Enzyklika Redemptor hominis habe ich daran erinnert, daß “Jesus Christus der
Hauptweg der Kirche (ist); und dieser Weg führt von Christus zum Menschen”.
(17)
Bezeichnend ist die Feststellung, daß bereits vor über 100 Jahren Don Bosco den
menschlichen Aspekt des Subjektes und seiner geschichtlichen Lage große
Bedeutung beimaß: seiner Freiheit, seiner Vorbereitung auf das Leben und einen Beruf,
seiner Übernahme von bürgerlicher Verantwortung, und zwar in einem Klima der
Freude und des hochherzigen Einsatzes für den Nächsten. Er drückte diese Ziele mit
knappen und einfachen Worten aus, wie Freude, Studium, Frömmigkeit, Weisheit,
Arbeit und Menschlichkeit. Sein erzieherisches Ideal ist von Mäßigung und
Realismus gekennzeichnet. In seinem pädagogischen Entwurf stellen wir eine gut
gelungene Einheit zwischen dem Festhalten am Wesentlichen und dem Wandelbaren
des Geschichtlichen fest, zwischen dem Traditionellen und dem Neuen. Der Heilige
stellt den Jugendlichen ein einfaches und zugleich anspruchsvolles Programm vor
Augen, das in einer glücklichen und einprägsamen Formel zusammengefaßt ist:
ehrenhafter Bürger, weil guter Christ.
Zusammenfassend weist die Vernunft, an die Don Bosco als ein Geschenk Gottes und
eine unerläßliche Aufgabe des Erziehers glaubt, auf die Werte des Guten sowie auf die
anzustrebenden Ziele hin, dazu auf die Mittel und Weisen, die anzuwenden sind.
Diese Vernunft lädt die Jugendlichen zu einem Verhältnis der Beteiligung an den
verstandenen und übernommenen Werten ein. Er definiert sie auch als Vernünftigkeit
und weist damit auf den notwendigen Raum für Verständnis, Dialog und
unwandelbare Geduld hin, in dem die nicht leichte Anwendung des Vernunftgemäßen
stattfindet.
All dieses setzt heute gewiß die Kenntnis einer der Zeit entsprechenden und integralen
Anthropologie voraus, die frei ist von ideologischen Verkürzungen. Der moderne
Erzieher muß aufmerksam die Zeichen der Zeit zu lesen verstehen, um die
heraufkommenden Werte zu erkennen, die Jugendliche anziehen: Frieden, Freiheit,
Gerechtigkeit, Gemeinschaft und Beteiligung, Förderung der Frau, Solidarität,
Entwicklung und die dringenden ökologischen Notwendigkeiten.
11. Der zweite Begriff „Religion" zeigt an, daß die Pädagogik Don Boscos grundlegend
transzendent ist, insofern das letzte erzieherische Ziel, das er sich vorstellt, die
Bildung des Gläubigen ist. Für ihn ist der gebildete und reife Mensch der Bürger,
der glaubt, der in den Mittelpunkt seines Lebens das Ideal des neuen Menschen
stellt, den Jesus Christus verkündet hat, und der ein mutiger Zeuge für seine eigenen
religiösen Überzeugungen ist.
Man sieht, es handelt sich nicht um eine spekulative und abstrakte Religion, sondern
um einen lebendigen Glauben, der in der Wirklichkeit verwurzelt ist, Präsenz und
Gemeinschaft übt, der auf die Gnade hört und für sie gelehrig ist. Wie er zu sagen
liebte, „sind die Säulen des Erziehungsgebäudes” (18) die Eucharistie, die Buße, die
Marienverehrung, endlich die Liebe zur Kirche und ihren Hirten.
Seine Erziehung ist ein Weg des Gebetes und der Liturgie, des sakramentalen Lebens
und der Seelenführung: für einige auch Antwort auf die Berufung zu einer besonderen
Weihe an Gott (wieviele Priester und Ordensleute gingen aus den Häusern des Heiligen
hervor!); für alle der Weg zum Erreichen der Heiligkeit. Don Bosco ist der eifrige Priester,
der stets alles, was er empfängt, lebt und schenkt, auf das Fundament der Offenbarung
bezieht.
Dieser Aspekt der religiösen Transzendenz, die tragende Säule der Erziehungsmethode
Don Boscos, läßt sich nicht nur auf alle Kulturen anwenden, er ist fruchtbar auch auf
die nichtchristlichen Religionen anwendbar.
12. Endlich die Liebenswürdigkeit vom methodischen Standpunkt aus betrachet.
Es geht um eine tägliche Haltung, die nicht einfach menschliche Liebe und auch
nicht nur übernatürliche Liebe ist, sondern eine komplexe Realität ausdrückt und
Verfügbarkeit, gesunde Grundsätze und entsprechende Verhaltensweisen
einschließt.
Die Liebenswürdigkeit zeigt sich im Einsatz des Erziehers als Person, die ganz
dem Wohl der zu Erziehenden hingegeben ist, unter ihnen weilt, bereit, Opfer und
Mühen in Erfüllung ihrer Sendung auf sich zu nehmen. All das erfordert eine echte
Verfügbarkeit für die Jugendlichen, tiefe Sympathie und die Fähigkeit zum
Dialog. Typisch und sehr aufschlußreich ist der Ausdruck: „Hier bei euch fühle
ich mich wohl: mein ganzes Leben besteht darin, unter euch zu weilen”. (19) Und er
fügt mit glücklicher Intuition hinzu: worauf es ankommt, ist, daß „die Jugendlichen
nicht nur geliebt werden, sondern selber wissen, daß sie geliebt sind”. (20)
Der echte Erzieher nimmt also am Leben der Jugendlichen teil, interessiert sich für
ihre Probleme und sucht sich darüber klar zu werden, wie sie die Dinge sehen. Er
nimmt an ihren sportlichen und kulturellen Veranstaltungen teil und an ihren
Unterhaltungen; als reifer und verantwortlicher Freund zeigt er gute Wege und
Ziele auf, ist bereit, zur Klärung von Problemen einzugreifen, Kriterien anzubieten,
mit Klugheit liebenswürdiger Festigkeit zweideutige Bewertungen und
Verhaltensweisen zu korrigieren. In diesem Klima pädagogischer Präsenz wird der
Erzieher nicht als Oberer angesehen, sondern als Vater, Bruder und Freund. (21)
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