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Don Pascual Chávez Villanueva SDB
Generaloberer der Salesianer Don Boscos
Kommentar
zum
Leitgedanken des Jahres 2010
für die
Don-Bosco-Familie
Arbeitstext, Heft 28
«Herr, wir möchten Jesus sehen.» (Joh 12,21)
Nach dem Beispiel Don Ruas
tragen wir als überzeugte Christen und Christinnen
das Evangelium zu den jungen Menschen.
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Institut für Salesianische Spiritualität an der PTH Benediktbeuern
In der Reihe Arbeitstext, Heft 28
1
13.01.2009 9:10:15 Uhr

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IMPRESSUM
Herausgeber:
Institut für Salesianische Spiritualität
Don-Bosco-Str. 1
D-83671 Benediktbeuern
Tel. 0049 (0)8857 / 88-224; E-Mail: iss@donbosco.de
Homepage: www.iss.donbosco.de
Übersetzung: P. Heinz Bernhard Schuh SDB, Köln
Redaktionelle Bearbeitung: P. Reinhard Gesing SDB, Benediktbeuern
Druck: Don Bosco Grafischer Betrieb, Ensdorf
Benediktbeuern 2010
2

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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: der Jahresleitgedanke und seine Motivationen............................ 6
2. Jünger und Apostel sein: unsere Berufung .................................................... 10
3. Aufgabe der Jünger ist es, das Verlangen, Jesus sehen zu wollen,
wahrzunehmen ................................................................................................. 12
4. Erst Jünger, dann Apostel ............................................................................... 17
5. Um die Jugendlichen „Jesus sehen“ zu lassen ............................................... 19
5.1 Ziel der Evangelisierung: Christus in der Kirche zu begegnen ................... 21
5.2. Methode der Evangelisierung: zusammen den Weg zurücklegen .............. 25
Ausgangspunkt: mit den eigenen Enttäuschungen zu Jesus gehen .......... 25
Während des Weges: vom Wissen so vieler Dinge über Jesus zum „Ihn-
zu-Wort-Kommen-Lassen“...................................................................... 26
Entscheidende Etappe: Jesus ins eigene Haus aufnehmen ....................... 27
5.3 Motivation der Evangelisierung .................................................................. 29
5.4 Erneuerung der Pastoral............................................................................... 30
Zentrale Bedeutung der Person Jesus Christus ........................................ 31
Zeugnis der evangelisierten und evangelisierenden Gemeinschaft.......... 31
Evangelisierung und Erziehung ............................................................... 32
Evangelisierung in den verschiedenen Umfeldern................................... 33
Aufmerksamkeit gegenüber der Familie .................................................. 33
5.5 Prozesse, die für die Veränderung in die Wege zu leiten sind..................... 34
6. Wie Michael Rua Jünger und Apostel sein .................................................... 36
6.1 Überaus treu ................................................................................................ 37
6.2 Fruchtbare Treue ......................................................................................... 38
6.3 Dynamische Treue....................................................................................... 39
7. Anregungen zur Konkretisierung des Jahresleitgedankens ......................... 40
3

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8. Schluss ............................................................................................................... 43
Don Bosco als Evangelisator und als Zeichen der Liebe Gottes zu den
Jugendlichen ......................................................................................................... 44
Meditation über das Don-Bosco-Bild von Sieger Köder........................................ 44
„Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist“ (Lk 6,36)......................... 44
Don Bosco, ein begeisternder Puppenspieler ........................................... 44
Don Bosco, ein ideenreicher Pädagoge.................................................... 44
Don Bosco, ein leidenschaftlicher Katechet ............................................ 46
Don Bosco, selbst ein barmherziger Vater............................................... 46
Don Bosco, bei den jungen Menschen ..................................................... 46
Don Bosco, Verkünder mitten in der Welt............................................... 47
Don Bosco, einladend .............................................................................. 47
Anregungen zur Vertiefung und Textarbeit ...................................................... 49
4

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„Wirklich gibt es nichts Schöneres,
als Christus zu begegnen
und ihn allen mitzuteilen!“1
Liebe Mitbrüder und liebe Don-Bosco-Schwestern,
Liebe Mitglieder der Don-Bosco-Familie und liebe Jugendliche!
Wie jedes Jahr zu diesem Termin möchte ich Euch den Kommentar
zum Leitgedanken des Jahres 2010 vorstellen. Als echtes spirituelles
und pastorales Programm wird er uns dabei behilflich sein, unsere
salesianische Identität zu stärken, unsere Gemeinschaft des Geistes
und des Herzens zu kräftigen und uns als „Jünger und Apostel“ für
den Aufbau des Reiches Gottes und für die Umwandlung der Welt in
die Kirche einzugliedern. Heute mehr denn je braucht die Welt Chri-
stus und sein Evangelium. Dazu bedarf es der Personen, die aus dem
Reich Gottes den Grund ihres Lebens machen, wie Jesus es getan
hat. Es bedarf des Zeugnisses der Jünger und Jüngerinnen, neuer
Männer und Frauen, die nicht aus dem „Fleisch“, sondern aus dem
Geist geboren sind und die als engagierte Apostel und Apostelinnen
ernsthaft zur Erhaltung der Schöpfung, zur Gerechtigkeit, zur Solida-
rität und zur Geschwisterlichkeit unter den Völkern beitragen.2
1 Benedikt XVI.: Nachsynodales Schreiben SACRAMENTUM CARITATIS über die Eu-
charistie, Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche, (Verlautba-
rungen des Apostolischen Stuhls 177), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofs-
konferenz, Bonn 2007, Nr. 84.
2 An dieser Stelle wurden bewusst männliche und weibliche Formen verwendet. Es
wird um Verständnis gebeten, dass dies im Folgenden nicht immer geschieht, um
das Verständnis des Textes nicht unnötig zu erschweren.
5

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1. Einleitung: der Jahresleitgedanke und seine
Motivationen
Nach dem Aufruf des vergangenen Jahres, in dem ich die Don-
Bosco-Familie dazu eingeladen hatte, so als „Bewegung“ zu leben
und zu handeln, dass sie sichtbarer, bedeutsamer und wirksamer in
ihrem Dienst am Heil der Jugendlichen erscheint, möchte ich im Jahr
2010, dass Ihr vom gleichen Geist animiert und in ein gemeinsames
Projekt eingebunden seid: den Jugendlichen das Evangelium zu ver-
künden und sie zur persönlichen Begegnung mit Jesus Christus hin-
zuführen.
Es handelt sich um ein programmatisches Wort, das uns der Heilige
Vater selbst angeboten hat, der in einem Brief an mich anlässlich des
26. Generalkapitels der Salesianer schrieb:
„Die Evangelisierung soll das hauptsächliche und vorrangige Betäti-
gungsfeld ihrer Sendung heute sein. Sie stellt sie vor vielfältige Auf-
gaben, dringende Herausforderungen und umfassende Tätigkeitsbe-
reiche. Aber ihre fundamentale Aufgabe besteht darin, allen nahe zu
bringen, ihr menschliches Leben so zu leben, wie es Jesus gelebt hat.
In den multireligiösen und den verweltlichten Situationen muss man
neue Wege finden, um – besonders den Jugendlichen – die Gestalt
Jesu bekannt zu machen, damit sie seine bleibende Faszination be-
greifen.“3
Deshalb möchte ich anlässlich der Hundertjahrfeier des Todes von
Don Michele Rua, der Don Bosco und seinem Charisma überaus treu
war, alle Mitglieder der Don-Bosco-Familie einladen, immer mehr
zu ergriffenen Jüngern und begeisterten Aposteln Jesu zu werden und
3 Benedikt XVI., Brief an Don Pascual Chávez Villanueva, den Generalobern der
Salesianer, anlässlich des 26. Generalkapitels, 1. März 2008, Nr. 4; vgl. Amtsblatt
des Generalrats der Salesianischen Gesellschaft des hl. Johannes Bosco, 89. Jg.
(2008) Nr. 401, S. 108.
6

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sich in der Evangelisierung der Jugendlichen zu engagieren. Spre-
chen wir mit ihnen über Christus; erzählen wir von unserer Begeg-
nung mit Ihm; berichten wir über seine Geschichte, ohne die seine
Gestalt Gefahr läuft, in Mythologie oder Ideologie abzugleiten; stel-
len wir ihnen das Programm des Glücklichseins vor, das Er uns in
den Seligpreisungen anbietet; sagen wir ihnen, wie schön das Leben
sein kann, wenn man Ihm begegnet ist, und wie freudig das Leben
sein kann, wenn man von Ihm ergriffen ist und in die Sache des Rei-
ches Gottes einbezogen wurde.
Das Engagement als Verkünder ist Frucht der Identität des Jüngers,
der, nachdem er in die Nachfolge des Herrn Jesus Christus getreten
ist, zu seinem persönlichen Stellvertreter und eifrigen Missionar
wird. Wir wollen die Herausforderung annehmen, den Jugendlichen
zu helfen, „die anderen nicht mehr bloß mit (eigenen) Augen und
Gefühlen anzusehen, sondern aus der Perspektive Jesu Christi her-
aus“.4 Es ist wahr, dass wir Salesianer sind, und als solche verwirkli-
chen wir unsere Sendung, erziehend zu evangelisieren und evangeli-
sierend zu erziehen. Das ist kein Slogan und keine sinnentleerte Aus-
druckweise. Es drückt das enge Band aus, das zwischen Evangelisie-
rung und Erziehung besteht. Ohne sie zu vermischen und im Respekt
vor ihrer jeweiligen Autonomie: Sie sind zum Dienst am Aufbau der
menschlichen Person da, um diese bis zur Fülle Christi zu führen.
Die Erziehung ist glaubwürdig, wenn sie alle Dimensionen des Kin-
des, des Heranwachsenden, des Jugendlichen respektiert und klar
ausgerichtet ist auf die ganzheitliche Bildung der Person, indem sie
sie für die Transzendenz aufschließt. Die Evangelisierung ihrerseits
birgt in sich einen starken erzieherischen Wert, gerade weil sie die
Umwandlung des Geistes und des Herzens und die Erschaffung einer
neuen Person als Frucht ihrer Gleichförmigkeit mit Christus sucht.
4 Benedikt XVI.: Enzyklika DEUS CARITAS EST über die christliche Liebe, 25. De-
zember 2005, (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 171), hg. v. Sekretariat
der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006, Nr. 18.
7

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Der Jahresleitgedanke 2010 nimmt das gerade abgeschlossene Pau-
lusjahr und die Synode über das Wort Gottes (5. bis 25. Oktober
2008) zum Anlass; und zwar noch in Erwartung des nachsynodalen
Apostolischen Schreibens des Papstes, das uns helfen wird, die
Schönheit der Begegnung mit Christus, dem Wort Gottes, das unter
uns lebt, zu verkünden und zu bezeugen. Während der Synode, an
der ich teilnehmen durfte, habe ich einen Vortrag über das Emmaus-
evangelium gehalten und dieses als Leitbild für die Inhalte und Me-
thoden der Evangelisierung der Jugendlichen vorgestellt.5 Es kann
nützlich sein, den Abschnitt wieder zur Hand zu nehmen und zu me-
ditieren.
Hier also das geistliche und pastorale Programm für das Jahr 2010:
„Herr, wir möchten Jesus sehen.“ (Joh 12,21)
Nach dem Beispiel Don Ruas
tragen wir
als glaubwürdige Jünger und leidenschaftliche Apostel
das Evangelium zu den jungen Menschen.6
5 Don Pascual Chàvez V. SDB: Wort Gottes und Evangelisierung der Jugend. Bei-
trag des Generaloberen vom 11. Oktober 2008 bei der Bischofssynode über das
Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche (Rom, 5.-24. Oktober 2008),
zu finden auf Homepage des ISS: http://iss.donbosco.de/cms/upload/Inhalte/Don-
Bosco-Familie/Dokumente/Rundbriefe-GO/GO-Bfssynode-Emmaus.pdf.
6 Das italienische Original des Jahresleitgedankens 2010 lautet: “«Signore, voglia-
mo vedere Gesù». A imitazione di Don Rua, come discepoli autentici e apostoli
appassionati portiamo il Vangelo ai giovani.” Die offizielle deutsche Übersetzung
lautet: „«Herr, wir möchten Jesus sehen.» (Joh 12,21) Nach dem Beispiel Don
Ruas tragen wir als überzeugte Christen und Christinnen das Evangelium zu den
jungen Menschen.“ Diese offizielle Übersetzung wurde gewählt, um die inklusive
Sprache zu vermeiden. Für das Verständnis der folgenden Aussagen ist es jedoch
unerlässlich, eine wörtlichere Übersetzung zu haben.
8

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Schon zahlreiche Gruppen der Don-Bosco-Familie befinden sich in
Übereinstimmung mit diesem Engagement. Als Beispiel weise ich
Euch auf zwei Abschnitte der Generalkapitel der Salesianer und der
Don-Bosco-Schwestern hin.
Das 26. Generalkapitel der Salesianer war sich der Dringlichkeit der
Evangelisierung und der zentralen Bedeutung des Angebotes Jesu
Christi bewusst: „Wir sehen die Evangelisierung als vorrangige
Dringlichkeit unserer Sendung und sind uns dessen bewusst, dass die
Jugendlichen ein Recht auf die Verkündigung der Person Jesu als
Quelle des Lebens und als Verheißung des Glücks in Zeit und Ewig-
keit haben.“7 Unsere „fundamentale Aufgabe besteht darin, allen
nahe zu bringen, ihr menschliches Leben so zu leben, wie es Jesus
gelebt hat… Zentrales Anliegen muss die Verkündigung Jesu Christi
und seines Evangeliums sein, und zwar zusammen mit dem Aufruf
zur Umkehr, zur Annahme des Glaubens und zur Eingliederung in
die Kirche. Hieraus ergeben sich sodann die Wege des Glaubens und
der Katechese, das liturgische Leben und das Zeugnis der tätigen
Liebe“.8
Das 22. Generalkapitel der Don-Bosco-Schwestern kommt zu der
Erkenntnis, dass es die Liebe Gottes ist, die uns anspornt: „Der
Pfingstsaal, der Ort, an dem sich die Jünger alle zusammenfinden, ist
keine feste Bleibe, sondern ein Ort des Aufbruchs. Der Geist ver-
wandelt sie aus ängstlichen Menschen in brennende Missionare, die
voll Mut die frohe Botschaft vom auferstandenen Jesus auf die Stra-
ßen der Welt hinaustragen. Die Liebe drängt zum Exodus und dazu,
aus sich herauszugehen, um sich neuen Herausforderungen zu stellen
und sich zu verschenken. ‚Die Liebe wächst durch die Liebe.’9 Ma-
ria, die vom Pfingstsaal aus lehrt, die Türen weit zu öffnen, war die
Erste, die die Erfahrung des Exodus gelebt und sich auf den Weg
7 26. GK SDB, Nr. 24.
8 Benedikt XVI., Brief an Don Pascual Chávez Villanueva, Generaloberer der
Salesianer, anlässlich des 26. Generalkapitels, Nr. 4; vgl. 26. GK SDB, S. 40-41.
9 Benedikt XVI., Deus Caritas est, Nr. 18.
9

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gemacht hat. Ihr wurde als Erster verkündet und sie wurde zur ersten
Verkünderin. Indem sie Jesus zu den anderen trägt, bringt sie Freude
und macht sie die Liebe erfahrbar.“10
2. Jünger und Apostel sein: unsere Berufung
Jünger zu sein, die aus tiefstem Herzen das Wort Gottes aufnehmen,
und Apostel, die die Berufung eines jeden Christen freudig weiterge-
ben: Gerade darin besteht das Leben und die Sendung der Kirche.
Jesus selbst begann damit, das Evangelium vom Reich Gottes zu
verkünden und Jünger zu berufen, um sie dazu einzuladen, zu predi-
gen. Nicht nur die Zwölf, sondern alle Getauften sind berufen, Jün-
ger zu sein, die sich mit seinem Wort vertraut machen, sich mit dem
Herrn identifizieren, um sich seine Gesinnung zu eigen zu machen,
die den Geist Christi in sich tragen und in enger Verbindung mit Ihm
leben, um überzeugte und eifrige Apostel zu werden. Sie sind einge-
laden, in allen Bereichen des Lebens Zeugnis vom Glauben zu ge-
ben, um die Hoffnung zu rechtfertigen; um mitzuarbeiten an der Um-
formung von Kultur und Gesellschaft; um eine Welt aufzubauen, in
der Gerechtigkeit und Friede herrschen und um das Gewissen für die
Solidarität unter den Völkern und sozialen Gruppen und für die Ge-
schwisterlichkeit zwischen allen Menschen zu sein.
Kein Christ kann sich dieser Berufung und Sendung entziehen. Alle
– nicht nur die Priester, die Missionare oder die Ordensleute –, die
von der Liebe durchdrungen sind, die der Herr für uns kraft der Tau-
fe hegt, sind berufen, Verkündiger zu sein. Wir können dem Herrn
auf diesen Auftrag in der Familie, bei der Arbeit und in unseren Ge-
meinschaften antworten, und zwar mit Worten und Werken, d.h. mit
einer Liebe, die wir in Worte und Handlungen umsetzen, indem wir
darauf achten, dass sie dem Evangelium entsprechen. Evangelisieren
heißt, den Sauerteig (des Evangeliums) mit einer solchen Energie
10 22. Generalkapitels der FMA, Più grande di tutto è l’amore, Nr. 33 (Veröffentli-
chung des dt. Textes ist in Vorbereitung).
10

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2.1 Page 11

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einzubringen, dass man die Mentalität und das Herz der Personen
ändert und – durch sie – die sozialen Strukturen, so dass diese mit
dem Plan Gottes übereinstimmen. Es handelt sich nicht um eine ver-
borgene Innerlichkeit. Evangelisieren bedeutet vielmehr, die wahre,
die tiefste und die einzig wirksame soziale Revolution zu verbreiten.
Das erklärt, warum diese auf so viele offene und versteckte Wider-
stände und Gegensätze stößt.
Bevor man an die Mittel und die Arten der Evangelisierung denkt,
muss man ein Motiv haben, d.h. „verliebt“ sein in Gott, die Erfah-
rung seiner Freundschaft und seiner Intimität gemacht haben: „Ich
nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was
sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich
habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“
(Joh 15,15). Zwischen dem Moment der Berufung und dem der
Aussendung gibt es eine Zeit, in der die Jünger mit dem Herrn „zu-
sammen“ sind, um seinen Lebensstil anzunehmen; um von ihm zu
lernen, die persönliche und die universale Geschichte als Heilsge-
schichte zu verstehen; um im eigenen Leben die Wahrheit, die Güte
und die Schönheit der Botschaft zu erfahren, die ihnen anvertraut
wird und die zu verkünden sie berufen sind.
In dieser Hinsicht, so sagte ich im Grußwort zur Eröffnung der halb-
jährlichen Versammlung der Vereinigung der Ordensobern bei der
Vorbereitung auf die Synode über das „Wort Gottes im Leben und in
der Sendung der Kirche“, „wird es nur dem Diener des Evangeliums
– ob Ordenschrist oder Laie –, der das Evangelium in seinem Herzen
trägt und es zum Gegenstand der Kontemplation und zum Beweg-
grund seines Gebetes gemacht hat, gelingen, es als Schatz, über den
es zu reden gilt, auf seinen Lippen zu bewahren und es in Händen zu
halten als eine unausweichliche Pflicht, es weiterzugeben“.11
11 P. Chavez, Es ist nicht richtig, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen,
Grußwort zur Eröffnung der Versammlung der USG, Rom, 21.November 2007.
11

2.2 Page 12

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In der wunderbaren Aufgabe, das Wort Gottes anzunehmen, zu ver-
körpern und mitzuteilen, ist uns Maria Mutter und Lehrmeisterin,
weil sie – wie der hl. Augustinus sagt – den Sohn erst im Geiste emp-
fing, bevor sie ihn im Fleische empfing. In der Tat wird Maria im
Evangelium nach Lukas als diejenige vorgestellt, die bei der Ver-
kündigung des Engels mit außergewöhnlicher Offenheit antwortet:
„Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast“
(Lk 1,38). Maria ist das Leitbild des Jüngers, der angesichts der Ge-
schehnisse, die er sieht und nicht verstehen kann, alles in seinem
Herzen bewahrt und meditiert (vgl. Lk 2,19). Zu Beginn der Sendung
ihres Sohnes fordert sie die Diener bei der Hochzeit zu Kana auf,
„das zu tun, was er ihnen sagen wird“ (Joh 2,5). Und während der
Ausübung seines Sendung befindet sie sich unter den Jüngern, „die
das Wort Gottes hören und es befolgen“ (Lk 11,28). Als der Moment
des Leidens gekommen ist, steht Maria am Fuß des Kreuzes und
fühlt zutiefst die Verlassenheit, die Ablehnung und die Leiden ihres
Sohnes und empfängt sein Testament: „Frau, siehe dein Sohn“ (Joh
19,26). Nach der Auferstehung schließlich harrt sie im Gebet mit den
Jüngern in Erwartung des verheißenen Heiligen Geistes aus (vgl.
Apg 1,14). So ist sie unser Vorbild als Jünger und Apostel des Wor-
tes Gottes.
3. Aufgabe der Jünger ist es, das Verlangen, Je-
sus sehen zu wollen, wahrzunehmen
Gerade weil die Evangelisierung nicht nur eine zu verkündende Bot-
schaft ist, sondern die Offenbarung Gottes in Jesus, ist sie glaubwür-
dig, wenn sie zur Begegnung mit der Person Jesu führt; und sie ist
wirksam, wenn sie das Heil mitteilt, das Gott uns im Sohn schenken
wollte. Die Evangelisierung bringt daher eine innere Dynamik mit
sich, die ausgeht vom religiösen Gefühl, das in dem menschlichen
Verlangen zum Ausdruck gebracht wird, Gott zu sehen, so wie es der
Psalmist sagt: „Mein Herz denkt an dein Wort: «Sucht mein Ange-
sicht!» Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.“ (Ps 27,8). Und einer
12

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der Jünger, Philippus, wagt es, Jesus zu bitten: „Herr, zeig uns den
Vater; das genügt uns“ (Joh, 14,8). Das sagt uns, dass die Evangeli-
sierung eine Begegnung von Personen ist, und dass die Person gerade
dann evangelisiert wird, wenn sie der Person Jesu begegnet und diese
aufnimmt.
Der Evangelist Johannes erinnert daran, dass einige Griechen, wäh-
rend sie nach Jerusalem zum Paschafest hinauf pilgerten, sich Philip-
pus mit der Bitte näherten, „Jesus sehen zu wollen“ (Joh 12,21). Weil
er nicht wusste, was er angesichts einer so unerwarteten Bitte tun
sollte, sprach Philippus mit Andreas, und beide gingen zu Jesus, um
es ihm zu sagen. Da wurde Er sich dessen bewusst, dass die so oft
hinausgeschobene Stunde gekommen war, verherrlicht zu werden. In
dem Moment, in dem jene, die fern waren, den Wunsch verspürten,
ihn zu sehen, erkannte Jesus, dass die Zeit gekommen war, seine
Auslieferung zum Tod, die Stunde der Verherrlichung und der ent-
scheidende Augenblick des Heils aller, zu verkünden. (Joh 12,20-36)
Jesus gelangte zum Bewusstsein seiner Stunde, als er erfuhr, dass da
einige Griechen waren, die ihn sehen wollten. Er kam zu der Er-
kenntnis, weil zwei Jünger es ihm mitteilten. Ohne sich dessen be-
wusst zu sein, halfen Philippus und Andreas Jesus, den entscheiden-
den Moment seines Lebens zu erkennen. Ohne diese zwei Jünger
hätten andererseits die Griechen ihren Wunsch, den Herrn zu sehen,
nicht äußern können. Ohne sie hätte wiederum Jesus nicht gewusst,
dass der Augenblick seiner Verherrlichung gekommen war. Jesus
bedurfte der Jünger, um im Wunsch der Fremden, ihn zu sehen, die
Ankunft der Stunde seiner Herrlichkeit zu erkennen.
Jesus bedarf auch heute der Jünger, denen es gelingt, im Herzen der
Menschen, in ihren Freuden und in ihren Ängsten, den nicht immer
zum Ausdruck gebrachten Wunsch zu spüren, Zugang zu Ihm zu
haben und Ihm zu begegnen. Das, was Jesus erneut den Anstoß gibt,
das Heil zu wirken, ist das Wissen, ersehnt zu sein. Nur der Jünger,
der Jesus nahesteht, kann unter denen, die ihn suchen, herausspüren,
13

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wer sich in Wirklichkeit danach sehnt, ihn zu finden. Der Jünger
folgt Jesus, um die Begegnung derer mit ihm zu erleichtern, die ihn
sehen wollen. Und auf diese Weise wird der Jünger Jesu zu seinem
Apostel: Jesus braucht Jünger, die Gefährten seines Lebens und sei-
ner Sendung sind, um die Ankunft seiner Stunde zu erkennen. Indem
er diejenigen zum Herrn führt, die ihn sehen wollen, verwandelt sich
der Jünger Jesu in seinen Apostel.
Unter den vielfältigen Bestrebungen der Jugend von heute die wahre
Sehnsucht, „Jesus sehen zu wollen“, zu erkennen, ist für uns Mitglie-
der der Don-Bosco-Familie zwar nicht das einzige, aber doch das
fundamentale Motiv, um glaubwürdige Jünger Christi zu werden.
Wenn wir es nicht tun, wer soll dann die Träume und Bedürfnisse der
Jugendlichen Jesus vortragen? Und wer soll dann die Jugendlichen
Jesus sehen lassen? Die Mitglieder der Don-Bosco-Familie sind auf-
gerufen, auf das Verlangen der Jugendlichen, Jesus zu begegnen, zu
hören und gleichzeitig die Situation der Jugend so gut kennen zu
lernen, dass sie den Wunsch der Jugendlichen, sich Jesus zu nähern,
offenkundig machen können. Das ist unsere Art, heute Jesus zu hel-
fen, die Jugendlichen zu retten. Und auf diese Weise werden wir zu
seinen wahren Gefährten und zu seinen Aposteln.
Das bedeutet, dass die Evangelisierung der Jugendlichen von der
konkreten Situation ausgehen muss, in der sie sich befinden, und
zwar unter besonderer Beachtung ihrer Kultur, die in starkem Maße
geprägt ist vom Wert der Subjektivität und der Selbstbezogenheit,
was sie dazu führt, sich unter die Altersgenossen einzureihen und
sich von der Welt der Erwachsenen zu entfernen. In dieser Bezie-
hung sind die Worte des Heiligen Vaters Benedikt XVI. in der Kate-
chese am 5. August 2009 erhellend, als er über den heiligen Pfarrer
von Ars sprach: „Wenn es damals die ‚Diktatur des Rationalismus’
gab, so läßt sich in der heutigen Zeit in vielen Bereichen eine Art
‚Diktatur des Relativismus’ verzeichnen. Beide sind keine geeignete
Antwort auf den berechtigten Wunsch des Menschen, seine Vernunft
in vollem Maße einzusetzen als charakteristisches und formendes
14

2.5 Page 15

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Element seiner eigenen Identität. Der Rationalismus war dafür unge-
eignet, weil er die Grenzen des Menschen außer Acht ließ und den
Anspruch erhob, nur die Vernunft zum Maß aller Dinge zu erheben,
die er so zur Göttin machte; der gegenwärtige Relativismus demütigt
die Vernunft, weil er soweit geht zu behaupten, daß der Mensch
nichts mit Gewißheit erkennen kann, was über den empirischen wis-
senschaftlichen Bereich hinausgeht. Ebenso wie damals ist der
Mensch, der ‚nach Sinn und Erfüllung fleht’ auch heute ständig
auf der Suche nach erschöpfenden Antworten auf die grundle-
genden Fragen, die er sich unablässig stellt.“12 Das ist der Grund,
warum die Jugendlichen – und gerade sie – das nicht immer gefühlte
oder ausgedrückte Bedürfnis nach geduldiger und verständnisvoller
Führung haben.
Was die religiöse Beziehung im Allgemeinen und die christliche Be-
ziehung im Besonderen anbetrifft, lassen die Daten über die Jugend-
lichen keinen Raum für Zweifel. Die Entfernung, das verfrühte Ver-
lassen und die Irrelevanz kennzeichnen das Verhältnis vieler Ju-
gendlicher zu religiösen Institutionen, Themen und Personen. Heute
wird es immer üblicher, auf Jugendliche zu treffen, die nie Kontakt
mit dem religiösen Geschehen hatten, oder die es in einer viel zu
mangelhaften Weise hatten, um die Gottesfrage verstehen zu können,
oder die sich nach einer Anfangserfahrung voller Verheißungen
schließlich abgewandt haben.
Den ausdrücklichen oder unausgesprochenen Ruf der Jugendlichen,
die Jesus sehen wollen, zu hören, bedeutet in der heutigen Situation,
auszuziehen in jene Räume und Lebensthemen, in denen sich die
Jugendlichen zu Hause fühlen, um ihnen zu verdeutlichen, dass mit-
ten unter ihren glaubwürdigsten Wünschen nach Leben und Glück
die Sinnfrage und die Gottsuche verborgen sind.
12 Osservatore Romano, 6. August 2009, S. 8. Hier zitiert nach:
http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/audiences/2009/documents/hf_ben
-xvi_aud_20090805_ge.html. Hervorhebung von P.C.
15

2.6 Page 16

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Mein lieber Vorgänger, Don Juan Edmundo Vecchi, hat sich in sehr
präziser Form mit dieser Frage beschäftigt. „Die Welt der Jugend ist
Missionsland wegen der Anzahl derjenigen jungen Menschen, die
noch die erste Verkündigung vernehmen müssen; wegen kulturellen
Lebensformen und Modelle, die das Licht des Evangeliums noch
nicht erreicht hat; wegen der verbalen, mentalen und existentiellen
Sprache, die nicht mit derjenigen der Tradition übereinstimmt.“13
„Man kann zur Kenntnis nehmen, dass Gott die Jugendlichen interes-
siert. Jede Untersuchung bestätigt es. Ein hoher Prozentsatz erklärt,
in gewisser Weise ein Bedürfnis nach Gott zu spüren und von seiner
Existenz überzeugt zu sein. Daraus folgt aber nicht die Verpflichtung
zum Kult und zu einer dementsprechenden Moral; und man bindet
sich auch nicht an die ‚Wahrheit‘, die irgendeine der Kirchen über
Gott vorlegt.
Das Bild, das die Jugendlichen von Gott haben, ist sozusagen eine
bunte Folge wechselnder und recht unterschiedlicher Bilder nach Art
eines Kaleidoskops. Es wäre aber übereilt, dieses Bild als falsch ab-
zustempeln. Vielmehr ist es – manchmal in erheblichem Maße – un-
vollständig und unscharf. Nachdem ein gewisses Misstrauen gegen-
über den Institutionen und gegenüber dem Bild Gottes, das sie prä-
sentieren, bestätigt wurde, und einige typische Prinzipien der Über-
prüfung des gegenwärtigen Denkens als selbstverständlich gelten,
bleiben keine Kriterien, um die Gültigkeit der verschiedenen Dar-
stellungen Gottes objektiv einzuschätzen.
Bei der Annahme irgendeiner dieser Darstellungen herrscht daher die
subjektive Wahl vor. Das ist nicht völlig falsch. Der Glaube ist ein
freier Willensakt, der in Bewegung gesetzt wird von der Gnade und
erleuchtet wird vom Verstand. Natürlich resultieren daraus ungleich-
gewichtige Bilder. Gott ergibt sich daraus als ein Subjekt, ein Bild,
13 J. E. Vecchi, „L’areopago giovanile“. Note di Pastorale Giovanile (NPG) 1997,
Nr. 4 (Mai), S. 3.
16

2.7 Page 17

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ein Gesprächspartner, eine Beziehung oder eine Entdeckung nach
dem Maß des Einzelnen. Daraus leitet sich ein sehr vager Begriff von
Gott selbst ab…
Es gibt Jugendliche, in denen das Bild eines persönlichen Gottes fast
verschwunden ist. Und so sieht auch jedwede Frage über Gott aus.
Bilder und Fragezeichen verbleiben zwischen den Falten des Gewis-
sens wie in einem Winkel, der von ihm nicht mehr aufgesucht wurde.
In diesem Zusammenhang, der eher einem Platz als einer Kirche ver-
gleichbar ist, stellt sich die Frage, wann und wie man über Gott reden
soll und auf welches seiner Bilder man die Erfahrungen und Bot-
schaften ausrichten soll. Es ist klar, dass, so wie Gott sich durch Ta-
ten und Worte offenbart hat, auch unser Sprechen mittels Taten und
Worten, Geschehnissen und Erleuchtungen ankommt.“14
4. Erst Jünger, dann Apostel
Um die Jugendlichen Jesus sehen zu lassen, muss man Ihn selbst
kennen, mit Ihm leben, einer der Seinen sein. Mit anderen Worten:
Man kann nicht Zeugen und Apostel Jesu sein, wenn man vorher
nicht zu seinen Jüngern gehörte. Apostel wird nicht der, der es will,
sondern der berufen ist. Philippus, Andreas und die anderen Mitglie-
der der ersten Apostelgruppe wurden von Jesus einer nach dem ande-
ren berufen und aus einer Menschenmenge ausgewählt: „Jesus rief
die zu sich, die er erwählt hatte… Und er setzte die Zwölf ein, die er
bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predig-
ten“ (Mk 3,13-14). Um zu Jesus zu gehen, mussten sie sich von den
Menschen lösen, die Ihn begleiteten, und Ihm nachfolgen. Wer ein-
geladen wurde, bei Jesus zu bleiben und in seinem Namen zu predi-
gen, gehört nicht zur Gruppe derer, die ihn suchen. Er gehört zu
14 J. E. Vecchi, „Parlare di Dio ai giovanni“, NPG 1997, Nr. 5 (Juni), S. 3-4.
17

2.8 Page 18

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denjenigen, die ihm schon begegnet sind und sich entschlossen ha-
ben, bei Ihm zu bleiben.
Der erste Auftrag, den der Apostel erhält, die anfängliche Einladung,
die von dem ausgeht, der ihn berufen hat, ist das „Bleiben“ bei sei-
nem Herrn. Im Apostolat geht das Zusammenleben der Sendung vor-
aus. Die Gemeinschaft kommt vor dem Verkündigen. Die persönli-
che Treue ist die Voraussetzung der Sendung. In der Tat werden
diejenigen von Jesus gesandt, die mit ihm zusammen gelebt haben,
die mit ihm Weg und Ruhepausen, das Brot und die Träume, die Er-
folge und die Enttäuschungen, das Leben und die Vorhaben geteilt
haben. Bevor das Evangelium von ihrem Geist Besitz ergreift und
der Grund ihrer Mühen wird, muss es in ihrem Herzen von ihnen
gehört worden sein und Ursache ihrer Freude geworden sein. Jesus
vertraut sein Evangelium keinem an, der ihm nicht zuvor sein eige-
nes Leben geschenkt hat (vgl. Apg 1.21-22). Die ersten von Jesus
Ausgesandten waren seine ersten Gefährten.
Wegen der Tatsache, dass sie bei Ihm waren, näherten sich die Men-
schen, die Jesus kennen lernen wollten, den Jüngern. Der Wunsch,
Jesus zu finden, führte die Menge dazu, diejenigen aufzusuchen, die
ihm folgten. Nur der Jünger, der mit Jesus zusammen lebt, kann dem
den Zugang zu Ihm eröffnen, der es wünscht. Hieraus ergibt sich das
dringende Bedürfnis, das die Jugendlichen verspüren, nämlich Jün-
gern Christi zu begegnen, die sie zu Ihm führen, gerade weil sie
selbst immer bei Ihm sind. Nur die authentischen Jünger können
glaubwürdige Apostel sein.
Im soeben abgelaufenen Jahr hat uns die Gestalt des Apostels Paulus
geholfen, zu verstehen, dass vor dem „Evangelium der Gnade“, das
allen verkündet wurde, die Erfahrung der Begegnung mit dem Aufer-
standenen kommt: Paulus vermochte das Evangelium Gottes in neuer
Weise zu verkünden, weil es ihm vom Auferstandenen auf dem Weg
nach Damaskus geoffenbart worden war (vgl. Gal 1,15-16). Aus die-
ser Erfahrung wachsen der Lebensentwurf des hl. Paulus: „Für mich
18

2.9 Page 19

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heißt Leben Christus“ und sein Pastoralkonzept: „Weh mir, wenn ich
das Evangelium nicht verkünde“ (1 Kor 9,16). Wenn „Christus für
uns alles ist“ (hl. Ambrosius) und wir „der Liebe zu Christus nichts
vorziehen“ (Regel des hl. Benedikt, 4,18), dann wird unser Leben für
alle zum freudigen Zeugnis und zum Angebot der Begegnung mit
Ihm.
5. Um die Jugendlichen „Jesus sehen“ zu lassen
Jesus finden, heißt nicht direkt, ihm zu begegnen. Nicht immer führt
das Empfinden, Jesus in einer starken religiösen Erfahrung „gefun-
den“ zu haben, die große Freude oder Begeisterung hervorruft, zum
Glauben, zu einer authentischen Begegnung mit dem Herrn, weil so
wie im Gleichnis vom Sämann (vgl. Mk 4) das Erdreich, in das der
Samen fällt, nicht bereitet ist.
In der Begegnung liegt die Initiative bei Jesus. „Er geht voran und
sucht die Begegnung. Er tritt in ein Haus ein, nähert sich einem
Brunnen, aus dem eine Frau Wasser schöpft, bleibt bei einem Steuer-
einnehmer stehen, richtet den Blick auf jemanden, der auf einen
Baum geklettert ist, gesellt sich zu dem, der einen Weg zurücklegt.
Aus seinen Worten, aus seinen Gesten und aus seiner ganzen Person
strömt eine Faszination aus, die seinen Gesprächspartner einnimmt.
Es ist Bewunderung, Liebe, Vertrauen und Anziehungskraft. Für
viele verwandelt sich die erste Begegnung in den Wunsch, ihn noch
einmal zu hören, mit ihm Freundschaft zu schließen, ihm zu folgen.
Sie werden sich um ihn herum scharen, um ihm Fragen zu stellen, sie
werden ihm bei seiner Sendung behilflich sein, sie werden ihn bitten,
sie das Beten zu lehren, sie werden Zeugen seiner glücklichen und
schmerzlichen Stunden sein. In anderen Fällen endet die Begegnung
19

2.10 Page 20

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mit einer Einladung zur Umkehr.“15 Das ist das übereinstimmende
Zeugnis der vier Evangelien.
Die Erfahrung ist nicht anders, wenn man an die Begegnung Jesu mit
den Jugendlichen denkt. Für jeden von ihnen geschieht das nach-
drücklichste Ereignis in dem Moment, in dem Jesus als der erscheint,
von dem man einen Lebenssinn erwarten kann, an den man sich auf
der Suche nach Wahrheit wenden kann, durch den man die Bezie-
hung zu Gott verstehen oder mit dessen Hilfe man die menschliche
Daseinsbedingung interpretieren kann. Sehr wichtig ist dabei der
Übergang von der Bewunderung zur Erkenntnis und von der Er-
kenntnis zur Intimität, zur liebenden Verbundenheit, zur Nachfolge,
zur Nachahmung.
Feststeht, dass man „Jesus nicht sehen“ kann, wenn Er sich „nicht
sehen lässt“: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater,
der mich gesandt hat, ihn zu mir führt“ (Joh 6,44). Es genügt also
nicht der Wunsch, ihm zu begegnen, um zur Freude des Erkennens
zu gelangen. Und es genügt auch nicht, seine Jünger aufzusuchen,
um Jesus zu begegnen und ihn als den Herrn zu erkennen.
Die Emmausgeschichte ist ein beispielhaftes Modell der Begegnung
des Glaubenden mit dem fleischgewordenen Wort (vgl. Lk 24,13-
15). Sie identifiziert das Ziel, zu dem der Glaubende gelangen muss,
und zeigt den Weg an, um dieses Ziel zu erreichen. Sie veranschau-
licht den Weg des Glaubens und beschreibt dessen stets aktuellen
Etappen. Die Erzählung des Lukas bietet uns eine präzise Wegbe-
schreibung der Evangelisierung, in der entfaltet wird, wer es ist, der
evangelisiert, und wie man evangelisiert: Es ist Jesus, der mittels
seines Wortes und der eucharistischen Hingabe seiner selbst evange-
lisiert, während er zusammen mit den Jüngern auf dem Weg ist.
15 J. E. Vecchi, „Educare alla fede: l’incontro con Cristo“, NPG 1997, Nr. 3
(April), S. 3.
20

3 Pages 21-30

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3.1 Page 21

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5.1 Ziel der Evangelisierung: Christus in der Kirche zu
begegnen
Die Emmausgeschichte beginnt, indem sie über den Weggang der
zwei Jünger Jesu von Jerusalem berichtet. Betrübt über das, was sich
drei Tage zuvor zugetragen hatte, verließen sie die Gemeinschaft, in
der jedoch schon einige davon sprachen, dass der Herr lebend gese-
hen worden sei. Die zwei Jünger konnten dem Gerede der Frauen
nicht glauben (vgl. Lk 24,22-23; Mk 16,11). Erst am Ende des We-
ges, als sie sahen, wie Jesus die Geste des Brotbrechens wiederholte,
erkannten sie ihn, um ihn gleich wieder aus den Augen zu verlieren
und zur Gemeinschaft der anderen Jünger zurückzukehren. Die un-
erwartete Folge des Ganges nach Emmaus bestand darin, dass sie
sich wieder in der Gemeinschaft in Jerusalem einfanden. Der Aufer-
standene war nicht bei ihnen geblieben, doch sie konnten nicht allein
bleiben. Sie kehrten darum in die Gemeinschaft zurück, wo sie Chri-
stus im Zeugnis der Apostel wiederbegegnen sollten: „Der Herr ist
wahrhaft auferstanden und ist dem Simon erschienen“ (Lk 24,34).
Das ist ein Kriterium zur Überprüfung einer authentischen Begeg-
nung mit Christus: das Geschenk der Gemeinschaft, die als das eige-
ne Zuhause wiedererkannt wird, das vom Herrn bewohnt wird, das
Heim (wörtlich: „il focolare“ – der Herd), zu dem alle gehören, die
den Herrn gesehen haben.
Die Gemeinschaft wiederentdecken und sich in der Kirche wieder-
finden, dem Ort zum Leben des gemeinsamen Glaubens, das ist die
logische Konsequenz der persönlichen Begegnung mit dem Aufer-
standenen. Außerhalb der Gemeinschaft scheint die Verkündigung
des Evangeliums Lärm zu sein, dem man keinen Glauben schenkt
(vgl. Lk 24,22-23). Heute müssen wir wie gestern oder noch mehr als
gestern mit den Hindernissen rechnen, auf die die Evangelisierung
stößt. Ein erstes Hindernis ist die mangelnde Information, weil man
über Jesus nicht nur wenig spricht, sondern versucht, ihn aus der
heutigen Kultur, der Gesellschaft und dem persönlichen Bewusstsein
verschwinden zu lassen. Seine Präsenz wird in der Gesellschaft als
21

3.2 Page 22

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irrelevant empfunden, und seine Abwesenheit wird als Vorteil gese-
hen. Das zweite Hindernis ist die subjektivistische Sicht von Jesus,
der, seiner realen Geschichtlichkeit beraubt, immer ein Christus nach
unserem Maß wird, gestaltet nach den eigenen Wünschen oder Be-
dürfnissen. Das dritte Hindernis ist raffinierter: In einem anmaßen-
den interreligiösen Dialog möchte man Christus auf einen unter an-
deren spirituellen Lehrmeistern oder Religionsgründern reduzieren
und ihn nicht mehr als den einzigen Erlöser aller anerkennen.
Schließlich ist da noch das imaginäre Risiko, das selbst unter Chris-
ten stark vertreten wird, Christus als solchermaßen bekannt zu be-
trachten, dass er uns nichts Neues mehr zu sagen hat. Und wenn er
bedeutungslos geworden ist, lohnt es sich nicht mehr, ihn als Führer
oder Herrn zu haben.
Die lukanische Emmausgeschichte sagt uns, dass es den Jüngern
nicht gelungen wäre, ihn als Lebenden zu entdecken, wenn der Auf-
erstandene ihnen auf dem Weg und bei Tisch seine Gemeinschaft
nicht geschenkt hätte; und sie hätten auch nicht den Wunsch gehabt,
zusammen zu leben. Merken wir uns gut: Es ist nicht wichtig, dass
derjenige, der in die Gemeinschaft zurückkehrt, sie vorher verlassen
hat. Aber es ist entscheidend, dass er sobald wie möglich zurück-
kommt, sofort nachdem er den Herrn gesehen hat. Nur, wer das Ge-
meinschaftsleben wiedererlangt, weiß, dass der Auferstandene mit
ihm war, und er erlebt die Freude, ihn an seiner Seite erfahren zu
haben (vgl. Lk 24,35.32).
Man muss eine Evangelisierung fürchten, die, jenseits der Methoden
und Absichten, nicht von einem gemeinsamen Leben der Evangeli-
satoren ausgeht und die nicht aus der Freude hervorgeht, Christus in
der Gemeinschaft begegnet zu sein. Wenn es so wäre, dann wäre eine
solche Evangelisierung nicht aus der Begegnung mit dem Auferstan-
denen hervorgegangen und würde nicht zur Begegnung mit Ihm füh-
ren. Diejenigen, die den Auferstandenen gesehen und mit ihm geges-
sen haben, können dies nicht für sich behalten; sie werden vielmehr
Freude daran finden, die erlebte Erfahrung weiterzuerzählen, wenn
22

3.3 Page 23

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sie in ihre Gemeinschaft zurückkehren. Das ist nicht zufällig, son-
dern belegt ein Gesetz der christlichen Existenz: Wer weiß und ver-
kündigt, dass Jesus auferstanden ist, lebt seine Erfahrung in Gemein-
schaft.
Wenn es auch wahr ist, dass man Jesus an jedwedem Ort begegnen
kann; sein Haus, der Ort, wo er wohnt, ist die Kirche, die Gemein-
schaft der Glaubenden, derer also, die Ihn als ihren Herrn bekennen,
und die Familie seiner Jünger, nämlich derer, die mit Ihm Leben und
Sendung teilen.
Es gibt keinen Zweifel, dass wir uns daran machen müssen, das ent-
stellte Bild von der Kirche zu korrigieren, das in so vielen Jugendli-
chen vorzufinden ist. Einige „sprechen von ihr mit Zuneigung, als ob
sie ihre Familie, ja sogar die eigene Mutter wäre. Sie wissen, dass sie
in ihr und von ihr das spirituelle Leben erhalten haben. Auch wenn
sie ihre Grenzen, Runzeln und sogar Skandale kennen, so scheint das
doch sekundär zu sein angesichts der Wohltaten, die sie den Men-
schen und der Menschheit bringt, insofern sie Ort der Gegenwart
Christi und Ausstrahlungspunkt seines Lichtes ist: die Kräfte des
Guten, die sich in Werken und Menschen kundtun; die Erfahrung
Gottes, die vom Heiligen Geist angestoßen wird, der in der Heilig-
keit erscheint; die Weisheit, die uns vom Wort Gottes zuteil wird; die
Liebe, die vereinigt und über die nationalen und kontinentalen Gren-
zen hinweg Solidarität schafft; und die Aussicht auf das ewige Le-
ben.
Andere Jugendliche suchen den Abstand zur Kirche, als ob sie eine
Realität wäre, zu der sie nicht gehören und als dessen Teil sie sich
nicht empfinden. Sie beurteilen sie von außen. Wenn sie von „der
Kirche“ sprechen, scheinen sie sich nur auf einige ihrer Institutionen
zu beziehen, auf irgendeine Glaubensformel oder auf Moralnormen,
die ihnen nicht liegen. Es herrscht der Eindruck vor, den man aus
der Lektüre einiger Zeitungen bekommt… Sie täuschen sich dabei
gerade in dem, was die Kirche ausmacht: ihre Beziehung, ja sogar
23

3.4 Page 24

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ihre Identifizierung mit Christus. Für viele ist das eine unbekannte
oder praktisch vergessene Wahrheit. Es fehlen darüber hinaus nicht
diejenigen, die diese Wahrheit für eine Anmaßung der Kirche halten,
um die Gestalt Christi zu monopolisieren, ihre Interpretationen zu
kontrollieren und das Erbe des Bildes, der Wahrheit und der Faszi-
nation Christi zu verwalten.
Für den Glaubenden dagegen ist dies der fundamentale Punkt: Die
Kirche ist Fortsetzung, Ort der Gegenwart und aktuelle Präsenz Chri-
sti; der Ort, an dem Er die Gnade, die Wahrheit und das Leben im
Geist spendet… Genauso ist es. Die Kirche lebt von der Erinnerung
an Jesus, meditiert und studiert mit allen Mitteln sein Wort und be-
zieht neue Bedeutungen aus ihm, aktualisiert je und je neu seine Prä-
senz in den liturgischen Feiern, sucht das Licht, das von seinem My-
sterium ausstrahlt, auf die Geschehnisse und die Auffassungen des
aktuellen Lebens zu projizieren, nimmt die Sendung Christi in seiner
Ganzheit auf und bringt sie voran: die Verkündigung des Reiches
Gottes und die Umwandlung unmenschlicher Lebensbedingungen.
Dabei ist vor allem Jesus selbst der Anführer, der die einzelnen an-
zieht, sie in einem sichtbaren Leib vereinigt und Kräfte in die Ge-
meinschaften eingießt.“16
Wenn das die wahre Wirklichkeit der Kirche ist, haben wir die Auf-
gabe, zu bewirken, dass die Jugendlichen sie als Mutter ihres Glau-
bens lieben, die sie als Kinder Gottes erzieht, die sie ihre Berufung
und Sendung finden lässt, die sie auf ihrem Lebensweg begleitet und
die sie erwartet, um sie in das Haus des Vaters hineinzuführen. Das
ist es, was Don Bosco in unvergleichlicher Weise in der Erziehung
und Evangelisierung seiner Jungen in Valdocco zu tun wusste. Wir
wollen sehen, was wir heute tun können angesichts der Jugendlichen,
die Jesus sehen wollen.
16 J. E. Vecchi, „Maestro, dove abiti?“, NPG 1997, Nr. 7 (Oktober), S. 3.
24

3.5 Page 25

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5.2. Methode der Evangelisierung: zusammen den
Weg zurücklegen
Der Grund, warum die Emmausgeschichte vermutlich so aktuell er-
scheint, liegt in ihrer Gleichzeitigkeit mit unserer spirituellen Situati-
on. Man kann sich mit diesen Jüngern leicht identifizieren, die vor
Sonnenuntergang nach Hause zurückkehren, erfüllt mit Erkenntnis-
sen und mit Traurigkeit. In dem Abenteuer der zwei Jünger von
Emmaus finden wir die entscheidenden Etappen, die man durchlau-
fen muss, um in der Erziehung der Jugendlichen zum Glauben die
österliche Erfahrung zu erneuern, die die Geburt des Lebens in Ge-
meinschaft und des apostolischen Zeugnisses begleitet.
Ausgangspunkt: mit den eigenen Enttäuschungen zu Jesus
gehen
Nicht das, was sich in Jerusalem „in jenen Tages“ zugetragen hatte,
sondern die tiefe persönliche Frustration war der Ausgangspunkt für
die Reise nach Emmaus. Sie hatten mit Jesus zusammengelebt, und
das Zusammenleben hatte in ihnen die schönsten Hoffnungen ge-
weckt. Es schien, „dass er der sei, der Israel erlösen werde“ (Lk
24,19.21). Dagegen hatte sein Tod am Kreuz all ihre Erwartungen
und ihren Glauben begraben. Es war mehr als logisch, dass sie das
Scheitern empfanden und sich in ihrer Enttäuschung betrogen fühl-
ten. Heute teilen die Jugendlichen wenig mit diesen Jüngern; aber
vielleicht haben sie nichts so sehr mit ihnen gemeinsam, wie die Fru-
stration ihrer Träume, die Müdigkeit im Leben und die Ernüchterung
in der Jüngerschaft. Jesus nachfolgen, denken sie oft, lohnt die Mühe
nicht; ein Abwesender hat keinen Wert für ihr Leben.
Es ist die Stunde, nach Emmaus zu gehen. Mit ihren Ängsten auf
dem Weg bietet sich die Gelegenheit einer Begegnung mit Jesus.
Man darf aber nicht allein gehen. Die Jugendlichen brauchen eine
Kirche, die Christus vergegenwärtigt und die sich so ihren Proble-
25

3.6 Page 26

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men nähert und sie ermutigt; die nicht nur mit ihnen den Weg und
die Mühen teilt, sondern es auch versteht, mit ihnen ins Gespräch zu
kommen, sich auf ihre Ebene zu begeben, sich für das zu interessie-
ren, was sie umtreibt, und ihre Unsicherheiten aufzugreifen. Wie
kann die Don-Bosco-Familie den auferstandenen Herrn vergegen-
wärtigen, wenn sie sich nicht um sie kümmert, wenn man sie nicht
über ihre „Freuden und Hoffnungen“, über ihre „Traurigkeiten und
Ängste“ befragt17; kurzum: wenn man sich nicht um ihre Dinge und
um ihr Leben besorgt zeigt?
Während des Weges: vom Wissen so vieler Dinge über Jesus
zum „Ihn-zu-Wort-Kommen-Lassen“
Auf dem Weg nach Emmaus schien nur der Unbekannte keine Idee
von dem zu haben, was in Jerusalem geschehen war (vgl. Lk 24,17-
24). Das Wissen noch so vieler Dinge über Jesus verhalf den Jüngern
jedoch nicht dazu, ihn zu erkennen. Sie kannten die Botschaft (ke-
rygma), waren aber nicht zum Glauben gekommen. Sie wussten so
viel über ihn, vermochten ihn aber nicht zu sehen. Sie hatten so viele
Neuigkeiten über einen Toten, dass es ihnen nicht gelang, ihn lebend
zu sehen. Der Unbekannte musste sich von Grund auf bemühen, um
sie das Geschehnis unter dem Licht Gottes verstehen zu lassen. Jesus
begann, mit ihnen sein Leben noch einmal durchzugehen, indem er
es als Erfüllung der Verheißungen darlegte. Um ihn zu erkennen,
mussten die Jünger aufhören, zu reden.
Wie Christus muss die Don-Bosco-Familie darauf verzichten, in den
Jugendlichen unhaltbare Hoffnungen und falsche Erwartungen zu
wecken. Sie muss sie vielmehr lehren, das zu ertragen, was in ihnen
und um sie herum vor sich geht, indem sie ihnen hilft, die Gescheh-
nisse im Licht Gottes und gemäß seinem Wort neu zu verstehen.
Wenn wir sie nicht zu der Überzeugung führen, dass alles, was ge-
17 Vgl. II. Vatikanisches Konzil: Gaudium et Spes 1.
26

3.7 Page 27

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schieht, Teil eines göttlichen Plans, Frucht und Beweis einer umfas-
senden Liebe ist, wie soll es uns dann gelingen, die Jugendlichen
spüren zu lassen, dass sie von Gott geliebt sind? Um Erfolg zu ha-
ben, müssen wir ihre Weggefährten auf der Suche nach dem Sinn des
Lebens und auf der Suche nach Gott werden. Das ist ein Weg, der
noch wenig in der Kirche gegangen wird, aber für die Jugendlichen
dringend notwendig ist. Ohne die Heilige Schrift zu kennen, kann
man Christus nicht kennen.18
Entscheidende Etappe: Jesus ins eigene Haus aufnehmen
In Emmaus angelangt, waren die Jünger noch nicht zur persönlichen
Erkenntnis Jesu gelangt. Sie hatten in dem Unbekannten, der sie be-
gleitete, noch nicht den Auferstandenen erkannt. In Wirklichkeit war
Emmaus nicht das Ziel des Weges, aber eine entscheidende Etappe.
Nach der Einladung, zu bleiben, wiederholt der noch Unbekannte
seine Geste, ohne Wort zu sprechen. Die eucharistische Praxis ist
unter den Glaubenden Zeichen seiner realen Gegenwart. Die zwei
Emmausjünger erkannten den Herrn nicht, als er mit ihnen unterwegs
war und sie von ihm lernten, den Sinn der Ereignisse zu verstehen.
Das, was Jesus mit seiner Begleitung, im Gespräch und durch die
Auslegung des Wortes Gottes noch nicht gelang, vollbrachte er durch
die eucharistische Geste.
Die Augen zur Betrachtung des Auferstandenen öffnen sich, wenn Er
die Geste wiederholt, die Ihn leichter identifiziert (vgl. Lk 24, 30-
31). Wenn man in Gemeinschaft das Brot bricht, tritt Jesus aus der
Anonymität heraus. „Die christliche Gemeinde wird … nur aufer-
baut, wenn sie Wurzel und Angelpunkt in der Feier der Eucharistie
hat“.19 Eine Erziehung zum Glauben, die die sakramentale Begeg-
nung der Jugendlichen mit Christus vergisst oder aufschiebt, ist nicht
der Weg, um Ihn zu finden. Die Eucharistie ist „Quelle und Höhe-
18 Vgl. II. Vatikanisches Konzil: Dei Verbum, 25.
19 II. Vatikanisches Konzil: Presbyterorum Ordinis, 6.
27

3.8 Page 28

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punkt aller Evangelisation“20 und „Quelle und Höhepunkt des ganzen
christlichen Lebens“21 und muss es bleiben.
„Die Jugendlichen wie auch wir finden Jesus in der kirchlichen Ge-
meinschaft. In deren Leben gibt es aber Momente, in denen sie sich
in besonderer Weise offenbart und mitteilt: Es sind die Sakramente,
insbesondere das der Versöhnung und das der Eucharistie. Ohne die
Erfahrung, die in ihnen enthalten ist, erweist sich die Erkenntnis Jesu
als unangemessen und dürftig, bis zu dem Punkt, nicht damit über-
einzustimmen, ihn unter den Menschen als den auferstandenen Erlö-
ser zu erkennen.
In der Tat gibt es diejenigen, die zwar das soziale Leben und die
Ideale der Kirche teilen, Jesus aber nur unter die großen Weisen und
die religiösen Genies einreihen. Vielleicht betrachten sie ihn als die
höchste Verwirklichung der Menschlichkeit, die uns wegen der Tiefe
seiner Lehre und wegen seines beispielhaften Lebens beeindruckt. Es
fehlt allerdings die persönliche Erfahrung des Auferstandenen, seiner
Macht, das Leben zu schenken, und der Gemeinschaft in ihm mit
dem Vater.
Zu Recht sagt man, dass die Sakramente wahrhaftiges Gedächtnis
Jesu sind: Gedächtnis dessen, was er vollbracht hat und noch heute
für uns tut; dessen, was er für unser Leben bedeutet. Die Sakramente
entfachen also unseren Glauben an ihn, wodurch wir ihn in unserem
Leben und in den Geschehnissen besser erkennen können.
Sie sind auch Enthüllung dessen, was in den Falten unseres Lebens
verborgen zu sein scheint, und helfen, es zur Kenntnis nehmen: Im
Sakrament der Versöhnung entdecken wir die Güte Gottes am An-
fang und als Gefüge unseres Lebens. In seinem Licht bewerten wir
den Verlauf unseres Lebens und versuchen, es in einer neuen Weise
aufzubauen. Die Sakramente sind Kraft und umformende Gnade,
20 Ebd. 5.
21 II. Vatikanisches Konzil: Lumen Gentium, 11
28

3.9 Page 29

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weil sie das Leben des auferstandenen Christus mitteilen und uns in
dieses Leben einfügen. Sie geben uns das nicht theoretische, sondern
gelebte Bewusstsein seiner Bedeutung, seiner Dimensionen und
Möglichkeiten.
Die Sakramente sind eine Prophezeiung, d.h. Unterpfand einer Ver-
heißung der Gemeinschaft und des Glücklichseins, die uns gegeben
wurde und der wir uns anvertrauen. Im Sakrament der Versöhnung
öffnen sich uns die Augen, und wir sehen das, was wir gemäß dem
Entwurf und dem Wunsch Gottes werden können. Uns wird von neu-
em der Heilige Geist gegeben, der reinigt und erneuert. Man hat ge-
sagt, dass es das Sakrament unserer Zukunft als Söhne und Töchter
ist, und zwar mehr noch als das unserer Vergangenheit als Sünder. In
der Eucharistie nimmt uns Christus in seine Hingabe an den Vater
hinein und stärkt unsere Hingabe an die Menschen. Er haucht uns
den Wunsch ein und gibt uns die Hoffnung, dass beide, die Liebe
zum Vater und die Liebe zu den Brüdern und Schwestern, zu einer
Gnade für alle und für alles werden: Wir verkünden seinen Tod, wir
preisen seine Auferstehung, komm Herr Jesus“22.
5.3 Motivation der Evangelisierung
Die Dringlichkeit der Evangelisierung ist keine Proselytenmacherei,
sondern drückt die Leidenschaft für das Heil der anderen aus, die
Freude, die Erfahrung der Fülle des Lebens in Jesus zu teilen. Wer
dem Herrn begegnet ist, kann nicht im Schweigen verharren: Er muss
es verkünden. Zu schweigen, hieße, Ihn erneut in den Tod zu geben.
Und Er lebt! Die missionarische Gesinnung beinhaltet das Gebot, das
Jesus an die Jünger richtet: „Ihr werdet meine Zeugen sein bis an die
Grenzen der Erde“ (Apg 1,8).
22 J. E. Vecchi, „Lo ricnobbero nello spizzare il pane“, NPG 1997, Nr. 8
(November), S. 3-4.
29

3.10 Page 30

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Don Bosco machte sich gerade diesen Appell Jesu vom Beginn sei-
nes Werkes an zu Eigen, indem er das Evangelium zu den ärmsten
Jugendlichen brachte. Als er über die Kongregation sprach, sagte er:
„Diese Gesellschaft war an ihrem Anfang ein einfacher Katechis-
mus.“23 Und schon am Tag nach der Approbation der Konstitutionen
(1874), am 11. November 1875, vollzog er die erste missionarische
Aussendung nach Lateinamerika. Als Don-Bosco-Familie sind wir
aufgerufen, uns mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was die
ursprüngliche Inspiration Don Boscos war: die evangelisierende und
missionarische Dimension seines Lebens, aber auch seines Charis-
mas. All das ist ein fundamentaler Punkt des geistlichen Testaments,
das er uns hinterlassen hat.
Der Missionsgedanke ist heute besonders lebendig, weil die Welt
wieder „Missionsland“ geworden ist. Andererseits gibt es heute eine
unterschiedliche Weisen des Verständnisses des Missionsgedankens
und von der Verwirklichung der Mission „ad gentes“24. Sie vollzieht
sich im Respekt vor den verschiedenen kulturellen Gegebenheiten,
im Dialog mit den anderen christlichen Konfessionen und mit den
verschiedenen Religionen. Und man engagiert sich in der menschli-
chen Förderung und in der Durchdringung der Kultur.25 Das entbin-
det uns aber nicht davon, Missionare zu sein; im Gegenteil: Es for-
dert uns in einer noch stärkeren Weise.
5.4 Erneuerung der Pastoral
Wenn wir heute evangelisieren wollen, müssen wir nicht nur den
dringenden Anforderungen der Evangelisierung Priorität einräumen,
23 MB IX, S. 61.
24 Damit ist die Weltmission gemeint, also die Mission unter den Menschen, die
das Evangelium noch nicht kennen.
25 Vgl. Papst Paul VI.: Apostolisches Schreiben EVANGELII NUNTIANDI über die
Evangelisierung in der Welt von heute vom 8. Dezember 1975, (Verlautbarungen
des Apostolischen Stuhls 2), hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe-
renz, Bonn, Nr. 19.
30

4 Pages 31-40

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4.1 Page 31

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sondern wir müssen die Pastoral erneuern. Hier nun einige diesbe-
zügliche Hinweise.
Zentrale Bedeutung der Person Jesus Christus
Die Evangelisierung hat Jesus Christus nicht nur zu ihrem Inhalt; Er
ist ihr Subjekt. Jesus Christus legt in der Tat nicht etwa eine Bot-
schaft vor, die von seiner Person getrennt werden könnte, als ob sei-
ne Worte, seine Handlungen und seine irdische Geschichte auf einfa-
che kommunikative Instrumente reduziert werden könnten. Er selbst
ist der Inhalt seiner Verkündigung, weil Er das lebendige und wirk-
same Wort ist, in dem Gott sich den Menschen mitteilt. Die Quelle
des ganzen Evangelisierungswerks besteht in der persönlichen Be-
gegnung mit Christus. Es handelt sich natürlich nicht um eine einfa-
che mahnende Aufforderung, sondern um klare Wahrheitsansagen,
die sehr bedeutungsvolle Konsequenzen haben. Unter ihnen nenne
ich vor allem die Forderung, die Spaltung zwischen Inhalt und Me-
thode der Evangelisierung zu überwinden, und an zweiter Stelle die
Dringlichkeit, das Gleichgewicht zu wahren zwischen dem Ausgehen
von den Fragen der Adressaten und dem Bemühen, ihnen aus-
schließlich und vollständig Christus vorzustellen. Das fordert von
uns, zu überprüfen, ob unsere pastoralen Methoden mit der zentralen
Bedeutung des Angebots Jesu Christi übereinstimmen. Eine Metho-
dologie, die ausschließlich den Hörer des Wortes in den Mittelpunkt
stellt, vereitelt die Wirksamkeit des Wortes selbst.
Zeugnis der evangelisierten und evangelisierenden Gemein-
schaft
Das Zeugnis ist das grundlegende Element der pastoralen Tätigkeit.
Die Priorität des Zeugnisses leitet sich folgerichtig aus der zentralen
Bedeutung der Person Jesu Christi in der evangelisierenden Tätigkeit
ab. Diese Tätigkeit geht nicht primär von den menschlichen Bedürf-
nissen aus, auf die man zu antworten hat, sondern von der Begeg-
31

4.2 Page 32

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nung mit einem personalen Geheimnis, von dessen Gnade Zeugnis
abzulegen ist. Sie entfaltet sich deshalb nicht aus einer Leere oder
einem Mangel, sondern aus einer Fülle der Liebe, die ausstrahlt und
sich mitteilt. Gerade deswegen steht im Zentrum der evangelisieren-
den Tätigkeit die Zeugnis gebende Präsenz einer Gemeinschaft, die
die Gewissen mit ihrer Lebensart aufrüttelt und nicht einfach in ei-
nem pastoralen Konzept besteht, um das herum man mehr oder we-
niger homogene Kräfte sammelt. Darum nimmt die Person des
Evangelisators eine besondere Bedeutung an, die allem voran ein
gläubiger Jünger und dann ein glaubwürdiger Apostel ist; mehr noch:
die gerade deshalb ein glaubwürdiger Apostel ist, weil sie schon ein
glaubender Jünger ist.
Evangelisierung und Erziehung
In der Don-Bosco-Familie empfindet man die Notwendigkeit, die
Beziehung zwischen Evangelisierung und Erziehung zu überdenken,
indem man das eintönige Beharren auf allgemeinen Formeln über-
windet. So sagt diesbezüglich das 26. Generalkapitel der Salesianer:
„In der salesianischen Tradition haben wir die Beziehung auf ver-
schiedene Weise ausgedrückt: z.B. in den Wortpaaren ‚ehrenwerte
Bürger und gute Christen‘ oder ‚erziehend evangelisieren und evan-
gelisierend erziehen‘. Wir sehen die Notwendigkeit, die Reflexion
über diesen schwierigen Zusammenhang fortzusetzen. Jedenfalls sind
wir davon überzeugt, dass die Evangelisierung der Erziehung ein
Modell gelungenen Menschseins anbietet und dass umgekehrt die
Erziehung, wenn es ihr gelingt, das Herz der Jugendlichen anzurüh-
ren und den religiösen Sinn des Lebens zu entfalten, den Prozess der
Evangelisierung fördert und begleitet.“26 Die Entwicklung dieser
Arbeit findet einen Bezugspunkt in der klaren Aussage desselben
Kapitels, wonach es notwendig ist, „die Ganzheitlichkeit der Ver-
kündigung und zugleich die Gradualität (Stufenartigkeit) des Ange-
26 26. GK SDB Nr. 25.
32

4.3 Page 33

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bots“ zu wahren27, ohne der Versuchung nachzugeben, die Gradua-
lität der pädagogischen Abläufe umzuwandeln in selektive Vorein-
genommenheit oder in die Verzögerung der ausdrücklichen Verkün-
digung Jesu Christi, wodurch man die persönliche Begegnung mit
dem Herrn unmöglich macht.
Evangelisierung in den verschiedenen Umfeldern
Die Evangelisierung macht es auch notwendig, den verschiedenen
Umfeldern Beachtung zu schenken. Die Dringlichkeit der Verkündi-
gung des auferstandenen Herrn spornt uns an, uns mit Situationen
auseinanderzusetzen, die in uns als Appell und Besorgnis widerhal-
len: die noch nicht evangelisierten Völker, der Säkularismus, der
Länder mit alter christlicher Tradition bedroht, das Phänomen der
Migrationsbewegungen, die neuen dramatischen Formen der Armut
und der Gewalt, die Verbreitung der Bewegungen und Sekte. Jedes
Umfeld präsentiert seine eigenen Herausforderungen an die Verkün-
digung des Evangeliums. Wir fühlen uns auch herausgefordert von
einigen günstigen Gelegenheiten, wie dem ökumenischen, interreli-
giösen und interkulturellen Dialog, der neuen Sensibilität für den
Frieden, für den Schutz der Menschenrechte und für die Bewahrung
der Schöpfung, den zahlreichen Ausdrucksformen der Solidarität und
des Volontariats. Diese Elemente, die von den Apostolischen Schrei-
ben im Gefolge der kontinentalen Synoden anerkannt wurden, ver-
pflichten uns dazu, in der Wertschätzung der örtlichen Kulturen und
im Respekt ihnen gegenüber neue Wege zu finden für die Mitteilung
des Evangeliums Jesu Christi.
Aufmerksamkeit gegenüber der Familie
Eine besondere Aufmerksamkeit bleibt der Familie vorbehalten, die
das ursprüngliche Subjekt der Erziehung und der erste Ort der Evan-
27 Ebd.
33

4.4 Page 34

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gelisierung ist. Die Kirche hat Kenntnis genommen von den erhebli-
chen Schwierigkeiten, in denen sich die Familie befindet, und spürt
die Notwendigkeit, außergewöhnliche Hilfen anzubieten für ihre Bil-
dung, für ihre Entwicklung und für die verantwortliche Ausübung
ihrer erzieherischen Aufgabe. Deshalb sind auch wir aufgerufen, si-
cherzustellen, dass die Jugendpastoral immer offen ist für die Famili-
enpastoral. So sagte Papst Benedikt zu uns Salesianern während des
26. Generalkapitels: „In der Erziehung der Jugendlichen ist es äu-
ßerst wichtig, dass die Familie als aktives Subjekt gilt. Sie ist oftmals
in Schwierigkeiten, wenn es darum geht, sich mit den Herausforde-
rungen der Erziehung auseinanderzusetzen. Oft ist sie nicht in der
Lage, ihren spezifischen Beitrag zu leisten, oder sie ist abwesend.
Die Vorliebe und das Engagement für die Jugendlichen, die das
Merkmal des Charismas Don Bosco sind, müssen sich umsetzen in
ein gleichwertiges Engagement für die Einbeziehung und die Wei-
terbildung der Eltern. Sich um die Familien zu kümmern, heißt nicht:
von der Arbeit für die Jugendlichen Kräfte abzuziehen. Es bedeutet
vielmehr: diese Arbeit dauerhafter und wirksamer zu gestalten.“28
5.5 Prozesse, die für die Veränderung in die Wege zu
leiten sind
Um den Anforderungen der Evangelisierung gewachsen zu sein und
ein Überdenken der Jugendpastoral zu verwirklichen, muss man die
Mentalität umwandeln, die Strukturen modifizieren und einige Pro-
zesse der Änderung in Gang zu setzen. Man muss übergehen:
- von einer Mentalität, die die direkten Leitungs- und Verwal-
tungsrollen privilegiert, zu einer Mentalität, die die evangeli-
sierende Präsenz unter den Jugendlichen vorzieht;
28 Benedikt XVI., Ansprache Seiner Heiligkeit an die Teilnehmer des 26. GK, 31.
März 2008; vgl. 26. GK, S. 159-160.
34

4.5 Page 35

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- von einer Mentalität, die aus Ereignissen ohne Kontinuität be-
steht, zu einem systematischen und ganzheitlichen Ablauf;
- von einer individualistischen Mentalität zu einem gemein-
schaftlichen Stil, der Jugendliche, Familien und Laien in die
Verkündigung Jesu Christi mit einbezieht;
- von einer Einstellung der pastoralen Selbstgenügsamkeit zu
einer Teilnahme an den Projekten der Ortskirchen;
- von der Betrachtung der Wirksamkeit unserer Präsenz in Be-
griffen der Wertschätzung der anderen zu ihrer Bewertung in
Begriffen der Treue zum Evangelium;
- von einer Haltung kultureller Überlegenheit zur positiven
Annahme anderer Kulturen, die von der eigenen verschieden
sind;
- vom Betrachten der Don-Bosco-Familie als reine Gelegenheit
zu Begegnung, zum Kennenlernen und zum Erfahrungsaus-
tausch zu dem Bemühen, aus ihr eine echte apostolische Be-
wegung zu Gunsten der Jugendlichen zu machen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir, „um als Jünger Jesu Christi zu
antworten, keine andere Alternative haben als das Gott hingege-
bene (theologale) Leben, ein intensives Leben, das durchdrungen
ist von Glaube, Hoffnung und Liebe und das in seiner Tiefe ge-
lebt wird, und die Radikalität des evangelischen Lebens, eines
leuchtenden Lebens, das gekennzeichnet wird vom Gehorsam,
von der Armut und von der Keuschheit. Das ist unsere Prophetie!
Jesus hat uns gelehrt und uns seinen Geist mitgeteilt, damit wir
Salz der Erde, Licht der Welt und Sauerteig in der Gesellschaft
sein können; wir sind dazu gerufen, zu leuchten und zu strahlen,
zu bewahren und Geschmack zu wecken, Wachstum und Um-
wandlung zu bewirken.
35

4.6 Page 36

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Das alles bedeutet:
- mit Kreativität und Begeisterung die neue Evangelisierung
anzunehmen, bis man zur Seele der Kultur, besonders derer
der Jugendlichen, unserer Zielgruppe, vordringt;
- die zentrale Bedeutung Gottes im persönlichen und gemein-
schaftlichen Leben wiederzuerlangen, indem man ein hohes
Maß des spirituellen Lebens in der Gemeinschaft sicherstellt
und das gemeinschaftliche Zeugnis der Nachfolge Christi er-
kennbar macht;
- auf die Schaffung von Gemeinschaften mit echtem Familien-
geist zu setzen; Gemeinschaften, die reich sind an menschli-
chen Werten und sich ganz dem Dienst an den Jugendlichen,
besonders den Ärmsten, den Bedürftigsten und den am mei-
sten Ausgegrenzten unter ihnen, widmen, um ein Haus und
eine Schule der Gemeinschaft zu bilden;
- die salesianische Präsenz unter den Jugendlichen aufzuwer-
ten, indem man charismatische Entscheidungen trifft, die es
uns erlauben, das Leben mit den Jugendlichen zu teilen, in-
dem man eine neue Art der entschiedeneren evangelisieren-
den Präsenz schafft und indem man sich dorthin begibt, wo
wir auf pastoraler, spiritueller und berufunsgbezogener Ebene
fruchtbarer wirken können.“29
6. Wie Michael Rua Jünger und Apostel sein
Wer 150 Jahre nach ihrer Gründung und hundert Jahre nach dem Tod
Don Ruas, des ersten Nachfolgers Don Boscos, die Geschichte der
29 Pascual Chávez Villanueva, Sotto il soffio dello Spirito. Identità carismatica e
passione apostolica. Corso di esercizi spirituali alle Capitolari FMA; LDC Turin
2009, S. 17.
36

4.7 Page 37

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salesianischen Kongregation liest, wird erkennen, dass unser Cha-
risma aus der Sendung der Kirche hervorgegangen ist; dass das, was
uns anspornt, die pastorale Leidenschaft ist, die Don Bosco in der
Schule Don Cafassos gelernt hat; dass wir – mit einem Wort – von
Jesus eingeladen sind, seinen Dienst und sein Werk fortzuführen,
aber mit dem lächelnden Antlitz Don Boscos und mit der Bestimmt-
heit Don Ruas.
6.1 Überaus treu
Deshalb muss ich an dieser Stelle Michael Rua erwähnen, der uns ein
Vorbild dafür ist, was es bedeutet, als Salesianer Jünger und Apostel
zu sein. Die Hundertjahrfeier seines Todes bietet uns die Anregung,
Jünger und Apostel Jesu in den Spuren Don Boscos zu sein, dessen
erster Nachfolger er gewesen ist.
Don Rua war „der treueste, deshalb der demütigste und zugleich der
mutigste Sohn Don Boscos“. Mit diesen Worten hat Papst Paul VI.
am 29. Oktober 1972, dem Tag seiner Seligsprechung, für immer die
menschliche und spirituelle Gestalt Don Ruas skizziert. Noch einmal
zeichnete der Papst in seiner Ansprache30 unter der Kuppel von St.
Peter den neuen Seligen mit Worten, die diese seine fundamentale
Charakteristik definieren: die Treue. Don Rua war Don Boscos
„Nachfolger, der sein Werk fortsetzte, als Sohn, Schüler und Nach-
ahmer.… Er hat aus dem Vorbild des Heiligen eine Schule, aus sei-
nem Leben eine Geschichte, aus seiner Regel einen Geist, aus seiner
Heiligkeit einen Typus, ein Modell gemacht. Er hat aus der Quelle
einen Strom, einen Fluss gemacht.“ Die Worte Papst Pauls VI. erho-
ben die irdische Geschichte dieses „schmächtigen, hageren Priesters“
30 Vgl. AAS an. e vol. LXIV, 1972 Nr. 11, S. 713-718. Deutsche Fassung: Papst
Paul VI: Die „Strahlkraft eines guten Vorbilds“. Homilie des Papstes anlässlich der
Seligsprechung von Michele Rua am 29. Oktober 1972, in: L´OSSERVATORE
ROMANO. Vatikanstadt, 10. November 1972, 2. Jahrgang – Nr. 45, S. 1.6f. Die
Zitate aus dieser Ansprache wurden hier neu übersetzt.
37

4.8 Page 38

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auf eine höhere Stufe. Sie enthüllten den Diamanten, der in der mil-
den und demütigen Handlung seiner Lebensgeschichte strahlte.
Alles hatte eines fernen Tages mit einer seltsamen Geste begonnen.
Acht Jahre alt, Halbwaise ohne Vater, mit einem schwarzen Band auf
der Jacke, hatte Michael Don Bosco seine Hand entgegengestreckt,
um eine Medaille von ihm zu bekommen. Statt der Medaille hatte
Don Bosco ihm seine linke Hand gegeben, während er mit der rech-
ten Hand die Geste machte, als wolle er sie zur Hälfte durchschnei-
den. Und er wiederholte: „Nimm sie, kleiner Michael, nimm sie.“
Vor dessen verwunderten Augen hatte Don Bosco jene Worte gesagt,
die das Geheimnis von Michaels Leben werden sollten: „Wir beide
werden alles je zur Hälfte tun.“ So begann diese wunderbare Zu-
sammenarbeit zwischen dem heiligen Lehrmeister und seinem
Schüler, der immer und in allem mit ihm halbe-halbe machen sollte.
Michael begann, sich die Denk- und Verhaltensweise Don Boscos
anzueignen. Später sollte er sagen: „Es beeindruckte mich mehr, Don
Bosco auch bei seinen kleinen Tätigkeiten zu beobachten, als irgend-
ein frommes Buch zu lesen und zu betrachten.“31
6.2 Fruchtbare Treue
Mehr als nur einer der römischen Kardinäle war beim Tod Don Bos-
cos davon überzeugt, dass die salesianische Kongregation sich rasch
auflösen würde. Don Rua war damals 50 Jahre alt. Am besten er-
schien es ihnen, eine päpstliche Kommission nach Turin zu schicken,
die die Vereinigung der Salesianer mit einer anderen Kongregation
bewährter Tradition vorbereiten sollte. Unter Eid bezeugte Don Bar-
beris: „In großer Eile rief Bischof Cagliero das Obernkapitel mit ei-
nigen der Ältesten zusammen, und man verfasste einen Brief an den
Heiligen Vater, in dem alle Obern und Ältesten erklärten, dass alle
einvernehmlich Don Rua als Obern akzeptiert hätten, und dass man
sich nicht nur untergeordnet, sondern ihn mit großer Freude ange-
31 A. Amadei, Il Servo di Don Michele Rua, Bd. I, SEI Turin 1933, S. 30..
38

4.9 Page 39

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nommen habe… Am 11. Februar bestätigte und erklärte der Hl. Va-
ter Don Rua im Amt [des Generalobern] für zwölf Jahre gemäß den
Konstitutionen.“32
Papst Leo XIII. hatte Don Rua gekannt und wusste, dass die Salesia-
ner unter seiner Leitung ihre Sendung fortsetzen würden. Und so
kam es. Die Salesianer und die salesianischen Werke vermehrten
sich wie die Brote und die Fische in den Händen Jesu. Don Bosco
hatte 64 Werke gegründet. Don Rua brachte es auf 341. Die Salesia-
ner zählten beim Tod Don Boscos 700 Mitglieder. Unter der Leitung
Don Ruas wurden daraus in 22 Jahren 4.000 Mitglieder. Die salesia-
nischen Missionen, die Don Bosco beharrlich begonnen hatte, hatten
sich während seines Lebens auf Patagonien, das Feuerland, Uruguay
und Brasilien ausgedehnt. Don Rua steigerte den missionarischen
Eifer, und die salesianischen Missionare erreichten Kolumbien,
Ecuador, Mexiko, China, Indien, Ägypten und Mosambik.
Damit die Treue zu Don Bosco nicht abnehme, hatte Don Rua keine
Angst, weit und ergiebig zu reisen. Sein ganzes Leben war angefüllt
mit Reisen. Er erreichte seine Salesianer, wo auch immer sie waren,
sprach mit ihnen über Don Bosco, erweckte in ihnen von neuem sei-
nen Geist, informierte sich in väterlicher, aber gründlicher Weise
über das Leben der Mitbrüder und über die Werke; und er hinterließ
schriftlich Direktiven und Ermahnungen, damit die Treue zu Don
Bosco auch weiterhin blühe.
6.3 Dynamische Treue
In der gleichen Ansprache zur Seligsprechung sagte Paul VI.: „Me-
ditieren wir für einen Augenblick über den charakteristischen Aspekt
Don Ruas, den Aspekt, der uns ihn verstehen lässt… Die wunderbare
Vermehrung der Salesianischen Familie hatte in Don Bosco ihren
Ursprung, in Don Rua ihre Kontinuität. Dieser sein Nachfolger hat
32 Positio 54-55.
39

4.10 Page 40

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dem salesianischen Werk in seiner Ausdehungskraft gedient, er hat
es mit wortwörtlicher Übereinstimmung, aber immer mit genialer
Neuheit entwickelt.“
Papst Paul VI. fährt fort: „Was lehrt uns Don Rua? Fortführer zu
sein… Die Nachahmung des Schülers ist nicht Passivität und nicht
Unterwürfigkeit… Die Erziehung ist die Kunst, zur konsequenten,
aber freien und originellen Entfaltung der im Schüler angelegten Fä-
higkeiten anzuleiten… Don Rua qualifizierte sich als der erste Fort-
führer des Beispiels und des Werkes Don Boscos… Wir merken,
dass wir einen Athleten der apostolischen Aktivität vor uns haben,
der immer nach dem Modell Don Boscos, aber mit eigenen und
wachsenden Möglichkeiten am Werk war… Wir danken dem Herrn,
der seiner apostolischen Anstrengung neue Felder der pastoralen Ar-
beit anbieten wollte, die die ungestüme und verworrene soziale Ent-
wicklung der christlichen Gesellschaft eröffnete.“
Wenn man auch nur rasch die beeindruckende Quantität der Briefe
Don Ruas und seiner Rundschreiben sowie die Bände liest, die sein
Werk als Nachfolger Don Boscos über 22 Jahre zusammenfassen,
entdeckt man in imposanter Weise, dass das, was der Papst sagt, zu-
trifft: Don Ruas Treue zu Don Bosco ist nicht statischer, sondern
dynamischer Art. Er spürt in der Tat den Fluss der Zeit und der Be-
dürfnisse der Jugend, und ohne Furcht dehnt er das salesianische
Werk auf neue Tätigkeitsfelder aus.
7. Anregungen zur Konkretisierung des Jahres-
leitgedankens
Nach dieser Anmerkung zur Gestalt Don Ruas, der die Don-Bosco-
Familie so eindrucksvoll weiterentwickelt hat, hier nun einige nützli-
che Hinweise, die bewirken mögen, dass die Gruppen der Don-
Bosco-Familie sich gemeinsam in dem Bestreben engagieren, das
Evangelium zu den Jugendlichen zu tragen. Es sind Vorschläge für
40

5 Pages 41-50

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5.1 Page 41

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die einzelnen Gruppen der Don-Bosco-Familie, aber auch für die
Orts- und Provinzräte der Don-Bosco-Familie.
7.1 In den Orts- und Provinzräten der Don-Bosco-Familie über die
Form reflektieren, wie man das aufgreifen kann, was im Abschnitt
5.4 angegeben ist; d.h. wie man die Reflexion der Pastoral so ver-
wirklichen kann, dass sich die Entscheidungen als wirksam erweisen,
die sich auf die zentrale Bedeutung des Angebots Jesu Christi, das
persönliche und gemeinsame Zeugnis, den wechselseitigen Beitrag
von Erziehung und Evangelisierung, die Beachtung der Verschie-
denheit der Umfelder und die Einbeziehung der Familien beziehen.
7.2 In den Orts- und Provinzräten, ausgehend von der „Charta der
Sendung der Don-Bosco-Familie“, die Modalitäten herausarbeiten,
um gemeinsam Erfahrungen der Evangelisierung der Jugendlichen
zu machen, indem man die „geistliche und betende Lesung der Heili-
gen Schrift“ auch unter ihnen fördert und sie immer mehr zu Evan-
gelisatoren ihrer Altersgenossen macht.
7.3 Die Zusammenarbeit der Don-Bosco-Familie auf Provinz- und
Ortsebene wecken, um die „Jugendmission“ (missioni giovanili) als
aktuelle Form der Verkündigung und der Katechese für die Jugendli-
chen zu verwirklichen, indem man die Jugendlichen selbst als Evan-
gelisatoren der Jugendlichen einbezieht.
7.4 Die Apostolischen Schreiben zum Abschluss der Kontinentalsyn-
oden aufwerten, um die Prioritäten und die spezifischen Formen des
eigenen Umfeldes für die Evangelisierung der Jugendlichen heraus-
zuarbeiten. Im Falle Lateinamerikas heißt das, der „kontinentalen
Mission“ zustimmen, die von der Versammlung der Bischöfe in Apa-
recida entworfen wurde. Im Falle Afrikas und Madagaskars bedeutet
41

5.2 Page 42

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es, den Hinweisen der Bischofssynode vom Oktober 2009 zu fol-
gen.33
33 Für Europa ist hier zu denken an: Nachsynodales Schreiben ECCLESIA IN
EUROPA von Papst Johannes Paul II. zum Thema „Jesus Christus, der in seiner
Kirche lebt – Quelle der Hoffnung für Europa“ vom 28. Juni 2003 (Verlautbarun-
gen des Apostolischen Stuhls 161), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskon-
ferenz, Bonn 2003.
42

5.3 Page 43

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8. Schluss
Üblicherweise beende ich die Vorstellung des Jahresleigedankens
mit einer Erzählung, die uns diesmal von einer Bildbetrachtung des
deutschen Provinzials Pater Josef Grünner zu dem Gemälde „Don
Bosco als Puppenspieler“ angeboten wird. Dieses Bild wurde von
Sieger Köder, einem emeritierten Pfarrer der Diözese Rottenburg-
Stuttgart und Freund der Salesianer, gemalt. Von dem Moment an,
als ich das Bild zum ersten Mal sah, war ich fasziniert von der so
ausdrucksstarken und prägnanten Darstellung unseres lieben Grün-
ders und Vaters.
Es handelt sich um eine wahre Ikone, die „Don Bosco als Evangeli-
sator und Zeichen der Liebe Gottes zu den Jugendlichen“ darstellt.
Wie alle Ikonen muss man das Werk in seiner Ganzheit, aber auch in
den Details studieren und würdigen. Ich wünsche mir, dass seine
Betrachtung einen jeden von uns anspornt, eifrige Evangelisatoren
der Jugendlichen zu sein, die davon überzeugt sind, dass sie ihnen im
Evangelium das kostbarste Geschenk: nämlich Jesus Christus, der als
einziger es vermag, sie den Sinn ihres Lebens verstehen zu lassen
und sie herauszufordern, verbindliche Lebensentscheidungen zu tref-
fen, um selbst Apostel der Jugendlichen zu werden.
43

5.4 Page 44

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Don Bosco als Evangelisator und als Zeichen der
Liebe Gottes zu den Jugendlichen
Meditation über das Don-Bosco-Bild von Sieger Köder
„Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist“ (Lk 6,36)
Überraschend, wie Sieger Köder Don Bosco gemalt hat. Kein Por-
trät in Anlehnung an Fotos, die es von Don Bosco gibt. Auch kein
Gruppenbild, das ihn inmitten seiner Jugendlichen zeigt, keine typi-
sche Darstellung eines Heiligen. Und doch ein Bild, das Don Bosco
bestens trifft, nämlich in seinem Wesen. Und es ist damit auch eine
Illustration dessen, was Don Bosco im Rombrief von1884 als das
Zentrum seines Präventivsystems beschrieben hat.
Don Bosco, ein begeisternder Puppenspieler
Auf der rechten Seite steht er in seiner Soutane groß da, hinter einem
dunklen Tuch, das die Kulisse für ein Puppenspiel bildet. Selbst un-
sichtbar für die Zuschauer, hält er zwei Handpuppen hoch. Er ist
konzentriert bei der Sache, lächelt, geht im Geschehen auf. Es
scheint ihm zu gefallen, dass die Zuschauer von seinem Spiel so fas-
ziniert sind.
Don Bosco, ein ideenreicher Pädagoge
Er versteht es, mit Spiel und Spaß, mit einfachen Mitteln und Medien,
mit Kreativität und Einfühlungsvermögen junge und erwachsene
Menschen zu gewinnen, sie ganzheitlich anzusprechen. Er weiß alle
Möglichkeiten zu nutzen, um seine Botschaft „rüberzubringen“, ohne
sich selbst in den Vordergrund zu stellen.
44

5.5 Page 45

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(( Hier bitte das Bild von S. Köder, Don Bosco als Puppenspieler, in
schwarz/weiß einfügen!!))
45

5.6 Page 46

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Don Bosco, ein leidenschaftlicher Katechet
Mit den beiden Handpuppen hält er sein Lebensprogramm hoch:
jungen Menschen Gottes große Liebe und Barmherzigkeit erfahrbar
zu machen. Die biblische Szene vom barmherzigen Vater, der seinen
jüngeren Sohn nie aufgegeben hat, sondern dessen Rückkehr stets
erhofft und erwartet hat (Lk 15,11-32), ist sein Erzählstoff, sein The-
ma, sein Leben. Das Spiel ist gerade auf dem Höhepunkt: Der Vater
im festlichen Gewand umarmt den Heimgekehrten herzlich, gibt ihm
mit dieser Geste seine Würde zurück und eröffnet ihm eine neue Le-
bensperspektive.
Don Bosco, selbst ein barmherziger Vater
Aber Don Bosco spielt hier den barmherzigen Vater nicht nur, er
nimmt sich an ihm auch ein Beispiel und lebt ihn. Unten im Bild, auf
der rechten Seite des Vorhangs, gibt er einem Jugendlichen Schutz,
der gespannt zu ihm aufblickt. In dasselbe Blau gekleidet wie die
Puppe des verlorenen Sohnes oben, könnte es der ältere Bruder aus
dem Gleichnis sein, der noch Zeit und Geduld braucht, bis er die
Barmherzigkeit annehmen kann. Es könnte ebenso einer der zahlrei-
chen Jugendlichen sein, denen Don Bosco selbst einen Schutzraum
gab, wo sie, im Gegensatz zum Leben auf der Straße oder im Ge-
fängnis, Geborgenheit und Liebe erfahren konnten.
Don Bosco, bei den jungen Menschen
Kinder und Jugendliche sind Don Boscos erste Zielgruppe. Für sie
spielt er das Gleichnis. Doch der Künstler malt ihn auf der linken
Seite des Bildes nochmals, mitten unter den Kindern, wo er, ähnlich
dem barmherzigen Vater im Puppenspiel, den Arm um die Kinder
legt und sich den Kleinen liebevoll zuwendet. Die Kinder folgen ge-
spannt dem Spiel, hören die Botschaft und erfahren ihre Wirkung:
Sie fühlen sich bei Don Bosco geborgen und von ihm angenommen.
46

5.7 Page 47

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Seine Liebe ist konkret, sie ist spürbar und erfahrbar. Es ist die Liebe
eines „Vaters, Bruders und Freundes“.
Don Bosco, Verkünder mitten in der Welt
Der Künstler hat das Geschehen unter freiem Himmel platziert, ir-
gendwo draußen, am Rande der Stadt. Don Bosco ging auf die Stra-
ßen und Plätze der Stadt Turin, um dort die jungen Menschen zu su-
chen und zu treffen. Er begab sich in ihr Milieu, machte sich mit ich-
rem Umfeld vertraut, ging auf sie zu und auf sie ein, so, wie er es im
„Rombrief“ beschreibt. Dort, wo die jungen Menschen lebten und
sich aufhielten, war für ihn der erste Ort seiner Pastoral und Evan-
gelisierung. Dort hielt er die Botschaft vom barmherzigen Vater
hoch, den Menschen und dem Himmel entgegen. Fest auf dem Boden
der Wirklichkeit stehend, richtet er auf dem Bild seinen Blick nach
oben, in die Weite, und ist doch zugleich den Menschen ganz nahe.
Don Bosco, einladend
„Was du verkündest, das lebe“, heißt es in der Liturgie der Priester-
weihe. So handelte Don Bosco sein Leben lang. Er glaubte uner-
schütterlich an die Liebe Gottes, verkündete den aufrichtenden, nicht
den strafenden Gott. Auf dem Spielhof ebenso wie in der Werkstatt,
in der Schule oder in der Kirche gab er durch sein ganzes Leben und
seine Verkündigung Zeugnis von der Barmherzigkeit Gottes, die nie-
mals die Hoffnung aufgibt und die aus der Isolation heraus- und in
die Gemeinschaft hineinführt.
Dieses Don-Bosco-Bild von Sieger Köder ist nicht nur etwas zum
Betrachten. Don Bosco lädt in der doppelten Darstellung auf diesem
47

5.8 Page 48

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Gemälde vielmehr ein: „Seid barmherzig, wie es auch euer (himmli-
scher) Vater ist“ (Lk 6,36).34
Liebe Mitbrüder, liebe Mitglieder der Don-Bosco-Familie, liebe
Freunde, führen wir als begeisterte Jünger Jesu und als seine über-
zeugten und freudigen Zeugen und Apostel die Jugendlichen zu
Christus und bringen wir das Evangelium zu den Jugendlichen.
((hier bitte Unterschrift einfügen wie in Heften der letzten Jahre))
Don Pascual Chávez Villanueva
Generaloberer
34 Diese Textversion entspricht jener, die veröffentlicht wurde in: Reinhard Gesing
(Hrsg.): „Mit der Liebe!“ – Der „Rombrief“ Don Boscos und seine Bedeutung für
die Pädagogik und Jugendpastoral heute, München 2009, S. 120-123. Für die per-
sönliche oder gemeinschaftliche Bildbetrachtung sei auf die farbigen Ausgaben des
Bildes mit dem Jahresleitgedanken verwiesen, die im deutschsprachigen Raum
verbreitet wurden!
48

5.9 Page 49

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Anregungen zur Vertiefung und Textarbeit
Schriftmeditation / Schriftgespräch
In seinem Kommentar stellt der Generalobere die Praxis des Auferstandenen auf
dem Weg nach Emmaus (Lk 24,13-35) als Modell für die Evangelisierung dar.
Damit lädt er uns auch sein, in der persönlichen Schriftmeditation und im gemein-
schaftlichen Schriftgespräch dieser Evangelienperikope eine besondere Aufmerk-
samkeit zu schenken, um uns (mehr) an der Praxis Jesu auszurichten.
Darüber hinaus spielen die Perikopen von der Wahl der Zwölf (Mk 3,13-19) sowie
von den Griechen, die Jesus sehen wollen (Joh 12,20-23), eine große Rolle für
die Darlegungen des Generalobern. Es bietet sich daher an, diese Perikopen zum
vertiefenden Verständnis des Jahresleitgedankens persönlich und / oder gemein-
schaftlich zu betrachten.
Die persönliche Schriftmeditation kann dabei gemäß der LECTIO DIVINA
(Geistliche Schriftlesung) möglichst mehrmals in folgenden Schritten vollzogen
werden:
- Lectio (aufmerksames Lesen): Was sagt der Text?
- Meditatio (besinnendes Verweilen): Was sagt der Text mir?
- Oratio (Gebet): Was lässt der Text mich zu Gott / Jesus Christus sagen?
- Contemplatio (Betrachtung, Verkostung): Was schenkt mir der Text? Was
bedeutet er für mein Leben und mein künftiges Handeln?
Diese persönliche Schriftmeditation kann ein gemeinschaftliches Schriftgespräch
vorbereiten.
Das gemeinschaftlicheSchriftgespräch kann z.B. vollzogen werden nach der Sie-
ben-Schritte-Methode des Bibelteilens:
- 1. Schritt: Wir laden den Herrn zu uns ein (Gebet, Lied).
- 2. Schritt: Wir lesen den Text.
49

5.10 Page 50

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- 3. Schritt: Wir verweilen beim Text (verweilendes Wiederholen von Ver-
sen, die besonders angesprochen haben).
- 4. Schritt: Wir schweigen.
- 5. Schritt: Wir teilen einander mit, was uns berührt hat.
- 6. Schritt: Wir besprechen, was der Herr von uns will.
- 7. Schritt: Wir beten.
50

6 Pages 51-60

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6.1 Page 51

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Zum Jahresleitgedanken:
- Lesen Sie mehrmals aufmerksam den Jahresleitgedanken in seiner origi-
nalen Fassung (ggf. mit den weiblichen Sprachformen). Sprechen Sie ihn
sich mehrmals laut vor. Welche Gefühle und Assoziationen lösen die
Worte in Ihnen aus?
- Welche Beziehung haben sie zu Michael Rua? Was fällt Ihnen zu ihm
ein? Welche Rolle hat er auf Ihrem bisherigen Weg gespielt?
- Was heißt es für Sie, „glaubwürdiger Jünger und leidenschaftlicher Apo-
stel“ / „glaubwürdige Jüngerin und leidenschaftliche Apostelin“ zu sein?
- Was heißt es für Sie, „das Evangelium zu den jungen Menschen zu tra-
gen? Wie leben Sie diese Sendung (persönlich und in Ihrer Gruppe)?
Textarbeit mit dem Kommentar (einige Leitfragen):
- Zum eigenen Vorverständnis: Der Generalobere fordert die Don-Bosco-
Familie dazu auf, sich mit neuem Mut und Elan ihrer missionarischen
Sendung bewusst zu werden. Fragen Sie sich persönlich oder in der
Kleingruppe: Was lösen die Begriffe „Mission“, „Missionar“, „Evangeli-
sieren“, „Evangelisator“ usw. bei mir aus? Welche Assoziationen wecken
sie? Was meinen sie in ihrer Grundbedeutung?
- Zum 2. Kapitel: Was heißt es für mich / für uns als Don-Bosco-Familie
hier und heute „glaubwürdige Jünger und leidenschaftliche Apostel“ zu
sein? Wie drückt sich die „Glaubwürdigkeit“ aus, wie die „Leidenschaft-
lichkeit“? s
- Zum 3. Kapitel: In welcher Weise drücken die (jungen) Menschen, zu de-
nen ich gesandt bin, bewusst oder unbewusst ihre Sehnsucht aus, Jesus
sehen zu wollen? Wie leben sie diese Sehnsucht? Wie können wir als
Don-Bosco-Familie darauf antworten? Wie kann ich sie als Jünger(in) zu
Jesus führen?
- Zum 4. Kapitel: Wie verhält es sich in meinem / unserem Leben in der
Beziehung zwischen Jüngerschaft (bei Jesus sein) und Apostolat (im
Namen Jesu bei den [jungen] Menschen sein)? Wie kann ich / können wir
51

6.2 Page 52

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die Jüngerschaft mehr leben, um auch mehr unser Apostolat verwirklichen
zu können?
- Zum 5. Kapitel: Wie versteht der Generalobere hier die Evangelisierung
(Ziele, Aufgaben, Methoden)? Was spricht mich an? Worin finde ich
mich wieder? Was fällt mir schwer zu verstehen? Was fehlt mir viel-
leicht? Wie ist mir das Gesagte Hilfe zum Leben meines eigenen Evange-
lisierungsauftrags an dem Ort, wo ich hingestellt bin? Welche der prakti-
schen Anregungen am Schluss sind für mich / unsere Gruppe besonders
aktuell und dringlich? Wie können wir sie umsetzen?
- Zum 6. Kapitel: Welches Bild des seligen Michael Rua zeichnet der Gene-
ralobere hier? Was hat es mir / uns zu sagen?
- Zum 7. Kapitel: Welche der Anregungen zur Konkretisierung des Jahres-
leitgedankens halte ich für mich / für meine Gruppe für besonders wich-
tig? Wie möchte ich / möchten wir den Jahresleitgedanken umsetzen?
Bildmeditation: „Don Bosco als Puppenspieler“ von Sieger Köder
Wie das Bibelteilen so kann man auch eine gemeinschaftliche Bildmeditation in
sieben Schritten gestalten:
- 1. Schritt: Wir laden den Herrn zu uns ein (Gebet, Lied).
- 2. Schritt: Wir betrachten in einer Zeit der Stille das Bild (Gesamtkompo-
sition, Aufbau, Einzelelemente und Einzelfiguren, Farben, Linien usw.).
- 3. Schritt: Wir sammeln Vorschläge für einen Titel des Bildes.
- 4. Schritt: Wir schweigen und lassen das Bild zu uns sprechen.
- 5. Schritt: Wir teilen einander mit, was wir auf dem Bild sehen und wahr-
nehmen, was uns berührt und anspricht.
- 6. Schritt: Wir teilen uns mit, wo wir uns selbst auf dem Bild sehen, was
es uns ganz persönlich sagt, wozu es uns einlädt.
- 7. Schritt: Wir beten.
Reinhard Gesing SDB
52