Liebe weckt und sie bis zur Selbsthingabe
reifen lässt.
Vernunft, Religion und Liebenswürdigkeit sind heute noch mehr als früher unverzichtbare Elemente
der erzieherischen Tätigkeit und kostbare Fermente, um als Antwort auf die Erwartungen der neuen
Generationen eine humanere Gesellschaft zu schaffen.“1
Wenn man das einmal richtig verstanden hat, was uns aus der Vergangenheit überliefert wurde, muss
man die großen Intuitionen und Möglichkeiten des Präventivsystems ins Heute übersetzen. Man muss
die Prinzipien, die Begriffe und die ursprünglichen Orientierungen modernisieren, indem man sie auf
der theoretischen und praktischen Ebene neu interpretiert. Das gilt sowohl für die uns allen bekannten
bedeutsamen Grundideen (die größere Ehre Gottes und das Heil der Seelen; der lebendige Glaube, die
feste Hoffnung, die Gottes- und die Nächstenliebe; der gute Christ und der verantwortungsbewusste
Bürger; Frohsinn, Studium und Frömmigkeit; Gesundheit, Studium und Heiligkeit; Frömmigkeit, Sitt-
lichkeit, Bildung, Kultur; Evangelisierung und Zivilisierung …) als auch für seine wichtigsten metho-
dischen Orientierungen (danach zu streben, dass man mehr geliebt als gefürchtet wird; die Grundprin-
zipien Vernunft, Religion, Liebenswürdigkeit; das Beziehungsangebot als „Vater, Bruder, Freund“;
das Klima der Familiarität, vor allem in der Freizeit; das Herz gewinnen; ein Gott hingegebener Erzie-
her sein für das Wohl der jungen Menschen; große Freiheit gewähren, nach Herzenslust zu springen,
zu laufen, zu schreien). All diese Elemente des Präventivsystems sollen der Bildung der „neuen“ Ju-
gendlichen des 21. Jahrhunderts dienen, die dazu gerufen sind, in einer übergroßen Bandbreite von Si-
tuationen und Problemen und in völlig veränderten Zeiten zu leben und sich damit auseinander zu set-
zen. Das müssen sie in einer Zeit tun, in der auch die Humanwissenschaften sich in einer Phase kriti-
scher Reflexion befinden.
Ich möchte besonders drei Perspektiven vorstellen, wobei ich die erste vertieft analysieren möchte.
1.1 Die Neubelebung der Erziehungsziele des „verantwortungsbewussten Bürgers“ und
des „guten Christen“
In einer Welt, die sich im Vergleich zum 19. Jahrhundert tiefgreifend verändert hat, wäre es ein
schwerwiegender Mangel soziologischer wie auch theologischer Art, die Nächstenliebe gemäß enger,
lokaler und pragmatischer Kriterien auszuüben (und hier müssen wir anerkennen, dass Don Bosco be-
stimmt nicht in der Lage war, mehr zu tun als das, was er getan hat) und dabei die umfassenderen Di-
mensionen des Allgemeinwohls auf nationaler und weltweiter Ebene zu vergessen. Die ethische Rei-
fung des heutigen Gewissens hat in der Tat die Grenzen einer bloßen Wohltätigkeit festgestellt, die,
während sie die politische Dimension der Unterentwicklung außer Acht lässt, nicht imstande ist, posi-
tiv auf die Ursachen des Elends und auf die Strukturen des Versagens einzuwirken, aus dem ein sozia-
ler Kontext erwächst, welcher allgemein verurteilt wird. Die Nächstenliebe nur als Almosengeben und
Hilfe in dringenden Fällen zu begreifen, schließt das Risiko ein, bei einem „falschen Samaritanismus“
stehen zu bleiben, der trotz bester Absicht in eine falsche Solidarität führt, weil er Entwicklungsmo-
1 Charta der charismatischen Identität der Don-Bosco-Familie, Rom 2012, Art. 21.

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delle unterstützt, die das Wohlergehen einiger stützen, während sie die bittere Pille für die anderen
vergolden.
Erinnern wir uns daran, dass in der Nachkonzilszeit die Worte „Armut der Kirche“ und „Kirche der
Armen“ viele, auch widersprüchliche Gesichter hatten. Und dennoch müssen wir auch bedenken, dass
nicht wir das Evangelium erfunden haben, so wie wir auch nicht seine tragische Konfrontation mit der
Politik und der Ökonomie erfunden haben. Der Glaube berührt die Geschichte, ohne sich auf sie zu re-
duzieren. Wenn die Nächstenliebe auch noch nicht die ganze christliche Botschaft darstellt, kann man
aber vielleicht verneinen, dass sie für sie zentral und wesentlich ist?
Es ist gesagt und geschrieben worden, dass die Kirche gegenüber dem modernen Staat, der den Schutz
und den sozialen Beistand seiner Bürger übernommen hat, auf der Ebene der Nächstenliebe und der
sozialen Hilfe nicht mehr jenen Handlungsspielraum hat, den sie in der Vergangenheit hatte. Die Rea-
lität, die wir heute erleben, widerspricht dieser Hypothese, die die laizistischen und staatlichen Ideolo-
gien genährt hat. Die Kirche wird sehr oft auch inmitten des Wohlfahrtsstaates zu einem wichtigen
Bezugspunkt. Lange Jahre hindurch haben wir sagen gehört, dass die Nächstenliebe (carità) und die
Fürsorge (assistenza) alte und unbrauchbare Instrumente wären, die in der modernen Gesellschaft und
im demokratischen Staat nicht mehr brauchbar seien. Heute anerkennt man – auch in laizistischen
Kontexten – die soziale Funktion des christlichen Ehrenamtes, des so genannten dritten Sektors – non
profit –, und der Initiativen, die von den Pfarreien, den kirchlichen Vereinigungen, den kirchlichen In-
stitutionen und den Ortskirchen … ausgehen.
Kann nun die Tatsache, dass Milliarden von Menschen heute unter Bedingungen leben, die weit ent-
fernt sind von jener „Zivilisation der Liebe“, wie sie zuerst von Papst Paul VI. und in Folge auch von
seinen Nachfolgern wiederholt gefordert wurde, im Rückgriff auf die Formel Don Boscos vom „ver-
antwortungsbewussten Bürger2 und guten Christen“ durch uns „eine spezifische Antwort“ finden?
Im Hinblick auf den „rechtschaffenen Bürger“ drängt sich uns eine tiefgehende Reflexion auf. Beson-
ders auf spekulativem Gebiet muss sich die Betrachtung dieses Ziels auf alle Inhalte ausdehnen, die
zum Thema der menschlichen Förderung sowie der Förderung der Jugend und des Volkes in Bezie-
hung stehen. Gleichzeitig muss sich unsere Aufmerksamkeit auf die relevanten philosophisch-
anthropologischen, theologischen, wissenschaftlichen, historischen und methodologischen Betrach-
tungen richten. Diese Reflexion muss sich sodann auf der Ebene der Erfahrung und der handlungsbe-
zogenen Reflexion der Einzelnen und der Gemeinschaft konkretisieren. Ich möchte hier daran erinnern,
dass für die Salesianer Don Boscos das bedeutsame 23. Generalkapitel als wichtige Orte und Ziele der
Erziehung „die soziale Dimension der Nächstenliebe“ und „die Erziehung der Jugendlichen zum En-
gagement und zur politischen Partizipation“, benannt und diese als „einen von uns ein wenig vernach-
lässigten und kaum anerkannten Bereich“ gesehen hat.3
Wenn wir einerseits die Entscheidung Don Boscos verstehen, keine andere als „die Politik des Vater-
unsers“ zu betreiben, so müssen wir uns andererseits aber auch fragen: Inwieweit hat seine anfängliche
Entscheidung für eine in einem engen Sinn verstandene Erziehung und die nachfolgende Praxis seiner
Erzieher, die „Politik“ aus ihrem Leben auszuschließen, nicht die so wichtige sozio-politische Dimen-
sion in der Bildung der Jugendlichen konditioniert und begrenzt? Haben außer den objektiv vorhande-
nen Schwierigkeiten, die von den unterschiedlichen politischen Regimen, mit denen Don Bosco zu tun
hatte, hervorgerufen wurden, nicht vielleicht auch die Erzieher selbst, die zum Konformismus und
zum Isolationismus neigten und nur über eine unzureichende Bildung sowie eine geringe Kenntnis des
2 Der von Don Bosco häufig verwendete italienische Begriff „onesto (cittadino)“ kann auf Deutsch mit
verschiedenen Adjektiven wiedergegeben werden. Er bedeutet soviel wie: ehrlich, rechtschaffen, redlich,
gewissenhaft, anständig, sittsam, ehrbar.
3 Vgl. 23. GK SDB, Nr. 203-210-212-214.

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historisch-sozialen Kontextes verfügten, dazu beigetragen, die sozial-politische Dimension der Päda-
gogik auszuschließen?
Wir werden also in der Richtung einer aktualisierten Bestätigung der „sozialpolitisch-erzieherischen
Option“ Don Boscos weitergehen müssen. Das heißt nicht, ein ideologisches Handeln zu fördern, das
an besondere politische Entscheidungen von Parteien gebunden wäre, sondern zu einer sozialen und
politischen Sensibilität zu erziehen, die dazu führt, das eigene Leben als Sendung für das Gemeinwohl
einzusetzen, und zwar mit einem beständigen Bezug auf die unveräußerlichen menschlichen und
christlichen Werte. Es geht also darum, im Zeichen einer konsequenteren praktischen Verwirklichung
auf dem spezifischen Sektor zu arbeiten. Mit anderen Worten: Die Betrachtung der sozialen Dimensi-
on der Erziehung – die bereits in der grundsätzlichen fundamentalen Option für die Jugendlichen ent-
halten ist, wenn auch unvollständig verwirklicht, was auch für die Ausformulierungen gilt – müsste
dazu anregen, ausdrückliche Erfahrungen des soziale Engagements im weitesten Sinn zu schaffen. Das
aber setzt auch ein spezifisches theoretisches und lebendiges Engagement voraus, das an einer mög-
lichst weiten Sicht der Erziehung, die mit Realismus und Konkretheit einhergeht, inspiriert ist. Pro-
klamationen und Manifeste genügen nicht. Es bedarf dafür sowohl theoretischer Konzepte auch kon-
kreter Handlungsprojekte, die in gut definierte und artikulierte Programme umgesetzt werden müssen.
Wer tatsächlich um die Erziehung besorgt ist, sucht durch die entsprechenden politischen Instrumente
Einfluss zu gewinnen, damit sie in allen sozialen Bereichen in Betracht gezogen wird: von der Urbani-
sierung angefangen über den Tourismus bis hin zum Sport und zu den Medien, alles Bereiche, in de-
nen man oft die Kriterien des Marktes privilegiert.
Fragen wir uns: Tun die salesianische Kongregation, die Don-Bosco-Familie, unsere
Provinzen, Gruppen und Niederlassungen in dieser Richtung das ihnen Mögliche? Ist
ihre Solidarität mit der Jugend nur ein Handeln aus dem Gefühl heraus oder eine bloße
Geste des Gebens; oder ist sie auch ein kompetenter Beitrag und eine überlegte
Antwort, die den Bedürfnissen der Jugendlichen und der schwächsten sozialen Klassen
angemessen und entsprechend ist?
Und dasselbe sollte man von der Neubelebung des Erziehungszieles des „guten Christen“ sagen. Don
Bosco, der vom Eifer für die Seelen förmlich „brannte“, hat die Zweideutigkeit und die Gefahr der Si-
tuation verstanden. Er hat ihre Voraussetzungen bestritten; und er hat neue Formen gefunden, sich
dem Übel entgegenzustellen, und das mit den knappen kulturellen und wirtschaftlichen Mitteln, die
ihm zur Verfügung standen.
Es geht darum, die Berufung des Menschen und die Wahrheit der Person bewusst entdecken und leben
zu helfen. Gerade in diesem Bereich können die Glaubenden ihren wertvollsten Beitrag leisten.
Sie wissen in der Tat, dass das Sein und die Beziehungen der Person definiert werden von ihrer Be-
dingtheit als Geschöpf, was nicht Unterlegenheit oder Abhängigkeit bedeutet, sondern unentgeltliche
und kreative Liebe von Seiten Gottes. Der Mensch verdankt die eigene Existenz einem Geschenk. Er
ist hineingestellt in eine Beziehung mit Gott, die es zu erwidern gilt. Sein Leben findet keinen Sinn
außerhalb dieser Beziehung. Das „Darüberhinaus“, das er vage begreift und wünscht, ist das Absolute,
kein fremdes und abstraktes Absolutes, sondern die Quelle seines Lebens, die ihn zu sich ruft.
In Christus findet die Wahrheit der Person, die der Verstand anfanghaft erfasst, ihre volle Erleuchtung.
Jesus Christus öffnet mit seinen Worten, aber besonders kraft seiner menschlich-göttlichen Existenz,
in der sich das Bewusstsein des Gottessohnes offenbart, den Menschen für das volle Verständnis sei-
ner selbst und der eigenen Bestimmung.
In IHM sind wir zu Söhnen und Töchtern Gottes geworden und dazu berufen, als solche in der Ge-
schichte zu leben. Es ist eine Wirklichkeit und ein Geschenk, dessen Sinn der Mensch fortschreitend
durchdringen muss. Die Berufung zu Söhnen und Töchtern Gottes ist keine Luxuszugabe, keine äuße-
re Ergänzung für die Verwirklichung des Menschen. Sie ist vielmehr seine ganze Vollendung, die un-

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verzichtbare Bedingung der Authentizität und der Fülle, die Befriedigung seiner radikalsten Erforder-
nisse, und zwar jene, von denen seine kreatürliche Struktur selbst untermauert ist.
Aber wie soll man das Erziehungsziel des „guten Christen“ Don Boscos verwirklichen? Wie soll man
heute die menschlich-christliche Gesamtheit des Projektes in Initiativen bewahren, die formal oder
vorherrschend religiösen und pastoralen Charakter haben, und das gegen die Gefahren der alten und
neuen Formen des Integralismus oder des Exklusivismus? Wie soll man die traditionelle Erziehung,
deren Kontext „eine monoreligiöse Gesellschaft“ war, angesichts des derzeitigen Pluralismus in eine
offene und zugleich kritische Erziehung umwandeln? Wie soll man dazu erziehen, in Autonomie zu
leben und gleichzeitig teilzuhaben an einer multireligiösen, multikulturellen, multiethnischen Welt?
Wie soll man angesichts der aktuellen Überwindung der traditionellen Pädagogik des Gehorsams, der
an einen gewissen Typ von Ekklesiologie angepasst war, eine Pädagogik der Mündigkeit und Verant-
wortung fördern, die ausgerichtet ist auf die Bildung von verantwortlichen Personen, die fähig zu
freien und reifen Entscheidungen sind, offen für die zwischenmenschliche Kommunikation, sich aktiv
in die sozialen Strukturen einbringen und sich durch eine nonkonformistische, aber konstruktiv-
kritische Grundhaltung auszeichnen?
1.2 Die Rückkehr zu den Jugendlichen mit größerer
Qualifikation
Mitten unter den Jugendlichen hat Don Bosco seinen Lebensstil, sein pastorales und pädagogisches
Vermächtnis, sein Erziehungssystem und seine Spiritualität erarbeitet. Die Einzigartigkeit der Sendung
Don Boscos zur Jugend war immer und auf jeden Fall gegenwärtig, auch wenn er aus besonderen
Gründen einmal nicht direkt im Kontakt mit den Jugendlichen stand, wenn sein Handeln nicht direkt
Dienst an den Jugendlichen war oder wenn er sein Gründungscharisma beharrlich dem Druck nicht
immer gut erleuchteter kirchlicher Persönlichkeiten gegenüber für alle Jugendlichen der Welt vertei-
digte. Die salesianische Sendung ist „Weihe“ an und zugleich „Vorliebe“ für die Jugendlichen. Und
eine solche Vorliebe ist in ihrem Anfangsstadium, wie wir wissen, ein Geschenk Gottes; sie bedarf
aber auch unserer Intelligenz und unseres Herzens, um sie zu entwickeln und zu vervollkommnen.
Der echte Salesianer bleibt nicht dem Bereich der Jugendlichen fern. Salesianer ist der, welcher eine
vitale Kenntnis der Jugendlichen hat: Sein Herz schlägt dort, wo das der Jugendlichen schlägt. Der Sa-
lesianer lebt und arbeitet für sie. Er engagiert sich, um ihren Notwendigkeiten und ihren Problemen zu
entsprechen. Sie sind der Sinn seines Lebens: bei der Arbeit, in der Schule, in seiner Freizeit, in seiner
Affektivität. Salesianer ist, wer auch eine theoretische und eine grundlegende Kenntnis der Jugendli-
chen hat, die es ihm ermöglicht, ihre wahren Bedürfnisse zu entdecken und eine Jugendpastoral zu
schaffen, die den Notwendigkeiten der Zeiten gerecht wird.
Die Treue zu unserer Sendung muss sodann, soll sie wirkungsvoll sein, in Kontakt stehen mit den
„Kernpunkten“ der heutigen Kultur, mit den Quellen der gegenwärtigen Mentalitäten und der aktuel-
len Grundhaltungen. Wir stehen vor wahrhaft großen Herausforderungen, die Ernsthaftigkeit der Ana-
lyse, Beharrlichkeit der kritischen Beobachtungen, eine vertiefte kulturelle Auseinandersetzung und
die Fähigkeit erfordern, psychologisch an der gegenwärtigen Situation teilzuhaben. Wir wollen uns
hier auf einige Fragen beschränken:
a) Wer genau sind die Jugendlichen, denen wir persönlich unser Leben „weihen“? Was wollen
sie und was ersehnen sie sich? Und was wollen wir (und Gott) für sie? Kennen wir die
Jugendlichen von heute? Sind wir von dem verschiedenartigen quantitativen und qualitativen
Problem der Jugendlichen von heute überzeugt, im Vergleich zu jenem Problem, mit dem sich
vor 150 Jahren Don Bosco auseinanderzusetzen hatte?
b) Wie ist es auf der Ebene der theoretischen Reflexion über die erzieherischen Wege und auf der
Ebene der pastoralen Praxis um unsere pastorale Professionalität bestellt? Sie findet ihre
Bewährungsprobe in der Kreativität, der Anpassungsfähigkeit, der Flexibilität und in der
Überwindung des Schwarzsehens. Sicher ist, dass wir uns um uns „inkulturieren“ zu können,

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nicht nur auf die Dokumente der Generalkapitel unserer Kongregationen, auf die wichtigsten
Überlegungen der verschiedenen Gruppen oder auf die Briefe des Generaloberen verlassen
können.
c) Die erzieherische Verantwortung kann heute nur kollektiv, einhellig und partizipativ sein. Was
also ist unser „Ansatzpunkt“ im „Netzwerk“ der Beziehungen in unserem Gebiet und darüber
hinaus im Gebiet, wo unsere Jugendlichen leben? Was genau ist unser Beitrag der Teilhabe
und Mitarbeit im Innern dieses globalisierten erzieherischen Netzwerks? Haben wir die
möglichen Lösungen in Betracht gezogen und uns auch mit Dritten damit auseinandergesetzt?
d) Wenn die Kirche den Jugendlichen gegenüber manchmal so kraftlos erscheint, ist es dann
bisweilen nicht so, dass auch die Salesianer und die Don-Bosco-Familie von heute so
erscheinen?
1.3 Eine Erziehung des Herzens
In den letzten Jahrzehnten scheinen die neuen salesianischen Generationen gegenüber den traditionel-
len Formulierungen des Präventivsystems verwirrt zu sein; entweder weil sie nicht wissen, wie sie es
heute anwenden sollen, oder weil sie es sich unbewusst als eine „paternalistische Beziehung“ zu den
Jugendlichen vorstellen. Wenn wir jedoch auf Don Bosco in seiner gelebten Realität schauen, entde-
cken wir in ihm eine instinktive und geniale Überwindung des erzieherischen Paternalismus, der von
der Pädagogik in den ihm vorausgehenden Jahrhunderten (15. bis 17. Jahrhundert) von vielen Seiten
eingeschärft worden ist. In jener Zeit reflektierte der pädagogische Diskurs in der Tat die europäische
Gesellschaft, die auch auf politischer Ebene paternalistisch strukturiert war. Das Leben Don Boscos
aber erscheint insgesamt als ein Gefüge von zwischenmenschlichen Beziehungen mit Jugendlichen
und Erwachsenen, aus denen auch seine persönliche Bereicherung hervorgeht. Zahlreiche Episoden
und Formulierungen wie z.B.: „Lasst mich euch das sagen und keiner fühle sich gekränkt: Ihr seid alle
Räuber; ich sage es und wiederhole es: Ihr habt mich ganz vereinnahmt (…) mir blieb noch dieses ar-
me Herz, aus dem ihr mir schon die Gefühle geraubt habt (…) sie haben schon von diesem ganzen
Herzen Besitz ergriffen, dem nichts mehr geblieben ist, außer dem lebendigen Wunsch, euch im Herrn
zu lieben“4, belegen die Nähe zu den Jugendlichen und die Modernität und Aktualität seines Erzie-
hungssystems jenseits der bekannten Etikette: präventiv, Liebenswürdigkeit, Nächstenliebe. Das „In-
Besitz-Nehmen“ des Herzens ist bei Don Bosco eine analoge und symbolische Ausdrucksweise. Die
Jungen durchdrangen das Herz Don Boscos, hier fanden sie sich wieder, sie bereicherten sich daran,
sie erfreuten sich daran. Heute sind die zwischenmenschlichen Beziehungsformen sicher andersartig:
pluralistische Gesellschaft, Globalität der Formen des Sich-Kennenlernens, Internet, Reisen usw.
Wir können uns fragen: Finden die Jugendlichen und die Erwachsenen im Herzen des
salesianischen Erziehers Raum? Was entdecken sie dort? Einen Technokraten, einen
fähigen, aber leeren Kommunikator? Oder eine reiche Menschlichkeit, vollendet und im
mystischen Leib (der Kirche) beseelt von der Gnade Jesu Christi usw.? Wenn sie das
alles bei ihm nicht finden sollten, könnte dann Don Bosco nicht mehr oder weniger die
Worte wiederholen: „Wenn sich im Herzen des Salesianers nicht der Reichtum und die
Tiefe der Gnade Christi befinden, dann haben die Kongregation und die Don-Bosco-
Familie ihren Lauf beendet“?
4 GIOVANNI BOSCO, Brief an die Jugendlichen von Lanzo, 3. Januar 1876, in: Epistolario, hg. v. Eugenio Ceria,
Bd. III, S. 5.

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2 Konkrete Aufgaben für die Don-Bosco-Familie
Ausgehend von der Kenntnis der Pädagogik Don Boscos sind im Licht der oben entwickelten großen
Reflexionen die großen Bezugspunkte und die Aufgaben des Jahresleitgedankens 2013 für die Don-
Bosco-Familie die folgenden:
2.1 Die Frohe Botschaft
Die ganze Geschichte Don Boscos wird von der Frohbotschaft charakterisiert, sie ist die Seele seiner
vielfältigen Werke.
„In Jesus von Nazareth hat Gott sich als der ‚Gott der Freude’5 offenbart. Und das Evangelium ist eine
‚Frohe Botschaft’, die mit den ‚Seligpreisungen’ beginnt, die die Teilhabe des Menschen an der Selig-
keit Gottes selbst verheißen. Es handelt sich nicht um ein oberflächliches, sondern um ein tiefes Ge-
schenk, da die Freude mehr als ein vorübergehendes Gefühl ist; sie ist eine innere Kraft, die auch den
Schwierigkeiten des Lebens widersteht. Der hl. Paulus erinnert daran: ‚Trotz all unserer Not bin ich
vom Trost erfüllt und ströme über von Freude’ (2 Kor 7,4). In diesem Sinne ist diese Freude, die wir
empfinden, ein österliches Geschenk, ein Vorgriff auf die vollkommene Freude, derer wir uns in der
Ewigkeit erfreuen.
Don Bosco hat in den jungen Menschen das Verlangen nach Freude erspürt und hat ihre Lebensfreude
in der Sprache der Fröhlichkeit, des Spielens auf dem Hof und des Feierns von Festen zum Ausdruck
gebracht. Dabei hat er nie versäumt, auf Gott als Quelle der wahren Freude hinzuweisen. Einige seiner
Schriften, wie z.B. Der wohlerzogene Jüngling6, die Lebensbeschreibung Dominikus Savios7 oder die
fiktive Geschichte Valentinos8 sind Hinweise auf die Übereinstimmung, die er zwischen Gnade und
Freude feststellte. Und wenn er immer wieder vom ‚Preis des Paradieses’ sprach, stellte er die Freude
als etwas vor, das Teil des Zieles der Fülle und Vollendung ist.
In der Schule Don Boscos entfaltet das Mitglied der Salesianischen Familie in sich einige Haltungen,
welche die Freude fördern und sie den anderen mitteilen:
1. Das Vertrauen in den Sieg des Guten: ‚In jedem Jugendlichen, auch im Unglücklichsten’,
schrieb Don Bosco, ‚gibt es eine Stelle, die für das Gute zugänglich ist. Die erste Pflicht des
Erziehers ist es, diese Stelle zu finden, diese empfindsame Saite im Herzen, um sie fruchtbar zu
machen.’9
2. Die Wertschätzung der menschlichen Werte: Der Schüler und die Schülerin Don Boscos erfas-
sen die Werte der Welt und lehnen es ab, über die eigene Zeit zu klagen. Er/Sie nimmt alles an,
was gut ist, besonders wenn es dem Wohl der Jugendlichen und des einfachen Volkes dient.
3. Die Erziehung zu den alltäglichen Freuden: Es bedarf in der Pädagogik einer geduldigen An-
strengung, damit (wieder neu) gelernt wird, mit Einfachheit die vielfältigen menschlichen
Freuden zu verkosten, die der Schöpfer Tag für Tag auf unseren Weg legt.
Deshalb vertrauen sich die Schüler Don Boscos ganz ‚dem Gott der Freude’ an und bezeugen als im-
mer frohe Menschen in Wort und Tat das ‚Evangelium der Freude’. Sie verbreiten diese Freude und
wissen zur Freude des christlichen Lebens und zum Sinn für das Feiern zu erziehen, eingedenk der
5 SAN FRANCESCO DI SALES, Lettre à la Présidente Brulart, Annecy, 18 febbraio 1605, in: Oeuvres XIII, S.16.
6 GIOVANNI BOSCO, Il giovane provveduto (1847, 18632, 187542, 1885101), in: OE II, S. 183-532; XIV, S. 345-
361; XXVI, S. 1-184; XXXV, S. 130-648.
7 GIOVANNI BOSCO, Vita del giovanetto Savio Domenico allievo dell’Oratorio di san Francesco di Sales, Tori-
no 1859, in: OE XI, S. 150-292; deutsch: DON BOSCO: Mein Schüler Dominikus Savio, München 1952.
8 GIOVANNI BOSCO, Valentino o La Vocazione impedita. Episodio contemporaneo, Torino, 1866, in: OE XVII,
S. 179-242.
9 MB V, S. 367.

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Mahnung des hl. Paulus: ‚Freut euch im Herrn zu jeder Zeit. Noch einmal sage ich: Freut euch!‘ (Phil
4,4).“10
2.2 Die Pädagogik der Güte
„Die Liebenswürdigkeit Don Boscos ist zweifellos ein charakteristischer Zug seiner pädagogischen
Methode, der sowohl in einem noch christlichen Kontext als auch dort, wo junge Menschen anderer
Religionen leben, auch heute noch seine Gültigkeit hat. Daher darf die Liebenswürdigkeit (amorevo-
lezza) nicht nur auf ein pädagogisches Prinzip beschränkt werden, sondern ist als grundlegendes Ele-
ment unserer Spiritualität anzuerkennen.
In der Tat ist sie eine echte Liebe, da sie aus der Liebe Gottes schöpft. Sie ist eine Liebe, die sich in
der Sprache der Einfachheit, der Herzlichkeit und der Treue ausdrückt. Sie ist eine Liebe, die das Ver-
langen nach Erwiderung hervorruft. Sie ist eine Liebe, die Vertrauen erregt, indem sie den Weg zum
Vertrauen und zu einer tiefgehenden Erwiderung führt (‚die Erziehung ist eine Sache des Herzens’);
sie ist eine Liebe, die sich verbreitet und dadurch ein familiäres Klima schafft, in dem es schön und
förderlich ist, zusammenzustehen.
Für den Erzieher aber ist sie eine Liebe, die starke geistliche Energien erfordert: den Willen, da zu sein
und präsent zu sein, Selbstvergessenheit und Opferbereitschaft, Keuschheit der Gefühle und Selbst-
kontrolle in den Haltungen, ein Hören, das Anteil nimmt, und geduldiges Warten, um die günstigsten
Momente und Handlungsweisen zu erkennen; die Fähigkeit zu verzeihen und den Kontakt wieder auf-
zunehmen; die Sanftmut dessen, der manchmal auch zu verlieren weiß, aber weiterhin mit einer gren-
zenlosen Hoffnung glaubt. Es gibt keine Hoffnung ohne Askese und keine Askese ohne die Begeg-
nung mit Gott im Gebet.
Deshalb ist die Liebenswürdigkeit eine Frucht der pastoralen Liebe. Don Bosco sagte: ‚Worauf ist un-
sere gegenseitige Zuneigung gegründet? Auf dem Verlangen, das ich habe, eure Seelen zu retten, die
durch das kostbare Blut Jesu Christi erkauft sind; und ihr sollt mich lieben, weil ich euch auf den Weg
eures ewigen Heiles führen will. So ist das Heil unserer Seelen das Fundament unserer gegenseitigen
Zuneigung.’11
Die Liebenswürdigkeit wird so zum Zeichen der Gottesliebe und zum Mittel, um diese im Herzen de-
rer wachsen zu lassen, die durch die Güte Don Boscos verbunden sind; sie ist ein Weg zur Verkündi-
gung des Evangeliums.
Daher stammt die Überzeugung, dass die apostolische Spiritualität der Don-Bosco-Familie nicht durch
eine allgemein ausgerichtete Liebe charakterisiert wird, sondern durch die Fähigkeit, zu lieben und
sich liebenswert zu machen.12
2.3 Die Erziehung ist eine Sache des Herzens
Um den berühmten Satz „Die Erziehung ist eine Sache des Herzens und Gott allein ist ihr Herr“13 und
um die Pädagogik der Güte im Präventivsystem zu verstehen, scheint es mir wichtig zu sein, einen der
anerkanntesten Experten des heiligen Erziehers zu hören: „Die Pädagogik Don Boscos zeigt sich in
seinem gesamten Handeln; sein Handeln offenbart seine Persönlichkeit; und Don Bosco in seiner
Ganzheit begegnet uns schließlich am dichtesten in seinem Herzen“.14 Das ist seine Größe und das
Geheimnis seines Erfolgs als Erzieher: Don Bosco hat es verstanden, Autorität und Milde sowie die
Liebe zu Gott und die Liebe zu den Jugendlichen miteinander in Einklang zu bringen.
10 Charta der charismatischen Identität der Don-Bosco-Familie, Rom 2012, Art. 33.
11 GIOVANNI BOSCO, Lettera a don Giuseppe Lazzero e alla comunità degli artigiani di Valdocco, Roma 20
gennaio 1874, in: Epistoloraio, hg. von Francesco Motto, Roma 2003, Bd. IV, S. 208.
12 Charta der charismatischen Identität der Don-Bosco-Familie, Rom 2012, Art. 32.
13 MB XVI, 447. Vgl. GIOVANNI BOSCO, Dei castighi da infliggersi nelle case salesiane, in: P. BRAIDO (Hg.):
Don Bosco educatore. Scritti e testimonianze, Rom 1992, S. 340.
14 P. BRAIDO, Il sistema educativo di Don Bosco, Rom 1999, S. 181.

2 Pages 11-20

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2.1 Page 11

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„Die Liebe Don Boscos zu diesen Jugendlichen bestand in konkreten und geeigneten Gesten. Er inte-
ressierte sich für ihr gesamtes Leben, indem er ihre dringendsten Bedürfnisse erkannte und die verbor-
genen erriet. Wenn man bestätigt, dass sein Herz ganz den Jugendlichen geschenkt war, so heißt das,
dass seine gesamte Person, seine Intelligenz, sein Herz, sein Wille, seine physische Kraft, sein ganzes
Sein darauf ausgerichtet waren, ihnen Gutes zu tun, ihr ganzheitliches Wachstum zu fördern und für
sie das ewige Heil zu ersehnen. Ein Mensch des Herzens zu sein, bedeutete für Don Bosco demnach,
ganz dem Wohl der Jugendlichen geweiht zu sein und ihnen bis zum letzten Atemzug alle seine Kräfte
zu schenken!“15
2.4 Die Bildung zum verantwortungsbewussten Bürger und zum guten Christen
„‚Gute Christen und ehrenhafte Bürger’ heranzubilden, darin ist die Hauptabsicht zusammengefasst,
die Don Bosco immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, um zu benennen, was die Jugendlichen
brauchen, damit sie in Fülle ihre menschliche und christliche Existenz entfalten können: Kleidung,
Nahrung und Wohnung; Arbeit, Studium und Freizeit; Freude und Freundschaft; einen tätigen Glau-
ben, Gottes Gnade und den Weg zur Heiligkeit; Teilhabe, Dynamik, soziale und kirchliche Eingliede-
rung usw. Aufgrund seiner erzieherischen Erfahrung legte Don Bosco ein spezifisches erzieherisches
Projekt und einen besonderen Stil des Handelns nahe. Sie wurden von ihm selbst im Präventivsystem
zusammengefasst, das sich nach seinen eigenen Worten ganz ‚auf Vernunft, Religion und Liebens-
würdigkeit stützt’.“16
Die erzieherische Präsenz im sozialen Bereich umfasst diese Realitäten: die erzieherische Sensibilität,
die Bildungspolitik, die erzieherische Qualität des sozialen Lebens sowie die Kultur.
2.5 Salesianischer Humanismus
„Salesianischer Humanismus bedeutete für Don Bosco, alles Gute, das im Leben der Menschen, in der
geschaffenen Wirklichkeit und in den Ereignissen der Geschichte begründet war, hoch zu schätzen.
Das brachte ihn dazu, die vorhandenen echten Werte in der Welt aufzunehmen, besonders wenn sie für
die Jugendlichen angenehm waren; sich in den Strom der Kultur und der menschlichen Entwicklung
einzugliedern, indem er das Gute förderte und das Schlechte ablehnte; mit Klugheit die Zusammenar-
beit von vielen zu suchen, in der Überzeugung, dass ein jeder gute Anlagen hat, die entdeckt, aner-
kannt und wertgeschätzt werden müssen; an die Kraft der Erziehung zu glauben, welche das Wachsen
der Jugendlichen unterstützt und sie dazu ermutigt, ehrenhafte Bürger und gute Christen zu werden;
sich selbst immer und überall der Vorsehung Gottes anzuvertrauen, den man als Vater ansieht und
liebt.“17
2.6 Präventivsystem und Menschenrechte
Die Kongregation hat keinen anderen Daseinsgrund als das ganzheitliche Heil der Jugendlichen. Wie
Don Bosco in seiner Zeit, so können auch wir nicht Zuschauer sein; wir müssen aktiv Handelnde zu
ihrem Heil sein. Der Rombrief von 1884 ruft uns auch heute auf, den „jungen Menschen ins Zentrum“
zu stellen und dies im tagtäglichen Engagement durch eine jede unserer Gesten und als beständige Le-
bensoption einer jeden unserer Gemeinschaften zum Ausdruck zu bringen. Um des ganzheitlichen
Heils der jungen Menschen willen rufen uns das Evangelium und unser Charisma heute auch dazu auf,
die Wege der Menschenrechte zu begehen. Es handelt sich um einen neuen Weg und eine neue
Sprachweise, die wir nicht vernachlässigen dürfen. Wir dürfen um des Heiles der jungen Menschen
willen nichts unversucht lassen. Einem Kind in die Augen zu schauen, ohne uns zugleich für seine
Rechte stark zu machen, ist uns heute nicht möglich.
15 P. RUFFINATO, Educhiamo con il Cuore di Don Bosco, in: „Note di Pastorale Giovanile“, 6/2007, S. 9.
16 Charta der charismatischen Identität der Don-Bosco-Familie, Rom 2012, Art. 17; darin zitiert: G. BOSCO, Il
sistema preventivo nella educazione della gioventù, in: P. Braido (Hg.), Don Bosco Educatore. Scritti e te-
stimonianze, Rom 1997, S. 248 ff.
17 Charta der charismatischen Identität der Don-Bosco-Familie, Rom 2012, Art. 7.

2.2 Page 12

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Das Präventivsystem und die Menschenrechte ergänzen sich, indem sie einander bereichern. Das Prä-
ventivsystem bietet den Menschenrechten einen einzigartigen erzieherischen Zugang und einen neuen
Respekt vor der Bewegung der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte an. Diese wurde bis-
her charakterisiert durch eine Perspektive der Anzeige „ex post“, d.h. der nachträglichen Anzeige be-
reits begangener Menschrechtsverletzungen. Das Präventivsystem bietet den Menschenrechten die
präventive Erziehung an und damit ein vorausschauendes Handeln und ein Angebot „ex ante“.
Als Glaubende können wir sagen, dass das Präventivsystem den Menschenrechten eine Anthropologie
anbietet, die sich inspirieren lässt von der Spiritualität des Evangeliums und die als Fundament der
Menschenrechte die ontische Gegebenheit der Würde einer jeden Person betrachtet, und zwar „ohne
irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder
sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“ 18
Gleichzeitig bieten die Menschrechte dem Präventivsystem neue Herausforderungen an sowie Gele-
genheiten des Dialogs und der Zusammenarbeit im Netzwerk mit anderen Personen mit dem Ziel, die
Ursachen von Ungerechtigkeit und Gewalt offenzulegen und zu beseitigen. Die Menschenrechte er-
öffnen dem Präventivsystem ferner neue Herausforderungen und Möglichkeiten sozialer und kulturel-
ler Art als wirksame Antwort auf das „heutige Drama des Bruches zwischen Erziehung und Gesell-
schaft, der Distanz zwischen Schule und Gesellschaft“19.
Im neuen globalisierten Kontext werden die Menschenrechte zu einem Instrument, das in der Lage ist,
die engen nationalen Grenzen zu überschreiten, um gemeinsame Grenzen und Zielsetzungen zu schaf-
fen, Bündnisse und Strategien einzugehen und menschliche sowie wirtschaftliche Ressourcen zu mo-
bilisieren.
2.7 Lesempfehlungen
Das Präventivsystem in der Erziehung der Jugend20, der Rombrief21, die Biographien über Dominikus
Savio, Michael Magone und Franziskus Besucco22 sind alles Schriften Don Boscos, die sehr gut so-
wohl seine erzieherische Erfahrung als auch seine pädagogischen Optionen illustrieren. Diese Werke
wurden geschrieben, damit wir die pädagogische und erzieherische Sensibilität unseres geschätzten
Gründers und Vaters kennen lernen können und das verstehen lernen, was ihm im Hinblick auf die
zentrale Bedeutung der Jugendlichen und ihrer aktiven Rolle in der eigenen Bildung oder auf das gute
Klima als nötige Bedingung für den erzieherischen Erfolg am Herzen lag. Die drei Biographien stellen
in dieser Perspektive drei verschiedene Wege dar, die den Ausgangspunkt eines jeden dieser drei Jun-
gen des Oratoriums von Valdocco berücksichtigen und ihnen jeweils entsprechende Angebote ma-
chen. Don Bosco war es wichtig, von der Wirklichkeit eines jeden der Jungen auszugehen und dort
anzufangen, ohne darauf zu warten, ideale Situationen zu haben, indem er bei ihren Werten und den
dahinter stehenden Haltungen ansetzte und auf die zu erreichenden Gipfel verwies.
18 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Art. 2, hier zit. nach:
http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html.
19 Pascual CHÀVEZ VILLANUEVA, Educazione e cittadinanza. Lectio Magistralis per la Laurea Honoris Causa,
Genua, 23. April 2007.
20 Eine Publikation des ISS zu diesem Text Don Boscos aus dem Jahr 1877 ist in Vorbereitung und wird
voraussichtlich 2013 erscheinen.
21 Vgl. hierzu: Reinhard Gesing (Hg.): „Mit der Liebe!“ Der „Rombrief“ Don Boscos und seine Bedeutung für
die Pädagogik und Jugendpastoral heute, München 2009.
22 Diese Schriften wurden jüngst von Aldo Giraudo neu herausgebracht und mit einer sehr lesenswerten
Enführung sowie Anmerkungen versehen: GIOVANNI BOSCO, Vite di Giovani. Le biografie di Domenico Sa-
vio, Michele Magone e Francesco Besucco. Saggio introduttivo e note storiche a cura di Aldo Giraudo, Rom
2012. Leider liegen von diesen drei Schriften keine aktuellen deutschen Übersetzungen sowie
wissenschaftlichen Aufarbeitungen vor. Daher sei verwiesen auf: JOHANNES BOSCO: Mein Schüler
Dominikus Savio, München 1952. Ders.: Magone und Besucco. Zwei Zöglinge im Salesianischen Oratorium
in Turin, München 1925.

2.3 Page 13

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3 Schluss
Diesen Kommentar zum Jahresleitgedanken 2013 möchte ich mit einem Gedicht schließen, das mir
von einem salesianischen Mitbruder aus Indien zugesandt wurde. Es fasst sehr gut all das zusammen,
was die wahre Erziehung ist. Es betrachtet aus der Perspektive eines Kindes das Handeln seiner Mutter
und drückt aus, was ihm durch den Kopf ging und was in seinem Herzen haften blieb, als es das Tun
der Mutter erlebte. Das Lesen dieses Gedichtes hat mir das Zeugnis des kleinen Johannes Bosco über
Mama Margareta in Erinnerung gerufen.
In der Tat hat der in Valdocco praktizierte und heute in der ganzen Welt verbreitete Erziehungsstil sei-
ne Wurzeln in der Kindheit Don Boscos, die geprägt war vom entbehrungsreichen und starken ländli-
chen Leben in Becchi und besonders von den Personen, die an seiner Seite lebten. Don Bosco pflegte
zu sagen: „Man fragt mich, wie ich die Jungen erziehe. Ich ziehe sie groß, wie meine Mutter uns in der
Familie großgezogen hat. Mehr weiß ich nicht.“
Mama Margareta war die erste und große Erzieherin Don Boscos. Nachdem sie ihren Mann verloren
hatte, verstand sie es, ihren Söhnen die fordernde Liebe eines Vaters und die milde und unentgeltliche
Liebe einer Mutter zu geben. Von ihr lernte Don Bosco jene Werte und Grundhaltungen, die er später
selbst im Umgang mit seinen Jungen praktizierte. Im Verlauf der Jahre hinterließ er sie den Salesia-
nern, und so wurden sie die Basis seiner Pädagogik:
Eine aktive Präsenz. Die salesianische Assistenz ist keine bloße Beaufsichtigung. Sie ist eine
Präsenz, die den jungen Menschen spüren lässt, dass er geliebt wird; die mit ihm die Freude
teilt, zusammen zu arbeiten und zu wachsen, wobei ihm die Rolle der Hauptperson zukommt.
Die Wertschätzung der täglichen Arbeit. Als Lehre aus seiner eigenen Erfahrung der
Landarbeit auf den Feldern von Becchi und auf dem Hofe der Moglias sagte Don Bosco gern
zu seinen Jungen: „Ein fauler Junge wird immer ein Esel sein.“ – „Wer sich nicht in der Zeit
der Jugend an die Arbeit gewöhnt, wird bis ins Alter ein Faulpelz sein.“ In Valdocco war die
Faulheit stigmatisiert, und die Arbeit wechselte sich mit Gebet, Spiel und Lernen ab.
Der Sinn für Gott. Mama Margareta war für den kleinen Johannes auch eine Katechetin: Sie
bereitete ihn auf das Sakrament der Beichte und auf die Erstkommunion vor. Vor allem lehrte
sie ihn, in der Schöpfung, im Alltag, in den schönen und in den traurigen Lebensereignissen
die Gegenwart Gottes zu sehen. Indem er ihre Großherzigkeit mit den Armen und
Bedürftigsten beobachtete, reifte in dem späteren Priester eine Frömmigkeit heran, die in der
Lage war, sich im entsprechenden Moment in konkrete, schlichte und echte Nächstenliebe
umzuwandeln.
Die Vernunft als Synonym für den Dialog. Die bäuerliche Weisheit gab dem Begriff „lasst
uns überlegen“ („ragioniamo“) verschiedene Bedeutungen. Er wurde gebraucht für:
miteinander reden, sich verständlich machen, zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen,
ohne dass einer den eigenen Gesichtspunkt aufdrängen wollte. Don Bosco machte in der
Folgezeit aus dem Begriff „Vernunft“ („ragione“) eine der tragenden Säulen seiner
Erziehungsmethode. Aus dieser Perspektive ist der Dialog zwischen Dominikus Savio und
Don Bosco ein echter und eigener Erziehungsvertrag, der den jungen Heiligen zu einer
Verpflichtung führte: „Also ich bin der Stoff, und Sie sind der Schneider. Nehmen Sie mich
also und machen Sie aus mir ein schönes Kleid für den Herrn“.
Im Licht dieser Erinnerungen wird das vorgestellte Gedicht zu einer Botschaft für jeden erwachsenen
Erzieher, der sich seiner Aufgabe bewusst ist, weil die Kinder und Jugendlichen das beobachten und
tun, was man selber tut, und nicht das, was man sagt.

2.4 Page 14

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Wenn du meintest, ich würde nicht schauen
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich, dass du mein erstes Bild an den Kühlschrank hängtest,
und ich wollte sofort ein weiteres malen.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich, dass du eine streunende Katze füttertest,
und ich lernte, dass es gut ist, mit Tieren liebevoll umzugehen.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich, dass du mir meinen Lieblingskuchen backtest,
und ich lernte, dass kleine Dinge im Leben etwas Besonderes sein können.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich, dass du etwas zu essen machtest
und es einem kranken Freund brachtest,
und ich lernte, dass wir alle einander helfen und füreinander sorgen müssen.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich, dass du dich um unser Haus kümmertest
und um alle, die darin wohnten,
und ich lernte, dass wir auf das achten müssen, was uns geschenkt ist.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich, dass du dich verantwortlich fühltest,
sogar wenn du krank warst,
und ich lernte, dass auch ich Verantwortung zu tragen habe, wenn ich erwachsen bin.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich Tränen in deinen Augen
und ich lernte, dass manche Dinge verletzen
und dass es erlaubt ist zu weinen.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
sah ich, dass du dich um mich sorgst,
und ich wollte werden, was ich sein kann.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
lernte ich die meisten Lektionen des Lebens, die ich brauche,
um als Erwachsener ein guter und fruchtbarer Mensch zu sein.
Wenn du meintest, ich würde nicht schauen,
schaute ich auf dich und wollte dir sagen:
„Danke für alle Dinge, die ich sah, wenn du meintest, ich würde nicht schauen!“
Jeder von uns (Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten, Lehrer, Freunde) beeinflusst das Leben
junger Menschen.

2.5 Page 15

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Es ist sehr wichtig zu wissen, wie wir heute das Leben eines anderen Menschen berühren
können.
Leben wir einfach.
Lieben wir großzügig.
Kümmern wir uns auf ernsthafte Weise.
Sprechen wir freundlich.
Rom, den 31. Dezember 2012/1. Januar 2013
Don Pascual Chávez V., SDB
Generaloberer