Botschaft an die Jugend 2008

BOTSCHAFT

DES GENERALOBEREN AN DIE JUGEND

2008





Liebe junge Freunde,


bei der Seligsprechung von Zephyrin Namuncurá im Herzen Patagoniens gingen meine Gedanken auch an euch alle. Mitten unter den fröhlichen Gesichtern der jungen Menschen aus Argentinien, Chile, Uruguay und Brasilien sah ich bei den Farben dieses unvergessliches Tages auch eure Gesichter und hörte bei den Liedern eure Stimmen. Auch ihr alle wart, zusammen mit Zephyrin, in meinen Gedanken und in meinem Herzen. Es schien mir, als habe das Oratorium seine Grenzen bis weit über alle Meere ausgedehnt und umfasse nun die jungen Menschen in aller Welt. Eine große Menge mit unterschiedlichen Sprachen und aus verschiedenen Kulturen, aber geleitet von einem einzigen Vater Don Bosco und von drei jungen Heiligen: Zephyrin, Laura und Dominikus. Welch ein großartiger Anblick!


In Chimpay, dem Geburtsort Zephyrins habe ich Gott gedankt für diese reifen Früchte des Präventivsystems, dessen erzieherischer Weg ja zur Heiligkeit führt. Wenn ein Baum nach seinen Früchten beurteilt werden kann, dann bedeutet dies, dass dieser Baum gut und stark ist. Danken wir also gemeinsam dem Herrn für diesen Schatz, den er uns in der Pädagogik Don Boscos geschenkt hat. Mein Leitgedanke für die Don Bosco-Familie in diesem Jahr, den ich hiermit auch euch vorschlage, will dazu einladen, diesen Schatz für wichtig zu nehmen, und alle erneut auffordern: Erziehen wir mit dem Herzen Don Boscos! Begleiten wir die Jugendlichen, besonders die ärmsten und am meisten benachteiligten, bei der ganzheitlichen Entfaltung des Lebens. Fördern wir ihre Rechte.“


Meine lieben jungen Freunde, ihr hat in eurem Leben viele große Geschenke bekommen: Vor allem eine Familie, in der ihr aufgewachsen seid und in der ihr die Liebe und die Unterstützung eurer Eltern erfahren habt. Dort wurdet ihr beschützt, begleitet und geliebt. Heute habt ihr Freunde, mit denen ihr euch austauschen und eure Liebe teilen könnt. Nutzt die vielfältigen Gelegenheiten zu der Ausbildung, die es euch erlaubt, einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft schauen zu können. Ihr habt auch den Vorteil, dass ihr Don Bosco kennt, und den Reichtum seines Angebots für ein christliches Leben und für jugendgemäße Heiligkeit. Alle diese Geschenke Gottes sind ein Schatz, der euch anvertraut worden ist: ein Schatz, den man hüten muss, ein Schatz, den es zu vergrößern gilt und den man dadurch, dass man ihn in der Erziehung einsetzt, für andere fruchtbringend verwenden soll.

Das ist eure erste und wichtigste Verantwortung: Nehmt euer Leben in eure Herzen und Hände, damit ihr selbst Menschen werden könnt, die das verwirklichen, was Gott mit euch plant und für euch will, nämlich Gotteskinder zu werden, seine geliebten Töchter und Söhne. Das ist ein Ziel, das man durchaus erreichen kann. Junge Menschen wie Zephyrin, Laura und Dominikus beweisen uns das. Und das geschieht ja auch bereits in eurem Leben. Ihr stellt euch aus eigener Entscheidung und freudig auf seine Seite und zeigt dies durch euer Engagement; der Heilige Geist seinerseits formt eure Herzen und euer Leben und macht aus euch eine neue Schöpfung nach dem Bild Gottes.


Es stimmt zwar, dass sich die sozialen und kulturellen Probleme unserer heutigen Zeit auch in eurem Leben bemerkbar machen – wie das damals auch bei Zephyrin der Fall war. Es ist völlig normal, dass ihr die Auswirkungen davon besonders zu spüren bekommt. Von allen Seiten hört ihr Stimmen, die euch Lebensmodelle vorschlagen, die geprägt sind von einer hemmungslosen Freiheit ohne alle Grenzen, von Arroganz und Rücksichtslosigkeit, und von Erfolgsdenken um jeden Preis. Habt den Mut, gegen den Strom zu schwimmen, sagte der Papst der italienischen Jugend in Loreto!

Unsere Zeit ist gekennzeichnet ist durch einen gewissen Nihilismus, der dazu einlädt, sich alles möglichst bequem zu machen und sich passiv den Gegebenheiten anzupassen; ihr habt in dieser Zeit eine schwierige, aber begeisternde Aufgabe, nämlich euch nicht nur diesem Trend zu widersetzen und authentische Menschen zu sein, sondern darüber hinaus auch euren Gefährten und Kameraden zu helfen, das Leben zu lieben und sich daran zu freuen, den Alltagstrott durch das Engagement und unentgeltlichen Dienst an anderen mit Sinn zu erfüllen. Ihr könnt dazu beitragen, die Kultur der Indifferenz und des Todes dadurch zu überwinden, indem ihr durch euer gelebtes Zeugnis ein Lebensprojekt vorstellt, das geprägt ist durch das Zusammensein mit anderen und von der Achtung vor dem anderen, von Dienstbereitschaft und Solidarität, von der Freude am Leben und von einer positiven Einstellung zum Menschen, zur Menschheit und zur Gesellschaft. All dies gehörte zum Gesamt der Werte, die für Don Bosco in seiner Erziehungskunst und in seiner Spiritualität ganz wichtig waren.

Deshalb ist es heute mehr denn je zuvor wichtig, die gesellschaftliche Dimension der Erziehung neu zu beleben. Konkret bedeutet das, dass im Alltag eures Lebens in der Familie, bei der Arbeit und im Studium, in Freundschaften und im Zusammenleben überhaupt neue und alternative Lebensformen geschaffen werden müssen, sozusagen „ansteckende Keimzellen“, die so nach und nach das gesamte „gesellschaftliche Gewebe“ umformen. Meine Lieben, ist das nicht eine großartige Aufgabe, für „neues Leben“ zu sorgen, das ganz ausgerichtet ist auf herzliche Offenheit allen Mitmenschen gegenüber, auf bedingungslose Achtung vor ihrer Menschenwürde, auf unentgeltlichen und großzügigen Dienst an ihnen, auf eine Einstellung zum Leben als einem Geschenk, das man miteinander teilen und für das man sich einsetzen muss? Wisst ihr darum? Das ist nämlich der Traum Gottes! Und wir können ihm dabei helfen, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen!


Das, liebe junge Freunde, ist der Weg, wie wir in und aus der Hoffnung leben können: Eine Hoffnung, die sich solidarisch mit den anderen und für sie mitverantwortlich fühlt, die sich im Hier und Jetzt engagiert und sich nicht darin fesseln und einschließen lässt; eine Hoffnung, die darum weiß, dass kein Schritt nach vorn ohne das Kreuz möglich ist, und die sich dieses Kreuz darum freudigen und mutigen Herzens auflädt: „Mit dem anderen und für ihn leiden; leiden aus Liebe zur Wahrheit und zur Gerechtigkeit; leiden um der Liebe willen, und um ein Mensch zu werden, der wirklich liebt – das sind Grundelemente des Menschseins, und wenn man diese aufgibt, zerstört man den Menschen selbst“, sagt uns Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika über die Hoffnung (Nr. 39). Liebe Jugendliche, widersteht also der Versuchung zu Oberflächlichkeit und Individualismus, lasst euch nicht durch leere Zukunftsversprechungen täuschen. Lasst den Frühling eures Herzens nicht im Winter eurer Seele eingefroren bleiben.


Mit der Botschaft meines Leitgedankens will ich euch Mut machen, diese Aufgabe mit dem Herzen Don Boscos anzugehen. Die Liebe Don Boscos zur Jugend bewies sich in konkreten und genau auf sie zugeschnittenen Taten. Er erkannte, was sie wirklich und dringend brauchten, und er hatte ein Gespür dafür, was sie im Inneren ersehnten, auch wenn sie es nicht sagten oder nicht sagen konnten. Er interessierte sich für alles in ihrem Leben. Alles in ihm, sein Verstand, sein Herz, sein Wollen und Können, ja, sein ganzes Wesen und Sein war ausgerichtet auf ihr Wohl. Mit derselben Leidenschaft sorgte er für ihr ganzheitliches Wachsen und Reifen, und zugleich ersehnte er für sie ihr ewiges Heil. Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum so viele junge Menschen in aller Welt Don Bosco so lieben und verehren? Sie haben erkannt, dass sein ganzes Sinnen und sein ganzes Herz auf das Heil seiner Jungen ausgerichtet war. Sie haben begriffen, dass er alles, bis zu seinem letzten Atemzug, für ihr Wohl und ihr Glücklichsein geben wollte. Diese Liebe der jungen Menschen, damals wie heute, das kann ich euch bezeugen, ist ihre Antwort auf die grenzenlose Liebe dieses wunderbaren Vaters und Lehrers.


Wir müssen feststellen, dass es heute viele junge Menschen gibt – eure Kameraden oder Kollegen –, die es dringend nötig haben, auf diese besondere Weise geliebt zu werden. Viele von ihnen haben in ihrem Leben nie das geschenkt bekommen, nie die Gelegenheiten gehabt wie ihr. Und sie brauchen Don Bosco, müssen ihn ganz lebendig und nahe spüren. Ihr seid dazu aufgerufen, für sie Don Bosco zu sein.


Zephyrin kann dabei für Euch Modell und Ansporn sein. Er hat einmal etwas gesagt, das sein ganzes Lebensprogramm enthält: „Ich will lernen, damit ich meinem Volk nutzen kann. Tatsächlich, Zephyrin wollte lernen und studieren, Priester werden und zu seinen Leuten zurück gehen, um dann seinen Beitrag zu leisten für das kulturelle und geistliche Wachsen seines Volks, so wie er es bei den ersten Salesianermissionaren gesehen hatte. Seid ihr dazu bereit, wie er, euch dafür fähig zu machen, den vielen jungen Menschen zu helfen, die nach dem Sinn ihres Lebens suchen? Seid ihr bereit und in der Lage, für sie Don Bosco zu sein, mit seinem Herzen und mit derselben Hingabe wie er, um ihnen bei ihrem menschlichen und christlichen Wachsen zu helfen? Ich versichere euch, bei diesem Engagement werdet ihr ein ganz tiefes Glück spüren!


Ich will euch für dieses Engagement ein besonderes Einsatzfeld aufzeigen: die Erziehung und der Schutz der Menschenrechte, besonders der Rechte Minderjähriger. Darüber wird heute viel geredet, und sie werden oft proklamiert und zitiert. Zugleich aber wird häufig deutlich, dass diese Rechte missachtet werden, vor allem, wenn es um die Rechte der am meisten Benachteiligten geht, der Ärmsten, der Schutzlosen. Oft genug seid ihr selbst Zeugen davon: In der Schule oder unter Kameraden werden die Schwächsten ausgenutzt; in der Arbeitswelt werden die Jüngsten skrupellos ausgebeutet; noch schlechter ist die Situation vieler Minderjähriger, die schutzlos von gesellschaftlichen oder politischen Gruppen für deren Interessen oder um wirtschaftlicher Vorteile willen ausgenutzt werden. Die Achtung vor den Menschenrechten und ihr Schutz, besonders die Achtung der Rechte Minderjähriger ist unser aller persönliche Verantwortung: in unserem direkten Umfeld und in unserem Alltag.

Das Erziehungssystem Don Boscos ist ein wertvolles Instrument für die Anerkennung und den Schutz der Menschenrechte. In ihm lernen wir, jeden jungen Menschen als verantwortlich und als Hauptperson für sein Leben und für seine Erziehung zu sehen und zu achten. Wir sehen ihn als „Schützling“, verstehen seine besonderen Bedürfnisse und helfen ihm so, sich seiner Rechte bewusst zu werden und Verantwortung dafür zu übernehmen. Genau das meinen wir, wenn wir davon sprechen, die jungen Menschen mit den Augen Don Boscos sehen und sie mit seinem Herzen zu lieben. Das bedeutet nämlich, an den absoluten Wert ihrer Person zu glauben und in jedem von ihnen ihre Würde als Sohn oder Tochter Gottes zu sehen; es bedeutet, an ihren Willen zum Lernen zu glauben, an ihren Willen, aus der Armut herauszukommen und ihre Zukunft in ihre eigenen Hände zu nehmen.


Macht eure Augen auf, liebe Jugendliche! Schaut, wie viele Jungen und Mädchen, Jugendliche und junge Erwachsene es auf euren Straßen und in euren Stadtvierteln gibt, in den Schulen und Fabriken, die nach einer besseren Lebensqualität suchen, die einfach akzeptiert sein möchten ohne Angst haben zu müssen, die sich um eine Arbeitsmöglichkeit oder um Platz an einer Schule bemühen. Schaut hin, schaut mit den Augen Don Boscos und öffnet eure Herzen für sie. Versucht, euch in sie hineinzuversetzen, tut etwas für ihre Erziehung, oder bietet ihnen Hilfe und Schutz vor denen, die ihre Rechte mit Füßen treten. Ihr könnt viel tun! Arbeitet also mit all eurer Kraft und mit all euren Möglichkeiten mit, damit auch sie die Chance bekommen, aktive Mitbürger zu werden und in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen.


Wenn wir auf der Seite dieser jungen Menschen stehen wollen, dann müssen wir uns dafür engagieren, an einer neuen Menschheit, einer neuen Gesellschaft mitzubauen, die auf der Grundlage einer echten Kultur der Menschenrechte beruht. Wir müssen lernen, mit anderen zu sprechen und sie zu überzeugen, und letzten Endes dahin kommen, dass Verletzungen dieser Rechte vorgebeugt wird und sie nicht bloß bestraft und verboten werden. Wir müssen aktiv und kritisch Verantwortung übernehmen und zugleich solidarisch und im Verbund mit anderen zusammen vorgehen, unsere Ängstlichkeit, unsere Hemmungen und unseren egoistischen Individualismus überwinden, denn die schließen uns bloß ein in die Kleinkariertheit unserer Privatinteressen und unseres Eigenvorteils.


Liebe junge Freunde, mit dem Herzen Don Boscos erziehen ist eine schöne Aufgabe, und diese Aufgabe ist auch euch anvertraut. Habt Mut, ihr seid nicht allein auf diesem Weg der Hoffnung! Don Bosco geht mit euch, und mit ihm auch Mutter Mazzarello und die jungen Heiligen Zephyrin, Dominikus und Laura. Sie sind Lichter auf unserem Weg; aber heller noch leuchtet für uns Maria, der Stern der Hoffnung. Durch sie ist die Hoffnung von Jahrtausenden Wirklichkeit geworden und in diese unsere Welt und in die Geschichte eingetreten. Maria, du hast geglaubt und geliebt, selbst in der Finsternis des Karsamstag, bleibe bei uns, geh mit uns als Mutter und als Lehrerin der Hoffnung.


Heilige Jungfrau, dir vertraue ich alle jungen Menschen auf der Welt an, und ganz besonders die ärmsten unter ihnen, die bedürftigen, und die gefährdet sind. Führe sie auf ihrem Weg zum Wachsen und Reifen als Menschen, und mach sie zu mutigen Zeugen für Christus in unserer Zeit. Gewähre ihnen, du gute Mutter, dass sie solidarisch leben, dass sie mit wachen Sinnen für die Gerechtigkeit arbeiten und zunehmen an Brüderlichkeit.

Und hilf, dass die Kirche und die Don Bosco-Familie nach dem Evangelium der Liebe leben, damit die jungen Menschen in ihnen das Gesicht deines Sohnes Jesus sehen und erkennen.



Panamà, am 31.01. 2008


Don Pascual Chávez Villanueva, SDB

Generaloberer