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der Beziehung Gottes zum Volk Israel spricht, scheut er sich nicht, eine glühende und
leidenschaftliche Sprache zu wählen (vgl. 16,1–22). Solche biblische Texte zeigen, daß der Eros
zum Herzen Gottes selbst gehört: der Allmächtige erwartet das »Ja« seiner Geschöpfe wie ein
junger Bräutigam das seiner Braut.
Durch die Falschheit des Bösen hat sich die Menschheit leider von Anfang an der Liebe Gottes
verschlossen in der Illusion einer unmöglichen Selbstgenügsamkeit (vgl. Gen 3,1–7). In sich
verkrümmt hat sich Adam von Gott, der Quelle des Lebens, entfernt und ist der Erste all derer
geworden, »die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren«
(Hebr 2,15). Gott aber blieb unbesiegbar. Das »Nein« des Menschen war statt dessen der
entscheidende Anstoß für die Offenbarung Seiner Liebe in all ihrer erlösenden Kraft.
Das Kreuz offenbart die Fülle der Liebe Gottes
Im Geheimnis des Kreuzes offenbart sich in aller Fülle die uneingeschränkte Macht, mit der sich
der himmlische Vater erbarmt. Um die Liebe seines Geschöpfes wiederzugewinnen, hat Er einen
sehr hohen Preis aufgebracht: das Blut seines eingeborenen Sohnes. Der Tod, für den ersten
Adam Zeichen der äußersten Einsamkeit und Ohnmacht, wurde gewandelt in den höchsten Akt
der Liebe und der Freiheit des neuen Adam. So kann man gut mit Maximus dem Bekenner sagen,
daß Christus »sozusagen göttlich gestorben ist, weil er freiwillig gestorben ist« (Ambigua,
91,1056). Im Kreuz enthüllt sich Gottes Eros zu uns. Eros ist in der Tat nach einem Ausdruck des
Pseudo-Dionysius jene Kraft, »die es dem Liebenden nicht erlaubt, in sich selbst zu verweilen,
sondern ihn drängt, sich mit dem Geliebten zu vereinigen« (De divinis nominibus, IV, 13; PG
3,712). Gibt es einen »verrückteren Eros« (N. Cabasilas, Vita in Cristo, 648) als den des
Gottessohnes? Er wollte mit uns bis zu dem Punkte eins werden, der ihm die Folgen unserer
Verbrechen an Sich Selbst zu erleiden gestattet.
»Den sie durchbohrt haben«
Liebe Brüder und Schwestern! Schauen wir auf den am Kreuz durchbohrten Christus! Er ist die
erschütterndste Offenbarung der Liebe Gottes, einer Liebe, in der Eros und Agape jenseits von
allem Gegensatz sich gegenseitig erhellen. Am Kreuz bettelt Gott selbst um die Liebe seines
Geschöpfes: Ihn dürstet nach der Liebe eines jeden von uns. Der Apostel Thomas hat in Jesus
den »Herrn und Gott« erkannt, als er die Hand in die Seitenwunde legte. Es überrascht nicht, daß
viele Heilige im Herzen Jesu den bewegendsten Ausdruck des Geheimnisses dieser Liebe sehen.
Man könnte geradezu sagen, daß die Offenbarung des Eros Gottes gegenüber dem Menschen in
Wirklichkeit der höchste Ausdruck seiner Agape ist. Fürwahr nur die Liebe, in der sich die
kostenlose Selbsthingabe und der leidenschaftliche Wunsch nach Gegenseitigkeit vereinen,
gewährt eine Trunkenheit, welche die schwersten Opfer leicht macht. Jesus hat gesagt: »Wenn
ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen« (Joh 12,32). Sehnsüchtig erwartet der
Herr von uns vor allem die Antwort, daß wir seine Liebe annehmen und uns von Ihm an sich