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Der Prophet empfängt von Gott die Fähigkeit, die Geschichte, in der er lebt, zu beobachten und
die Ereignisse zu deuten: Er ist wie ein Wächter, der in der Nacht wacht und weiß, wann der
Morgen kommt (vgl. Jes 21,11-12). Er kennt Gott, und er kennt die Menschen, seine Brüder und
Schwestern. Er ist fähig, zu unterscheiden und das Übel der Sünde und die Ungerechtigkeiten
öffentlich anzuklagen, weil er frei ist, weil er sich keinem anderen Herrn verantworten muss außer
Gott, keine anderen Interessen hat als die Gottes. Der Prophet steht gewöhnlich auf der Seite der
Armen und Wehrlosen, weil er weiß, dass Gott selbst auf ihrer Seite steht.
Ich erwarte mir also nicht, dass ihr „Utopien“ am Leben erhaltet, sondern dass ihr „andere Orte“ zu
schaffen versteht, wo die Logik des Evangeliums gelebt wird, die Logik der Hingabe, der
Brüderlichkeit, der Annahme der Verschiedenheit, der gegenseitigen Liebe. Klöster,
Gemeinschaften, Spiritualitätszentren, Zitadellen [d. h. Dorfgemeinschaften einer religiösen
Bewegung, (Anm. d. Übers.)], Schulen, Krankenhäuser, Häuser zur Aufnahme von Familien und
all jene Orte, die dank der Nächstenliebe und der charismatischen Kreativität entstanden sind und
künftig durch weitere Kreativität entstehen werden, müssen immer mehr zum Sauerteig für eine
Gesellschaft werden, die sich am Evangelium inspiriert, zur „Stadt auf dem Berg“, welche die
Wahrheit und die Kraft der Worte Jesu ausdrückt.
Wie bei Elija und Jona kann mitunter die Versuchung kommen, zu fliehen, sich der Aufgabe eines
Propheten zu entziehen, weil sie zu viel verlangt, weil man müde ist, enttäuscht von den
Ergebnissen. Doch der Prophet weiß, dass er nie allein ist. Wie dem Jeremia versichert Gott auch
uns: » Fürchte dich nicht … denn ich bin mit dir, um dich zu retten « (Jer 1,8).
3. Die Ordensmänner und Ordensfrauen, so wie alle anderen geweihten Personen, sind berufen,
„Experten der Communio“ zu sein. Ich erwarte daher, dass die „Spiritualität der Gemeinschaft“, auf
die der heilige Johannes Paul II. hingewiesen hat, Wirklichkeit wird und dass ihr in vorderster Linie
steht, um » die große Herausforderung « zu ergreifen, die in diesem neuen Jahrtausend vor uns
liegt: » die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft [zu] machen «[5]. Ich bin mir
sicher, dass ihr in diesem Jahr ernsthaft arbeiten werdet, damit das Ideal der Geschwisterlichkeit,
das die Gründer und Gründerinnen verfolgt haben, auf den verschiedensten Ebenen wie in
konzentrischen Kreisen wächst.
Das gemeinschaftliche Miteinander wird zunächst innerhalb der jeweiligen Hausgemeinschaften
des Instituts praktiziert. Diesbezüglich lade ich euch ein, meine häufigen Bemerkungen zu diesem
Thema zu lesen, in denen ich nicht müde werde zu wiederholen, dass Kritiksucht, Tratsch, Neid,
Eifersucht, Antagonismen Haltungen sind, die in euren Häusern nichts verloren haben. Unter
dieser Voraussetzung aber ist der Weg der Nächstenliebe, der sich vor uns auftut, gleichsam
unendlich, denn es geht darum, nach gegenseitiger Annahme und Aufmerksamkeit zu streben, die
Gemeinschaft der materiellen und geistlichen Güter, die correctio fraterna, den Respekt
gegenüber den Schwächsten zu praktizieren … Es ist » die „Mystik“ […], die darin liegt,
zusammen zu leben « und die aus unserem Leben eine »heilige Wallfahrt«[6] macht. Wir müssen