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NOTE
DIE HEILIGSPRECHUNG DON BOSCOS -
FOLGENREICH FÜR DEUTSCHE SALESIANER
UNTER DEM NATIONALSOZIALISMUS
Johannes Wielgoß *
Abkürzungen:
KJMV
NS
NSDAP
SS
VO
Katholischer Jungmännerverband
Nationalsozialismus
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
Schutz-Staffel
Verordnung
„Das Echo von St. Peter.“ Unter diesem Titel berichteten in fünf aufei-
nander folgenden Ausgaben die deutschen „Salesianischen Nachrichten“ im 40.
und 41. Jahrgang mit zum Teil sehr ausführlichen Beiträgen über Feiern in Deut-
schland, die in der Folge auf die Heiligsprechung Don Boscos an Ostern 1934
stattfanden.1 Ein treffender Titel, da er unmittelbare Auswirkungen der Heilig-
sprechung Don Boscos auf die deutsche salesianische Familie insbesondere und
eine von Rom ausgehende Botschaft allgemeiner Art an das katholische Deut-
schland signalisierte, die mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. Auch
die stattliche Festschrift, die im Jahr der Heiligsprechung von den Salesianern
herausgebracht wurde, belegt diese Begeisterung.2 Papst Pius XI. hatte den
Termin der Heiligsprechung mit den Feierlichkeiten zum Ende des Heiligen
Jahres 1933/1934 auf den Ostersonntag 1934 festgesetzt. Dieser Papst, der als
junger Priester im Jahr 1883 des Werk Don Boscos in Turin kennen gelernt
* Salesianer Don Boscos, Oberstudienrat i.R. (Kath. Religion, Geschichte, Politik) am
Don-Bosco-Gymnasium in Essen-Borbeck (Deutschland).
1 Salesianische Nachrichten, 40. Jahrgang 1934: S. 61-66; S. 84-88; 41. Jahrgang 1935:
S. 13-15; S. 22-25; S. 39.
2 Festschrift anläßlich der Heiligsprechung des seligen Don Bosco am Ostersonntag
1934 in der St. Peterskirche zu Rom. Herausgegeben von der deutschen Salesianerprovinz
im Jahre der Heiligsprechung.

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146 Johannes Wielgoß
hatte, nannte sich selbst einen „begeisterten Bewunderer Don Boscos“. In seiner
Ansprache zur Heiligsprechung betonte er: „Im Laufe dieses Heiligen Jahres
durften wir zahlreichen Personen, Männern wie Frauen, die Ehre der Heiligspre-
chung zuerkennen. Den Höhepunkt dieser denkwürdigen Feierlichkeit soll nun
die Heiligsprechung Don Boscos bilden.“ 3
Unter der für damalige Verhältnisse mit weit über 200.000 Gläubigen sehr
hohen Zahl, die an der Heiligsprechung teilnahm, befand sich mit mehr als 4.000
Gläubigen eine ebenfalls stattliche Gruppe deutscher Katholiken, wenn man be-
denkt, dass im Jahr 1934 an 16 Orten salesianische Niederlassungen bestanden.
Die Arbeit der Salesianer und Don-Bosco-Schwestern hatten ebenso wie ihre Pu-
blikationen den neuen Heiligen der Kirche in Deutschland populär gemacht.4
Die Rompilger kehrten mit einem reichen Schatz an Erlebnissen vom Zentrum
der katholischen Christenheit zurück in das nationalsozialistische Deutschland,
in ihre kirchen- und glaubensfeindliche Heimat. Nach siebzig Jahren geht dieser
Aufsatz dem „Echo von St. Peter“ und seinen Auswirkungen unter Berücksichti-
gung der besonderen historisch – politischen Lage im nationalsozialistischen
Deutschland nach.
1. Kennzeichnung der Lage der katholischen Kirche in Deutschland 1934/1936
Im Jahr der Heiligsprechung Don Boscos stand die katholische Kirche in
Deutschland unter erheblichem und ständig zunehmendem Druck durch die
NSDAP und den Staat, kirchenpolitisch relevante Aktionen und Entscheidungen
des nationalsozialistischen Staates sollen hier kurz umrissen werden, soweit
sie die Heiligsprechung Don Boscos, die sich daraus entwickelnde Zunahme
der Verehrung des Heiligen im Kirchenvolk und das Selbstverständnis der
salesianischen Familie berührt haben.
Zwar war am 20. Juli 1933 im Vatikan das Reichskonkordat unterzeichnet
und am 1. September ratifiziert worden, ein Vertrag, von dem sich der Katho-
lizismus im kirchenfeindlichen NS-Staat einen gewissen Schutz versprach.5
3 Ebd., S. 7. Die deutsche Übersetzung der Predigt des Papstes stammt von P. Leo
Schlegel O. Cist.
Grundlegend zur Heiligsprechung Don Boscos: Stella, Pietro, Don Bosco nella storia
della religiosita` cattolica. Band III: La canonizzazione (1888-1934), LAS – Roma 1988.
4 Zur Geschichte der Salesianer in Deutschland vgl.: Söll, Georg, Die Salesianer Don
Boscos (SDB) im deutschen Sprachraum 1888-1988. Rückblick zum 100. Todestag des hei-
ligen Johannes Bosco (31. Januar 1988), des Gründers der „Gesellschaft des heiligen Franz
von Sales.“ München 1989. Zur Geschichte erster salesianischer Niederlassungen im Deut-
schen Reich sowie zur Rezeption der Ideen Don Boscos im deutschen Sprachraum siehe die
neueren Forschungen von: Wolff, Norbert, Viele Wege führen nach Deutschland. Überle-
gungen zur salesianischen Geschichte der Jahre 1883-1922. München 2000.
5 Text des Konkordates in: ASS 1933 (Bd. 25, Nr. 14, S. 389 ff).

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 147
Sicherte es doch der Kirche im Artikel 1 die Freiheit des Bekenntnisses, die
öffentliche Ausübung der Religion und Autonomie der Kirche zu. Der NS-Staat
aber stand auf dem Fundament des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933,
das der Regierung Hitlers die Grundlage zur Etablierung einer Willkürherrschaft
bot. Deutschland war im Zustand einer verfassungsmäßigen Rechtsunsicherheit.
Wenngleich der Kirche in diesem Vertragswerk der Bestand für Orden und
Kongregationen, für die katholischen Verbände, für die Bekenntnisschule und
das Elternrecht zugesichert wurde, verfolgte der Staat mit allen Mitteln eines
totalitären Systems die Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens. Für die
in dieser Untersuchung aufgeworfene Fragestellung ist von Bedeutung, dass es
nicht mehr zum Erlass von Ausführungsbestimmungen zum Artikel 31 des
Reichskonkordates kam, der den katholischen Verbänden Schutz zusicherte:
„Diejenigen katholischen Organisationen und Verbände, die ausschließlich reli-
giösen, rein kulturellen und karitativen Zwecken dienen und als solche der kirch-
lichen Behörde unterstellt sind, werden in ihren Einrichtungen und in ihrer Tätig-
keit geschützt.“ Ferner setzten die parteiamtlichen Stellen und die Regierung zu
einem Weltanschauungskampf an mit dem Ziel, die Erziehung der Jugend für
sich allein in Anspruch zu nehmen. Dazu dienten die Gleichschaltungspläne, in
deren Konsequenz die Überführung der katholischen Verbände in nationalsoziali-
stische Organisationen liegen sollte. Viele repressive Aktionen wie der Druck auf
Beamte, die sich in katholischen Verbänden engagierten oder ihre Kinder nicht
der Staatsjugend anvertrauen wollten, oder wie die Tatsache, dass Arbeits- und-
Ausbildungsplätze für Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen reser-
viert wurden, hatten Mitglieder der Kirche zu bestehen. Die Geheime Staatspo-
lizei wurde zum Organ der Überwachung und häufig auch zur Vollstreckerin von
Disziplinierungsmaßnahmen bis hin zu langjährigen Freiheitsentzügen in Kon-
zentrationslagern. Am 10. Januar 1934 verfügte das Geheime Staatspolizeiamt in
Berlin eine umfassende Zielangabe für die nationalsozialistische Jugenderzie-
hung: „Die Totalität der nationalsozialistischen Staatsidee und das Führerprinzip
verlangen vor allem eine folgerichtige Anwendung auf die Jugenderziehung. Die
am wenigsten verträgt eine innerlich unwahre Ziellösung. In religiöser Hinsicht
findet die Hitler-Jugend genügende Ergänzung ihrer Arbeit in der Erziehung
durch Schule und Elternhaus. Die Einflusssphäre der christlichen Konfessionen
weiter zu erstrecken besteht kein Anlass.“6
An Deutlichkeit läßt diese Kampfansage an die Kirche nichts offen. Und
ganz unmittelbar äußert sie sich zu einem Feld, das die salesianischen Gemein-
schaften sich von ihrem Auftrag und Selbstverständnis her als Hauptaufgabe
gestellt hatten.
6 Schellenberger, Barbara, Katholische Jugend und Drittes Reich. Mainz 1975. S. 64,
Anm. 266. (Schellenberger).

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148 Johannes Wielgoß
2. Die Feiern im Spiegel kirchlicher und jugendverbandlicher Presse
Unter diesen politischen Bedingungen organisierten salesianische Gemein-
schaften an den Orten ihrer Präsenz sowie Mitarbeiter und Verehrer des neuen
Heiligen nach ihren Möglichkeiten Heiligsprechungsfeiern. Aus fast allen sale-
sianischen Niederlassungen liegen Eintragungen in Chroniken mit Programmab-
läufen und Presseberichte mit Angaben von Rednern und ihren Themen vor.
Auch Fotos sind vorhanden. Insgesamt lassen diese Quellen den Rückschluss
auf glanzvolle kirchliche Ereignisse zu, deren Bedeutung durch die Anwesenheit
von Vertretern aus dem Episkopat unterstrichen wurde.
Exemplarisch für den Ablauf der Mehrzahl der Feiern an Orten salesiani-
scher Präsenz soll die in der Kreisstadt Amberg in Kooperation mit dem Novi-
ziat der Salesianer in Ensdorf stattgefundene Feier vorgestellt werden. Die festli-
chen Tage begannen am Montag, den 7. Mai 1934 und den beiden folgenden
Tagen mit einem Triduum für Erwachsene in der Stadtpfarrkirche St. Martin.
Prediger war der Kapuzinerpater Dionys (Heinrich Habersbrunner, 1872-1940),
Domprediger in Passau. Für die Jugendlichen wurde in der Stadtpfarrkirche St.
Georg ein Triduum gehalten, das der Salesianer Heinrich Kremer (1888-1956)
predigte. Am 10. Mai 1934, dem Himmelfahrtstag, waren die Katholiken zur
Generalkommunion morgens um 6.30 Uhr in eine der drei Pfarrkirchen der Stadt
eingeladen. Um 8.30 Uhr folgte eine Pontifikalamt, das im Programm mit dem
Regensburger Diözesanbischof Dr. Michael Buchberger angekündigt war. Dieser
war jedoch erkrankt, der Abt Emmeram Gilg des Klosters Weltenburg vertrat
ihn. Die Festpredigt hielt Stadtpfarrer Joseph Scherm (1890-1943). Die Vesper
in St. Martin folgte um 14.00 Uhr, Abt Emmeram stand ihr vor. Für 15.00
Uhr war in der Stadthalle ein „Festakt zu Ehren des neuen Heiligen Johannes
Bosco mit dem Weihespiel ‚Don Boscos Segen‘ angesetzt.“ Die Festansprache
hielt Studienrat Alfred Schön. Musikalisch umrahmt wurde die Feier vom
Cäcilienverein Amberg, von der Reichswehrkapelle Amberg und dem Chor der
Salesianernovizen.
Vergleichbar strukturierte öffentliche Veranstaltungen gab es in Burghausen
(29. April 1934), in München (10. – 13. Mai 1934), in Benediktbeuern (23. – 27.
Mai 1934), in Memmingen mit den Salesianern aus Buxhein (2. Juni 1934), auf
dem Helenenberg (6. und 7. Juni 1934 und eine Jugendkundgebung am 16. Sep-
tember 1934), in Würzburg (7. – 10. Juni 1934), in Bamberg (24. Juni 1934), in
Marienhausen (28. Juni – 1. Juli 1934), in Essen (25. – 28. Oktober 1934) und in
Regensburg (31. Januar 1935). Als Prediger der Triduen oder im Festgottesdienst
hatten die Salesianer in Bamberg und Regensburg den bekannten Jesuiten Pater
Ludwig Esch (1883-1956) gewonnen, den Mitbegründer und Bundesführer des
Bundes Neudeutschland. In Essen sprach im Rahmen einer Jugendkundgebung
der Kölner Diözesanpräses und Generalsekretär des KJMV Jakob Clemens
(1890-1963). Der Festredner auf der Abendveranstaltung im Städtischen Saalbau

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 149
war der im Ruhrgebiet populäre Mülheimer Pfarrer Johannes Heinrichsbauer
(1888-1956). In Bayern war der oben erwähnte Kapuzinerpater Dionys bekannt,
er hielt in München das Triduum und die Festpredigt.
Don-Bosco-Feiern im Jahre 1934, die nicht auf die Initiative der Salesianer
zurückgingen, fanden im Reichsgebiet in Aschaffenburg, in Düsseldorf, in Frei-
sing, in Limburg, in Mürlenbach (Eifel), in Passau, in Stuttgart und in Trier statt.
Auch der Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning würdigte während einer Glau-
benskundgebung katholischer Jugendlicher in seinem Bistum die Gestalt des
neuen Jugendheiligen Don Bosco. Die Liste der aufgeführten Orte ist vermutlich
nicht vollständig. Genaue Zahlenangaben über die teilnehmende Bevölkerung
geben die Quellen nicht her, ganz sicher haben aber 100.000 überwiegend jüngere
Menschen den Feierlichkeiten beigewohnt. Die Bildquellen zeigen übervolle Kir-
chen, Festsäle und Plätze. Predigten oder Redemanuskripte liegen nicht mehr vor.
Aus den kirchlichen und salesianischen Presseberichten kann geschlossen
werden, dass die Hörerschaft enthusiastische Predigten und Vorträge über den
neuen Heiligen vernahm. So urteilte Josef Heeb über die Predigt des Pater Dionys
während des Pontifikalamtes in der Kirche St. Michael in München: „Der Pre-
diger verstand es, den Heiligen so packend, anschaulich und zeitgemäß unter das
Volk zu stellen, daß jeder seine Pflicht und Aufgabe in Don Bosco vorgelebt
sah.“7 Über das Triduum in Bamberg, gehalten von Pater Ludwig Esch, schrieben
die „Salesianischen Nachrichten“: Esch bezeichnete Don Bosco, „den Jugendapo-
stel als den modernen Heiligen, der uns den Weg weist in der Größe seiner Idee,
die ihn beherrschte, in der Treue im Alltag und in der Bewährung im Leiden. Tag
für Tag standen die Katholiken Bambergs unter der Kanzel des bewährten Predi-
gers in der St.-Martinuskirche. Machtvoll wuchs vor den Zuhörern die überra-
gende Gestalt Don Boscos empor und entflammte zu begeisterter Huldigung
und Nachahmung. Don Bosco eroberte die Herzen für Christus den König.“ 8
Die Theologische Hochschule der Salesianer Don Boscos in Benedikt-
beuern hatte als Festredner den Benediktiner und Münchener Studentenseel-
sorger Dr. Hugo Lang (1892-1967) gewonnen. Seine Rede erschien im Druck
und blieb erhalten.9 Schon die Begriffe im Titel seiner Ausführungen signali-
sieren den Stil seiner Zeit: „Genie, Heroismus und Heiligkeit.“ Hugo Lang
würdigte den neuen Heiligen als eine charismatische Persönlichkeit, die der
Kirche und den Menschen von der göttlichen Vorsehung geschenkt sei.
Obwohl es vom Thema wie von den Auseinandersetzungen zwischen
Kirche und Nationalsozialismus her nahe lag, auf eine konkrete Frage wie die
7 Salesianische Nachrichten 1934, S. 62.
8 ebd. S. 87.
9 Lang OSB, Hugo, P. Dr., Genie, Heroismus und Heiligkeit, Festrede zur Heiligspre-
chungsfeier des heiligen Johannes Bosco am 27. Mai 1934 im Kloster zu Benediktbeuern.
Selbstverlag der Theologischen Hochschule der Salesianer. München 1934.

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150 Johannes Wielgoß
der umstrittenen Jugenderziehung einzugehen, scheinen die Prediger diese
Konfrontation vermieden zu haben. Es ist kein Fall bekannt geworden, dass ein
Geistlicher, der zur Heiligsprechung Don Boscos gepredigt hat, sich vor der
Staatspolizei verantworten mußte.
Dieser Teil der Berichte über die Heiligsprechungsfeiern in Deutschland –
„Das Echo von St. Peter“ – dokumentiert einen Höhepunkt in der jungen deut-
schen Salesianergeschichte. Er zeigt von allen Orten salesianischer Präsenz, dass
der deutsche Anteil der Österreichisch-Deutschen Provinz in der deutschen
Kirche seit 1916 zu einer festen Größe herangewachsen war. Allein an der Tat-
sache, dass zehn Vertreter des Episkopates an den örtlichen Feierlichkeiten teil-
genommen und in der Regel auch das Wort ergriffen haben, wird der hohe Grad
der Reputation für die Salesianer ablesbar. Dieses Vertrauen hatten sie sich
erworben durch die Übernahme von kirchlichen Erziehungseinrichtungen, die in
eine Krise geraten waren, durch Neugründungen mit einem starken Akzent in
der offenen und verbandlichen Jugendarbeit, die auf Bitte von Ordinariaten ent-
standen waren. So gehörten die Jugendheime in Bamberg, in Essen-Borbeck, in
Regensburg und in Würzburg schon bald zu den am stärksten frequentierten
ihrer Stadt. Auf den Altenberger Präsides-Kursen des Katholischen Jungmänner-
Verbandes fehlten die Salesianer nicht. Im Protokoll der Direktorenkonferenz
vom 9. – 10. Juni 1931 in Benediktbeuern steht der Hinweis: „Ein Priester darf
nicht in Pfadfinder-Kleidung gehen.“ 10 Ordensobere und Bischöfe haben diese
situativen Verzichte auf die klerikale Kleidung des Priesters streng gemaßregelt,
der Historiker liest den Hinweis heute auch als Zeugnis für die Anwesenheit
avantgardistischen Denkens in der Jugendseelsorge der Salesianer. Der Name
„Don Bosco“ stand bei der jungen Generation für eine avantgardistische Jugend-
pastoral, die Person des neuen Heiligen wurde ein Bild für jugendlichen Elan in
der Kirche. Ein Spiegelbild der Popularität dieses Heiligen sind zahlreiche Wür-
digungen der Person und ihrer Bedeutung, die neben den Berichterstattungen
über örtliche Heiligsprechungsfeierlichkeiten in den Tageszeitungen erschienen,
soweit diese nicht der nationalsozialistischen Presse zuzuordnen sind.11
Die eingangs erwähnte, von Papst Pius XI. herbeigeführte Verbindung der
Heiligsprechung Don Boscos mit der Abschlussfeier des Heiligen Jahres hat ein
besonderes „Echo von St. Peter“ in die katholischen Jugendverbände Deutsch-
lands hinein fortgepflanzt. Es begann am Osterfest 1934, zu dem auch 200 Mit-
10 Provinzarchiv der SDB, Köln, Akte Helenberg: „Korrespondenz mit dem Provin-
zialat“, 1925 ff.
11 Als Beispiele seien genannt: Peter Dörfler, Don Bosco, der Heilige, in: Germania
(Berlin), 8. April 1934. Es handelt sich um Auszüge aus einem gleichnamigen Beitrag des
Autors in der April-Nummer der Monatszeitschrift „Hochland“.
Dr. Maria Faßbinder, Don Bosco als Erzieher, in: Westfalia, Beilage zur Tremonia (Dort-
mund), 1. April 1934. Zu dieser Kategorie der Veröffentlichungen über Don Bosco zählt auch:
Peter Dörfler, Don Bosco und die Jugend, in: Junge Front, Nr. 13, 1. April 1934.

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 151
glieder des Bundes Neudeutschland und 100 Mitglieder der Sturmschar sowie
Vertreter der Verbandszentrale des Katholischen Jungmännerverbandes in Düs-
seldorf nach Rom gepilgert waren. Sie hatten die Heiligsprechungsfeier mit er-
lebt und wurden am Osterdienstagabend vom Papst in Privataudienz empfangen.
Am Ende überreichte er ihnen eine Medaille des neuen Heiligen Don Bosco. Der
deutsche Jesuit Pater Friedrich Vorspel (1895-1970), ein Augenzeuge der Feiern
in Rom und Mitglied des Führungsringes der Katholischen Jugend Kölns,
schrieb in der „Jungen Front“: „Sein (des Papstes) Mund verkündet aller Welt
und Zeit den neuen Heiligen: Don Bosco, den Vater der Jugend, den Freund der
Armen. Auf den Altären steht ein neuer, mächtiger Fürsprecher, vor unserer Zeit
bedeutungsvoll die Gestalt dieses heiligen Führers. Italien ehrt in ihm einen Na-
tionalheiligen, auf dem Capitol wird man ihn morgen zum Ehrenbürger Roms
ernennen, ihn, der noch vor wenigen Jahrzehnten dort den Kirchenhaß am Werk
gesehen.“ 12 In diesen Zeilen wird unschwer die versteckte Kritik an den staatli-
chen Repressalien gegenüber der kirchlichen Jugendarbeit erkennbar. Entgegen
dem faschistischen Führerkult wird Don Bosco als die wahre Leitfigur für die
Jugend vorgestellt. Deutlichere Worte fand Johannes Maaßen, Hauptschriftleiter
der „Jungen Front“, in einem Grußwort an den von lebensbedrohender Krank-
heit genesenden und an die Zentrale in Düsseldorf zurück gekehrten General-
präses Ludwig Wolker, die er in der Monatszeitschrift „Die Wacht“ veröffent-
lichte 13: „Tragen Sie in einer Zeit, die der Gefahr wachsender Entfernung von
den gesetzten Autoritäten ausgesetzt ist, und die zunächst gegen unsere geistli-
chen Führer rebelliert, um dann vielleicht nirgendwo mehr Halt zu finden –
tragen Sie in solcher Zeit Sorge, daß unsere Liebe zu Papst, Bischöfen und Prie-
stern bleibt und reifer wird; zugleich aber auch unsere Liebe und die Bereitschaft
zur Unterordnung unter eine Obrigkeit, die gottgesetzt ist. Und gerade darum
sich verpflichtet weiß, den Geboten Gottes gemäß zu handeln und zu befehlen.
Bewahren Sie in Zusammenarbeit mit Bischöfen und Papst den Erziehungsauf-
trag, den die Kirche von ihrem göttlichen Meister erhalten hat und den sie seit
diesen Tagen an niemanden abgetreten kann, wenn sie sich nicht selbst untreu
werden will.“ (…) „Der Auftrag, den die Kirche zur Erziehung der Völker emp-
fangen hat, ist wirklich und wahrhaftig größer und positiv christlicher, als es der
antiliberale Anstrich uns wahrmachen möchte, der heute feilgeboten wird von
solchen, die dazu am wenigsten berufen sind.“ Dann erinnert Maaßen den Gene-
ralpräses „an unseren großen Jugendheiligen“ Don Bosco, den er als ein zeit-
gemäßes Leitbild priesterlicher Tätigkeit unter der Jugend herausstellte, weil
dieser in einem liberalen, kirchenfeindlichen Staat ein Werk zum Wohle Italiens
und für die Kirche aufgebaut habe. Maaßen führt den Ausspruch Don Boscos an:
„Meine Politik ist die des Vaterunsers!“ und fährt dann fort: „Welch ein hero-
12 Junge Front, 22. April 1934.
13 Dir die Treue, General, in: Die Wacht, Juli 1934, S. 4-5.

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152 Johannes Wielgoß
ischer Stolz, welch ein königliches Priestertum lebt in solchen Worten! Und
solche Worte haben heute wieder einen ganzen und guten Klang unter uns, weil
sie die Worte eines totalen Christen sind.“ 14
Auch die „Germania“ hatte in einer eigenen Meldung den originären Er-
ziehungsauftrag der Kirche betont, den der Papst in seiner Homilie zur Heilig-
sprechung „neuerdings und in überaus eindrücklicher Weise“ herausgestellt
habe: „Don Bosco ging darauf aus, die jungen Menschen zu Bürgern und zu
Christen heranzubilden, zu vollkommenen Bürgern und würdigen Söhnen des
irdischen Vaterlandes, aber auch zu pflicht-eifrigen Christen, die es verdienen,
eines Tages in die himmlische Heimat einzugehen.“ 15
Diese wenigen Beispiele mögen ausreichen, um eine Vorstellung von der
Art der kritischen Untertöne zu gewinnen, die mit dem Ereignis der Heiligspre-
chung unter die verbandlich organisierte katholische Jugend und die katholische
Bevölkerung getragen wurde. Vor dem Hintergrund der zunächst mehr juridi-
schen Auseinandersetzung zwischen dem Anspruch des sich mehr und mehr to-
talitär etablierenden Staates und der auf die im Reichskonkordat festgelegten
Abmachungen pochende Kirche blieb der Ton der Kritik doch recht moderat.
Die mit der Überwachung betraute Geheime Staatspolizei schenkte ihm kaum
Beachtung. Ein offener Protest des katholischen Kirchenvolkes gegen den zu-
nehmenden Druck des Staates auf das katholische Leben ist in der starken Betei-
ligung an den öffentlichen Kundgebungen, Wallfahrten und Prozessionen im
Jahre 1934 zu sehen. Die Gründe waren der Geheimen Staatspolizei geläufig:
Die katholische Bevölkerung nehme die staatlichen Maßnahmen gegen die
Kirche nicht hin und zeige nun, „dass man nach wie vor zur katholischen Kirche
steht.“ 16 Die „Kölnische Volkszeitung“ schloß ihren Bericht über die Heilig-
sprechungsfeier in Essen mit dem Satz: „An den Heiligen Vater und den Erzbi-
schof von Köln wurden Huldigungs- und Treuegelöbnisse gesandt.“ 17
Diese allerorts stattfindenden Großveranstaltungen weisen einen demon-
strativen Charakter auf und zeigen innerkirchlich im Umgang mit dem National-
sozialismus das Misstrauen gegenüber den Vereinbarungen des Reichskonkor-
dates an, an ihnen wird der Wechsel von „juridischen Positionen“ zum
„Bekenntnis als Basis des Widerstandes“ ablesbar.18
Exemplarisch sei hier eine Publikation des Zentralkomitees der Generalver-
sammlungen der deutschen Katholiken angeführt, die im Januar 1935 erschien
und viele Veranstaltungen des Jahres 1934 als „Ersatz“ für die Versammlungen
14 Alle Zitate: ebd., S. 5.
15 Germania (Berlin), 6. April 1934.
16 Zitat in: von Hehl, Ulrich, Das Kirchenvolk im Dritte Reich, S. 102, in: Klaus Gotto,
Konrad Repgen (Hg.), Die Katholiken und das Dritte Reich, Mainz 1990.
17 Kölnische Volkszeitung, Dienstag, 30. Oktober 1934.
18 Vgl. Gotto, Klaus, Die Wochenzeitung Junge Front/ Michael, Mainz 1970. S. 127.

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 153
des abgesagten Katholikentages dokumentierte. 19 Schon im einleitenden Wort
wird auf den öffentlichen Bekenntnischarakter der Berichte über Großveranstal-
tungen verwiesen: „Glaubensfahrt ist ja mehr als Wallfahrt, als Wanderung zu
heiligen Stätten, sie ist B e k e n n t n i s zum katholischen Glauben. Und auf
dem Kundtun, dem Bekenntnis liegt der Nachdruck, kein Bekenntnis, das sich
einschließen will in Kirche oder Haus, sondern ein Bekenntnis, das hinausdrängt
ins weite Land. Selbst wo in Kirchen und Domen Glaubenskundgebungen statt-
fanden, da ging es hinaus zu Lichterprozessionen, zu spontanen Kundgebungen
auf Straßen und Märkten. Glaubensfahrten und Glaubenskundgebungen machen
Menschen, die wie neuerwacht sind in ihrem Glauben, die ein großes innerliches
Erlebnis hinausjubeln wollen, die den Drang spüren, aller Welt offen zu zeigen,
was sie von ihrer Religion halten.“ 20 Diese Schrift enthält auch einen Bericht
über die Heiligsprechungsfeier der salesianischen Niederlassung in Buxheim, die
sie in den größeren Ort Memmingen verlegt hatte.21 Der Bischof von Augsburg,
Dr. Joseph Kumpfmüller, zelebrierte ein Pontifikalamt, nach dieser liturgischen
Feier kam es in der Öffentlichkeit zu einem spontanen Akt des Bekenntnisses,
der sich überall dort herausgebildet hatte, wo Vertreter des Episkopates an diesen
Veranstaltungen teilnahmen: „Die Jugend war auffallend stark vertreten, wurde ja
heute ihr Patron und Führer gefeiert. Nach dem Amte konnte die Jugend ihre Be-
geisterung nicht mehr zurückhalten. Vor der Kirche erwartete sie mit ihren Ban-
nern den Diözesanbischof und legte spontan und freudig vor dem Bischof das
Gelöbnis der Treue zu Kirche, Papst und Bischof ab. Unter den frohen Weisen
der Strophe:, Heil’gem Kampf sind wir geweiht‘ fuhr der Hochwürdigste Herr
durch das Spalier der ihm zujubelnden Jugend.“ 22
Diese Bezeugungen der Treue zu Papst und Bischöfen, verbunden mit
Aufmärschen, Liedern, „Treu-Heil“-Rufen und Sprechchören gab es zu den Hei-
ligsprechungsfeiern in Amberg (Ensdorf), Bamberg, Memmingen (Buxheim),
München, Regensburg und Würzburg. In der Regel waren an diesen Treuekund-
gebungen junge Salesianerpriester als Präsides von Jugendverbänden und Kle-
riker mit Musikgruppen unmittelbar beteiligt. Insofern gleicht der äußere Ablauf
den Veranstaltungen, die unter den Bezeichnungen Glaubensfahrten, Wallfahrten
oder zum Teil auch als Prozessionen stattfanden.
Die Heiligsprechungsfeiern in Deutschland stellten den Gläubigen mit Don
Bosco eine konkrete Person, ein Leitbild für die Treue zu Kirche und Papst vor
Augen. Das Bekenntnis macht den Anspruch des NS-Staates auf ein absolutes
Recht an der Jugenderziehung als unhaltbare Anmaßung öffentlich.
19 Glaubenstage und Glaubenswallfahrten 1934. Hrsg. vom Zentralkomitee der General-
versammlungen der deutschen Katholiken. Paderborn 1935.
20 ebd. S. 7.
21 ebd. Don Bosco-Feier in Memmingen, ebd. S. 120-122.
22 ebd. S. 120.

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154 Johannes Wielgoß
3. Nationalsozialistische Reaktionen auf die Heiligsprechung Don Boscos
In der deutschen Presse wurde das Ereignis der Heiligsprechung vereinzelt
auch von nationalsozialistischen Parteiorganen wahrgenommen. Die Essener
„National-Zeitung“ berichtete sachlich über den Ablauf der Großveranstaltung
für die Jugend und den Festakt im Saalbau am Abend des Christ-Königs-Festes
1934.23 Das Blatt bediente seine Leserschaft regelmäßig mit Nachrichten aus
dem kirchlichen Leben. Neben dieser Sachlichkeit sind aber auch zynische und
antiklerikale Untertöne festzustellen. So berichtete das Blatt in seiner Osteraus-
gabe unter der Überschrift „Römische Ostern 1934“ von den Rekordbesuchen
während des Heiligen Jahres in St. Peter und zugleich von den Faschisten-
verbänden, die zuerst in die Ausstellung der faschistischen Revolution eilen. Es
fährt dann fort: „Mit einem gewaltigen Schlußakkord, der Heiligsprechung Don
Boscos, schließt das Anno Santo am Osterfest. Danach wird die Heilige Pforte
wieder vermauert, die Pilgerkomitees stellen ihre Tätigkeit ein und der Papst
und sein Hofstaat, die Kardinäle und die Priester ruhen von den anstrengenden
Monaten aus, von den Segnungen und Empfängen, von Ansprachen, Andachten
und feierlichen Messen. Das Anno Decimo, das in der Revolutions-Ausstellung
noch bis heute weiterlebt, erreicht am 21. April seinen Abschluß.“ 24
Die Verschachtelung der Meldung vom Abschluss des Heiligen Jahres mit
der faschistischen Revolutionsausstellung und den nun erschöpften Klerikern
geben die römischen kirchlichen Feierlichkeiten der Lächerlichkeit preis.
Die weitaus schrilleren Töne zu den Heiligsprechungsfeiern in Deutschland
konnten die Zeitgenossen zunächst nicht wahrnehmen, wenn sie nicht aufmerk-
same Augenzeugen mancher Veranstaltungen waren.
Folgende Vorgänge während der Feier zur Heiligsprechung in Essen
erschienen nicht in der Presse, sondern blieben in den Akten der Geheimen
Staatspolizei: Am 31. Oktober 1934 richtete die Geheime Staatspolizeistelle
Düsseldorf einen Schnellbrief Bericht über die Heiligsprechungsfeier Don
Boscos in Essen-Borbeck an das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin.25
Die beiden Beamten, die die Jugendkundgebung überwachten, stellten Ver-
stöße gegen polizeiliche Verordnungen fest. So hatten Jugendgruppen von Neu-
deutschland in größerer Zahl durch das Tragen einer einheitlichen Kluft (weißes
Hemd, kurze dunkle Hose, Leibriemen) gegen die Anordnung über die Betäti-
23 National-Zeitung, Nr. 299, 30. Oktober 1934.
24 National-Zeitung, Ostern 1934. Zu „Decimo Anno“: Benito Mussolini hatte 1922
seine Bewegung zu einer Partei formen können und erreichte seine Ernennung zum Minister-
präsidenten in Italien. Seither regierte er als „Duce“ und konnte seine Macht nach der Einglie-
derung der Nationalisten in seine Partei (1923) mit einem großen Wahlsieg 1924 untermauern.
Die Ausstellung in Rom feierte das zehnte Jahr seit der „Machtergreifung“ des „Duce“.
25 Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 403, Nr. 16847.

2 Pages 11-20

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2.1 Page 11

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 155
gung konfessioneller Jugendvereine vom 28. Mai 1934 gehandelt.26 Die Perso-
nalien der verantwortlichen Gruppenführer wurden festgestellt und Anzeige
gegen sie erstattet. Auf der Straße und auf dem Platz verkauften Jugendliche
Programme der Veranstaltung, Postkarten mit den Fotos des Generalpräses
Ludwig Wolker und des Reichleiters der D.J.K. Adalbert Probst sowie die Wo-
chenzeitung „Die junge Front.“ 27 Adalbert Probst war ein Opfer der Mordaktion
der Nationalsozialisten vom 30. Juni 1934 geworden, nach der Version der
NSDAP war er im Zuge der Niederschlagung des sogenannten „Röhm-Putsches“
auf der Flucht erschossen worden. Den Jugendlichen der katholischen Verbände
wurde er zu einer Identifikationsfigur für ihren Protest gegen die Maßnahmen
des Staates, die die Existenz der katholischen Verbände bedrohten. „Die junge
Front“ wurde lokal von ehrenamtlichen Jugendlichen, den sogenannten „Front-
posten“, zum Kauf angeboten. Auch dies verstieß gegen die staatspolizeiliche
Anordnung vom 28. Mai 1934.
Diese Anordnung ließ jedoch ausdrücklich zu, dass kirchlich geweihte
Fahnen in Prozessionen mitgeführt werden durften. Als aber die Hitler-Jugend
sich anschickte, Fahnen der Prozessionsteilnehmer zu beschlagnahmen, kam es
zu Tumulten. Ein Überfallkommando der Polizei rückte an, brauchte aber nicht
mehr einzugreifen, da sich die Angehörigen der Hitler-Jugend entfernt hatten.
Die abendliche Veranstaltung im Saalbau wurde ebenfalls überwacht. Der
Kriminalbeamte der Politischen Inspektion in Essen vermerkte in seinem Be-
richt: Der Festredner „schilderte Don Bosco als Pädagogen, der besonders für die
Jugend in der heutigen Zeit maßgebend sei, weil er den jungen Menschen mit
Leib und Seele erfasse. Die ganze Veranstaltung zeigte deutlich die Sorge und
den Einsatz der katholischen Kirche für ihre Jugend, die sie gefährdet sieht.“ 28
Auch die Festlichkeiten in der Bischofsstadt Bamberg standen im scharfen
Gegenwind der Nationalsozialisten. Schon am 19. September 1933 hatte die
Bayrische Politische Polizei den katholischen Organisationen jegliche Betäti-
gung untersagt. Das in den „Salesianischen Nachrichten“ 29 als so glanzvoll ver-
laufenes mehrtägiges Fest dargestellt bestand aus einem Triduum und Ponti-
fikalämtern des Bamberger Erzbischofs Dr. Jakobus von Hauck und des Salesia-
ners Eugen Mederlet, Erzbischof von Madras (Indien),30 es waren also gottes-
26 Siehe den vollen Wortlaut der regionalen Staatspolizeilichen Anordnungen, in:
Schellenberger, a.a. O., S. 184-188.
27 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, RW 58, 6716, Bl. 4.
28 Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 403, Nr. 16847.
29 Salesianische Nachrichten, 1934, S. 87 f. Siehe auch: Stricker, Stephan, Katholische
Jugendarbeit in Bamberg 1933-1939, Diplomarbeit zur Erlangung des Diploms der Theologie
der Fakultät Katholische Theologie der Universität Bamberg. 1982, S. 64-66.
30 Zu Mederlet siehe: Wolff, Norbert, Entre la France et l’Allemagne, l’Italie et la
Belgique, la Suisse et l’Inde. Notes sur vie d’Eugene Mederlet (1867-1934), in RSS, 37 (2000),
S. 345-369.

2.2 Page 12

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156 Johannes Wielgoß
dienstliche Feiern in Kirchenräumen. Als treibende Kraft hinter diesem Fest
wird P. Oswald Krause (1914-1968) erkennbar, der in Bamberg Bezirkspräses
der katholischen Jugendvereine war und sich wegen lautstarker Treuebekennt-
nisse jugendlicher Katholiken zu ihrem Bischof vor der Geheimen Staatspolizei
verantworten musste. Offensichtlich hatten die Salesianer versucht, öffentliche
Versammlungen durchzuführen, die verboten wurden. Auch eine daraufhin bean-
tragte Veranstaltung mit dem Bamberger Landgerichtspräsidenten Dr. Krapp als
Redner wurde nicht zugelassen. Hinter diesen Verboten stand der äußerst rigo-
rose Stadtkommissar Dr. Witt.31 Warum die Bamberger Salesianer Dr. Lorenz
Krapp zum Redner einer öffentlichen Veranstaltung ausgewählt hatten, bleibt
wohl im Dunkeln. Er war nämlich am 1. August 1933 zwangspensioniert
worden, „weil er eine herausragende Bedeutung im fränkischen Katholizismus
besessen hatte.“ Das „Bamberger Volksblatt“ hatte kolportiert, daß Dr. Krapp
wegen gesundheitlicher Probleme ausgeschieden sei.32 Waren die Salesianer
dieser öffentlichen Irreführung erlegen oder wussten sie um die tatsächlichen
Hintergründe? Wenn der zweite Fall angenommen werden darf, wird ein Urteil
des Regierungspräsidenten über die Bamberger Salesianer bestätigt, der formu-
liert hatte: „Die Patres und Kleriker des Canisiusheimes standen seit Jahren in
scharfem Gegensatz zum nationalsozialistischen Staat.“ 33 Auch in der Bam-
berger Feier werden Spuren eines Protestes gegen den Anspruch des Staates
erkennbar.
Eine Ausnahme und ein Kuriosum bedeutet wohl die Tatsache, dass an der
Jugendkundgebung in Amberg eine Formation der Hitler-Jugend mit Fahne teil-
nahm und in der Festversammlung auch Vertreter der NSDAP-Kreisleitung
saßen. Es muss mit den örtlichen Verhältnissen erklärt werden, dass diese
Gruppen geduldet wurden. Das Münchener Haus hatte zu seinem Festakt den
bayrischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert eingeladen, er ließ sich jedoch
entschuldigen.
Die Person Don Boscos als Leitbild und Führer der katholischen Jugend
trug im Rahmen einer Pilgerfahrt katholischer Jugendlicher (Georgspfadfinder,
Neudeutschland und Sturmschar) an Ostern 1935 zu einer von der Geheimen
Staatspolizei planmäßig angelegten schikanösen Behandlung der Teilnehmer bei.
Auf der Rückfahrt wurden die 60 Omnibusse an den deutsch-schweizerischen
Grenzstationen von Zollbeamten, SS-Männern und Angehörigen der Geheimen
Staatspolizei durchsucht. Es kam zu stundenlangen Verhören und zur Beschlag-
nahmung von Musikinstrumenten, Fahrtenhemden, Rosenkränzen, Andenken
31 Zu Dr. Witt vgl.: Thomas Breuer, Verordneter Wandel? Der Widerstreit zwischen
nationalsozialistischem Herrschaftsanspruch und traditionaler Lebenswelt im Erzbistum
Bamberg. Mainz 1992, S. 210. (Breuer).
32 Vgl. Breuer, S. 349 f.
33 Breuer, S. 155.

2.3 Page 13

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 157
und den Don-Bosco-Medaillen, die der Papst jedem Jugendlichen in der Audienz
am Ostermontag geschenkt hatte. Die Medaillen konnten mit je 35 Pfennig Zoll
eingelöst werden.34
Die Geheime Staatspolizei machte um einen der kleinsten Gegenstände im
Reisegepäck der Jugendlichen ein so großes Aufheben, weil das Bild des neuen
Heiligen in die katholische Jugend als eine Führergestalt hineingetragen wurde,
die für Treue zu Kirche und Papst stand. Die nationalsozialistische Propaganda
erkannte in diesem Bekenntnis zu Rom eine Bestätigung des alten Kulturkampf-
vorwurfs der nationalen Unzuverlässigkeit der Katholiken. Das auf der Medaille
eingeprägte Bild Don Boscos stand außerdem in Konkurrenz zur staatlichen Pro-
paganda, die mit der nationalsozialistischen Führerideologie den Totalitätsan-
spruch der Bewegung Adolf Hiltlers zu manifestieren versuchte.
Ein Beispiel aus der Schulungsarbeit der NSDAP und der Deutschen Ar-
beitsfront belegt den Anspruch des nationalsozialistischen Führertums, das sich
bis ins Pseudo-Religiöse und in einen Kult hinein bewegt. In einer Publikation
des Reichsschulungsamtes ließ sich ein Kurt Jeserich folgendermaßen aus: „Die
blutroten Banner der jungen Nation haben Abschied genommen vom Grabmal
von Tannenberg, und in diesen Tagen nun huldigen sie auf dem Reichstag zu
Nürnberg dem Einen. Dem Führer.“ Diese Zeit ab 1933 werde als „Wende und
Markstein“ in die Weltgeschichte eingehen, das könne aber nur gelingen, „wenn
wir unverzagt in Treue und Gehorsam dem Einen dienen, der uns glauben lehrte,
dem, der uns die Fahne gab.“ 35
Die gleiche Sprache und gleiche Bilder begegnen auch in katholischen Pu-
blikationen, daraus lässt sich jedoch nicht auf eine verwandte Geisteshaltung
schließen. Der hier zur Diskussion stehende Begriff des Führers kann diesen
Nachweis erbringen.
Von dem nationalsozialistischen Führerbild, das den blinden Gehorsam
einfordert, setzt sich deutlich das „Leitbild der Führerschaft“ ab, das sich im
Katholischen Jungmännerverband entwickelt hatte. Paul Hastenteufel hat dieses
Leitbild eines Führers herausgestellt als ein personales Erziehungsprinzip,
das heißt, dass die Selbständigkeit des Individuums geachtet und geschützt ist,
dass vor allem seine Gewissensfreiheit gewahrt bleibt. Der einzelne lebt einen
34 Vgl. Denkschrift Wolkers, Altenberg, August 1935, in: Stasiewski, Bernhard, Akten
deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, II: 1934-1935. Mainz 1976. S. 234-254
35 Der Schulungsbrief. Hrsg. vom Reichsschulungsamt der NSDAP und Deutschen Ar-
beitsfront. 1. Jahrgang, September 1934, Nr. 7. Sonderheft zum Reichsparteitag 1934, S. 4. In
der sogenannten „Schlacht bei Tannenberg“ hatte die 8. Deutsche Armee unter Führung von
Hindenburg und Ludendorff Ende August 1914 die russische Narew-Armee besiegt. Zur Erin-
nerung an diese Schlacht wurde 1927 inmitten der Gräber der Gefallenen das Denkmal der
Schlacht bei Tannenberg, das sogenannte „Reichsehrenmal“ errichtet. A. Hitler hatte aus pro-
pagandistischen Gründen den am 2. August 1934 verstorbenen Reichspräsidenten von Hinden-
burg im Denkmal beisetzen lassen. Der Reichsparteitag im September 1934 war der erste, auf
dem A. Hitler mit dem neuen Titel „Führer und Reichskanzler“ auftrat.

2.4 Page 14

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158 Johannes Wielgoß
„erleuchteten Gehorsam des mündigen Christen“ (Johannes Maaßen). Die Auto-
rität eines Führers leitet sich aus dem ab, was er ist, nicht allein aus seinem
Agieren in der Öffentlichkeit.36 Wenn in der Folge seiner Heiligsprechung Don
Bosco als ein Führer der Jugend in Ansprachen und Publikationen herausgestellt
wurde, steht dieser Begriff keineswegs in der Nähe zum Führerbild des Natio-
nalsozialismus.
Allerdings stufte der nationalsozialistische Staat den Umgang mit diesem
Begriff in der Kirche anders ein. Das belegt ein Sonderbericht des Chefs des
Reichssicherheitshauptamtes zum Thema „Zersetzung der nationalsozialisti-
schen Grundwerte im deutschsprachigen Schrifttum seit 1933.“ 37 Der Bericht
stellte einleitend und zusammenfassend zur Situation fest, „daß die festen, un-
verrückbaren Grundwerte der nationalsozialistischen Weltanschauung: Füh-
rertum, Gefolgschaft, Rasse, Volk, Gemeinschaft, Nationalismus, Sozialismus,
Deutschtum (…) in einem geradezu erstaunlichen Prozeß der Umdeutung, Sinn-
verfälschung, Zerredung und Zersetzung hineingerissen worden sind; in einem
Ausmaß, daß dieser Vorgang im ganzen gesehen als ein Angriff auf die national-
sozialistische Weltanschauung bezeichnet werden muß.“ 38 Unabhängig, aber im
Sinne dieses Berichtes waren schon vorher örtliche Überwachungsorgane gegen
katholische Publikationen tätig geworden. So gab der Monatsbericht der Polizei-
direktion in München für den Juli 1935 an, dass u.a. der „Don-Bosco-Kalender
für das Jahr des Heils 1936“ beschlagnahmt sei. Von den 55.000 Exemplaren
seien 50.000 sichergestellt worden. Zur Begründung dieser Aktion wurde ange-
geben, dass der „Kalender wegen zahlreicher Angriffe auf den Staat in Wort und
Bild und wegen des wiederholt verwendeten mißbräuchlichen Ausdrucks ‘Der
Führer’ auf Grund § 7 der VO vom 04.02.1933 polizeilich beschlagnahmt und
eingezogen sei.“ 39 Es liegen keine Details zur Beanstandung des Kalenders vor.
Der Begriff „Führer“ tritt in zwei poetischen Texten von jungen Salesianern je
einmal auf („Führer der Jugend“ und „Machtvoller Führer im Sturm der Zeit“),
eine Beschreibung mit Fotodokumenten des Turiner Don-Bosco-Denkmals aus
der Feder des jungen Salesianers Karl Mindera (1906-1973) enthält den Begriff
„Bubenführer“. Diese Beschlagnahmung des Kalenders war ein erster, in der ge-
samten Provinz spürbarer Schlag gegen die Arbeit der Salesianer, weil er finan-
36 Vgl. Paul Hastenteufel, Selbstand und Widerstand. Wege und Umwege personaler
Jugendseelsorge im 20. Jahrhundert. Freiburg 1967, S. 278-280.
37 Siehe Boberach, Heinz (Bearb.), Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen
und Kirchenvolk in Deutschland 1934-1944. Mainz 1971, S. 195-223. Hier zum Führerbegriff:
S. 212-218.
38 Ebd., S. 195-196.
39 Vgl. Witetschek, Helmut, Die kirchliche Lage in Bayern nach den Regierungspräsi-
dentenberichten 1933-1943, I: Regierungsbezirk Oberbayern. Mainz 1966. S. 85 f. Es handelt
sich um die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes. § 7 besagt,
dass „Druckschriften, deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu
gefährden, polizeilich beschlagnahmt und eingezogen werden können.“

2.5 Page 15

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 159
zielle Einbußen durch rückgängiges Spendenaufkommen zur Folge hatte. Über
Reaktionen der Salesianer ist nichts bekannt, wenn man von der Tatsache ab-
sieht, daß der Regensburger Direktor P. Konrad Reuß (1891-1961) sich die Ein-
ziehung des einzigen in seinem Hause befindlichen Exemplars vom Polizei-
beamten quittieren ließ.40
Wenn man einer Aussage des Organs der antireligiösen „Deutschen Glau-
bensbewegung“ trauen darf, dann in dem Punkte, dass die Verehrung des neuen
Heiligen Don Bosco in den Jahren 1934/ 35 sich so entwickelt hatte, dass es in
einem Pamphlet aus dem Jahre 1936 von einem „Don-Bosco-Kult“ sprach.41
Der Artikel polemisiert in der Hauptsache gegen eine Schrift, die P. Dr. Johannes
Lechermann (1879-1948) aus dem Italienischen übertragen hat: „Das innerliche
Leben des heiligen Johannes Bosco“ (1934).42 Er geht von der Beobachtung
aus, daß man in der katholischen Jugend bemüht sei, im Gegensatz zum „zeit-
gemäßen“ Führerbild einen „Gegen“ – Führer aufzubauen: „Es ist der vor ei-
niger Zeit heilig gesprochene italienische Priester Don Bosco, den man mangels
eines lebenden Vorbildes, an dem es gerade der Romkirche unserer Zeit fehlt,
überall in Jugendschriften und Jugendzeitschriften, in Jugendvorträgen, in den
Exerzitien usw., preist und es wagt, ihn als den einzig wahren Führer der Jugend
darzustellen. Es ist an der Zeit, daß wir uns mit diesem Treiben einmal gründlich
auseinandersetzen, denn Don Bosco ist wirklich nicht der erste Beste unter
unzähligen Heiligen, zu deren Nachfolge die Romkirche aufruft.
Vielmehr ist dieses der Jugend vorgehaltene Vorbild nicht bloß eine sittliche
Gefahr, sondern eine glatte Herausforderung an das völkische Deutschland.“ 43
Schließlich kommt der „Durchbruch“ zu dem Fazit, dass die Propagierung
der Gestalt Don Boscos im deutschen Volk viel „Überfremdungsschutt einer art-
feindlichen romanisch-orientalischen Gefühls- und Vorstellungswelt auf junge
deutsche Seelen“ häufe.44
Mit der Deutschen Glaubensbewegung äußerte sich zwar keine Gliederung
der NSDAP oder eine Institution des NS-Staates, ihre irrationale Argumen-
tationsweise deckte sich aber mit der Rassenideologie des Nationalsozialismus.
Sie förderte das von Partei und Staat propagierte Führerverständnis und
versuchte, das mit der Gestalt Don Boscos für die Jugenderziehung gewonnene
Leitbild zu deklassieren und zu zerstören.
40 Hauschronik Regensburg.
41 Don Bosco oder deutsches Gutsein, in: Beiblatt zum „Durchbruch“, Wochenschrift
der Deutschen Glaubensbewegung, hrsg. von J.W. Hauer, Folge 26 vom 25.VI. 1936. Die deut-
sche Glaubensbewegung war eine konfessionell ungebundene Gemeinschaft, die eine religiöse
Erneuerung aus dem „Urgrund des Volkes“ anstrebte.
42 Der „Durchbruch“ zitiert den Titel falsch mit: „Das innerliche Leben des seligen
Bosco (1935)“; ebenfalls falsch ist, dass er Lechermann als Autor nennt.
43 Siehe Anm. 41.
44 Siehe Anm. 41.

2.6 Page 16

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160 Johannes Wielgoß
4. Auswirkungen der Heiligsprechung auf junge Salesianer in Deutschland
So wie die Wallfahrten, Glaubenskundgebungen und Bekenntnistage im
Kirchenvolk ein Ventil waren, um in eindrucksvollen öffentlichen Veranstal-
tungen Unmut über die Kirchenpolitik des Staates zu äußern, so wirkte die Hei-
ligsprechung in die deutsche Provinz hinein wie ein Funke, der in den Gemein-
schaften ein Feuer der Begeisterung entfachte und dem geistlichen Leben der
Mitbrüder neue Impulse schenkte. Im Stile der Zeit fanden sie Schlagworte, die
ihnen Kurzformeln zur Verehrung ihres Gründers und zur Umsetzung seines
Erziehungsprogramms boten. Sie haben ihre Ausformulierung gefunden in der
Gestaltung der Feierstunden mit Theater- und Musikstücken, mit Hymnen und
Sprechchören. Bis in die Nachkriegszeit hatten sie konkurrenzlos Bestand. Dazu
gehören zum Beispiel die Don-Bosco-Lieder im „Singebuch für Kirche und
Feier“,45 das in Benediktbeuern entstanden war, und das Schauspiel „Mit Don
Bosco in die Sonne“ von Ludwig Hugin.
Die Zeit ist über einen großen Teil dieser Werke hinweggegangen, unter
den betroffenen Personen, in der Mehrzahl junge Salesianer, die ihre Kreativität
und ihr Engagement eingebracht hatten, stärkten sie die Aufbruchstimmung und
den Grad der Identifikation mit einer vitalen jungen Gemeinschaft der Kirche,
deren Ideale in der Jugenderziehung und –bildung gerade gegen die Übergriffe
eines kirchenfeindlichen Staates behauptet werden mussten. Zugeschrieben aber
haben sie diese Feindschaft weniger dem konkreten Staat, sondern eher einer
anonymen Glaubens- und Gottlosen-Bewegung.
Das Tagebuch einer Gruppe in der Essener Spätberufenen-Schule („Ma-
riensöhne“) gewährt einen Einblick in das Denken der jungen Männer und das
Spektrum der Themen ihrer Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit. Diese
Gruppe junger Männer – um die zwanzig Jahre alt – hatte sich 1934 als „Don-
Bosco-Gruppe“ konstituiert. Sie waren noch keine Salesianer, wurden aber von
einem jungen Salesianer betreut und legten fast alle noch vor dem Krieg die
erste Profess ab. Das Tagebuch enthält die Protokolle ihrer Gruppenstunden
zwischen 1934 und 1936.46 Mehrfach sprach ein Salesianer über Don Bosco zur
Gruppe. Die Niederschriften im Protokoll spiegeln Enthusiasmus wider und
zeigen, wie stark die Gestalt Don Boscos im Denken dieses Ordensnachwuchses
in die Welt der Schlagworte des KJMV zur Selbstbehauptung gegen die Hitler-
Jugend eingerückt war. „Die Trommel ruft! Schart euch um Don Bosco!“ lautet
die Überschrift zum ersten Gruppenabend. Der Geist Don Boscos sei auch der
Geist der katholischen Jugend in Deutschland. Er gehe den Weg der Jugend vo-
raus und zeige neu das Ziel auf, das der KJMV jedem einzelnen mit der Prokla-
45 Singebuch für Kirche und Feier. Als Manuskript gedruckt. München 1938.
46 Archiv des St. Johannesstiftes Essen-Borbeck.

2.7 Page 17

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 161
mation des Fuldaer Bekenntnisses gewiesen habe.47 Ein anderer Abend stand
unter dem Motto: „Don Bosco, unser Führer.“ Ein Gruppenmitglied erzählte
„über die katholische Jugend, die junge Kirche, die sich Don Bosco selbst zum
Führer wählte, zum Patron, da sie in ihm die Ideale verkörpert fand, die ein
junger Katholik in dieser Zeit der Anfeindungen benötigt, die uns gleichsam
schützen gegen einen Geist des Blutes und der Rasse.“ 48
Zum Programm der Gruppe gehörten nach ihrem Beschluss vor den Som-
merferien ständige Berichte über die aktuellen Gegensätze zwischen Hitler-Ju-
gend und katholischer Jugend und die Analyse einer Rede des Reichsjugendfüh-
rers Baldur von Schirach am 11. März 1934 auf dem Burgplatz in Essen ebenso
wie Gespräche über die Lage der katholischen Kirche in Deutschland. Einge-
streut finden sich immer wieder kurze Bemerkungen, die hinweisen auf Don
Bosco, für die Gruppe ein Führer durch schwierige Zeiten.
Das Protokollbuch endet mit dem 3. September 1936 und folgendem Ein-
trag: „Das Buch wurde zu einer Zeit beendet, da katholische Priester und
Jungführer in Gefängnissen saßen und für die Wahrheit litten.“ Hintergrund
dieses Satzes ist ein Schlag der Geheimen Staatspolizei gegen den KJMV im
Rheinland und in Westfalen. Am 6. Februar 1936 wurde der Generalpräses
Ludwig Wolker verhaftet, mit ihm noch neun Priester sowie 48 maßgebliche
Laien und Jugendliche des Verbandes. Es ging um den Vorwurf geplanter hoch-
verräterischer Zusammenarbeit zwischen katholischer Jugend und illegaler kom-
munistischer Gruppen, in der der Kaplan und Mitarbeiter im Jugendhaus Düssel-
dorf, Dr. Joseph Rossaint, eine Schlüsselrolle gespielt haben soll.49 Der Eintrag
in das Protokollbuch steht für die Solidarität des Ordensnachwuchses mit dem
Protest katholischer Jugend gegen die Repressalien staatlicher und parteiamtli-
cher Organe. In diesen Aufzeichnungen hat sich der starke Behauptungswille der
jugendlichen Salesianergeneration – eingebettet in den gleichen Willen der ka-
tholischen Jugendverbände – gegenüber der staatlichen Vereinnahmung aller an-
deren Erziehungsträger niedergeschlagen. Die Heiligsprechung Don Boscos an
sich sowie die Rezeption dieses neuen Heiligen in der katholischen Jugend gab
der Ordensjugend eine positive Bestärkung und dadurch auch eine Bestätigung
47 Es handelt sich um die auf dem Fuldaer Verbandstag 1924 verabschiedete Präambel
zum Grundgesetz des Verbandes. Es bestand aus zehn Leitsätzen, dem Stil der Zeit entspre-
chend mit hohem Pathos formuliert, zu Volk und Staat, Arbeit und Beruf, Elternschaft und
Familie. Diese Leitsätze gaben dem einzelnen Orientierung zur Selbsterziehung und zur
Übernahme sozialer Verantwortung und boten ihm Hilfen zur Reflexion seines Lebens. Der
Text befindet sich in: Hastenfeld, Paul, Katholische Jugend in ihrer Zeit, Band II: 1919-1932.
Bamberg 1989, S.364.
48 Wie Anmerkung. 46.
49 Vgl. zu diesen Vorgängen: Wielgoß, Johannes, Dr. Joseph Rossaint – Jugendseel-
sorger, sozialer Anwalt und Friedenskämpfer unter dem Nationalsozialismus, in: Berichte
und Beiträge, Nr. 36, hrsg. v. Bistum Essen. Dezernat für gesellschaftliche und weltkirchliche
Aufgaben, Essen 1999, S. 20-48.

2.8 Page 18

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162 Johannes Wielgoß
ihrer Ideale. Eine Anpassung an den neuen Staat blieb außerhalb jeglicher Vor-
stellungen dieser Generation.
5. Verhallte das „Echo von St. Peter“ ?
Die Heiligsprechung Don Boscos mit den nachfolgenden lokalen Feiern
traf in Deutschland in die erste Phase der Auseinandersetzung zwischen katho-
lischer Kirche und Staat, die geprägt war durch einen Weltanschauungskampf,
es ging um den Anspruch von Wahrheit und Irrtum. Dieses Gefecht war einer
realistischen Sicht der Salesianer auf das Verbrecherische des Regimes nicht
unbedingt förderlich, aber es dürfte für sie identitätsstiftend gewirkt haben. Am
1. Dezember 1936 erklärte ein Gesetz die Hitler-Jugend zur Staatsjugend, die
katholischen Jugendverbände verloren ihr Lebensrecht, die Zusicherungen des
Konkordates waren von Anfang an Makulatur, in den folgenden beiden Jahren
wurden alle Gliederungen der Jugendverbände verboten, mit der Zerstörung des
Lebens der Verbände versank auch weitgehend der neue Heilige Don Bosco. De-
visen- und Sittlichkeitsprozesse,50 Verhöre, Verhaftungen und Predigtverbote be-
unruhigten und verunsicherten die Kommunitäten der Salesianer. Schließlich
schränkten Beschlagnahmungen, Enteignungen und Aufenthaltsverbote die
Tätigkeit der Kongregation stark ein. Jüngere Mitbrüder waren betroffen von der
Verpflichtung zum Reichsarbeitsdienst und zum Wehrdienst. Mit dem Ausbruch
des Krieges wurden viele eingezogen, das bedeutete für sie den Abbruch des
Studiums und deshalb einen tiefen Einschnitt in ihre persönliche Lebensplanung,
ihr Lebensideal war in Frage gestellt. Dem verheißungsvollen Aufwärtstrend
der deutschen Salesianer-Provinz folgte durch die politischen Verhältnisse ein
Zustand, der ihre Existenz bedrohte. Doch gerade in dieser Zeit trug das „Echo
von St. Peter“ zur Bewältigung der Zeitumstände bei.
Im Kriegsjahr 1941 hatte P. Dr. Theodor Seelbach (1883-1958) das Amt
des Provinzials übernommen. Seine erste Sorge galt durch alle Kriegsjahre den
zum Militärdienst einberufenen Mitbrüdern. Er versuchte mit ihnen über persön-
liche Briefe und Rundbriefe Kontakt zu halten. Weit über 1.000 Antworten aus
der Kommunikation des Provinzials mit seinen Salesianern im Heeresdienst sind
erhalten geblieben und geben als Konvolut ein Zeugnis von der Lebendigkeit der
Ideale salesianischer Gemeinschaft unter den jungen Salesianern.51 Sie erzählen,
50 Vgl. Hockerts, Hans-Günter, Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensan-
gehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik
und zum Kirchenkampf. Mainz 1971.
51 Provinzarchiv Köln, Nachlaß Seelbach, Briefe I-IV (Briefe). Siehe auch: Wielgoß,
Johannes, „Man steht so allein in dieser Umgebung.“ Briefe junger Salesianer aus dem 2.
Weltkrieg, in: Ordenskorrespondenz. Zeitschrift für Fragen des Ordenslebens, 35. Jahrgang
1994, S. 173-191.

2.9 Page 19

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Die Heiligsprechung Don Boscos - Folgenreich … Nationalsozialismus 163
wie die jungen Ordensangehörigen mit ihrer durch den Krieg total veränderten
Lebenssituation umgingen, wie sie persönlich das in ihren Lebensentwurf einge-
brochene Ereignis des Krieges bewerteten, beurteilten, bestanden, wie der Krieg
sich auf ihre Persönlichkeit auswirkte und was der Krieg bei diesen Menschen
angerichtet hat.
Ein Mitbruder hatte einen Genesungsurlaub genutzt, um wieder einmal in
einer Kommunität leben zu können. Er teilte seinem Provinzial von der Front aus
dieses Treuebekenntnis zu Don Bosco mit: „Es war für mich notwendig, wieder
ein lebendiges Bild unserer Don-Bosco-Familie zu sehen und in mich aufzu-
nehmen. Das helle Bewußtsein, ein Jünger Don Boscos zu sein, ging immer
mehr verloren, der Hauptakzent lag auf dem ‘Wirklich-Christ-sein’. Wenn auch
beides die Hauptstrecke des Weges miteinander geht, so muß ich doch das
Wissen um die große Familie und ihre Anliegen haben und Don Bosco muß le-
bendig vor mir stehen in meinem Alltag, beim Kämpfen um dieses Christsein.“ 52
Häufig findet sich ein Ausdruck des Verlangens nach baldiger Fortsetzung
ihres eigentlichen Berufungsweges: „Wir, Ihre Soldatenmitbrüder, für die Sie so
viel Liebe und Verständnis zeigen, begleiten all Ihre Arbeit und Mühen mit den
besten Wünschen. Hoffen wir doch, am Ende des Krieges wieder zurückkehren
zu können in unsere Häuser, um unser Berufsziel zu vollenden.“ 53
Ein anderer berichtet von seiner Verwundung und fährt dann fort: „Ich
glaube, ich bin kein guter Soldat. An militärischen Dingen habe ich keine rechte
Freude mehr. In Gedanken bin ich oft bei unserer sal. Familie und sehne den
Tag herbei, an dem ich wieder in den Kreis gleichgesinnter Mitbrüder
zurückkehren darf.“ 54
Gelegentlich bezogen sie auch die politischen Verhältnisse mit in ihre per-
sönliche Situation ein: Über die Gegenwart hinaus gingen ihre Gedanken auch
in eine nach menschlichem Ermessen dunkle, ungewisse Zukunft, die wohl sehr
schwer werden wird. „Man fragt sich nur, wie soll all das noch enden?“ 55 „Wir
werden vergeblich auf die augenscheinliche Verwirklichung des Reiches Gottes
im öffentlichen Leben warten,“ 56 so drückt einer seine Resignation vor dem
Weihnachtsfest 1944 aus. Schon in Briefen aus der frühen Phase des Krieges
wird die Besorgnis laut, wie sich das herrschende Regime nach dem Ende des
Krieges gegenüber der Kirche verhalten wird: Vielleicht habe die Erfahrung des
Krieges den Sinn, sich „auch als Priester zu bewähren und uns vorzubereiten auf
eine Zeit, in der wir selber mit dem Herrn im Mittelpunkt eines gewaltigen gei-
stigen Kampfes stehen. Und dieser vielleicht gar nicht mehr fernen Zeit sollen
52 Briefe I, 111 (27. Mai 1944).
53 Briefe III, 4 (15. Mai 1942).
54 Briefe III, 129 (12. Mai 1942).
55 Briefe IV, 137 (24. September 1944).
56 Briefe IV, 263 (13. Dezember 1944).

2.10 Page 20

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164 Johannes Wielgoß
wir unser Augenmerk schenken. Ich tue jetzt als Soldat in allem meine Pflicht,
und doch muß ich immer wieder daran denken: Was wird nach dem Kriege
sein?“ 57 Mancher Ordensangehörige durchlebte die Gefahren dieses Krieges in
der klaren Erkenntnis, daß er wegen seines christlichen Bekenntnisses und seiner
Lebensform nach der herrschenden Weltanschauung immer ein Feind des Staates
bleiben werde, für den er als Soldat im Felde stand.
Schon in einer relativ frühen Phase des Krieges erzählte ein Theologiestu-
dent von dem Bruch in seiner Biographie, dem Lebensabschnitt der unmittel-
baren Vergangenheit einerseits, in dem ein hoher Idealismus aufgebaut war, und
der als sinnlos erfahrenen Gegenwart andererseits: „…aber das Empfinden und
die Lust und die Liebe zu allem schwinden. Durch den Krieg wird einem so
vieles geraubt, dessen Folgen man augenblicklich nicht zu übersehen vermag.
Am wenigsten kann ich mich vertraut machen mit dem Gedanken, daß ich mein
Ziel schwer oder am Ende überhaupt nicht mehr erreiche. Und wenn man be-
denkt, daß das Kriegsende unabsehbar ist, so verliert man den Mut, sich zu dem
früheren Idealismus aufzuschwingen. Auf alles darf man verzichten. Und des
öfteren frage ich mich: warum dieses alles?“ 58
Wenige Monate später schrieb der gleiche Mitbruder: „Wäre nur der Krieg
bald beendet! Man sehnt sich bald einmal wieder nach seinem alten Beruf. Das
Leben ist so inhaltslos.“ 59
Die wenigen Beispiele belegen, dass die Ordensprovinz, die salesianische
Gemeinschaft die Heimat der im Heer als Soldaten dienenden Salesianer ge-
blieben war. Zwar hatten die harte Wirklichkeit des Krieges und die andauernden
Übergriffe des Staates auf den Bestand mehrerer Niederlassungen viele
Mitbrüder zu einer realistischeren Sicht ihrer Lebensperspektiven geführt, doch
das „Echo von St. Peter“ war bei ihnen auch in diesen Jahren nicht gestorben.
Im Gegenteil, es trug dazu bei, über den Tag hinaus das harte Los des Krieges
und der persönlichen Anfeindungen zu bewältigen und sich die Hoffnung auf
eine Wende der Zeit zu bewahren.
57 Briefe III, 325 (22. April 1942).
58 Briefe I, 107 (11. Februar 1942).
59 Briefe I, 108 (26. Oktober 1942).