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ansehen, vollkommene Keuschheit bewahren, – und schließlich inmitten der Welt und in diesem
sterblichen Dasein ein Leben ständigen Verzichtes, ständiger Entsagung und Selbstverleugnung
führen, gegen alle Meinungen und Behauptungen der Welt und gegen den Strom schwimmen, –
das heißt nicht mehr menschlich, sondern übermenschlich leben, das ist nicht in uns leben,
sondern außer uns und über uns. Da aber niemand so über sich selbst hinausgehen kann, wenn
ihn nicht der ewige Vater zieht ( Joh 6,44), so muss diese Art zu leben eine ständige Entrückung,
eine fortwährende Ekstase der Tat und des Wirkens sein«. [49]
Es ist ein Leben, das die Quellen der Freude wiederentdeckt hat, gegen all sein Vertrocknen,
gegen die Versuchung der Selbstbezogenheit. In der Tat, »die große Gefahr der Welt von heute
mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die
aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht, aus der krankhaften Suche nach
oberflächlichen Vergnügungen, aus einer abgeschotteten Geisteshaltung. Wenn das innere Leben
sich in den eigenen Interessen verschließt, gibt es keinen Raum mehr für die anderen, finden die
Armen keinen Einlass mehr, hört man nicht mehr die Stimme Gottes, genießt man nicht mehr die
innige Freude über seine Liebe, regt sich nicht die Begeisterung, das Gute zu tun. Auch die
Gläubigen laufen nachweislich und fortwährend diese Gefahr. Viele erliegen ihr und werden zu
gereizten, unzufriedenen, empfindungslosen Menschen«. [50]
Zu dieser Beschreibung der „Ekstase der Tat und des Lebens“ fügt Franz schließlich zwei auch für
unsere Zeit wichtige Klarstellungen hinzu. Die erste betrifft ein wirksames Kriterium, das hilft, die
Wahrheit eben dieses Lebensstils zu erkennen. Die zweite betrifft deren tiefe Quelle. Hinsichtlich
des Kriteriums für die Unterscheidung stellt er fest, dass die Ekstase zwar einerseits ein wirkliches
Aus-sich-selbst-Hinausgehen mit sich bringt, andererseits aber kein Aufgeben des Lebens
bedeutet. Es ist wichtig, dies nie zu vergessen, um gefährliche Abwege zu vermeiden. Mit anderen
Worten: Wer meint, sich Gott zu nähern, aber nicht die Nächstenliebe lebt, täuscht sich und die
anderen.
Wir finden hier dasselbe Kriterium, das er auf die Qualität der wahren Frömmigkeit angewandt
hatte. »Sieht man also einen Menschen, der im Gebet entrückt ist, so dass er über sich hinaustritt
und sich zu Gott erhebt, aber kein ekstatisches, d. h. Gott hingegebenes, höheres Leben führt,
[…] besonders [durch] dauernde Liebe, – glaube mir, Theotimus, dann sind diese Entrückungen
sehr zweifelhaft und gefährlich«. Sehr deutlich fällt seine Schlussfolgerung aus: »Was mag es
denn einer Seele nützen, in Gott durch das Gebet entrückt zu sein, wenn sie in ihrem Verhalten
und Leben von irdischen, niedrigen und naturhaften Affekten mitgerissen wird? Über sich im
Gebet und unter sich im Leben und Wirken, engelhaft in der Betrachtung und tierhaft im Verhalten
sein […]. Das ist mit einem Wort ein sicheres Zeichen, dass solche Entrückungen und Ekstasen
nur Blendwerk und Irreführung des bösen Feindes sind«.[51][1] Das ist im Wesentlichen das,
woran schon Paulus die Korinther im Hohelied der Liebe erinnerte: »Wenn ich alle Glaubenskraft
besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn
ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, hätte