BS-settembre-2025-de


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▲torna in alto
Der göttliche Wahnsinn des
Sämanns, der „im Dunkeln sät“
Das Gleichnis vom Sämann, das in den synoptischen Evangelien
erzählt wird, ist ein kraftvolles und grundlegendes Bild der
christlichen Botschaft. Auf den ersten Blick mag es wie eine
einfache Allegorie über die unterschiedliche Aufnahme des
Wortes Gottes erscheinen. Bei genauerer Betrachtung offenbart
es jedoch eine radikale Wahrheit, besonders wenn es auf
Erziehungs- und Pastoralprozesse angewendet wird.
Diese Wahrheit liegt in der Geste des Sämanns selbst, einer
Geste, die wir als „Säen im Dunkeln“ bezeichnen könnten: ein
Akt unermesslicher Großzügigkeit, scheinbar ineffizient, der
die menschliche Logik von Ergebnis und Kontrolle
herausfordert.
Der Kern der Überlegung liegt nicht so sehr in den vier Arten
von Boden, sondern in der Figur des Sämanns und seiner
Handlung. Er geht hinaus und streut den Samen mit einer
weiten, fast rücksichtslosen Geste. Er kartiert das Feld nicht
vorher, wählt nicht die vielversprechendsten Parzellen aus,
vermeidet nicht sorgfältig Steine oder Dornen. Er sät überall.
Dies ist nicht die Technik eines modernen Landwirts, der den
Ertrag durch Optimierung der Ressourcen maximieren will. Es
ist vielmehr die Darstellung einer göttlichen Logik, einer
Logik der Fülle und der bedingungslosen Gabe.
Übertragen auf den Erziehungs- und Pastoralbereich entlarvt
diese Geste eine unserer größten Versuchungen: die der
Effizienz und des messbaren und sofortigen Ergebnisses. Der
Erzieher, der Katechet, der Priester, die Eltern sind oft vom
„Syndrom des berechnenden Bauern“ geplagt. Man neigt dazu,
Zeit und Energie dort zu investieren, wo man eine Aussicht auf
Rendite sieht: der brillante Schüler, der fromme
Gemeindemitglied, die reaktionsfreudigste Jugendgruppe.
Unbewusst riskiert man, den „Weg“ der verhärteten Herzen, den

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„steinigen Boden“ der vergänglichen Begeisterung oder die
„Dornen“ der komplizierten und erstickenden Leben zu
vernachlässigen. Das Gleichnis sagt uns jedoch, dass der Same
des Wortes, der Fürsorge, des Wissens, des Zeugnisses überall
ausgestreut werden muss, ohne Berechnung und ohne Vorurteil.
„Im Dunkeln säen“ bedeutet vor allem dies: aus reiner
Großzügigkeit zu handeln, nicht angetrieben von der
Erfolgswahrscheinlichkeit, sondern vom unerschütterlichen
Glauben an den Wert des Samens selbst. Es ist die Liebe, die
keine Unterschiede macht, die sich allen anbietet, weil sie
keine Investition ist, sondern eine überfließende Gabe.
Zweitens offenbart das „Säen im Dunkeln“ eine tiefe Wahrheit
über die Demut unserer Rolle. Die Dunkelheit ist nicht nur die
Gleichgültigkeit des Sämanns gegenüber der Qualität des
Bodens, sondern auch das undurchdringliche Geheimnis, das das
menschliche Herz ist. Der Erzieher und der Seelsorger können
nicht in die Seele des anderen „sehen“. Sie kennen nicht
vollständig die vergangenen Wunden, die verborgenen Ängste,
die unbewussten Widerstände, die ein Herz hart wie eine Straße
oder oberflächlich wie eine dünne Erdschicht machen. Sie
können nicht vorhersagen, welche weltliche Sorge oder welche
neue Leidenschaft einen guten Vorsatz ersticken wird.
In diesem „Dunkeln“ zu handeln bedeutet, zu akzeptieren, dass
man keine Kontrolle über den Wachstumsprozess hat. Unsere
Aufgabe ist es zu säen, nicht zum Keimen zu bringen. Das
Wachstum gehört zu einer mysteriösen Dynamik, die die Freiheit
der Person (der Boden), die intrinsische Kraft des Samens (das
Wort, die Liebe) und das Wirken der Gnade (die Sonne und der
Regen, die nicht vom Sämann abhängen) umfasst. Dieses
Bewusstsein befreit uns von zwei gegensätzlichen, aber
gleichermaßen schädlichen Lasten: der Arroganz derer, die sich
als Urheber des Erfolgs anderer fühlen, und der Frustration
derer, die sich für das Scheitern verantwortlich fühlen. Der
Erzieher, der im Dunkeln sät, weiß, dass seine Arbeit
wesentlich, aber nicht allmächtig ist. Er bietet an, schlägt
vor, begleitet, aber am Ende zieht er sich respektvoll vor dem
heiligen Bereich der Freiheit des anderen zurück, wo die wahre

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Begegnung zwischen Samen und Erde stattfindet.
Schließlich ist das „Säen im Dunkeln“ ein Akt radikaler
Hoffnung. Warum streut der Sämann den Samen weiterhin so
großzügig aus, obwohl er weiß, dass ein Großteil davon
verloren gehen wird? Weil sein Vertrauen nicht in die
Effizienz seiner Geste gesetzt ist, sondern in die
unerschöpfliche Vitalität des Samens. Er weiß, dass der Same
trotz der Wege, Steine und Dornen eine Lebenskraft in sich
trägt, die Frucht „dreißig-, sechzig-, hundertfach“
hervorbringen kann, wo er auch nur ein kleines Stück guten
Bodens findet.
Dies ist eine grundlegende Lektion gegen Zynismus und
Müdigkeit, die diejenigen befallen können, die im Erziehungs-
und Pastoralbereich tätig sind. Angesichts von Apathie,
Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit ist die Versuchung groß,
mit dem Säen aufzuhören und zu dem Schluss zu kommen, dass es
„sich nicht lohnt“. Das Gleichnis lädt uns jedoch ein, den
Fokus von der Reaktion des Bodens auf die Qualität des Samens
zu verlagern. Unsere Aufgabe ist es nicht, uns obsessiv um die
Ernte zu kümmern, sondern sicherzustellen, dass wir einen
guten Samen säen: ein authentisches Wort, ein glaubwürdiges
Zeugnis, eine geduldige Liebe, eine solide Kultur.
Die Hoffnung des Sämanns ist kein vager Optimismus, sondern
die Gewissheit, dass Wahrheit, Schönheit und Güte, wenn sie
großzügig angeboten werden, eine eigene Kraft besitzen, die
früher oder später, auf eine Weise, die wir weder vorhersagen
noch kontrollieren können, einen Weg zum Keimen finden wird.
Zusammenfassend befreit uns das Gleichnis vom Sämann von der
Tyrannei des sofortigen Ergebnisses und führt uns in eine
Spiritualität des Handelns ein, die auf Großzügigkeit, Demut
und Hoffnung basiert. „Im Dunkeln säen“ ist keine blinde oder
naive Handlung, sondern der realistischste und fruchtbarste
Akt, der möglich ist, weil er auf der Realität eines Gottes
basiert, der maßlos gibt, und auf dem Geheimnis der
menschlichen Freiheit. Für den Erzieher und den Seelsorger
bedeutet dies, ohne Belohnung zu lieben, ohne den Anspruch zu
erheben, zu formen, und treu Zeugnis abzulegen, ohne die

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Angst, die Früchte zu sehen. Vielleicht ist die erste und
wichtigste Frucht dieser großzügigen Aussaat nicht das, was
auf dem Feld wächst, sondern die Verwandlung des Herzens des
Sämanns selbst, der lernt, mit demselben göttlichen,
großzügigen und hoffnungsvollen „Wahnsinn“ zu handeln und zu
lieben.