Verantwortung und die Freiheit des Menschen sehr ernst nimmt. Aber auch hier ist das
letzte Wort nicht eine Drohung, sondern gibt der Hoffnung Raum: „Der Stein, den die
Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden“ (12, 10). Dieses Zitat gehört nicht
mehr zum Gleichnis, sondern ist ein Kommentar, den Jesus oder die Gemeinde anfügt. Es
spielt deutlich auf die Auferstehung und auf Gottes Treue an: Das letzte Wort in der
Geschichte Jesu ist nicht die Zurückweisung, die er erfahren musste, sondern das Eingreifen
Gottes, der mit seinem Propheten solidarisch ist. Und so wird gerade das, was die Menschen
verworfen haben, zum Werkzeug des Heils. Gott wählt das, was die Menschen verwerfen.
Das ist nich so leicht, gewiss, denn dann muss man gegen den Strom schwimmen. Hören wir
einmal, was der hl. Franz von Sales vor rund 500 Jahren in seiner Philothea, der Einführung in
das gottgeweihte Leben (IV, 1) schrieb:
„Sobald die Leute merken, dass du dich für das gottgeweihte Leben entschieden hast, wird
auf dich ein Hagel von tausend Pfeilen des Mitleids und ebenso vielen Blitzen mit schlimmer
und übler Nachrede heruntergehen. Die Wütendsten werden deinen Wandel Scheinheiligkeit
nennen, bigotte Frömmelei, Verrat; sie werden sagen, die Welt habe dich enttäuscht, und
jetzt tröstest du dich mit Gott. Deine Freunde werden sich eifrigst bemühen, dich mit
Vorwürfen zu überschütten, die natürlich, wie sie meinen, sehr klug und liebevoll gemeint sind.
Bereits jetzt wissen sie, dass du das bedauern wirst, an Glaubwürdigkeit vor den Leuten
verlierst, unerträglich wirst, vorzeitig alterst, und bei dir daheim geht alles drunter und
drüber. Sie werden dich daran erinnern, dass man in der Welt und getreu ihren Regeln leben
muss, dass man auch ohne große Geschichten seine Seele retten kann, und ähnliches dummes
Zeug.
Glaub mir, Philothea, das ist alles nur dummes und unnützes Geschwätz. Diese braven Leute
sind nicht im geringsten an deiner Gesundheit oder an deinen Angelegenheiten interessiert.
Der Erlöser sagt: „Wenn ihr von der Welt wäret, dann würde euch die Welt als Teil von sich
lieben; aber weil ihr nicht zur Welt gehört, hasst sie euch“. Ich habe gesehen, wie adelige
Männer und Frauen mehrere Nächte hintereinander mit Kartenspiel und Schach verbracht
haben. Gibt es etwas, das noch leerer, öder geisttötender ist als das? Aber die braven Leute
verlieren darüber kein Wort, und die Freunde sind darüber nicht im geringsten besorgt. Wenn
wir aber eine Stunde Betrachtung halten, oder wenn sie sehen, dass wir morgens etwas
früher als üblich aufstehen, um uns auf die Kommunion vorzubereiten, dann rennen sie alle
zum Arzt, damit der uns von Angstzuständen oder Gelbsucht heilt. Tanze einmal dreißig
Nächte durch, und niemand wird das lächerlich finden. Aber an Weihnachten, nach dem
Mitternachtsgottesdienst, hat ein Haufen Leute Husten oder Bauchweh“.
So etwas passiert nicht nur Menschen, die sich Gott weihen, wie ein Offener Brief an den
Schriftleiter in einer Zeitung vom 10. Juni 1882 zeigt:
„Sehr geehrter Herr Schriftleiter der La Provincia di Brescia. In Nr. 188 Ihrer Zeitung lese
ich folgendes: ,Rechtsanwalt Tovini steht für die klerikale Sekte in all ihrer
Vaterlandsfeindlichkeit und ihrer ganzen anti-italienischen Einstellung. Er ist die Speerspitze
der bischöflichen Kurie, die wir bereits in den Händen der Horden trüber Agitatoren gesehen
haben, die fanatisiert gegen die Behörden und gegen die Unversehrheit des Vaterlandes zu
Felde ziehen´.
Auf diese Anklagen, ich sei anti-patriotisch und anti-italienisch, gibt mein privates und
öffentliches Leben die Antwort. Ich bin nicht der Meinung einiger, die behaupten, heute