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1.1 Page 1

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DIE «DON BOSCO-ANSTALT ZUM HL. JOSEPH» IN MURI
(1897-1904)
Franz Schmid
Abkürzungen
ACFMA
ACSB
AHCh
ASC
BASo-A
BS
DBK
FDR
GAM
ms
PfAM
ProtRR
SCSRDB
SDB
SN
StAAG
VerhGrR
VRC
Archivio Centrale Figlie di Maria Ausiliatrice, Rom
Archief Centrale Salesiaanse Bibliotheek, Oud-Heverlee, Belgien
Archiv Heiligkreuz Cham, Cham, Schweiz
Archivio Salesiano Centrale, Rom
Dossier «Muri»: F 707
Fondo Don Rua (FDR)
Verbali delle Riunioni Capitolari (VRC)
Catalogi della pia societa Salesiana (Elenco)
Bischöfliches Archiv Solothurn - Altes Archiv, Solothurn
Dossier «Erziehungsanstalt Hermetschwil»: 1028
Dossier «Handwerkerschule Muri»: 1050
Bollettino Salesiano
Don Bosco-Kalender, Muri
Fondo Don Rua, in: ASC, Rom
Gemeindearchiv Muri, Muri
microscheda (Mikrofilm)
Pfarrarchiv Muri. Protokoll der Kath. Kirchenpflege Muri 1877-1920, Muri
Protokolle des Regierungsrates des Kantons Aargau (in: StAAG), Aarau
Status Cleri Saecularis et Regularis Dioecesis Basileensis, Solothurn
Salesianer Don Boscos
Salesianische Nachrichten
Staatsarchiv des Kantons Aargau, Aarau
Dossier «Don Bosco-Anstalt»: F 7
Verhandlungen des Großen Rates des Kantons Aargau (in: StAAG), Aarau
Verbali delle Riunioni Capitolari, in: ASC, Rom

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270 Franz Schmid
Die Quellen
Die «Don Bosco-Anstalt zum hl. Joseph in Muri» kann einerseits einen reichen
Fundus von Quellen vorweisen, andererseits muß dieser aber als lückenhaft bezeichnet
werden. Als hinderlich für eine umfassende Darstellung erweist sich die Tatsache, daß
die Chronik des Hauses fehlt und mit ihr die gesamte Korrespondenz und alle Doku-
mente, die im Archiv der Anstalt vermutet werden dürfen. Die Don Bosco-Anstalt Mu-
ri war nach ihrer Schließung nach Lüttich transferiert worden. Dieses Haus wurde am 24.
Dezember 1944 durch Kriegseinwirkungen zerstört und durch Brand völlig vernichtet.
Heute sind in der wallonischen Provinz keine Unterlagen bekannt, die Muri betreffen.
Archive, die über einschlägige Quellen verfügen, sind das «Archivio Salesiano
Centrale» in Rom, das «Bischöfliche Archiv Solothurn», das «Pfarrarchiv Muri», das
«Gemeindearchiv Muri» und das «Staatsarchiv des Kantons Aal'gau» in Aarau. 1
Die sehr umfangreiche und aufschlußreiche Korrespondenz der Salesianer in Mu-
ri mit den Oberen in Turin wird von Direktor E. Mederlet durchwegs in französischer,
die von anderen Salesianern sowie von Pfarrer A. Döbeli und den Schwestern Frey in ita-
lienischer Sprache geführt. Einige wenige Briefe sind in lateinischer Sprache verfaßt.
Die «Salesianischen Nachrichten» (SN) 2 berichteten fortgesetzt über die
Don Bosco-Anstalt Muri und zwar sowohl die deutsche 3 wie auch die italienische 4
und die französische 5 Ausgabe.
Die deutschen Texte, Urkunden, Dokumente und Korrespondenzen, sind nahezu
ausnahmslos in deutscher Handschreibschrift (Sütterlin) geschrieben.
Die zeitgenössische Lokalpresse wird in diese Darstellung nicht systematisch,
sondern nur vereinzelt einbezogen. Ebenso werden Fotos, Skizzen und Baupläne
nicht wiedergegeben.
Fotokopien aller relevanten Texte, Skizzen und einige Baupläne, Zusammenfas-
sungen bzw. Übersetzungen fremdsprachiger Texte in die deutsche Sprache, sowie
Transkriptionen der deutschen Texte sind im Institut für Salesianische Spiritualität
Benediktbeuern abgelegt.6
I Dazu wurden zu Einzelfragen die Archive des Generalrates der Don Bosco Schwestern
in Rom, der Norddeutschen Provinz der SDB Köln, der Österreichischen Provinz der SDB in
Wien, der Süddeutschen Provinz der SDB in München, der Wallonischen Provinz der SDB in
Brüssel, das Archiv der SDB in Warschau, das Archiv Heiligkreuz in Cham und das Archiv
der Diözese Metz konsultiert.
2 Die SN, das von Don Bosco gegründete Verbindungsorgan zu den Salesianischen Mit-
arbeitern, seit 1895 auch in einer deutschen Ausgabe erscheinend, wurden in Turin redaktionell
erarbeitet, gedruckt und versandt. Die Redaktion lag in Händen des Hauptschriftleiters E. La
Roche, der von deutschen «Mariensöhnen» in Penango unterstützt wurde. Sie erschienen mo-
natlich in einem Umfang von 16 bis 36 Seiten mit einer Anfangsauflage von 20.000 Exem-
plaren. (Georg SÖLL, Die Salesianer Don Boscos (SDB) im deutschen Sprachraum 1888-
1988. Rückblick zum 100. Todestag des heiligen Johannes Bosco (31. Januar 1988), des Grün-
ders der «Gesellschaft des heiligen Franz von Sales». München, Don Bosco 1989, S. 27).
3 SN 3 (1897) 17-18,260; 4 (1898) 15-16,39-40,118-119,150; 5 (1899) 224, 226; 6 (1900)
63,186-187,210-214,275; 7 (1901) 125-126, 171,281-283; 8 (1902) 132; 9 (1903) 66-70.
4 BS 21 (1897) 311; 22 (1898) 13; 25 (1901) 256-257.
5 Bulletin Salesien. 20 (1898) 39.
6 Zu danken ist allen Archiven und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die Ar-
beit ermöglicht und bereitwillig unterstützt haben. Für umfangreiche Übersetzungsarbeiten ist
v. a. Christine Bacher, Alois Kothgasser, Jochen Ostheimer und Hubert Schiefer zu danken.

1.3 Page 3

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 271
1. EINFÜHRUNG
Am 8. Dezember 1897 eröffnen die Salesianer Don Boscos in einem Teil
des 1841 säkularisierten Klosters Muri im Kanton Aargau in der Schweiz ihre
erste Niederlassung im deutschen Sprachraum. Nach nur sieben Jahren mühe-
voller Arbeit schließen sie die Einrichtung wieder. Die Auflösung des Hauses
gleicht einem resignierten Rückzug nach zahlreichen Konflikten im Innern
und nach außen, nach vielen krisenhaften Entwicklungen und ähnelt einer
Flucht nach vielen erfolglosen Anstrengungen.
Der vorliegende Beitrag möchte die Bemühungen darstellen, die Salesi-
aner Don Boscos zu bewegen, im Kanton Aargau eine Einrichtung zu
eröffnen, möchte deren Suche nach ihrer Aufgabe in Muri dokumentieren,
ihre zahlreichen Konflikte beschreiben, aber auch ihr eifriges Bemühen auf-
zeigen, im Sinne Don Boscos in der deutschsprachigen Schweiz für die Ju-
gend tätig zu werden. Der Beitrag möchte damit auch das Ringen der Salesi-
aner nach Don Bosco und die unendlich scheinenden Schwierigkeiten dar-
stellen, vor die sich die Kongregation in jener Epoche gestellt sieht.
Der beachtliche Umfang des Materials und die noch nicht vollständig er-
folgte Quellenerschließung und -auswertung setzen der Darstellung Grenzen.
Dennoch scheint eine Veröffentlichung begründet: die relevanten Archive
wurden konsultiert, die vorhandenen Quellen lassen eine Gesamtsicht ent-
stehen, die schlüssig erscheint.
Die bisherige Darstellung der Don Bosco-Anstalt Muri
Die Don Bosco-Anstalt Muri ist - beinahe - in Vergessenheit geraten.
Zunächst mag es daran gelegen haben, daß eine systematische Geschichts-
schreibung von den Salesianern im deutschen Sprachraum bisher nicht be-
trieben wurde.
Erst zum Gedenken anläßlich des hundertsten Todestages Don Boscos
beauftragten die Provinziale der deutschsprachigen Provinzen G. Söll mit der
Erarbeitung einer «Gesamtchronik», die die Geschichte der einzelnen Nieder-
lassungen zusammenfassen sollte. G. Söll fügt an sein erstes Kapitel (Die
Entstehung des Don-Bosco-Werkes in der Donaumonarchie bis zur Errich-
tung einer österreichischen-ungarischen Provinz 1905) als «Anhang» einen
Bericht über «Die Niederlassung Muri in der deutschsprachigen Schweiz,
1897-1904» an.7 Er bezieht sich auf Berichte in den SN und zitiert den Rund-
brief des Direktors E. Mederlet vom 15. September 1904 an die Mitarbeiter
7 G. SÖLL, Die Salesianer Don Boscos ..., S. 52-57; an die Gründung dieser Niederlas-
sung wird auch erinnert in Eugenio CERlA, Annali della Societa Salesiana. 2. Bd. Torino, SEI
1943, S. 360-361.

1.4 Page 4

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272 Franz Schmid
und Freunde des Hauses, in dem dieser die Gründe der Schließung der
Einrichtung darstellt.8
Eine erste und bisher einzige Darstellung der Don Bosco-Anstalt Muri
aus der «Außenperspektive» findet sich in einem Geschichtsband über Muri,9
den H. Müller 10 1989 veröffentlichte. Vorausgegangen war im Jahr 1988 ein
Bericht in der Wochenzeitung «Der Freischütz». II H. Müllers Beiträge be-
nutzt jedoch nur das StAAG, das GAM und die Lokalpresse.
Ferner verdient eine Arbeit der Schülerin S. Brühlmann aus Muri
Erwähnung. 12 Sie hat im September 1990 an der Kantonsschule Wohlen eine
Facharbeit vorgelegt, die auf bisher unbekannte Bauvorhaben der Salesianer
in Muri aufmerksam macht und diese teilweise dokumentiert. Enthalten sind
sowohl Umbauvorhaben als auch Neubauprojekte im Areal des ehemaligen
Klosters Muri aus dem Jahr 1896. Die dort abgebildeten Entwürfe, Skizzen
und Pläne sind Arbeiten des Luzerner Architekten W. Hanauer und zeugen
von weitreichenden Ideen, mit denen sich die Gründerinnen und Gründer der
Don Bosco-Anstalt Muri wenigstens eine gewisse Zeit hindurch beschäftigten.
2. DIE SCHWEIZ, DER KANTON AARGAU UND MURI UM 1900
2.1. Der politische Kontext
Die Jahrzehnte vor dem Einzug der Salesianer Don Boscos in Muri sind
in der Schweiz geprägt von einer geradezu militanten Auseinandersetzung
zwischen Kirche und Staat, die im «Kulturkampf» nicht ihren einzigen Höhe-
punkt findet. In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts erhalten die Kan-
tone neue liberale Verfassungen, in denen sich die repräsentative Demokratie
durchzusetzen beginnt. Die von den Ständen geführte politische Konfronta-
tion betrifft bald auch die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und
Staat. In den «Badener Artikeln» von 1834 wird eine Aufsicht des Staates
8 Vgl. ASe FDR ms 3426 B 3.
9 Hugo MÜLLER, Muri in den Freien Ämtern. Bd. 2: Geschichte der Gemeinde Muri seit
1798. Aarau, Sauerländer 1989.
10 Hugo Müller, geboren 1919 in Bremgarten, Kanton Aargau, besuchte das Gymnasium
der Benediktiner in Schäftlam bei München und in Schwyz und studierte Germanistik, Ge-
schichte und Geographie in Zürich, Genf, Lausanne und Perugia. Von 1944 bis 1983 war er
Lehrer an der Bezirksschule Muri, von 1962 bis 1974 deren Rektor. Er zählt zu den bedeutend-
sten Lokalhistorikern des Kantons Aargau und lebt in Muri.
11 Hugo MÜLLER, Die Don-Bosco-Anstalt in Muri 1896 bis 1904. in: Der Freischütz.
1988, Nr. 86, S. 9-11.
12 Sabine BRÜHLMANN, Die Don Bosco-Anstalt Muri und ein unverwirklichtes Baupro-
jekt. Wohlen, Kantonsschule 1990 (Manuskript).

1.5 Page 5

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 273
über die Kirche vorgesehen, was zu Unruhen und zu Spaltungen in Ge-
meinden, aber auch im Klerus führt. In die folgenden Auseinandersetzungen
zwischen liberalen und ultramontanen Auffassungen fällt auch die Aufhebung
der Klöster im Aargau (Baden, Bremgarten, Fahr, Gnadenthai, Hermetschwil,
Muri, Wettingen), da gerade in den Klöstern die Gegner der neuen Verfassung
und eine kulturfeindliche Haltung angenommen werden. 13 Die Konfronta-
tionen setzten sich u. a. fort in vielen kleinen Bünden, Bündnissen und Grup-
pierungen, zu denen auch der einflußreiche «Piusverein» zählt. Aber auch in
Verbindungen von Ständen und Kantonen (1832: «Siebnerkonkordat», 1845:
«Sonderbund») werden die Gegensätze in heftigen Konflikten ausgetragen.
Zu den späteren Konflikten zählt nach dem Ersten Vatikanum auch die Abset-
zung und Ausweisung des Nuntius und der Bischöfe Eugene Lachat von
Basel und Gaspard Mermillod von Genf im Jahre 1873. Die liberalen Kräfte
erstarken und die Anhänger des ultramontanen Katholizismus erleben eine
Niederlage nach der anderen. Als Papst Leo XIII. im Jahre 1878 Papst Pius
IX. ablöst, entspannt sich die allgemeine Lage zwar, aber die konkreten Situa-
tionen bestehen weiter.
Die zahlenmäßige Überlegenheit der Protestanten, die häufige Diaspora-
situation der Katholiken und die liberalen politischen Kräfte fördern Fronten-
bildungen und damit den Rückzug in «geschlossene» Organisationen, die für
Fremde schwer zugänglich sind.
Gerade im Kanton Aargau der die radikalsten Radikalen beherbergt -
herrscht eine antiklerikale Einstellung im «liberalen Lager». Die fortschreiten-
de Säkularisierung betrifft auch immer wieder das Erziehungs- und Bildungs-
wesen. Mit der 1835 erfolgten Aufhebung der Klosterschulen geht das Verbot
kirchlicher Mitsprache in Schulangelegenheiten einher, das auch den Religi-
onsunterricht betrifft. Ordensleute dürfen nicht zu pädagogischen Tätigkeiten
zugelassen werden. Daran ändert auch die Aargauer Verfassungsrevision von
1884/85 nichts, die an sich in einer «versöhnlichen Stimmung» abläuft. 14
Als der Staat das Kloster Muri verkauft, legt er in einer Klausel fest, daß es
für «kultische und erzieherische Zwecke» nicht verwendet werden darf. 15
13 Rudolf PFISTER, Kirchengeschichte der Schweiz, 3. Band: Von 1720 bis 1950. Zürich,
Theologischer Verlag 1985, S. 163ff.
14 Vgl. Christophe SEILER - Andreas STEIGMEIER, Geschichte des Am-gaus. Illustrierter
Überblick von der Urzeit bis zur Gegenwart. Aarau, AT Verlag 1991, S. 122f.
15 So erteilt der Regierungsrat des Kantons Aargau 1900 auch den aus dem Aargau stam-
menden Brüdern Keusch zwar die Genehmigung zur Errichtung eines Spracheninstituts im
ehemaligen Kloster Muri, aber verbunden mit der Auflage, keine Angehörige kirchlicher Orden
oder ordensähnlicher Kongregationen als Lehrer zu beschäftigen. (Vgl. ProtRR, 3.4.1900)
Ebenso erteilt der Regierungsrat 1907 die nachträgliche Bewilligung zur Verlegung der Privat-
waisenanstalt der Brüder Keusch vom ehemaligen Kloster Hermetschwil nach Muri nur mit

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274 Franz Schmid
Die Sammlung der konservativ-katholischen Kräfte im Kanton Aargau
erfolgt allmählich nach der Verfassungsrevision von 1885 und erst 1892
kommt es zu einem Parteiprogramm. Dieses nimmt später auch Bezug auf die
Enzyklika «Rerum novarum» Papst Leo XIII. (1891) und schenkt der Ar-
beiter- und Bauernfrage große Aufmerksanlkeit. Der Repräsentant der Partei
ist der Nationalrat J. Nietlispach, der 1898 Präsident des Großen Rates wird
und in der Don Bosco-Anstalt Muri wiederholt zu Gast ist. Auch Pfarrer A.
Döbeli,16 der Protektor der Salesianer in Muri, zählt zu ihren 111aßgebenden
Führern. Ihr Einfluß bleibt dennoch unterschiedlich; so gelingt es ihnen nicht,
einen Sitz im Erziehungsrat zu erreichen. 17
Die Schweiz hält seit 1874 an Artikel 27 Absatz 2 und 3 ihrer Bundes-
verfassung fest, die den Kantonen die Pflicht auferlegt, «für genügenden, ob-
ligatorischen Primarunterricht [... , ..] ausschließlich unter staatlicher Leitung»
zu sorgen - mit Ausnahme des Berufsbildungswesens. 18 Zwar anerkennt die
Schweizer Bundesverfassung ein Recht auf die Gründung und Führung von
Privatschulen,19 um eine «bewußt gepflegte Weltanschauung darin zur Gel-
tung zu bringen»,2o aber um die Integration der Staatseinwohnerschaft und die
demokratische Gleichheit zu erreichen, wird der Primarunterricht aus-
schließlich unter staatliche Leitung gestellt. 21 Der Kanton Aargau, der die
Schulhoheit ausübt, gewährt «bedingte Schulfreiheit». Dies bedeutet: «Das
Schuleerteilen und das Schulenehmen, das Schulen und sich Schulenlassen
sind in der Weise an wesentliche Bedingungen geknüpft, daß sich erst einer
staatlichen Prüfung zu unterziehen hat, wer immer das Recht einer Schulgrün-
dung oder Schulleitung ausüben will.» Der Kanton erläßt eine Schulverfas-
der Auflage, keine Angehörigen irgendwelcher Orden als Lehrer anzustellen. Ordensschwe-
stern dürfen nur im Haushalt wirken. (Vgl. ProtRR, 1.7.1907)
16 Joseph Arnold Döbeli wurde 1849 in Sarmenstorf geboren, besuchte das Gymnasium
Einsiedeln und studierte in Freiburg i. Ü. und Mainz Theologie, wo Bischof Ketteler zu seinen
Lehrern zählte. 1874 wurde er durch Bischof (im Exil) Lachat in Altishofen zum Priester ge-
weiht und war dann zwei Jahre Kaplan von Sarmenstorf. Von 1876 bis 1900 war er Seelsorger
der ausgedehnten Pfarrei Muri. 1899 folgte seine Ernennung zum Päpstlichen Ehrenkämmerer,
am 21. Juli 1900 wählte ihn die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde Basel zum
Stadtpfarrer von St. Clara zu Basel, der er bis 1919 als Pfarrer und ein Jahr als Dekan vorstand.
Er starb 1930 als Ehrenpriester von Villmergen. (SCSRDB)
17 Vgl. Julius BINDER, Die Katholisch-Konservative Volkspartei des Kantons Aargazl. in
«Erbe und Auftrag. Festgabe zum Aargauischen Katholikentag im Jubiläumsjahr 1953».
Baden, [1953], S. 221-264.
18 Vgl. Arthur MÜLLER, Schule und SchulbenutzeI; eine Untersuchung der gegenseitigen
Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung des aargauischen Rechts. Aarau, Keller 1978.
19 Privatschulen «dürfen sich von Bundes wegen auf zweierlei Weise von öffentlichen
Schulen unterscheiden: sie können konfessionell und entgeltlich sein» (Karl Rudo1f ZIEGLER,
Die öffentlichrechtliche Stellung der privaten Schulen in der Schweiz. Aarau, 1945, S. 15).
20 Ebd., S. 14.
21 Vgl. ebd.

1.7 Page 7

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 275
sung, aus der er für sich das Recht ableitet, «sich jederzeit zu vergewissern, ob
die gesetzlichen Anforderungen an das erlaubte Unternehmen noch erfüllt
sind».22 Die Verfassung des Kantons Aargau von 1885 sieht in Art. 64 vor, daß
sich die Lehrberechtigung an allen Schulanstalten auf staatliches Patent stützt.
Den Gründungsmitgliedern der Don Bosco-Anstalt Muri sind diese Be-
dingungen bekannt. Pfaner A. Döbeli, Mitglied des Verfassungsrates 1884/85
und 1885-1900 Kantonsrat, setzt sich selbst mit großem Engagement für die
Enichtung einer katholischen Erziehungsanstalt im Aargau ein. Nach Don
Ruas erstem Besuch in Muri vom 6. bis 9. Juli 1894, bei dem das Kloster Muri
und die Rettungsanstalt in Hermetschwil besichtigt werden, schreibt A. Döbeli
am 13. Juli 1894 an Don Rua und verspricht, die rechtlichen Fragen zu klären,
um Konflikte mit den Gesetzen zu vermeiden. A. Döbeli sind die gesetzlichen
Bedingungen und politischen Möglichkeiten als Politiker bekannt und
trotzdem glaubt er allem Anschein nach, die säkularisierten Klöster wieder mit
der Ansiedlung religiöser Gemeinschaften ihrem alten Zweck zuführen zu
können. 23 Auch E. Frey, eine der «Gründerinnen» der Don Bosco-Anstalt
Muri, weist in einem Schreiben vom 9. Mai 1895 an Don Rua auf diese Um-
stände hin: «Sollte der Konvent für kultische oder erzieherische Zwecke ver-
wendet werden, braucht es das Einverständnis des Großen Rates».24
Den Salesianern ist damit die Möglichkeit genommen, in Muri eine
Schule einzurichten und zu betreiben. Deshalb entschließt man sich wohl,
Lehrwerkstätten zu errichten, um Handwerker auszubilden. Im Prospekt der
Don Bosco-Anstalt heißt es deshalb auch ausdrücklich, daß «der Elementar-
schule entlassene Knaben» aufgenommen werden. In den SN wird dazu aus-
drücklich erklärt: Man beschränke sich von vonlherein auf Berufsausbildung,
«um mit den bestehenden Schulgesetzen des Kantons Aargau in keinerlei
Konflikt zu kommen». 25
2.2. Der kirchliche Kontext
Als die Salesianer Don Boscos in die Schweiz kommen, liegt eine lange
und schwierige Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat hinter dem
22 A. MÜLLER, Schule ... , S. 84f.
23 Der Große Rat hatte das Konventgebäude, das in Staatsbesitz war und nach dem
Großbrand am 21. August 1889 als Ruine dastand, an Jakob Bächli und Eugen Frey-Wepfer
verkauft, damit sie dort eine Fabrik einrichteten. Im Kaufvertrag war die Klausel enthalten,
«daß die verkauften Gebäude nicht für Kultzwecke oder zu Erziehungszwecken verwendet
werden dürfen» (VerhGrR 1889). Eine Aufhebung der Klausel erfolgte teilweise am 3. April
1900, als den Gebrüdern Keusch genehmigt wurde, ein Spracheninstitut einzurichten (ProtRR).
24 ASe FDR mc 3740 E 12.
25 SN 3 (1897) 17.

1.8 Page 8

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276 Franz Schmid
Land. Seit der Säkularisierung der Klöster sind 50 Jahre vergangen. Seit der
«Einigung» zwischen katholischer Kirche und Staat ist es aber erst wenige
Jahre her. Die katholische Kirche beginnt die neue Situation zu begreifen und
in ihr zu agieren. Dazu sind direktes politisches Handeln von Priestern ebenso
zu zählen, wie auch das Bemühen, eine katholische Erziehungsanstalt zu er-
richten; auch bemüht man sich, die säkularisierten Klostergebäulichkeiten
wieder in den kirchlichen Einflußbereich zurückzuführen.
In der Nordwest-Schweiz und damit im Bistum Basel ist Bischof
L. Haas 26 der Exponent des Katholizismus. Als Bischof nach dem Kultur-
kampf sucht L. Haas zwischen den Parteien auszugleichen und den Wieder-
aufbau fortzusetzen. «Man war bestrebt, weniger Politik zu betreiben und die
Kräfte auf die Seelsorge zu konzentrieren».27 L. Haas wird aber als Bischof
ein «Mann der Gesetze und Reglemente, wobei römische Vorschriften als
Maßstab galten»,28 und seine Predigten «lassen ausgeprägte apologetische
Tendenzen erkennen».29 Schwerpunkte seiner Arbeit als Bischof sind die
Schaffung eines Katechismus, die Pflege der Liturgie und die Priesterbildung.
Die Erziehung der Jugend zählt zu den von ihm systematisch wiederholten
Themen, aber auch die Familie liegt ihm am Herzen, während er der sozialen
Frage weniger Aufmerksamkeit schenkt.30 Vor allem die Gründung und För-
derung von Vereinen sind ihm ein bleibendes Anliegen. «Im Verein sah Haas
eine der entscheidenden Möglichkeiten, die gesellschaftliche Komponente
des Katholizismus ins tägliche Leben zu übersetzen».31
2.3. Mud und das Kloster Muri
Das Benediktinerkloster Muri wird 1027 durch Ita von Lothringen, Ge-
mahlin des Grafen Radbot von Habsburg gestiftet. Es gelangt rasch zu Blüte,
die anhält, bis es nach den Napoleonischen Kriegen einem harten Existenz-
kampf ausgesetzt wird, der 1841 mit der Aufhebung des Klosters endet.
Durch Abt Plazidus Zurlauben (1684-1723) erhält das Kloster entsprechend
26 Leonhard Haas, geboren 1833 in Horw, Kanton Luzern, studierte Theologie in
Luzern, St. Georgen (St. Gallen) und Löwen, war Pfarrhelfer in Luzern (1859-64) und Zürich
(1864-66), PfalTer in Dietikon (1866-71) und Hitzkirch (1871-75), dann Professor für Moral-
und Pastoraltheologie in Luzern (1875-88), Chorherr im Stift St. Leodegar im Hof, Regens des
Priesterseminars (1878-88) und schließlich Bischof von Basel-Lugano (1888-1906).
27 Roger LIGGENSTORFER, Leonhard Haas (1888-1906) Bischof des Wiederaufbaus nach
dem KulturkampJ In «Die Bischöfe von Basel 1794-1995». Hrsg. von Urban Fink u. a. Frei-
burg, Universitätsverlag 1996, S. 190.
28 Ebd., S. 207.
29 Ebd., S. 213.
30 Vgl. ebd., S. 214f.
31 Ebd., S. 215.

1.9 Page 9

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hl. Joseph» in Muri... 277
dem St.-Gallener-Plan seine barocke Gestalt, die bis heute erhalten geblieben
ist. In ihrem Zentrum liegt die Kirche als Kuppelbau mit prachtvoller Barock-
ausstattung. Der mächtige Osttrakt erreicht eine Länge von 218 m und der
nach Süden führende Querflügel 65 m.
Im Zuge der Säkularisierung fällt das Kloster an den Staat. Neben den
1843 und 1857 eingerichteten Schulen wird 1887 im Ostflügel eine Pflegean-
stalt eröffnet, die 1889 einem Brand zum Opfer fällt. Das Konventgebäude
wird nach dem Brand an J. Bächli und E. Frey-Wepfer verkauft und 1899 er-
werben es die Gebrüder Keusch, um dort ein Spracheninstitut und Erzie-
hungsheim einzurichten. Das Gästehaus, das später die Don Bosco-Anstalt
beherbergt, dient von 1847 bis 1876 als Armenansta1t.
Muri liegt im südlichen Teil des Kantons Aargau an der Bünz, im Verwal-
tungsbezirk gleichen Namens, in der Diözese Basel, 456 m über dem Meeres-
spiegel, an einer Bahnlinie mit Anschlüssen an das Schweizer Bahnnetz. Muri
ist selbständige Kirchgemeinde (Pfarrei), seit 1863 mit der Klosterkirche als
Pfarrkirche, verfügt jedoch über ein weiteres Gotteshaus. Die politische Ge-
meinde Muri besteht aus den Ortsbürgergemeinden Egg, Hasli, Dorfmuri
(auch LangdoIf oder DoIf genannt) und Wey, die sich 1899 zu einer Einheit
zusammenschließen. Muri verfügt über eine Gemeindeschule (Elementar-
schule, Volksschule), die 1857 ins Kloster verlegt und 1899/1900 erneuert
wird, eine Bezirksschule (<<höhere Unterrichtsanstalt», Gymnasium), die schon
1843 im Kloster eröffnet wird, und eine Handwerkerschule.32 Dazu gründen
die Gebrüder Keusch 1899 - ebenfalls im Kloster - das Spracheninstitut.
1900 zählt Muri 2073 Einwohner; diese Zahl steigt in den folgenden
Jahrzehnten stark an. 94% der Bevölkerung sind damals katholisch.
3. DIE SALESIANER DON BOSCOS AUF DEM WEG NACH MURI
3.1. Wegbereitung im Aargau
Das erste Dokument, das von einer Beziehung der Salesianer Don
Boscos mit dem Aargau zeugt, ist eine Kondolenzschreiben von Marie Mei-
enberg aus Bremgarten an Don Rua anläßlich des Todes Don Boscos vom
5. Februar 1888.33
32 Die Handwerkerschule (Berufsschule), 1887 eröffnet, wurde von Lehrlingen des Hand-
werks besucht. Der Unten'icht wurde ausschließlich an Sonntagen erteilt, und zwar von 9 - 11 Uhr
und von 14 - 16 Uhr (vgl. Hugo MÜLLER, Die Handwerkerschule Muri 1887-1935. in: «DOlf-
chronik von Murifiir das Jahr 1983». Hrsg. vom Verkehrsverein Mud. Muri, 1984, S. 42-62).
33 ASe FDR ms 3768 E 5.

1.10 Page 10

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278 Franz Schmid
Dieses Dokument weist darauf hin, daß Don Bosco und sein Werk schon
zu seinen Lebzeiten im Aargau bekannt sind, daß sich ein «Salesianischer
Verein» gebildet hat, der die Missionstätigkeit Don Boscos und der Salesianer
materiell unterstützt. Als Bindeglied zwischen Turin und den Salesianischen
Mitarbeitern der Schweiz dienen die SN. Es ist davon auszugehen, daß die
1877 gegründeten «Bollettino Salesiano» in der Schweiz sowohl in ihrer itali-
enischen, als auch in der 1879 gegründeten französischen Ausgabe verbreitet
sind. Seit 1895 erscheinen die SN auch in deutscher Sprache. Eine Durchsicht
der Nekrologien in den SN von 1895 bis 1910 weist für die Schweiz 1.505
Eintragungen von verstorbenen «Salesianischen Mitarbeitern» nach, deren
Mehrzahl in der Zentralschweiz ihren Wohnsitz hat, aber viele auch im
Kanton Aargau. Die Tatsache, daß ihr Tod nach Turin gemeldet und in den
SN veröffentlicht wird, weist auf eine gewisse Intensität der Beziehung und
einen beachtlichen Organisationsgrad hin. Es gibt Verehrung gegenüber Don
Bosco und Bewunderung für das Salesianische Werk im Aargau.
3.2. Hermetschwil oder Mud
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gründen am 20. November
1889 in Zürich ein Comite, das eine «von unseren hochwürdigsten Bischöfen
dringlich empfohlene schweizerische katholische Rettungsanstalt für ver-
wahrloste Knaben» errichten soll. Am 11. Februar 1890 beschließt eine von
diesem Comite nach Baden einberufene VersaIumlung, in einem Teil des sä-
kularisierten Klosters Hermetschwil, der im Besitz der Brüder Keusch 34 ist,
diese Rettungsanstalt einzurichten. Zu den «Beauftragten» jener Versamm-
lung zählen u. a. Pfaner A. Döbeli, Architekt W. Hanauer 35 und Gerichtsprä-
sident J. Nietlispach. 36 Diese treten später wiederholt in der Don Bosco-
Anstalt Muri maßgeblich in Erscheinung.
Am 20. März 1890 legt A. Döbeli in einem Schreiben an den Kanzler
des Bistums Basel seine Vorstellungen dar: «Sie erhalten beiliegend einen
Aufruf zur Unterstützung der Gründung der längst geplanten katholischen
34 Joseph Alois Keusch (1848-1930) aus Boswil, hatte 1874 zusammen mit A. Döbeli
die Priesterweihe empfangen und war von 1878 bis 1920 Pfarrer in Hermetschwil. Er hatte
1878 zusammen mit seinem Bruder Andreas in Hermetschwil eine «Privatwaisenanstalt»
errichtet. (SCSRDB)
35 Wilhelm Hanauer, geboren 1854 in Baden, Architekturstudium in Zürich, Stuttgart und
Paris, bedeutender Kirchenarchitekt der Schweiz, hat mehrfach in Muri gebaut: 1896-98 den
Umbau der Armenanstalt in die Don Bosco-Anstalt, 1899-1900 den Umbau des Konventschul-
hauses, 1906-08 den Bau des Kreisspitals. Als er beim Wiederaufbau der Brandruine des Klo-
sters durch die Brüder Keusch nicht beteiligt worden war, kritisierte er zusammen mit dem Bau-
meister J. Frey die Baumaßnahme als «leichtfertig und gefährlich» (H. MÜLLER, Muri ..., S. 156).
36 Vgl. BASo-A-1028.

2 Pages 11-20

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2.1 Page 11

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 279
Anstalt für jugendliche Verbrecher, die nun in Hermetschwil gegründet
werden soll, wenn wir anders die notwendige Hilfe finden. Die Leitung der
Anstalt soll, wenn ilnmer möglich in die Hände der Salesianer Don Boscos
oder dann anderer Ordensbrüder gelegt werden, und es ist unsere ernsteste
Absicht, eine Muster-Anstalt zu errichten».37
Die Geblüder Keusch versuchen, der von ihnen in Hermetschwil eröffneten
Rettungsanstalt eine sichere Zukunft zu geben. Sie bilden ein Comite, dem u. a.
A. Döbeli angehölt, und suchen nach einer «religiösen Genossenschaft», die be-
reit wäre, «die Anstalt mit allen Liegenschaften zu übernehmen und fortzu-
führen». A. Döbeli nennt in einem Schreiben vom 27. Februar 1894 an Bischof
L. Haas abermals die Salesianer als jene «religiöse Genossenschaft», die für die
Übernahme der Rettungsanstalt in Betracht kämen.38 Er berichtet:
«Durch eine Fräulein Agatha Frey von hier, deren Schwester bei den Sa-
lesianerinnen in Turin eingetreten ist,39 habe ich nun vernommen, daß
der hochwürdige Don Rua, der Nachfolger Don Boscos, nicht abgeneigt
wäre, diese Anstalt, vielleicht auch das Kloster Muri, zu übernehmen
und für die erzieherischen Zwecke ihres Institutes einzurichten, wenn
dafür gesorgt würde, daß Deutsch-Schweizer ihrem Orden, sei es als
Priester oder Laienbrüder beitreten und Wohltäter als 'Mitarbeiter'
in größerer Zahl sich finden würden».40
Pfarrer A. Döbeli bittet den Bischof im selben Brief um dessen Unter-
stützung bei den weiteren Schritten, die er für notwendig hält.
«Überzeugt, daß es Ihren edlen Bestrebungen durchaus entsprechen
würde, wenn der Orden der so wohltätig wirkenden Jünger Don Boscos
auch in unserem Lande Fuß fassen könnte, nehme ich mir die Freiheit,
Ihren bischöflichen Gnaden die doppelte Bitte vorzulegen, Sie möchten,
wenn es Ihnen gutscheint,
1. durch die Kirchenzeitung den Klerus darauf aufmerksam machen,
daß für tüchtige brave Studierende wie für rechtschaffene Jünglinge, die
ein Handwerk schon erlernt haben oder erlernen wollen, der Eintritt in
den Orden der Salesianer in Turin zu günstigen Bedingungen ermöglicht
wäre, mit der begründeten Hoffnung, daß dieselben später in unserem
Lande verwendet würden; 41
37 Ebd.
38 Pfarrer 1. Keusch scheint diese Meinung nicht zu teilen, denn er schreibt am 3. August
1897 an Bischof L. Haas: «Der hochwürdige HelT Direktor Köpfli in Heiligkreuz [wäre] die
richtige Persönlichkeit zur Übernahme hiesiger Anstalt. Dadurch wäre dieselbe gesichert»
(BASo-A-1028).
39 Im Zentralarchiv der Don Bosco Schwestern (ACFMA) in Rom konnte eine Schwe-
ster oder Novizin mit Namen Frey nicht nachgewiesen werden.
40 BASo-A-1028.
41 Ein entsprechender Aufruf erfolgte in der Schweizerischen Kirchenzeitung nicht.

2.2 Page 12

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280 Franz Schmid
2. genannter Fräulein Frey, einer durchaus zuverlässigen, eifrigen und
braven Person, die dem Zwecke sich widmen will, eine bischöfliche
Empfehlung für Gewinnung salesianischer Mitarbeiter ausstellen. Diese
Mitarbeiter verpflichten sich, durch Gebet und beliebige milde Gaben
die Institute der Salesianer zu unterstützen».42
Und A. Döbeli kann dem Bischof auch mitteilen, daß die Salesianer
schon auf dem Weg nach Muri sind: «Don Rua gedenkt, nächsten Sommer,
anläßlich einer Reise nach Belgien, hier vorbei zu kOlnmen. Könnten wir ihm
mitteilen, daß Ihre bischöflichen Gnaden seinen Absichten Ihr hohes Wohl-
wollen entgegenbringen und eine schöne Anzahl von Mitarbeitern sich schon
vorfinden, so zweifle ich nicht daran, daß wir bald solche salesianische Insti-
tute hätten, die dem Wohle unserer gefährdeten Jugend in hohem Maße
dienen und zur Zierde unseres Bistums gereichen würde».43
In einem Brief vom 6. März 1894 an Don Rua 44 bietet A. Döbeli den Sa-
lesianern die Rettungsanstalt der Gebrüder Keusch in Hermetschwil zum Kauf
an. Er nennt den Preis und legt die Jahresbilanz von 1893 bei. Er lädt die Sale-
sianer ein, in Hermetschwil eine Niederlassung zu eröffnen und versichert:
«Eine solche Niederlassung in der Schweiz wird die ganze Sympathie und Un-
terstützung der Bischöfe und der katholischen Bevölkerung haben.» Er bietet
auch an, eine Abordnung zu Verhandlungen nach Turin zu schicken.45
Im Juli 1894 reist Don Rua in Begleitung von Don G. Lazzero durch die
Schweiz ins Elsaß, nach Belgien und in die Niederlande.46 Aus dem Tessin kom-
mend treffen sie am 6. Juli in Muri ein. A. Döbeli kommt ihnen bis Rotkreuz ent-
gegen. Dem Reisebericht Don G. Lazzeros an Don D. Belmonte 47 sind Einzel-
heiten des Aufenthaltes in Muri zu entnehmen.48 Er berichtet über die freundliche
Aufnahme im Pfarrhaus von Muri, schreibt voll Bewunderung über den Gottes-
42 BASo-A-1028.
43 Ebd.
44 Micheie Rua, geb. 1837 in Turin, Schüler und jugendlicher Mitarbeiter Don Boscos,
empfing 1860 die Priesterweihe, Lehramtsstudium, 1860-63 Leiter der Schulen und des Orato-
riums Turin-Vanchiglia, 1863-65 Direktor des Hauses in Mirabello, legte 1865 Profeß ab,
1865-72 Präfekt in Turin-Valdocco, dann ganz zur Verfügung Don Boscos und sein Vikar,
1888-1910 erster Nachfolger Don Boscos als Generaloberer der Salesianer, gestorben 1910
in Turin, 1971 seliggesprochen.
45 Vgl. ASe FDR ms 3422 e 6.
46 Vgl. Angelus AMADEI, Don Michael Rua 1837-1910. Ein zweiter Don Bosco. 1. Bd.
München, Salesianer-Verlag 1936, S. 365f.
47 Domenico Belmonte, geb. 1843 in Genola, Italien, war Schüler Don Boscos im Orato-
rium Turin-Valdocco, legte 1864 in Turin Profeß ab, empfing 1870 in Turin die Priesterweihe,
Lehramtsstudium für Mathematik und Musik, Tätigkeiten in Mirabello, Borgo San Martino,
Alassio und Sampierdarena, 1886 zum Generalpräfekt gewählt, gestorben 1901 in Turin.
48 Den ersten Bericht fertigte Don G. Lazzero am 8. Juli 1894 in Muri (ASe A 4310112),
den zweiten am 12. Juli 1894 in Straßburg (ASe A 4310113).

2.3 Page 13

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hl. Joseph» in Muri... 281
dienst beim Patronatsfest am 7. Juli, die Frömmigkeit der Gläubigen und ein
Abendessen mit Repräsentanten des Dorfes. Er berichtet über den Besuch in Her-
metschwil bei den Brüdern Keusch am 8. Juli und die Absicht des Komitees, das
Institut den Salesianern zu übergeben, vom Besuch im Konvent der Benedikti-
nerinnen von Hermetschwil und bei den Schwestern Frey in Muri, wobei er den
Eindruck gewinnt, Don Rua habe mit ihnen große Taten vor. Don G. Lazzero be-
schreibt auch die «salesianische Konferenz» in der Klosterkirche, bei der Don
Rua französisch spricht und Pfarrer A. Döbeli übersetzt. Nach Besichtigung der
Klosterruine hat er den Eindluck, es gäbe jemanden, der das Gebäude kaufen und
den Salesianern schenken wolle. Am 9. Juli reisen sie nach Straßburg weiter.
Im Nachgang zu diesem Besuch schreibt PfalTer A. Döbeli am 13. Juli
1894 an Don Rua, daß er sich um die Klärung der politischen Fragen
bemühen und eine Gesellschaft gründen werde, die die Geschäfte voran-
treiben und sich Don Rua zur Verfügung stellen wird, um ihn in diesem Un-
ternehmen zu unterstützen. Auch verspricht er, Priester und Klerus zu ermu-
tigen, daß sie sich der salesianischen Kongregation anschließen, damit es «in
seinem Weinberg nicht an Arbeitern mangle».49
Die Ergebnisse des Besuchs sind aus den Quellen nicht erkennbar.
Weder, ob die politischen und rechtlichen Fragen geklärt werden können,
noch wann die Entscheidung fällt, nicht in Hermetschwil, sondern in Muri die
Don Bosco-Anstalt zu elTichten. Auch bleibt unbekannt, wer der Gesellschaft
angehört, die A. Döbeli gründen will. Am 20. Januar 1895 faßt die Katholi-
sche Kirchenpflege Muri einen Beschluß, der zeigt, daß die Entscheidung zu
Gunsten Muris gefallen ist:
«Auf eine Anfrage der salesianischen Gesellschaft in Tm'in,50 ob bei
einer allfälligen käuflichen Übernahme der Klostergebäulichkeiten zum
Zwecke der Errichtung einer Erziehungsanstalt und Handwerkerschule
die Klosterkirche benutzt werden dürfe, soll geantwortet werden, daß die
Kirchenpflege es sehr begrüßen würde, wenn die Klostergebäulichkeiten
einem so edlen Zwecke wieder dienstbar gemacht werden könnten, und
mit Vergnügen würde man die Mitbenutzung der Klosterkirche ein-
räumen, immerhin unter der Voraussetzung, daß der gewöhnliche Got-
tesdienst der Pfangemeinde in keiner Weise beeinträchtigt werde».51
In den nächsten Monaten wird in Muri versucht, die Salesianer für den
Kauf der Klosteranlage zu gewinnen. E. Frey drängt in einem Schreiben vom
49 Vgl. ASe FDR ms 3422 e 10-11.
50 Im Schreiben der Kirchenpflege Muri vom 24. Januar 1895 an Don Rua wird deut-
lich, daß die Anfrage bezüglich einer Benützung der Pfarrkirche durch A. Frey erfolgt war
(ASe FDR ms 3422 e 12).
51 PfAM.

2.4 Page 14

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282 Franz Schmid
9. Mai 1895 Don Rua, bis zum 18. Mai dem Kauf zuzustimlnen, um am 20.
Mai die Zustimmung des Großen Rates einholen zu können. Sie nennt die
Kaufsumme von 180.000 Fr. und berichtet, daß die Verkäufer J. Bächli und E.
Frey-Wepfer sich um das Einverständnis des Großrates bemühen werden.
In das Verfahren einbezogen werden u. a. die Anwälte E. Bürgisser und
P. E. Isler ,52 wie aus einem Schreiben von E. Bürgisser an Fräulein Frey vom
6. September 1895 hervorgeht.53
Dieser Vertrag kommt nicht zustande. Es kommt zu anderen Käufen; der
Werdegang zu den getroffenen Entscheidungen ist nicht dokumentiert. Die
Gebäude, die schließlich gekauft werden, unterliegen nicht der Nutzungsbe-
schränkung wie das Konventgebäude; man mngeht die Klausel.
3.3. Die Gründung der «Don Bosco-Anstalt zunl hl. Joseph in Mud»
Die Schwestern A. und E. Frey aus Dorfmuri 54 kaufen von der Armen-
anstaltsgemeinde Muri-Wey und Dorfmuri einen Teil der 1845 vom Staat ge-
gründeten und 1876 geschlossenen Armenanstalt zum Preis von 65.000 Fr.
Dazu gehören laut Kaufvertrag vom 30. Dezember 1895 das ehemalige Gä-
stehaus des Klosters Muri, ein Wohnhaus mit Bäckerei, eine Scheune, 250
Aren Baumgarten und 650 Aren Wies- und Ackerland.55 Diese Gebäudeob-
jekte liegen nordöstlich der Klosteranlage. Die Anstalt 56 liegt zwischen der
Kirche und der Straße Nordklosterrain, die Werkstätten westlich, die Scheune
östlich des Williweges, etwa 300 m von der Anstalt entfernt.5? Die Salesianer
52 Dr. Peter Emil Isler (1851-1936) aus Wohlen, Fürsprech, Großrat (1880-1925), Natio-
nalrat (1885-1890), Ständerat (1890-1933), Mitglied der Freisinnig-demokratischen Volks-
partei, ist den Katholiken überaus gut gesonnen (Andreas KEuscH-ABBT, «Unglück ist iiber
mich gekomnzen, kennt mich niemand mehr?» Erinnerungen. in: Dor.fchronik von Murifiir das
Jahr 1966. Hrsg. vom Verkehrsverein Muri. Muri, 1967, S. 38).
53 Ein undatiertes und ungezeichnetes Schreiben mit den «Bedingungen für den Kauf
des ehemaligen Konvents» enthält einen drei Punkte umfassenden Separatvertrag zwischen
Don Rua und dem Schweizer Caritasverband Luzern, der die Finanz- und Vermögenslage be-
trifft (ASC FDR ms 3422 C 9), aber nicht zum Vollzug kam.
54 Die Familie Frey wird «Klostern1üllers» genannt; der Vater war Kaspar Burkm'd Frei
(1823-1868), die Mutter, eine geborene Wis aus Zug. Die Schwestern Anna Maria Agatha
(1864-1931) und Elisabeth Cäzilia (1866-1934) sind das siebte und achte von neun Kindern.
Agatha, die als die aktivere erscheint, bleibt unverheiratet und stirbt 1931 in Steinerberg. Elisa
heiratet 1903 und stirbt 1934 in Meggen (vgl. GAM, Familienregister).
55 Es handelt sich dabei um ca. zehneinhalb Hektar landwirtschaftliche Nutzt1äche.
56 Das Anstaltsgebäude war 1703-04 unter Abt Plazidus Zurlauben nach Plänen des Zu-
gers Michael Wickart als «hospitium per peregrinantibus», also als Gasthof für Pilger und
Durchreisende elTichtet worden. Zuletzt war es «Weiberhaus», wegen der weißen Farbe auch
«Weißes Haus» genannt worden und hatte der Unterbringung von Frauen, die im Kloster zu
Gast waren, gedient.
57 Vgl. den «Situationsplan der Klostergebäulichkeiten und der angrenzenden Gebäude

2.5 Page 15

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 283
bringen in diesem Gebäude die Räume für die Unterkunft (Schlafräume)
unter, den Verpflegungsbereich (Küche, Speisesaal), Schulräume, bis 1900
und ab 1903 auch die Kapelle. Die Werkstätten werden in einer umgebauten
Scheune eingerichtet. Zum Betriebe der Landwirtschaft erstellt man aber ein
neues Ökonomiegebäude in modernem Stile und besetzt die Stallungen mit
dem nötigen Viehstand.
Der Kaufvertrag 58 wird am 30. Dezember 1895 durch «Fräulein Agatha
und Elisa Frey namens Don Michael Rua in Turin» geschlossen und am 25.
März 1896 werden die Gebäulichkeiten und Liegenschaften «im Beisein des
bevollmächtigten Inspektors der Salesianischen Häuser in der Schweiz,
Hochwürden Don Celestino Durando,59 dem Nachfolger Don Boscos, hoch-
würdigsten Herrn Don Michael Rua in Turin, zugefertigt».6o
Die Um- und Neubauten werden unter Leitung von Architekt W. Ha-
nauer aus Luzern vorgenommen. Dieser plant ein Objekt, das den Großteil
des Raumes zwischen Klosterkirche und Nordklosterrain und zwischen
«Weißem Haus» und der Markstraße eingenommen hätte; das «Weiße Haus»
selbst wäre in das Ensemble integriert worden.6! Zur Ausführung kommt aber
nur der Umbau des «Weißen Hauses», der Abriß einer Scheune und deren
Neubau 62 sowie der Neubau von Werkstätten. An eine Realisierung der Ge-
samtanlage können die Salesianer aus finanziellen Gründen nicht denken.63
Der Umbau des «Weißen Hauses» wird im März 1896 begonnen und ist
im Herbst 1897 abgeschlossen. Im Parterre sind der Speisesaal, die Küche
und drei kleine Vorratsräume untergebracht. Der 1. und 2. Stock verfügen
über je sieben Räume von etwa gleicher Größe, die als Klassenzimmer
dienen. Im 3. Stockwerk werden die Kapelle, im Dachgeschoß die Schlaf-
räume eingerichtet, laut Plan 60 Zellen mit Bett und Pult bzw. Kommode.64
mit Angabe der Verwendung» von Joseph Brühlmann, Restaurator in Muri, in H. MÜLLER,
Muri ... , S. 318-319.
58 Vgl. GAM.
59 Celestino Durando (1840-1907) ist Mitglied des Generalrates und von 1894 bis 1902
Provinzial der «Ispettoria Estera» mit Sitz in Turin. Dieser Provinz sind die Einrichtungen in
England, Polen und in der Schweiz (Balerna, Ascona, Muri, Zürich) zugeordnet, weitere in
Afrika und Palästina (vgl. Stanislaw ZIMNIAK, Salesiani nella Mitteleuropa. Preistoria e storia
della provincia Austro- Ungarica della Societa di S. Francesco di Sales (1868 ca. -1919),
Roma, LAS 1997, 126; SN 13 (1907) 61-62).
60 SN 3 (1897) 17.
61 Vgl. S. BRÜHLMANN, Die Don Bosco-Anstalt ...
62 Die neu errichtete Scheune stellt das einzige Objekt dar, das bis in die Gegenwart er-
halten blieb und heute das Feuerwehrdepot beherbergt.
63 Das Gesamtobjekt W. Hanauers sah im Norden Kirche und Theatersaal vor, im We-
sten waren im Parterre Verkaufsläden und darüber Unterrichtsräume, im Südflügel schließlich
die Werkstätten mit Arkaden geplant (vgl. S. BRÜHLMANN, Die Don Bosco-Anstalt ... ).
64 S. BRÜHLMANN, Die Don Bosco-Anstalt ... , S. 25-26.

2.6 Page 16

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284 Franz Schmid
Eine eingehende Beschreibung der Don Bosco-Anstalt liefert auch der Be-
richt der Delegierten des Erziehungsrates vom 30. September 1902.65 Bezüglich
der Finanzierung gibt E. Mederlet zu Protokoll, daß die Schwestern Frey
zunächst eine Sammlung durchführten.66 Ein Buchauszug, den die Schwestern
Frey dem Bischof von Basel im März 1898 vorlegen, zeigt beachtliche Sum-
men, die aber wohl überwiegend durch Darlehen aufgebracht werden: auf der
Haben-Seite 140.000 Fr., auf der Soll-Seite aber 188.563,72 Fr., dazu
225.906,15 Fr. offene Rechnungen.67 Die später häufig genannte Schuldenlast
von 400.000 Fr. ist mit diesem Dokument unzweifelhaft nachgewiesen.68
Um die Schulden zu tilgen folgt ein Spendenaufruf dem anderen, folgt
ein Bittbrief an Don Rua dem anderen, ist der Direktor immerfort auf «Bettel-
fahrt» und soll der «FromIlle Verein zur Unterstützung der Don Bosco-Anstalt
zum hl. Joseph in Muri (Aargau, Schweiz)>> 69 helfen, die Last zu veningern.
Pfarrer A. Döbeli bittet in einem Schreiben vom 8. Oktober 1897
Don Rua, den vorgesehenen Direktor bald zu schicken, da noch viel vorzube-
reiten sei. Er lädt ihn zur Eröffnungsfeier ein und überläßt ihm die Festlegung
des Tages.7°
Als erste Salesianer treffen E. Mederlet als Direktor, Don A. Amossi und
K. Lichtenstein in Muri ein.
Die Eröffnung der Don Bosco-Anstalt Muri erfolgt am 8. Dezember
1897; ein Vertreter des Obernrates in Turin nimmt an der Einweihungsfeier
nicht teil.
Die SN berichten darüber ausführlich, nachdem in der Nr. 1 des Jahr-
gangs 1897 eine Ankündigung eIfolgt war. Dort wird sehr hoffnungsvoll über
65 StAAG F 7.
66 Vgl. ebd.
67 Vgl. BASo-A-1050.
68 Im Abschiedsbrief E. Mederlets vom 15. September 1904 an die Salesianischen Mit-
arbeiter heißt es: «Wir traten damals für die verhältnismäßig kleine Anstalt eine Schuldenlast
von 400.000 Fr. an, wie es in keiner der über 500 salesianischen Anstalten der Fall war» (ASC
FDR ms 3426 B 3).
69 Der «fromme Verein» gewährt allen Personen, die der Don Bosco-Anstalt «einen ein-
maligen Beitrag von 50 Cts... zusenden», Anteil an wöchentlich vier hl. Messen, die in Muri
gefeiert werden, «an allen frommen Übungen, welche im Hause gehalten werden» und emp-
fiehlt die Anliegen der Wohltäterinnen und Wohltäter allen Salesianern und ihren Zöglingen in
allen ihren Häusern, Collegien, Hospizen, Oratorien und Missionen. Die Spenden werden zum
Unterhalt des Hauses und zu Gunsten von armen Zöglingen verwendet. Die Namen der Wohl-
täterinnen und Wohltäter werden in ein Buch eingetragen, das in der Kapelle der Anstalt aufbe-
wahrt wird. Diese «Bekanntmachung» ist unterschrieben vom Direktor der Anstalt, E. Me-
derlet, empfohlen vom Generaloberen Don Rua und approbiert von Bischof L. Haas, datiert
mit 8. Dezember 1897, dem Tag der Einweihung der Anstalt. Diese «Bekanntmachung» er-
scheint in den SN als ganzseitige «Anzeige» auf den Umschlagseiten erstmals 1899, dann
immer wieder bis September 1904, dem Monat, da die Anstalt geschlossen wird.
70 Vgl. ASC FDR ms 3423 A 2.

2.7 Page 17

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 285
die neue Einrichtung geschrieben: von der schönen und gesunden Lage, von
den guten Verkehrsverbindungen nach Luzern, Zürich und Aarau, von der
praktischen und freundlichen Einrichtung und den klugen Überlegungen, um
nicht mit den aargauischen Schulgesetzen in Konflikt zu geraten. Dort wird
aber auch auf die großen finanziellen Sorgen hingewiesen und ein Aufruf
bittet um Spenden, die an Pfarrer A. Döbeli oder die Mitarbeiterinnen Fräu-
lein Frey adressiert werden können.71 Im Bericht über die Einweihungsfeier
heißt es:
«Am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariä fand in aller Einfachheit
und Bescheidenheit, welche die Söhne Don Boscos vor allem aus-
zeichnet, eine ernste Feierlichkeit statt, welcher eine hohe Bedeutung
nicht abzusprechen ist, da sie den Grundstein legt zur Möglichkeit fer-
nerer, in deutscher Sprache geleiteter Don Bosco-Anstalten: es ist dies
die von allen Mitarbeitern deutscher Zunge so lange ersehnte und erwar-
tete Eröffnung der Salesianischen Handwerksschule zum hl. Joseph in
Muri. Der hochwürdige Domherr Nietlispach 72 nahm zuerst die Einseg-
nung der Hauskapelle, d. h. des großen Saales im obersten Stockwerk,
und sodann des ganzen Hauses vor, worauf der hochwürdige Herr Di-
rektor Mederlet unter dankenswerter Mitwirkung des löblichen Kirchen-
chores zu Muri das hl. Meßopfer feierte. Nachdem hierauf den zahlrei-
chen Anwesenden der sakramentale Segen erteilt worden war, sprach der
Herr Direktor in herzlichen Worten noch den Dank an alle aus, welche
zur Errichtung des Hauses und zur heutigen Feier mitgewirkt hatten».73
Ein ausführlicher Bericht eines Mitarbeiters in der folgenden Ausgabe
der SN 74 enthält dann auch den Dank an die Gründer der Anstalt und be-
nennt Probleme, die die Anstalt schon bei ihrer Eröffnung belasten. «Zu-
erst galt der Dank den beiden Fräulein Frey, durch welche die Idee, hier
eine solche Anstalt ins Leben zu rufen, aufgenommen und auch in so
herrlicher Weise ausgeführt worden ist. Ihrer Energie, ihrer unerschütter-
lichen Willenskraft ist die Entstehung dieser Anstalt zu verdanken. An
Gegnern hat es ihnen nicht gefehlt; zwar waren es nicht persönliche
Gegner, sondern Gegner des Gedankens, und - große Gedanken, pflegt
man zu sagen, haben auch große und viele Gegner. Möge die in allen
Teilen bestgelungene Einrichtung der Anstalt, möge das übereinstim-
mende Urteil aller, die so zahlreich an diesem Tag die Anstalt besucht
71 Vgl. SN 3 (1897) 17-18.
72 Joseph Burkard Nietlispach (1833-1904), aus Beinwil ob Muri, besuchte das Gymna-
sium Einsiedeln, empfing 1860 die Priesterweihe, war 1860-67 Coadjutor in Wohlen, 1867-75
Hilfspriester in Baden, 1875-1904 Pfarrer in Wohlen, 1885 Dekan von Mellingen und nichtre-
sidierender Domhen. (SCSRDB) Er ist der Bruder des Gerichtspräsidenten von Muri und Na-
tionalrates Jakob Nietlispach, Primizprediger und väterlicher Freund von A. Döbeli und Mit-
glied des Patronatskomites der Don Bosco-Anstalt.
73 SN 3 (1897) 260.
74 Berichte über die Eröffnung der Don Bosco-Anstalt in Muri finden sich auch im
italienischen «Bollettino Salesiano» [22 (1898) 13] und im französischen «Bulletin Salesien»
[20 (1898) 39].

2.8 Page 18

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286 Franz Schmid
und nur eines Lobes sind, eine kleine Anerkennung sein für die vielen
Mühen und großen Opfer, die sie nicht gescheut haben».75
Weiter heißt es: «An der Eröffnungsfeier beteiligten sich nebst den
Geistlichen von Muri auch die Behörden der Gemeinde und des Be-
zirkes, sowie zahlreiches Volk. Bei dem der Feier sich anschließenden
Mittagessen in der Anstalt entbot zuerst der hochwürdige Herr Pfarrer
Döbeli der Gesellschaft Don Boscos seinen herzlichen Willkommen-
gruß. Er gab seiner und aller Anwesenden Freude Ausdruck, daß nun-
mehr in diese Gebäude ein neuer Geist eingezogen, daß gerade die Sale-
sianische Gesellschaft es sei, die hier ihre segensreiche Wirksamkeit zu
beginnen entschlossen wäre, denn es sei ja einer der schönsten Ge-
danken, eines der schönsten Ziele Don Boscos und seiner Gesellschaft,
vor allem das Handwerk wieder empor zu heben. Mit der Heranbildung
zu tüchtigen Berufsarten soll die Erziehung zu christlichen, zu religiösen
Handwerkern Hand in Hand gehen.
Auch der Präsident der Gemeinde bot im Namen der weltlichen
Behörden den Willkommengruß dar. Er machte namentlich darauf auf-
merksam, daß die hiesigen Handwerker geglaubt hätten, es werde ihnen
durch die Anstalt eine gefährliche KonkUlTenz erwachsen; da nun aber
der Herr Direktor diese Bedenken durch seine Erklärung vollständig be-
hoben habe, stehe auch ihm nichts mehr im Wege, diese Anstalt im
Namen der ganzen Bevölkerung zu begrüßen».76
Die Schweizerische Kirchen-Zeitung berichtete am 25.12.1897 anläßlich
der Eröffnung das erste und einzige Mal über die Anstalt.77
Noch einmal kOlnmt die Möglichkeit in Sicht, das Konventgebäude für
die Don Bosco-Anstalt zu erwerben.78 A. Keusch-Abbt von Hermetschwil hat-
te einer Sr. Johanna Fischer,79 die im Sterben lag, den Rat gegeben, den Sale-
sianern das Konventgebäude des Klosters Muri zu kaufen. Das Testament lau-
tete in dem Sinne, «daß von ihrem Vermögen nach ihrem Ableben den Gebrü-
dern Keusch 70.000 Fr. ausbezahlt werden müßten, um das Klostergebäude
75 SN 4 (1898) 15-16.
76 SN 4 (1898) 16.
77 «Die erste deutsche Don Bosco-Anstalt ist am Fest Mariä Empfängnis in den Räumen
des ehrwürdigen Klosters Muri feierlich eröffnet worden». Es folgen ein Text aus dem Pro-
spekt über die Aufnahmebedingungen und die Ausbildung und gute Wünsche: «In dieser An-
stalt haben wir ein Stück praktisches Christentum verwirklicht. Wir wünschen ihr eine segens-
reiche Wirksamkeit».
78 Der Bericht von A. Keusch-Abbt enthält eine Reihe Ungenauigkeiten, wohl deshalb,
weil er den Bericht viele Jahre später niederschrieb. Er selbst meint dazu: «Ich tue das mit
meiner Erzählungsart. Die Ereignisse kann ich nicht mehr ganz genau angeben, es fehlt mir das
Gedächtnis» (A. KEuscH-ABBT, «Unglück ... , S. 33). Vgl. dazu ferner: Angelus ALLEMANN, Das
Schicksal der Klosteranlage und die Neubesiedlung. in «Memorial Muri 1841». Hrsg. von der
Kulturstiftung St. Mmtin Muri. Muri, 1991, S. 243.
79 Sr. Johanna Fischer, 1815-1898, seit 1846 Dominikanerin im Kloster Katharinenthal
im Kanton Thurgau, das 1869 aufgehoben wurde. Seither war sie ohne beständigen Aufenthalt.
(Vgl. A. KEuscH-ABBT, «Unglück ... , S. 35)

2.9 Page 19

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 287
in Muri anzukaufen, zur ElTichtung einer salesianischen Anstalt».80 Nachdem
Sr. Johanna am 24. Januar 1898 verstorben war, unterbreiten die Gebrüder
Keusch am 29. Januar Direktor E. Mederlet und PfalTer A. Döbeli das Testa-
ment. E. Mederlet wendet sich noch am selben Tag an Don Rua und schreibt:
«Die Gebäude, mitinbegriffen Hofanlagen und ziemlich viel Ackerland, kön-
nen für die Nettosumme von 70.000 Fr. gekauft werden. Wenn man das kaufen
könnte, wäre es notwendig, nochmals 300.000 bis 400.000 Fr. für das auszu-
geben, was begonnen würde».81 Deshalb reist er am 6. Februar 1898 mit A.
Döbeli und A. Keusch-Abbt zu Don Rua nach Turin, um einen Vertrag zu
schließen. Nach A. Keusch-Abbt wird dort festgehalten: «Die Gebrüder
Keusch werden beauftragt, sofort in ihrem Namen, aber für die Salesianer, die
Klostergebäude zu kaufen, hätten sie aber nach Vollendung des Aufbaues den
Salesianern als Eigentum abzutreten. Die weiteren drei Punkte bestimmten,
daß die Gebrüder Keusch die Bauten übernehmen, die Pläne für die Aus-
führung von Turin geschickt werden, daß das Institut von Seiten der Gebrüder
Keusch, von Turin und durch weitere Unterstützung erhalten werden müsse.
Dafür sei genau Rechnung zu führen und es dürften keine Provisionen verlangt
werden».82 Don Rua unterschreibt den Vertrag zwar nicht, aber die Don Bosco-
Anstalt bezieht die ersten Räume im Konventgebäude. Als das Testament von
Sr. Johanna schließlich von den Erben angefochten wird und ein Prozeß droht,
macht E. Mederlet Mitteilung, daß die Salesianer vom vorgesehenen Vertrag
zurücktreten und die Werkstätten im Konventgebäude wieder räumen.83
4. DAS KONZEPT DER DON BOSCOaANSTALT MURI
Don Rua nennt in seinem Brief an die Salesianischen Mitarbeiter von
1898 als Bestimmung der Einrichtung: Kunst, Handwerk und Ackerbau. 84 Im
Prospekt heißt es: «Die Anstalt stellt sich die Aufgabe, der Elementarschule
entlassene Knaben aufzunehmen, um ihnen eine gute christliche Erziehung zu
geben, indem sie je nach Wunsch und Fähigkeiten, theoretisch und praktisch,
entweder zu Landarbeitern oder zu tüchtigen Handwerkern herangezogen
werden. Bei der Aufnahme werden in erster Linie arme und verlassene
Knaben berücksichtigt».85
80 A. KEUSCH-ABBT, «Unglück ... , S. 36.
81 ASe FDR ms 3423 A 5.
82 A. KEUSCH-ABBT, «Unglück ... , S. 36-37.
83 Vgl. ebd., S. 38-39.
84 Vgl. SN 4 (1898) 6.
85 Ebd.

2.10 Page 20

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288 Franz Schmid
Ausführliche Auskunft über Ziele, Aufgaben und die Form der Bildung
und Erziehung in der Don Bosco-Anstalt Muri gibt der Prospekt. Dieser wird
wiederholt mit geringfügigen Abweichungen - in den SN veröffentlicht. 86
Im «Don Bosco-Kalender 1900» findet sich S. 47 eine Kurzfassung des Pro-
spekts (<<kleine Übersicht»); ähnlich 1901. Im Staatsarchiv Aargau befindet
sich ein Faltblatt mit dem «Prospect», datiert mit «Februar 1902».87
PROSPECT DER DON BOSCO-ANSTALT «ST. JOSEPH»
in Muri (Aargau, Schweiz)
1.) Zweck der Anstalt
Die Anstalt stellt sich die Aufgabe, der Elementarschule entlassene Knaben aufzu-
nehmen, um ihnen eine gute christliche Erziehung zu geben und sie je nach
Wunsch und Fähigkeiten, theoretisch und praktisch, entweder zu Landarbeitern
oder zu tüchtigen Handwerkern auszubilden. Bei der Aufnahme werden in erster
Linie arme und verlassene Knaben berücksichtigt.
2.) Einrichtung
Die Anstalt steht unter der Aufsicht des hochwürdigsten Herrn Diözesanbischofs.
Die Leitung der Anstalt liegt in den Händen eines Priesters aus der Gesellschaft
Don Boscos. Für die Erlernung der verschiedenen Handwerke werden tüchtig ge-
bildete Handwerksmeister aus der Schweiz und Deutschland angestellt. Alle
Werkstätten befinden sich in der Anstalt selbst.
Für die praktische Einführung in die landwirtschaftlichen Arbeiten dient die Be-
bauung eines bedeutenden Landgutes.
Als Handwerke, welche in der Anstalt gelehrt werden, sind vorerst in Aussicht ge-
nommen: Bäckerei, Schneiderei, Schusterei, Schreinerei, Sattlerei, Schlosserei
und Gärtnerei, und je nach Entwicklung der Anstalt auch Buchdruckerei, Buch-
binderei, Wagnerei, Drechslerei, Spenglerei, Mechanik u. s. w. Es wird auch Gele-
genheit geboten, fremde Sprachen zu lernen (französisch, italienisch, deutsch).
3.) Lehrzeit
Die Lehrzeit beträgt in der Regel vier Jahre, wobei zu bemerken, daß jedem Zög-
ling bei gutem Betragen schon nach dem ersten Viertel ihrer Lehrzeit ein beschei-
dener Anteil am Arbeitsgewinn zukommt, der nach Maßgabe der Leistungen sich
bis zum Schluß der Lehrzeit steigert. - Für die Landarbeiter gelten bezüglich der
Lehrzeit besondere Bestimmungen.
4.) Kost und Lehrgeld
Die Anstalt kann von einem solchen, wie natürlich, nicht ganz absehen, wird aber
dürftigen und ganz armen Knaben gegenüber so weit nur möglich Rücksicht walten
lassen. Hierbei zählen aber die Leiter der Anstalt darauf, daß es immer noch Wohl-
täter geben werde, welche das WOlt des göttlichen Heilandes zu würdigen verstehen:
«Was Ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt Ihr mir getan.»
86 SN 4 (1898) Nr. 1,4. Umschlagseite; 5 (1899) Nr. 2, 3. Umschlagseite.
87 StAAG F 7.

3 Pages 21-30

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3.1 Page 21

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 289
Finanziell gut situierten Zöglingen wird ein ihren Verhältnissen angemessenes
Kost-und Lehrgeld angerechnet.
Für das erste Jahr sind 200 Fr. jährlich in 4 Raten zu bezahlen oder 20 Fr. monatlich.
Für das zweite Jahr 100 Fr. jährlich oder 10 Fr. monatlich.
Die Bezahlungen sind im voraus zu entrichten.
Alle Ausgaben für Bücher, Kleidung, Wäsche sowie auch für Ausbessern der
Kleider und Schuhe fallen den Eltern zur Last.88
5.) Erfordernisse für die Aufnahme
a) Erreichtes 15. Altersjahr und Bescheinigung des Einverständnisses der Eltern
oder Waisenbehörden mit dem Eintritt.
b) Heimatschein, Tauf- und Firmzeugnis, Pfarramtliches Sittenzeugnis.
c) Ärztliches Zeugnis über guten Gesundheitszustand, Impfschein.
6.) Ausstattung der Zöglinge
Jeder Knabe hat mitzubringen: 2 vollständige Anzüge (Sonntags- und Werktags-
anzüge), 3 Paar Leintücher, 6 Handtücher, 6 Hemden, 2 Unterleibchen, 2 Unter-
hosen, 8 Paar Strümpfe oder Socken, 12 Taschentücher, 2 Paar Schuhe, Kämme
und Bürste.
7.) Religiöse Erziehung
Alle Zöglinge besuchen täglich die hl. Messe, erhalten besonderen religiösen Un-
terricht und Gelegenheit zum öfteren Empfang der hl. Sakramente.89
8.) Kost und körperliche Pflege
Die Zöglinge erhalten eine genügende, kräftige Kost nach Landesgebrauch.
Für tägliche Erholung, sowie für bescheidene Vergnügen durch Teilnahme am Mu-
sikunterricht (Feldmusik), Turnen, gemeinsamen Spaziergänge u. s. w. wird gesorgt.
Bei Erkrank,Jmg wird sorgfältige ärztliche Behandlung zugesichert.
9.) Die ordentliche Entlassung eines Zöglings findet statt, sobald derselbe ein
Handwerk gründlich gelernt hat. Die Anstalt stellt hierfür ein Diplom aus und
wird die Zöglinge zur Ablegung der Kantonalen Lehrlingsprüfung anhalten.
Bei schlechter Aufführung eines Zöglings steht dem Direktor jederzeit das Recht
sofortiger Entlassung zu.90
Um nähere Auskunft wende man sich gflg. an den Hochw. Herrn E. Mederlet,
Direktor der Don Bosco-Anstalt in Muri (Aargau, Schweiz).
88 In der Fassung von 1902 (Faltblatt) heißt es in diesem Abschnitt ergänzend: «Jeder
Zögling hat beim Eintritt eine Probezeit durchzumachen, welche zu 30 Fr., außer dem Lehr-
geld, extra in Anrechnung gebracht werden, auch wenn der Zögling bleibt. Erst nach dieser be-
standenen Probezeit wird die definitive Aufnahme durch einen Vertrag abgeschlossen. Wer je-
doch nur einige Monate, ohne einen Vertrag abgeschlossen zu haben, in der Anstalt verbleibt,
bezahlt per Monat 30 Fr.» (StAAG F 7).
89 Der Abschnitt über die «religiöse Erziehung» findet sich nur in einer einzigen Ausgabe.
90. In der Fassung von 1902 sind folgende «Bemerkungen» angefügt: «1) Das Waschen
wird in der Anstalt besorgt für 2 Fr. pro Monat. 2) Sämtliche Auslagen für Reparaturen der
Kleider, Schuhe, sowie Schulartikel fallen den Eltern zur Last. Für Benützung der Schulmate-

3.2 Page 22

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290 Franz Schmid
4.1. Leben in der Anstalt
Die SN und die Korrespondenzen berichten über das Leben in der Don
Bosco-Anstalt. Diese Berichte beziehen sich allerdings ausschließlich auf
Feste, Ausflüge, Gäste, die Liturgie, Theater, Musik und Gesang. Über den
Alltag weder in den Werkstätten, noch in der Anstalt - sind Berichte nicht
vorhanden und Eindrücke nur sehr allgemein zu gewinnen.
Nach salesianischer Tradition werden vor allem das Fest des hl. Franz von
Sales, das Mariahilf-Fest, das Immakulata-Fest und der Namenstag des Direk-
tors mit allen Mitgliedern der Anstalt und mit zahlreichen Gästen begangen.
Am 8. Dezember 1898 wird «das erste Stiftungsfest der deutschen Don
Bosco-Anstalt zum heiligen Joseph» begangen, also das einjährige Grün-
dungsjubiläum. An diesem Tag werden erstmals Zöglinge in den «St. 10-
sephs-Verein» aufgenommen 91 und wird erstmals in der Don Bosco-Anstalt
Theater gespielt.92
1901 wird das Fest des hl. Franz von Sales am 3. Februar gefeiert. Pfarr-
helfer J. Stuber 93 hält dabei einen Vortrag über den Heiligen.94
Das Fest Mariä, Helferin der Christen wird erstmals 1900 erwähnt.95 Der
feierliche Gottesdienst wird in der altehrwürdigen Klosterkirche gefeiert, die
rialien bezahlt jeder Zögling pro Jahr 5 Fr. 3) Sämtliche Kleidungsstücke müssen mit der von
der Direktion bestimmten Nummer versehen sein. 4) Man wird darauf sehen, daß der Zögling
seine Sachen in Ordnung hält und lehnt dagegen jede Verantwortlichkeit über die durch die
Schuld des Zöglings verloren gegangenen oder verdorbenen Gegenstände ab, besonders, wenn
dieselben nicht numeriert waren, oder dem Verwalter der Wäsche überhaupt nicht angegeben
wurden. 5) Die Zöglinge dülfen weder geistige Getränke noch Geld bei sich behalten. Letz-
teres hat der Zögling dem hochwürdigen HelTn Präfekten abzugeben, welcher ihm alsdann je
nach Bedürfnis das Nötige aushändigen wird» (StAAG F 7).
91 In den Einrichtungen der Salesianer ist die Arbeit in «Bündnissen» seit der Zeit Don
Boscos Tradition. «In diesen bereits in allen von Salesianern geleiteten Anstalten bestehenden
Verein werden nur die besten der Anstaltszöglinge aufgenommen, die dann, auf solche Weise
geehrt, durch besonders gutes Beispiel ihren weniger guten Mitzöglingen voranleuchten und
dieselben anleiten sollen, um an einem anderen Festtag ebenfalls das Glück zu besitzen, in den
Verein aufgenommen zu werden» [SN 5 (1899) 30]. Später entstehen in der Don Bosco-Anstalt
Muri Probleme mit dem Bündnis. In den Visitationsberichten der letzten Jahre heißt es: «Aus
bestimmten Gründen wurden sie aufgelöst. Der Katechet arbeitet, um neue Mitglieder vorzube-
reiten und wird sie im nächsten Jahr wieder erstehen lassen.» Und später: «Man könnte einiges
verbessern. Wir hoffen Besseres in der zweiten Jahreshälfte» (ASC F 707).
92 Vgl. SN 5 (1899) 30-31.
93 Joseph Stuber, 1871-1915, geboren in Dietwil, empfing 1899 die Priesterweihe, wirkte
1899-1907 als Coadjutor in Muli, anschließend 1907-12 als Generalsekretär eines Jugendver-
bandes in Zürich, dann 1912-15 als Coadjutor in Bremgarten. (SCSRDB)
94 Vgl. SN 7 (1901) 125.
95 Schwester Annetta Rigazzi erwähnt in ihrer kleinen Chronik das Mariahilf-Fest 1898
und 1899, bei dem der Bischof zu Gast war. (ACFMA) Es handelt sich dabei um den Besuch
des Bischofs L. Haas vom 16. und 17. Mai 1899.

3.3 Page 23

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 291
von diesem Tag an der Don Bosco-Anstalt für den täglichen Gottesdienst zur
Verfügung steht. Den Gottesdienst zelebriert Don A. Amossi von der italieni-
schen Mission in Zürich.96
Von der ersten Namenstagsfeier des Direktors am 15. Juli 1898 be-
richten die SN bis ins Detai1.97 Zum Namenstag des Direktors am 15. Juli
1900 findet am Vorabend eine große Gratulation statt. Den Festtag verbringt
Bischof L. Haas in der Anstalt. Den Festgottesdienst zelebriert ein Pfarrer Al-
bert aus Remelfingen in Lothringen. Zur Vesper predigt der Bischof und
abends wird Theater gespielt. Der Direktor erhält an diesem Fest von den
Zöglingen eine Fahne geschenkt, die die Aufschrift trägt: «Gott segnet euere
Arbeit» und ein Bild mit dem arbeitenden Nährvater und dem Jesuskind
zeigt. Auch am 13. Juli 1901 wird das Namensfest des Direktors gefeiert, bei
dem der Direktor der italienischen Mission in Zürich, Don G. Branda das
Hochamt zelebriert.98 Über den Direktorstag am 13. Juli 1902 berichten die
SN ebenfalls ausführlich.99
Ein besonderes Fest findet am 7. April 1902 statt: die Primiz von E. But-
lingaire und W. Mlynarski, das die SN ausführlich beschreiben. 100
Am Dreikönigsfest (6. Januar) 1898 findet ein erster gemeinsame Aus-
flug statt. Man wandert auf Einladung zur «Rettungsanstalt» der Brüder
Keusch nach Hermetschwil, besucht eine Theatervorstellung der Waisen-
kinder und ist zum Essen eingeladen. lol
Der Wandertag nach Berikon am Tag nach dem Namenstag des Direk-
tors (16. Juli 1898) findet großen Anklang, an dem auch J. Koller,102 der Ka-
plan und spätere Pfarrer von Muri teilnimmt. 103
Am 21. April 1898 besuchen die Zöglinge der Don Bosco-Anstalt auf Ein-
ladung des Direktors J. Köpfli 104 das «Frauenkloster und Töchterinstitut hl.
Kreuz» bei Cham. IOS Am 16. Juli 1900, nach dem Direktorstag, findet ein
96 Vgl. SN 6 (1900) 185-186.
97 Vgl. SN 4 (1898) 175-176.
98 Vgl. SN 7 (1901) 282.
99 Vgl. SN 9 (1903) 69-70.
100 Beide werden in den SN fälschlich als «Schüler» der Anstalt bezeichnet. Sie waren
jedoch Kleriker, die in Muri ihre praktische Ausbildung absolvierten [vgl. SN 9 (1903) 66-68].
101 Vgl. SN 4 (1898) 3'9-40.
102 Joseph Koller, geboren 1872 in Oberwil, erhielt 1896 die Priesterweihe, war 1896-97
Coadjutor in Muri, 1897-1900 Pfarrer in Mellingen und dann Pfarrer in Muri. 1917 wurde er
zum Päpstlichen Ehrenkämmerer ernannt. Er starb 1918. (SCSRDB)
103 Vgl. SN 4 (1898) 175-176.
104 Jodocus Köpfli (1831-1911), 1857 Priesterweihe, 1863-1911 Direktor der Lehrschwe-
stern und des Pensionats Heilig-Kreuz bei Cham, Erbauer des Institutsgebäudes und der Kirche,
Gründer der Filialen und Haushaltungsschulen in Wiesholz und Dusnang und des Kinderasyls
Waterswil bei Baar. (SCSRDB)
105 Vgl. SN 4 (1898) 118-119.

3.4 Page 24

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292 Franz Schmid
«großer Ausflug» mit Nachtwanderung statt. 106 Am 12. August 1901 findet ein
Ausflug der Zöglinge statt, der sie nach Basel führt, wo sie A. Döbeli durch die
Stadt und in eine Gewerbeausstellung führt. 107 Am 30. Juni 1902 besuchen die
Zöglinge der Don Bosco-Anstalt erneut das Kloster Heilig-Kreuz bei Cham. 108
Zum Ende des Arbeitsjahres findet mehrmals eine Schlußfeier statt, bei
der die Lehrlinge, die ihre Ausbildung abschließen, entlassen werden. Am 16.
September 1900 findet die erste «Schlußfeier und Preisverteilung an die Zög-
linge der Anstalt» statt, «zu welcher sich zahlreiche Besucher einfinden. Der
erste Teil der Feier war mit musikalischen Vorträgen und Deklamationen aus-
gefüllt, den zweiten Teil bildete die Notenverlesung mit Preisverteilung. Die
Preise, teils in Büchern, Werkzeugen, Stoffen und andrem mehr bestehend,
waren von edlen Wohltätern geschenkt worden. Den Ehrenpreis für das Be-
tragen hatte Seine Gnaden der hochwürdigste Bischof L. Haas gewidmet».109
Am 8. September 1901 findet abermals eine «Preisverleihung» statt. Für 70
Zöglinge gibt es 67 Preise, die für Betragen, Religion, Arbeit, Schule, Zeichnen,
Musik und Anstand vergeben werden. Den Ehrenpreis, wieder gestiftet von Bi-
schof L. Haas, erhält der Schlosserlehrling Lorenz Scharz aus dem Elsaß. Am
Tag der Preisverteilung werden auch «Gesellenstücke» der Lehrlinge ausgestellt:
Schreiner-, Schlosser-, Buchdrucker-, Buchbinder- und Schuhmacherarbeiten. llo
Zum Leben in der Don Bosco-Anstalt zählen auch Musik, Theater und
Gesang. Es gibt keinen Bericht über festliche Ereignisse, in der nicht von der
Musikkapelle die Rede wäre. Sie hat auch außerhalb Muris zahlreiche Fest-
veranstaltungen begleitet. 111 Die Berichte erzählen auch von Aufführung meh-
rerer Chorwerke durch die Zöglinge. Es handelt sich dabei ausschließlich um
liturgischen Gesang. Die SN von 1901 erwähnen die Existenz einer «Scola
cantorum».112 Für die Musik und den Chor ist der Laienbruder A. Rossi in
den Jahren 1901 bis 1902 in Muri tätig.
106 Mit dem Abendzug fährt man nach Goldau und wandert nachts über «Rigi Däch1i»
und «Rigi Klösterli», wo ein Gottesdienst stattfindet, nach «Rigi Kulm», wo man den Sonnen-
aufgang erlebt. Der Rückweg führt über «Rigi-Staffel» nach Immensee, wo im Missionsinstitut
Bethlehem zu Mittag gegessen wird. Die Gäste musizieren gemeinsam mit den Zöglingen des
Hauses und man besichtigt die Lehrwerkstätten. Von Küssnacht geht es per Schiff über den
Vierwaldstättersee nach Luzern, wo man die Hofkirche besichtigt, das Löwendenkmal und die
Stadt und per Bahn die Rückfahrt nach Muri antritt. [Vgl. SN 6 (1900) 211-214].
107 Vgl. SN 7 (1901) 282.
108 Vgl. SN 9 (1903) 69.
109 SN 7 (1901) 21.
110 Zur selben Zeit nehmen Lehrlinge mit ihren Arbeiten an der «Allgemeinen Salesiani-
sehen Ausstellung in Turin» teil. [Vgl. SN 7 (1901) 283].
111 Die SN berichten, daß die Musikkapelle die Pilger Lothringens in Maria Einsiedeln
begrüßt; und das sowohl 1901 [SN 7 (1901) 282] als auch 1903 [9 (1903) 69].
112 Die SN berichten von folgenden Chorwerken, die zur Aufführung gelangten: Zwei-
stimmige Messe «Adoro te» von Singenberger; Messe von Perosi; Offertorium «Domine non

3.5 Page 25

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 293
Und auch eine «Theatergesellschaft» tritt in der Don Bosco-Anstalt und
im Kloster auf, zu deren Darbietungen auch Gäste aus Muri geladen sind. 113
Zum Leben in der Don Bosco-Anstalt zählen nach salesianischer Tradi-
tion schließlich Exerzitien. In der Karwoche 1901 predigt der Benediktiner
Pater Conrad aus Einsiedeln, 114 in der Karwoche 1902 «Seine Königliche Ho-
heit Prinz Max von Sachsen, Doktor der Theologie und beider Rechte, Pro-
fessor an der Universität zu Freiburg in der Schweiz».115
An die Abschlußfeier schließen sich drei Wochen Ferien. Sie beginnen
in der zweiten Septemberwoche und enden mit dem 1. Oktober. I 16
Die SN berichten immer wieder von Besuchern, die in Muri Gäste der Sa-
lesianer sind. 1899 kommen 130 Zöglinge der Don Bosco-Anstalt Balerna im
Tessin anläßlich ihrer Wallfahrt nach Einsiedeln zu Besuch nach Muri. 117 Am 7.
Juli 1900 besucht der Erzbischof von Chambery Hautin die Don Bosco-Anstalt,
während er sich im nahegelegenen Missionsinstitut Bethlehem in Immensee
aufhält. 118 Am 15. Juli (7) 1900 besucht der Abt des Klosters Muri-Gries «sein»
Kloster nach der Vertreibung im Jahr 1841 erstmals wieder. 119 Am 17. und 18.
September 1900 sind Rompilger aus Lothringen mit Pfaner zu Gast. 120
4.2. Lehrlingsbildung
Die Salesianer Don Boscos haben wohl von Anfang an die Absicht, in
Muri Lehrwerkstätten einzurichten, wie sie in Italien üblich sind. Die Kir-
chenpfIege Muri beschäftigt sich schon am 20. Januar 1895 mit einer Anfrage
der salesianischen Gesellschaft in Turin bezüglich der «Enichtung einer Er-
ziehungsanstalt und Handwerkerschule».121
Im ersten Prospekt der Anstalt wird angekündigt: «Als Handwerke,
secundum» von C. Frank; Vesper von Angelo Rossi; «Die Liebe» von Rossini; Messe von
Haller; Zweistimmige Messe von Gounod; «Ave Maria» von Gounod; Messe «Te Deum lau-
damus» von Perosi; «Missa quinta decima» von Haller; «Tantum ergo» von A. Rossi [vgl. SN
7 (1901) 125].
113 Folgende Stücke werden erwähnt: «Ein Druckfehler» von Giuseppe Cantagalli;
«Der Barbier»; Oper «Der geprellte Wirt»; Oper «Die beiden Maurer Klitsch und Klatsch»;
Drama: «Dein Sohn wird mein Rächer sein»; Drama «Die Bekehrung des Räuberhauptmanns»;
«Meister Martin oder Gott segne das ehrbare Handwerk»; «Sieg des hl. Aloysius» in drei Akten;
«Peter in der Fremde» und «Abaldus Stendardus», Drama in fünf Akten.
114 Vgl. SN 7 (1901) 281.
115 SN 9 (1903) 66; DBK 4 (1903) 31.
116 Vgl. ebd., 283.
117 Vgl. SN 5 (1899) 224-225.
118 Vgl. SN 6 (1900) 210.
119 Vgl. ebd.
120 Vgl. SN 7 (1901) 21.
121 PfAM.

3.6 Page 26

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294 Franz Sclllnid
welche in der Anstalt gelehrt werden, sind vorerst in Aussicht genommen:
Bäckerei, Schneiderei, Schusterei, Schreinerei, Sattlerei, Schlosserei und Gärt-
nerei, und je nach Entwicklung der Anstalt auch Buchdruckerei, Buchbinderei,
Wagnerei, Drechslerei, Spenglerei, Mechanik u. s. W.».122 In den folgenden
Jahren werden Lehrlinge als Buchdrucker, Buchbinder, Schreiner, Schlosser,
Schneider, Sattler und Tapezierer, Mechaniker und zu Landwirten ausgebildet,
die anderen vorgesehenen Handwerksberufe werden nie realisiert. 123
Die Werkstätten werden in einer umgebauten Scheune westlich, einige
im neuen Ökonomiegebäude östlich des Williweges untergebracht, die
Schneider- und Buchbinderwerkstatt befinden sich im Anstaltsgebäude. Vorü-
bergehend sind zwei Werkstätten auch im Erdgeschoß des nördlichen Teils
des Ostflügeis im Konventgebäude untergebracht. 124
Am 18. Juni 1902 stellt E. Mederlet in einem Schreiben an J. V. Hürbin 125
die Handwerksmeister vor. 126 «Als Werkmeister sind angestellt: In der Schnei-
derei: Wilhelm Hausherr von Rottenschwyl. Genannter ist im Besitze eines Di-
ploms von der Akademie in Stuttgart, und war früher Experte an der Lehr-
lingsprüfungs-Kommission in Aarau, in der Schusterei: Peter Caspar von Lie-
li, Kanton Luzern, in der Buchbinderei: Jacob Burkart von Merenschwand,
Kanton Aargau, in der Buchdruckerei: L. Klethi aus Fischweiler, Elsaß, in der
Schreinerei: Emil Haessler, ein Badenser, wohnhaft in Muri, in der Schlosserei:
Balthasar Villiger aus Merenschwand, Kanton Aargau, in der Landwirtschaft:
Wilhehn Kappeier von Dusnang, Kanton Thurgau».127
Im ersten Inspektionsbericht der Delegierten des Erziehungsrates vom
122 SN 4 (1898) Heft 1.
123 Am 2. Juni 1898 schreibt E. Mecterlet an Bischof L. Haas: «Die Werkstätten sind auf-
geteilt in Schuhmacherei, Schneider, Schreiner, Schlosser, Sattler und Bäckerei. (Anmerkung:
Noch keine Buchbinder!)>> (BASo-A-1050). Die Bäckerei wird später nie wieder genannt.
124 A. Keusch-Abbt berichtet: «Die Salesianer bezogen [...] [im Winter 1898/99] im Par-
terre des Klostergebäudes drei noch erhaltene Räume, die vom Brand verschont geblieben
waren und richteten in den massiven und großartigen Gewölben eine Schreinerei und Schlos-
serei ein» (A. KEuscH-ABBT, «Unglück ... , S. 38). Diese räumen sie im Frühjahr 1899 wieder,
als sich die Hoffnungen auf einen Kauf des Konventgebäudes endgültig zerschlagen.
125 Joseph Viktor Hürbin (1831-1915), Studium der Theologie, Pädagogik, ~Philosophie
und Germanistik in Tübingen und Freiburg im Breisgau, Lehrer und Rektor an der Bezirks-
schule Muri, Mitglied der «Mittwochsgesellschaft» , Gemeindeschulinspektor, Präsident der
staatlichen Prüfungskommission für katholische Geistliche, Direktor der Strafanstalt Lenzburg,
Mitglied des Erziehungsrates. Hatte sich mit freisinnigen Katholiken der christkatholischen
Kirche angeschlossen. (Vgl. Hugo MÜLLER, Die Mittwochsgesellschajt von Muri. in: DOlf-
chronik von Murijür das Jahr 1971 Hrsg. vom Verkehrsverein Muri. Muri, 1972, S. 28f.)
126 L. Prieri spricht am 7. Dezember 1899 davon, daß zu Anfang zwei Salesianer
als Werkstättenleiter in Muri tätig waren, die dann durch «Externe» ersetzt wurden (ASe FDR
ms 3423 B 3).
127 H. MÜLLER, Die Don Bosco-Anstalt ... , S. 11 nennt weitere Handwerksmeister:
Schreinermeister Alois Mäschli aus Muri und den Sattlermeister Alois Ineichen.

3.7 Page 27

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hl. Joseph» in Muri... 295
30. September 1902 heißt es dazu: «Die Laien (sämtliche Werkmeister) sind
verheiratet und wohnen mit ihren Familien extern».128
Die Anstalt eröffnet mit zwei MeistelTI und sechs Lehrlingen. 129 E. Me-
derlet schreibt am 2. Juni 1898 von 28 Zöglingen und 133 Vormerkungen. 130
H. Müller berichtet: «1900 verzeichnete die Anstalt 9 Schneider-, 6 Schuster-,
7 Sattler-, 2 Buchdrucker-, 11 Schreiner-, 11 Schlosser- und 3 Mechanikerlehr-
linge; dazu kamen zwei angehende Landwirte».131 Diese Zahl 50 wird in den
folgenden Jahren überschritten: C. Graf spricht 1902 von 70 Lehrlingen. 132
Der Bericht der Delegierten des Erziehungsrates vom 30. September
1902 versucht auch eine Qualitätsbeurteilung:
«Die vorhandenen Fabrikate können als Lehrlingsarbeiten natürlich auf
Vollkommenheit nicht vollen Anspruch machen. Dagegen beweisen sie
doch, daß unter tüchtiger Leitung gearbeitet wird. Unverkennbar ist
dabei der Erfolg des Zeichenunterrichts, worin jeder Lehrling wöchent-
lich 2 halbe Tage betätigt wird. [...] Die Schneiderlehrlinge werden auch
im Zeichnen von Schnittmustern und im Maßnehmen geübt. Sie führen
Zeichnungsbücher. Offenbar wird die Schneiderei rationell geführt».l33
Von der Tüchtigkeit des aus dem Elsaß stammenden Buchdruckermei-
sters L. Klethi berichtet E. Mederlet am 1. Juni 1902 an Don Rua:
«Der Chef-Buchdrucker [...] arbeitet gut und führt sich sehr gut. Auch
sucht er den Nutzen unseres Hauses, wo immer es möglich ist, und die
Geistlichen der Umgebung mögen ihn wegen seiner Genauigkeit und der
Qualität seiner Arbeit. Außerdem bereitet er die Jugendlichen gut auf die
Kantonsprüfung vor. Wir haben dafür den Beweis in einem Lehrling, der
ein Spitzenzeugnis heimgebracht hat».l34
Wiederholt und an verschiedenen Orten wird von den Erfolgen berichtet,
welche die Lehrlingsausbildung in der Don Bosco-Anstalt zu verzeichnen
hat. 1901 «haben wir zum ersten Male seit dem dreijährigen Bestehen der An-
stalt die Freude erlebt, einige unserer Lehrlinge zu den kantonalen Lehrlings-
prüfungen schicken zu können. Das Resultat war ein über unser Erwarten
glänzendes. Es wurden eine goldene, zwei bronzene Medaillen und fünf
Lehrlingsdiplome errungen».135 Von 17 Absolventen treten 1901 zehn zur
128 StAAG F 7.
129 Caspar GRAF, Das Kloster Muri. Muri, Don Bosco-Anstalt 1902, S. 131.
130 Vgl. BASo-A-1050.
131 H. MÜLLER, Muri ... , S. 162.
132 Vgl. C. GRAF, Das Kloster Muri ... , S. 131.
133 StAAG F 7.
134 ASC FDR ms 3425 E 4.
135 SN 7 (1901) 171.

3.8 Page 28

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296 Franz Schmid
Lehrlingsprüfung des Handwerker- und Gewerbeverbandes an. 136 Am 18. Juni
1902 berichtet E. Mederlet an J. V. Hürbin, Mitglied des Erziehungsrates:
«Von den entlassenen Zöglingen haben 15 die kantonale Lehrlingsprü-
fung in Aarau bestanden und ihr Diplom erhalten, außerdem 2 die sil-
berne Medaille und 6 die bronzene. Einer dieser hat ebenfalls an der
Akademie in Frankfurt am Main die Prüfung als Schustermeister mit be-
stem Erfolg bestanden».137
Mehrere Ausgaben des Don Bosco Kalenders veröffentlichen Anzeigen,
die auf die Werkstätten der Don Bosco-Anstalt aufmerksam machen. So die
Schneiderwerkstätte:
«Die Schneiderei der Don Bosco-Anstalt Muri (Am"gau) empfiehlt ihr
Maßgeschäft bestens. Anfertigung von Herren- und Knabenkleidern,
Priesterkleidungen, Soutanen, Soutanelen, Mantelettes Camail, Militär-
rnäntel, Pellerinen, Reithosen, Stiefelhosen, Musik- und Feuerwehruni-
formen, Jagd- und Sportanzüge. Guter Schnitt. Prompte Bedienung. Mu-
ster-Collektion zu Diensten».138
Die Werkstätten kämpfen aber bald gegen einen Mangel an Aufträgen,
was angesichts der hohen Schuldenlast zu Existenzproblemen führt. Aber auch
die räumliche Enge wirft Probleme auf. E. Mederlet schreibt am 22. Februar
1901 an Don Rua: «In Muri herrscht Platzmangel und es gibt nicht genug Ar-
beit für die Werkstätten.» Und er schlägt vor: Die «Werkstätten [...] nach Basel
verlegen.» Ein paar Tage später schreibt er: «Die Werkstätten nach Basel zu
verlegen, ist eine sehr wichtige Angelegenheit. Vorschläge für den Augenblick:
die Zahl der Handwerker verringern, keine neuen Handwerker aufnehmen und
frei gewordene Plätze mit Studenten füllen» 139. Auch L. Prieri schreibt am 23.
Februar 1901 in diesem Sinne an Don Rua: Die Handwerker seien in Muri
nicht zu erhalten, man solle sie nach Basel verlegen, da in einer Stadt leichter
Spenden gesammelt werden könnten. 140 Als Alternative zu einer Verlegung
der Werkstätten nach Basel schlägt E. Mederlet am 26. Februar 1901 vor, sale-
sianische Handwerksmeister einzusetzen (Schlosser, Schreiner, Schuster,
Schneider).141 Diesem Vorschlag schließt sich auch der Präfekt an.
E. Mederlet bemüht sich gleichzeitig durchaus weiter um den Erhalt der
136 Vgl. SN 7 (1901) 283.
137 StAAG F 7.
138 DBK 2 (1901) 78.
139 ASe FDR ms 3424 A 4-5.
140 Bereits am 28. Februar 1901 beschäftigt sich der Obernrat in Turin mit den Vor-
schlägen. Er erklärt sich mit der Aufnahme von Schülern einverstanden, mit dem Abzug der
Lehrlinge aber solle man sich Zeit lassen. (Vgl. ASe VRe D 869)
141 Ase FDR ms 3427 A 2-3.

3.9 Page 29

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 297
Werkstätten, so wenn er am 26. Mai 1902 an Provinzial C. Durando schreibt:
«Wir würden gerne Schreiner- und Schlosserarbeiten in dem Haus in Sion
machen».142 Zuvor kann er schon am 17. Januar 1902 berichten, daß die Don
Bosco-Anstalt Muri in das Handelsregister von Aargau eingetragen wurde. 143
Am 1. Juni 1902 berichtet er an Don Rua von seinen ersten Sparmaß-
nahmen: «Ich habe dem Schuhmachermeister gesagt, er solle sich eine andere
Stelle suchen, weil seine Werkstatt zu wenig Arbeit hat, als daß man einen ex-
ternen Chef bezahlen könnte».144 Später werden auch der Schreiner- und
Schlossermeister 145 entlassen, wie auch der Pächter der Landwirtschaft.
Als im Frühjahr 1902 nach weiteren Sparmöglichkeiten gesucht wird
und Salesianer als Handwerksmeister eingesetzt werden sollen, stehen auch
die Stellen der Meister in Buchdruckerei und Buchbinderei zur Disposition.
E. Mederlet lehnt einen Vorschlag Don Ruas ab, den Buchdruckermeister L.
Klethi aus dem Elsaß zu entlassen. Auch der «Chefbuchbindef» 1. Burkart aus
Merenschwand im Aargau soll auf Vorschlag Don Ruas abgelöst und durch
einen Italiener 146 ersetzt werden. E. Mederlet aber Ineint, er würde das ganze
Jahr hindurch genügend Arbeit haben, da er für eine benachbarte Fabrik
«Kartonschachteln» produzieren werde. Schließlich aber ist E. Mederlet eher
bereit, den Buchbinder zu entlassen als den Buchdrucker, wie aus seinem
Schreiben vom 1. Juni 1902 an Don Rua hervorgeht. 147
Im zweiten Bericht der Delegierten des Erziehungsrates vom 31.
Dezember 1903 wird diese Entwicklung wahrgenommen und so heißt es,
«es fehle in den Arbeitsräumen mit Ausnahme der Schneiderei überall an
Ordnung, Frische und Lebendigkeit. In der Schlosserei und Schreinerei
waren die Werkmeister abwesend und die Zöglinge arbeiteten nach Gut-
dünken. Gewiß wird in den Werkstätten, die Schneiderei ausgenommen,
142 ASC FDR ms 3425 E 2-3.
143 Vgl. ASC FDR ms 3425 C 4-7.
144 Am 19. Juni 1902 schreibt E. Mederlet an C. Durando, daß der «Chef-Schuster am 1.
Juli für immer gehen wird. Wenn Sie uns ausnahmsweise einen Meister schicken könnten,
würden Sie uns eine große Freude machen. Es sind nur 4 Lehrlinge in der Werkstatt» (ASC
FDR ms 3425 E 10-11).
145 L. Prieri berichtet am 9. März 1901 an Don Rua: «Die mechanische Werkstatt, die
mittlerweile geschlossen ist, hat ein Defizit von ca. 5.000 Fr. erwirtschaftet und die Schmiede
ebenso. Die Defizite kommen durch die externen Werkstättenleiter zustande, die bezahlt
werden müssen. Das wichtigste, was benötigt wird, sind salesianische Fachkräfte, die die ex-
ternen ersetzen. Der geringe Gewinn der Werkstätten wurde bisher immer für die Bezahlung
der externen Leiter verwendet» (ASC FDR ms 3427 A 4-5).
146 Im genannten Brief ist von einem Henn Canova (7) die Rede, der in Konflikte mit
anderen Personen der Anstalt verwickelt ist, so daß die Polizei zu Hilfe gerufen werden muß
(vgl. E. Mederlet an Don Rua am 1. Juni 1902, in ASC FDR ms 3245 E 4-7). Dieser Name er-
scheint wieder in einem anonymen Schreiben eines Zöglings an die Polizei vom 3. November
1903, wo er zu den Novizen gezählt wird (StAAG F 7).
147 ASC FDR ms 3425 E 4-7.

3.10 Page 30

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298 Franz Schmid
höchst wenig verdient, es bedarf die Anstalt sicherlich gewaltiger
Zuschüsse von außen, wenn sie nicht zusammenfallen soll» 148.
In der Schweiz erfolgt um die letzte Jahrhundertwende die Ausbildung
von Lehrlingen für das Handwerk in Meisterbetrieben und wird vom Hand-
werker- und Gewerbeverband beaufsichtigt. Schon vor der Jahrhundertwende
hatte man damit begonnen, der praktischen Werkstattausbildung in Handwer-
kerschulen eine theoretische hinzuzufügen. Das Modell ausgesprochener
Lehrwerkstätten, das die Don Bosco-Anstalt in Muri darstellt, ist im Aargau
unbekannt. Bereits 1899 wirft deshalb der Gewerbeverband ein kritisches
Auge auf das Ausbildungskonzept. Wiederholt sind auch Anmerkungen zu
finden, daß der Handwerker- und Gewerbeverband in der Handwerkerschule
der Don Bosco-Anstalt eine Konkurrenz wittert. Der Verband ordnet eine In-
spektion an, der folgende Personen angehören: ein Vertreter des Gemeinde-
rates Muri, J. Egloff, der Präsidenten des Verbandes, Stadtrat W. Weiss,
Schreinermeister in Lenzburg, J. Isler, Spenglermeister in Wohlen und F. Seh-
ringer, Sattlermeister in Muri. 149
Das Modell der Don Bosco-Anstalt Muri kann die Fachleute
nicht überzeugen. 1944 erwähnt die Jubiläumsschrift des Aargauischen
Gewerbeverbandes die Lehrwerkstätten als mißlungenen Versuch: «Um die
Jahrhundertwende bestand in Muri eine Lehrwerkstätte des in Italien und im
Tessin heute noch um das Bildungswesen sehr verdienten Don Boscoordens.
Eine Delegation des Kantonalvorstandes besuchte im Jahre 1899 diese
Anstalt. In ihrem Bericht bemerkte sie, daß die berufliche Ausbildung
weitgehend hinter die religiösen Bestrebungen zurücktrete. Die Schule wurde
bald aufgehoben».15o
4.3. Bürgerschule
Was den UntelTicht für die Lehrlinge angeht, sind wenig Informationen
aus den Quellen zu gewinnen, aber die Untersuchungsberichte der Dele-
gierten des Erziehungsrates vom 9. September 1902 und 3. November 1903
enthalten einige Angaben.
Es handelt sich wohl um eine Berufsschule (Handwerkerschule) mit der
Funktion einer «Fortbildungsschule» für Jugendliche, die gleichzeitig eine
«Bürgerschule» darstellt, die die Lehrlinge neben ihrer praktischen Ausbildung
148 StAAG F 7.
149 Vgl. H. MÜLLER, Die Don Bosco-Anstalt ... , S. 11.
150 Werner RINIKER, Fünfzig Jahre Aargauischer Gewerbeverband 1894-1944. in
«Jubiläumsschr{ft des Aargauischen Gewerbeverbandes». Hrsg. vom Aargauischen Gewerbever-
band. O. 0., [1944], S. 30.

4 Pages 31-40

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4.1 Page 31

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 299
in der Werkstatt täglich besuchen müssen. 151 Die Zöglinge, die aus der Schweiz
stammen, absolvieren damit ihre Bürgerschulpflicht. Im ersten Jahr nach Grün-
dung der Anstalt werden die bürgerschulpflichtigen Zöglinge nach Muri in die
Bürgerschule gesandt, dann aber dort abgewiesen mit der Bemerkung, die An-
stalt besitze selbst hinreichenden Unterricht für diese Altersstufe. 152
Der «Lehrplan», den E. Goldemann am 20. November 1903 an den Er-
ziehungsrat J. V. Hürbin nach Lenzburg schickt, nennt die Unterrichtsgegen-
stände und Schulbücher.
«Deutsch: Lesen, Erklären, Aufsätze, Geschäfts- und bürgerliche Briefe;
Rechnen: bürgerliches Rechnen, Vaterlandskunde: Geschichte, Geogra-
phie, Verfassungskunde; Buchhaltung; Fachzeichnen, Freihandzeichnen,
Kalligraphie». An anderer Stelle werden auch Musik, Gesang und Turnen,
sowie die Freifächer Französisch und Italienisch genannt. Als Lehrmittel
werden verwendet: «Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten», her-
ausgegeben von Dr. Bernhard Schulz, Geheimer Regierungsrat und
Schulrat. Teil 1. Abteilung für die unteren Klassen. Für Vaterlandskunde:
«Illustrierte Geschichte und Geographie der Schweiz» für die höheren
Klassen der Primarschule und für die Fortbildungsschule. Auf Anordnung
des Erziehungsrates des Kantons Luzern [herausgegeben]. Für Rechnen:
«Aufgabensammlung» von Steiner, Heinrich Schulze und Wydler».153
Die Lehrer sind in der Mehrzahl Salesianer. Mehrmals genannt werden:
E. Goldemann ab 1901 für Deutsch und Mathematik; O. Hausmann, ein Laie,
für Zeichnen; J. Hospenthal ab 1901 für Mathematik und Zeichnen; K. Lich-
tenstein «für die Wissenschaften» von Anfang an; L. Prieri von 1899 bis 1902
für Italienisch; A. Rossi 1901 und 1902 für Musik und Gesang. Dazu wird Re-
ligionsunterricht erteilt. 154 Die als «Professoren» bezeichneten Personen, die .
Unterricht erteilen, verfügen über keine adäquate Ausbildung als Lehrer, mit
Ausnahme von O. Hausmann. Aber keiner hat ein aargauisches Lehrerpatent
und kein aargauisches «Wahlfähigkeitszeugnis». E. Goldemann und J. Hos-
penthal haben zur Vorbereitung auf das Theologiestudium Philosophie studiert.
Was die Schüler angeht, fügt E. Goldemann dem Schreiben an Erzie-
151 Der Don Bosco-Kalender von 1904 berichtet: «Neben sachgemäßer Ausbildung er-
halten die Knaben täglich Unterricht in der unter staatlicher Aufsicht stehenden Fortbildungs-
schule» (DBK 1904, S. 33)..
152 Der Kaufvertrag vom 30. Dezember 1895 enthält einen am 5. Januar 1896 verein-
barten Zusatz, der sich auf diesen Zusammenhang bezieht: «Wenn Käufer, Rechtsnachfolger
oder salesianische Gesellschaft in Muri zwanzig oder mehr Zöglinge, die nach aargauischem
Schulgesetz noch schulpflichtig sind, zur Erziehung, Ausbildung oder Pflegschaft aufnehmen,
so verpflichten sie sich, eine oder mehrere Schulen auf eigene Kosten zu errichten» (GAM).
153 StAAG F 7.
154 Gelegentlich ist auch von anderen Lehrern die Rede: A. Juresko für Musik und
Gesang, E. Mederlet für Deutsch und Buchhaltung.

4.2 Page 32

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300 Franz Schmid
hungsrat J. V. Hürbin vom 20. November 1903 eine Liste mit 21 Namen bei, aus
der hervorgeht, daß nur ein Zögling aus dem Kantonen Aargau stammt, alle in
den Jahren 1885 bis 1887 geboren, also alle fünfzehn Jahre und älter sind. 155
Was die Qualität des Unterrichts angeht, gibt es in den Untersuchungs-
berichten der Delegierten des Erziehungsrates mehrere Hinweise auf Mängel.
Bei ihrem ersten Besuch am 9. Septeinbel' 1902 stellen sie fest: «Bestimmte,
gedruckte Lehrpläne für den in der Anstalt erteilten Unterricht sind nicht vor-
handen».l56 Sie kritisieren auch die Klassenräume und ihre Ausstattung und
verlangen Veränderungen. Bei ihrem zweiten Besuch am 3. November 1903
stellen sie fest, daß kein Stundenplan existiert und der Unterricht für die bür-
gerschulpflichtigen Zöglinge im neuen Schuljahr noch nicht wieder aufge-
nommen worden ist. Die rasch angesagte Unterrichtsstunde, der die Inspek-
toren beiwohnen, wird als unzulänglich in jeder Richtung beurteilt. l5?
Da Artikel 64 der Verfassung des Kantons Aargau vorsieht, daß sich die
Lehrberechtigung an allen Schulanstalten auf staatliches Patent stützt, unter-
liegt auch diese Art von Schule der Aufsicht durch die Erziehungsdirektion.
Die Delegation des Erziehungsrates stellt deshalb auch die Frage nach der
staatlichen Aufsicht und der Teilnahme der Zöglinge an öffentlichen Prü-
fungen, die verneint werden muß. Es fehlen nicht nur (gedruckte) Lehrpläne,
sondern auch die Unterrichtsorganisation läßt sehr zu wünschen übrig. Was J.
Goldemann als «Lehrplan» an den Erziehungsrat schickt, ist lediglich eine
Aufzählung von sechs Fächern mit minimaler Untergliederung. Unterrichts-
ziele werden überhaupt nicht benannt. Die Delegation hält den Unterricht und
die Organisation für ungenügend und schlägt deshalb vor, die «Zöglinge
schweizerischer Nationalität, welche im bürgerschulpflichtigen Alter stehen,
in die Bürgerschule der Gemeinde Muri zu schicken, oder durch Lehrer, die
aargauische Lehrpatente besitzen, nach gesetzlicher Vorschrift selbst unter-
richten und prüfen zu lassen».158 E. Goldemann teilt daraufhin am 20. No-
vember 1903 mit, daß der patentierte Gemeindeschullehrer Staubli sich bereit
erklärt, den Unterricht in der Bürgerschule zu übernehmen. 159
4.4. Sprachenschule
Als sich angesichts der wirtschaftlichen Lage die Probleme mit den
Lehrwerkstätten häufen, beginnen die Salesianer in der Don Bosco-Anstalt
Muri nach einer anderen Zielgruppe ihrer Tätigkeit zu suchen.
155 StAAG F 7.
156 Ebd.
157 Ebd.
158 Ebd.
159 Ebd.

4.3 Page 33

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 301
In einem Brief von E. Mederlet vom 22. Februar 1901 an Don Rua wird
berichtet: «Ein Dutzend französische Studenten, die Deutsch lernen und 60
Fr. bezahlen, werden ins Haus kommen». 160 Am 26. Februar 1901 spricht er
davon, daß an Ostern 15 Schüler einer Wirtschaftsschule in Troyes in Frank-
reich erwartet werden und daß in Salesianerhäusern in Italien und Frankreich
für die Sprachkurse in Muri geworben werden soll. Auch L. Prieri spricht sich
am 23. Februar 1901 in einem Schreiben an Don Rua dafür aus und berichtet
am 9. März 1901, daß auch Studenten aus Italien erwartet werden. Mit dem
Gewinn aus den Studenten könne man sich langsam erholen. 161 Für die Som-
merferien 1901 werden abermals 16 Schüler erwartet, berichtet E. Mederlet
am 11. Juli 1901. 162
Der Obernrat stimmte dem Vorhaben, Schüler aufzunehmen, am 28.
Februar 1901 ZU,163 und Don Rua schreibt am 13. März 1901 an L. Prieri, daß
er sich freue, wenn in Muri mit Studenten begonnen werden kann. IM
Mit der Aufnahme von Schülern in die Don Bosco-Anstalt wird von
Neuem die Frage relevant, ob die Salesianer eine Schule eröffnen und unter-
halten dürfen. E. Mederlet hofft in einem Schreiben vom 26. Februar 1901 an
Don Rua, eine entsprechende Genehmigung erreichen zu können. 165
Während man. sich um Sprachenschüler bemüht, entstehen neue Pro-
bleme hinsichtlich der Lehrer. E. Mederlet bittet Provinzial C. Durando am
19. April 1901 um den aus Basel stammenden Salesianer E. Goldemann als
Lehrer, der in Lüttich in der Französischen Provinz tätig ist. Da dieser nicht
eintrifft, muß er selbst Deutschunterricht erteilen, während A. Rossi italie-
nisch unterrichtet. Am 26. Mai 1901 erinnert er noch einmal daran. Und auch
am 11. Juli 1901 wiederholt er seine Bitte. 166
Wie lange und wie viele Sprachenschüler in Muri zu Gast sind, wie
lange die Kurse dauern und wie sie abgeschlossen werden, ist nicht zu ermit-
teln. Am 19. Juni 1902 teilt E. Mederlet dem Provinzial C. Durando mit, daß
die italienischen und französischen Schüler «uns bisher nicht viel Trost ge-
bracht haben», und er räumt ein, daß man sich um sie zu wenig hatte küm-
mern können. 167 L. Prieri berichtet am 27. Juni 1902 an C. Durando, daß der
160 ASe FDR ms 3424 A 4-5.
161 Vgl. Ase FDR ms 3424 A 7.
162 Die Idee, Sprachenschüler in die Don Bosco-Anstalt aufzunehmen, kommt zu dem
Zeitpunkt, da Pfarrer 1. Keusch im Konventgebäude des Klosters ein Internat eingerichtet und
am 16. Oktober 1900 eine Schule für moderne Sprachen und Wirtschaft eröffnet hat. (Vgl. H.
MÜLLER, Muri ..., S. 155-158)
163 Vgl. ASe VRe D 869.
164 Vgl. Ase FDR ms 3923 D 3.
165 Vgl. Ase FDR ms 3424 B 3-4.
166 Vgl. Ase FDR ms 3424 B 12; e 2; e 8.
167 Vgl. Ase FDR ms 3425 E 8-11.

4.4 Page 34

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302 Franz Schmid
Hausobernrat beschlossen habe, keine Sprachkurse mehr anzubieten, er selbst
sie aber gerne weiterführen würde. «Die Schuld liegt sicher an den Studenten,
aber auch an den Professoren und an der mangelnden Unterstützung im Haus.
Es hat sich kaum jemand um die Studenten gekümmert. Eine Gruppe von
französischen Studenten ist auch gemeinsam aus der Don Bosco-Anstalt aus-
gezogen und hat sich in ein Hotel einquartiert. Unterricht haben sie in der An-
stalt von Herrn Keusch genommen».168
4.5. Lateinschule für «Mariensöhne»
Während die Salesianer in Muri beschließen, keine weiteren Sprachkurse
zu veranstalten, wird die Idee entwickelt, «Mariensöhne» 169 aufzunehmen und
per Beschluß des Hausobernrates festgehalten. E. Mederlet schreibt am 19.
Juni 1902 an den Provinzial C. Durando: «Erlauben Sie mir, Sie zu fragen, ob
es für uns in Muri nicht passender wäre, als Schüler nur noch Mariensöhne
aufzunehmen» - und in KlammelTI fügt er hinzu: «400 Fr. Pension im Jahr». 170
L. Prieri, der den Beschluß nicht mitträgt, schreibt am 27. Juni 1902 an C.
Durando: «Anstelle der Studenten hatte der Katechet [K. Lichtenstein] die
Aufnahme von 'Mariensöhnen' vorgeschlagen. Aber von 7 oder 8, die seit Öff-
nung des Hauses in Muri waren, hat nur einer das Noviziat erreicht. Zudem
können die nicht das bezahlen, was die Studenten können».17I Eine Woche
später erö11ert E. Mederlet dem Provinzial am 29. Juli 1902: «Was die Schüler
betrifft, haben wir beschlossen, Mariensöhne aufzunehmen und junge deutsche
Lateinschüler. l72 Es wäre zu viel auf einmal, Lehrlinge, Lateiner und einen
Sprachkurs für Italiener zu haben. Darum haben wir es vorgezogen, deutsche
Lateinschüler zu nehmen, bei all dem haben wir auf dem Prospekt die ver-
schiedenen Sprachen weggelassen wegen der Regierung».173
Aus den vorliegenden Unterlagen kann kein Eindruck gewonnen
werden, welche Entwicklung das Vorhaben genommen hat; weder, wie viele
Schüler in Muri besagte «Lateinschule» besuchten, noch, wer die Lehrer
waren und welche Zeugnisse erteilt wurden. Das anonyme Schreiben eines
Zöglings der Don Bosco-Anstalt vom 3. November 1903 an die Polizei in
168 ASe FDR ms 3425 E 12.
169 «Mariensöhne» nennt Don Bosco junge Männer, die als junge Erwachsene den Ent-
schluß fassen, Priester zu werden. Er grUndet das Werk der «Mariensöhne», um dieser Perso-
nengruppe eine Gymnasialbildung zu ermöglichen.
170 ASe FDR ms 3425 E 8-11.
171 Ase FDR ms 3425 E 12.
l72 Der Typus «LateinschUle!"» (franz. «latinistes») ist im Schulsystem der Schweiz nicht
gebräuchlich, auch nicht um die letzte Jahrhundertwende.
173 ASe FDR ms 3426 A 4-5.

4.5 Page 35

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 303
Muri gibt einen Hinweis: «Es gibt dazu noch eine große Anzahl von Stu-
denten, die sich nur für den Priesterstand gewidmet haben und alle ohne Aus-
nahme studieren meistenteils die lateinische Sprache» .174
In den Visitationsberichten der Jahre 1903 bzw. 1904 heißt es zur «Sorge
um die Berufungen»: «Wir hoffen, 7 - 8 gute Novizen zu haben» .175
Mit dem Entschluß, «Mariensöhne» in die Don Bosco-Anstalt aufzu-
nehmen und sie zu untelTichten, begeben sich die Salesianer gegenüber den
schweizerischen und aargauischen Gesetzen erneut in eine Grauzone. E. Me-
derlet ist dies wohl bewußt, denn er schreibt nach Schließung des Hauses am
7. Oktober 1904 an Don Rua: «Die Schüler hätten wir früher oder später weg-
schicken müssen, zumindest aber Lehrer der Regierung aus Aargau anstellen
und auf das Werk der Spätberufenen verzichten müssen». 176
4.6. Presseapostolat
Die Don Bosco-Anstalt Muri beginnt bald nach ihrer Eröffnung, die Vor-
aussetzungen für ein Presseapostolat zu schaffen, wie es der Tradition der Sa-
lesianer Don Boscos entspricht: Druckerei, Buchbinderei, Verlag, Buchhand-
lung, Schriftenreihe und Kalender stellen ein beachtenswertes Projekt dar, das
in wenigen Jahren realisiert wird. Und über das ElTeichte hinaus gibt es wei-
tere Pläne, die nicht zur Ausführung gelangen. ln Mit dem Engagement in
Druck und Verlag entspricht die Don Bosco-Anstalt mich dem Anliegen von
PfalTer A. Döbeli sowie des Klerus der Umgebung. Aber auch Druckerei und
Verlag haben als Ausbildungsbetriebe mit vielerlei Problemen zu kämpfen.
Einmal werden von L. Prieri hohen Papierkosten, dann wieder unqualifizierte
Arbeit beklagt. Es fehlt wohl ein kompetenter Verlagsleiter.
Die Buchhandlung der Don Bosco-Anstalt Muri
Am 24. November 1899 schreibt E. Mederlet an Provinzial C. Durando:
«Der Klerus der Umgebung von Muri wünscht eine deutsche Buchhandlung
der Salesianer. Möglicher Platz: zwischen Schwesternhaus und Bäckerei. [...]
Die Buchhandlung hätte einen eigenen Eingang; d. h., nicht den zum Schwe-
sternhaus, sondern auf der Hofseite und der Seite des Institutes».178 Die Dele-
gierten des Erziehungsrates erwähnen die Buchhandlung in ihrem Bericht
174 StAAG F 7.
175 Vgl. ASe F 707.
176 Ase FDR ms 3426 es.
m So will E. Mederlet auch Don Boscos «Giovane Provveduto» ins Deutsche über-
setzen und im Verlag der Don Bosco-Anstalt veröffentlichen. Der Generalrat erteilt 1898 seine
Zustimmung (ASe VRe D 869).
178 Ase FDR ms 3423 B 10-11.

4.6 Page 36

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304 Franz Schmid
vom 30. September 1902 ebenfalls: «Endlich gehört zur Anstalt noch der Ein-
gangsbau, welcher an der Hofmauer steht und die 'Buchhandlung' mit einem
Schaufenster gegen die Straße enthält».179
In dem genannten Brief vom 24. November 1899 ist von der beabsich-
tigten Einweihung am 8. Dezember 1899 die Rede. In den SN von 1901 wird
berichtet, daß die Buchhandlung anläßlich der Feier des Festes des hl. Franz
von Sales und der Konferenz für die Salesianischen Mitarbeiter am 28. Januar
1900 eröffnet wird. Wie die Buchhandlung geführt, welche Erträge sie erzielt
und welche Konzepte sie verfolgt, ist nicht zu ermitteln. ISO In den SN wird
darauf verwiesen, daß «diese neue Don Bosco-Buchhandlung besonders die
Bücher der weltberühmten Herder'schen Buchhandlung aus Freiburg im
Breisgau» anbieten und durch Versand vertreiben wolle. ls1 Die SN veröffent-
lichen mehrmals Anzeigen der Buchhandlung.
Der Verlag der Don Bosco-Anstalt Muri
Die Reihe «Katholischen Schriften von Don Bosco», die auch «Don
Bosco-Bibliothek katholischer Volksschriften» genannt wird, ist eine Schrif-
tenreihe, die in der Don Bosco-Anstalt Muri redigiert, gedruckt, verlegt und
vertrieben wird. Es handelt sich um Broschüren von ca. 100 Seiten, die 25
Cts. (25 Heller, 20 Pfg.) kosten. Auf der dritten und vierten Umschlagseite
der Nr. 9 der SN von 1902 wird für die bis dahin erschienenen 22 Nummern
geworben und werden die Titel genannt. IS2
Nr.
Jahr ~ Autor
.......................:
:
:
~ Arnaud, J. B.
:.
.......................:
:
2
:
~ Priester, Marei
:
.:
.......................:
:
3
M.Ch.M.
Titel
~
.
~ Nimm und lies. Aus dem Französischen über-
~ tragen von C. F. Mertz
~
.
: Der Bettler unter der Linde oder Der Triumph
: des Glaubens. Aus dem Französischen über-
:~ tragen von Joseph Fischer
.
Die Schiffswerft der Algerischen Arbeiter.
Aus dem Französischen übertragen von
Joseph Herbstritt
179 StAAG F 7.
180 E. Mederlet bittet am 24. November 1899 darum, auf Anraten von Pfarrer A. Döbeli
in der Buchhandlung «eine 5ljährige [Frau], die seit mehr als einem Jahr bei den Schwestern
arbeitet, in der Buchhandlung beschäftigen zu dürfen» (ASe FDR ms 3423 BIO-lI).
181 Vgl. SN 6 (1900) 63.
182 Dies wird wiederholt 1902, 1903 und 1904.

4.7 Page 37

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Die «Don Bosco-Anstalt zum HZ. Joseph» in Muri... 305
Nr.
Jahr Autor
Titel
4
Nicephor oder das Gebot der Verzeihung. Hi-
storische Erzählung aus dem dritten Jahrhun-
dert. Aus dem Französischen übertragen von
Joseph Herbstritt
5
Die Tochter des Auswanderers. Ein Lebens-
bild aus Irland
6
Seraphia oder Eine Episode aus dem zweiten
Jahrhundert. Aus dem Französischen übertra-
gen von Joseph Herbstritt
7
I: Die Fischerstochter
II: Rosario. Eine Sage
8
Snieders,
Der Dorfpastor von Loverghem. Frei nach
Augustjr.
dem Holländischen von L. Nicanor
9
von Adolphi, A. Arme Verbannte. Erzählung einer wirklichen
Begebenheit aus der Gegenwart
10
1901 Lemoyne,
Das Leben der Marguerite Bosco, Mutter des
Giovanni B.
Don Bosco. Nach dem Französischen frei
bearbeitet von Max Joseph de Sury
11
I: Die Macht des Beispiels
II: Sünde und Vergebung
12
I: Freiwillig bekehrt
II: Die Teufelsmühle
13
Graf, Caspar Nach Süden
.....................................................................................................................................................................
14/15/16
Zimmermann, F. Die Strandräuber
.....................................................................................................................................................................
17
Graf, Caspar Von Süden nach Norden
......................
.
.
18
Camenzind, A. Reiseerinnerungen
......................
.
.
19/20
1902 Graf, Caspar
Das Kloster Muri
......................
.
.
21
Bormann,
Sanguis Martyrum
W. Friedrich
22
von Schlever, Die Tochter des Kreuzfahrers. Trauerspiel
Joseph Maria in 5 Aufzügen
..................................................................................................................................
23
von Schlever, Burg Opponitz
Joseph Maria
24
I: Ruhm und Unglück. Aus dem Italienischen
von Joseph Herbstritt
Stieger, Emil II: Die Räuber des Schlosses Wichenstein

4.8 Page 38

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306 Franz Schmid
Nicht alle Broschüren sind bisher nachgewiesen; deshalb bleiben die bi-
bliographischen Angaben unvollständig. Als Übersetzer arbeitet der Salesi-
aner J. Herbstritt für den Verlag, als Autor tritt F. Bormann in Erscheinung.
Die Übersetzung des Bändchens über Manw Margaretha, die Mutter Don
Boscos, von G. B. Lemoyne stammt von M. J. de Sury, einem in der Schweiz
bekannten Schriftsteller.
Die SN werben in NI'. 9 des Jahrgangs 1902 auf der 3. und 4. Umschlag-
seite auch für eine Don Bosco-Biographie von E. Mederlet,183 die broschiert,
in weichem Einband und in Leinen angeboten wird, ferner für eine Broschüre
mit dem Titel «Pi/geljahrt nach Rom».
Der «Don Bosco-Kalender» 1900 - 1904
In den ersten Monaten des «Heiligen Jahres 1900» erscheint in der Don
Bosco-Anstalt Muri der erste «Don Bosco-Kalerzder» in deutscher Sprache:
«Don Bosco-Kalender für das Jahr 1900». Es wird «alles aufgeboten, um
dessen Inhalt nicht nur erbaulich, sondern auch erheiternd zu machen.» Die
SN wünschen, daß «dieser Kalender in alle katholischen Familien sich be-
ständig einbürgern würde, da dessen Inhalt vor allem darauf zielt, das Heil
der Seelen und insbesondere das Wohl der gefährdeten Jugend herbeizuführen
und zu fördern». 184 Der Kalender kostet 50 Cts. bzw. 40 Pfg. Es handelt sich
um den Typus des damals üblichen «Lesekalenders».
Die fünf Ausgaben des Don Bosco-Kalenders sind als Broschüren ge-
bunden und zeigen wechselnde Titelseiten. Auf den ersten Seiten wird ein
Kalendarium dargeboten, wie es in anderen Kalenderausgaben üblich ist. Es
folgen Bilder und Texte zum Kirchenjahr und zum Jahreskreis, Berichte aus
dem Leben Don Boscos und salesianischen Werken, Legenden aus dem
Leben von Heiligen, fromme Erbauungsgeschichten, Gedichte. Es sind aufge-
nommen Werbeseiten für die eigenen Werkstätten und andere Handwerksbe-
triebe, für kirchliche Schulen, Internate und Institute, für Gaststätten, Kli-
niken und Fabriken. Zu finden sind ferner Termine für Märkte in der Schweiz
und im benachbarten Ausland, dazu Zinstabellen.
183 Die Biographie «Don Bosco, ein Apostel der Jugend im 19. Jahrhundert» erscheint
1901 mit den Initialen des Autors (E. M.), 1902 mit dem vollen Namen. L. Prieri berichtet am
1. Dezember 1901 in einem Brief an Don Rua, daß vergessen worden war, den Band dem Bi-
schof vorzulegen, der sprachliche und inhaltliche Konekturen verlangte, so daß die Auflage in
der Höhe von 5.000 Exemplaren eingestampft werden mußte, wobei allein für das Papier
2.609,25 Fr. ausgegeben worden waren. Die 2. Auflage erfolgte in einer Höhe von 7.000 Ex-
emplaren (vgl. ASe FDR ms 3425 B 3). Den Rest der Auflage bot E. Mederlet nach der Auflö-
sung der Niederlassung Muri in Lüttich «im Selbstverlag des Verfassers» an, auch als er schon
in Indien arbeitete [vgl. SN 51 (1909) Nr. 2, 3. Umschlagseite].
184 SN 6 (1900) Nr. 4, 2. Umschlagseite.

4.9 Page 39

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hl. Joseph» in Muri... 307
4.7. Betreuung Salesianischer Mitarbeiter
Zu den Aufgaben der Don Bosco-Anstalt Muri zählt schließlich die Be-
treuung der Salesianischen Mitarbeiter. Die erste bekannte Zusammenkunft
findet anläßlich des Besuchs von Don Rua am 8. Juli 1894 in der Kloster-
kirche von Muri statt. Es ist davon auszugehen, daß nach der Eröffnung der
Don Bosco-Anstalt in Muri mehrmals jährlich zu Konferenzen der Salesiani-
schen Mitarbeiter eingeladen wird. Die SN berichten mehrmals über solche
Zusamlnenkünfte. Am Fest des hl. Franz von Sales (28. Januar) 1898 findet
die erste deutsche Konferenz der Salesianischen Mitarbeiter statt, bei der E.
Mederlet über die Kongregation der Salesianer Don Boscos und Pfarrer A.
Döbeli über den hl. Franz von Sales sprechen. Am 28. Januar 1900 spricht bei
diesem Anlaß Pfarrhelfer H. Stocker aus Luzern über den hl. Franz von Sales.
Am 24. Mai 1900 hält wieder Pfarrer A. Döbeli die Ansprache.
Es kann angenommen werden, daß die Salesianischen Mitarbeiter zu
Festen, den Preisverleihungen und Theateraufführungen eingeladen sind. Der
Betreuung der Mitarbeiter dienen ferner persönliche Besuche, die ihnen vor
allem der Direktor abstattet, der immer wieder um Spenden bitten muß, um
die Schulden zu bezahlen. 18s Als der Entschluß zur Auflösung der Anstalt ge-
fallen ist, schreibt E. Mederlet am 15. September 1904 einen «Abschieds-
brief» an die Salesianischen Mitarbeiter, in dem er sich für ihre Unterstüt-
zungen bedankt und verspricht, daß wöchentlich weiter vier heiligen Messen
für sie gelesen werden. 186
5. DIE SALESIANER DON ROSeOS
UND IHRE MITARBEITER IN MURI
In der Don Bosco-Anstalt Muri arbeiten zuerst Salesianische Mitar-
beiter, Priester und Laien, dann die Salesianer selbst, in der Hauswirtschaft
zunächst Schwestern aus dem Kloster Heiligkreuz in Cham, dann Don Bosco-
Schwestern, in den Werkstätten wiederum Laien. Von Bedeutung sind
schließlich auch die Pfarrgeistlichen von Muri.
5.1. Die Gründer der Don Bosco-Anstalt Mud
Das Studium der Quellen läßt den Schluß zu, daß A. Döbeli als Initiator
185 Am 23. Februar 1901 berichtet L. Prieri an Don Rua: «Die Spenden der Bevölkerung
reichen nicht aus; sie haben seit längerem stark nachgelassen» (ASe FDR ms 3424 A 7).
186 Ase FDR ms 3426 B 3.

4.10 Page 40

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308 Franz Schmid
der Don Bosco-Anstalt in Muri gelten muß. Für die praktische Ausführung
erscheinen die Schwestern Frey als zentrale Personen der Gründungsphase.
Daß sie von weiteren Personen unterstützt werden, ist anzunehmen.
Pfarrer Arnold Döbeli
A. Döbeli muß als eine prominente Persönlichkeit in der Diözese Basel,
im Kanton Aargau, in der Gemeinde und Pfarrei Muri und der Don Bosco-
Anstalt gesehen werden. Pfarrer A. Döbeli war 1884/85 für die katholisch-
konservative Partei Mitglied des Verfassungsrates und 1885 bis 1900 des
Großen Rates. 187 Er zählt zu den «maßgebenden Führern» der konservativ-ka-
tholischen Kräfte im Am"gau. A. Döbeli bildet die Spitze des Redaktionskomi-
tees der Wochenzeitung «Der Freischütz», des konservativen Hauptorgans
des Bezirks Muri und kann auch als Initiator zur Neugründung der «Mitt-
wochsgesellschaft» im Jahre 1885 gelten. 188
In seinem christlichen, politischen wie persönlichem Anliegen, eine
«schweizerische katholische Rettungsanstalt für verwahrloste Knaben» im
Kanton zu errichten, trifft er sich mit dem Engagement der Schwestern Frey.
In diesem Zusammenhang bringt er die Salesianer ins Gespräch. Er empfängt
Don Rua in Muri und reist nach Turin. Er führt die Salesianer in Muri ein und
vermittelt in den zahlreichen Konflikten.
A. Döbeli - schon vor der Ankunft der Salesianer in Muri - Salesiani-
scher Mitarbeiter, drückt immer wieder seine Freude über ihr Kommen aus.
Seine Verbundenheit mit der Anstalt wird immer wieder deutlich. Seine
Ernennung zum Ehrenkämmerer seiner Heiligkeit und sein Silbernes Priester-
jubiläum werden am 13. Juli 1899 im Beisein des Bischofs in der Don Bosco-
187 Schibier, der Präsident des Großen Rates, würdigte in der Sitzung vom 10. September
1900 das Wirken A. Döbelis anläßlich seiner Entlassung aus dem Großen Rat: «Herr Pfarrer
Döbeli hat sich im öffentlichen Leben unseres Kantons auf vielseitige Weise betätigt. Er gehör-
te dem Verfassungsrate vom Jahre 1884/85 an. Seit dem Jahre 1885 war er Mitglied unserer
Behörde und als solches ein gern gesehener Kollege. Als Mitglied verschiedener wichtiger
großrätlicher Kommissionen hat er sich Verdienste erworben. Das Wort ergriff er hauptsächlich
in Kirchen-, Schul- und gemeinnützigen Fragen. Seine mit gesundem Humor gewürzten, mit
warmem Herzen vorgetragenen Voten zeigten den gebildeten und toleranten Priester. Außerhalb
seiner Pfarrgemeinde wirkte er auf gemeinnützigem Gebiete mit Erfolg. Er war ein beliebtes
und angesehenes Mitglied der Kulturgesellschaft; er war Präsident der Bezirksschulpflege von
Muri, sowie verschiedener anderer Anstalten. Sein Weggang wird vielerorts auch außerhalb sei-
nes engeren Wirkungskreises aufrichtig bedauert werden» (VerhGrR 1897-1901, 665).
188 «Zur Förderung nützlicher Kenntnisse, gemeinnütziger Zwecke und edler Gesellig-
keit» wurde die Gesellschaft gegründet. Sie sollte «durch Veranstaltung öffentlicher Vorträge»
und «durch wöchentliche Vereinigung der Mitglieder zur Besprechung wissenschaftlicher oder
das Gemeinwohl betreffende Fragen» Interessierte ohne Unterschied des Standes, der Konfes-
sion oder der politischen Gesinnung zusammenführen. (Vgl. H. MÜLLER, Die Mittwochsgesell-
schaft ..., S. 34f.) Diese Gesellschaft spielt über Jahrzehnte eine wichtige Rolle, «die der eines
kleinen inoffiziellen Parlaments der Gemeinde gleichkam» (ebd., S. 23).

5 Pages 41-50

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5.1 Page 41

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 309
Anstalt gefeiert 189, ebenso wie seine Verabschiedung am 13. September 1900
als Pfaner von Muri. 190 Die Beziehungen zu A. Döbeli bleiben auch erhalten,
als dieser nach Basel zieht: Am 12. August 1901 findet ein Ausflug der Zög-
linge nach Basel statt 191 und Don Rua besucht ihn auch bei seinem zweiten
Aufenthalt in Muri im Februar 1902 in Basel. Sein Bild wird in der ersten
Ausgabe des Don Bosco-Kalenders veröffentlicht und erneut in der zweiten
Ausgabe. In
Der Weggang A. Döbelis aus Muri kann gleichsam als Anfang jener Pro-
bleme gesehen werden, die wesentlich zur Schließung der Don Bosco-Anstalt
beitragen.
Agatha und Elisa Frey
Mit großem Idealismus und starkem Engagement sind zwei Frauen für die
Gründung und die Einrichtung der Don Bosco-Anstalt Muri tätig. Bereits vor
der Eröffnung der Anstalt kommt es aber zu tragischen Konflikten mit den Sa-
lesianern und nach deren Ankunft in Muri beenden sie ihre Zusammenarbeit.
Die Schwestern Frey «wollten aus einer gottseligen oder andern Absicht
eine Erziehungsanstalt gründen. [...] Um das nötige Geld dafür zusammenzu-
bringen, hängten sich die Schwestern Frey den Bettelsack um und gingen für
das 'gottgefällige' Werk auf den Einzug. Aber bald fühlten sie, daß zur ei-
gentlichen Einrichtung ihre Kräfte zu schwach seien. Sie wandten sich -
wahrscheinlich auf den Rat des Henn Pfaners A. Döbeli an das Mutterhaus
der Don Bosco-Anstalten in Turin» 193 - so E. Mederlet gegenüber den Dele-
gierten des Erziehungsrates am 9. September 1902. In der Tat trifft A. Frey
mehrmals in Turin mit Don Rua zusammen,194 wie er auch am 8. Juli 1894
Gast in ihrem Haus in Muri ist. Im Reisebericht vom 12. Juli 1894 an Don D.
Belmonte teilt Don G. Lazzero mit, er habe den Eindruck, Don Rua hätte mit
den Schwestern große Taten vor 195. Außerdem bringen sie Kinder aus der
Schweiz in Einrichtungen der Salesianer in Italien unter 196 und kommen für
deren Pensionen auf.
189 SN 5 (1899) 224.
190 Vgl. SN 7 (1901) 21.
191 Vgl. SN 7 (1901) 282.
192 DBK 1 (1900) 28; 2 (1901) 75.
193 StAAG F 7.
194 A. Frey war wohl zu Beginn des Jahres 1894 in Turin mit Don Rua zusammengetrof-
fen, wie A. Döbeli in einem Schreiben vom 6. März 1894 erwähnt (BASo-A-1028), aber auch
um Weihnachten 1897 (BASo-A-1028) und erneut am 9. Juli 1900 (ASe FDR ms 3426 E 8).
195 Ase FDR ms 3003 e 5.
196 In einer schriftlichen Übereinkunft zwischen Don Rua und A. Frey vom 9. Juli 1900
werden die Salesianerhäuser von Martinetto, Lanzo, Valsalice, San Benigno und Forgano ge-
nannt (ASe FDR ms 3426 E 8).

5.2 Page 42

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310 Franz Schmid
A. Döbeli nennt A. Frey erstmals am 27. Februar 1894 in einem
Schreiben an Bischof L. Haas; er bittet den Bischof, ihr eine Empfehlung zu
erteilen zur Gewinnung salesianischer Mitarbeiter. Bischof L. Haas schreibt
am 27. Januar 1898 an Don Rua voll Hochachtung von den Schwestern: «Die
hochherzigen Fräulein Agatha und Elisa Frey von Muri sind von Gott mit sol-
chen Tugenden ausgestattet worden, daß sie mit jetzt schon sichtbarem Erfolg
das genannte, salesianische Werk gegründet haben. Sie verdienen deshalb
auch alles Vertrauen für die Zukunft, so daß man die geplante äußere Vollen-
dung des bedeutenden Werkes ruhig in ihren Händen belassen darf, was des
guten Ganges der Dinge wegen wohl auch zu wünschen ist» .197
Die Schwestern Frey bemühen sich zunächst um den Ankauf von
Gebäulichkeiten und landwirtschaftlichen Nutzflächen für die zu gründende
Don Bosco-Anstalt. Nachdenl das Konventgebäude des Klosters Muri wegen
der politischen Bedingungen und wohl auch wegen des hohen Kaufpreises
von 180.000 Fr. nicht in Frage kommt,198 wird eine Alternative entwickelt.
Sie schließen am 30. DezeInbel' 1895 «namens Don Michael Rua in Turin»
den Kaufvertrag mit der Armenanstaltgemeinde Muri-Wey und Dorfmuri in
der Höhe von 65.000 Fr.. 199 Sie sammeln Geld und erwerben noch 1895 bei
der Kantonsbank Zug einen Pfandbrief über 65.000 Fr., dem am 1. Mai 1897
ein zweiter in der Höhe von 35.000 Fr. und am 27. November 1897 ein dritter
in Höhe von 30.000 Fr. folgen. 20o Sie beauftragen Architekt W. Hanauer mit
der Planung und Ausführung der Bauvorhaben. Sie gehen mit großer Ent-
schlossenheit vor und können am 8. Dezember 1897 mit den Salesianern und
der Gemeinde MUli die Eröffnung der Don Bosco-Anstalt festlich begehen.
5.2. Die Salesianer Don Boscos in Mud
Die Don Bosco-Anstalt Muri beginnt im Herbst 1897 wohl mit nur drei
Salesianern, kann aber später - was die Anzahl angeht - als gut ausgestattet
bezeichnet werden: insgesamt arbeiten in sieben Jahren 29 Salesianer in
Muri; neun Priester, neun Brüder und 14 Kleriker, von denen drei in der Zeit
ihres Aufenthalts in Muri die Priesterweihe empfangen. Die Höchstzahl wird
im Jahr der Schließung erreicht: 14, dazu noch der Beichtvater aus Zürich
und ein Aspirant: Prospero Calba. Es hat nicht den Anschein, daß mit der
Schließung «gerechnet» wird; eher entsteht der Eindruck, als wolle man eine
Schließung gerade dadurch abwenden, indem man die Einrichtung hin-
197 BASo-A-1050.
198 ASe FDR ms 3740 E 12.
199 GAM.
200 Ebd.

5.3 Page 43

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 311
reichend n1it eigenem Personal ausstattet. Andererseits fällt eine hohe Fluk-
tuation auf. Lediglich E. Mederlet und K. Lichtenstein bleiben während der
gesamten sieben Jahre in der Anstalt. Und: vier Priester, vier Brüder und acht
Kleriker verlassen die Kongregation später.
Die Salesianer kommen aus Belgien, Böhmen, dem Elsaß, aus Frank-
reich, Italien, Lothringen, den Niederlanden, Polen, dem Rheinland und der
Schweiz. Das Zusammenleben ist von mehreren Konflikten geprägt, die na-
tionalen Charakter aufweisen, aber auch aus unklarer Arbeitsorganisation
sowie wechselnden Konzepten resultieren und disziplinäre Ursachen haben.
Die Don Bosco-Anstalt Muri ist zunächst der «Ispettoria Estera» zuge-
ordnet, deren Provinzial C. Durando ist. 1902 werden die Einrichtungen
in der Schweiz der Provinz Belgien zugeordnet,201 deren Provinzial Don F.
Scaloni 202 wird.
Zwei Visitationsberichte 203 über die Don Bosco-Anstalt Muri geben ein
Bild vom Gang des Hauses. Provinzial F. Scaloni äußert viel Zufriedenheit,
sieht aber auch Probleme. Zum «Ordensleben und moralischen Zustand» no-
tiert er: «Bestens, was die Studenten betrifft. Die Lehrlinge sind nicht so gut.
Solange man die Werkstätten nicht ins Haus verlegen kann, wird der religiöse
und moralische Zustand der Lehrlinge immer zu wünschen übrig lassen.»
Und: «Das Ordensleben im Haus schien mir exzellent. Die moralische
Führung viel besser als in den vergangenen Jahren. Die von den Obern ge-
troffenen Maßnahmen, um die Assistenz effektiver zu gestalten, haben
Früchte getragen. Es tut aber leid, daß die Assistenten der Werkstätten immer
noch, wegen Personalmangels, 3, 4 oder gar 5 Stunden Unterricht pro Tag
geben müssen.» Zur «Sorge um das Personal» merkt er an, daß die wirtschaft-
liche Lage den Gang des Hauses bestimmt und der Direktor häufig außer
Haus ist, um Geld zu sammeln. Bezüglich der «Sorge für die Zöglinge» be-
merkt er: «Hinreichend gut von der spirituellen Seite, weniger von der profes-
sionellen Seite, bezüglich der Lehrlinge. Einigen Werkstätten fehlen gute
Meister und Arbeit.» Hinsichtlich der Arbeit in den Bündnissen äußert er Un-
zufriedenheit und zur Buchhaltung: «Befindet sich in einem beklagenswerten
201 ASC D 518, Erezioni delle hpettorie; Tarcisio VALSECCHI, Origine e sviluppo delle
ispettorie salesiane. Serie cronologicafirw all'anno 1903, in «Ricerche Storiche Salesiane» 3
(1983), S. 269.
202 Francesco Scaloni (1861-1926) stammte aus Italien, legte 1882 Profeß in San Be-
nigno Canavese ab, wurde 1887 in Marseille zum Priester geweiht, arbeitete in Nizza und Mar-
seille und war 1891-1902 der erste Direktor der ersten Niederlassung des Salesianer in Lüttich.
Von 1902 bis 1919 leitete er als Provinzial die Provinz Belgien. 1911 wurde die erste Nieder-
lassung in Belgisch-Kongo errichtet. Von 1919 bis zu seinem Tod leitete er die englische
Provinz mit Einrichtungen in England und Irland.
203 Die Visitationsberichte sind undatiert, aber von Provinzial F. Scaloni unterschrieben;
damit sind sie in die Zeit 1903-04 einzuordnen. (ASC F 707)

5.4 Page 44

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312 Franz Schmid
Zustand. Ich habe den Hauptverwalter von Lüttich geschickt, um die Dinge
auf dem Laufenden zu halten».204
Die Salesianer in Muri pflegen Beziehungen zum und Kontakte mit dem
Generalrat in Turin. Die Korrespondenz ist mnfangreich und bezieht sich auf
vielerlei Bereiche, wird aber nur von A. Amossi, E. Mederlet und L. Prieri ge-
führt. Der Generalrat befaßt sich wiederholt mit den Anliegen der Don
Bosco-Anstalt Muri.
Am 16. und 17. Mai 1899 sind der Generalökonom Don L. Rocca 205 und
der Novizenmeister Don G. Barberis in Muri zu Gast. Sie treffen dort mit Bi-
schof L. Haas zusammen. Ergebnisse der Gespräche sind nicht bekannt.
Außerdem sind die Provinziale C. Durando, F. Scaloni und weitere Salesianer
(E. La Roche, G. Marenco u. a.) in Muri zu Gast.
Vom 9. bis 11. April 1902 ist Don Rua in Begleitung von Generalrat Don
G. Bertello zu Gast in der Don Bosco-Anstalt Muri. Er wird mit Musik, Ge-
sang, Feuerwerk und Böllerschüssen empfangen, zu einem Festessen sind
Vertreter der Gemeinde und Pfarrer J. Koller geladen. Und die Schüler
spielen die «Bekehrung des Räuberhauptmanns».206
Direktor Eugen Mederlet
Claude Eugene Mederlet 207 ist der einzige Direktor der Don Bosco-An-
stalt Muri. Er scheint ein engagierter Direktor zu sein. Er kommt als Fremder
204 Vgl. ASC F 707.
205 Luigi Rocca, 1853-1909, 1874 Salesianer, Lehramtsstudium für Mathematik, Physik
und Naturgeschichte in Turin, Lehrer und Direktor am Gymnasium und Lyzeum in A1assio,
wurde 1895 zum Generalökonom berufen.
206 A. Amadei berichtet über diesen Besuch nicht. Er vermerkt lediglich, daß der Di-
rektor des Salesianerhauses in Muri Don Rua bis nach Lüttich begleitete. (Vgl. A. AMADEI, Don
Michael Rua ... , S.240).
207 Claude Eugene Mederlet, ist am 15. November 1867 in Erstroff, Diözese Metz, Lo-
thringen, geboren. Er besuchte das Gymnasium im Kleinen Seminar in Metz. Im November
1890 geht er nach Italien, wird von Don Rua ins Noviziat aufgenommen, das erst in Valsalice,
dann in Foglizzo untergebracht ist. Am 11. Dezember 1891 legt er im Oratorium von Turin
Profeß ab und studiert anschließend dort Philosophie. Zum Theologiestudium geht er nach Bel-
gien, wo er am 8. Juli 1894 in Lüttich die Priesterweihe empfängt. Nach Schließung der An-
stalt in Muri leitet er als Direktor die Ecole Professionnelle de l'Orphelinat St. Jean-Berchmans
in der Rue des Wallons in Lüttich. 1907 ist er unter den Salesianern der 41. Aussendung von
Missionaren und reiste nach China ab, bleibt aber in Tanjore in Indien, wo eben Don Ernest
Vigneron verstorben war. Wie vorher in Muri errichtet er dort eine Handwerkerschule und ein
Waisenhaus. 1915 wird er zum Stadtpfarrer von Tanjore berufen. «In wenigen Jahren hatte der
seeleneifrige Priester 10.000 Heiden bekehrt, so daß die Zahl seiner Pfarrkinder von 4.000 auf
14.000 wuchs» [SN 41 (1935) 28]. Am 3. Juli 1928 wird er zum Erzbischof von Madras er-
nannt, am 28. Oktober 1928 empfängt er die Bischofsweihe. In diesem Amt errichtet er ein
Priesterseminar zur Ausbildung einheimischer Priester und in der indischen Bischofskonferenz,
deren Vorsitzender er ist, fördert er die «Katholische Aktion». 1926, zur Seligsprechung Don
Boscos 1929 und zu dessen Heiligsprechung 1934 reist er nach Rom, dann durch Europa,

5.5 Page 45

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Die «Don Bosco-Anstalt zum HZ. Joseph» in Muri.. . 313
in die Region und schafft binnen weniger Jahre ein beachtliches Werk, dem
allerdings der eigentliche Edolg versagt bleibt.
Die Schwestern Frey fühlen sich schon im April 1896 von E. Mederlet
zu Unrecht kontrolliert, als er zusammen mit G. Marenco Einsicht in die Fi-
nanzlage und die Entwicklung des Projekts verlangt. Die konflikthaften Aus-
einandersetzungen mit ihnen, in denen sogar das Gericht bemüht werden muß,
dauern bis in den Herbst 1901. Bischof L. Haas, an den sich die Schwestern
wenden, empfiehlt Don Rua in einem Schreiben von 27. Januar 1898, E. Me-
derlet durch einen Priester zu ersetzen, der den Plan der Gründerinnen weiter-
führt und die Verhältnisse des Landes kennt.208 Der Bischof scheint überzeugt,
daß E. Mederlet die Leistungen der Schwestern Frey nicht anerkennt.209
Die Konflikte, die vor allem E. Mederlet zu tragen hat, beziehen sich fer-
ner auf Auseinandersetzungen mit der Pfarrgemeinde Muri bezüglich der Be-
nutzung der Klosterkirche und mit der Baudirektion des Kantons Aargau, aus
denen sich schließlich die Untersuchung des Erziehungsrates über die Salesia-
ner überhaupt ergibt. Auch in der Kommunität der Salesianer kommt es zu
zahlreichen Konflikten, in denen L. Prieri im Frühjahr 1901 sogar gegenüber
dem Provinzial in Turin mehrmals die Ablösung des Direktors fordert. 21o
Die häufige Abwesenheit von E. Mederlet erschwert die innere Entwick-
lung des Hauses: Im Visitationsbericht der letzten Jahre heißt es: «Die notge-
drungene Abwesenheit des Direktors läßt die Mitbrüder ab und zu ohne Kon-
ferenz. Der Direktor tut, was er kann».211
Don Rua hält trotz aller Klagen gegen E. Mederlet an ihm fest. Er läßt
sich von ihm im Frühjahr 1902 nach Lüttich begleiten mid besucht mit ihm
anschließend Wohltäter in der Schweiz. Don Rua empfängt E. Mederlet wohl
auch mehrmals in Turin. Nach der Auflösung der Don Bosco-Anstalt Muri
wird E. Mederlet erneut ein Direktorsamt übertragen, das er allerdings nur
zwei Jahre ausübt.
Priester
Augusto Amossi, geboren 1851 in Turin, seit 1892 im Tessin (Mendrisio
und Balerna) tätig, ist 1897-98 Katechet in Muri und gleichzeitig der italieni-
schen Mission in Zürich zugeordnet. Er begibt sich jeden Samstag nach
besucht auch die Schweiz und Deutschland und wirbt um Missionare für seine Diözese. Am
10. Oktober 1934 reist er von Marseille mit 16 Missionaren ab und kommt am 30. Oktober in
Madras an. Er stirbt am 12. Dezember 1934 im Alter von 67 Jahren in Pallikonda - im Beicht-
stuhl sitzend - eines plötzlichen Todes. [Vgl. BS 59 (1935) 57f.; SN 41 (1935) 28-29].
208 BASo-A-1050.
209 Vgl. ASe FDR ms 3749 D 1-2.
210 Vgl. Ase FDR ms 3424 D 10.
211 Ase F 707.

5.6 Page 46

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314 Franz Schmiel
Zürich, um sich der dort lebenden Italiener anzunehmen. Seine Korrespon-
denz von 1898 mit dem Provinzial C. Durando führt er bis Anfang Oktober
1898 von Muri aus. Ende Novelnber 1898 zieht er endgültig nach Zürich,
bleibt aber Beichtvater in Muri. Ab 1910 ist er in Turin als Professor für Mo-
raltheologie tätig und stirbt dort 1926.
Eugen Butlingaire, geboren 1876 in Donnenkeim, Lothringen, lebt und
arbeitet in Muri von 1899 bis 1902 als Kleriker und Diakon, wird am 1. April
1902 in Luzern zum Priester geweiht und feiert mit W. Mlynarski in der Klo-
sterkirche von Muri am 7. April 1902 Primiz. E. Mederlet bezeichnet ihn als
seinen Sekretär. Nach seiner Priesterweihe geht er zunächst nach Balerna,
dann nach Belgien und verläßt die Kongregation 1912.
Jean Baptiste Carrera, geboren 1875 in Vence, Frankreich, hatte 1894
die Profeß abgelegt und war 1902 in Arras zum Priester geweiht worden. Er
arbeitet 1903-04 in Muri. Er verläßt die Kongregation 1913.
Roberto Dell' Antonio, geboren 1876 in Moena, im Trentino, ist 1903-04
Musiklehrer und dritter Präfekt in Muri. Er verläßt die Kongregation 1913.
Alberto Lanzetti, geboren 1863, ist in den Jahren 1901 bis zur
Schließung des Hauses in Muri zunächst als Leiter der Werkstätten und dann
als Beichtvater und Katechet tätig. Er stirbt 1929 in Turin.
Karl Lichtenstein stammt aus Estavayer im Kanton Freiburg und ist mit
E. Mederlet der einzige Salesianer, der von der Eröffnung bis zur Schließung
der Einrichtung in Muri lebt und arbeitet. 1899 empfängt er in Luzern die
Priesterweihe. Er hat das Amt des Katecheten und dann auch des Beichtvaters
inne. Er verläßt die Kongregation 1907.
Wiktor Mlynarski, geboren 1873 in Piotrk6w, Polen, lebt und arbeitet
von 1900 bis zur Schließung des Hauses in Muri. Am 1. April 1902 empfängt
er in Luzern die Priesterweihe und feiert am 7. April 1902 zusammen mit E.
Butlingaire in der Klosterkirche Muri Primiz. Er verläßt die Kongregation
1907.
Luigi Prieri, geboren 1872 im Piemont, ist von 1899 bis 1902 in Muri
als Präfekt tätig. Er stirbt 1940 in Modena.
Simon Visintainer, geboren 1852 in Trient, beginnt 1883 sein Aspirantat
in San Pier d' Arena, tritt 1884 ins Noviziat in San Benigno Canavese ein und
legt 1885 in die Hände Don Boscos seine erste und zugleich ewige Profeß ab.
1888 empfängt er in Trient die Priesterweihe und ist dann bis 1897 in Mexiko
tätig. Nach einem kurzen Aufenthalt in Ascona hat er in Muri von März 1898
bis Oktober 1899 das Amt des Präfekten inne. Danach ist er bis 1903 in Lai-
bach als Direktor tätig, dann als Beichtvater in Penango, Wernsee, Unterwal-
tersdorf und Ensdorf, wo er 1928 stirbt.

5.7 Page 47

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 315
Kleriker
Friedrich Bormann, geboren 1878 in St. Johannes im Rheinland, besucht
das Noviziat in Hechtel, Belgien und lebt 1901 in Muri. Er verläßt die Kon-
gregation 1902.
Eduard Goldemann, geboren 1881 in Basel, ist von 1901 bis zur
Schließung des Hauses in Muri als Lehrer tätig. Er stirbt 1909 in Lüttich iIn
Alter von 28 Jahren.
Joseph Herbstritt, geboren 1879 in Buchholtz, gehört in den Jahren 1899
und 1900 zur Kommunität von Muri. Er betätigt sich als Übersetzer aus dem
Französischen und Italienischen für die Schriftenreihe «Don Bosco-Biblio-
thek katholischer Volksschriften», die in Muri hergestellt und vertrieben wird.
Er verläßt die Kongregation 1901.
Joseph Hospenthal, geboren 1883 in Arth, Kanton Schwyz, unterrichtet
in Muri von 1901 bis zur Schließung der Anstalt Zeichnen. Er stirbt 1956 in
Leuze, Belgien.
Joseph Jouan, geboren 1883 in Nantes, Frankreich, ist 1903-04 in Muri
tätig. Er verläßt die Kongregation 1904.
Adam Jureczko, geboren 1877 in Schewkowitz, Polen, ist um 1899 in
Muri tätig. Er verläßt die Kongregation 1915.
Johann Baptist Schmitt ist um 1901 in Muri tätig.
Jaak Van de Weyer, geboren 1881 in Brück, Niederlande, ist 1904 in
Muri tätig. Er verläßt die Kongregation 1913.
Matteus Wernerus, geboren 1873 in Kettenis, Rheinland, ist 1903 und
1904 in l\\1uri tätig. Er verläßt die Kongregation 1904.
Walenty Zydek, geboren 1875 in Kochlowice, Polen, arbeitet in Muri
von 1901 bis zur Schließung des Hauses. Er empfängt 1908 in Groot-Bij-
gaarden, Belgien, die Priesterweihe, kehrt 1920 nach Polen zurück und stirbt
1942 in Aleksandrow Kujawski.
Laienbrüder
Francesco Ardissone, geboren 1854, arbeitet in Muri 1898-99, wahr-
scheinlich als Handwerker. Er stirbt 1918 in Castelnuovo Don Bosco.
Gaspare Caucino, geboren 1866 in Castagnole bei Turin, arbeitet 1904
in Muri, stirbt 1938 in La Spezia.
Philipp Kaczmarczyk, geboren 1867 in Miechowice, Polen, Schuhma-
cher, arbeitet nach Einsätzen in Bogota und Venezuela 1903-04 in Muri, dann
in Auschwitz, Verona, La Paz und Lima, wo er 1951 stirbt.
Germano Oldano, geboren 1867, lebt und arbeitet wahrscheinlich
1903-04 in Muri und stirbt 1916 in Alessandria, Italien.
Alfonso Roatta arbeitet 1899 in Muri.

5.8 Page 48

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316 Franz Schmid
Angelo Rossi, geboren 1867 in Casale Monferrato, lebt 1901 und 1902
in Muri und arbeitet als Musik- und Gesanglehrer. Er verläßt die Kongrega-
tion 1905.
Johann Schwartz (al. Schwarz), geboren 1873 in Obersaxen, Kanton
Graubünden, ist von 1899 bis 1901 in Muri in der Landwirtschaft tätig. Es
folgen Aufenthalte in Lissabon, Ivrea, Vercelli, Zürich, Chioggia, Marien-
hausen, Helenenberg, Rom, Innsbruck und Jagdberg, wo er 1938 stirbt.
Johann Baptist Spettig, geboren 187~ in Jonen, Kanton Aargau,
Schneider, ist nach einem zweijährigen Aufenthalt in Kapstadt von 1900 bis
1903 in Muri tätig, dann in Lüttich, Gent und Tournai, ab 1926 in Wien, wo
er 1929 stirbt.
Anton Ullmann [al. Ulmann], geboren 1872 in Böhmen, ist 1899 bis
1901 in Muri tätig, stirbt 1938 in Krakau.
5.3. Schwestern in der Hauswirtschaft
Schwestern aus dem Kloster Heiligkreuz Cham
Von Dezember 1897 bis Mai 1898 versorgen Schwestern aus dem Kloster
Heiligkreuz in Cham, Kanton Zug, die Küche der Don Bosco-Anstalt Muri.212
Diese Schwesterngemeinschaft besorgt auch die Hauswirtschaft der Rettungs-
anstalt der Gebrüder Keusch in Hermetschwil. Die gesamte Don Bosco-
Anstalt unternimmt am 30. Juni 1902 einen Ausflug zu diesem Kloster.213
Im Archiv des Klosters Heiligkreuz ist nachgewiesen, daß Schwester M.
Josepha Brun 214 «in der neuerrichteten Don Bosco-Anstalt in Muri mit einer
Mitschwester Küche und Haushalt» besorgt hat.215
Töchter Mariä, Hilfe der Christen
Vom 13. Mai 1898 bis zum 8. Oktober 1904 leben und arbeiten insge-
samt sieben Schwestern aus der Kongregation der Töchter Mariä, Hilfe der
Christen (Don Bosco-Schwestern) in der Don Bosco-Anstalt Muri. Don G.
212 Vgl. SN 9 (1903) 69.
213 «Der dortige Hochwürdige Herr Direktor Köpfli hatte [...] ein großartiges Festessen
bereitet, das den jungen Burschen, welche eine Strecke von 17 Kilometern zu Fuß zurückge-
legt hatten, trefflich mundete. Nach beendigter Mahlzeit ergriff unser Hochwürdiger Herr Di-
rektor das Wort. [...] Im Namen und Auftrag der alten Zöglinge lobte er die gute Küche und die
Tüchtigkeit der ehrwürdigen Schwestern in der Kochkunst; denn diese Schwestern besorgten
zu allererst die Küche der Don Bosco-Anstalt in Muri» [SN 9 (1903) 69].
214 Sr. Josepha war 1841 in Besenbüren bei Muri geboren, legte 1865 in Heiligkreuz
Profeß ab und war dann in Küche, Haus und Garten tätig: In Heiligkreuz selbst, in Habsthai,
Muri, Dusnang und Walterswil. Sie starb 1915 in Heiligkreuz. (AHCh)
215 AHCh.

5.9 Page 49

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Die «Don Bosco-AnstaZt zum HZ. Joseph» in Muri... 317
Mareneo erbittet mit Schreiben vom 27. April 1898 die Zustimmung des Bi-
schofs von Basel zur Errichtung ihrer Niederlassung in einem eigenen kleinen
Häuschen und die Ernennung eines ordentlichen Beichtvaters für sie. Die
Genehmigung erfolgt umgehend und E. Mederlet wird zum Beichtvater
ernannt. 216
In einem Bericht der Schwestern heißt es: «Die Schwestern kamen am
13. Mai [1898] um 9.30 Uhr abends an. Sie wurden dort herzlich vom örtli-
chen Direktor der Salesianer, Don Mederlet Eugene aufgenommen, von den
Mitbrüdern und von den Schwestern des Klosters Heiligkreuz, die [...] die
Küche der Salesianer führen».217
Zunächst treffen drei Schwestern in Muri ein: Annetta Rigazzi als
Oberin, Rosa Canta für die Küche und Rosalia Zakreska für das Refektorium.
Sr. R. Zakreska verläßt Muri am 11. November 1898 aus gesundheitlichen
Gründen und an ihre Stelle kommen die Schwestern Antonietta Malfatto und
Annetta Sartaris, beide für das Refektorium. AlU 4. Februar 1899 trifft Sr.
Marianna Fighul in Muri ein, um in den Werkstätten zu arbeiten. Im Sep-
tember 1899 reist Sr. R. Canta ab und an ihre Stelle kommt Sr. Teresa Buar-
zola. Die Oberin spricht in einem Schreiben vom 13. September 1904 an die
Mutter Vikarin Enrichetta Sorbone von zwei polnischen, zwei deutschen und
italienischen Schwestern.218
Im Bericht der Oberin vom 31. Dezember 1899 ist vom Besuch der Ge-
neraloberin Mutter Cattarina Daghera und der Generalökonomin Schwester
Angelina Buzzetti vom 25. bis 27. März 1899 in Muri die Rede.219
6. DIE KRISEN DER DON BÜSeO-ANSTALT MURI
Die gesamte Zeit der Existenz der Don Bosco-Anstalt Muri ist von
zahlreichen Konflikten gekennzeichnet, die auch als Krisen verstanden
werden können und die schließlich zur Auflösung der Anstalt führen. Die
Konflikte sind persönlicher, wirtschaftlicher, politischer und moralischer
Natur. Die Ursachen für die Schließung des Hauses werden nicht in einzelnen
Ereignissen, sondern in der Summe dieser Konflikte und Krisen liegen und
zu suchen sein.
216 BASo-A-1050.
217 ACFM.
218 Im Bericht der Delegierten des Erziehungsrates vom 9. September 1902 ist von sieben
Schwestern die Rede: einer Deutschen, einer Polin und fünf Italienerinnen (StAAG F 7).
219 ACFMA.

5.10 Page 50

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318 Franz Schmid
6.1. Konflikte mit den Schwestern Frey
Zum Kauf und Bau der Anstalt erwerben die Schwestern 1896 und 1897
bei der Kantonalbank Zug drei Pfandbriefe in der Höhe von 130.000 Fr.220
Don G. Marenco und E. Mederlet besuchen im April 1896 die Schwe-
stern Frey in Muri offenbar mit dem Auftrag, die Planung und beginnenden
Baurnaßnahmen in Augenschein zu nehmen und die finanzielle Situation zu
besprechen. G. Marenco schreibt am 26. April 1896 an Don Rua von schwie-
rigen Verhandlungen, von Ablehnung und Abweisungen. Er berichtet, daß die
Schwestern keinen Einblick in die finanzielle Lage geben können und sie nur
mit Mühe zu bewegen sind, eine Buchführung anzulegen. Er schreibt auch,
daß die Schwestern die Nachfrage als Vertrauensbruch empfinden.221
Es ist davon auszugehen, daß die Schwestern sich vorgenommen hatten,
selbständig die Anstalt einzurichten, um sie dann in fertigem Zustand den Sa-
lesianern zu übergeben. Und in Turin glaubt man, die Anstalt schuldenfrei
übernehmen zu können. Die Spendeneinnahmen bleiben aber wesentlich hin-
ter den Erwartungen zurück. Als E. Mederlet im Herbst 1897 in Muri eintrifft,
verlangt er von den Schwestern die Übergabe der Geschäfte und Offenlegung
der Finanzen. Dabei stellt er fest, daß eine enorme Schuldenlast aufgelaufen ist
und will als Direktor sofort alles in die Hand nehmen.222 Die Schwestern Frey
können jedoch keine Buchführung vorlegen und E. Mederlet droht mit einem
öffentlichen Schuldenaufruf, um sich ein Bild von der finanziellen Lage ma-
chen zu können. 223 A. Frey reist nach Turin, wie E. Mederlet an Neujahr 1898
in einem Brief an Bischof L. Haas berichtet,224 Es ist anzunehmen, aber nicht
nachgewiesen, daß sie Don Rua aufsucht, um die Situation zu erörtern.
In dieser Konfliktsituation, in der trotz mehrfacher Einladung weder
Don Rua noch Provinzial C. Durando nach Muri kommen, versucht Pfauer
A. Döbeli zu vermitteln. Auch er verliert das Vertrauen der Schwestern, wie
Don Rua in einem Brief 29. Februar 1898 an Bischof L. Haas zu berichten
weiß. Sie werden unterstützt von J. M. Schneider, einem Priester aus Alt-
stätten im Kanton St. Gallen.225 Dieser wendet sich in dieser Angelegenheit
220 GAM.
221 ASe FDR ms 3426 E 2.
222 So will E. Mecterlet die Installation der Elektrizität verhindern, kann sich aber gegen
A. Frey nicht durchsetzen, wie er in einem Brief an Don Rua vom 29. Januar 1898 berichtet
(ASe FDR ms 3423 A 5).
223 Darüber berichtet E. Mecterlet am 18. April 1898 in einem Schreiben an C. Durando
(ASe FDR ms 3423 All).
224 BASo-A-1050.
225 Jacob Maria Schneider unterstützt in nicht näher bekannter Weise die Schwestern
Frey und trifft auch mehrmals mit Don Rua zusammen, wie aus seinem Schreiben vom 25. Fe-
bruar 1898 an Bischof L. Haas hervorgeht. In diesem Schreiben schlägt er dem Bischof vor,

6 Pages 51-60

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6.1 Page 51

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 319
sowohl an Bischof L. Baas, als auch an Kardinal M. Ledochowski 226 in
Rom. 227 Als Vermittler tritt schließlich auch Bezirksamtmann J. K. Weber auf.
J. M. Schneider übersendet am 25. Februar 1898 Bischof L. Baas eine
provisorische Zusammenstellung der Activa und Passiva der Don Bosco-An-
stalt Muri und teilt darin mit, daß die Fräulein Frey zur Übergabe an den Di-
rektor erst bereit sind, wenn:
«erstens, sie die Zusammenstellung endgültig und offiziell gemacht
haben; zweitens, [... ] Don Rua, [...] (Don Rua könnte auch unerwartet
wegsterben), schriftlich an die Fräulein Frey die Forderung der Über-
gabe an den hochwürdigen Herrn Direktor Mederlet samt schriftlicher
Erklärung der vollständigen Übernahme aller mit der Anstalt verbun-
denen Verantwortlichkeit und samt Garantie der vollständigen Baraus-
zahlung sämtlicher ausstehender Rechnungen und Privatanleihen gestellt
haben wird; drittens, der Herr Architekt Hanauer vom Auftraggeber
selbst ([ ..] rev. Don Durando vice [..] Don Rua) schriftlich den Befehl er-
halten haben wird, entweder das Bauen einzustellen oder dasselbe auf
unmittelbare Rechnung des Auftraggebers fortzusetzen (denn vorher ist
die endgültige Zusammenstellung unmöglich)>>.228
In der Osterwoche 1898 kommt es zu einem Gespräch im Baus der
Schwestern Frey, an dem E. Mederlet, 1. M. Schneider und Bezirksamtmann
J. K. Weber teilnehmen. Dabei werden, wie Schneider in einem Schreiben
vom 25. April 1898 an Bischof L. Baas berichtet, Verleumdungen gegen die
Schwestern Frey zurückgewiesen und alle Rechnungen und Quittungen zur
Einsicht vorgelegt. Diese werden E. Mederlet nicht ausgehändigt, sondern
Bezirksamtmann Weber schreibt an Don Rua, damit er nach Muri komme, um
diese persönlich in Empfang zu nehmen.229 Don Rua kOlumt nicht nach Muri,
sondern Don G. Mareneo.
Don Rua zu zwingen, nach Muri zu kommen: «Vielleicht würde ihm der Besuch möglich wer-
den, wenn Euer Gnaden als gottgesetzter Bischof das nicht umsonst im Feuer der Liebe und des
Zorns Gottes geschmiedete Schwert der Suspension oder des Interdiktes über den hochwürdigen
Herrn Direktor und jeden Salesianerpriester in Muri ausstrecken würden, bis der hochwürdigste
Herr Don Rua sich in Muri zeigt, oder bis sonst Regelung eintritt» (BASo-A-1050).
226 Mieczyslaw Led6chowski, geboren 1822 in G6rka Klimontowa bei Sandomierz,
1866-86 Erzbischof von Gnesen und Posen, als Opfer des preußischen Kulturkampfes 1874
vom Staatsgerichtshof in Berlin des Amtes enthoben, 1875 Kurienkardinal, 1886 als Erzbi-
schof von Gnesen resigniert, 1892 Präfekt der Sancta Congregatio de Propaganda Fide, ge-
storben 1902 in Rom.
227 Am 19. April 1898 wendet sich J. M. Schneider an Kardinal M. Led6chowski in
Rom mit der Bitte, er möge auf Don Rua Einfluß nehmen, damit dieser nach Muri komme,
«um die schlimme Störung der Dinge, die wegen der Unklugheit des Direktors entstanden,
der von ihm eingesetzt wurde», zu bereinigen (BASo-A-1050). E. Ammann, der Sekretär des
Kardinals, antwortet am 21. April 1898 jedoch ablehnend auf dieses Ansuchen (BASo-A-1050).
228 BASo-A-1050.
229 Ebd.

6.2 Page 52

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320 Franz Schmid
Am 31. Mai 1898 übergeben die Schwestern Frey E. Mederlet ihre
Buchführung, die Bezirksamtmann Weber prüfen will. Auf der Haben-Seite
stehen 140.200 Fr., überwiegend Bankdarlehen, auf der Soll-Seite 225.906,15
Fr.230 Am 8. Juli 1898 teilen die Schwestern Frey Bischof L. Haas mit, daß
die Kantonalbank Zug beabsichtige, die der Don Bosco-Anstalt Muri ge-
währten Anleihen von 130.000 Fr. zu kündigen, wenn er zustimme.231 Am 14.
Juli 1898 vereinbaren die Schwestern Frey und E. Mederlet im Beisein von
Bischof L. Haas in Solothurn die «vollständige Enthaftung aller ihrer Ver-
pflichtungen der Don Bosco-Anstalt in Muri wie Hochwürden Herrn Don
Rua in Turin gegenüber», sowie die Auszahlung von 27.163, 72 Fr. an die
Schwestern Frey.232 Damit ist der erste Teil des Konfliktes der Don Bosco-
Anstalt mit den Schwestern Frey beigelegt. Am 18. November 1898 schreibt
E. Mederlet an Bischof L. Haas in Solothurn: «Die Fräulein Frey lassen
nichts mehr von sich hören. Ich lasse sie gänzlich in Ruhe».233
Aber zwei Jahre später sind die Schwestern immer noch nicht im Besitz
ihres Geldes. Am 17. April 1900 berichtet E. Mederlet über eine Vorladung
beim Zivilgericht, da die Schwestern ihr Geld einklagen wollen. Es handelt
sich um je 13.581,86 Fr. Da Gläubiger, bei denen die Schwestern Geld ge-
liehen hatten," dieses zurückfordern, drängen sie auf ihr Geld, das ihnen die
Salesianer schulden. Es kommt zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Am
17. Mai 1900 kann E. Mederlet Don Rua berichten, daß Fräulein A. ihren An-
teil erhalten habe und er Fräulein E. nicht den ganzen Betrag zahlen wolle,
sondern ihr 3.700 Fr. abziehen werde, die in der Kasse gefehlt hatten.234 Aber-
mals muß eine Einigung bei Gericht gesucht werden.235
Am 29. Oktober 1901 berichtet E. Mederlet an C. Durando, daß A. Frey
ihr Haus samt Einrichtung verkaufen mußte. Er fügt hinzu: «Die Arme!».236
230 Eine andere, undatierte «provisorische Zusammenstellung über Activen & Passiven
der Don Bosco-Anstalt 'St. Josef' in Muri zu Händen des hochwürdigsten Herrn Bischofs von
Basel» der Schwestern Frey weist nach Abzug von 217.800 Fr. Passiven ein Activ-Vermögen
von 44.050 Fr. aus (BASo-A-1050).
231 Diese Kündigung erfolgt offensichtlich nicht, denn die Anleihen scheinen beim
Verkauf der Don Bosco-Anstalt am 31. August 1904 immer noch auf, dort sogar in einer Höhe
von 180.000 Fr. (GAM).
232 ABSo-A-1050.
233 Ebd.
234 So am 1. Juni 1900 an Don D. Belmonte. (ASe FDR ms 3423 D 11-12) E. Frey hatte
die Kassa geführt.
235 ASe FDR ms 3423 D 7.
236 Ase FDR ms 3425 A 5-6.

6.3 Page 53

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 321
6.2. Konflikte mit Bischof Leonhard Haas von Basel und Lugano
Bischof L. Haas wird von Pfarrer A. Döbeli über das Vorhaben, eine ka-
tholische Erziehungsanstalt zu gründen und in die Hände der Salesianer Don
Boscos zu legen, mit Schreiben vom 20. März 1890 informiert. Er berichtet
ihm am 27. Februar 1894 vom Fortgang dieses Vorhabens und bittet ihn um
Zustimmung und Unterstützung bei der weiteren Entwicklung; er empfiehlt
gleichzeitig A. Frey, die sich dieser Aufgabe widmen will. 237 Der Bischof
äußert sich 1896 aber dann verwundert, nicht in die Gründung der Don
Bosco-Anstalt Muri einbezogen worden zu sein, berichtet Don G. Marenco
am 26. April 1896 an Don Rua.238
Als die Schwestern Frey den Vorstellungen des Direktors E. Mederlet
nicht entsprechen, die Vermittlungsversuche von PfalTer A. Döbeli scheitern
und A. Frey um Weihnachten 1897 auch in Turin nicht die erwünschte Unter-
stützung findet, wenden sie sich an Bischof L. Haas um Hilfe. Dieser ver-
sucht an Weihnachten bei einem Zusammentreffen E. Mederlet von der Not-
wendigkeit der Zusammenarbeit mit den Schwestern Frey zu überzeugen.
«Aber der junge HelT scheint schwerhörig zu sein», stellt Bischof L. Haas in
einem Schreiben vom 21. Februar 1898 fest. Deshalb hatte sich der Bischof
schon am 27. Januar 1898 in einem Schreiben an Don Rua gewandt und die
Abberufung des Direktors verlangt:
«Ein zur Förderung des Werkes gewiß durchaus notwendiges Überein-
kommen zwischen denselben [Frey und Mederlet] betreff planmäßiger
Vollendung und unserem Land entsprechender Leitung der Anstalt
scheint unumgänglich zu sein. Obwohl der hochwürdige Herr Direktor,
wie ich höre, in manchen Dingen ein einsichtiger und tüchtiger Herr ist,
der gewiß in anderer Stellung sein Ansehen bewahren kann, so würde
ein Priester ohne Zweifel zum Wohle der Anstalt mehr wirken können,
welcher Einsicht in die eigenen Verhältnisse nicht bloß der ganzen Grün-
dung des großartigen Werkes, sondern auch des Landes hat, und infolge-
dessen in der Meinung und im Plan mit den Gründerinnen und damit
landesgenössischen Fachmännern einig geht. Die Gefahr der schließli-
ehen Vereitelung des Werkes, die jetzt zu bestehen scheint, könnte auf
diese Weise beseitigt werden, was dem Oberhirten der Diözese am
Herzen liegt».239
Don Rua lehnt die Forderung des Bischofs ab. Diese Nachricht erhält
dieser von PfulTer A. Döbeli. Das Schreiben, das nicht vorliegt, enthält fol-
gende Feststellungen, die Bischof Haas notiert: «Von Rückkauf keine Rede.
237 BASo-A-1028.
238 Vgl. ASe FDR ms 3426 E 2.
239 BASo-A-1050.

6.4 Page 54

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322 Franz Schmid
Hochwürden Don Rua bleibt Eigentümer. Der Direktor bleibt im Namen des
Eigentümers. Die Schwestern Frey haben demselben sofort Rechnung zu
geben. Es wird gewünscht, daß dieselben ihre Sympathien dem Werke er-
halten. Von weiteren Bauten keine Rede mehr».240
Der Bischof will, wie er es in einem Schreiben an Pfarrer A. Döbeli am
21. Februar 1898 ausdrückt, «einen lenkbareren Direktor». Er wiederholt: Es
ist notwendig, «daß der Direktor seine Gesinnungs- und Handlungsweise än-
dere gegenüber den Fräulein Frey. Sollte er das nicht über sich bringen, so
müßte ein anderer Direktor an seine Stelle treten».241 Deshalb schreibt Bi-
schof L. Haas am 23. Februar 1898 erneut an Don Rua:
«lch fürchte, daß Ihre Entscheidung (den jetzigen Direktor betreffend)
keinen Frieden in das Haus bringt. Es gibt, Sie wissen es, eine große
Entzweiung zwischen dem Direktor und den Schwestern Frey. Trotz
meiner wohlwollenden und dringenden Bitte, konnte ich die Harmonie
und die Einigkeit, die unter diesen zwei Teilen so wichtig ist, nicht
zurückgewinnen. Der Direktor kennt oder anerkennt nicht genug die
Verdienste und die Arbeit der guten Seelen. Ihre Mission ist noch unvoll-
endet; es bleibt noch viel zu tun und der Direktor darf sich dieser Hilfe
nicht entsagen. Das ist meine Überzeugung und darum bitte ich Sie, auf
Ihre Entscheidung zurückzukommen und die Situation Ihres Instituts in
Muri ganz genau anzusehen. Ziehen Sie sich von diesen noblen Seelen
nicht zurück und unterdrücken Sie sie nicht».242
Don Rua antwortet am 29. Februar 1898. Er wünscht auch gute Bezie-
hungen der Salesianer zu den Schwestern Frey, aber, daß sie sich in der Rolle
von «Almosensammlerinnen» verstehen. Don Rua verteidigt den Direktor.
Dieser hätte von ihm den Auftrag zur Führung der Geschäfte. Die Schwestern
Frey wären E. Mederlet schon früher mit Mißtrauen begegnet und hätten sich
einen anderen Direktor gewünscht.243 Er führt Pfarrer A. Döbeli als Zeugen
an, der «keinerlei Dinge im Verhalten des Direktors gegen die Fräulein
[findet], für die man ihn tadeln könnte».244 Er bittet schließlich sogar den Bi-
schof, mit seiner Autorität auf die Schwestern einzuwirken, damit sie dem Di-
rektor in Leitung und Verwaltung des Hauses volle Freiheit lassen, wie das
Wohltäter anderenorts auch tun.
Als Don G. Marenco Ende April 1898 im Auftrag Don Ruas wieder nach
240 Ebd.
241 Ebd.
242 ASe FDR ms 3749 D 1-2; ABSo-A-lOSO.
243 «Aber es scheint, daß sie einen anderen Direktor wollten und sie haben mir einen un-
serer polnischen Kleriker vorgeschlagen, der noch keine Weihen empfangen hat, und dann
haben sie mir einen Priester geschickt, der kein Salesianer ist, und der keinerlei Willen zeigt, es
zu werden» (ASe FDR ms 3906 BIO).
244 Ase FDR ms 3406 BIO; BASo-A-lOSO.

6.5 Page 55

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Die «Don Bosco-Anstalt zum HI. Joseph» in Muri... 323
Muri reist und den Bischof besuchen möchte, wird er nicht empfangen, so
daß er seine Anliegen am 27. April 1898 brieflich vorträgt.245 Sein Schreiben
geht jedoch auf die Konflikte mit den Schwestern Frey nicht ein.
Die Schwestern Frey erhalten weiter Unterstützung durch den Bischof.
So als es am 8. Juli 1898 um das Darlehen bei der Kantonalbank Zug geht,
um die Übergabe der Buchführung an Direktor E. Mederlet am 14. und 18.
Juli 1898 und bei ihrer Enthaftung aller Verpflichtungen der Don Bosco-An-
stalt Muri und Don Rua gegenüber.246
Es dauert ein Jahr, bis sich die Beziehungen der Salesianer und der Don
Bosco-Anstalt Muri zu Bischof L. Haas zu <<normalisieren» beginnen. Er ist
dann nach Berichten der SN viermal in der Don Bosco-Anstalt zu Gast und
schätzt die Arbeit der Salesianer wohl auch. Am 15. Juli 1900 äußerte er in
einer Ansprache: «Ich freue mich und danke Gott, daß er diese Anstalt in
meine Diözese gepflanzt hat» 247. Natürlich ist Bischof L. Haas Salesianischer
Mitarbeiter; sein Todestag ist in den SN 1906, Nr. 7 verzeichnet.
Am 16. und 17. Mai 1899 besucht Bischof L. Haas mit seinem General-
vikar (Kanzler) J. Bohrer (erstmals) die Don Bosco-Anstalt. Gleichzeitig
kommen der General-Ökonom der Kongregation, Don L. Rocca, als Vertreter
des Generaloberen, und Don G. Barberis, der Novizenmeister, zu Besuch
nach Muri.248 Der Don Bosco-Kalender von 1900 erzählt von einem «Freu-
dentag» für die junge Don Bosco-Anstalt.249
Schon am 13. Juli 1899, dem Namenstag des Direktors kOlnmt der Bi-
schof abermals in die Don Bosco-Anstalt zu Besuch, auch um Pfarrer A. Dö-
beli anläßlich seines Silbernen Priesterjubiläums die Ernennung zum Eh-
renkämmerer Seiner Heiligkeit zu überreichen.250 Auch den Namenstag des
Direktors am 15. Juli 1900 verbringt Bischof L. Haas in der Don Bosco-An-
stalt. Den Festgottesdienst zelebriert zwar Pfarrer Albert von Remelfingen
(Lothringen), aber zur Vesper predigt der Bischof. Und am 28. und 29. April
1902 besucht der Bischof die Don Bosco-Anstalt Muri wieder und spendet
fünf Zöglingen das Sakrament der Firmung.
245 BASo-A-lOS0.
246 Ebd.
247 SN 6 (1900) 212.
248 Vgl. SN 5 (1899) 168-169.
249 DBK 1 (1900) 43.
250 SN 5 (1899) 224.

6.6 Page 56

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324 Franz Schmid
6.3. Konflikte mit der Katholischen Kirchenpflege Mud
und der Bau-Direktion des Kantons Aargau
Die Kirchenpflege Muri beschäftigt sich am 20. Januar 1895 mit einer
«Anfrage der salesianischen Gesellschaft in Turin, ob bei einer allfälligen
käuflichen Übernahme der Klostergebäulichkeiten zum Zwecke der Errich-
tung einer Erziehungsanstalt und Handwerkerschule die Klosterkirche benutzt
werden dürfe». Sie beschließt zu antworten, «daß die Kirchenpflege es sehr
begrüßen würde, wenn die Klostergebäulichkeiten einem so edlen Zwecke
wieder dienstbar gemacht werden könnten, und mit Vergnügen würde man
die Mitbenutzung der Klosterkirche einräumen, immerhin unter der Voraus-
setzung, daß der gewöhnliche Gottesdienst der Pfarrgemeinde in keiner Weise
beeinträchtigt werde».251 Im nachfolgenden Schreiben vom 24. Januar 1895
an Don Rua wird diese Mitbenutzung auch «frei und unentgeltlich» zugesagt
unter der weiteren Bedingung, daß «durch die Benützung der Klosterkirche
seitens der Salesianischen Anstalt keine weiteren Rechte auf dieselbe abge-
leitet werden».252
Die Don Bosco-Anstalt kann, als die Hauskapelle zu klein wird, am Ma-
riahilf-Fest (24. Mai) 1900 «dank dem freundlichen Entgegenkommen der
Pfarrgemeinde Muri den feierlichen Einzug in die [...] altehrwürdige Kloster-
kirche des ehemaligen berühmten Benediktinerstiftes» feiern. 253 Die Freude
währt nicht lange, denn schon am 23. Juni 1900 wendet sich der Staatswirt-
schafts- und Bau-Direktor des Kantons Aargau,254 Dr. H. März, an die Kir-
chenverwaltung Muri:
«Wie es scheint, ist Seitens Ihrer Behörde der Don Bosco-Anstalt in
Muri die Benutzung der dortigen Klosterkirche gestattet worden. Laut
einem hier eingelangten Berichte soll nun diese Anstalt in der Kirche
verschiedene Reparaturen und Änderungen vorgenommen und sich unter
anderem einen Eingang direkt in den Kirchenchor durch Anbringen
eines neuen Schlosses zu eine verriegelte Türe verschafft haben. Mit
Rücksicht auf die wertvollen Kunstgegenstände, die sich in dem Kir-
chenchore befinden, dürfte es angezeigt erscheinen, dieses Vorgehen der
Don Bosco-Anstalt näher zu prüfen und eventuell die nötigen Vorsichts-
maßregeln zu ergreifen. Wollen Sie daher einen Amtsbelicht darüber er-
statten, wie weit die von Ihnen der genannten Anstalt erteilte Erlaubnis
251 PfAM.
252 ASe FDR ms 3422 C 12.
253 SN 6 (1900) 185.
254 Seit der Säkularisierung des Klosters Muri befinden sich die Gebäulichkeiten des
Klosters, einschließlich der Kirche, im Besitz des Staates. Mit Dekret vom 19. Dezember 1845
wird die Klosterkirche zur Pfarrkirche erhoben; mit einem Abkommen von 1883 übernimmt
der Staat den Unterhalt der Kirche. (StAAG)

6.7 Page 57

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 325
geht und ob nicht das Vorgehen derselben zu weiteren Maßnahmen
Anlaß gibt».255
Am 21. Juli 1900 wird Pfarrer A. Döbeli zum Pfarrer von Basel gewählt,
am 13. September 1900 wird er verabschiedet. Er verläßt Muri und am 21.
Oktober wird J. Koller in das Amt des Pfarrers eingeführt. Erst am 8. Januar
1901 berät die Kirchenstiftung Muri das Schreiben des Baudirektors und be-
schließt, Pfarrer A. Döbeli zu hören.256 In der Sitzung am 12. April 1901, zu
der E. Mederlet geladen ist, wird beschlossen, ein Reglement zur Benutzung
der Klosterkirche zu erarbeiten.257 Am 20. Juni 1901 hat sich die Kirchen-
pflege mit einem Schreiben der Bezirksverwaltung an die Don Bosco-Anstalt
zu befassen, «die Türe in der Nordfront der Klosterkirche zu schließen und
die Schlüssel der Bezirksverwaltung abzugeben».258 Diese Anordnung veran-
laßt jedoch die Kirchenpflege Muri, dagegen einen Vorbehalt anzumelden.259
Darauf folgt eine differenzierte und andauernde Auseinandersetzung
zwischen der Finanzdirektion des Kantons Aargau und der Kirchenpflege
Muri. Diese behauptet darin ihr Recht, die Türe in der Nordfront des Klosters
benützen zu dürfen, während die Finanzdirektion darauf drängt, diese ver-
schlossen zu halten und von der Don Bosco-Anstalt verlangt, den zu dieser
Tür führenden Weg zu beseitigen.26o
In dieser Auseinandersetzung erstattet schließlich die Finanzdirektion
am 28. Juni 1901 Anzeige an den Regierungsrat, in der sie feststellt:
«Die Kongregation der Salesianer benützt die Klosterkirche nicht nur,
um in derselben dem Gottesdienst beizuwohnen, sondern auch, um
selbst solchen abzuhalten und zwar, wie aus einer Mitteilung der Be-
zirksverwaltung Muri hervorgeht, mit Bewilligung des Präsidenten der
dortigen Kirchenpflege. Sie hält an Wochentagen je einmal und an Sonn-
tagen 3 Mal täglich Gottesdienst ab und benützt das Geläute. Ob hier
eine Berechtigung vorliegt, bedarf näherer Untersuchung».261
255 PfAM.
256 Ebd.
257 Ein solches Reglement teilt die Kirchenpflege der Don Bosco-Anstalt am 19. Juli
1901 in einem Schreiben mit, in dem auch von weiteren Klagen die Rede ist, die bei der Be-
zirksregierung eingegangen sind. (PfAM)
258 Die Rückgabe des Schlüssels an die Bezirksverwaltung bestätigt die Fianzdirektion
am 28. Juni 1901 (StAAG F 7).
259 PfAM.
260 PfAM; StAAG F 7.
261 In den Notizen der Finanzdirektion ist zu lesen: «Ob hier nicht ein Versuch vorliegt,
Zustände zu schaffen, wie sie in Frankreich und Belgien sich eingenistet haben, daß das Ab-
halten des römisch-katholischen Gottesdienstes dem Weltklerus entzogen wird und mehr und
mehr in die Hände der Kongregationen übergeht?» (StAAG F 7).

6.8 Page 58

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326 Franz Schmid
Weiter heißt es: «Abgesehen von diesem letzten Punkt ist hier zu unter-
suchen:
Ob die Kompetenz einer römisch-katholischen Kirchenpflege so weit
geht, daß sie eine staatliche Kirche den Mitgliedern einer landesfremden
Kongregation, die also das aargauische Staatsexamen nicht bestanden
haben, zum Abhalten von regelmäßigen Gottesdiensten einräumen darf
und ob solchen Mitgliedern von Kongregationen überhaupt das regel-
mäßige Abhalten römisch-katholischen Gottesdienstes im Kanton
Aargau gestattet sei. Die Untersuchung dieser zwei Punkte gehört in den
Geschäftsbereich der Erziehungsdirektion».262
Der Regierungsrat schließt sich der Empfehlung der Finanzdirektion an
und beauftragt am 19. Juli 1901 die Erziehungsdirektion mit einer entspre-
chenden Untersuchung.263
Die Kirchenpflege Muri beschließt am 15. August 1901 und schreibt an
den Regierungsrat: «Die Kirchenpflege beharrt auf dem uneingeschränkten
Benützungsrecht der Klosterkirche für gottesdienstliche Zwecke, worin selbst-
verständlich eingeschlossen ist die Benützung der Türe in der Nordfront und
der dazugehörende Weg». Die Kirchenpflege versucht ferner, den Salesianern
die Nutzung der Kirche zu sichern: «Sollte den Salesianern das Abhalten eines
eigenen Gottesdienstes verboten werden, so sind wir genötigt, von Seiten des
Staates die Anstellung eines vierten Pfarrgeistlichen zu verlangen».264
Der Vollzug des Beschlusses der Finanzdirektion kann demnach erst er-
folgen, wenn die Erziehungsdirektion einen Bericht vorgelegt hat. Noch ehe
diese Untersuchungen abgeschlossen sind, schließen die Salesianer die Anstalt.
Als sich am 25. Januar 1904 die Baudirektion erneut mit einer Beschwer-
de über unsachgemäße Benutzung der Klosterkirche durch die Don Bosco-
Anstalt an die Kirchenpflege Muri wendet, wird Pfarrhelfer R. Huber 265 damit
beauftragt, nach dem Rechten zu sehen. Als Pfarrer J. Koller mit einem Schrei-
ben vom 20. Februar 1904 an die Don Bosco-Anstalt neue Bedingungen für die
Benützung der Klosterkirche mitteilt, antwortet E. Mederlet noch am selben
Tag und erklärt den Verzicht der Don Bosco-Anstalt auf die Benutzung der
Klosterkirche und die Bereitschaft, den Schlüssel zurückzugeben.266 Im Ant-
262 StAAG F 7.
263 Ebd.
264 PfAM.
265 Richard Huber, geboren in Besenbüren, Pfarrhelfer in Muri, war 1872-1910 Religi-
onslehrer an der Bezirksschule Muri, 1887-1900 auch Zeichnungslehrer an der Handwerker-
schule Muri, fungiert als Custos für die Klosterkirche.
266 E. Mecterlet weist darauf hin, daß die Don Bosco-Anstalt seit September 1903 über
eine eigene Kapelle verfüge und die Benutzung der Klosterkirche nicht mehr nötig sei. (PfAM)

6.9 Page 59

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 327
wortschreiben der Kirchenpflege vom 26. Februar 1904 wird der Don Bosco-
Anstalt deutlich gemacht, daß der von ihr veranstaltete Gottesdienst für die
Pfarrei nicht notwendig sei, ihre Priester keine staatlichen Prüfungen nachwei-
sen können 267 und sie sich nicht an die vereinbarten Bedingungen zur Benut-
zung der Kirche gehalten hätten.268
Mit dieser Mitteilung wird der Beziehung und Zusammenarbeit zwi-
schen Don Bosco-Anstalt und PfalTei faktisch ein Ende gesetzt.
6.4. Konflikte mit dem Erziehungsrat des Kantons Aargau
Auf Antrag der Finanzdirektion des Kantons Aargau ordnet der Regie-
rungsrat am 19. Juli 1901 eine Untersuchen darüber an, «ob Mitgliedern von
Kongregationen überhaupt das regehnäßige Abhalten römisch-katholischen
Gottesdienstes im Kanton gestattet sei».269
Am 20. März 1902 legt der Erziehungsdirektor dem Regierungsrat einen
umfangreichen Bericht vor. Dieser Bericht bemüht den römisch-katholischen
Synodalrat, der die Salesianer als eine Gesellschaft von Weltgeistlichen be-
schreibt, die dem Diözesanbischof unterstehen und nicht der Jurisdiktion der
Oberen der Gesellschaft. Der Synodalrat ist deshalb der Überzeugung, daß
nach ArtikelS der Bundesverfassung den Salesianern als Weltgeistlichen die
Ausübung gottesdienstlicher Handlungen nicht abgesprochen werden könne.
Nach Konsultation einschlägiger Literatur 270 kommt der Verfasser des Be-
richts jedoch zu der Feststellung, daß die Salesianer eine Säkularkongregation
bilden, die womöglich als eine Art Kloster zu betrachten ist und Artikel 52
der Bundesverfassung widerspricht. Der Bericht stellt ferner fest, daß den Sa-
lesianern die Abhaltung öffentlicher Gottesdienste in öffentlichen Kirchen
nicht zu gestatten sei, da sie gegen Artikel 50 der Bundesverfassung ver-
stoßen, der staatliche Prüfungen für die Geistlichen vorsieht.
Des weiteren kommt der Bericht zu deIn Schluß, daß durch «das Bezirk-
samt oder durch besondere Expertise über die Verhältnisse der Don Bosco-
Anstalt der Salesianer in Muri eine genaue Untersuchung zu veranstalten
267 «Nach aargauischen Gesetzen dürfen im Aargau nur staatlich geprüfte Priester
öffentlichen Gottesdienst halten; selbstverständlich erlaubt dies der Staat vorab für Kirchen,
die sein Eigentum sind, was bei der Klosterkirche der Fall ist. Wenn je der Staat Ihnen die
Benützung der Klosterkirche offiziell entziehen würde, - bis jetzt waren Sie von ihm bloß
geduldet - so würde er vorab auf diesen Punkt sich stützen. Es wird wohl fraglich sein, ob
Sie sich zu den staatlichen Prüfungen verstehen könnten, wozu eine Maturität und regelrechter
Studiengang erfordert wird» (PfAM).
268 PfAM.
269 StAAG F 7.
270 Max HEIMBUCHER, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche, 2. Band.
Paderborn: Schöningh 1897, S. 405-408.

6.10 Page 60

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328 Franz Schmid
[sei], insbesondere über gemeinschaftliche Lebensführung, Ordensregeln,
Klausur, Gelübde, Ordenstracht, Organisation der Anstalt (Statuten und Re-
giemente), Zahl und Beschäftigung der Priester oder Laienbrüder, Zahl und
Alter der Zöglinge, Zahl und Beschäftigung allfälliger weltlicher Insassen
(Lehrer, Angestellte, Dienstboten), Verhältnis zur Mutteranstalt in Turin oder
zu anderen Anstalten der Kongregation».271
Am 16. Juni 1902 fordert Erziehungsrat J. V. Hürbin E. Mederlet zu ei-
nem Bericht auf, den dieser am 18. Juni 1902 vorlegt. Am 9. September besu-
chen die Erziehungsräte J. V. Hürbin und E. Niggli 272 als Delegierte des Er-
ziehungsrates die Don Bosco-Anstalt. Sie besichtigen die gesamte Anstalt und
führen mit dem Direktor ein eingehendes Gespräch, das protokolliert wird.
Am 30. September 1902 legen die beiden Delegierten dem Erzie-
hungsrat einen ausführlichen Bericht vor. Ihre «Schlußbetrachtung» lautet:
«Überblicken wir alle die erhobenen Tatsachen, so kommen wir bezüg-
lich der Hauptfrage, ob es sich hier um eine neue klösterliche Niederlas-
sung handle, zu der Antwort, daß wir nicht im Falle seien, jetzt schon
eine ganz bestimmte Antwort mit Ja oder Nein geben zu können. Dazu
gehört eine längere und genauere Beobachtung des Haushaltes, als die-
selbe in zirka 4 Stunden gewonnen werden konnte, obschon wir den Ein-
druck erhalten haben, daß man uns in ganz unbefangener Weise alles ge-
zeigt hat, was wir zu sehen wünschten und ebenso auf alle Fragen geant-
wortet hat, die wir zu stellen für gut fanden. Offen gestanden haben wir
eher den Eindruck erhalten, daß es sich nicht um eine neue klösterliche
Niederlassung, sondern hauptsächlich um die Etablierung und Führung
einer internationalen, gewerblichen Anstalt zur Heranbildung von Hand-
werkern aus armen und bemittelten Knaben, wenn auch aus Grund der
schwierigen ökonomischen Lage nicht ganz in dem so erhabenen Sinne
und Geiste eines Don Bosco, handle, um ihnen ihr künftiges Fort-
kommen zu erleichtern und sie für einen ehrlichen Broterwerb zu be-
fähigen. Diesem Zwecke haben nach unsern Beobachtungen die in der
Anstalt betätigten Personen in erster Linie mit Fleiß und Anspannung
aller ihrer Kräfte zu dienen und nicht etwa ein untätiges, beschauliches
Leben zu führen. Die prekäre ökonomische Lage der Anstalt weist schon
darauf hin, daß hier Geld verdient, resp. gearbeitet werden muß. Die im
Solde der Anstalt stehenden Personen wären sonach für die Anstalt die
Existenzvermittler und nicht die Müßiggänger, die aus dem Erwerbe der-
selben leben und genießen möchten. Diese Annahme stimmt auch zur
Gründung der Anstalt als eines gottgefälligen Werkes durch die Schwe-
stern Agatha und Elise Frei, die dabei ganz entschieden nicht an Grün-
dung eines Klosters und dergleichen gedacht haben»p3
271 StAAG F 7.
272 Eduard Niggli, Mitglied des Erziehungsrates, Bezirkslehrer und Rektor in Zofingen.
273 StAAG F 7.

7 Pages 61-70

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7.1 Page 61

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 329
Dennoch lautete ihr Antrag: «Die Don Bosco-Anstalt in Muri sei in
ihrem Wesen und Wirken noch weiter zu beobachten und beobachten zu
lassen». Deshalb beauftragt der Regierungsrat am 20. Februar 1903 die
beiden Delegierten erneut mit einer weiteren Untersuchung. Diese findet am
3. November 1903 statt.
Die diesmal unangemeldet auftretenden Delegierten geben der Erzie-
hungsdirektion am 31. Dezember 1903 einen sehr knappen Bericht. Sie
stellen nichts Neues fest, nehmen an einer in jeder Richtung unzulänglichen
Unterrichtsstunde teil und gewinnen den Eindruck, daß es in den Werkstätten
an «Ordnung, Frische und Lebendigkeit» fehle und man vor ihren Augen
etwas verbergen möchte.274
Der Erziehungsdirektor schließt sich in seinem Bericht vom 26. August
1904 an den Regierungsrat dem Votum des Erziehungsrates an, «es sei den Mit-
gliedern der salesianischen Kongregation in der Don Bosco-Anstalt in Muri die
Abhaltung öffentlichen Gottesdienstes in der Klosterkirche zu untersagen».275
Der Regierungsrat sieht in seiner Sitzung am 2. September 1904 nach
wie vor die Frage nach der Identität der Salesianer offen und überweist die
Angelegenheit zur weiteren Untersuchung an die lustiz- und Polizeidirektion,
die gleichzeitig ermächtigt wird, «von Herrn Professor Fritz Fleiner in Basel
über die hier einschlägigen Rechtsfragen, und besonders darüber, ob es sich
bei der Don Bosco-Anstalt nicht um eine mit den Vorschriften der Bundesver-
fassung im Widerspruch stehenden kongregationistische Niederlassung
handle, ein fachmännisches Gutachten einzuholen».276
Die Kantonspolizei Muri richtet schon zuvor am 25. August 1904 ein
Schreiben an die Erziehungsdirektion, in dem Wachtmeister Suter Beobach-
tungen über angereiste Besucher und die Bekleidung der Salesianer mitteilt.
Ein zweiter Polizeibericht datiert vom 15. November 1904. Darin heißt es,
daß Polizeidirektor Fahrländer, Bezirksverwalter Laube und Direktionsse-
kretät Nietlispach sämtliche Räume durchschreiten und sie vollständig ver-
lassen und leer finden. 277
6.5. Schwierige Personalsituation
und Konflikte der Salesianer untereinander
Die Situation der Don Bosco-Anstalt im Innern ist ständig gekennzeichnet
durch eine schwierige finanzielle Lage und Probleme in der Personalsitua-
274 Ebd.
275 Ebd.
276 Ebd.
277 Ebd.

7.2 Page 62

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330 Franz Schmid
tion. Da man gezwungen ist, Schweizer als Handwerksmeister zu beschäf-
tigen, entstehen Lohnkosten, die die Finanzlage stark belasten. Aber auch die
Organisation und Verwaltung bereitet Probleme, da qualifiziertes Personal
fehlt. Deshalb werden den Oberen in Turin immer wieder Vorschläge unter-
breitet, welche Salesianer man in Muri bräuchte. Aber auch die Salesianer
selbst, die aus verschiedenen Ländern stmnmen, finden schwer ein Aus-
kOlnmen miteinander.
Die Quellen sprechen erstmals 1899 von Konflikten unter den Salesianern.
L. Prieri kritisiert in einem Schreiben vom 7. Dezember 1899 an C. Durando
das Gemeinschaftsleben und einzelne Mitbrüder einschließlich den Direktor.
«Die Kleriker sind nach Muri gekommen, ohne zu wissen, was Pflicht
heißt und sie haben fast immer das getan, was sie wollten. Der Direktor
hat es versäumt, ihnen zu sagen, daß es wichtig ist, ihre Pflicht zu er-
füllen. Sie haben auch nie die Anweisungen der Vorgesetzten erfüllt. Der
Direktor hat auch keine Zeit, die Werkstätten zu kontrollieren, und zu
schauen, ob die Kleriker anwesend sind. [...] In der Freizeit machen sie
nichts [mit den Zöglingen]. Es gibt wenig Nähe zwischen den Salesia-
nern und den Jugendlichen. Das System Don Boscos ist hier noch nicht
eingekehrt».278
Noch in zwei weiteren Briefen im selben Monat äußert er sich dahinge-
hend, schließlich teilt er den Eindruck mit, die deutsche Mentalität zähle in
Muri Inehr als die salesianische und die Italiener seien nicht gemocht.279
Schwerwiegende Konflikte entstehen zwischen L. Prieri und E. Butlingaire,
der als Sekretär des Direktors fungiert, die ihren Niederschlag in einem
Schreiben E. Butlingaires an L. Prieri finden, das auch an den Bischof von
Basel gelangt.28o Zwischen L. Prieri und E. Mederlet kommt es häufig zu
Auseinandersetzungen, in denen L. Prieri sogar die Abberufung des Direktors
bei den Obern in Turin fordert. 281
Ein schwieriges Problem stellt die Leitung der Werkstätten dar. Vorüber-
gehend ist der Kleriker J. Herbstritt damit beauftragt. Mehrmals wird der
Schweizer E. La Roche 282 als möglicher Werkstättenleiter genannt,283 aber
auch ein Herr Holzingel' in Rom. 284 Schließlich wird A. Lanzetti mit der Auf-
gabe betraut. L. Prieri als Präfekt und A. Lanzetti können jedoch keine befrie-
278 ASe FDR ms 3423 B 3.
279 Ase FDR ms 3423 e3.
280 BASo-A-1050.
281 Vgl. Ase FDR ms 3424 D 10.
282 Emanuel La Rache, geboren 1842 in Basel, Laienbruder, Schriftleiter der deutschen
Ausgabe der SN in Turin, gestorben 1916 in Wien. Am 17.04.1900 besucht er Muri.
283 ASe FDR ms 3423 B 9.
284 Ase FDR ms 3424 B 5-6.

7.3 Page 63

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 331
digende Form der Zusammenarbeit entwickeln und die Aufgaben nicht sach-
gerecht teilen, so daß am 21. Januar 1901 der Hausobernrat einen förmlichen
Beschluß herbeiführt, der die Aufgabenverteilung festlegt.
Am 1. Juni 1901 berichtet E. Mederlet erstmals über Schwierigkeiten
hinsichtlich des Beichtens bzw. des Beichtvaters.285 Dieses verschärft sich mit
dem Rundschreiben Don Ruas zur Beichte «Comunica il Decreto sulla con-
fessione» vom 6. Juli 1901.286 E. Mederlet bittet am 13. Juli C. Durando,
weiter die Beichte der Jugendlichen hören zu dürfen. Als A. Lanzetti zum or-
dentlichen Beichtvater der Salesianer ernannt wird, wird die Frage gestellt, ob
sie verpflichtet sind, zu ihm zur Beichte zu gehen.287
6.6. Wirtschaftliche Krisensituation
Die materiell schwierige Lage der Don Bosco-Anstalt Muri scheint meh-
rere Ursachen zu haben. Die Verschuldung, die die Salesianer von den
Schwestern Frey übernehmen, können sie bis zur Schließung des Hauses
nicht tilgen. Die Notwendigkeit, relativ viele angestellte Mitarbeiter be-
schäftigen zu müssen, verschärft die Lage. Schließlich gelingt es nicht, die
Werkstätten derart auszulasten, daß sie Erträge erbringen. Auch bleibt die
Zahl der Zöglinge gering, bzw. verhält sie sich rückläufig, so daß die Wirt-
schaftlichkeit der Anstalt auch nicht durch Pensionserträge verbessert wird.
Im Oktober 1898 beginnt die immer wiederkehrende Bitte um Geld für
die Don Bosco-Anstalt Muri. Am 10. Oktober 1898 braucht E. Mederlet
40.000 Fr., um die drückenden Schulden zu zahlen. 288 Am 18. November
1898 bittet E. Mederlet Bischof L. Haas um eine Empfehlung für eine Samm-
lung.289 Am 9. Juli 1900 schickt Don Rua einen Scheck über 6.000 Fr., um die
fälligen Schulden bei A. Frey zu bezahlen.290 Am 30. Juli 1900 äußert Don
Rua gegenüber L. Prieri seine Betroffenheit über Geldvergeudung in der
Druckerei. Am 17. November 1900 verhandelt E. Mederlet mit dem Gemein-
derat Muri über einen Pfandbrief in der Höhe von 10.000 Fr., da allein bei der
Papierfabrik Sihl bei Zürich 4.264,85 Fr. Schulden entstanden sind. Diese
Schuldsumme ist in monatlichen Raten von 200 Fr. zu tilgen, erstmals Ende
November 1900. Die Don Bosco-Anstalt verpflichtet sich, bei Besserung
285 ASe FDR ms 3427 A 9-10.
286 Ase A 4570340; Lettere varie di Superiori Maggiori, Band III: 29./lI-l.X.1901,
0.0 und 0.1., S. 800-801 (Maschinenschrift); E. eERIA, Annali delta Societa Salesiana. 3. Bd.
Torino, SEI 1946, S. 183-184.
287 ASe FDR ms 3425 E 2.
288 Ase FDR ms 3426 E 6-7.
289 BASo-A-1050.
290 Ase FDR ms 3917 E 10.

7.4 Page 64

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332 Franz Schmid
ihrer finanziellen Verhältnisse die Schuld früher abzutragen. Zur Sicherheit
für diese Forderung und etwaige weitere Bezüge verpfändet E. Mederlet na-
mens Don Rua die Liegenschaften der Anstalt. In den Pfandsicherungsbrief
ist der gesamt Besitz der Anstalt aufgenommen.291
Am 6. Dezember 1900 bestätigt E. Mederlet Don Rua den Erhalt von 1.900
Fr. und bittet gleichzeitig um weitere 2.300 Fr. Am 9. Januar 1901 bestätigt E.
Mederlet wieder den Eingang von 1.000 Fr. und bittet erneut um Geld. Am 21.
Januar 1901 berichtet L. Prieri von drei Pfändungen, die angedroht sind und
bestätigt den Erhalt von 3.000 Fr. von D. Belmonte. L. Prieri stellt in dieser
Zeit auch einen Rückgang von Spenden aus der Bevölkerung fest. Am 9. März
1901 bedankt sich L. Prieri bei Don Rua für 1.000 Fr. und beklagt einen Verlust
von 5.000 Fr. in der Schlosserei. Am 11. März 1901 treffen erneut 1.000 Fr. aus
Turin ein und am 28. März 1901 weitere 500. Am 26. Mai 1901 nennt E. Me-
derlet dem Provinzial Schulden von ca. 10.000 Fr., die demnächst fällig werden.
Am 7. Juni bedankt sich E. Mederlet bei Don Rua für 1.000 Fr. Am 5. August
1901 berichtet E. Mederlet an C. Durando von der Notwendigkeit, einen wei-
teren Kredit in der Höhe von 40.000 bis 50.000 Fr. aufzunehmen,292 da Ver-
pflichtungen gegenüber Pfarrer J. Keusch in der Höhe von 9.274 Fr. und ge-
genüber Architekt W. Hanauer in der Höhe von 10.372 Fr. fällig werden.293
Dann reißen die Berichte über die Geldtransaktionen aus Turin nach
Muri ab. Die Schuldenlast bleibt bestehen und bei der Schließung der Anstalt
schreibt E. Mederlet an die Salesianischen Mitarbeiter, daß mehr als die
Hälfte der ursprünglich 400.000 Fr. getilgt sei.294
6.7. Anklage wegen sexuellen Mißbrauchs
Als die Don Bosco-Anstalt Muri darangeht, die Liegenschaften zu ver-
kaufen und das Haus zu schließen, wird Anklage gegen Bewohner und ehe-
malige Bewohner der Anstalt wegen «Sittlichkeitsvergehen» (sexueller
Mißbrauch) erhoben und kommt es zur Verhaftung eines Priesters und eines
Studenten. Am 31. August 1904 übergibt die Kantonspolizei Muri der Staats-
anwaltschaft «die Akten über die sittlichen Zustände in der Don Bosco-
Anstalt»; tags darauf werden diese auch dem Regielungsrat zugeleitet.295
Am 7. September 1904 unterrichtet Pfarrer J. Koller den Bischof von
291 GAM.
292 E. Mederlet spricht von einem Notar in Troyes in Frankreich als Kreditgeber.
293 Vgl. ASe FDR ms 3424 D 3.
294 Ase FDR ms 3426 B 3.
295 Entsprechende Akten sind weder im Bezirksgericht Muri, noch im Gemeindearchiv
Muri und auch nicht im Bischöflichen Archiv Solothurn vorhanden.

7.5 Page 65

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Die «Don Bosco-Anstalt zum Hf. Joseph» in Muri... 333
Basel über die Vorkommnisse. Er schreibt, daß diese sich z. T. in der Kloster-
kirche und in der Krypta ereigneten, es sich um eine «erschreckende Zahl»
handle und der Priester gestanden habe.296 E. Mederlet schreibt am 18. Sep-
tember 1904 an Bischof L. Haas und spricht von «Verleumdungen», daß der
verhaftete Priester seine Unschuld beteuere und der Regierungsrat lange und
überaus peinliche Untersuchungen veranstalte, durch die man mit Gewalt
etwas erfahren will, aber keine direkten Beweise erbringen kann.297 Die Kir-
chenpflege vermerkt in ihren Akten, daß «das Vorhaben des Weggangs [der
Salesianer] beschleunigt wurde durch eine peinliche Gerichtsuntersuchung
über Vorkommnisse in der Anstalt».298
Am 17. Oktober 1904 schreibt E. Mederlet aus Lüttich an Don Rua,
klagt über die Ereignisse und berichtet, daß der Rechtsanwalt K. Mellinger
aus Zürich mitteilt, «daß die Sache nicht arg sei und daß er hofft, daß der
Priester bald freigelassen wird».299
6.8. Probleme der Auflösung der Niederlassung
Der Obernrat der Salesianer in Turin stimmt am 27. Juli 1904 dem Vor-
schlag E. Mederlets zu, das Haus in Muri um 215.000 Lire zu verkaufen,
nicht aber dem Vorhaben, daß sich die Salesianer in das Konventgebäude
zurückziehen.30o In einem Brief an Bischof L. Haas teilt E. Mederlet am 18.
September 1904 mit, daß die Salesianer der großen finanziellen Schwierig-
keiten wegen vor drei Monaten den Entschluß gefaßt hätten, Muri zu ver-
lassen und vor einem Monat schon die Landwirtschaft verkauft hätten.30l
Der Kaufvertrag vom 31. August 1904 bezieht sich auf das Werkstattge-
bäude, die Scheune, den Baumgarten, das Kapffeld und den Bleichezopf; als
Käufer unterzeichnen die Brüder Leonz, Alois und Heinrich Gabler von Rain
in Muri. Für den Verkäufer unterzeichnet J. Villiger, Verwalter der Spar- und
Leihkasse Muri. 302 Die Verkaufssumme ist mit 88.000 Fr. beziffert; dazu
übernehmen die Käufer 45.000 Fr. Schulden bei der Kantonalbank Zug.303
296 BASo-A-1050.
297 Ebd.
298 PfAM.
299 ASe FDR ms 3426 e 5.
300 Ase VRe D 869.
301 BASo-A-1050.
302 Die Procura lautet: «Der unterzeichnete Generalsuperior Don Michael Rua in Turin
bevollmächtigt hiermit Hen'n Villiger, Sparkassenverwalter in Muri, die landwirtschaftlichen
Liegenschaften nebst Fahrhabe der Don Bosco-Anstalt S1. Joseph Muri zu fertigen und recht-
lich zu verkaufen. Turin, den 22. Oktober 1904. P. Michael Rua» (GAM).
303 Vgl. GAM.

7.6 Page 66

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334 Franz Schmid
Die Fahrhabe wird am 19. und 20. September 1904 versteigert. Dazu wird
in der Wochenzeitung «Der Freischütz» am 17. September 1904 inseriert.304
Im Schreiben vorn 18. September 1904 bietet E. Mederlet dem Bischof
von Basel das noch nicht veräußerte Anstaltsgebäude und den Garten zum
Kauf an:
«Wir erlauben uns nun, an Euere Bischöfliche Gnaden die ergebenste An-
frage zu richten, ob unsere zu Lehrzwecken gut eingerichtete Anstalt nicht
Euer Bischöflichen Gnaden zur Erfolgung irgend eines Zweckes dienen
könnte. Die Schätzung der Gebäulichkeiten beträgt Fr. 140.000, zahlbar an
die Zuger Kantonalbank (100.000 Fr.) und die Hochdorfer Volksbank
(27.000 Fr.) sowie die Sparkasse Bremgarten für den Garten (4.000 Fr.)
zur Tilgung der noch auf dem Hause lastenden Hypotheken».305
Im Archiv der flämischen Salesianer Don Boscos in Oud-Heverlee, Bel-
gien, werden zwei Vertragsentwürfe aufbewahrt, die davon zeugen, daß E.
Mederlet auch versuchte, die Don Bosco-Anstalt an den Schweizer Caritas-
verband in Luzern zu verkaufen. Es geht dabei um Summen von 205.900 Fr.
für die Don Bosco-Anstalt als Ganzes, um Hypotheken von 170.000 Fr. und
Anleihen bei einzelnen Personen in der Höhe von 27.555 Fr.306
Am 12. Januar 1906 schreibt E. Mederlet aus Lüttich an Don Rua und be-
richtet, daß sich Pläne, im Anstaltsgebäude in Muri ein Krankenhaus einzu-
richten, zerschlagen hätten. Er schlägt vor, es den Töchtern Mariä, Hilfe der
Christen zu verkaufen, damit sie dort ein Pensionshaus für Frauen einrichten.307
Erst 1910 findet sich in J. Villiger, Metzger aus Hasli, ein Käufer für das
Gebäude, der dafür 40.000 Fr. zu zahlen bereit ist. Er betreibt dort von 1916
an das «Hotel zum Löwen» und führt damit das Haus wieder seiner ersten
Funktion zu, die es bis 1947 behält. 1949 wird das Gebäude abgerissen; heute
steht dort das Ökonomiegebäude der Pflegeanstalt Muri.308
304 H. MÜLLER, Die Don Bosco-Anstalt ..., S. 11.
305 BASo-A-1050.
306 Vgl. ACSB.
307 ASC FDR ms 3427 A 12.
308 Vgl. H. MÜLLER, Die Don Bosco-Anstalt ... , S. 11.