Botschaft von Papst Franziskus
zu suchen und zu treffen ... Oder dass wir ihm aufmachen, wenn er von
innen klopft. Es war eine Bekehrung, die sein ganzes Leben einschloss
(und verkomplizierte) und auch das der ihm Nahestehenden. Don Bosco
entschied sich nicht, sich von der Welt abzutrennen, um die Heiligkeit zu
suchen, sondern er ließ sich in Frage stellen und entschied, wie und in
welcher Welt er leben wollte.
Er entschied sich, die Welt der verlassenen Kinder und Jugendlichen,
die ohne Arbeit und Ausbildung waren, anzunehmen. Das erlaubte ih-
nen, die Vaterschaft Gottes spürbar zu erfahren, und gab ihnen Mittel,
ihr Leben und ihre Geschichte im Licht einer bedingungslosen Liebe zu
deuten. Sie halfen ihrerseits der Kirche, der ihr eigenen Sendung erneut
zu begegnen: „Ein Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein
geworden“ (Ps 118,22). Weit davon entfernt, passiv Handelnde oder Zu-
schauer des Sendungswerkes zu sein, wurden diese, ausgehend von
ihrer eigenen Situation – in vielen Fällen „ungebildete Ordensmänner“
und „soziale Analphabeten“ – die Hauptdarsteller des gesamten Grün-
dungsprozesses.47 Die Salesianität entstand genau aus diesem Aufein-
andertreffen und vermochte Prophetie und Visionen hervorzurufen: Sie
ließ die besten Qualitäten als Geschenk für die anderen empfangen,
ergänzen und wachsen, besonders für die ausgeschlossenen und ver-
lassenen Jugendlichen, von denen nichts erwartet wurde. Papst Paul
VI. drückte es so aus: „Die Kirche, Trägerin der Evangelisierung, beginnt
damit, sich selbst zu evangelisieren. [...] [Das bedeutet, dass sie immer
wieder evangelisiert werden muss,] wenn sie ihre Lebendigkeit, ihren
Schwung und ihre Stärke bewahren will, um das Evangelium zu verkün-
den“ (Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 15). Jedes Charisma
47 Dank der Hilfe des weisen Don Cafasso entdeckte Don Bosco, wer er in den Augen
der jungen Gefangenen war; und diese jungen Gefangenen entdeckten ein neues
Gesicht im Blick Don Boscos. So entdeckten sie gemeinsam den Traum Gottes, der
solche Begegnungen braucht, um sich zu zeigen. Don Bosco entdeckte seine Sen-
dung nicht vor einem Spiegel, sondern in dem Schmerz, junge Menschen zu sehen,
die keine Zukunft hatten. Der Salesianer des 21. Jahrhunderts wird seine eigene
Identität nicht entdecken, wenn er nicht fähig ist, mitzuleiden mit den „Scharen von
Jugendlichen […], alle gesund, robust und mit wachem Verstand; [aber gepeinigt im
Gefängnis und] nach geistlicher und zeitlicher Nahrung darbend […]. Die Schande
ihrer Heimat, die Unehre ihrer Familien […] waren in diesen Unglücklichen geradezu
personifiziert“ (Erinnerungen an das Oratorium des Heiligen Franz von Sales, Mün-
chen 2001, S. 136f.). Und wir könnten hinzufügen: die Schande unserer Kirche selbst.
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