05 - Schmid


05 - Schmid

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DER EINFLUSS DER NATIONALSOZIALISTEN AUF DIE
PÄDAGOGISCHEN EINRICHTUNGEN UND DIE PRAXIS DER
ERZIEHUNG DER SALESIANER DON BOSCOS UND DON
BOSCO SCHWESTERN IN ÖSTERREICH
Franz Schmid*
1 Quellenlage und Stand der Forschung
Die Quellenlage zur Thematik ist als unbefriedigend zu bezeichnen. Eine unbe-
stimmte Anzahl von Dokumenten ging bei der Auflösung der Einrichtungen verlo-
ren bzw. wurde durch Kriegseinwirkungen zerstört. In den Kriegsjahren versiegen die
Chroniken in einigen Einrichtungen vollständig. Über pädagogische Anliegen sind
kaum Eintragungen zu finden. Es kann auch die Annahme getroffen werden, dass ei-
ne Übereinkunft bestand, auf Protokolle der Organe der Kongregationen zu verzich-
ten, um den nationalsozialistischen Machthabern keine Angriffspunkte zu bieten.1
* Autor: Dr. Franz Schmid, Prof. für Pädagogik und Sozialpädagogik an der Katholi-
schen Stiftungsfachhochschule München Abteilung Benediktbeuern, Don-Bosco-Straße 1,
D-83671 Benediktbeuern
Siglen
AÖFMA
Archiv der Österr. Provinz der FMA Salzburg
APW
Archiv des Provinzialates [der SDB] Wien
APW-DK
Archiv des Provinzialates [der SDB] Wien – Direktorenkonferenz
APW-PK
Archiv des Provinzialates [der SDB] Wien – Provinzialkapitel
Chr-SDB
Chronik der Salesianer Don Boscos
VLA
Vorarlberger Landesarchiv
Abkürzungsverzeichnis
BDM
Bund Deutscher Mädel
DAF
Deutsche Arbeitsfront
FMA
Figlie di Maria Ausiliatrice (Don Bosco Schwestern)
HJ
Hitlerjugend
LSR
Landesschulrat
NSDAP
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
NSLB
Nationalsozialistischen Lehrerbund
NSV
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt
SA
Sturmabteilung
SD
Sicherheitsdienst
SDB
Salesianer Don Boscos
SS
Schutzstaffel
1 Don Pietro Tirone, „Visitator extraordinarius“ in Österreich, gab den Mitgliedern des
Provinzialkapitels der SDB am 25.11.1937 den Rat: „Von größter Wichtigkeit ist die Beobach-

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2 Franz Schmid
Auch der Stand der Forschung zur Thematik ist als niedrig zu bezeichnen.
Eine Gesamtdarstellung fehlt am Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch. Ei-
nige Einzeldarstellungen stellen lediglich singuläre Beiträge dar. Die Ergebnisse
der jüngsten Forschung über den Nationalsozialismus in Österreich wurden in
„salesianischen Kreisen“ bisher nicht beachtet.
2 Der Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich
Die den Nationalsozialismus tragende Nationalsozialistische Deutsche Ar-
beiterpartei (NSDAP) formierte sich um 1920 in Deutschland als eine „Bewe-
gung“, die verschiedene Strömungen (Sozialdarwinismus, Antijudaismus, Na-
tionalismus) aufnahm und sich um den »Führer« Adolf Hitler sammelte, um
die bestehende politische Ordnung zu überwinden. Die durch die Weltwirt-
schaftskrise um sich greifende Unzufriedenheit breiter Schichten machte die
Partei bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag am 31.07.1932 mit 37,3% zur
stärksten Partei. Die Berufung Hitlers zum Reichskanzler am 30.01.1933 und
ein erneuter Wahlsieg der Partei am 05.03.1933 setzte die »Machtergreifung«
der Partei in Gang, die in kurzer Zeit eine Diktatur entwickelte. Die folgende
»Gleichschaltung« aller gesellschaftlichen Bereiche und Organe betraf auch die
Kirchen in allen ihren Gliederungen und Einrichtungen.
Nachdem 1934 deutlich wurde, dass eine Indienstnahme der Kirchen für politi-
sche Zwecke nicht möglich war, „sollten sie organisatorisch verkümmern, aus dem öf-
fentlichen Leben verdrängt und in das Ghetto einer rein privaten Religionsausübung
verwiesen werden.“2 Zunächst erfolgte ein Prozess der „Entpolitisierung kirchlichen
Lebens“: Die Kirchen wurden aus allen gesellschaftlichen Positionen verdrängt,
„in denen sie nicht unmittelbar ihre Aufgabe der Wortverkündigung und Sakrament-
verwaltung erfüllten. Zum Teil geschah dies, wie etwa bei der DAF (Deutsche Arbeits-
front), der HJ (Hitlerjugend) und dem NSLB (Nationalsozialistischen Lehrerbund),
durch das Verbot der Doppelmitgliedschaft in Verbänden der Kirche einerseits und
den Zwangsorganisationen des Staates oder der Partei andererseits, zum anderen Teil
durch staatspolizeiliche Zwangsauflösung oder durch Betätigungsverbote und Konzes-
sionsentziehung. So hat die Kirche nach und nach ihre Gewerkschaften, ihre berufs-
ständischen Organisationen, ihre Jugendformationen, ihre Studentenverbindungen
und Altherrenschaften, den größten Teil ihrer Caritasorganisation, ihre Privatschulen,
den Teil ihrer Presse und ihres Schrifttums, der über den Bereich des unmittelbaren
kirchlichen Lebens hinausragte und ihre wissenschaftlichen Vereinigungen aufgeben
müssen. Weiter wurde ihr Volksbüchereiwesen zurückgedrängt und ihre mannigfa-
chen geselligen Veranstaltungen zum Erliegen gebracht.“3
tung absoluten Stillschweigens über die Verhandlungen im Kapitel. Ohne besonderen Auftrag
darf über das Ergebnis ihrer Abstimmungen keine Auskunft erteilt werden.“ (APW-PK)
2 RINNERTHALER, Alfred: Die Orden als Feindbilder des NS-Staates. In: Staat und Kir-
che in der „Ostmark“. Hrsg. von Maximilian Liebmann, Hans Paarhammer und Alfred
Rinnerthaler. Frankfurt am Main u.a.: (Peter Lang) 1998, S. 351-394; hier S. 354.
3 WEBER, Werner: Die staatskirchenrechtliche Entwicklung des nationalsozialistischen

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 3
Etwa ab 1936 folgte ein Prozess der „Entkonfessionalisierung des öffent-
lichen Lebens“, ein Vorgang, der die Orden und Kongregationen hart taf:
„Die Beseitigung der Konfessionsschulen und des Schulgottesdienstes und die Zurük-
kdrängung des Religionsunterrichts sowie der Anstaltsseelsorge, die Bagatellisierung der
katholischen Fakultäten innerhalb des Hochschulwesens, die Umbildung des kirchlichen
in ein kommunales Friedhofswesen, die Ausschaltung der Kirchen von Staatsakten,
Staatsbegräbnissen u.ä., die Überführung der kirchlichen Wohlfahrts- und Krankenpfle-
ge auf weltliche Organisationen, die Relativierung der kirchlichen Feiertage, die Fernhal-
tung der Kirchen von Rundfunk und Presse, die Nichtberücksichtigung kirchlicher Be-
dürfnisse bei neuen Siedlungsvorhaben, die Schaffung einer neuen amtlichen Kategorie
nichtkirchlicher Gottgläubigkeit, das Verbot der Bekanntgabe von Kirchenaustritten
und nicht zuletzt der fortschreitende Abbau der staatlichen und gemeindlichen Zuschüs-
se an die Kirchen sowie der hergebrachten Privilegien der Kirchen überhaupt.“4
Da die religiösen Gemeinschaften (Orden, Kongregationen) als der „militan-
te Arm der Kirche“ gesehen wurden, sollten sie „zurückgedrängt, eingeengt und
schließlich vernichtet“ werden.5 Man wollte das mit Vorsicht tun und propa-
gandistisch vorbereiten. Man strebte gegen sie zunächst Devisen- und Sittlich-
keitsprozesse an, um die Öffentlichkeit gegen sie aufzubringen.6 Der Erlass der
„Verordnung über die Musterung und Aushebung“ von Soldaten für die Wehr-
macht vom 01.05.1937 gewährte den Studenten an Ordenshochschulen im
Unterschied zu den Seminaristen der Diözesen keine Rückstellung.
Ein wesentlicher Schritt im Zuge der Entkonfessionalisierung traf die kirch-
lichen Kindergärten und unter ihnen zuerst die in nicht-kirchlicher-caritativer
Trägerschaft, die von Ordensfrauen geleitet wurden. „An diesen wurden die Or-
densschwestern durch Kündigungen zugunsten der Einstellungen von NS-
Schwestern immer mehr verdrängt und damit der katholische Charakter dieser
Anstalten schrittweise beseitigt.“7
Bereits wenige Wochen nach dem »Anschluss« begann die Zerschlagung der
kirchlichen Privatschulen und ihrer Internate, die überwiegend von Ordensleuten
geführt wurden.8 Zunächst wurden ihnen häufig ehrenamtliche Lehrkräfte zur
Seite gestellt, die die nationalsozialistische Erziehung durch Führung von Grup-
pen der Hitlerjugend unterstützen sollten. Mit dem „Erlass zum Entzug des Öf-
fentlichkeitsrechts aller Privatschulen“ vom 19.07.1938 und dem „Erlass des Mi-
nisteriums für innere und kulturelle Angelegenheiten in der Ostmark betreffs
Regimes in zeitgenössischer Betrachtung. In: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Jg.
1952, S. 365-386; hier 371.
4 WEBER, Die staatskirchenrechtliche Entwicklung…, 1952, S. 373.
5 Vgl. BOBERACH, Heinz: Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kir-
chenvolk in Deutschland. 1934-1944. Mainz: (Grünewald) 1971, S. 912.
6 Vgl. RINNERTHALER, Die Orden als Feindbilder…, 1998, S. 356.
7 RINNERTHALER, Die Orden als Feindbilder, 1998, S. 364.
8 Vgl. Österreichs Stifte unterm Hakenkreuz. Zeugnisse und Dokumente aus der Zeit
des Nationalsozialismus 1938 bis 1945. In: Ordensnachrichten. 34. Jg., H. 4A.

1.4 Page 4

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4 Franz Schmid
Schließung aller konfessionellen Schulen, Schülerheime (Internate, Seminare)
und Kindertagesstätten“ vom 17.10.1938 war deren Existenz endgültig beendet.
Es folgte die Entfernung von Ordensleuten aus dem Schuldienst. Die erste
Säuberungswelle richtete sich mit einem Erlass vom 11.11.1938 gegen kirchli-
che Lehrkräfte, die in profanen Fächern Unterricht erteilten. Ein weiterer Erlass
vom 19.11.1938 sollte Priester und Ordensleute auch vom Religionsunterricht
ausschließen, wenn bei ihnen die Gewähr nicht gegeben war, dass sie den
Unterricht „in einer Weise erteilen, die zu den Grundsätzen der nationalsozialis-
tischen Weltanschauung nicht im Widerspruch steht“.9
Da nach dem »Anschluss« Österreichs an das »Altreich« das österreichische
Konkordat als nicht existent erklärt und das Reichskonkordat für Österreich nicht
geltend gehalten wurde, entstand ein „konkordatsloser Zustand“, der zu einem
noch aggressiverem „Kirchenkampf“ in der »Ostmark« führte, als er im »Altreich«
stattfand.10 Mit dem „Gesetz über die Unterbringung von öffentlichen Dienststel-
len“ vom 27.07.1938 und der „Verordnung über Einziehung volks- und staats-
feindlichen Vermögens im Lande Österreich“ vom 18.11.1938 wurde ein rascher
und unkomplizierter Zugriff auf kirchliches Vermögen vorbereitet.11
Um den Ordensnachwuchs zu verhindern, sollten mit Maßnahmen der Ar-
beitsmarktverwaltung potentiellen Ordensanwärtern eine Lösung ihres Dienst-
verhältnisses untersagt bzw. eine Arbeitsstelle zugewiesen werden.12
Um das Bildungs- und Erziehungswesen im Sinne des Nationalsozialismus
zu prägen, suchte die NSDAP Einfluss auf die Lehrerinnen und Lehrer zu ge-
winnen und deren Mitarbeit zu erreichen. In Österreich fanden die Nationalso-
zialisten die Zustimmung der Lehrerinnen und Lehrer einmal durch die Be-
schäftigung zahlreicher beschäftigungsloser Lehrer, erst im »Altreich«, dann in
der Heimat selbst, wo man alle Ordensleute aus dem Schuldienst entlassen hat-
te. Natürlich wurden die Lehrerinnen und Lehrer von der »Kirchenaufsicht«
(Beaufsichtigung von Schulgottesdiensten) entbunden. Die Klassenstärken wur-
den verringert, neue Schulen errichtet und alte Schulgebäude restauriert.13
Die Bildungsinhalte wurden von den Nationalsozialisten gänzlich im Sinne
ihrer Ideologie verändert. Hitlers Vorliebe für die körperliche Ausbildung tritt
schon in seinem 1926 veröffentlichten Buch „Mein Kampf“ hervor: An erster
Stelle habe „das Heranzüchten kerngesunder Körper“ zu stehen. Erst dann
kommt für ihn die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Dabei steht die Bil-
dung des Charakters an der Spitze, die Willens- und Entscheidungskraft, Erzie-
hung zu Verantwortungsfreudigkeit, zuletzt die wissenschaftliche Bildung.14 Die
9 RINNERTHALER, Die Orden als Feindbilder…, 1998, S. 382.
10 Vgl. RINNERTHALER, Die Orden als Feindbilder…, 1998, S. 372.
11 Vgl. RINNERTHALER, Die Orden als Feindbilder…, 1998, S. 375.
12 Vgl. RINNERTHALER, Die Orden als Feindbilder…, 1998, S. 381.
13 Vgl. WINKEL, Herwig: Volks- und Hauptschulen Vorarlbergs in der Zeit des Natio-
nalsozialismus. Dornbirn: (Vorarlberger Verlagsanstalt) 1988, S. 44ff.
14 Vgl. WINKEL, Volks- und Hauptschulen…, 1988, S. 74.

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 5
Rangfolge der Unterrichtsgegenstände lautete: Erbanlagen und rassisches Bild,
Charakter (= nationalsozialistische Gesinnung), körperliche Tüchtigkeit (= Ver-
wendbarkeit im Krieg) und dann erst Wissen.15 Die Ideologie kommt in beson-
derer Weise im Geschichtsunterricht zum Ausdruck: „Der Geschichtsunterricht
ist Mittel zur Lösung der dem Volk gestellten politisch-historischen Aufgaben.
… Unterrichtsziel ist die Vorbereitung für den eigenen Einsatz im Selbstbe-
hauptungskampf des Volkes, d.h. also Erziehung zur Politik. Die Weltgeschich-
te ist von der Rassenfrage her zu prüfen.“16 Und: „Die Krone alles nationalpoli-
tischen Geschichtsunterrichts besteht in nichts anderem als in der Erziehung
zur Gefolgschaft des Führers.“17
Die Umgestaltung der Schule ging ferner mit der Abschaffung des Schulge-
bets einher, mit der Abschaffung des Religionsunterrichts, mit der Einführung
eines „Konfessionsunterrichts“, der bald zum Freifach wurde, und der Entfer-
nung von Priestern, Schwestern und Katecheten aus den Schulen.
3 Der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich
Nach einer politisch und wirtschaftlich problemreichen Phase der 1919 ge-
gründeten Republik Österreich wurde 1934 die Republik durch einen »Stände-
staat« und durch eine »austrofaschistische« Regierung abgelöst. Das nationalsozia-
listische Gedankengut hatte sich in Österreich parallel zu Deutschland verbreitete.
Als Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Zusammenhang mit einem Putschver-
such der NSDAP am 25.07.1934 ums Leben kam, war der Anspruch Hitlers auf
Österreich deutlich geworden. Zwar war die NSDAP seit dem 19.07.1933 in Ös-
terreich verboten, aber beim »Einmarsch« Hitlers in Österreich am 12.03.1938
zählte die Partei ca. 127.000 Mitglieder und die HJ als ihre Jugendorganisation
35.000.18 Am 12.02.1938 verlangte Adolf Hitler bei einem Treffen mit dem öster-
reichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg in Berchtesgaden die Einsetzung des
NSDAP-Mitglieds Arthur Seyß-Inquart als Innen- und Sicherheitsminister. Als
Kurt Schuschnigg am 11.03.1938 zurücktrat und Seys-Inquart das Kanzler-Amt
übernahm, rief dieser umgehend die Deutsche Wehrmacht zu Hilfe, um die Ord-
nung im Land wieder herzustellen. Schon am 12.03.1938 trafen deutsche Trup-
pen in Österreich ein und wurden vom Großteil der Bevölkerung lebhaft be-
grüßt. Der Jubel erhielt seinen Höhepunkt beim Eintreffen Hitlers in Wien am
15.03.1938. Nachdem die Bevölkerung am 10.04.1938 in einer Volksabstim-
15 MANN, Erika: Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich.
Reinbeck bei Hamburg: (Rowohlt) 2002, 4. Aufl., S. 63.
16 ALNOR, Karl: Handbuch für Lehrer über Geschichtsunterricht. Osterwick: (Zick-
feldt) 1935, S. 2.
17 FLIEDER, Friedrich: Die Geschichte als Kernstück der nationalsozialistischen Erzie-
hung. In: Nationalsozialistisches Bildungswesen. (1937). April.
18 Vgl. KLÖNNE, Arno: Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner.
Köln: (PapyRossa) 2003, S. 32.

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6 Franz Schmid
mung mit 99,75 % den »Anschluss« befürwortet hatte, wurden die Österreicher
mit Verordnung vom 03.07.1938 zu Bürgern des Deutschen Reiches.
Die Chroniken der Salesianer und Don Bosco Schwestern berichten knapp über
die Ereignisse und das Verhalten der Kinder und Jugendlichen. Der Chronist des
»Salesianum« in Wien III. berichtet zum 12.03.1938: „Heute Nacht übernahm die
NSDAP die Regierung – die Schule entfällt bis auf weiteres. Unsere Buben sind von
den großen politischen Ereignissen begreiflicherweise stark ergriffen, aber durchaus
diszipliniert.“ Und tags darauf schreibt er: „Österreich ist ab heute ein Bestandteil
des Großdeutschen Reiches. Der Traum vieler ist Wirklichkeit geworden, was sich
auch in der großen freudigen Erregung der Bevölkerung ausdrückt. Wir nehmen
mit den Buben teils im Rundfunk, teils persönlich an den Ereignissen teil.“19 Der
Chronist des Freiherr v. Sieberer-Jugendheimes in Innsbruck schrieb: „Das deutsche
Heer ist in Innsbruck eingezogen. Es wird überall mit Jubel aufgenommen.“20
Bezeichnend für die Situation in Österreich ist die Tatsache, dass in kirch-
lichen Kreisen an eine praktikable Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern
geglaubt wurde. Obwohl die Erfahrungen der Kirche in Deutschland mit dem
Nationalsozialismus bekannt waren, hoffte man auf einen „österreichischen
Sonderweg“ und eine „Sonderstellung“ der Kirche. Im April 1938 wurden vom
Wiener Erzbischof Theodor Kardinal Innitzer mit dem Beauftragten des Jugend-
führers des Deutschen Reiches, Bannführer J. Braun, Vereinbarungen getroffen,
die den Schülern im Knabenseminar Hollabrunn eine Sonderstellung hinsichtlich
der Mitgliedschaft in der HJ erlauben sollte. Die Organisation der HJ sollte im
Seminar zwar nicht eingeführt, wohl aber sollte „im Erziehungswerke des Semi-
nars mit aller Hingebung angestrebt werden, dass die Werte des Volkstums er-
schlossen und das Gefühl für die Volksgemeinschaft und ihre Pflicht geweckt
wird.“21 Ähnliche Vorstellungen finden sich auch im Freiherr v. Sieberer Jugend-
heim der SDB in Innsbruck22 und in vielen anderen kirchlichen Einrichtungen.
4 Die Salesianer Don Boscos und Don Bosco Schwestern in Österreich im Jahre 1938
4.1 Die Salesianer Don Boscos
Die Salesianer Don Boscos bildeten im Jahre 1938 eine selbstständige Provinz
mit Sitz in Wien.23 Die 182 Mitglieder lebten und arbeiteten bzw. studierten in
zwölf Einrichtungen: Amstetten (öffentliche Kirche, Jugendbetreuung), Fulpmes
(Internat für Schüler [Spätberufene] und Lehrlinge, Gymnasium, Sonn- und Feier-
19 Chr-SDB-Wien III.
20 Chr-SDB-Innsbruck.
21 MANN, Erwin: Das Knabenseminar der Erzdiözese Wien 1856-1992. In: MANN,
Christine / MANN, Erwin: Die große Geschichte des Kleinen Seminars der Erzdiözese
Wien. Wien: (Domverlag) 2006, S. 19-328, hier S. 143.
22 Chr-SDB-Innsbruck.
23 Die Österreichische Provinz der Salesianer Don Boscos im österreichischen Staatsge-
biet wurde 1935 kanonisch errichtet. Dies war v.a. aufgrund der „Tausendmarksperre“

1.7 Page 7

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 7
tagsoratorium, Aspirantat, Noviziat), Graz (Pfarre, Oratorium, Seelsorgeaushilfen),
Innsbruck (Internat für Schüler und Lehrlinge, Knabenhort, Jugendverbandsarbeit),
Jagdberg (Fürsorgeheim, Elementar- und Landwirtschaftsschule), Klagenfurt (Pfarre
St. Rupert mit Filiale St. Martin, Oratorium), Linz (öffentliche Kirche, Oratorium),
Unterwaltersdorf (Internat für Schüler [»Spätberufene«], Gymnasium, Aspirantat,
Studentat für Philosophie, Sonn- und Feiertagsoratorium), Wien III. (Provinzialat,
Internat für Schüler, Oratorium, Jugendverbandsarbeit, schulischer Religionsunter-
richt), Wien XIII. (Lehrlingswohnheim, Gartenbauschule), Wien XXI. (Pfarre,
Sonn- und Feiertagsoratorium, schulischer Religionsunterricht), Waidhofen an der
Ybbs (Internat, Oratorium).24 Dazu kamen 27 Mitglieder, die sich zu Studienzwek-
ken in Benediktbeuern und Rom aufhielten.25 Von den Mitgliedern waren 74
Priester, vier Diakone, 33 Brüder mit ewiger und 14 mit zeitlicher Profess, sowie 26
Priesteramtskadidaten mit ewiger und 57 mit zeitlicher Profess. Schließlich sind vier
Brüdernovizen dazuzuzählen. Das Amt des Provinzials bekleidete (1935 bis 1947) P.
Georg Wagner, ein gebürtiger Deutscher. Dem Provinzialrat gehörten an Don Aure-
lio Guadagnini in der Funktion des Ökonomen, dazu die Patres Karl Kranner, Adolf
Peninger und Nikolaus Strässer. Das Amt des Provinzsekretärs versah P. Josef Krisch.
Die Schwerpunkte der Tätigkeit der Salesianer Don Boscos in Österreich la-
gen in den Bereichen der Jugendhilfe, der Schul- und Berufsbildung sowie in
freizeitpädagogischen Maßnahmen. Ein starkes Engagement galt der Nach-
wuchsförderung im Werk der »Mariensöhne«.26 Fünf Einrichtungen sind auch
in der Pfarrseelsorge tätig. Mit diesen Tätigkeitsfeldern waren die österreichi-
schen Salesianer ihrem Selbstverständnis sehr nahe gekommen. Sie hatten die
typisch salesianischen Formen entwickelt, die auf Don Bosco zurückgehen und
von seinen Nachfolgern weiter gepflegt wurden. Diese sind:
1. Die Jugenhilfe: (a) „Die Anstaltserziehung (Internat) für Studenten [Schüler
weiterführender Schulen] und Lehrlinge“, (b) „das Oratorium (Knabenheim und
Jugendvereine)“ und (c) „die in Internat und Oratorium bestehenden religiösen
Bündnisse (Compania)“.
2. Das Werk der »Mariensöhne« als Sorge um geistliche Berufe
3. Das Werk der »Salesianischen Mitarbeiter« als Laienapostolat und der Pflege von
Wohltätern
4. Das Presseapostolat.27
notwendig geworden. Dabei handelte es sich um eine wirtschaftliche Sanktionsmaßnah-
me, die am 27.05.1933 von der deutschen Reichsregierung gegen Österreich verhängt
worden war. Deutsche Staatsbürger mussten fortan vor Antritt einer Reise nach Österreich
eine Gebühr von 1000 Reichsmark entrichten.
24 Elenco Generale della Società di S. Francesco di Sales. Antico Continente. Al primo
Gennaio 1938. S. 115.
25 Elenco [SDB]…, 1938, S. 83 und 86.
26 Das von Don Bosco selbst ins Leben gerufene Werk der »Mariensöhne«gibt jungen
Männern (»Spätberufenen«) die Gelegenheit, in einer verkürzten Form die gymnasiale
Schulbildung zu durchlaufen und die Matura zu erreichen.
27 Vgl. APW-DK-1936.

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8 Franz Schmid
Die Situation der verbandlichen Jugendarbeit war in Österreich in der ersten
Republik (1918-1938) starken Polarisierungen ausgesetzt. Die SDB legten für
sich fest: „Wir pflegen alle katholischen unpolitischen Jugendgruppen (Reichs-
bund – Pfadfinder – Wölflinge) im Knabenheim und Jugendverein; organisato-
risch aber nur die in der K[atholische] A[ktion] angeschlossenen.“ Und dem
Knabenheimleiter wird aufgetragen: „Der Präses gebe sich möglichst unpartei-
isch und sei Vater und Führer für alle.“28
Gleichwohl empfand man auch einen Konflikt mit der salesianischen Tradi-
tion. Das Oratorium als Ort „offener“ Jugendarbeit, als Freizeitort ohne Ver-
pflichtung, einer Organisation beizutreten, wurde bisweilen zu einem „Vereins-
heim“ unterschiedlicher Gruppen und Vereinigungen. Gleichwohl wurde von
keiner Einrichtung berichtet, dass sich Sympathisanten des Nationalsozialismus
dort sammelten.
Die Provinzleitung der SDB, die der »Einmarsch« nicht völlig überrascht ha-
ben konnte, versuchte zunächst einen »Modus vivendi« mit den neuen Machtha-
bern. Der Provinzial P. Georg Wagner sprach darüber am 19.03.1938 mit seinem
Rat. Die Protokolleintragung dazu lautet: „Als Hauptrichtlinie für die Arbeit der
Salesianer Don Boscos in unserer Provinz bezeichnet der hochwürdigste Herr un-
sere vorbehaltlose Bereitschaft, uns auf die Seite der nationalen Regierung unseres
Landes zu stellen und mit ihr zum Wohle unserer Jugend zu arbeiten.“29
4.2 Die Don Bosco Schwestern
Die Don Bosco Schwestern in Österreich waren 1938 Teil der Österreich-
Deutsch-Ungarischen Visitatorie der Kongregation der Töchter Mariä, Hilfe
der Christen mit Sitz in München.30 In Österreich waren sechs Gemeinschaf-
ten, in Deutschland fünf und in Ungarn eine errichtet worden. Von den insge-
samt 78 Mitgliedern der Kongregation lebten und arbeiteten 1938 40 in Öster-
reich, 33 in Deutschland und fünf in Ungarn. Die junge Provinz hatte viele
junge Schwestern: 44, das sind 57 %, lebten mit zeitlicher Profess.31
Die Niederlassungen waren auf das ganze Land „verstreut“. Die Orte und
ihre Tätigkeitsfelder waren: Gramatneusiedl (Kindergarten, Hort, Nähschule,
Werktagsoratorium), Jagdberg (Waisenhaus für Buben, Nähschule, Hauswirt-
schaft für die Salesianer), Klagenfurt (Kindergarten, Nähschule, Schülerspei-
sung, Werktagsoratorium mit Knaben- und Mädchenhort, Pfarrarbeit), Linz
(Kindergarten, Hort, Nähschule, Werktagsoratorium), Unterwaltersdorf (Haus-
wirtschaft für die Salesianer, Nähschule), Viktorsberg (Waisenhaus, Kindergar-
28 APW-DK-1935.
29 APW-PK.
30 Ital. Titel: Visitatoria (o Ispettoria minora) Austria-Germania-Ungheria di Maria
Ausiliatrice.
31 Elenco Generale dell’Istituto delle Figlie di Maria Ausiliatrice. Antico Continente.
1938, S. 146-149.

1.9 Page 9

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 9
ten, Volksschule, Sonntagsoratorium). Das Amt der Provinzoberin bekleidet die
Italienerin Sr. Alba de Ambrosis.32
Die Don Bosco Schwestern hatten 1928 in Jagdberg – mit den Salesianern – ih-
re erste Niederlassung in Österreich eröffnet und sich in den folgenden zehn Jahren
fünf weitere Betätigungsfelder erworben. Sie waren klar auf die typischen Arbeits-
bereiche der Don Bosco Schwestern ausgerichtet: Die Zielgruppe sind Kleinkinder
und Mädchen. Die Arbeitsgebiete waren Kindergärten, Oratorien als Formen der
Jugendarbeit mit Katechese, schließlich Nähschulen, um Mädchen der einfachen
Volksschichten eine berufliche Qualifikation zu schaffen. Wenn sich die Gelegen-
heit bot, unterstützen sie die Arbeit der Priester in den Pfarrgemeinden (Linz, Kla-
genfurt, Viktorsberg). In zwei Einrichtungen – Jagdberg und Unterwaltersdorf –
arbeiteten sie für die Salesianer in der Hauswirtschaft (Küche und Wäscherei).
Auch die Don Bosco Schwestern traf der Nationalsozialismus in allen ihren
originären Tätigkeitsbereichen „mit voller Wucht“. Die Kleinkinderziehung
wollten die neuen Machthaber ausschließlich der „Nationalsozialistischen
Volkswohlfahrt“ (NSV) anvertrauen, die Jugendarbeit mit Mädchen war alleini-
ge Aufgabe des „Bund Deutscher Mädel“ (BDM).
Auch den Schwestern war der Nationalsozialismus nicht völlig fremd. Einige
Schwestern hatten ihn im anderen Teil ihrer Visitatorie erfahren. Auch sie ver-
suchten, ihre Einrichtungen vor der Auflösung durch die neuen Machthaber zu
schützen und glaubten – vorübergehend – deren Anordnungen umsetzen und
deren Vorstellungen entsprechen zu können.33 Die Schwestern wehrten sich
entschieden auf mehrfache Art und Weise gegen Beschränkungen und Schlie-
ßungen – bisweilen durchaus mit Erfolg.
5 Salesianer Don Boscos und Don Bosco Schwestern unter der Diktatur der
Nationalsozialisten in Österreich
5.1 Kleine Chronik der Ereignisse 1938 – 1945
12.03.1938
12.03.1938
13.03.1938
17.03.1938
18.03.1938
Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich
SDB Wien III.: HJ und SA dringen in das Haus ein, erklären die
Jugendvereinigungen als aufgelöst und beschlagnahmen das Inven-
tar der Jugendräume
SDB Innsbruck: Die HJ Bannführung beschlagnahmt die Räume
des Knabenhortes und zahlreiches Inventar
FMA Linz: Kindergarten, Hort und Nähstube werden von der
Kreisleitung der NSDAP geschlossen. Die Schwestern protestieren
umgehend
FMA Linz: Kindergarten, Hort und Nähstube können wieder ge-
öffnet werden
32 Elenco [FMA]…, 1938, S. 146-149.
33 Vgl. Chr-FMA-Linz

1.10 Page 10

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10 Franz Schmid
18.03.1938
23.03.1938
26.03.1038
04.04.1938
09.05.1938
09.05.1938
16.05.1938
24.05.1938
01.06.1938
21.06.1938
27.07.1938
07.09.1938
15.09.1938
01.10.1938
05.10.1938
15.10.1938
17.10.1938
30.10.1938
18.11.1938
12.1938
15.12.1938
18.02.1939
FMA Klagenfurt: Hausdurchsuchung durch die Geheime Staatspo-
lizei. Betätigungsverbot unterzeichnet
SDB Wien III.: Das Oratorium wird geschlossen, die Vereine auf-
gelöst, das Inventar der HJ zugesprochen
FMA Viktorsberg: Zwei Lehrerinnen unter den Schwestern nehmen
an der Vereidigung der Lehrerschaft Vorarlbergs in Dornbirn teil
FMA Linz: Die NS-Frauenschaft übernimmt die Kosten für die
Mittagsverpflegung der Kindergartenkinder
SDB Innsbruck: Der Direktor schlägt dem Jugendamt die Grün-
dung einer HJ-Gruppe im Jugendheim vor
FMA Klagenfurt: Das Oratorium in St. Martin kann nicht weiter
geführt werden
FMA Klagenfurt: Den Schwestern wird vom Schulreferenten eine
„Beraterin und Wegweiserin“ zur Seite gestellt
FMA Klagenfurt: Die Oberin und die Kindergartenleiterin werden
vom Stadtschulrat vereidigt
SDB Wien XIII.: Übernahme der Gartenbauschule durch die NSV
SDB Innsbruck: Übereinkommen des Jugendheimes mit der HJ
über beschlagnahmte Räume und beschlagnahmtes Inventar
Gesetz über die Unterbringung von öffentlichen Dienststellen
SDB Wien III.: Der Stadtschulrat verbietet die Weiterführung des
Schülerheimes und des Oratoriums
Geistlichen Lehrpersonen wird die Lehrerlaubnis entzogen
FMA Viktorsberg: Die Schule verliert das Öffentlichkeitsrecht
SDB Waidhofen: Das Schülerinternat wird geschlossen
SDB Unterwaltersdorf: Das Gymnasium wird aufgelöst und die
»Mariensöhne« müssen das Haus verlassen
SDB Fulpmes: Schließung des Bonifatiusinstituts (Schule, Schüler-
heim, Jugendhort)
Das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten verfügt
die Schließung aller konfessionellen Schulen, Schülerheime und
Kindertagesstätten
SDB Wien III.: Das Konvikt wird samt Inventar vom Stadtschulrat
beschlagnahmt
Verordnung über Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermö-
gens im Lande Österreich
FMA + SDB Jagdberg und Viktorsberg: Die pädagogische Leitung
der Erziehungsheime wird von den Bezirksschulinspektoren über-
nommen
FMA Klagenfurt: Der Kindergarten wird von der Geheimen
Staatspolizei geschlossen. Proteste der Schwestern und des Ordina-
riats bleiben erfolglos
SDB Wien III.: Der Stadtschulrat eröffnet in den Räumen der
SDB ein staatliches Schülerheim

2 Pages 11-20

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2.1 Page 11

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 11
10.02.1939
15.03.1939
01.06.1939
03.06.1939
04.06.1939
26.08.1939
01.09.1939
03.01.1940
30.04.1940
25.05.1940
31.05.1940
24.06.1940
15.07.1940
30.07.1940
29.09.1940
06.12.1940
10.02.1941
20.08.1941
31.01.1942
09.07.1942
02.11.1942
15.11.1942
04.11.1944
15.01.1945
FMA + SDB Jagdberg: Im Fürsorgeheim Jagdberg werden von der
Gauamtsleitung Innsbruck zwei pädagogische Leiter eingesetzt
SDB Wien III.: Die SDB vermieten das 2. und 3. Stockwerk und
den Spielhof dem Reichsstatthalter in Wien zum Betrieb des Schü-
lerheimes Stadtschulrates
SDB Wien XIII.: Das Internat wird von der NSV übernommen
SDB Fulpmes: Die SDB übergeben das Haus dem Militär. Die
SDB beziehen eine nahe gelegene Villa
FMA + SDB Jagdberg: SDB und FMA verlassen das Fürsorgeheim
Jagdberg
Die ersten SDB werden zum Militär eingezogen
Kriegsausbruch
SDB Wien III.: Die Vereine »Mariahilf-Sodalität« und »Salesiani-
sche Mitarbeiter« werden aufgelöst
FMA Viktorsberg: Der Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg
fordert die Schwestern auf, das Mädchenerziehungsheim zum 1.
Juni 1940 der Gauselbstverwaltung zu übergeben
FMA Viktorsberg: Die Schwestern beginnen mit dem Umzug in
ein Bauernhaus
FMA Viktorsberg: Die Schwestern verlassen die Mädchenerzie-
hungsanstalt
FMA Viktorsberg: Die Schwestern beginnen erneut mit einem
Kindergarten
SDB Klagenfurt: Raum im Pfarrheim Klagenfurt-St. Ruprecht be-
schlagnahmt
Wien III.: Der Hof wird von einem Schützenregiment mit Fahr-
zeugen und Feldküchen besetzt
Aufnahmeverbot von Novizen für Orden und Kongregationen
SDB Wien III.: Mietvertrag der „Gesellschaft Sozialer Jugend-
schutz“ (SDB) mit dem Deutschen Roten Kreuz
Beginn systematischer Vorbereitungen für den Fall der Auflösung
der Provinz der SDB
FMA Linz: Die Schwestern übergeben den Kindergarten an die NSV
SDB Klagenfurt-St. Ruprecht: Die Kirchenglocken werden ab-
transportiert
FMA Linz: Die SS verfügt die Beschlagnahmung des Hauses
FMA Linz: Die Beschlagnahme des Hauses vom 09.07.1942 wird
nach diversen Beschwerden der Oberin aufgehoben
SDB Klagenfurt- St. Ruprecht: Der Spielplatz des Pfarrheimes wird
an die Geheime Staatspolizei verpachtet, die dort Baracken aufstellt
FMA-SDB Linz: Die Einrichtungen werden durch Bombenangrif-
fe zerstört
SDB Wien III.: Das Haus wird von Bomben getroffen und weitge-
hend zerstört

2.2 Page 12

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12 Franz Schmid
11.04.1945 SDB Wien III.: Soldaten der Roten Armee besetzten das Haus
08.05.1945 Kapitulation – Kriegsende – Befreiung von der nationalsozialisti-
schen Diktatur
5.2 Schließungen von Einrichtungen
Die Nationalsozialisten begannen unmittelbar nach der Machtübernahme in
Österreich mit dem Kampf gegen die Kirchen und gegen die religiösen Gemein-
schaften. In der ersten Phase kam es zu spontanen Übergriffen auf die Einrichtun-
gen der verbandlichen und offenen Jugendarbeit.34 Es folgte im Herbst 1938 die
Ausschaltung der katholischen Schulen und Internate sowie das Verbot für Priester
und Ordensmitglieder, als Lehrer und Lehrerinnen tätig zu sein. Die Übernahme
der Kindergärten durch die NSV wurde in die Wege geleitet und ehedem vollzo-
gen. Die Fürsorgeerziehungseinrichtungen wurden nach und nach von den ört-
lichen Trägern übernommen. Es folgten Beschlagnahmungen von einzelnen
Räumlichkeiten und ganzen Einrichtungen für Zwecke der NSDAP oder des Mili-
tärs. Damit hatte die Behinderung ein Ausmaß erreicht, dass keine regulären Erzie-
hungs- und Bildungstätigkeiten mehr möglich waren. Schließlich setzten kriegsbe-
dingte Zerstörungen ein, die alle Aktivitäten zum Erliegen brachten.
In allen Einrichtungen ist zu beobachten, dass die Salesianer und Don Bosco
Schwestern mit den neuen Machthabern auszukommen und nach außen hin de-
ren Ideologien zu entsprechen suchten. Aber bald wurde deutlich, dass kein Kon-
sens möglich war. Sie begannen sich zu wehren und erreichten dabei vorüberge-
hend einen Aufschub ihrer Demontage.
In der allgemeinen Seelsorge in den Pfarrgemeinden konnten sich die Ordens-
leute hingegen halten, mussten aber mit zunehmenden Behinderungen fertig wer-
den. Die Einberufung zahlreicher Ordensleute zum Militärdienst schwächte zu-
dem ihre Möglichkeiten gravierend.
Die Chroniken und Dokumente geben ein anschauliches Bild von den Prozes-
sen, die alle Einrichtungen der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwes-
tern in Österreich zu erleiden hatten. Im Frühjahr 1945 kann von keiner funktio-
nierenden Einrichtung mehr gesprochen werden. Die Diktatur des Nationalsozia-
lismus hatte sie alle ausgeschaltet.
Im Folgenden werden die Prozesse vornehmlich der Einrichtungen dargestellt,
die quasi um ihre Existenz gebracht wurden, obwohl sie die Kinder und Jugend-
lichen nicht daran hinderten, sich der HJ bzw. dem BDM anzuschließen und ihre
Angebote wahrzunehmen. Es waren die Einrichtungen, die sich vornehmlich der
34 Unmittelbar nach dem „Einmarsch“ vollzogen die bis dahin illegalen österreichischen
Nationalsozialisten „ihre Machtergreifung“. Dabei kam es häufig zu „wilden Beschlagnahmun-
gen“. Daran beteiligt waren neben SA auch SS, NSDAP-Ortsgruppen, HJ, Gestapo, Gendar-
merie und Polizeidienststellen. Die Gestapo beharrte aber auf ihrem Machtmonopol und
untersagte den Dienststellen und Gliederungen der Partei Festnahmen, Beschlagnahmungen
und Durchsuchungen. Schon Ende März konnte sie sich damit weitgehend durchsetzen.

2.3 Page 13

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 13
„ärmeren Jugend“ annahmen, wie es dem Auftrag der Salesianer und Don Bosco
Schwestern entspricht.
5.2.1. Das »Bonifatiusinstitut« Fulpmes
Am 19.03.1938 schrieb der Chronist des Bonifatiusinstituts in Fulpmes über
die erste Tage und Wochen nach dem »Anschluss«:
„Selbstverständlich gingen diese Tage nicht ohne tiefes inneres Erleben des Einzelnen
vorüber... Doch Dank der wohlgesinnten Haltung der Ortsleitung u. Ortsbehörden
(manche der Funktionäre waren ehemalige Vereinsmitglieder [im Bonifatiusinsti-
tut]…) und Dank der Klugheit der Oberen verlief nach außen alles reibungslos.
Schon beim ersten Fackelzug in Fulpmes ... ward es den Fachschülern freigestellt, mit-
zumachen; es meldeten sich 11. Den Wünschen und Anordnungen der neuen Fach-
schul-Direktion wurde in allem entsprochen, so dass trotz der unvermeidlichen Unre-
gelmäßigkeiten im Schulbetrieb jener Tage das Einvernehmen ein durchaus gutes war.
– Ebenso vollzog sich die Auflösung des Reichsbundes reibungslos: Vermögen besaß
er keines, (Mitglieder auch nicht viele); die Fahne wurde freiwillig abgeliefert. Die
Turngeräte wurden zwar angefordert, aber als Eigentum des Hauses nicht angetastet.
… Die SA ersuchte höflich, auf unserem Platz exerzieren zu dürfen zweimal wöchent-
lich von ? 8 – ? 9, was bereitwillig gewährt wurde.“35
Aber das „gute Einvernehmen“ änderte sich rasch. Wie alle anderen Privatschu-
len und kirchliche Internate folgte schon im Herbst 1938 nach Schulbeginn die
Schließung. Zur Begründung wird eine „staatsfeindliche Haltung“ der Salesianer
genannt.
„Landesschulrat für Tirol. Zahl: A 1312/ 1. Innsbruck, 15. Oktober 1938
Bescheid: Ich verfüge hiermit die sofortige Schließung des Bonifatiusinstitutes in
Fulpmes einschließlich der in diesem Institut bestehenden Privatschule, des Schüler-
heimes sowie des Jugendhortes (Wanderherberge) und untersage gleichzeitig die Fort-
führung jeglicher Tätigkeit auf dem Gebiete der Schule und Erziehung im Rahmen
des Bonifatiusinstitutes. Diese Verfügung tritt sofort in Kraft. Ihre Nichtbeachtung
würde unvermeidlich die im Verwaltungsvollstreckungsgesetze BGBl. Nr. 276, 1925
vorgesehenen Zwangsmaßnahmen und Straffolgen nach sich ziehen.
Gründe: Der Staat kann private Schulen, Erziehungsstätten und Schülerheime nur so
lange bestehen lassen, als deren Führung und Einrichtungen volle Gewähr bieten, dass
Unterricht und Erziehung in diesen Anstalten im Geiste der nationalsozialistischen
Weltanschauung geleitet werden. Dafür aber, dass Erziehung und Unterricht der Ju-
gend in Ihrem Institute in diesem Sinne versehen werden, fehlen unter den gegebenen
Umständen die nötigen grundlegenden Bürgschaften. Da aber jede Erziehertätigkeit,
die nicht in dem vom nationalsozialistischen Staate geforderten Sinne erfolgt, als
staatsschädlich angesehen werden muss, ist der nach § 13 des prov. Gesetzes über den
Privatunterricht vom 27.6.1850 RGBl. 309 vorgesehene Schließungsgrund gegeben.
Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid steht die Berufung offen, welche bin-
nen zwei Wochen nach Zustellung beim Landesschulrate eingebracht werden müsste.
35 Chr-SDB-Fulpmes.

2.4 Page 14

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14 Franz Schmid
Einer solchen Berufung wird jedoch … die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Heil Hitler! Der Gauleiter und Landeshauptmann [Franz Hofer] als Vorsitzender d.
Landesschulrates.“36
In den folgenden Monaten wurden von den Salesianern verschiedene Varianten
für die weitere Verwendung des Hauses erörtert. Sie selbst erwogen einen Verkauf,
fanden aber wohl keinen Käufer.37 Zahlreiche Interessenten prüften unterschiedli-
che Nutzungsmöglichkeiten, bis schließlich im November 1939 das Oberkom-
mando des Heeres das Haus beschlagnahmte und eine Heeres-Hochgebirgsschule
einrichtete.38 Einige Salesianer bezogen eine nahe gelegene Villa und wurden in der
Pfarrseelsorge tätig. Als ihnen 1942 auch die Villa genommen wurde, zogen sie in
das Pfarrhaus von Telfes. Nach Kriegsende wurden französische Kinder im Haus
untergebracht. Erst am 20.01.1955 kehrten mit den Salesianern wieder Schüler in
das Haus zurück.39
5.2.2. Das Freiherr v. Sieberer Jugendheim der Salesianer Don Boscos in Innsbruck
Am 12.03.1938 erhielt der Direktor P. Anton Schmidt des Freiherr v. Sieberer-Ju-
gendheimes der Salesianer Don Boscos in Innsbruck telefonisch und schriftlich die
Aufforderung, der HJ „die erforderlichen Räume des Jugendheimes der Salesianer
zu Heimzwecken“ zur Verfügung zu stellen.40 Am 13.03.1938 notiert der Direktor
in der Chronik:
„Um 5 Uhr nachmittags kommt eine HJ-Abteilung von der Bannführung Innsbruck
und beschlagnahmt kurzer Hand unseren Knabenhort als ihr Heim. Man zwingt den
Direktor, einen Schein zu unterfertigen, dass er auf die Dauer von vorläufig noch unbe-
stimmter Zeit, das heißt bis zur endgültigen Regelung dieser Fragen, die Knabenhort-
Räume der HJ zur Verfügung stellt. Die Gegenstände im Knabenhort, ganz gleich, ob
Privateigentum oder nicht, werden ohne weiteres behalten. - Um 22 Uhr kommt aber-
mals eine Gruppe HJ … und verlangen in aufdringlicher Weise sämtliche Sachen, die
unsere Jugend bei früheren öffentlichen Aufmärschen hatte. Wir müssen ihnen Zelte,
Uniformen, Gürtel, Hemden, Fanfaren, Trommeln etc. … herausgeben. Außerdem
durchsuchen die Burschen noch das Zimmer des P. Präses und die Direktion.41
In einem Schreiben des Direktors an den Bürgermeister von Innsbruck vom
22.03.1938 wurden 59 Titel genannt, die von der HJ Bannführung am 13.03.1938
36 Chr-SDB-Fulpmes.
37 Chr-SDB-Fulpmes. Am 12.06.1939 notierte der Protokollant des Provinzialkapitels:
„Betreffs des Hauses von Fulpmes wurde mit den Stimmen aller Anwesenden beschlossen,
es nicht zu verkaufen, sondern nur zu verpachten.“ (APW-PK)
38 Vgl. FALSER, Günter: Die NS-Zeit im Stubaital. Innsbruck: (StudienVerlag), 1996,
S. 108-115.
39 Vgl. Chr-SDB-Fulpmes.
40 APW-Innsbruck.
41 Vgl. APW-Innsbruck.

2.5 Page 15

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 15
beschlagnahmt wurden.42 In einer Aufstellung vom 09.04.1938 wurden die einzelnen
Titel mit Geldwert benannt. Die Summe betrug S 2.490,00, gleich RM 1.993,-.43
Am 06.04.1938 erging von der Reichskassenverwaltung der HJ in Wien ein Schrei-
ben an das „Salesianer-Heim Innsbruck“ bezüglich „Heimübergabe durch die HJ“ mit
einem Fragebogen, der binnen zweier Tage „wahrheitsgetreu und erschöpfend“ auszu-
füllen ist. Der Direktor antwortete am 09.04.1938 und teilte mit, dass das „Sieber’sche
Jugendheim“ irrtümlich als „Salesianerheim“ bezeichnet werde und „das Heim niemals
dem österreichischen Jungvolk oder einer sonstigen Jugendorganisation“ gehört habe.
Er erklärte ferner, dass die SDB am 01.04.1935 von der Stadtgemeinde Innsbruck le-
diglich die Betriebsführung des Waisenhauses für 20 Jahre übertragen erhielten.44
Am 09.05.1938 richtete der Direktor des Freiherr v. Sieberer-Jugendheimes ein
Schreiben an das städtische Jugendamt Innsbruck, in dem er die Situation beklagte
und die Zuständigkeiten zu klären wünschte. Bezüglich der HJ teilte er dort mit,
dass die Leitung des Hauses den Jugendlichen geraten hätte, der HJ beizutreten. Er
berichtete, dass Jugendliche unter dem Vorwand, an Veranstaltungen der HJ teil-
zunehmen, sich vom Haus entfernten und anderen, unstatthaften Beschäftigungen
nachgingen. Deshalb schlug er vor, im Hause eine eigene HJ-Abteilung zu grün-
den – wie dies auch im »Altreich« praktiziert würde. Am 13.05.1938 richtete der
Direktor abermals ein Schreiben an eine nicht genannte Adresse, in dem er „um
Freigabe der Räume sowie der beschlagnahmten Gegenstände“ ersuchte.45
Am 21.06.1938 erfolgte mit der HJ Innsbruck eine Vereinbarung, die von ei-
nem Vertreter der HJ Innsbruck, einem Vertreter der Geheimen Staatspolizei Inns-
bruck und einem Vertreter der Kongregation der Salesianer in Innsbruck unter-
zeichnet wurde. Darin wurden der HJ weitreichende Zugeständnisse gemacht, die
Räume auf unbestimmte Zeit unentgeltlich überlassen, Inventar bereitgestellt, der
Großteil der im März beschlagnahmten Gegenstände der NSV übereignet, wenige
Gegenstände zurückgegeben und die Zahlung von 200 RM in Aussicht gestellt.46
Die Chronik des Hauses endete mit 21.06.1938. Die Salesianer mussten in den
folgenden Wochen das Haus verlassen. Der Vorgang ist in den Archiven der Salesi-
aner nicht dokumentiert. Nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
kehrten sie nicht in die Einrichtung zurück.
5.2.3. Die Erziehungsanstalt »Josefinum« in Jagdberg
Das 1928 von den Salesianern mit Unterstützung der Don Bosco-Schwestern
übernommene Fürsorgeheim Jagdberg in Vorarlberg geriet ebenfalls wenige Mona-
te nach der Machtübernahme der NSDAP in deren Visier. Es ging allem Anschein
nach vor allem „gegen die Klöster“, nicht um die Kinder.
42 Vgl. APW-Innsbruck.
43 Vgl. APW-Innsbruck.
44 Vgl. APW-Innsbruck.
45 APW-Innsbruck.
46 Vgl. APW-Innsbruck.

2.6 Page 16

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16 Franz Schmid
„Die pädagogische Leitung der katholisch geführten Erziehungsheime Viktorsberg,
Jagdberg und Marienheim bei Bludenz wurde im Dezember 1938 von den Bezirks-
schulinspektoren übernommen, damit die Kinder nicht ‚im Zeichen des Kreuzes an-
gesteckt werden’. Ihr Arbeitsauftrag war klar umrissen:
‚1. Die gesunden Kinder von den schadhaften Kindern loszulösen und wenn möglich
durch die NSV – es handelt sich bei ersteren wohl meist um arme Waisenkinder – in
Familien auf das Land zu bringen.
2. Die Bigotterie und damit die Verschlagenheit unter den »schwer Erziehbaren« mög-
lichst einzudämmen.
3. Den Einfluss der Klosterleute (besonders in Viktorsberg) möglichst abzugraben.’“47
Erst wurde – wie andernorts auch – eine „Aufsicht“ bestellt, der später die
Übernahme durch die NSV folgte. Provinzial P. Georg Wagner in Wien sandte am
27.02.1939 ein „Memorandum“ an eine nicht näher benannte Dienststelle der
neuen Machthaber, in dem er sich gegen beginnende Einflussnahmen der Natio-
nalsozialisten wehrte.
„Am 10. Februar 1939 wurden unserem Salesianerdirektor [P. Andreas Wagner] auf
dem Jagdberg von Herrn Dr. [Alexander] Grosch im Auftrage des Landes die beiden
Herren, Herr Oberbannführer Breidenbach und Herr Scharführer Krüger als pädago-
gische Leiter der Anstalt vorgestellt und sofort in ihr Amt eingesetzt.“48
Er fährt fort:
„Durch diese ohne jedwede Verständigung des Provinzialates der Salesianer erfolgte
Einsetzung ist unser Vertrag in dem allerwesentlichsten Punkte, nämlich in der uns
durch Punkt 4 des Vertrages anvertrauten Betreuung und Erziehung der armen, er-
ziehungsbedürftigen Knaben auf Jagdberg gebrochen worden. Durch diese Maß-
nahme wurde eine zweifache Leitung in der Anstaltsführung geschaffen, die natürli-
cherweise bei den in höherem Maße erziehungsbedürftigen Kindern notgedrungen
eine Unordnung hervorruft. Die Kongregation wird es außer der sittlichen, religiö-
sen Betreuung nicht fehlen lassen, die Kinder auch zu staatlich tüchtigen Bürgern
zu erziehen. Wir halten uns selbstverständlich genau an die Vorschriften der betref-
fenden staatlichen Gesetze und würden sehr gut einsehen, wenn bei den neuen Ver-
hältnissen eine besondere Aufsicht diesbezüglich geübt wird, können aber eine Dop-
pelleitung der Anstalt Jagdberg nicht für angezeigt finden. Deshalb müssen wir uns
auf die Einhaltung des Vertrages berufen und bitten um klare Entscheidung.“49
Wenige Tage später berichtete der Provinzial seinem Rat: „In Jagdberg befinden sich
seit zwei Wochen zwei von der Landesregierung eingesetzte pädagogische Leiter. Ihre
Tätigkeit steht mit unserer Auffassung in stärkstem Gegensatz, daher ist mit dem Ver-
luste dieses Hauses zu rechnen.“50 Am 12.06.1939 protokolliert das Provinzialkapitel:
47 VLA, LSR Zl. 2138 ex 1938; vgl. ferner: SCHREIBER, Horst: Schule in Tirol und
Vorarlberg 1938-1948. Innsbruck: (Studienverlag) 1996, S. 99f.
48 APW-Jagdberg.
49 APW-Jagdberg.
50 APW-PK.

2.7 Page 17

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 17
„Jagdberg wurde von der Gauamtsleitung Innsbruck vollständig dem NSV-Leiter
unterstellt. Den Salesianern wird jede Beeinflussung der Jugend untersagt. Damit be-
steht der zwischen der Landesregierung und uns geschlossene Vertrag in wesentlichen
Punkten nicht mehr. Das Haus wird deshalb von uns aufgegeben. Mit 8.6.1939 ver-
ließen alle Mitbrüder das Haus. Einige Gegenstände konnten sie mitnehmen, für die
Investitionen wurden 8.000 RM Vergütung versprochen.“51
Die Don Bosco-Schwestern erinnerten sich später: „Am 4. Juni [1939] in aller
Früh wird die letzte heilige Messe gefeiert, und die Salesianer und die Schwestern
verlassen traurig das Haus und die kleinen und die großen Buben.“52
Die Einrichtung ging schlimmen Zeiten entgegen: „Im Gauerziehungsheim Jagd-
berg wurden die Zöglinge ein Jahr lang nur vom Heimleiter und einem 16jährigen
Praktikanten betreut.“53 Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur kehrten
weder die Don Bosco Schwestern noch die Salesianer auf den Jagdberg zurück.
5.2.4. Die Don Bosco Schwestern in Klagenfurt
Seit 1936 lebten und arbeiteten Don Bosco Schwestern in einer Gemeinschaft
in Klagenfurt in der Pfarrei St. Ruprecht, die von Salesianern geleitet wurde. Sie
hatten einen Kindergarten, einen Hort, ein Werktagsoratorium und eine Nähschu-
le entwickelt und leisteten zahlreiche Dienste in der Pfarrgemeinde. Auch in Kla-
genfurt waren 1938 diese Einrichtungen ins Visier der neuen Machthaber geraten.
Am 18.03.1938 notierte die Chronistin:
„Heute erschienen … 3 Beamte der Geheimen Staatspolizei zwecks Hausdurchsu-
chung. Sie fanden bei uns alles in Ordnung. Die Oberin Sr. Styp Elis[abeth] war ge-
nötigt ein Betätigungsverbot zu unterschreiben, trotzdem es lt. Aussage der Beamten
nicht für unsere Verhältnisse in Frage kommt. Mit dem Bescheid, nichts zu unterneh-
men, sondern den telefonischen Anruf des Herrn Sicherheits-Direktors abzuwarten,
verließen die Herren … das Haus. Das Verzeichnis der Hortkinder nahmen sie mit.
Wir führen also unsere Werke weiter.“54
Am 01.04.1938 besuchte die Schwester Oberin den Sicherheitsdirektor, der ihr
versicherte, dass sie keine Schließung zu befürchten habe. Aber am 16.05.1938
„stellte sich ein Frl. Grete Nitsch … vor, die eine Ermächtigung vorwies, in der es
hieß, ‚dass sie uns als Beraterin und Wegweiserin zur Seite gestellt würde, damit wir
den Weg aus dem Gewesenen in die Gegenwart finden.’“ Am 27.05.1938 kam sie
wieder, um einige Angaben über die Kinderzahl einzuholen. Am 24.05.1938 wur-
den die Schwester Oberin und die Kindergärtnerin zum Stadtschulrat bestellt:
51 APW-PK.
52 LUMER, Theresia: Die Chronik. Bericht eines gemeinsamen Weges von 1922 bis 1954.
Gründung einer Gemeinschaft der Don Bosco Schwestern in Essen-Borbeck und deren Aus-
breitung im deutschsprachigen Raum. [München]: 1995, 2., verbesserte Aufl., S. 47.
53 SCHREIBER, Schule in Tirol…, 1996, S. 100.
54 AÖFMA-klagenfurt.

2.8 Page 18

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18 Franz Schmid
„zwecks Vereidigung“. Mit dem Einverständnis des Weihbischofs Andreas Rohra-
cher leisteten sie den Eid. In den nächsten Wochen folgten Visiten verschiedener
Behörden, wurden Beratungen im Ordinariat in Anspruch genommen und der ita-
lienische Konsul in Klagenfurt konsultiert.55
Kurz vor Weihnachten, am 15.12.1938, kam dann die entscheidende Nach-
richt. Der Eintrag in der Chronik verrät viel Betroffenheit.
„Heute kam von der Geheimen Staatspolizei der Befehl, dass unser Kindergarten ab
sofort geschlossen sei, weil nach gemachten Feststellungen keine Gewähr geboten sei,
dass die Kinder in der NS Weltanschauung erzogen werden. Die Oberin erhob bei der
Polizeidirektion Protest dagegen, ebenso das Fürstbischöfliche Ordinariat. Demnach
ist also der Kindergarten geschlossen. Abends waren die Mütter der Kinder da, nach
erhaltener Einladung, um die Mitteilung von der Schließung entgegenzunehmen. Die
Mütter bedauern die Maßnahme sehr.“56
In den folgenden Monaten und Jahren erfolgten immer wieder Einquartierun-
gen von Soldaten im leer stehenden Haus. Die Schwestern mussten zusammenrü-
cken, aber sie lebten ihr Ordensleben und bis zuletzt sammelte sich eine immer
kleiner werdende Schar von Mädchen zu unterschiedlichen Anlässen um sie: zu
Heiligenfesten, den Festen des Kirchenjahres, den salesianischen Festen, zu Fuß-
wallfahrten, Anbetungstagen, Vorträgen, zu Gottesdiensten, kleinen Ausflügen
usw. Sie beteiligten sich an den Sakramentenkatechesen und führten Kinder zur
Erstkommunion. Zu Neujahr 1942 resümierte die Chronistin: “Ist unser Wir-
kungskreis auch klein geworden, so können wir doch noch in der Gemeinschaft
nach unserer hl. Regel leben.“ Am Karfreitag, dem 03.04.1942, stellte sie fest:
„Wir haben keine Jugend mehr.“ Zum Jahresschluss schrieb sie: „Zum ersten Mal
feierten wir … das Hl. Weihnachtsfest ohne Jugend.“57
Mit den Tätigkeitsverboten schwand die Versorgungsgrundlage der Schwestern.
Sie musste bezahlte Arbeiten übernehmen, um die eigene Existenz zu sichern. Am
24.03.1943 trafen acht Kinder aus Köln ein, die Opfer von Bombardierungen ge-
worden waren. Am 04.09.1943 verließ das letzte der Kinder Klagenfurt wieder –
aus Raum- und Kohlemangel. Im Herbst 1943 gelang es der Schwester Oberin,
bei der Heeresstandortverwaltung Arbeitsaufträge zu erhalten und Näharbeiten für
die Wehrmacht zu übernehmen. Dazu stellte ihnen die Wehrmacht eine elektri-
sche Nähmaschine zur Verfügung.58
5.2.5. Die Don Bosco Schwestern in Linz
Die Salesianer Don Boscos hatten die Don Bosco Schwestern gebeten, sie in ih-
rer Arbeit im Frank-Viertel der Landeshauptstadt Linz zu unterstützen. Sie folgten
55 AÖFMA-Klagenfurt.
56 AÖFMA-Klagenfurt.
57 AÖFMA-Klagenfurt.
58 Vgl. AÖFMA-Klagenfurt.

2.9 Page 19

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 19
der Einladung 1933 und entwickelten einen Kindergarten, ein Werktagsoratorium
und eine Nähschule. Mit großer Vehemenz „verteidigten“ sie ihr Engagement ge-
gen die nationalsozialistischen Machthaber. Die Chronik des Hauses dokumentiert
die Geschehnisse sehr präzise. Die Probleme begannen wenige Tage nach der
Machtübernahme. Am 17.03.1938 notierte die Chronistin:
„Über Auftrag der Kreisleitung wird der Kindergarten, das Heim und die Nähschule
um? 12 Uhr mittags geschlossen. Sr. Oberin Regina Ostern in Begleitung einer anderen
Schwester und des Herrn Präses P. [Franz] Stöglehner begibt sich sofort zur Gestapo und
wird von dort direkt an den Kreisleiter verwiesen … Nachmittag? 5 Uhr spricht Sr.
Oberin … bei Herrn Stadtrat Walter Gasthuber vor, welcher sich sofort telefonisch an
die N.S. Frauenschaft wendet und Benachrichtigung bis Abend verspricht.“59
Die Interventionen der Schwestern zeigten unmittelbare Wirkungen. Schon am
nächsten Tag, dem 18.03.1938, berichtet die Chronik:
„Morgens 7 Uhr erscheint ein Beauftragter des Herrn Stadtrates Gasthuber und über-
bringt den Bescheid zur Wiedereröffnung des Betriebes. … Am Nachmittag wird Sr.
Oberin Regina Ostern in Begleitung einer Schwester von Herrn Bürgermeister Sepp
Wolkerstorfer empfangen und spricht ihm persönlich den aufrichtigen Dank für die
sofortige Wiedereröffnung unseres gesamten Betriebes aus.“60
In den nächsten Wochen ging es um die Einrichtung einer Mittagsverpflegung
für die Kindergartenkinder und deren Finanzierung. Schon wurden die Schwestern
auf ihre „ideologische Zuverlässigkeit“ geprüft. Am 01.04.1938 besuchten die Lei-
terin der N.S. Frauenschaft, eine Kindergartenleiterin sowie eines SA Mann das
Haus. Die Schwestern ließen die Kinder zeigen, was man ihnen beigebracht hatte:
„Die Kleinen … marschieren und singen unter Trommelschlägen ‚Wir marschieren
Mann für Mann’ und deklamieren ‚Unser Führer Adolf Hitler’ mit einer solchen Be-
geisterung, dass Frau Dirnberger verspricht, den Herrn Bürgermeister … zu uns zu
bringen, um ihm die nationale Einstellung unserer Kinder zu zeigen.“61
Bürgermeister Sepp Wolkersdorfer kam tatsächlich am 04.04.1938 mit einem
Pressefotografen in den Kindergarten. Die Kinder deklamierten, marschierten und
sangen begeistert und voll Freude wie beim ersten Besuch. Der Bürgermeister er-
zählte den Kleinen dann in kindlicher Weise das Leben des Führers und ließ
schließlich Süßigkeiten verteilen.62
Am 05.05.1938 erschien Gefolgschaftsführer Weichselbaumer in Begleitung ei-
ner BDM Führerin, besichtigte das Haus und notierte die Namen der Nähkurs-
Schülerinnen. Kurz darauf erschien eine Kommission von elf Personen, darunter die
59 AÖFMA-Linz.
60 AÖFMA-Linz.
61 AÖFMA-Linz.
62 Vgl. AÖFMA-Linz.

2.10 Page 20

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20 Franz Schmid
Leiterin der N.S. Frauenschaft, zur erneuten Besichtigung des Betriebes. Sie versi-
cherte, „dass bei uns alles beim Alten bleibt, insbesondere der Hort und der Nähkurs
weitergeführt werden kann ohne jeglichen Anstand, ebenso der Kindergartenbetrieb
unberührt bleibt.“ Die Sr. Oberin legte umgehend Beschwerde gegen diese Visite
beim Ortsgruppenführer ein. Am 16.05.1938 verlangte eine benachbarte Kindergar-
tenleiterin die Adressen der Kindergartenkinder. Die Schwestern verweigerten die
Herausgabe. Am 30.09.1938 interessierte sich die NSV für den Kindergartenbetrieb
und sicherte den Fortbestand zu – „vorläufig wenigstens für ein Jahr.“63
Aber die Schwestern durften länger bleiben. Erst im April 1941 begannen sich
die Behörden wieder für den Kindergarten und die Räumlichkeiten der Schwes-
tern zu interessieren. Am 20.08.1941 notierte die Chronistin: „Heute war die end-
gültige Übergabe unseres Kindergartens an die N.S.V.“64
Und drei Wochen später, am 09.09.1941, lautete der Eintrag: „Heute kommen
zwei Herren mit einer Dame vom Arbeitsamte, um nähere Auskünfte über die
Schwestern einzuholen.“ Die Oberin teilte dem Arbeitsamt mit, dass die Schwestern
mit Näharbeiten für die Wehrmacht beschäftigt seien. Dann verlangte die Polizei,
„dass alle Schwestern neu gemeldet werden müssen.“ Ein Jahr später, am
09.07.1942, beschlagnahmte die SS das Haus und verfügte, „trotz aller Einwendun-
gen, die Schwester Oberin ihm macht, die Gesamtbeschlagnahmung desselben.“ Sie
wandte sich an das Ordinariat um Unterstützung und richtete am 14.07.1942 ein
Schreiben an die Kanzlei des Führers, aus dem die Existenznot spricht.
„Am Donnerstag den 9. Juli 1942 erschien der Einsatzführer S.S. Standartenführer
Peterseil zu einer kurzen Besichtigung der hiesigen Niederlassung und erklärte im
Verlaufe derselben das gesamte Gebäude für beschlagnahmt. Die Räumung müsse
binnen 14 Tagen erfolgen. Da der schriftliche Bescheid, der in Aussicht gestellt
wurde, bis heute nicht eingetroffen ist, besteht keine Möglichkeit, ein Rechtsmittel
zu ergreifen. Daher erlaube ich mir, an die Führerkanzlei das Ansuchen um Aufhe-
bung bzw. Einschränkung dieser Beschlagnahmeverfügung und gestatte mir, mein
Ansuchen wie folgt zu begründen: Vorerwähnte kleine Niederlassung wurde durch
mehrere im Laufe der Zeit bereits erfolgten Teilbeschlagnahmungen derart verklei-
nert und zusammengedrängt, dass nach meiner Ansicht die vollkommene Auflö-
sung der noch bestehenden geringen Reste kaum für jemanden vorteilhaft sein
könnte. Acht Schwestern haben fünf Wohn- bzw. Arbeitsräume, eine kleine Küche
und Korridor zur Verfügung. Im August 1941 übernahm die N.S.V. den bis dahin
von uns geführten Kindergarten und seit dieser Zeit arbeiten die Schwestern für
die Wehrmacht. Es haben die zuständigen militärischen Dienststellen (Oberstabs-
zahlmeisterei Fabrikskaserne, Bekleidungsstelle) nicht nur öfter ihr Lob über die
hervorragende Arbeitsleistung ausgesprochen, sondern auch vor einigen Tagen
noch schriftlich um die Heranziehung weiterer Schwestern für die Tätigkeit gebe-
ten. Zwei Schwestern sind außerdem im Kirchendienste der Pfarre tätig, besorgen
die Kirchenwäsche, die Reinhaltung und Pflege der Kirche und die Instandhaltung
der Paramente. Während der Wintermonate wird ebenfalls von einer Schwester die
Beheizung der an die NSV abgetretenen Räume gesorgt. Bei Auflösung unserer
63 Vgl. AÖFMA-Linz.
64 AÖFMA-Linz.

3 Pages 21-30

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3.1 Page 21

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 21
Niederlassung in Linz wäre uns die Fortsetzung dieser Arbeiten unmöglich ge-
macht. Wie meine Mitschwestern und ich in der Vergangenheit stets bemüht wa-
ren, nach besten Kräften dem Volke zu dienen, so werden wir es auch in Zukunft
halten. Und wenn es sich um die Unterbringung Bombengeschädigter handelt, wie
S.S. Standartenführer Peterseil sagte, würden wir trotz unserer schon großen Ein-
schränkung noch einige vielleicht pflegebedürftige Personen aufnehmen. Wir glau-
ben, dass wir so Volk und Vaterland besser dienen können, als wenn unsere
Existenz hier unmöglich gemacht wird. Ich bitte, die Gründe zu prüfen und die
Angelegenheit einer wohlwollenden Erledigung zuzuführen. Heil Hitler! Sr. R.
Ostern Ob. e. h.“65
Am 23.07.1942 sprachen die Oberin und die Provinzialin beim italienischen
Vizekonsulat in Linz vor und baten um Unterstützung.66 „Der Herr Konsul Mario
Nardi verspricht tatkräftige Unterstützung seinerseits.“ Am 01.08.1942 besichtig-
ten abermals Parteifunktionäre das Haus und wollten die Räume vermessen – was
man ihnen verweigerte. Am 02.11.1942 teilte der Generalvikar der Diözese Linz,
Josef Fliesser, mit, „dass die am 9. Juli 1942 über Ihr Haus ausgesprochene Be-
schlagnahmung als gegenstandslos zu betrachten ist.“67
Es folgten weitere Versuche, die Einrichtungen der Schwestern anderweitig zu
nutzen. Am 27.12.1942 berichtete die Chronistin von der Einquartierung von Sol-
daten. Ihr Leben und ihre Arbeit wurden vielfach behindert.68 Am 04.11.1944
wurden die Einrichtungen der FMA wie der SDB in Linz durch Bombenangriffe
derart zerstört, dass sie unbewohnbar wurden.69
5.2.6. Das »Missionshaus Maria Hilf« der Salesianer Don Boscos in Unterwaltersdorf
Das 1914 errichtete »Missionshaus Maria Hilf« in Unterwaltersdorf hatte sich
mit dem Bonifatiusinstitut in Fulpmes zum Zentrum der Nachwuchsförderung
entwickelt. Die „Privatschule“ für die »Mariensöhne« hatte eine gewisse regionale
Bedeutung erlangt. Auch die Jugendarbeit für die männlichen Kinder und Jugend-
lichen des Dorfes hatte seit 1929 Ansehen gewonnen. Seit 1931 führten die Don
Bosco Schwestern die Hauswirtschaft.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Österreich wurden
die beiden Aufgabenbereiche der Niederlassung Opfer ihrer Ideologie und Politik.
Unmittelbar nach dem 12.03.1938 wurde die Jugendarbeit verboten und am
05.10.1938 wurde das Gymnasium geschlossen und mussten die »Mariensöhne«
das Haus verlassen. Um das Haus vor einer Beschlagnahmung zu bewahren, ver-
legte man das Studium der Philosophie für die österreichischen Theologiestuden-
ten nach Unterwaltersdorf. Als der Krieg ausbrach, war das Haus nicht mehr zu
65 AÖFMA-Linz.
66 Vgl. SÖLL, Die Salesianer Don Boscos…, 1988, S. 150f.
67 AÖFMA-Linz.
68 Vgl. AÖFMA-Linz.
69 Vgl. SÖLL, Die Salesianer Don Boscos…, 1988, S. 151.

3.2 Page 22

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22 Franz Schmid
halten. Ab 1940 diente es als Kaserne, Wehrmachts- und SS-Lazarett und schließ-
lich als Gefangenenlager. Unmittelbar vor Kriegsende besetzten die Soldaten der
Roten Armee das Haus und gaben es im Juni 1945 wieder frei.70
5.2.7. Die Mädchenerziehungsanstalt der Don Bosco Schwestern in Viktorsberg
Auch das zweite Fürsorgeheim in Vorarlberg, in dem die Don Bosco-Schwestern
seit 1936 arbeiteten, jenes für Mädchen in Viktorsberg, wurde ihnen genommen.
Am 17.06.1938 besuchte der Armenrat des Bezirks Feldkirch das Haus „und
sprach seine volle Zufriedenheit aus.“ Als zum 15.09.1938 geistlichen Lehrpersonen
die Lehrerlaubnis entzogen wurde, gab der Schulrat von Feldkirch Schwester Josefi-
ne Witthoff die Zusicherung, dass die Schulverhältnisse in Viktorsberg „vorläufig
keine Änderungen erfahren werden.“ Dennoch wurde der Schule das Öffentlich-
keitsrecht entzogen. Das Schuljahr wurde am 19.09.1938 „mit einer vaterländi-
schen Feierstunde eingeleitet.“ Am 29.09.1938 wurde Schwester Josefine Witthof
aus dem Schuldienst entlassen, dann aber die Entlassung als ein „Irrtum“ zurückge-
nommen. Am 03.10.1938 konnte der Kindergarten wieder eröffnet werden. Am
15.11.1938 besuchte der Landesschulrat, begleitet von zwei Herren der Regierung,
die Schule und die Anstalt. „Er nahm Einsicht in die Geschäftsbücher und die Hef-
te der Kinder.“ Er zog über einzelne Mädchen genaue Erkundigungen ein und „ver-
schiedene ließ er dann zu sich ins Sprechzimmer rufen.“ Am nächsten Tag kamen
weitere Herren der Landesregierung ins Haus. Zwei Tage später besichtigten zwei
Damen der NSV das Haus. Am 27.01.1939 besuchten drei Persönlichkeiten vom
Reichsarbeitsdienst das Haus um festzustellen, „ob unsere Räumlichkeiten sich eig-
nen zur Einrichtung eines Arbeitsdienstlagers.“ Mehrmals nahmen Schwester Josefi-
ne Witthoff und die Schwester Oberin Regina Ostern mit verschiedenen Behörden
Gespräche auf. Am 14.04.1939 begab sich Schwester Josefine Witthoff zum Be-
zirksgericht nach Bregenz, um zu Beschwerden Stellung zu nehmen, die die Mutter
von zwei Zöglingen bei der Bezirksfürsorge vorgebracht hatte. Die Zahl der Schüle-
rinnen hatte zum Schulbeginn im Herbst 1939 erneut abgenommen. Immer wieder
wurden von unterschiedlichen Amtsträgern der Verwaltung Visiten durchgeführt.
Am 29.04.1940 besuchten der Gaukämmerer und der Landesreferent die Schwes-
tern und kündigten eine Änderung des Vertrages mit der Landesregierung an.71
Schon am nächsten Tag schrieb der Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg
Franz Hofer an die Provinzoberin in München, Alba de Ambrosis: „Das Land
nimmt nunmehr in Aussicht, dieses Mädchen-Erziehungsheim selbst zu betreiben,
weshalb der mit Ihrem Orden geschlossene Vertrag gelöst werden muss. Ich bitte
daher, das Heim bis 1. Juni 1940 zu übergeben“. Die Provinzoberin antwortete am
25.05.1940: „… teile Ihnen … mit, dass wir wunschgemäß an dem von Ihnen
festgesetzten Termin d. i. am 31. Mai 1940 die Mädchenerziehungsanstalt Viktors-
70 Vgl. SÖLL, Die Salesianer Don Boscos…, 1988, S. 85.
71 Vgl. AÖFMA-Viktorsberg.

3.3 Page 23

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 23
berg verlassen werden. Für Umziehkosten und sonstige damit verbundene Ausla-
gen, ersuche ich um eine Entschädigung in der Höhe von RM 2.000 (zweitau-
send).“ Die Provinzoberin erhöhte die Entschädigungsumme in den nächsten Ta-
gen auf 3.000 RM. Am 22.06.1940 bestätigte sie den Empfang des Betrages.72
Die Provinzialin überbrachte die Nachricht vom bevorstehenden Abschied von
Viktorsberg den Schwestern am 08.05.1940 persönlich. Als die Nachricht von der
Schließung der Anstalt im Ort bekannt wurde, löste sie
„einen Sturm der Entrüstung gegen die Urheber aus. Eine Abordnung, gebildet aus
den Vorständen der N.S. Ortsgruppe und der N.S. Frauenschaft begab sich .. zur
Kreisleitung nach Dornbirn, um ihre Unzufriedenheit über die Entfernung der
Schwestern zu erklären. Sie baten dann, die Schwestern doch in ihrem jetzigen Wir-
kungskreise zu belassen im Hinblick auf das Gute, das die Gemeinde von ihnen emp-
fing durch den Kindergarten und das Oratorium. Man versprach der Abordnung, an-
dere geeignete Kräfte für diese Werke zu senden und verabschiedete sie.“73
Die Bevölkerung bot den Schwestern dann ein kleines leerstehendes Bauern-
haus an und stattete es mit der nötigen Einrichtung aus. Schon am 24.06.1940
fingen die verbliebenen drei Schwestern dort wieder an, einen Kindergarten zu be-
treiben. Die Kinder kamen nach und nach zu den Schwestern zurück und sie be-
trieben auch wieder ein „Sonntagsoratorium“ mit Katechesen und ab dem
11.11.1940 bis zum März 1941 die Nähschule in Form von Abendkursen.
Eine neue Aufgabe übernahmen die Schwestern am 19.02.1943: Wäsche für
das Lazarett Valduna auszubessern. Im Mai 1943 wurden die Behörden auf die Tä-
tigkeiten der Schwestern in Viktorsberg erneut aufmerksam und es drohten erneut
Schließungen und Verbote. Mit Ende des Jahres 1943 enden die Aufzeichnungen
der Chronik.74
Das Fürsorgeheim war zunächst mit weltlichen Kräften weitergeführt worden,
am 02.07.1941 aber geschlossen, bzw. nach Kramsach verlegt.75
Die Don Bosco Schwestern übernahmen nach Ende der nationalsozialisti-
schen Gewaltherrschaft die Einrichtung wieder und führten sie als ein Kinderer-
holungsheim.
5.2.8. Das »Salesianum« der Salesianer Don Boscos in Wien III.
Eine kurzgefasste „Chronik des Salesianerhauses in Wien III. vom 1.1.1938 bis
1.8.1947“ hält die markantesten Daten und Ereignisse fest. Am 12.03.1938 dran-
gen bewaffnete HJ-Mitglieder und SA-Männer in die Direktion ein und erklärten
sämtliche Jugendvereinigungen für aufgelöst. Sie besetzten die vom Knaben- und
Jugendheim (Oratorium) im Hause Hagenmüllergasse genutzten Räume.76 Der
72 Vgl. AÖFMA-Viktorsberg.
73 AÖFMA-Viktorsberg.
74 Vgl. LUMER, Die Chronik…, 1995, S. 51; AÖFMA-Viktorsberg.
75 Vgl. SCHREIBER, Schule in Tirol…, 1996, S. 100.
76 Vgl. Chr-SDB.Wien III.

3.4 Page 24

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24 Franz Schmid
Spielplatz und das Jugendheim wurden vorübergehend von der Wehrmacht belegt,
sodass ein Betrieb unmöglich war.77 Trotzdem versuchten die Salesianer ihren
Willen zur Zusammenarbeit mit der HJ zu demonstrieren. Der Feldmeister der
Pfadfinderkolonne Don Bosco – ein junger Salesianer – marschierte mit einer Ha-
kenkreuzbinde am Arm mit seinen Buben in die Stadt zum Hauptquartiert der
HJ.78 Am 23.03.1938 stellte die Bundesführung der HJ fest, dass die Heime und
Vereine (Oratorium) des »Salesianum« geschlossen werden müssen und die HJ
sämtliches Inventar übernehmen darf. Das veranlasste die SDB, die Räume des Ju-
gendheimes an das Deutsche Rote Kreuz zu vermieten, die des Knabenheimes für
religiöse Zwecke einzurichten und den Theatersaal in eine Unterkirche umzugestal-
ten.79 Es erfolgte auch hier die Einsetzung eines „kommissarischen Leiters“, der je-
doch von geringer Bedeutung blieb.80 Der am 11.07.1938 eingetroffene „Erlass des
Stillhaltekommissars“ bedeutete das Ende jeglicher Jugendarbeit in verbandlicher
und offener Form.81
Am 07.09.1938 verbot der Stadtschulrat von Wien die Weiterführung des „priva-
ten Knaben-Pensionats für Mittelschüler und die Tages- und Abendheimstätten für
Knaben und Jugendliche“. Am 30.10.1938 beschlagnahmte der Reichsstatthalter
Räume und Inventar des Konvikts und wies sie dem Stadtschulrat zu. Am
18.02.1939 nahm tatsächlich ein „Staatliches Schülerheim“ des Stadtschulrates seinen
Betrieb auf. Mit Wirkung ab 15.03.1939 wurde auf unbestimmte Zeit ein Mietver-
trag über das 2. und 3. Stockwerk und den Spielhof zum Betrieb des Schülerheimes
geschlossen. Am 03.01.1940 löste die Vereinspolizei die Vereine »Mariahilf-Sodalität«
und »Salesianische Mitarbeiter« auf. Am 30.07.1940 wurde der Hof von einem
Schützenregiment mit Fahrzeugen und Feldküchen besetzt. Am 06.12.1940 wurden
das erste Stockwerk des Hauses und ein Teil einer Holzbaracke an das Deutsche Rote
Kreuz vermietet. Am 15.01.1945 wurde das Haus von Bomben getroffen und zer-
stört. Am 11.04.1945 besetzten Soldaten der Roten Armee das Haus. Am
09.07.1945 verließ das „Staatliche Schülerheim“ das Haus. Am 04.08.1945 nahm das
Oratorium die Arbeit wieder auf, am 16.09.1945 traf sich die »Mariahilf-Sodalität«
wieder und am 19.09.1945 fand eine Neugründung der Pfadfindergruppe statt.82
5.3. Salesianer Don Boscos im Militärdienst
In der Diktatur der Nationalsozialisten werden Priester und Ordensleute zum
Militärdienst herangezogen wie die übrigen Männer im Herrschaftsbereich. Außer-
dem werden Ordensgeistliche nicht als Militärseelsorger zugelassen.
77 Vgl. ALTENBURGER, Dietrich: Das „Salesianum“ in Wien, Hagenmüllergasse, wäh-
rend der NS-Zeit (1938-45). Theologische Diplomarbeit. Benediktbeuern: (Philoso-
phisch-Theologische Hochschule der Salesianer Don Boscos) 1990, S. 114.
78 Vgl. ALTENBURGER, Das „Salesianum“…, 1990, S. 117.
79 Vgl. Chr-SDB-Wien III.
80 Vgl. ALTENBURGER, Das „Salesianum“…, 1990, S. 119.
81 Vgl. ALTENBURGER, Das „Salesianum“…, 1990, S. 123.
82 Vgl. Chr-SDB-Wien III.

3.5 Page 25

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 25
Zur relativ „jungen“ Provinz der SDB in Österreich zählten eine große Anzahl
junger Männer im wehrfähigen Alter. Ein Blick in eine „einfache Statistik“ zeigt
die zahlenmäßig starke Heranziehung von Salesianern für den Kriegsdienst. Allein
das »Missionshaus« in Unterwaltersdorf zählte 45 SDB als Kriegsteilnehmer, 6 Ge-
fallene, 3 Vermisste, 3 Kriegsgefangene, 7 Austritte und 50 gefallene »Mariensöh-
ne«.83 Ein Verzeichnis von zum Militärdienst eingezogenen Salesianern aus der Erz-
diözese Wien vom 30.08.1941 nennt 45 „Theologen“ und fünf Priester.84 Der Pro-
vinzial schrieb am 19.03.1946 in einem Brief an die »Salesianischen Mitarbeiter«:
„Von 100 eingerückten Mitbrüdern (Priestern, Theologen und Laienbrüdern) ha-
ben wir 20 Tote ohne die Vermissten und körperlich Verletzten“ zu beklagen.85
Für die junge und kleine österreichische Provinz der Salesianer Don Boscos be-
deutete dieser Verlust unweigerlich eine Reduzierung ihrer Einrichtungen. Vor al-
lem die personalintensiven Einrichtungen der Jugendhilfe Innsbruck und Jagdberg
wurden nach Kriegsende von den Salesianern nicht wieder übernommen, obwohl
sie ihnen angeboten werden.86
Der Militärdienst bedeutete aber auch einen „biographischen Zeitverlust“ für die
Mitglieder und die Anwärter. Eine Reihe von den »Mariensöhnen«, die einen Ein-
tritt in die Kongregation erwogen hatten, setzten dieses Vorhaben nach dem Krieg
nicht um – teils aus Altersgründen, teils auf dem Hintergrund der persönlichen Er-
fahrungen. Dazu ist festzuhalten: In den Jahren 1938 bis 1945 verließen 51 Mitglie-
der die Kongregation. Elf erneuerten die Profess nicht wieder, 34 erbaten Dispens
von den Gelübden und sechs legten das Priesteramt nieder (Dispens vom Zölibat).87
5.4 Don Bosco Schwestern in neuen Tätigkeiten
Für die Don Bosco Schwestern bedeutete die Schließung ihrer Einrichtungen
eine existenzbedrohende Entwicklung. Sie lebten nicht nur in und mit, sondern
auch von ihren Einrichtungen – und von Spenden. Vielleicht „kämpften“ sie auch
deshalb so entschlossen für den Erhalt und den Fortbestand ihrer Einrichtungen.
Die Provinzialin erscheint in allen Chroniken als eine Koordinatorin der ständig
wechselnden Entwicklungen in ihren Einrichtungen und als eine Suchende nach
Sicherheit für ihre Schwestern. Die Schwestern, die als Erzieherinnen, Lehrerinnen
und Katechetinnen nicht weiter in ihrem Beruf tätig sein durften, waren in der
zweiten Hälfte der Kriegszeit der Gefahr ausgesetzt, in ordensfremden Einrichtun-
gen bzw. kriegsbedingten Diensten zwangsbeschäftigt zu werden. 1943 mussten
sich alle Frauen unter 60 Jahren beim Arbeitsamt melden, um sich einen Arbeits-
platz zuteilen zulassen.88
83 Vgl. SÖLL, Die Salesianer Don Boscos…, 1988, S. 85
84 Vgl. APW.
85 APW.
86 Vgl. APW-Jagdberg.
87 Vgl. APW.
88 Vgl. LUMER, Die Chronik…, 1995, S. 63

3.6 Page 26

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26 Franz Schmid
Die Entwicklung zeigte drei Tendenzen, die von den Schwestern verfolgt wur-
den: Die Übernahme von Näharbeiten für die Armee. Damit waren die Schwes-
tern dem Zugriff der Arbeitsmarktverwaltung entzogen, waren ihre Einrichtungen
nicht von weiterer Beschlagnahmung bedroht, und konnten sie mit eigener Hände
Arbeit ihr Brot verdienen. Gleichzeitig konnten sie ihr Ordensleben gemeinschaft-
lich fortsetzen. Die Beschäftigung in der Verwaltung der Ordinariate Feldkirch
und Innsbruck bot eine zweite Möglichkeit. Damit waren sie ebenfalls der Gefahr
enthoben, in „fremden“ Betrieben eingesetzt zu werden. Auch die Mitarbeit in
Hilfsdiensten von Pfarrgemeinden schließlich bot einen gewissen Schutz.
6 „Wir haben keine Jugend mehr!“
Seit die Salesianer Don Boscos 1903 in Wien und die Don Bosco Schwestern
1928 in Jagdberg ihre Arbeit in der Jugendhilfe in Österreich begannen, wuchs die
Zahl ihrer Mitglieder, ihrer Einrichtungen und der betreuten Kinder und Jugend-
lichen bis zum Jahr 1938. Mit dem »Einmarsch« Hitlers in Österreich brach die
Entwicklung nicht nur ab, sie wurde nicht nur zum Erliegen gebracht, sondern
empfindlich zurückgeworfen. Am 03.04.1942, Karfreitag, schrieb die Chronistin
der Don Bosco Schwestern in Klagenfurt den aussagekräftigen und bedeutungsvol-
len Satz nieder: „Wir haben keine Jugend mehr.“89
Zwar traf diese Feststellung nicht im vollen, wörtlichen Sinne zu, aber er drük-
kte die Situation aus, in der die Salesianer Don Boscos und die Don Bosco
Schwestern in Österreich geraten waren. Nur die Pfarren konnten eine einge-
schränkte Form kirchlicher Jugendarbeit „in der Sakristei“ fortsetzen, liturgisch
und katechetisch ausgerichtet, ohne die typisch freizeitrelevante Ausrichtung.
6.1. Die Salesianer Don Boscos
Von der Wehrpflicht konnten Welt- und Ordenspriester nur befreit werden,
wenn sie als Gemeindepfarrer – nicht als Kapläne – im Auftrag des Ortsbischofs ei-
ne selbstständige Seelsorgetätigkeit ausübten. Wie andere Ordensgemeinschaften
bemühten sich auch die Salesianer Don Boscos um die Errichtung neuer Pfarren
v.a. in Kirchen, die ihren Niederlassungen angeschlossen waren.90
Der Auflösung der Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen der Salesianer Don
Boscos nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich folgte als
wesentliche Reaktion eine Ausweitung der Pfarrseelsorge: Linz-Don Bosco 1939,
Wien III. 1939, Wien XXIII. (Inzersdorf) 1939, Linz-St. Severin 1940, Klagen-
89 AÖFMA-Klagenfurt.
90 ANGERMANN, Max: Die katholischen Privatschulen und ihr gesellschaftspolitisches
Umfeld während der Ersten Republik und zur Zeit des Anschlusses. In: „Kirche unter
dem Nationalsozialismus“. Eine Dokumentation des Symposions. Plenarvorträge und Bei-
träge der Arbeitsgruppen. Hrsg. von Ferdinand Anhell und Gerhard Hager. Wien: (Reli-
gionspädagogisches Institut der Erzdiözese Wien) 1988, S. 347-388, hier S. 380.

3.7 Page 27

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Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die pädagogischen Einrichtungen 27
furt-St. Martin 1938. Dazu kamen eine Reihe von wenig dokumentierten Über-
nahmen von Pfarren durch einzelne Priester, allein motiviert von dem Bestreben,
dem Krieg nicht mit der Waffe dienen zu müssen.
Mit diesem „Rückzug [der Salesianer] in die Sakristei“ konnten einerseits die
Seelsorgsdienste in den Gemeinden unterstützt werden, andererseits aber auch in
geringem Umfang kirchliche Jugendarbeit geleistet werden. Eine „Umorientierung
auf die Seelsorge“ wurde zur allgemeinen Strategie.91 Ministrantenarbeit, Sakra-
mentenkatechesen (Beicht-, Kommunion und Firmunterricht) waren durchaus
originäre Betätigungsfelder für Salesianer. Dazu kamen die außerschulischen Kin-
derseelsorgestunden, die im Frühjahr 1939 von den Diözesen vorgesehen wur-
den.92 In dieser Aufgabe arbeiteten die Don Bosco Schwestern mit den Salesianern
bisweilen zusammen. Eine Form kultureller Jugendarbeit, die in die Kirchen ver-
legt werden konnte, bildeten Weihe-, Evangelien- und Mysterienspiele,93 die zu
verschiedenen Anlässen des Kirchenjahres Jugendlichen Gelegenheit gaben, das
darstellende Spiel zu pflegen. In den Pfarreien von Klagenfurt und Linz wurde da-
zu eine beachtliche Tradition entwickelt.94
6.2 Die Don Bosco Schwestern
Auch für die Don Bosco Schwestern trifft die Klage „Wir haben keine Jugend
mehr“ nicht im vollen Umfang zu. In den Pfarrgemeinden Klagenfurt-St. Rup-
recht und Linz-Don Bosco, in denen sie tätig waren, hielten sie Kontakt zu einer
kleinen Schar von Mädchen, mit denen sie Gruppenarbeit pflegten und Wallfahr-
ten veranstalteten, Feste feierten, Freizeit verbrachten und Katechesen hielten.95
Eine besondere Situation war in Viktorsberg entstanden. Dort konnten die
Don Bosco Schwestern – sprichwörtlich „unter dem Schutz“ der Dorfbevölkerung
– Unterkunft, Arbeit und Auskommen finden. Ja, sie konnten sogar gegen jeden
Trend der Entwicklung einen Kindergarten betreiben – und: Jugend haben.96
6.3. Pädagogische Konzepte und erzieherische Praxis
Die pädagogischen Konzepte der Don Bosco Schwestern und der Salesianer
Don Boscos erwiesen sich zu denen der Nationalsozialisten völlig konträr, wider-
91 Vgl. ALTENBURGER, Das „Salesianum“…, 1990, S. 116.
92 Die Kinderseelsorgestunden sollten den schulischen Religionsunterricht erst unter-
stützen, ab 1942 mussten sie ihn ersetzen. 1943 nehmen in Klagenfurt-St. Ruprecht etwa
10 % der schulpflichtigen Kinder daran teil, 1944 waren es etwa 4 %. (Vgl. Chr-SDB-
Klagenfurt-St. Ruprecht).
93 P. Adolf Peninger hatte 1936 anlässlich der Direktorenkonferenz zur „Belebung der
Heimabende“ das Laienspiel in verschiedenen Varianten empfohlen: Chorisches Spiel,
Heimspiel, Bekenntnisspiel, Sagenspiel, Mysterienspiel. (Vgl. APW-DK).
94 Vgl. AÖFMA-Klagenfurt, AÖFMA-Linz und Chr-SDB-Klagenfurt-St. Ruprecht.
95 Vgl. AÖFMA-Klagenfurt.
96 Vgl. AÖFMA-Viktorsberg.

3.8 Page 28

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28 Franz Schmid
sprüchlich und unvereinbar. Die Ideologien von Herrenrasse, Nationalismus, Sozi-
aldarwinismus und Vererbungslehre standen auch in der salesianischen Konzeption
christlicher Anthropologie, christlicher Nächstenliebe und kirchlicher Erziehungs-
praxis gegensätzlich zu einander. Die Machthaber bezwangen die – nahezu – ohn-
mächtig Gemachten. Die Machthaber trauten den Don Bosco Schwestern und Sa-
lesianern nicht zu, dass sie nach ihren Vorstellungen Erziehungsarbeit leisten könn-
ten. Das konnten und wollten sie auch nicht.