Vom Tisch des Pharis%C3%A4ers zum Herzen des Dienstes


Vom Tisch des Pharis%C3%A4ers zum Herzen des Dienstes

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▲torna in alto
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Demut und Nächstenliebe in der Erziehung und Evangelisierung junger Menschen
In Kapitel 14 des Lukas-Evangeliums finden wir die Erzählung, wie Jesus die Einladung
annimmt, im Haus eines bedeutenden Pharisäers zu speisen. Jesus betritt einen Raum voller
sozialer Kalkulationen und religiöser Fassaden, wo das Abendessen tatsächlich zu einem
Theater menschlichen Ehrgeizes wird, in dem die Gäste um Positionen wetteifern, die ihren
wahrgenommenen Status und ihre Bedeutung widerspiegeln.
Jesus, stets ein scharfer Beobachter der menschlichen Natur, verwandelt diesen Moment
sozialer Manöver in eine tiefgründige Lehre über die Grundlagen der christlichen
Jüngerschaft.
Versuchen wir zu verstehen, wie diese Situation zu uns spricht, die wir uns der Erziehung
und Evangelisierung junger Menschen widmen. Wie oft finden auch wir uns von bestimmten
Eigenschaften beeinflusst, die Jesus beim Namen nennt: der subtile Wettbewerb um
Anerkennung und Einfluss; der Wunsch, der Beste unter allen zu erscheinen. Ich glaube,
das Abendessen des Pharisäers wird zu einem Spiegelbild für unsere geistlichen und
pastoralen Kontexte und fordert uns heraus, unsere Motivationen, unsere Methoden und
unsere täglichen Entscheidungen zu überprüfen.
Das Problem: falsche Illusionen von Prominenz
Jesus bemerkt, wie die Gäste die Ehrenplätze wählen, was eine grundlegende menschliche
Tendenz offenbart, die weit über die Etikette des Essens hinausgeht. Dieses Streben nach
den ersten Plätzen entlarvt das, was wir „die Illusion der Prominenz“ nennen könnten – die
falsche Überzeugung, dass unser Wert und unsere Wirksamkeit an der Anerkennung, dem
Status und den Ehren gemessen werden, die andere uns zuteilwerden lassen.
Es ist eine Illusion, die auch für uns Erzieherinnen und Erzieher, die in der Jugendpastoral
tätig sind, eine Falle ist. Es ist eine Versuchung, die sich auf vielfältige Weise manifestiert.
Wir könnten uns dabei ertappen, die Wertschätzung der Eltern, die Anerkennung der
Administratoren oder die Dankbarkeit der Schüler zu suchen. Wir könnten unbewusst mit
Kollegen um das Etikett „effektivster Lehrer“ oder den Ruf „Jugendleiter, den alle lieben“
konkurrieren. Der Wunsch nach Prominenz kann sich subtil in unsere Sendung
einschleichen und das, was selbstloser Dienst sein sollte, in eine Leistung verwandeln, die
unserer eigenen Agenda folgt.
Vergessen wir nicht, dass die Illusion der Prominenz bei der Arbeit mit jungen Menschen
besonders gefährlich ist, weil sie, die eine ausgeprägte Sensibilität für Authentizität
besitzen, sofort merken, wenn Erwachsene sie als Mittel zur persönlichen Bestätigung
nutzen, anstatt wirklich in ihr ganzheitliches Wachstum zu investieren. Wenn wir aus der

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Illusion der Prominenz heraus handeln, lehren wir die jungen Menschen unabsichtlich, dass
Beziehungen transaktional und utilitaristisch sind, dass Liebe durch Leistung verdient
werden muss und dass andere ein Sprungbrett für unsere persönlichen Ambitionen sind.
Die erste Lehre: den letzten Platz wählen
Jesu Anweisung, den niedrigsten Platz einzunehmen, anstatt Ehre anzunehmen, stellt mehr
als eine soziale Strategie dar – sie erfordert eine grundlegende Neuorientierung des
Herzens. Wahre Demut ist keine Selbsterniedrigung oder falsche Bescheidenheit, sondern
vielmehr ein genaues Verständnis unserer Position vor Gott und in Bezug auf andere.
In den Bereichen Erziehung und Pastoral bedeutet die Wahl des letzten Platzes, sich jungen
Menschen ohne die Annahme zu nähern, dass unser Alter, unsere Erfahrung oder unsere
Position uns automatisch Autorität oder Respekt verleihen. Es bedeutet, bereit zu sein, von
ihnen zu lernen, von ihren Einsichten überrascht zu werden und anzuerkennen, wenn wir
keine Antworten haben. Diese Demut schafft Raum für eine authentische Beziehung.
Wenn wir den letzten Platz wählen, zeigen wir jungen Menschen, was es bedeutet, ohne das
ständige Bedürfnis nach externer Bestätigung zu leben, das heute im Zeitalter der sozialen
Netzwerke so verbreitet ist. Wir zeigen, dass unsere Identität und unser Wert nicht von
Anerkennung oder Erfolg abhängen, sondern aus unserer Beziehung zu Gott entspringen,
die gesunde Entscheidungen zugunsten anderer hervorbringt. Dies ist besonders
wirkungsvoll für Jugendliche, die oft in einem Kreislauf aus Leistungsangst und Vergleichen
mit Gleichaltrigen gefangen sind.
Die zweite Lehre: praktische Nächstenliebe
Jesus geht dann vom Kommentar zur persönlichen Demut zum Vorschlag der strukturellen
Nächstenliebe über: „die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden“ einzuladen, anstatt
diejenigen, die sich revanchieren können, stellt eine radikale Neuausrichtung der Beziehung
dar, die auf dem Geben statt auf dem Tausch basiert.
Allzu oft richten sich unsere Energie und Aufmerksamkeit auf junge Menschen, die leichter
zu handhaben sind, die auf unsere Bemühungen besser reagieren oder die uns erfolgreich
erscheinen lassen. Wir investieren natürlich in Beziehungen, die positives Feedback und
sichtbare Ergebnisse liefern.
Jesus ruft uns zu einer völlig anderen Rechnung auf. Er fordert uns heraus, diejenigen zu
suchen, die unseren Ruf nicht verbessern oder unsere Programme voranbringen können –
den Schüler in Schwierigkeiten, den sozial unbeholfenen Teenager, den Jugendlichen aus
schwierigen Verhältnissen, denjenigen, dessen Fragen unsere bequemen Annahmen in
Frage stellen. Das sind diejenigen, die unsere Investition am meisten brauchen und die uns
am meisten über die Natur der bedingungslosen Liebe lehren können.
Demut und Nächstenliebe: zwei Bewegungen desselben Herzens

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Das Genie der Lehre Jesu liegt darin, diese beiden Bewegungen – persönliche Demut und
praktische Nächstenliebe – als Ausdruck derselben spirituellen Realität zu verbinden.
Demut ohne Nächstenliebe bleibt selbstzentriert und kann potenziell zu einer Form von
spirituellem Stolz werden. Nächstenliebe ohne Demut kann paternalistisch oder manipulativ
werden und unserem Bedürfnis dienen, uns nützlich zu fühlen, anstatt die Bedürfnisse
anderer wirklich zu befriedigen.
Wahre Demut öffnet uns, junge Menschen nicht als Projekte zu sehen, die repariert werden
müssen, oder als Rohmaterial für unsere Programme, sondern als geliebte Kinder Gottes mit
intrinsischer Würde und einzigartigen Gaben. Diese Erkenntnis führt natürlich zu
karitativem Handeln – nicht Nächstenliebe als Mitleid oder Herablassung, sondern
Nächstenliebe als Anerkennung unserer fundamentalen Verbundenheit und gegenseitigen
Bedürfnisse.
Fazit: die radikale Einladung
Jesu Lehre beim Abendessen des Pharisäers ergeht an uns alle eine radikale Einladung:
unsere Identität nicht in der Anerkennung zu finden, die wir erhalten, sondern in der Liebe,
die wir geben, nicht in den uns verliehenen Ehren, sondern in unserem treuen Dienst an
denen, die uns nicht zurückzahlen können. Für Erzieher und Jugendleiter wird diese
Einladung sowohl zur Herausforderung als auch zum Versprechen – die Herausforderung,
unsere tiefsten Motivationen zu prüfen, und die Überzeugung, dass treuer Dienst, auch
wenn er unbemerkt oder ungeschätzt bleibt, am transformierenden Werk Gottes in der Welt
teilhat.
Indem wir Demut wählen und Nächstenliebe praktizieren, dienen wir den jungen Menschen
nicht nur fruchtbarer, sondern verkörpern auch das Evangelium selbst, das wir zu teilen
suchen. Wir werden lebendige Zeugen einer ursprünglichen Art, wo Größe im Dienst
gefunden wird, Schönheit im Geben liegt und Freude im Aufblühen anderer empfunden
wird. Dies ist die mächtigste Evangelisierung von allen: Leben, die mit freudiger Demut und
echter Nächstenliebe die Realität bezeugen, die sie verkünden.