GO Brief AGC 416 Berufung und Bildung

1. BRIEF DES GENERALOBERN



BERUFUNG UND BILDUNG: Gabe und Aufgabe

Jesus selbst rief seine Apostel, die er bei sich haben und aussenden wollte, das Evangelium zu verkünden (vgl. Mk 3,14)…

Er ruft auch uns, in der Kirche den Plan unseres Gründers als Apostel der Jugendlichen zu verwirklichen.

Das Bemühen um eine angemessene und ständige Ausbildung ist unsere Antwort auf diesen Anruf. Der Herr gibt uns jeden Tag seine Gnade dazu.“ (Konst. 96)





  1. DIE FESTIGKEIT UND TREUE IN DER BERUFUNG, HERAUSFOPRDERUNGEN DER BILDUNG. 1.1 Die Motivationen. - 1.2 Anthropologische Gelegenheiten und Herausforderungen. Authentizität – Freiheit – Geschichtlichkeit – Erfahrung – Menschliche Beziehungen und Gefühlsleben – Postmodernität – Vielfalt der Kulturen – Verzicht – Treue.

  2. BERUFUNG UND BILDUNG, GABE UND AUFGABE. 2.1 Berufung: Die Gnade als Ursprung. – Das Leben als Berufung. Das Leben, Wort Gottes. – Das Leben als Gott geschuldete Antwort. – Die Berufung als Lebensaufgabe. Die Berufung, Sendung im Dialog. – Die Sendung, Grund und Haus der Bildung. 2.2 Bildung: die Gnade als Aufgabe. – Charismatische Identität und Berufungsidentifikation. Zielsetzungen der Bildung. – 1. Gesandt zu den Jugendlichen: Christus, dem Guten Hirten, gleichförmig werden. – 2. Als Brüder einer gemeinsamen Sendung: aus dem gemeinschaftlichen Leben einen Ort und ein Ziel der Bildung machen. – 3. Von Gott geweiht: die Radikalität des Evangeliums zu bezeugen. – 4. Berufung und Sendung miteinander teilen: apostolische Gemeinschaften im Geist Don Boscos animieren. – 5. Im Herzen der Kirche: die Kirche, Sakrament des Heils, aufbauen. – 6. Offen gegenüber der Wirklichkeit: das Charisma inkulturieren. – Die Methodik der Ausbildung: 1. Die Person in der Tiefe erreichen. – 2. Zu einer einheitlichen Ausbildungserfahrung animieren. - 3. Das formative Umfeld und die Mitverantwortung aller sicherstellen. – 4. Der täglichen Erfahrung formative Qualität vermitteln. - 5. Die formative Begleitung qualifizieren. – 6. Der Unterscheidung Aufmerksamkeit schenken. 2.3 Bildung: absolute Priorität. Schlussgebet.

Rom, am 31. März 2013,

dem Hochfest der Auferstehung des Herrn


Liebe Mitbrüder!

Seit langem hatte ich den Wunsch, meine Reflexion über das Thema der Berufung und der Bildung1 mit Euch zu teilen. Heute kann ich es endlich mit diesem Brief tun, dem die Absicht zugrunde liegt, die Schönheit und die Anforderungen unserer Berufung und Bildung und zugleich die aktuelle Situation der psychologischen Brüchigkeit, der Unbeständigkeit der Berufungen und des ethischen Relativismus zu beleuchten, die sich in der Kongregation fast überall bemerkbar machen. Diese Situation zeigt deutlich die fehlende Wertschätzung der Bedeutung der Berufung und der unersetzbaren Rolle auf, die die Ausbildung für die Überprüfung der Eignung der Kandidaten, für die Festigung der ersten Berufungsentscheidungen und vor allem für die fortschreitende Gleichgestaltung mit dem gehorsamen, armen und keuschen Christus auf den Spuren Don Boscos hat.

Die hohe Zahl von Austritten ist wahrlich besorgniserregend, seien es die Austritte von zeitlichen Professen während der Zeit oder am Ende der zeitlichen Gelübde, die Austritte von ewigen Professen oder die Austritte von Priestern, die die Säkularisation erbitten, um sich in Diözesen inkardinieren zu lassen, oder die den Antrag auf Dispens vom priesterlichen Zölibat und dem priesterlichen Dienst stellen oder die leider entlassen werden müssen.

Es ist wahr, dass die Kongregation als solche und insbesondere der Generalrat für die Ausbildung eine beachtliche Anstrengung unternommen haben, um die Festigkeit der Ausbildungskommissionen, die Qualität des Ausbildungsangebots und der Ausbildungsverläufe sowie der Curricula der Studien, die Salesianität, die Methodologie der Personalisierung, die Ausbildung der Ausbilder und eine beginnende Aufmerksamkeit für die lebenslange Fort- und Weiterbildung zu gewährleisten. Dennoch bleibt die Aufgabe, aufmerksam zu machen, zu einer vertiefenden Reflexion aufzurufen und mutige Maßnahmen der Animation und der Leitung auf allen Ebenen zu fordern.

Ich bin davon überzeugt, dass die Grundausbildung eine unverzichtbare Aufgabe der Kongregation ist, die letztverantwortlich für die salesianische Identität und die Einheit in der Vielfalt der Kontexte ist, und dass insbesondere die fundamentalen Entscheidungen auf diesem Feld dem Generalobern und seinem Rat obliegen. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Provinzen eine wichtige Aufgabe in der Leitung und Unterstützung der Ausbildungsgemeinschaften und Studienzentren, besonders mit Blick auf die Inkulturation der Ausbildung, wahrnehmen. Und diese Aufgabe erfordert deren großzügige Ausstattung mit Personal und Ressourcen zum Dienst an der Qualität der Ausbildung.

Ich denke aber, dass vor allem das alltägliche Leben der apostolischen Gemeinschaften vor Ort es ist, das am Ende eine entscheidende Rolle spielt. In der Tat nützt eine qualitativ sehr gute Ausbildung in den Ausbildungsgemeinschaften, die zum Wachstum der jungen Mitbrüder gemäß dem Lebensprogramm Don Boscos verhilft, wenig oder nichts, wenn dann in den örtlichen Gemeinschaften ein Lebensstil gepflegt wird, der diesem Projekt nicht entspricht, es nicht wertschätzt oder es sogar verneint. Es ist genau dieses Fehlen einer authentischen „salesianischen Kultur“, das Grundhaltungen und Einstellungen ein „Heimatrecht“ gewährt, die gottgeweihten apostolischen Salesianern nicht entsprechen. Das alles lässt erkennen, dass die Pflege der Berufung und der Ausbildung alle Mitbrüder ganz persönlich, alle Hausgemeinschaften, alle Provinzen und die Kongregation insgesamt einbezieht. Über die Grundausbildung hinaus bedarf es auch eines ernsthaften Bemühens um die ständige Fort- und Weiterbildung, die den Wandel der Kultur einer Provinz ermöglicht.

Nicht zum ersten Mal lenke ich Eure Aufmerksamkeit auf dieses delikate Thema der Grundausbildung und des Lebensstils, der Mentalität, der Grundhaltungen und Einstellungen einer Provinz. Ich hatte es schon kurz im Bericht zum 26. GK angesprochen, und die Situation hat sich – wie mir scheint – nicht geändert.



1. Festigkeit und Treue in der Berufung, Herausforderungen der Bildung

Eines der Themen, das unsere Aufmerksamkeit seit Beginn meiner Amtszeit auf sich gezogen hat, ist das der Festigkeit in der Berufung. Über dieses Thema hat der Generalrat eine Reflexion abgehalten, die in einer Orientierung des Generalrats für die Ausbildung zum Ausdruck kam.2 Dieses Thema wurde auch von der Vereinigung der Generalobern (USG) aufgegriffen, die ihm zwei halbjährliche Versammlungen gewidmet hat.3 Das zeigt, dass dieses Problem alle Orden, Kongregationen und Institute, sowohl des apostolischen wie des kontemplativen Lebens, interessiert. Die erstellte Studie hat eine Vielfalt von Gründen zu Tage gefördert, welche die psychologische Brüchigkeit, die Unbeständigkeit in der Berufung und den moralischen Relativismus begründen.

Für ein umfassenderes Bewusstsein seitens aller halte ich es für nützlich, Euch die Situation der Eintritte in die Kongregation und der Austritte aus ihr – sowohl in der Phase der Grundausbildung als auch in der Phase der ständigen Fort- und Weiterbildung – der letzten zehn Jahre vorzustellen:

(Grund-)Ausbildung (formazione iniziale)

Jahr

Novizen4

Ausgetretene Novizen


Neuprofessen


Austritte in zeitlicher Profess


Abgelegte ewige Professen

Abgelegte ewige Professen,

Priesterkandidaten

Abgelegte ewige Professen, Brüder

Neupriester

2002

607

137


231

249

217

32

262

2003

580

111

470

225

254

221

33

218

2004

594

118

469

211

281

242 +1P

38

203

2005

621

151

476

237

249

219 +2P

28

230

2006

561

137

470

227

260

221 + 2P

37

192

2007

527

110

424

200

219

205

14

175

2008

557

121

417

216

220

200

20

222

2009

526

109

436

225

265

246

19

195

2010

532

125

417

222

177

161 +1P

15

203

2011

414

40

407

185

231

210 + 1P

20

206

2012

480


374

174

262

237

25

189



Ständige Fort- und Weiterbildung (formazione permanente)


Jahr

Austritte Ewigprofessen (Priesterkandidaten)

Austritte Ewigprofessen

(Brüder)

Dispens vom Zölibat (Diakone)

Dispens vom Zölibat (Priester)5

Exklaustrierung

Säkularisierung ad experimentum6

Säkularisierung simpliciter7


Entlassung

2002

8

12

3

15

18

7

11

24

2003

10

14

4

11

10

3

10

25

2004

14

15

3

20

14

9

12

26

2005

11

15

1

15

10

9

10

26

2006

13

10

3

27

11

11

11

26

2007

15

11

3

18

9

12

18

24

2008

8

6

5

18

5

12

14

24

2009

12

13

2

9

6

14

10

36

2010

9

9

1

11

0

29

8

38

2011

10

12

3

11

3

17

11

30

2012

8

11

1

33

4

23

15

29

Zahl der Novizen in den Regionen

Jahr

Südamerika


Mittelamerika

Westeuropa

Italien,

Mittlerer Orient

Nordeuropa

Afrika

Madagaskar

Ostasien

Ozeanien

Südasien

2002

76

110

11

43

71

55

80

135

2003

69

111

6

27

59

84

79

144

2004

86

98

12

25

51

92

84

145

2005

97

92

14

18

71

95

74

160

2006

76

88

3

22

47

92

75

158

2007

76

97

6

22

51

94

73

108

2008

58

105

4

18

48

100

89

135

2009

64

91

8

24

40

89

64

146

2010

40

73

1

18

55

114

93

138

2011

46

46

7

15

29

94

60

117

2012

43

63

3

21

38

107

69

136

gesamt

731

974

75

253

560

1016

840

1522

Die Pflege der Berufungen und die Ausbildung hatten es immer mit anthropologischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen zu tun. Das bedeutet ganz einfach, dass wir heute mit einer Art von Herausforderungen umgehen müssen, die neue Lösungen erfordern, gerade weil wir kulturell betrachtet einem jungen Menschen gegenüber stehen, der gekennzeichnet ist: von der Schwierigkeit, zu entscheiden und in Betracht zu ziehen, dass eine Entscheidung endgültig sein kann; von der Mühe, durchzuhalten und die Treue zu leben; vom Unverständnis für die Notwendigkeit der Askese und der Entsagungen; und von der Flucht vor Leiden und Anstrengung. Er spürt das Bedürfnis nach Selbstbestätigung auf beruflicher und ökonomischer Ebene. Er sehnt sich gleichzeitig nach Unabhängigkeit und nach Schutz. Er findet es schwierig, den Zölibat und die Keuschheit wertzuschätzen. Er ist verwirrt von der durch die sozialen Kommunikationsmittel verbreiteten Sicht. Und – last but not least – lebt er einen „Analphabetismus des Glaubens“ und eine beschränkte Erfahrung des christlichen Lebens.8 Die jungen Menschen weisen zweifellos neben diesen Aspekten der Schwäche positive Ressourcen und Grundhaltungen auf: die Suche nach bedeutsamen zwischenmenschlichen Beziehungen, die Aufmerksamkeit gegenüber dem Gefühlsleben, die Verfügbarkeit und Großherzigkeit im unentgeltlichen Einsatz und im Volontariat, die Aufrichtigkeit und die Suche nach Authentizität.

Die Ausbildung zur Treue gegenüber Gott, der Kirche, dem eigenen Ordensinstitut und den Zielgruppen beginnt schon vom Moment der Auswahl der Kandidaten an. Es kommt sehr viel mehr darauf an, auf proaktiv agierende Persönlichkeiten zu setzen, und zwar mit einem Sinn für Unternehmungsgeist und Initiative, mit der Fähigkeit, freie Entscheidungen zu treffen und das Leben um sie herum zu organisieren, ohne äußeren und inneren Zwänge unterworfen zu sein. Dazu kommt die Notwendigkeit der Unterscheidung (discernimento), die einen zweifachen Bezugspunkt haben muss: einerseits eine Kriteriologie bezüglich der Eignung, die vom Team der Ausbilder geteilt wird, und andererseits im Kandidaten ein deutliches Vorhandensein jener Qualitäten, die die Identifikation mit einem Projekt des Lebens nach dem Evangelium begünstigen. Das erfordert, die Ausbildung immer mehr auf die Personalisierung zu gründen, verstanden als Vertiefung der Motivationen, persönliche Übernahme von Werten und Haltungen, die übereinstimmen mit der salesianischen Ordensberufung, sowie als qualifizierte Begleitung seitens der Ausbilder.

In der Ratio und in den Kriterien und Normen haben wir zwei wertvolle Dokumente, die Frucht der Ausbildungserfahrung und -praxis der Kongregation, der Humanwissenschaften und des Vergleichs mit den „Ratio“ anderer Orden, Kongregationen und Ordensinstitute sind, die aber leider nicht von allen Ausbildungsteams gut gekannt und angewandt werden. Man kann auf anderen Gebieten Fehler machen, aber nicht auf dem der Ausbildung, weil das bedeutet, Generationen von Salesianern zu ruinieren, die Sendung mit einer Hypothek zu belasten und die Institution selbst zu kompromittieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Identität, die Einheit und die Vitalität der Kongregation in hohem Maße von der Qualität der Ausbildung und von der Leitung auf den verschiedenen Ebenen des Hauses, der Provinz und der Kongregation abhängen.

Es lohnt die Mühe, erneut daran zu erinnern und besser darzulegen, dass die Ausbildung Aufgabe der Kongregation ist, die den Provinzen die Pflicht anvertraut, sie zu verwirklichen, indem sie jene Bedingungen im Hinblick auf Personal, Strukturen und Ressourcen gewährleistet, die sie ermöglichen. Das rechtfertigt folglich nicht den Wunsch einer Provinz, alle Ausbildungsetappen auf ihrem Gebiet haben zu wollen. Vielmehr reflektiert man über die Verantwortung, den Salesianer auszubilden und zu formen, den heute die Kongregation, die Kirche und die Jugendlichen brauchen. Es gibt noch einige Widerstände gegen die provinzübergreifende Erfahrung von Ausbildungsgemeinschaften. Auch wenn sie wegen des Fehlens von Auszubildenden und Ausbildern keine gute Ausbildung sicherstellen können, bestehen einige Provinzen darauf, aus eigener Kraft zu handeln. Ich wiederhole, dass die Ausbildung eine Frage der Kompetenz der Kongregation ist und nicht nur in der Verantwortung der Provinz liegt. Die Personen sind das kostbarste Geschenk der Kongregation, die die konkrete Verwirklichung der Grundausbildung Provinzen, Gruppen von Provinzen oder Regionen anvertraut. Daraus ergibt sich die unabdingbare Dringlichkeit, gut für die Ausbildungsgemeinschaften zu sorgen, die Studienzentren zu qualifizieren, das Ausbildungspersonal (und nicht nur die Lehrenden) gut vorzubereiten, aber auch die Vitalität aller Gemeinschaften in der Provinz, die Qualität des Glaubens und die Radikalität der Nachfolge Christi eines jeden Mitbruders zu gewährleisten.

1.1 Die Motivationen

Der Ausgangspunkt ist oftmals ein verfehlter Begriff von Berufung. Manchmal wird diese gleichgesetzt mit einem persönlichen Plan, dessen Motive der Wunsch nach Selbstverwirklichung, die soziale Sensibilität für die Ärmsten oder die Suche nach einem ruhigen Leben sind, ohne dabei schwerwiegende Verpflichtungen oder eine bedingungslose Ganzhingabe an Gott und an die Sendung in Gemeinschaft eingehen zu wollen. Diese Motivationen sind ungültig oder zumindest nicht ausreichend, um das Geschenk des gottgeweihten Lebens erlangen zu können. Sie sind nicht immer Ausdrucksformen des Glaubens, sondern des Voluntarismus („ich will Ordensmann sein“, „ich habe mich entschieden, Salesianer zu werden“,…) oder der sozialen Sensibilität („ich fühle mich berufen, den Armen, den Straßenjungen, den Eingeborenen, den Immigranten, den Drogenabhängigen zu dienen,…“) oder der Suche nach Sicherheiten.

Man vergisst, dass nur im Licht des Glaubens das Leben als Berufung entdeckt werden kann und dass umso mehr die Berufung zu einem gottgeweihten Leben nicht möglich ist, wenn nicht aus der Perspektive des Glaubens an den Herrn, der diejenigen beruft, die er bei sich haben will, damit sie ihm nachfolgen und ihn nachahmen, und die er dann aussenden will, damit sie predigen und das Evangelium verkünden. So werden die Nachfolge Christi und die Nachahmung Christi die Elemente, die das Leben der Jünger und Apostel Jesu kennzeichnen, indem wir Ihm folgen und bestrebt sind, Seine Grundhaltungen anzunehmen, die uns mit Ihm identifizieren bis zur vollen Gleichförmigkeit mit Ihm.

Es stimmt: am Anfang kann es nicht ganz gültige und daher unzureichende Motivationen geben, um eine radikale Lebensentscheidung zu rechtfertigen, die ganz auf Gott, auf den Herrn Jesus und sein Evangelium und auf den Geist ausgerichtet ist. Aufgabe einer echten Ausbildung aber ist es, dazu zu verhelfen, die Motivationen zu identifizieren, abzuwägen, zu unterscheiden und dann zu reinigen und solchermaßen reifen zu lassen, damit sie Gott und seinen Willen als höchstes Ziel haben.

Diese unausweichliche Aufgabe ist sehr schwierig. In der Tat sind viele Motivationen unbewusst. Das verleitet den Kandidaten dazu, Motivationen zu äußern, die er gespürt und gelernt hat, ohne die realen Motivationen zu kennen und erkennen zu lassen. Man darf nicht vergessen, dass im Evangelium von einem die Rede ist, der, nachdem er von Jesus geheilt worden war, den Wunsch geäußert hatte, bei ihm zu bleiben. Aber der Herr erlaubt es ihm nicht, sondern sagt zu ihm: „Geh nach Hause und berichte deiner Familie alles, was der Herr für dich getan und wie er Erbarmen mit dir gehabt hat“ (Mk 5,19).

Darüber hinaus muss man auch die Kultur in Betracht ziehen, die die neuen Generationen prägt. Die Vereinigung der Generalobern (USG) hat diesem Aspekt einige ihrer Versammlungen gewidmet. In der ersten hat sie versucht, das Profil der jungen Menschen besser kennenzulernen, die heute an die Türen der Orden klopfen; ferner die Werte, für die sie sensibel sind; die Herausforderungen, die sie hinsichtlich der Ausbildung stellen, und die in Möglichkeiten zur Ausbildung umgewandelt werden können. In der zweiten Versammlung wurde das Thema der Treue behandelt, die aber nicht einfach mit Ausdauer gleichzusetzen ist. Manchmal kommt es tatsächlich vor, dass einige Ordensleute ausharren, im Sinne von „bleiben“, wenn es besser wäre, sie würden die Ordensgemeinschaft verlassen. Die Treue besteht nicht nur darin, äußerlich einem dem Herrn gemachten Versprechen „treu“ zu bleiben, sondern sie ist das Engagement, täglich das zu leben, was man gelobt hat.

1.2 Anthropologische Möglichkeiten und Herausforderungen

In der Vollversammlung der Vereinigung der Generalobern vom Mai 2006 wurde ich eingeladen, eine Reflexion über die anthropologischen Herausforderungen an die Berufungstreue des gottgeweihten Lebens beizusteuern, die ich Euch wegen ihrer Wichtigkeit vortragen möchte. In der Art, das Menschliche und seine Möglichkeiten zu verstehen, gibt es konstante Elemente, die – so könnten wir sagen – eine interkulturelle und vorherrschende Vision bilden. Das Glück und die Selbstverwirklichung, die Wünsche und Sehnsüchte, die Gefühle und Emotionen sind Möglichkeiten und Herausforderungen. Diese anthropologischen Aspekte sind herausfordernd, aber sie sind unabdingbar für jedes gottgeweihte Leben, das in einem vollen Sinne menschlich und daher glaubwürdig sein will. Sie stellen die Basis für eine gute Ausbildung zur Berufungstreue dar.

Authentizität

Die aktuelle anthropologische Situation bietet dem gottgeweihten Leben die Möglichkeit einer neuen Authentizität. Die heutige Kultur, besonders die jugendliche, schätzt die Authentizität. Die Menschen wollen uns glücklich sehen. Sie wollen sehen, dass das, was wir sagen, mit dem übereinstimmt, was wir tun, und dass unsere Worte glaubwürdig sind, weil sie aus dem Lebenszusammenhang kommen.

Die Authentizität ist eine echte Möglichkeit, weil sie sich auf die Großherzigkeit der Jugendlichen und auf ihr Verlangen nach Geschwisterlichkeit stützt, auf die Hingabe seiner selbst und auf die Freude der Begegnung, welche allesamt gut verwurzelte und starke Kräfte sind für das Wachstum in einem echten Ordensleben und der sich verschenkenden Liebe. Die Authentizität stimuliert und ermutigt die älteren Mitbrüder unserer Gemeinschaften, im echten Sinne attraktive und herausfordernde Leibilder zu sein, die Liebe zu Christus zu leben, die sie zum Ordensleben angeregt hat, und zu verstehen, dass sie eine Rolle bei der Ausbildung der jungen Generationen zu spielen haben. Die Authentizität erfordert Aufmerksamkeit gegenüber der menschlichen Dimension des Ordensmannes und des täglichen Lebens der Gemeinschaften.

Die Authentizität ist auch eine Herausforderung, weil sie dazu auffordert, zum Wesentlichen zurückzukehren, vor allem aber die Funktionalität zu überwinden, die das gottgeweihte Leben zu einer Rolle, zur Beschäftigung oder zum Beruf reduziert, indem die Leidenschaft der Selbsthingabe an Christus und an die Menschen vergiftet wird. Sie strebt jeden Tag die Umkehr und die Erneuerung unserer Gemeinschaften an und das Verständnis der evangelischen Räte als Weg zur vollen Verwirklichung der Person. Die Authentizität fordert das gottgeweihte Leben heraus, das tagtäglich bedroht ist von der Gefahr der Mittelmäßigkeit und der Untätigkeit, von der Gefahr, sich zu verwirren und sich zu verstecken hinter den Werten der „Welt“.

Freiheit

Person zu sein, bedeutet, das Leben in den eigenen Händen zu halten, und das heißt, das zu entscheiden, was man aus dem eigenen Leben machen will. Diese Freiheit bedeutet die Verantwortung, sein Leben aufzubauen, sie ist Möglichkeit und Zukunft.

Die Freiheit ist eine Gelegenheit, weil man durch sie zur Verinnerlichung der Werte und zur Personalisierung der Ausbildungsprozesse und somit zur wahren Reife gelangt.

Die Freiheit ist auch eine Herausforderung, weil sie danach verlangt, dass man es versteht, Selbstverwirklichung und vorgegebenes Projekt, Selbstbildung und Begleitung, einschließlich der geistlichen Begleitung, miteinander zu verbinden. Man muss den jungen Menschen die ganze Zeit geben, derer es bedarf, um gemäß ihrer Gangart zu wachsen und zur Reife zu gelangen. Es gibt nicht immer eine Übereinstimmung und Kohärenz zwischen den kanonischen Etappen und den Etappen der persönlichen Reife und der persönlichen Entscheidung. Der Priesterweihe und der ewigen Profess entspricht nicht immer die persönliche, überzeugte und reife Entscheidung. Es bedarf deshalb der Ausbilder, die die Befähigung zu einer personalisierten Ausbildung haben.

Geschichtlichkeit

Der Mensch ist ein Wesen im Werden, und die Gesellschaft befindet sich in fortwährender Evolution. Die Person baut sich in der Zeit auf; ihre Biographie ist der Faden, der die verschiedenen Erfahrungen verknüpft. Die Erzählung der eigenen Lebensgeschichte fördert die persönliche Identität.

Die Geschichtlichkeit ist daher eine Möglichkeit, weil sie uns erkennen lässt, dass unser Leben ein Weg ist und unsere Bildung ein Prozess, der nie endet. Das Leben ist Selbstverwirklichung und Aufbau seiner selbst. Das Leben ist eine fortlaufende Musik, die sich zwischen Grundausbildung und lebenslanger Bildung erstreckt. Die Veränderungen der Gesellschaft treiben das gottgeweihte Leben zu einer fortwährenden Erneuerung und Anpassung an. Sie laden es ein, sich selbst mit der Sprache des Menschen von heute zu beschreiben.

Die Geschichtlichkeit ist auch eine Herausforderung, weil sie verlangt, dass das Anliegen der lebenslangen Bildung schon die Grundausbildung beseelt und prägt. Es genügt daher nicht, allein auf die jungen Salesianer und ihre Ausbildung abzuzielen. Man muss alle Gemeinschaften und die gesamte Kongregation in Bewegung bringen, indem man alle Mitglieder ermutigt, ihre „Anfangsliebe“ und die Berufungsleidenschaft, die sie am Anfang ihres gottgeweihten Lebens hatten, auf neue Weise zu leben. Der eigene Lebensweg läuft ja Gefahr, sich auf narzisstische Weise auf sich selbst zurückzuziehen und sich nicht für die Selbsthingabe zu öffnen. In einer Welt, die sich ständig wandelt und ohne Zentrum ist, ist es das Fragment (Bruchstück), das dominiert. Die Ausbildung muss daher dazu dienen, die Person zu einen und sie gut auf das Wesentliche auszurichten – die Nachfolge Christi.

Erfahrung

Heute ist es notwendig, eine intellektualistische Ausbildung zu überwinden, die vorgibt, vitale Inhalte zu verinnerlichen, ohne deren Erfahrung zu machen und ohne sie in den lebendigen Rahmen des Alltäglichen zu integrieren. Es gibt ein großes Verlangen nach Erfahrungen. Man sucht die aufregendsten Erfahrungen und man will eigene Erfahrungen machen.

Die Erfahrung ist eine Möglichkeit, denn das Lernen vom Leben macht die Bildung personenbezogener, konkreter und tiefgründiger. Diese Art von Bildung ist für alle notwendig, nicht nur die jungen, auch die älteren Mitbrüder brauchen eine starke und authentische Erfahrung Gottes, des Charismas, der Armen, der brüderlichen und kommunikativen Beziehungen.

Die Erfahrung ist zugleich eine Herausforderung, weil sie zum Selbstzweck werden kann, während sie doch Erfahrung der Werte sein müsste. Die verschiedenen Erfahrungen können bruchstückhaft und voneinander getrennt sein. Notwendig ist deshalb die Hilfe einer geistlichen Begleitung, die die Einheit der Erfahrungen erleichtert und die Wechselbeziehung der Werte fördert. Es geht nicht darum, viele Erfahrungen zu machen, sondern wenige und gut vorbereitete auszuwählen; es geht um starke Erfahrungen, die eine pädagogische Aufmerksamkeit erfordern, damit die punktuellen Erfahrungen zu einer personalen Erfahrung werden.

Menschliche Beziehungen und Gefühlsleben

In der aktuellen Kultur spürt man ein großes Bedürfnis nach authentischen menschlichen Beziehungen. In den jungen Menschen gibt es einen starken Durst nach Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit) und Freundschaft, nach informellen und gefühlsmäßigen Beziehungen. Aber auch die Erwachsenen suchen bereichernde und bedeutsame Beziehungen. Um eine Prophetie sein zu können, muss das brüderliche Leben etwas über die Fähigkeit, Beziehungen zu knüpfen, zu sagen haben; es muss in seinem menschlichen Erscheinungsbild attraktiv sein; es muss in der Lage sein, ein familiäres Umfeld zu schaffen.

Das Verlangen nach Begegnung stellt sicherlich eine Möglichkeit dar, weil das Sich-auf-den-Weg-Machen die Treue auf eine Vertiefung der menschlichen Beziehungen hin personalisiert. So ist es möglich, andere einzuladen, in eine echte Beziehung der Authentizität und Kommunikation einzutreten, besonders aber in eine Beziehung der Liebe zu Jesus Christus und des gemeinsamen Engagements mit ihm. Die Brüderlichkeit führt dazu, eine größere Aufmerksamkeit zu hegen gegenüber den täglichen Aspekten des Miteinanderlebens. Man empfindet aber auch die Notwendigkeit, die Beziehungen auszuweiten und die Gefühle zu pflegen.

Die Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit) stellt eine erausforderung dar, Herausforderung HHeHerausforderung dar, weil sie verlangt, auf die Umkehr und die Erneuerung unserer Gemeinschaften zu pochen. Welches menschliche Klima findet der junge Kandidat in unseren Gemeinschaften und welche Kommunikation finden die alten Mitbrüder vor? Es handelt sich um eine Herausforderung, die das Problem stellt, wie man die Gemeinschaften „regenerieren“ soll, besonders wenn sie altern. Dies ist eine Herausforderung, weil es nicht leicht ist, ausgeglichene Ausbilder zu finden, die zur persönlichen Annäherung fähig sind, die es verstehen, den Individualismus zu vermeiden und eine kluge persönliche und geistliche Begleitung anzubieten. Es ist sodann schwierig, ein emotionales und affektives Gleichgewicht in den eigenen Beziehungen und im eigenen Erleben herzustellen.

Postmodernität

Um eine Prophetie für die postmoderne Welt zu sein, muss das Ordensleben es verstehen, Anziehungskraft zu verbreiten und seine Schönheit wiederzufinden.

Im Allgemeinen ist die Beschäftigung mit der postmodernen Kultur eine Möglichkeit, die Werte des Ordenslebens als Ansporn, Reinigung und Alternative zu den Werten der Welt vorzuschlagen; zum Beispiel: die Treue in einer Kultur, die damit prahlt, untreu zu sein; das Leben des Glaubens in einer Gesellschaft ohne Bezüge zu religiösen Werten; den Optimismus und die Hoffnung in einer Welt voller Ängste. Ferner gibt es die Möglichkeit, die Großherzigkeit der Jugendlichen, ihren Durst nach Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit), ihre Sehnsucht nach Selbstverwirklichung und ihre Suche nach Gott in die rechten Bahnen zu lenken.

Die Auseinandersetzung mit der postmodernen Kultur ist auch eine Herausforderung, weil die vorherrschende Kultur der Medien ein falsches, aber attraktives Glück verspricht. Es ist unsere Aufgabe, besonders den Jugendlichen eine persönliche und authentische Erfahrung Christi anzubieten und mit Worten und Taten zu beweisen, dass das gottgeweihte Leben die volle Verwirklichung der Person fördert. Es bedarf eines neuen charismatischen Gleichgewichts zwischen der Frische der Erneuerung und den historischen Ausdrucksformen des Ordenslebens.

Vielfalt der Kulturen

Wir leben in einer Welt, die immer mehr zu einem „globalen Dorf“ wird: vom kulturellen Individualismus geht sie, nicht ohne Widerstände, über zu einer Begegnung der verschiedenen kulturellen Welten. Es ist eine Welt, die gekennzeichnet ist von der Globalisierung, von der Geschwindigkeit der Veränderungen, von der Komplexität, von der Bruchstückhaftigkeit und von der Säkularisierung. Der gottgeweihte Ordenschrist sieht in all dem das Handeln des Geistes Gottes, der in jeder Situation wirkt, wo er will, wie er will und wann er will.

Die kulturelle Vielfalt ist eine Möglichkeit, weil sie Solidarität, Offenheit für Verschiedenheiten, Erfahrungen des Volontariats, ökologischen Respekt, Empathie mit den Armen und Suche nach Frieden begünstigt. Sie fördert auch die Internationalisierung und die Erfahrung der Universalität der Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens als Verfügbarkeit für den Dienst dort, wo er gefordert ist. Auf diese Weise wird das Charisma bereichert. Sie fördert in den jungen Generationen die Dynamik des gegenseitigen Kennenlernens, der Offenheit und des Dialogs.

Die kulturelle Verschiedenheit ist auch eine Herausforderung, weil es für die Mehrheit der gottgeweihten langjährigen Ordensleute schwierig ist, in die multikulturelle Erfahrung einzutreten. Es besteht die Notwendigkeit, die Sprache und die Art zu überdenken, wie die Werte weit entfernter und fremder anthropologischer Welten übermittelt werden. Die Ausbildung zur Treue in einer Welt, die ständig im Wandel ist und kulturell in vielfältige Richtungen geht, sowie ein Leben des Glaubens in einer Gesellschaft, die tendenziell ohne Beziehungen zu religiösen und christlichen Werten ist, erschweren die Bildungsaufgabe, die zugleich beständig sein muss und offen für interkulturelle Erfahrungen.

Verzicht

Der Verzicht ist ein wesentlicher Teil des Lebens und somit auch des gottgeweihten Lebens. Wenn er positiv angenommen wird, wird er zu einer befreienden und bereichernden Erfahrung. Man kann nicht alles wählen, auch wenn der, der aus Liebe lebt und die Liebe wählt, eine allumfassende Erfahrung lebt.

Der Verzicht ist eine Möglichkeit, unser Ordenseben mit Glaubwürdigkeit zu leben und aus ihm eine echte „spirituelle Therapie“ für die Menschheit zu machen. Er reinigt und macht die Liebe authentisch.

Der Verzicht ist aber auch eine Herausforderung, weil das gottgeweihte Leben eine privilegierte Lebensbahn bietet, die oftmals vor den Problemen und Mühsalen des normalen Lebens verschont. Ja, die Versuchung des Konsumdenkens, das komfortable Leben, der Wohlstand, die Reisen, der Besitz von „persönlichen Medien“ [Erg. d. Red.: z.B. Handy, Smartphone etc.] – das alles berührt sogar die gottgeweihten Personen in allen Kulturen. Wir müssen in unserem Leben und in den Strukturen zum Wesentlichen zurückkehren. Insbesondere den jungen Ordensleuten, aber nicht nur ihnen, kann der Verzicht Probleme bereiten. Wir müssen ihnen helfen, zu verstehen, dass es nicht darum geht, etwas zu opfern, sondern etwas zu wählen; mehr noch: jemanden zu wählen – Jesus Christus und seine Nachfolge. In Ihm findet man volle Freiheit, Freude und Verwirklichung. Das bedeutet, dafür offen zu sein und zu erlauben, dass Jesus in unser Leben eintritt und in ihm den ersten Platz einnimmt. Wir sind offen, um frei zu sein von Konditionierungen, die uns daran hindern können, diese radikale Wahl zu treffen und zu leben.

Treue

Die Treue ist die offensichtliche Konsequenz der Wahl, die der gottgeweihte Ordenschrist für Gott trifft, indem er in seinem Leben für Ihn und für Jesus Christus bis zur Hingabe des eigenen Lebens für immer das Feuer der Leidenschaft entzündet.

Die Treue ist eine Möglichkeit, weil sie die Beziehung zu Jesus Christus und seinem Reich immer mehr vertieft und personalisiert. Sie macht es möglich, Gott als absoluten und ewigen Wert zu bezeugen, der im Wirbel der kulturellen Wandlungen erhalten bleibt. Sie verhilft dazu, die Welt mit positiven Augen zu sehen und die positiven Erfahrungen der Treue in der Familie, in der Gemeinschaft und in der Kirche als Wirken des Geistes in der Geschichte wahrzunehmen. Sie ermöglicht es auch, den Sinn der Opfer zu sehen, die der Ordenschrist zu bringen berufen ist.

Die Treue ist auch eine Herausforderung, weil sie erschüttert wird von der bruchstückhaften und flüchtigen Situation der heutigen Kultur. In diesem Sinne bedarf sie der konstanten Begleitung in persönlicher und gemeinschaftlicher Form, um überzugehen vom Narzissmus zu einem „Absterben seiner selbst“ in der Nachfolge Christi. Andererseits kann die Treue nicht allein auf begrifflicher Ebene verweilen. Sie muss eine lebendige Treue der Begegnung mit Christus sein, die die ganze Person interessiert und den Gottgeweihten von den bruchstückhaften „Erfahrungen“ zu den begründenden „Erfahrungen“ führt. Darüber hinaus ist die Treue des Ordenschristen eine ständige Herausforderung, die zu vertiefen ist und sich in die tägliche Frage übersetzt: Wem bin ich treu? Die Treue ist eine Herausforderung, die die Schaffung von treuen Gemeinschaften fordert, die wiederum Treue hervorbringen; die dazu beitragen, von der Oberflächlichkeit zur tiefen Wurzel der Treue zu gelangen; die eine charismatische Treue aufbauen und erneuern und die den Weg und die Dynamik ihrer Prozesse kennen. Die Treue wird heute vielfach nicht mehr angesehen als eine Realität, die das ganze Leben dauert, sondern auch nur als „Treue auf Zeit“ existieren kann. Deshalb kehrt in einigen Kongregationen oftmals die Frage wieder, ob man die Möglichkeit der Eingliederung nach Art eines zeitlichen Engagements im gottgeweihten Leben in Betracht ziehen sollte. Dazu haben wir Salesianer uns ablehnend ausgesprochen. Uns scheint vielmehr, dass man die Mitbrüder so ausbilden soll, dass sie zu einer lebenslangen Ganzhingabe an den Herrn fähig sind.

Es gibt keinen Zweifel, dass der Reichtum und die Verschiedenheit des Menschlichen, das heute möglich ist, für das Ordensleben große wertzuschätzende Möglichkeiten bietet, die neue Aufgaben die Ausbildung darstellen. Das vereitelt nicht den bestimmenden Beitrag der Gnade und des Geistes, die gerade in den psychologischen und anthropologischen Kräften der Person wirken. Die Ausbildung achtet deshalb darauf, den Geist zu unterstützen, eigens ausgehend von diesen Ausdrucksformen des Menschlichen, um sie zu ihrer Reife und Fülle zu führen.



2. Berufung und Bildung, Gabe und Aufgabe

Man stellt sich die Frage: Warum müssen wir bemüht sein, die von Gott Berufenen und von Ihm zu uns Gesandten auszubilden? Gerade weil wir sie in der Kongregation als Geschenk Gottes an die Jugendlichen ansehen, sorgen wir uns so sehr darum und spüren die Verantwortung, ihnen zu helfen, auf der Höhe der empfangenen Berufung zu sein. Wir versuchen deshalb, die zwei untrennbaren Elemente einer wahren Berufung zu vertiefen, nämlich die Berufung und die Bildung, die Gabe und die Aufgabe sind und die die beiden Seiten einer Medaille darstellen.

Der erste Artikel, den die Konstitutionen der Bildung widmen, ist eine fundamentale Bestätigung, ein echtes Glaubensbekenntnis; er sagt aus der Sicht der berufenen Person: „Das Bemühen um eine angemessene und ständige Bildung9 ist unsere Antwort auf diesen Anruf“ (Konst. 96).10

Die Konstitutionen verstehen demnach Bildung und Ausbildung als eine Antwort auf die Berufung. Sie setzen sie nicht einfach mit der langen Zeitspanne, die der vollen und endgültigen Integration in die gemeinsame Sendung vorausgeht, gleich.11 Noch viel weniger reduzieren sie sie auf das rein theologische oder berufliche Studium, dem man sich als spezifische Vorbereitung im Hinblick auf die persönliche Sendung widmen muss. All das, was man tun muss, um das Projekt, zu dem Gott uns ruft, anzuerkennen, anzunehmen und sich damit zu identifizieren, ist Bildung: „Bildung bedeutet: mit Freude die Gabe der Berufung anzunehmen und sie in jedem Augenblick und in jeder Situation der Existenz Wirklichkeit werden zu lassen“.12 Die Bildung ist sozusagen der Lebensstand, in den jemand eintritt, der sich von Jesus berufen fühlt, um bei Ihm zu bleiben und um sodann von Ihm gesandt werden zu können (vgl. Mk 3,13).

Indem uns Gott beruft, hat Er uns identifiziert. Und wir antworten Ihm nur dann angemessen, wenn wir uns unsererseits mit Seinem Ruf identifizieren. Die salesianische Identität ist also nicht mit dem gleichzusetzen, was wir schon sind, und nicht mit dem, was wir zu sein wünschen. Sie fällt vielmehr zusammen mit Seinem Plan, mit dem, was wir nach Seinem Willen werden sollen. Sich zu identifizieren mit dem, was Gott von uns will, ist daher das Ziel jeder Bildung. Salesianer, sei das, was du zu sein berufen bist! Die Berufung Gottes, die unverdiente Gnade ist, geht dem Bemühen, sich ihr anzugleichen, voraus und motiviert es. Gerade in diesem Bemühen besteht die Bildung, „für die uns der Herr jeden Tag seine Gnade gibt“ (Konst. 96): Berufung und Bildung sind zwei Formen der Verwirklichung der Gnade in uns. Die Berufung ist die Gnade, gerufen zu sein; diese Gnade geht der Bildung voraus, begleitet und fordert sie. Die Bildung ist die Gnade, der Berufung würdig zu werden, die gepflegt, erhalten und immer mehr vertieft werden muss.

2.1 Berufung: die Gnade als Ursprung

„Unser Leben in der Jüngerschaft des Herrn ist eine Gnade des Vaters, der uns mit der Gabe seines Geistes weiht und uns sendet, Apostel der Jugend zu sein“ (Konst. 3).

Die Berufung ist niemals ein persönlicher Lebensentwurf, die ein Individuum mit seinen eigenen Kräften verwirklicht oder aus seinen schönsten Träumen nährt. Sie ist vielmehr Ruf Dessen, Der dem Ruf vorausgeht und ihn übersteigt und dem Auserwählten ein Ziel vorgibt, das über diesen selbst und seine Möglichkeiten hinausreicht. Im ersten Fall spürt die Person den Willen und die Begeisterung, in ihrem Leben etwas zu machen, oder besser: sie nimmt es sich vor und glaubt, dazu aus eigenen Kräften fähig zu sein, etwas aus ihrem Leben zu machen. Im zweiten Fall fühlt sie sich herausgefordert, etwas aus ihrem Leben zu machen, etwas, das sie sich nur dann vorstellen und erklären kann, wenn sie auf den persönlichen Anruf antwortet. Zu glauben, berufen zu sein, bedeutet, zu wissen, dass man auserwählt ist (vgl. Joh 15,16). „Ihm (Gott) kommt der Primat der Liebe zu. Die Nachfolge ist nur Antwort der Liebe auf die Liebe Gottes. Wenn ‚wir lieben‘, dann deshalb, ‚weil er uns zuerst geliebt hat‘ (1 Joh 4,10.19). Dies heißt seine persönliche Liebe mit jenem tiefen Bewusstsein erkennen, das den Apostel Paulus sagen ließ: ‚Christus hat mich geliebt und hat sein Leben für mich gegeben‘ (Gal 2, 20).“13

Das Leben als Berufung

Das Leben eines jeden Menschen ist Berufung und muss als solche verstanden, angenommen und verwirklicht werden“.14 Bevor der Glaubende im Ruf die Bestimmung des eigenen Lebens erkennt, bevor er sich berufen weiß, etwas aus seinem Leben zu machen, weiß er, von Gott berufen zu sein auf Grund der einfachen Tatsache, dass er lebt: „Er hat uns geschaffen und wir sind sein“, sagt der Psalmist (Ps 100,3).

Das Leben, Wort Gottes

Das Leben, die eigene Existenz ist Wort Gottes und gleichzeitig die Gott geschuldete Antwort. Daran erinnert uns die Geschichte Hannas, der Mutter Samuels, die einen Sohn erbittet; und als sie ihn empfängt, spürt sie, dass dieser Sohn Gott gehört, und so bringt sie ihn gleich in das Heiligtum von Schilo, „dann soll er vor dem Angesicht des Herrn erscheinen und für immer dort bleiben.“ „Ich habe um diesen Knaben gebetet und der Herr hat mir die Bitte erfüllt, die ich an ihn gerichtet habe. Darum lasse ich ihn auch vom Herrn zurückfordern. Er soll für sein ganzes Leben ein vom Herrn Zurückgeforderter sein“ (1 Sam 1, 22.27-28). Indem er den Menschen anruft, hat Gott ihn ins Dasein gerufen. Die angerufene Person ist verpflichtet, durch die Hingabe seines Leben darauf zu antworten. Gott hat uns den Dialog auferlegt als Art und Weise, in seiner Gegenwart zu leben. Da wir Abbild eines Gottes sind, der uns erdacht hat durch den Dialog mit sich selbst, können wir nur im Dialog mit diesem Gott leben. Das Leben ist ein Sich-Aussprechen Gottes zu unseren Gunsten und erfordert deshalb das Sich-Aussprechen des Menschen zu seinen Gunsten. Es ist kein Zufall, wenn wir aus dem Nichts ins Innere eines göttlichen Gesprächs geboren wurden: Der uns gedacht hat, indem Er mit sich selbst im Dialog war, konnte uns als sein Ebenbild sehen, weil wir wie Er und mit Ihm in Dialog treten können.

„Von dem Moment an, in dem er von Gott ins Leben gerufen wurde, erkennt der Glaubende, dass seine Präsenz in der Welt nicht einer eigenen Entscheidung gehorcht: Es lebt nicht, wer will, wer es gewünscht hat, sondern derjenige, der gewünscht und geliebt worden ist… Gerade weil das Leben Auswirkung des göttlichen Wollens ist, kann es nicht außerhalb des Bereichs seines Willens existieren. Wer nicht aus eigenem Willen existiert, wird nicht leben dürfen, wie es ihm selbst scheint. Das gewährte Leben präsentiert Grenzen, die zu respektieren sind (Gen 2,16-17), und Aufgaben, die zu erfüllen sind (Gen 1,28-31). Der biblische Mensch weiß sich auf Grund des einfachen Faktums, dass er lebt, von Gott gerufen und vor Ihm verantwortlich: Er lebt, weil Gott ihn haben wollte, und um zu leben, wie Gott es will…; er weiß, dass er am Leben ist, weil er von Gott gerufen worden ist. Er weiß, dass er leben wird, wenn er dieser Berufung treu bleiben wird (Gen 3,17-19)“.15

Und es ist so, dass wir unser Wohl und unsere Freiheit finden, wenn wir uns mit dem Ruf Gottes identifizieren: „Jeder findet sein Glück, indem er in den Plan einwilligt, den Gott für ihn hat, um ihn vollkommen zu verwirklichen: In diesem Plan findet er nämlich seine Wahrheit, und indem er dieser Wahrheit zustimmt, wird er frei (vgl. Joh 8, 32)“.16

Das Leben, die Gott geschuldete Antwort

Wegen der einfachen Tatsache, dass er lebt, muss der Mensch Verantwortung übernehmen: da er das einzige Lebewesen ist, das die dialogische Natur Gottes reflektiert (Gen 1,26), muss er die Verantwortung für das Geschaffene (Gen 3,3-25), die Verantwortung für das Zeugen (Gen 1,27-30; Sal 8,6-9; Sir 17,1-10) und die Verantwortung für seinen Bruder (Gen 4,9) übernehmen. Diese Verantwortung, von der seine Beziehung mit Gott abhängt und die sich verwirklicht in der Bewahrung der Welt und des Bruders und der Schwester, ist eine bleibende Verpflichtung des Menschen. Er erfüllt sie in dem Maße, in dem er im Dialog mit Gott bleibt, während er in Seinem Namen und an Seiner Stelle über das Geschaffene wacht.

Der biblische Mensch lebt also vor Gott mit einer ständigen Verpflichtung zur Antwort. Als der, der sein Leben dem Wort Gottes schuldet, kann er im Hinblick auf seine eigene Präsenz nicht schweigen. Der Glaubende, der vor Gott schweigt, hat aufgehört, für Gott zu leben. Gott hat uns sprechend erdacht, und wir sind sein Ebenbild, wenn wir im Dialog mit Ihm bleiben. Nur die Toten können Ihn nicht in Erinnerung rufen. Nur die Toten loben Ihn nicht (vgl. Ps 6,6; 88,11-13; Jes 38,18). All das, was das Leben uns bietet, kann Motiv des Gebetes sein17 und ist eine Aufgabe, für die man die Verantwortung übernehmen muss. Es gibt keine menschliche Situation, die nicht würdig wäre, mit Gott erwogen, besprochen und geteilt zu werden. Es gibt keine Not von Brüdern und Schwestern und keinen Bruder oder keine Schwester in Not, denen wir nicht antworten müssten. Erinnern wir uns, dass Kain von seinem Bruder Abel nicht sprechen wollte, ja, sogar erklärt hat, für ihn keine Rechenschaft ablegen zu müssen, weil er ihm kurz zuvor das Leben genommen hatte. Der Mord ist der Verweigerung vorausgegangen, für den Bruder Verantwortung zu tragen.

Die Berufung als Lebensaufgabe

Für den Glaubenden ist das Leben kein Produkt des Zufalls und noch viel weniger des menschlichen Wollens: Jedes Leben ist von Gott gewollt; jedem menschlichen Leben weist Gott einen Ort und eine Aufgabe innerhalb seines Heilsplans zu. Wer zur Existenz gelangt, ist von Gott gewollt; seine Existenz hat Sinn, zumindest für Gott, und sein Leben erhält seinen vollen Sinn allein von Gott.

Die Berufung, Sendung im Dialog

Es ist kein Zufall, wenn in der Bibel, sobald man eine Berufung durch Gott beschreibt, die Erzählung zur Wiedergabe eines Dialogs wird, den Gott mit seinem Auserwählten eröffnet: Indem er ihm den Plan enthüllt, den er für ihn hegt, lässt Gott ihn wissen, dass er auf ihn zählt, um seinen Plan zum Abschluss zu bringen.

Unerwartet, ohne es verdient zu haben, und nicht einmal von ihm erwünscht, findet sich der Berufene mit einer Aufgabe wieder, die ihm aufgetragen wird, und mit einer Lebensform, die ihm auferlegt wird: ob es sich um die Gründung eines Volkes handelt (Abraham: Gen 12,1-4) oder um dessen Befreiung (Moses: Ex 3,1-4.23), um die Empfängnis eines Sohnes (Maria: Lk 1,26-38) oder um die Einladung, mit Jesus zu leben (die ersten vier Jünger: Mk 1,16-20): Die aufgetragene Sendung entspricht nicht den Möglichkeiten des Berufenen; oft ist sie auch nicht Teil seiner Prioritäten. Sowohl Abraham wie auch Maria sahen die verheißene Nachkommenschaft nicht als möglich an (Gen 15,2-3; Lk 1,34). Die vorgesehene Sendung ist gewöhnlich nicht einmal mit der Tätigkeit oder dem Beruf vereinbar, den der Berufene schon ausübt. Moses, der fremdes Vieh hütete, sowie die ersten Jünger Jesu, die an ihren Netzen arbeiteten, lebten eingebunden in Projekte, die sehr verschieden von denen waren, zu denen sie berufen wurden, nämlich eine Bewegung der nationalen Befreiung anzuführen (Ex 2,21-3,1) bzw. Menschenfischer für das Reich Gottes zu sein (Mk 1,16,19).

Der biblische Gläubige weiß, dass sein Leben die Konsequenz einer Entscheidung Gottes zu seinen Gunsten ist und kann daher den Zufall und das Schicksal, sei es gut oder schlecht, aus seinem Leben ausschließen. Weil er eine Person ist, die in einem bestimmten Moment positiv von Gott gewollt und ins Leben gerufen wurde, wird er nie aufhören, sich geliebt zu fühlen, solange er lebt. Er wird nie Opfer des Schicksals sein, das Unvorhergesehene wird nicht gegen ihn wüten. Dennoch, und gerade deswegen, aufgrund dessen, dass er sich nicht von selbst seine Existenz besorgt hat, kann er sie auch nicht von sich aus programmieren; er ist nicht Herr seiner selbst: er ist Subjekt des Willens dessen, der ihn so sehr geliebt hat, dass er ihn lebend und Ihm ähnlich haben wollte. Sein eigenes Leben offenbart ihn demnach als zu verwirklichenden göttlichen Plan. Seine persönliche Existenz ist der Beweis der Präexistenz eines göttlichen Plans für ihn: das Leben ist immer Sendung, so sehr es zunächst ganz und gar Geschenk gewesen ist. Es ist Auftrag und Gnade, weil es weder automatisches Erbe noch geschuldeter Lohn gewesen ist.

Die Sendung, Haus und Grund der Bildung

Gott kann sehr gut über das Leben eines Menschen verfügen, da Er es war, der es ihm gab. Die Berufungsgeschichten, die in der Bibel besonders zahlreich sind, zeigen auf beispielhafte Weise diesen charakteristischen Grundzug des lebendigen Gottes: Gott offenbart der berufenen Person, dass Er auf sie zählt, manchmal entschieden ihrem eigenen Willen zum Trotz und in anderen Fällen sogar gegen ihren Willen. Wie viele Gegenargumente der Berufene auch anhäufen mag, er wird die Berufung nicht verhindern können. Wenn Gott seine Sendung nicht zurückzieht, bleibt der Gesandte für immer ein solcher. Nicht einmal durch die Flucht vor Gott kann er sich von Ihm und Seinem Willen befreien, wie Jona es lernen musste (Jona 1,1-3,3). Noch ernster ist die Tatsache, dass mehr als ein Berufener erleben musste, dass ihm sein Leben geraubt worden ist, dass er mit Gewalt entführt worden ist, während ihm eine Sendung auferlegt wurde, die überhaupt nicht in sein Kalkül und schon gar nicht zu seinen Fähigkeiten passte, wie es Jeremia (Jer 1,5) und Paulus (Gal 1,15) aufzeigen.

Gott stimmt mit denen überein, die er beruft, indem er mit ihnen spricht. Der Gott, der sprechend beruft, verwandelt die ausgewählte Person in einen Gesprächspartner. Indem sich Gott an den Berufenen wendet, offenbart er ihm das, was Er wünscht und zu welchem Zweck Er es wünscht. Nun gut, das einzige Wissen über Gott und über sich selbst, das der Berufene in der Annahme des Rufes Gottes erwirbt, besteht darin, dass er sich für die anderen bestimmt weiß: der biblische Gott, der beruft, will den Berufenen für sich selbst, ja, aber auch für die anderen. Genau darin besteht die Überraschung des Berufenen: die Antwort, die er Gott für seine Berufung schuldet, muss beweisen, dass er für die antwortet, zu denen er gesandt wurde. Gott beruft, damit der Berufene bei Ihm bleibe und um ihn zu senden. Die innige Freundschaft mit Ihm und die Sendung zu Gunsten der anderen sind die Art und Weise, die Auserwählung zu leben. Sie sind ihre Konsequenz und ihr Beweis. Und all das, was man tut, um zu lernen, Freunde und nicht Knechte des Herrn zu sein und die Sendung zu verwirklichen, um sich auf dieselbe vorzubereiten und sich mit ihr zu identifizieren, ist Ausbildung. Die Ausbildung des Salesianers ist von ihrer Natur aus religiös und apostolisch, weil sie auf die Sendung ausgerichtet ist und von ihr motiviert wird.

Die einzige Antwort, die der Gott des Berufenen als gültig ansieht, ist diejenige, durch welche er seine Berufung verwirklicht, das heißt: die Antwort, die er gibt, wenn er sich denen hingibt, für die Gott ihn bestimmt hat, als er ihn beim Namen rief. Die Berufung annehmen setzt also ein Leben des Gehorsams gegenüber der empfangenen Aufgabe voraus: Der exklusive Dient an den Jugendlichen ist die Antwort, die Gott vom Salesianer erwartet. Es ist kein Zufall, dass wir das Bewusstsein für unsere Pflichten gegenüber den Jugendlichen verlieren, wenn wir Gefahr laufen, die Freude am Gebet und den Wunsch zu beten verlieren. Noch weniger muss es uns wundern, dass jeder Versuch der Befreiung von der salesianischen Sendung unser gemeinsames Gebet verarmen lässt und immer schwieriger gestaltet. Es ist nicht so, dass Gott sich von uns entfernt und uns daran hindert, Ihn uns nahe zu fühlen. Wohl aber ist es so, dass wir uns von den Jugendlichen entfernen und nicht mehr in der Lage sind, ihren Problemen nahe zu sein. Wir glauben uns von Gott verlassen, weil und wenn wir „die Heimat unserer Sendung…, die bedürftige Jugend“18 verlassen.

Als Salesianer haben wir eine Schuld gegenüber Gott und gegenüber den Jugendlichen. Diese Schuld ergibt sich aus der empfangenen Gnade. Sie ist durch die Berufung entstanden und wird durch diese aufrechterhalten. Beglichen wird sie durch die „angemessene und ständige Bildung“ (Konst. 96). „Inmitten der Welt und der Sorgen eines pastoralen Lebens lernt der Salesianer, Gott in jenen zu begegnen, zu denen er gesandt ist“ (Konst. 95). Die Bildung besteht grundsätzlich und hauptsächlich in diesem Lernen. Das Ziel besteht in der Begegnung mit Gott in dem Leben, das man führt, indem man seine Berufung lebt. Der Weg zum Erfolg und die methodologischen Entscheidungen bilden den Bildungsprozess, den jeder Berufene in erster Person lebt. Man muss nicht aus dem Leben aussteigen, das man führt, wenn es die Antwort auf die eigene Berufung ist. Wo jedoch das Bewusstsein dafür fehlt, das vor Gott zu tun, was er uns anvertraut hat, wird es keine Bildung geben können, wie viel man auch studieren mag oder wie viele Jahre in den sogenannten „Häusern und Phasen der Ausbildung“ auch dahin gehen mögen.

2.2 Bildung: die Gnade als Aufgabe

Offenkundig sprechen wir nicht in abstrakten Begriffen von Berufung und Bildung. Wie wir am Anfang gesehen haben, haben es beide, Berufung und Bildung, mit eigenen Herausforderungen zu tun, die sich meines Erachtens aus dem kulturellen Kontext, in dem wir leben, und aus der Form der Präsenz der Kirche und der Kongregation ergehen.

Für das, was den sozialen Kontext anbelangt, gibt es einige Elemente, die im Gegenlicht „aus der Nähe die Berufungserfahrung berühren“: einerseits der Wert der Person und andererseits der Subjektivismus und Individualismus; einerseits die Würde der Frau und andererseits die Mehrdeutigkeit im Hinblick auf sie; einerseits die Neubewertung der Sexualität und andererseits einige ihrer verzerrten Ausdrucksformen; einerseits der Reichtum des Pluralismus und andererseits der Relativismus und die Schwachheit des Gedankens; einerseits der Wert der Freiheit und andererseits die Willkür; einerseits die Komplexität des Lebens, andererseits seine Bruchstückhaftigkeit; einerseits die Globalisierung und andererseits der Partikularismus; einerseits ein größerer Wunsch nach Spiritualität und andererseits der Säkularismus.19

Was die Kirche betrifft, so möchte diese auf die Herausforderungen von heute mit einer „Neuen Evangelisierung“ antworten, die ihrerseits neuen Verkündiger verlangt, der Christus zum Thema und Inhalt seiner Verkündigung macht, das Mysterium des Kreuzes zum Kriterium christlicher Authentizität, das Evangelium zu seiner Kraft- und Lichtquelle macht. So wird er in der Lage sein, die Evangelisierung, die menschliche Förderung und die christliche Kultur harmonisch miteinander in Einklang zu bringen und den kulturellen, ökumenischen und interreligiösen Dialog zu fördern.

Die Kongregation ihrerseits hat in den letzten Jahren seit dem II. Vatikanischen Konzil versucht, sich anzupassen, um auf diese Herausforderungen antworten zu können. Sie hat sich bemüht, ihre Berufungserfahrung und ihre Praxis der Bildung und Ausbildung zu erneuern. Die Ratio ist unter diesem Gesichtspunkt viel mehr als ein Dokument.

Ihre fundamentale Intuition ist die der charismatischen Identität und der Berufungsidentifikation. Wir sind davon überzeugt, dass, wenn es uns gelingt, durch die Ausbildung eine klare salesianische Identität zu gewährleisten, die Mitbrüder sich mit einem „Paket“ von Werten, Grundhaltungen und Kriterien ausgestattet fühlen, das ihnen hilft, sich erfolgreich mit der heutigen Kultur auseinanderzusetzen und auf wirksame Weise die salesianische Sendung zu verwirklichen. Ich möchte daher eine Annäherung an das Thema der Bildung aus dieser Perspektive versuchen.

Indem uns die Berufung Gottes die jungen Menschen als Inhalt unserer Berufungsantwort anvertraut hat, hat sie uns verpflichtet, eine bestimmte Art der Spiritualität zu leben, die eine spezifische Ausbildung erfordert: „Wir glauben, dass Gott uns in den Jugendlichen erwartet, um uns die Gnade der Begegnung mit Ihm zu schenken und uns bereit zu machen, Ihm in ihnen zu dienen“.20 Da man unsere Gotteserfahrung nicht verstehen kann ohne Bezug zu den Jugendlichen, für die Gott uns bestimmt hat, wird man ebenso wenig unsere Bildung verwirklichen können ohne ein Leben, das zu ihren Wohl geführt wird: „Der apostolische Charakter der Berufung zum salesianischen Ordensleben bestimmt die besondere Ausrichtung unserer Bildung“ (Konst. 97).

Der Salesianer weiß, dass sein apostolisches Leben der bevorzugte Ort und das zentrale Motiv seines Dialogs mit Gott ist: Weil Gott für ihn diese Aufgabe für das ganze Leben bestimmt hat, ist die Identifikation mit ihr und ihre Verwirklichung das, was er Ihm wird antworten können. „Der Anruf Gottes erreicht ihn durch die Erfahrung der Sendung zur Jugend; nicht selten beginnt hier die Nachfolge. Die Gaben der Gottgeweihtheit engagieren und zeigen sich und wachsen im Salesianer im Vollzug der Sendung. Eine einzige Bewegung der Liebe zieht ihn zu Gott hin und treibt ihn zu den Jugendlichen (vgl. Konst. 10). Er lebt die erzieherische Arbeit mit den Jugendlichen als einen Akt des Kultes und eine Möglichkeit der Begegnung mit Gott“.21

Das Engagement, das den Erfolg gewährleistet, nennt man Bildung. In der Tat, „salesianische Bildung heißt, sich mit der Berufung identifizieren, die der Geist durch Don Bosco erweckt hat, seine Fähigkeit haben, sie zu teilen, sich an seiner Grundhaltung und an seiner Bildungsmethode zu inspirieren“.22

Charismatische Identität und Berufungsidentifikation

„Sich Jesus Christus gleichgestalten und sein Leben hingeben für die Jugendlichen, wie Don Bosco“, ist in Synthese „die Berufung des Salesianers“, seine Identität. „Die gesamte Bildung, Ausbildung und ständige Fort- und Weiterbildung, besteht darin, diese Identität anzunehmen und sie in den Personen und in der Gemeinschaft Wirklichkeit werden zu lassen“. Von ihr geht der Bildungsprozess aus und auf sie bezieht er sich ständig“. Die salesianische Identität ist „das Herz der gesamten Bildung“,23 ihre Norm und ihr Ziel. „Mit anderen Worten: Die salesianische Identität charakterisiert unsere Bildung, die nicht allgemein sein kann, und spezifiziert ihre fundamentalen Pflichten und Forderungen“.24

Zielsetzungen der Bildung

Sich bilden heißt, die Lebensform anzuerkennen, zu der man berufen ist, und sich voll mit ihr zu identifizieren. Wie ich schon betont habe, fällt die Bildung im gottgeweihten Leben nicht mit der pädagogischen Zeit zusammen, die der Vorbereitung auf die Gelübde oder auf das Priesteramt vorausgeht, eine Zeit also, die begrenzt ist und nicht zu wiederholen ist. Sie ist vielmehr eine ständige, nie endende Situation, die „die gesamte Lebenszeit fortdauern muss, um die ganze Person einzubeziehen, mit Herz und Geist und allen Kräften (vgl. Mt 22,37), und sie dem Sohn gleich macht, der sich dem Vater für die Menschheit hingibt.“25

„Durch die Bildung verwirklicht sich die charismatische Identifikation und erlangt die notwendige Reife, um in Übereinstimmung mit dem Gründungscharisma zu leben und zu wirken. Vom ersten Zustand emotionaler Begeisterung für Don Bosco und für seine Sendung zur Jugend gelangt man zu einer wahren Gleichgestaltung mit Christus, zu einer tiefen Identifikation mit dem Gründer, zur Übernahme der Konstitutionen als Lebensregel und Kriterium der Identität, und zu einem starken Sinn der Zugehörigkeit zur Kongregation und zur Provinzgemeinschaft“.26

Das, was wir zu sein berufen sind, bestimmt das, was wir zu sein uns bemühen müssen. Die charismatische Identität bewirkt und leitet das Engagement zur persönlichen und gemeinschaftlichen Identifikation, in der die Bildung des Salesianers besteht. Mit anderen Worten: Die Zielsetzungen der Bildung und Ausbildung für das salesianische Leben sind uns auferlegt von der salesianischen Berufung selbst, letztendlich von Gott, der uns beruft, diese Aufgaben zu erfüllen:

1. Gesandt zu den Jugendlichen: Christus, dem Guten Hirten gleichförmig werden.

Wie Don Bosco hat der Salesianer als ersten und hauptsächlichen Empfänger seiner Sendung „die arme, verlassene und gefährdete Jugend, weil sie die Liebe und Heilsbotschaft am meisten braucht“ (Konst. 26).27

Die Antwort auf diese Sendung erwirbt uns die Gleichgestaltung28 mit Christus, dem Guten Hirten, deren natürliche Frucht und Garantie die pastorale Liebe ist. Die Jugendlichen zu lieben, wie Christus sie liebt, „wird für den Salesianer zum Lebensprojekt“; das, was er tut, um die Liebe Gottes zu den Jugendlichen zu repräsentieren (vgl. Konst. 2: in der Kirche Zeichen und Botschafter der Liebe Gottes zu sein), wird ihn Christus, dem Gesandten des Vaters, ähnlich machen. „Durch die Jugendlichen tritt Gott in die Existenz des Salesianers ein und nimmt den Hauptplatz ein; und die Sorge Christi, des Erlösers, findet ihr Echo in dem Motto Da mihi animas, cetera tolle, das den Punkt der Vereinigung der ganzen Existenz des Salesianers bildet“.29

Der Salesianer gestaltet sich mit Christus gleich, indem er mit einem „oratorianischen Herzen“30 seine Sendung verwirklicht. „Sie ist der sichere und endgültige Maßstab unserer Identität“31, indem wir mit Phantasie und erzieherischer Sensibilität auf die Bedürfnisse der Jugendlichen antworten. Dies geschieht im alltäglichen Leben und nicht in punktuellen oder außergewöhnlichen Verhaltensweisen, „in der Realität eines jeden Tages, in der der Salesianer seine Identität als Apostel der Jugendlichen in gelebte Erfahrung umwandelt“.32

2. Als Brüder einer gemeinsamen Sendung: aus dem gemeinschaftlichen Leben einen Ort und ein Objekt der Bildung machen.

„In Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten ist für uns Salesianer ein grundsätzliches Erfordernis und ein sicherer Weg, unsere Berufung zu verwirklichen“ (Konst. 49). Das Leben in Gemeinschaft zur Erfüllung der Sendung ist nicht unserem Gutdünken überlassen: wir sind nicht frei, ob wir es annehmen wollen, und wir können uns nicht nach unserem Belieben davon befreien. Es handelt sich hier auch um keine taktische Entscheidung, die auf eine größere apostolische Wirksamkeit hinzielt: „Es ist einer der am stärksten prägenden Grundzüge der salesianischen Identität. Der Salesianer ist berufen, mit anderen gottgeweihten Brüdern den Dienst am Reich Gottes unter den Jugendlichen zu teilen“.33

Durch Berufung ist der Salesianer „lebendiger Teil einer Gemeinschaft“ und „pflegt einen tiefen Sinn der Zugehörigkeit zu ihr“: „Mit Glaubensgeist und unterstützt von der Freundschaft lebt der Salesianer den Familiengeist in der Gemeinschaft und trägt Tag für Tag zum Aufbau der Gemeinschaft unter allen Mitbrüdern bei. Davon überzeugt, dass die Sendung der Gemeinschaft anvertraut ist, verpflichtet er sich, mit seinen Mitbrüdern gemäß einer gemeinschaftlichen Vision und einem miteinander geteilten Projekt zu arbeiten“.34

Da „die Aneignung des salesianischen Geistes grundsätzlich eine Sache der Lebensgemeinschaft“ ist (Satzung 85), fordert die Bildung, insofern sie Identifikation mit dem salesianischen Charisma ist, noch mehr jene Kommunikation, die als ihren „natürlichen Kontext die Gemeinschaft hat“.35 Über die Eigenschaft der Gemeinschaft hinaus, „der natürliche Nährboden für die Entfaltung der Berufung“ zu sein, wirkt, „das Gemeinshaftsleben selber, das in Christus geeint und für die Nöte der Zeit offen ist, bildend“ (Konst. 99). In der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft leben, heißt in einem formativen Prozess zu leben.

3. Von Gott geweiht: die Radikalität des Evangeliums bezeugen.

„Die apostolische Sendung, die brüderliche Gemeinschaft und die Verwirklichung der evangelischen Räte sind die untrennbaren Wesenselemente unseres gottgeweihten Lebens“ (Konst. 3).

„Das spirituelle salesianische Leben ist eine starke Gotteserfahrung, die aufrechterhalten wird durch einen Lebensstil, der zutiefst auf die Werte des Evangeliums gegründet ist, und die umgekehrt diesen evangelischen Lebensstil unterstützt (vgl. Konst. 60). Deshalb übernimmt der Salesianer die gehorsame, arme und keusche Lebensform, die Jesus für sich auf der Erde gewählt hat… Indem er mit intensiver apostolischer Grundtönung in der Radikalität des Evangeliums wächst, macht er aus seinem Leben eine erzieherische Botschaft, die besonders an die Jugendlichen gerichtet ist. Dabei vorkündet er mit seiner Existenz, ‚dass Gott lebt, dass seine Liebe ein Leben zu erfüllen vermag und dass das Bedürfnis zu lieben, der Hang zu besitzen und die Freiheit, über das eigene Leben zu entscheiden, ihren höchsten Sinn in Christus, dem Erlöser, finden‘ (Konst. 62)“.36

Konsequenterweise stellt die Verwirklichung der evangelischen Räte darüber hinaus, Botschaft und Methode der Evangelisierung37 zu sein, ein Identitätsprinzip und ein Kriterium für die Bildung und Ausbildung dar“.38

4. Berufung und Sendung miteinander teilen: apostolische Gemeinschaften im Geist Don Boscos animieren.

„Der Salesianer kann seine Berufung in der Kirche nicht ganzheitlich denken, ohne sich auf jene zu beziehen, die mit ihm die Träger des Willens des Gründers sind. Mit der Profess tritt er in die Salesianische Kongregation ein und wird eingegliedert in die Salesianische Familie“(Don-Bosco-Familie)39. In ihr haben wir eine besondere Verantwortung: „die Einheit des Geistes zu wahren sowie den Dialog und die geschwisterliche Zusammenarbeit anzuregen, um uns gegenseitig zu beschenken und dem Apostolat größere Wirksamkeit zu verleihen“ (Konst. 5).

Schon aufgrund der Tatsache, dass er Salesianer ist, ist dieser „Animator und übt sich, es immer mehr zu werden“40. Die Antwort auf die eigene Berufung macht ihn mitverantwortlich für das salesianische Charisma, das die verschiedenen Mitglieder der Salesianischen Familie in unterschiedlicher Weise leben. „Die Bildung gibt dem Salesianer einen starken Sinn für die besondere Identität, macht offen für die Gemeinschaft im salesianischen Geist und in der Sendung mit den Mitgliedern der Salesianischen Familie, die nach verschiedenen Berufungsprojekten leben… Die Einheit und Gemeinschaft wird ‚umso sicherer sein, als die Berufungsidentität eines jeden und das Verständnis, der Respekt und die Wertschätzung der verschiedenen Berufungen wachsen‘…41 „Die Bildung zur Gemeinschaft in den salesianischen Werten lässt das Bewusstsein der Aufgabe der charismatischen Animation wachsen und qualifiziert dazu“.42

5. Im Herzen der Kirche: die Kirche, das Sakrament des Heils, aufbauen.

„Die salesianische Berufung stellt uns mitten ins Leben der Kirche“ (Konst.6): „die spirituelle Erfahrung des Salesianers ist daher eine kirchliche Spiritualität“.43 Wenn es für Don Bosco eine charakteristische Art seines Lebens und seiner Heiligkeit war, die Kirche zu lieben, so ist für uns, „Salesianer zu sein, unsere Art, auf intensive Weise Kirche zu sein“.44

Der Salesianer gelangt dahin, dies zu sein, indem er in seinem Sinn der Zugehörigkeit zur Kirche wächst,45 sich für ihre Sorgen und Probleme engagiert, sich in ihre pastoralen Programme eingliedert und die Jugendlichen in diese mit einbezieht und in herzlicher Einheit mit dem Papst und mit denen lebt, die für das Reich Gottes arbeiten (vgl. Konst. 13).46

6. Offen für die Realität: das Charisma inkulturieren.

Die Berufung des Salesianers erfordert „Offenheit und Unterscheidungsvermögen angesichts der gegenwärtigen Umwandlungen im Leben der Kirche und der Welt, besonders unter den Jugendlichen und den einfachen Volksschichten“.47 Wie Don Bosco lebt der Salesianer die geschichtliche Wirklichkeit, „eingebunden in seine Berufung“. Sie ist „eine Herausforderung und eine dringende Einladung zur Unterscheidung und zum Handeln… Er bemüht sich, die kulturellen Probleme zu verstehen, die heute das Leben kennzeichnen, reflektiert sie aufmerksam und auf engagierte Weise und begreift sie in der Perspektive der Erlösung“.48 Die Wirklichkeit, insbesondere die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen und der einfachen Volksschichten, im Licht des Evangeliums zu lesen ist unerlässlich, wenn man angemessen auf die salesianische Berufung antworten will, und ist daher ein integrativer Bestandteil jeglichen formativen Engagements.

„Berufen, sich unter den Jugendlichen eines bestimmten Ortes und einer bestimmten Kultur zu verwurzeln, bedarf der Salesianer einer inkulturierten Bildung. Mittels des Unterscheidungsvermögens und des Dialogs mit dem eigenen Kontext bemüht er sich, die eigenen Lebenskriterien mit den salesianischen Werten und den Werten des Evangeliums zu durchdringen und die salesianische Erfahrung in den eigenen Kontext einzuwurzeln. Aus dieser fruchtbaren Verbindung entstehen äußerst wirksame Lebensstile und pastorale Methoden, weil sie übereinstimmen mit dem Gründungscharisma und dem einigenden Wirken des Heiligen Geistes (vgl. VC 80)“.49

Die Methodik der Ausbildung50

„Auf den Anruf Christi antworten, der persönlich ruft, heißt die Werte der Berufung Wirklichkeit werden zu lassen“.51 Angesichts der hundertjährigen salesianischen Erfahrung, von Don Bosco bis in unsere Tage, kann man die theoretische Identifikation der charismatischen Werte heute als Ziel ansehen, das in genügender Weise erreicht wurde. Die größte Herausforderung, die sich der Bildung und Ausbildung heute stellt, besteht vielmehr in der Frage der Methodik: Wie macht man aus dem Berufungsangebot einen persönlichen Lebensentwurf? Wie gelangt man von Werten, die geschätzt werden, zu Werten, die gelebt werden? Wie kann man das salesianische Charisma in eine täglich gelebte Wirklichkeit umsetzen?

Angespornt von einer unentgeltlichen Berufung, ist die Ausbildung, bevor sie methodologischer Prozess wird, durch einen persönlichen, nicht übertragbaren Dialog mit Gott eine gelebte Erfahrung der Gnade, ein dankbares Geschenk und angenommene Verantwortung. Sie ist, und zwar in dieser Ordnung, „Gnade des Geistes, persönliche Grundhaltung, Pädagogik des Lebens“.52 Der Geist Gottes ist letztendlich der Urheber der Berufung und der einzige und wahre „Ausbilder“ (formatore) des Berufenen. Die formative Praxis bleibt so offen für den Sinn für das Geheimnis Gottes und das Geheimnis der Person. Ohne diesen inneren Dialog ist nichts möglich. Das beweist auch sehr gut unsere persönliche Erfahrung und unsere Erfahrung als Erzieher.

Nachdem die Priorität des Geistes im formativen Prozess53, der salesianischen Erziehungserfahrung, der Richtlinien der Kirche und der Kongregation und der Analyse der Ausbildungswirklichkeit bekräftigt wurden, kamen in den letzten Jahren Entscheidungen in Bezug auf die Methodik auf, „die unverzichtbar erscheinen für die Erreichung der Ziele des Ausbildungsprozesses und für die kontinuierliche Pflege der Berufung“.54

1. Die Person in der Tiefe erreichen

Die Ausbildung, die die „persönliche Verinnerlichung der salesianischen Identität“55 zum Ziel hat, verwirklicht sich mehr im Sein wie Don Bosco als im Arbeiten wie er. Das verpflichtet dazu, das formative Engagement in erster Linie auf die Verinnerlichung der Erfahrung zu konzentrieren, ohne sich darauf zu beschränken, neue Kenntnisse zu erlangen oder äußere formale Haltungen zu wiederholen, die nicht wirklich die Werte ausdrücken, die zu leben wir berufen sind, und die bloße Formen der Anpassung an ein Umfeld darstellen.56 Ohne Verinnerlichung der Werte geht man ein doppeltes Risiko ein: Einerseits reduziert man die Ausbildung auf reine Informationsvermittlung, wenn man sich bei der Aneignung von Werten damit begnügt, oft von ihnen zu sprechen. Andererseits reduziert man die Ausbildung zu einer einfachen Vereinbarung, wenn man nachahmungsweise eine Lebensart annimmt, ohne sich ihre letzten Motivationen anzueignen.

Die Verinnerlichung der charismatischen Werte impliziert notwendigerweise die Existenz von tiefen persönlichen Motivationen, und sie wird unerreichbar, wenn es nicht gelingt, aus den Werten subjektive charismatische Überzeugungen zu machen. Nur wenn wir starke Motive haben, um das zu werden, wozu wir berufen sind, können wir die Elemente als Werte entdecken, die das Ganze des salesianischen Lebens bilden, sie erfahren und sie bis zu dem Punkt aufnehmen, dass sie zu einer dem eigenen Wesen entsprechenden Art des Seins werden. Und so geschieht es, dass die Person in der Tiefe berührt wird und dass sich ihre Umwandlung vollzieht.

Darüber hinaus ist auf einen der salesianischen Erziehung eigenen Aspekt hinzuweisen, nämlich dass man von der konkreten Person ausgeht, von ihrer persönlichen Geschichte, von ihrem vorausgehenden Entwicklungsprozess in den verschiedenen Dimensionen der menschlichen Person. So ist die Versuchung zu überwinden, alle aus pragmatischen Gründen gleich zu machen und gleich zu behandeln, ohne die Rhythmen der Reifung der Personen zu respektieren. Dieser Aspekt bringt die Aufgabe mit sich, dabei zu helfen, dass die Person sich erkennt und sich annimmt, sich ihrer Überzeugungen bewusst wird und diese der kritischen Unterscheidung unterzieht, was eine unverzichtbare Bedingung dafür ist, um auf die Wahrheit und die Annahme seiner selbst zu bauen. Dies beinhaltet auch die genaue Kenntnis der Bedürfnisse der Person und die Ausarbeitung eines angemessenen Lebenswegs. Dazu gehört schließlich das klare Angebot des salesianischen Lebens mit allen seinen Anforderungen, ohne Raum zu lassen für leichtsinnige Begeisterungen und für rasch vorübergehende Emotionen.

Die Selbsterkenntnis, die bereits ein Wert ist, ist ausgerichtet auf die formative Erfahrung der Auseinandersetzung des einzelnen mit der Berufungsidentität, die er annehmen will. So entsteht das Profil, mit dem die Person sich identifizieren will: nämlich Jesus Christus, indem man nach der Art Don Boscos die Aussage des hl. Paulus umschreibt: „Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme“ (1 Kor 11,1). Ausgehend von diesem Profil entwirft man den spirituellen Plan, der jene wachsende Identifikation fördert, die logischerweise kein Ende hat und für das ganze Leben gilt.

Die erste Verantwortung für diese innere Identifikation kommt der berufenen Person selbst zu. Es handelt sich nicht um eine delegierbare und aufschiebbare Aufgabe. Keiner kann sie an Stelle des andern ausüben. Und der Berufene kann es auch nicht tun, wann er will. Gerade weil er berufen ist und um auf seine Berufung zu antworten, muss sich der Berufene zutiefst engagieren, ohne Reserven, mit Großherzigkeit und Radikalität, mit Überzeugung und Begeisterung. Nach und nach wird er im Sinn der Zugehörigkeit zur Familie wachsen, an der er teilhaben will, und er wird sich in ihr zu Hause fühlen.57

2. Zu einer einheitlichen Ausbildungserfahrung animieren

Die Ausbildung verwirklicht sich notwendigerweise auf einem langen und sich unterscheidenden Weg, in verschiedenen Gemeinschaften und mit verschiedenen Verantwortlichen. Um eine integrierte und personalisierte Erfahrung sein zu können, ist es notwendig, dass der Weg als ein einziges Angebot verstanden und verwirklicht wird, das sich in einem einheitlichen Prozess vollzieht, wenngleich sich die konkreten Aktionen und die Akzente je nach den verschiedenen Etappen im Leben des Salesianers unterscheiden. Die Erarbeitung des Angebots liegt in der Verantwortung der Gemeinschaft.58 Es überschreitet individuelle Präferenzen oder Bedürfnisse und vermittelt in zugänglicher und pädagogischer Weise das Gründungscharisma.

Um „das Risiko zu vermeiden, aus der Ausbildung eine Ansammlung von unorganisierten und unbeständigen Maßnahmen zu machen, die der individuellen Tätigkeit von Personen oder Gruppen anvertraut sind“59, muss sie als einheitliches und organisches Projekt gedacht und gelebt werden, und zwar mit einer Mentalität der Planung. Das Projekt schließt sowohl das ein, was objektiv das salesianische Charisma ausmacht (allgemeine Ziele), wie auch das, was die Ausbildung in jeder spezifischen Phase verfolgt, sowie die Gestaltungsmaßnahmen, mit denen sie es verwirklicht (Zielsetzungen jeder Etappe, die zu erreichenden Strategien und die Bewertungsmethoden).60

Angesichts der Tatsache, dass der Ausbildungsprozess zum Dienst an der Person geschieht61, erfordert ihre Reifung eher die Beachtung „psychologischer“ Phasen als chronologischer. Und daher muss ein gewisses Verständnis, wonach die Dinge des Geistes nicht berechenbar sind, überwunden werden und muss die Ausbildung auf der Basis der Befolgung der angebotenen Ausbildungsziele überprüft werden. Die Ausbildung ist keine Frage der Überwindung von Phasen und der Vollendung eines Curriculums. Es handelt sich vielmehr darum, die Werte zu integrieren und eine starke Berufungsspannung aufrechtzuerhalten. Eine Etappe muss die nachfolgende vorbereiten. Der Übergang von einer Phase zur anderen muss „mehr vom Erreichen der Ziele als vom Durchlaufen der Zeit oder vom Studiencurriculum [gekennzeichnet sein]… Der Rhythmus des Berufungswachstums wird eingehalten ohne Spannungsabfälle und wird aufrechterhalten von zunehmenden Verpflichtungen und rechtzeitigen Überprüfungen“.62

Wie in jedem erzieherischen Geschehen ist der „Berufene“ das Subjekt, das allen Maßnahmen, Motivationen und Aktivitäten Einheit verleiht, weil nur er alles in organischer Weise in das salesianisch-apostolische Lebensprojekt integrieren kann, so wie Don Bosco es getan hat, der – wenn wir die Worte Don Ruas gebrauchen – „keinen Schritt tat, kein Wort sprach und nichts unternahm, was nicht auf das Wohl der Jugend ausgerichtet gewesen wäre“ (Konst. 21).

3. Das formative Umfeld und die Mitverantwortung aller sicherstellen

Die Aneignung des salesianischen Geistes ist grundsätzlich eine Sache der Lebensgemeinschaft (Satzung 85). Wie im Falle Jesu mit seinen ersten Jüngern (Mk 3,13-14; vgl. Pastores dabo vobis, 6063) und Don Boscos mit den ersten Salesianern64 muss die Ausbildung in einem Umfeld des Berufungsdialogs, des täglichen Zusammenlebens und der miteinander geteilten Verantwortung erfolgen.

Die erste Verantwortung fällt natürlich dem Berufenen zu; er ist „notwendige und unverzichtbare Hauptperson seiner Ausbildung, die letztlich Selbstbildung ist“.65

„Jeder Salesianer übernimmt die Verantwortung für die eigene Bildung“ (Konst. 99). Er ist es, der die eigene Berufung erkennen, an- und aufnehmen muss und entsprechend handeln muss. Und er kann dies tun, „indem er die Lebensregel zu seinem Bezugspunkt nimmt und sich in die tägliche Erfahrung und den Bildungsweg der Gemeinschaft einfügt… Eine der konkreten Formen, um die eigene Verantwortung in der Ausbildung auszudrücken, ist es, das persönliche Lebensprojekt zu haben“.66

Der Salesianer muss in seiner Gemeinschaft den „natürlichen Nährboden für die Entfaltung der Berufung [finden]Das Gemeinschaftsleben selber, das in Christus geeint und für die Nöte der Zeiten offen ist, wirkt bildend“ (Konst. 99). Es genügt nicht – das ist evident –, dass ein gewisser Grad des gemeinsamen Lebens existiert. Die Gemeinschaft ist das Umfeld der Ausbildung, wenn es ihr gelingt, ein kollektives Subjekt der Ausbildung zu sein, das heißt: wenn sie sich so organisiert, dass sie in ihrem Inneren tiefe zwischenmenschliche Beziehungen fördert, ferner einen mitverantwortlichen apostolischen Schwung, professionelle und pädagogische Kompetenz, ein anregendes Gebetsleben, einen authentischen Lebensstil nach dem Evangelium, durch ein eigenes und von allen geteiltes Konzept die Sorge für das Berufungswachstum eines jeden Mitbruders, die Offenheit für die Bedürfnisse der Kirche und der Jugendlichen sowie die Übereinstimmung mit der Salesianischen Familie. Insbesondere bewertet die Gemeinschaft ihr tägliches Engagement in der Erziehungs- und Pastoralgemeinschaft, indem man diese als einen „bevorzugten Raum des authentischen Wachstums und intensiver ständiger Fort-und Weiterbildung“67 ansieht.

Die Ausbildungsgemeinschaften sollen, noch bevor sie ein bestimmter materieller Raum sind, „ein spiritueller Raum sein, ein Lebensweg, eine Atmosphäre, die den Ausbildungsprozess fördert und sicherstellt“.68 Als Erziehungsgemeinschaften auf dem Weg69 zeichnen sie sich vom pädagogischen Gesichtspunkt her durch die Qualität ihres Ausbildungskonzepts aus, das von allen erarbeitet und geteilt wird70, und sie gewährleisten die Bedingungen, die die Personalisierung der Ausbildungserfahrung fördern. Um das gemeinsame Konzept in tägliche Ausbildungspraxis umzusetzen, indem man eine angemessene Atmosphäre schafft, ist eine unverzichtbare Bedingung und ein bestimmender strategischer Punkt das Vorhandensein einer Gruppe von Ausbildern.71 Die Wirksamkeit ihrer Ausbildungstätigkeiten wird von der Tatsache abhängen, dass sie sich nicht so sehr wie isolierte Begleiter präsentieren und entsprechend handeln, sondern als Team, das die „mens“ und die Ausbildungspraxis der Kongregation repräsentiert und das die Kriterien der Unterscheidung sowie eine Pädagogik der Begleitung miteinander teilt.

Im Inneren des Ausbildungsteams hat der Direktor der Gemeinschaft eine bedeutende Rolle, die umso herausfordernder ist72, wenn er Direktor einer Ausbildungsgemeinschaft ist, weil er dafür verantwortlich ist, „das Berufungswachstum seiner Mitbrüder“73 zu animieren. Er ist „verantwortlich für den persönlichen Ausbildungsprozess eines jeden Mitbruders. Er ist auch der vorgeschlagene, nicht der aufgezwungene geistliche Begleiter (direttore spirituale) der Mitbrüder in Ausbildung“.74 „Als Vater, Lehrer und geistlicher Führer“ (Konst. 55) seiner Gemeinschaft fördert er in ihr ein formatives Umfeld durch die Schaffung eines Klimas, das reich ist an salesianischen, menschlichen und apostolischen Werten; er erhält sie in der Grundhaltung der Antwort auf die Berufung Gottes und der Übereinstimmung mit der Kirche und der Kongregation; er sieht als einen bevorzugten Moment für die Personalisierung der Berufung das persönliche Gespräch und die geistliche Begleitung an; er formt und ermutigt das Team der Ausbilder, „indem er das Engagement aller in ein gemeinsames Projekt in Übereinstimmung mit dem Provinzkonzept zusammenfließen lässt.“75

Ihrer Neuheit und Dringlichkeit wegen verwundert die Vorstellung der Provinzgemeinschaft als „Ausbildungsgemeinschaft, aber auch als Gemeinschaft in Ausbildung“: „Es ist erste Verantwortung der Provinzgemeinschaft, auf dem Feld der Bildung die Identifikation der Mitbrüder mit der salesianischen Berufung zu fördern, besonders derer, die in Grundausbildung sind, indem man sie lebendig mitteilt. Es ist demnach nicht gleichgültig, ob sich die Provinzgemeinschaft reich an starken Motivationen oder demotiviert, eifrig im Handeln oder müde zeigt. Das Klima des Gebets und des Zeugnisses, der Sinn für die gemeinsame Verantwortung und die Offenheit für das Umfeld und für die Zeichen der Zeit, das Leben mit spirituellem Elan und mit Kompetenz auf verschiedenen Einsatzfeldern der salesianischen Sendung, das Angebot eines Umfeldes, das täglich Kriterien und Anreize der Treue liefert, das Netz herzlicher Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaften, zwischen den einzelnen Mitbrüdern, zwischen den Gruppen der Salesianischen Familie und mit den in der Gemeinschaft engagierten Laien: alle diese Aspekte bilden das Provinzambiente für die Ausbildung der Mitbrüder. Dieses Klima erlaubt den Mitbrüdern in Ausbildung, eine lebendige Erfahrung der salesianischen Identität zu machen und sich unterstützt zu fühlen auf ihrem Berufungsweg“. 76

Diese Sendung der Provinz im Hinblick auf Bildung und Ausbildung „ist kein purer Zustand des Geistes, und auch nicht eine Sache des guten Willens… (sondern) ist ein Prinzip, das das Leben der Provinz organisiert und ihre ganze Wirklichkeit mit einbezieht; ausgehend von den Anforderungen des Berufungsbewusstseins und der Mitverantwortung aller für die Sendung, übersetzt es sich in ein organisches Provinzbildungskonzept.77

4. Der täglichen Erfahrung formative Qualität vermitteln

„Berufen, jede Gelegenheit als Verpflichtung zur ständigen Fort-und Weiterbildung zu nützen“, ist der Salesianer „bemüht, aus den Ereignissen den Anruf des Geistes Gottes herauszuhören und so die Fähigkeit zu erwerben, vom Leben selbst zu lernen. Seinem alltäglichen Tun misst er bildende Kraft zu“ (Konst. 119). Wenn die „tägliche Erfahrung in der Perspektive der Bildung gelebt wird, nähert sie uns der eigenen Wahrheit an und bietet Gelegenheiten und Anregungen, unseren Lebensentwurf real werden zu lassen“.78

Das war die Schule Jesu mit seinen Jüngern, während sie das Leben, die Müdigkeit und die Ruhe miteinander teilten und während sie nach Jerusalem gingen. Erzieherisch war auch die tägliche Erfahrung Don Boscos, der „den Bemühungen eines jeden Tages auf dem Hof und in der Schule, in der Gemeinschaft und in der Kirche (vgl. Konst. 40) erzieherischen Wert zuschrieb, und zwar durch die Art, die Ereignisse zu sehen und zu verstehen und auf die Situation der Jugendlichen, der Kirche und der Gesellschaft zu antworten“.79

Dennoch ist es nicht zu leugnen, dass das tägliche Leben nicht ohne weiteres formativ ist; es müssen einige Bedingungen erfüllt werden, damit es ein konkreter und täglicher Weg der Berufungsidentifikation werden kann:

  • die Präsenz unter den Jugendlichen: „Die Begegnung mit den Jugendlichen ist für den Salesianer Weg und Schule der Bildung“; der Kontakt mit den Jugendlichen und ihrer Welt „gibt ihm das Bewusstsein von der Notwendigkeit erzieherischer und beruflicher Kompetenz, pastoraler Qualifikation und einer ständigen Fort- und Weiterbildung und Anpassung“80;

  • die Sendung zur Jugend macht es notwendig, zusammen zu arbeiten, was sich als formativ erweist, „wenn sie von der Reflexion begleitet wird, und noch mehr, wenn sie durchdrungen ist von einer Grundhaltung des Gebets. Deshalb schafft die Gemeinschaft Momente und Räume, die einen aufmerksamen Blick, eine tiefere Lektüre, ein heiteres Miteinander-Teilen fördern. Der Salesianer ist berufen, sich mit den eigenen Grundmotivationen, mit dem eigenen pastoralen Sinn und mit dem Bewusstsein der eigenen Identität auseinanderzusetzen“81;

  • die gegenseitige Kommunikation als „Austausch von Gaben und Erfahrungen zur gegenseitigen Bereicherung der Personen und der Gemeinschaft“. Sie erfordert Übung. „Seitens dessen, der kommuniziert, ist es notwendig, eine gewisse Angst oder Furchtsamkeit im Ausdrücken eigener Gedanken und Gefühle zu überwinden und den Mut zum Vertrauen auf den anderen zu haben. Seitens dessen, der die Kommunikation empfängt, bedarf es der Fähigkeit, sie ohne Beurteilung des anderen mit Wertschätzung für ihn aufzunehmen und die Verschiedenheit der Standpunkte wertzuschätzen“82;

  • die zwischenmenschlichen Beziehungen „fördern und offenbaren das Niveau der Reifung einer Person, indem sie aufzeigen, bis zu welchem Punkt die Liebe von seinem Leben Besitz ergriffen hat und bis zu welchem Punkt er gelernt hat, sie zum Ausdruck zu bringen“.83 Ohne die Fähigkeit zu lieben und ohne den Willen zur Vergebung sind keine authentischen persönlichen Beziehungen möglich;

  • der sozio-kulturelle Kontext hat Einfluss auf die Art, zu sein, zu fühlen und die Realität zu bewerten und ist daher eine Anfrage an die eigene Identität. Außer, dass man die aktuelle Situation gut kennen muss, ist es notwendig, sie ausgehend von Gott zu deuten, um Antworten zu geben, die mit unserer Berufung und Sendung übereinstimmen: „Die Fähigkeit, Gott in der Welt zu ‚sehen‘ und in den Dringlichkeiten der Zeiten und der Orte seinen Anruf wahrzunehmen, ist ein fundamentales Gesetz des Weges des salesianischen Wachstums“.84

5. Die formative Begleitung qualifizieren

Die Ausbildung erfordert eine Begleitung, die eine „fundamentale Charakteristik der salesianischen Pädagogik“ ist und eine „unverzichtbare Bedingung“ für die Personalisierung und die Unterscheidungsfähigkeit darstellt. Die Begleitung hat den Zweck, dem Mitbruder angemessene Formen der Nähe, der Auseinandersetzung, der Orientierung und der Unterstützung in jedem Moment des Ausbildungsverlaufs zu gewährleisten. Dies soll so geschehen, dass der Mitbruder offen und mitverantwortlich ist, damit sie für ihn von Nutzen ist, indem er sich vergegenwärtigt, dass die Begleitung verschiedene Formen und vielfältige Grade der Intensität annehmen kann.

Die Begleitung beschränkt sich nicht auf den individuellen Dialog, sondern ist ein Gesamtgefüge von Beziehungen, ein Umfeld und eine Pädagogik, die dem Präventivsystem eigen sind: Sie reicht von der nahen und brüderlichen Präsenz, die Vertrauen und Familiarität weckt, bis zum gemeinschaftlichen Weg einer Gruppe und den gemeinschaftlichen Erfahrungen; von der Konfrontation zu äußeren Aspekten bis hin zur geistlichen Begleitung und zur sakramentalen Beichte.“85

Über die persönliche Begleitung hinaus gehört zum salesianischen Stil die Begleitung seitens des erzieherischen Umfelds, die sich aus den zwischenmenschlichen Beziehungen, den Orientierungen der Verantwortlichen und dem miteinander geteilten Konzept ergibt. Die gemeinschaftliche Begleitung spielt eine sehr wichtige Rolle in der lebendigen Kommunikation der salesianischen Werte. Sie zu pflegen, „bedeutet, die pädagogische und spirituelle Qualität der Gemeinschaftserfahrung und die Qualität der Animation und Ausrichtung der Gemeinschaft (….) sicherzustellen. Ihr Ziel ist es, eine Gemeinschaft aufzubauen, ausgerichtet mit Klarheit der Identität und pädagogisch animiert, sowie eine gemeinschaftliche Erfahrung, die durch die vielfältigen täglichen Ausdrucksformen des salesianischen Stils orientiert, anspornt und stützt. Sie stellt für jedes Ausbildungsumfeld und besonders für die zu kleinen oder zu großen Gemeinschaften eine Herausforderung dar“86.

Damit „sie einem jeden hilft, die Inhalte der Berufungsidentität“ anzunehmen und zu verinnerlichen, muss die Begleitung personenbezogen sein. Es ist notwendig, die Präsenz und die Hingabe von engagierten Personen in der Ausbildung sowie deren Kompetenz und die Einheit der Kriterien sicherzustellen. In der salesianischen Kongregation verwirklicht sich die persönliche Begleitung durch verschiedene Formen und Personen:

  • Der Direktor „hat die direkte Verantwortung für jeden Mitbruder. Er hilft ihm, die persönliche Berufung zu verwirklichen“ (Konst. 55). Während der Grundausbildung ist der Direktor „verantwortlich für den persönlichen Ausbildungsprozess“. Diesen Dienst übt er aus mittels des Gesprächs („Mitbrudergesprächs“), das ein integrierendes Element der salesianischen Ausbildungspraxis und ein konkretes Zeichen der Aufmerksamkeit und der Sorge um die einzelne Person und ihre Erfahrung“ ist. „Einmal im Monat geführt“ (Satzung 79), ist es in der salesianischen Grundausbildung „eine Form der spirituellen Orientierung, die dazu verhilft, den Ausbildungsverlauf zu personalisieren und die Inhalte zu verinnerlichen“.87

  • Eine andere Form der Begleitung, die von der salesianischen Pädagogik ausdrücklich vorgesehen ist, sind die „regelmäßigen Momente der persönlichen Überprüfung“ („Scrutinien“), durch die der Hausobernrat der Gemeinschaft dem Mitbruder hilft, seine persönliche Ausbildungssituation zu bewerten; er gibt ihm Orientierung und spornt ihn konkret im Reifungsprozess an“.88

  • Die geistliche Begleitung, die ein „Dienst der Erleuchtung, der Unterstützung und der Führung ist, geschieht im Hinblick auf die Unterscheidung des Willens Gottes, um die Heiligkeit zu erlangen; sie motiviert und weckt das Engagement der Person, regt sie zu ernsthaften Entscheidungen in Übereinstimmung mit dem Evangelium an und konfrontiert sie mit dem salesianischen Berufungsprojekt.89 Gemäß der salesianischen Tradition ist der Direktor der Ausbildungsgemeinschaft der vorgeschlagene geistliche Begleiter für die Mitbrüder, wenngleich ihnen die Freiheit bleibt, einen anderen geistlichen Begleiter zu wählen“90.

  • Das Sakrament der Versöhnung, in dem „einem jeden Mitbruder eine sehr praktische und personalisierte geistliche Führung geboten wird, ist angereichert mit der dem Sakrament eigenen Wirksamkeit. Der Beichtvater absolviert nicht nur von den Sünden, indem er den Pönitenten versöhnt, er ermuntert ihn und spornt ihn an auf dem Weg der Treue zu Gott und somit auch in der spezifischen Berufungsperspektive. Gerade aus diesem Grunde ist es gut, dass die Mitbrüder während der Grundausbildung einen festen Beichtvater haben, der gewöhnlich Salesianer sein soll.91

Es gibt noch andere Formen der persönlichen Begleitung und andere Verantwortliche, die dem Mitbruder helfen, die erzieherisch-pastorale Praxis und das Engagement in der intellektuellen Ausbildung in seine Ausbildungserfahrung zu integrieren.92 „Eine zentrale Bedingung für die Begleitung ist die Einstellung des Mitbruders in der Grundausbildung, sich begleiten und bilden zu lassen“.93 Schließlich hat „die formative Begleitung ihren Ort im Bereich der Animation“94: Sie vermeidet es, dem, der sich im Wachstum befindet, fremde Erfahrungen aufzuerlegen, ohne ihn zu beraten, ihm Vorschläge zu machen oder ihn zu korrigieren.

6. Der Unterscheidung Aufmerksamkeit schenken

Das spirituelle und pastorale Unterscheidungsvermögen ist für jeden Salesianer unverzichtbar, um die Berufung mit kreativer Treue und als fortwährende Antwort zu leben. Sie ist– wie ich Euch vor längerer Zeit geschrieben habe95 – Frucht des gehorsamen und geduldigen Hörens auf das Wort Gottes. In ihm können wir finden, was Gott heute von uns will und wie er es will (….). „Aus dem regelmäßigen Hören des Wortes Gottes haben die Jünger des Herrn das notwendige Licht erhalten für die individuelle und gemeinschaftliche Unterscheidung, die ihnen geholfen hat, in den Zeichen der Zeiten die Wege des Herrn zu suchen. Sie haben so eine Art von übernatürlichem Instinkt entwickelt96, jenen Blick des Glaubens, „ohne den das eigene Leben allmählich seinen Sinn verliert, das Angesicht der Brüder und Schwestern matt wird und es unmöglich ist, das Antlitz Christi darin zu entdecken; ohne den die Ereignisse der Geschichte vieldeutig bleiben, wenn nicht sogar ohne Hoffnung. Die apostolische und caritative Sendung verfällt in zerstreute Aktivitäten“.97

Eine Gemeinschaft, die „im Geist des Evangeliums den Blick auf die Wirklichkeit pflegt und in brüderlichem und geduldigem Dialog und mit lebhaftem Verantwortungssinn den Willen des Herrn sucht“, bietet den Mitbrüdern das angemessene Klima, in gewohnter Weise eine gemeinschaftliche Unterscheidung durchzuführen, „die die Übereinstimmung und die Einheit stärkt, die spirituelle Gemeinsamkeit aufrechterhält und die Suche nach Authentizität und Erneuerung anregt“.98

In der Grundausbildung ist die Unterscheidung „ein Dienst am Kandidaten und am Charisma“. Sie hat deshalb ihre Wichtigkeit, weil es sich darum handelt, die Gewissheit der Berufung, die Reife der Motivationen, die Aufnahme der Werte, die mit dem Lebensentwurf wachsende Identifikation, mit einem Wort: die Berufungseignung zu überprüfen. „Die Zulassungen sind (nur) Momente der Synthese im Verlauf dieses Prozesses. Die Unterscheidung vollzieht sich in inniger Zusammenarbeit zwischen dem Kandidaten und der Haus- und Provinzgemeinschaft. Die Ausbildungserfahrung geht aus von einer fundamentalen Voraussetzung: dem Willen, zusammen einen Prozess der Unterscheidung zu vollziehen mit einer Grundeinstellung der offenen Kommunikation und der aufrichtigen Mitverantwortung, aufmerksam gegenüber der Stimme des Geistes und den konkreten Vermittlungen. Gegenstand der Berufungsunterscheidung sind die Werte und die Grundeinstellungen, die gefordert sind, um mit Reife, Freude und Treue die salesianische Berufung zu leben: die Bedingungen der Eignung, die Motivationen und die rechte Intention“.99

Die Unterscheidung hat in der Ausbildung eine zentrale Bedeutung. Sie macht das Engagement und die Zusammenarbeit der Verantwortlichen wirksam, „indem sie die Kenntnis ihres Wesens und ihrer Kennzeichen, den Gebrauch der empfohlenen Mittel und die Aufmerksamkeit gegenüber den spezifischen Momenten und besonders das beständige und qualifizierte Engagement aller sicherstellt,“ angefangen vom Kandidaten, „dem ersten, der daran interessiert ist, den Plan Gottes in Bezug auf sich selbst zu entdecken“. Er „pflegt deshalb eine ständige Offenheit gegenüber der Stimme Gottes und der Tätigkeit der Ausbilder, er richtet sein Leben in einer Perspektive des Glaubens aus und setzt sich mit den Kriterien der salesianischen Berufung auseinander. Er versucht, sich in Wahrheit kennen zu lernen und zu bewirken, dass er gekannt und angenommen wird. Er macht Gebrauch von all den Vermittlungen und von den Mitteln, die die Ausbildungserfahrung ihm anbietet; insbesondere bedient er sich der formativen Begleitung und der brüderlichen Begegnung, des Gesprächs mit dem Direktor, der geistlichen Begleitung, des Sakramentes der Buße, der Überprüfungen und gemeinschaftlichen Unterscheidungen“.100

Außer dem Kandidaten wirken im Unterscheidungsprozess der Provinzial mit seinem Rat mit, indem sie „die Einheit der Kriterien“ pflegen; der Direktor, indem er „den vom Kandidaten gemachten Fortschritt auf seinem Berufungsweg“ bewertet; die ganze Gemeinschaft, indem sie die eigene Meinung zum Ausdruck bringt (Satzung 81).101 Alle Verantwortlichen müssen eine Berufungsperspektive und eine Grundhaltung des Glaubens einnehmen, sie müssen eine pädagogische Sensibilität haben und – einerseits – einige spezifische Kompetenzen102 pflegen und – andererseits – „als Bezugspunkt die salesianische Identität und deren Wesenselemente im Auge haben sowie die Erfordernisse und Bedingungen, um sie zu leben. Es geht um keine allgemeine Unterscheidung, vielmehr erfordert sie die Kenntnis und Übereinstimmung mit den von der Kongregation angegebenen Kriterien, an erster Stelle mit dem Kriterium der charismatischen Qualität, das darauf abzielt, die Basis zu legen für eine authentische und treue Berufungserfahrung. Die Unterscheidung will quantitative und funktionale Sorgen, unbegründete Begeisterungen oder Verpflichtungen, die auf brüchige und nicht erprobte Eignungen aufgebaut sind, überwinden. Wer im Unterscheidungsprozess mitwirkt, tut dies im Namen der Kongregation und in Verantwortung für das Charisma“.103

Die Unterscheidung bedeutet auch, dass man die Gradualität des Ausbildungsprozesses und die Besonderheit einer jeden Etappe kennt, indem man sich die Einheit der Person und ihres Wachstums vergegenwärtigt. Dennoch kann man nicht zustimmen, Ausbildungsetappen zu beginnen und Verpflichtungen zu übernehmen, „für die der Kandidat nicht geeignet ist“; man muss gleichfalls vermeiden, „problematische Situationen oder solche der Unentschlossenheit zu verlängern, die keine ernsthaften Perspektiven der Besserung bieten“.104

Wenn die Unterscheidung eine Grundhaltung nicht nur der persönlichen Überprüfung, sondern vor allem des Hörens auf die Stimme Gottes ist, der in bestimmten Umständen beständig und in besonderer Weise spricht, reduziert man sie nicht auf die Zeit der Grundausbildung. Im Gegenteil: sie begleitet das ganze Leben des Salesianers. In der Tat, „kann es im Leben des Salesianers Momente geben, in denen er die Notwendigkeit nach einer aufmerksameren Überprüfung des eigenen Weges, einer Revision der eigenen Entscheidungen, einer erneuten Bestätigung derselben oder einer neuen Berufungsoption spürt… Es ist äußerst notwendig, dass der Mitbruder sich in eine echte Grundhaltung der spirituellen Unterscheidung versetzt, frei von innerem und äußerem Druck, offen für die Auseinandersetzung und, indem er die Isolierung oder die in Einsamkeit getroffenen Entscheidungen vermeidet, sich die notwendige Zeit gönnt und die Gelegenheiten und Mittel, die ihm geboten werden, annimmt. Der Gemeinschaft kommt es durch ihre Verantwortlichen zu, den Mitbruder mit Respekt und brüderlichem Stil zu anzuerkennen, zu verstehen und zu begleiten, und ihn angemessen mit ordentlichen und außerordentlichen Maßnahmen zu unterstützen“.105

2.3 Bildung: absolute Priorität

Da Bildung ein Bemühen um die Aneignung der charismatischen Identität darstellt, ist sie „ein Engagement, das das ganze Leben lang andauert“.106 Wenn in der Tat das gottgeweihte Leben in sich selbst „eine fortschreitende Aneignung des Gesinnung Christi ist“, scheint es offensichtlich zu sein, dass dieser Weg die ganze Existenz hindurch andauern muss, um die ganze Person mit einzubeziehen“.107 Solange die Berufung nicht zurückgezogen wird, leben wir in der Schuld Gottes und unserer Zielgruppen: gerade weil „das ganze Leben Berufung und das ganze Leben Bildung ist“.108

Wenn es auch stimmt, dass die Bildung ein ganzes Leben lang andauert, so sind ihre Zielsetzungen und ihre Wege doch nicht immer identisch:

Die Grundausbildung, die gekennzeichnet ist von intensiven spirituellen Erfahrungen, die zu mutigen Entscheidungen führen“,109 zielt auf die charismatische Identifikation des Berufenen, auf die persönliche Kenntnis und Aneignung der Berufung ab; sie dauert eine begrenzte Zeitspanne lang, die geteilt ist in Etappen, welche einen stufenweisen Prozess der Aneignung des Charismas und der Hingabe an die Sendung erlauben. „Sie reicht von der ersten Orientierung auf das salesianische Leben bis zur Vertiefung der Motivationen, zur Identifikation mit dem salesianischen Projekt, um in einer konkreten Provinz zu leben“110: Es ist mehr eine Zeit der Arbeit und der Heiligkeit als eine Zeit der Erwartung (vgl. Konst.105).

Die ständige Fort- und Weiterbildung besteht vielmehr „in einem ständigen Bemühen um Umkehr und Erneuerung“ (Konst. 99), die uns freimacht, „um für das ganze Leben zu lernen, in jedem Alter und zu jeder Zeit, in jedem Ambiente und menschlichem Umfeld, von jeder Person und von jeder Kultur, um sich belehren zu lassen von jedem Fragment der Wahrheit und Schönheit, das man um sich herum findet“. Vor allem aber lässt sie uns „lernen, sich formen zu lassen vom Leben eines jeden Tages, von seiner eigenen Gemeinschaft und von seinen Brüdern und Schwestern, von ordentlichen und außerordentlichen Dingen, vom Gebet und von der apostolischen Mühe, in der Freude und im Leiden, bis zum Moment des Todes (…). Die Personen in der Zeit lebenslangen Lernens öffnen sich wieder für die Zeit, sie erleiden sie nicht, sie nehmen sie als Geschenk an und treten mit Augenmaß ein in die verschiedenen Rhythmen (tägliche, wöchentliche, monatliche, jährliche) des Lebens selbst, indem sie die Übereinstimmung suchen zwischen diesen und dem von Gott festgelegten unveränderlichen und ewigen Rhythmus, der die Tage, die Jahrhunderte und die Zeit bezeichnet“.111

Im Konkreten ist die ständige Fort- und Weiterbildung für uns Salesianer ein „Wachstum in der menschlichen Reife, in der Gleichgestaltung mit Christus und in der Treue zu Don Bosco, um auf die immer neuen Erfordernisse der Lebensbedingungen der jungen Menschen und des einfachen Volkes zu antworten“.112 Der Berufene weiß sich durch die ewige Profess verpflichtet, sich mit seiner Berufung zu identifizieren und sie entsprechend zu leben; er bleibt sich selbst treu, indem er sich auf die Treue Gottes und auf die Liebe zu den Jugendlichen stützt (vgl. Konst.195).113

„Wie für Don Bosco in den ersten Zeiten, so bilden heute für die Kongregation und für jeden Salesianer die Identifikation und die Verpflichtung der Treue zu ihm, d.h. Bildung, eine absolut lebensnotwendige Priorität“.114 Der Weg der Erneuerung, für den wir uns einsetzen, während wir auf die Zweihundertjahrfeier der Geburt Don Boscos zugehen, „hängt hauptsächlich von der Bildung“115 eines jeden Salesianers ab. Schon vom 24. GK als „Stachel“ empfunden, ist die Bildung ein „unverzichtbarer Teil der erzieherischen Kompetenz und der Spiritualität des Seelsorgers“116; sie wurde schon von meinem Vorgänger Don Vecchi als „vorrangige Investition“ angesehen.117 „Investieren“ will besagen: Prioritäten festsetzen und einhalten, Voraussetzungen sicherstellen, gemäß einem Programm handeln, das an die erste Stelle die Personen, die Gemeinschaften und die Sendung setzt. Investieren in Zeit, in Personal, in Initiativen, in ökonomische Ressourcen für die Bildung, ist Aufgabe und Interesse aller.118

Schlussgebet

Ich schließe diesen Brief, den ich für besonders wichtig halte, weil von der Qualität der Bildung der neuen Salesianer in hohem Maße die Zukunft der Kongregation abhängt, indem ich Maria anrufe. Sie wurde von Gott berufen, von seinem Geist gebildet, zunächst von Josef und dann von Jesus begleitet. So konnte sie im Glauben wachsen und treu bleiben gegenüber dem Plan Gottes mit ihr. Und gerade weil sie treu geblieben ist bis zum Tod Jesu, hat ihr Sohn am Kreuz sie uns als Mutter gegeben.

Maria, Mutter und Lehrmeisterin aller Jünger deines Sohnes, wir schauen auf dich und betrachten dich als erste gottgeweihte Frau, die es vermocht hat, mit ungeteiltem Herzen und mit einer bedingungslosen Hingabe an den Ruf des Vaters zu antworten. Im Bewusstsein, dass nur Gott möglich macht, was menschlich unmöglich ist, hast du dich vom Hl. Geist erfüllen und formen lassen, damit in dir der Sohn Gottes gezeugt werde.

Du hast zutiefst deine überaus schöne Berufung gelebt, die Mutter des Sohnes Gottes zu sein; nachdem du ihn zur Welt gebracht hattest, hast du ihn zusammen mit Josef so erzogen, dass er heranwuchs, „ an Weisheit zunahm und Gefallen fand vor Gott und den Menschen“ (Lk 2,52). Als echte Mutter hast du es verstanden, deinem Sohn die tiefen Grundeinstellungen und großen Werte zu vermitteln, die dein Leben animiert und gekennzeichnet haben: die ständige Suche nach dem Willen Gottes, die Annahme des göttlichen Willens, auch wenn du ihn nicht verstanden hast, der Dienst an den Brüdern und Schwestern, besonders an den Bedürftigen.

Es verwundert also nicht, deinen Sohn zu sehen, wie er sich auf den Berg zurückzieht und die Nacht im Gebet verbringt. Es ist der höchste Ausdruck seines Glaubens und für ihn ein unvergleichlicher Moment, um das zu erkennen, was der Vater als sein Lebensprogramm von ihm wollte. So hat er, „obwohl er der Sohn war, den Gehorsam gelernt hat; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden“ (vgl. Hebr 5,8-9). Es überrascht nicht, dass er keine bessere Beschäftigung, keine höhere Aufmerksamkeit, keine nährendere Speise hatte als die, den Willen das Vaters zu tun (Lk 2,49; Joh 4,34). Es erstaunt schließlich auch nicht, dass er sein Leben als Dienst versteht: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben für viele“ (Mk 10,45).

Maria, du hast die Fülle der Liebe gelebt. In dir spiegeln sich und erneuern sich alle Aspekte des Evangeliums und damit alle Charismen des gottgeweihten Lebens. Stütze uns im täglichen Bemühen, so dass es zu einem glänzenden Zeugnis der Liebe wird, gemäß dem Aufruf des heiligen Paulus: „Führt ein Leben, das der Berufung würdig ist, die an euch erging“ (Eph 4,1).119

In seinem Berufungstraum wurdest du Don Bosco als Mutter und Lehrmeisterin gegeben. Du hast in ihm das Herz eines Vaters und Lehrers gebildet, das fähig war zur Ganzhingabe. Du hast ihm sein Tätigkeitsfeld unter den Jugendlichen zugewiesen und ihn beständig geführt (vgl. Konst 1.8). Forme auch in uns ein Herz voller Leidenschaft für Gott und für die Jugendlichen. Dir, Mutter, vertrauen wir uns an. Von dir, Lehrmeisterin, lernen wir, Söhne Gottes und Jünger deines Sohnes zu sein. Amen.



Don Pascual Chávez Villanueva

Generaloberer

1 Anm. der Redaktion: Für die deutsche Übersetzung ist hier auf ein sprachliches Problem hinzuweisen, welches es in den romanischen Sprachen nicht gibt: Der italienische Originaltitel des Rundbriefes lautet: „Vocazione e Formazione“ –„Berufung und Bildung“ (vgl. Titel von Konst. 96). Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff „formazione“ einfach „Bildung“; er wurde in früherer Zeit sehr häufig unterschiedslos mit „Ausbildung“ übersetzt (vgl. z.B. Konstitutionen, Nr. 96-119; vgl. auch Ratio. Die Ausbildung der Salesianer und Kriterien und Normen für die Entscheidungsfindung im Hinblick auf die salesianische Berufung, Rom/Ensdorf 2000). Dies ist jedoch manches Mal missverständlich, da im deutschen Sprachgebrauch „Ausbildung“ üblicherweise eine begrenzte Zeit der Einübung in einen bestimmten Beruf und zum Erwerb einer bestimmten Qualifikation meint. Bei der Ordensausbildung geht es also um die Zeit der Einführung in die Ordensberufung, die mit der ewigen Profess bzw. der Priesterweihe endet. Heute ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass es eines „lebenslangen Lernens“ und daher der „lebenslangen Bildung“ bedarf (vgl. auch Konst. 118f). Darum umfasst der Begriff „formazione – Bildung“ in vielen kirchlichen Dokumenten heute sowohl die Phase Ausbildung, also die Zeit der Einführung in die Ordensberufung („formazione iniziale“ – „Grundausbildung“), als auch die sich anschließende Phase der „ständigen Fort- und Weiterbildung“ („formazione permanente“), also die auf die Ausbildung aufbauende und diese vertiefende und aktualisierende lebenslange Bildung. Der vorliegende Rundbrief des Generalobern hat, wie da und dort ausdrücklich gesagt wird, ebenfalls nicht nur die „Ausbildung“ im Blick, wenngleich diese Thematik doch im Vordergrund steht, vor allem im zweiten Teil des Briefes. Wo der Text den Begriff „formazione iniziale“ verwendet, ist er mit „Grundausbildung“ übersetzt, um an diesen Stellen die Eindeutigkeit zu wahren.

2 Vgl. F. Cereda, La fragilità vocazionale. Avvio alla riflessione e proposte di intervento, in ACG 385 (2004), S. 34-53. Deutsche Fassung s. Amtsblatt Nr. 385.

3 Vgl. USG, Fedeltà vocazionale. Realtà che interpella la vita consacrata. Roma 23-25 novembre 2005; USG, Per una vita consacrata fedele. Sfide antropologiche della formazione. Roma 24-26 maggio 2006.

4 Um die ersten drei Spalten lesen zu können, ist zu beachten: Die in einem bestimmten Jahr eingetretenen Novizen legen die erste Profess im darauf folgenden Jahr ab; die ausgetretenen Novizen resultieren also aus der Differenz zwischen den in einem bestimmten Jahr eingetretenen Novizen und denen, die im folgenden Jahr die Profess abgelegt haben. Beispiel: 2002 sind 607 Novizen eingetreten und 2003 haben 470 Neuprofessen die Profess abgelegt. Also ergibt sich zwischen den im Jahr 2002 eingetretenen Novizen und den Novizen, die im folgenden Jahr 2003 die Profess abgelegt haben, die Differenz von 137 Novizen. Diese Zahl steht in der Reihe „ausgetretene Novizen“ für das Jahr 2002.

5 Für das Verständnis der Spalten mit den Dispensen vom Zölibat, den Säkularisierungen und den Entlassungen: die Zahlen betreffen nicht diejenigen, für die in einem bestimmten Jahr der Antrag gestellt worden ist, sondern diejenigen, für die in diesem bestimmten Jahr das Verfahren zum Abschluss gebracht wurde.

6 Probeweise Aufnahme eines Ordenspriesters in den Klerus einer Diözese, höchstens bis zu fünf Jahre (vgl. c. 693 CIC/1983).

7 Sofortige Inkardinierung eines Ordenspriesters in den Klerus einer Diözese (vgl. ebd.).

8 Vgl. E. Bianchi, Vita Religiosa e Vocazioni oggi in Europa Occidentale, Riflessione rivolta a 150 Gesuiti radunati a Bruxelles il 1° maggio 2007.

9 Anm. d. Red.: In der deutschen Übersetzung der Konstitutionen wird hier mit „Ausbildung“ übersetzt. Schon der Inhalt des Zitates macht jedoch deutlich, dass hier vom lebenslangen Prozess der Bildung, die freilich mit der Ausbildung beginnt, die Rede ist und nicht ausschließlich von der Zeit der (Grund-)Ausbildung, was für das gesamte grundlegende Kap. VIII. „Allgemeine Aspekte unserer Bildung“ gilt (Konst. 96-101).

10 „Auf die Berufung antworten, heißt: in einer Grundhaltung der Bildung zu leben“ (Il Progetto di Vita dei Salesiani di Don Bosco. Guida alla lettura delle Costituzioni salesiane, Roma 1986, S. 682).

11 Anm. d. Red.: Hier bestätigt der Generalobere das oben in Anm. 1 und 9 zum Begriff „Bildung“ bereits Gesagte!

12 La formazione dei Salesiani di Don Bosco (FSDB), Roma 2000,1; vgl. deutsch: Ratio. Die Ausbildung der Salesianer und Kriterien und Normen für die Entscheidungsfindung im Hinblick auf die salesianische Berufung, S. 24, Nr. 1. Anm. d. Red.: Auch der der Inhalt dieses Satzes macht deutlich, dass „formazione“ – „Bildung“ hier als lebenslanger Prozess verstanden wird und über die Zeit der „Ausbildung“ hinausgeht (vgl. nicht zuletzt das Kapitel 12 „Die ständige Fort- und Weiterbildung“). – Im Folgenden werden die Ratio und die Kriterien und Normen häufig zitiert. Der Übersetzer hat dabei die im Text enthaltenen Zitate neu übersetzt und dafür nicht die o.g. offizielle deutsche Übersetzung verwendet. Darum behalten wir hier die italienischen Stellenangaben bei (FSDB + Nr. des Artikels) und ergänzen sie durch den Hinweis auf die deutsche Ausgabe (Ratio + Seitenangabe).

13 Congregazione per gli Istituti di Vita Consacrata e le Società di Vita Apostolica (CIVCSVA), Ripartire da Cristo, Roma 2002, 22; vgl. deutsch: Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, Neubeginn in Christus. Ein neuer Aufbruch des geweihten Lebens im Dritten Jahrtausend, Rom, 19. Mai 2002, (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 155), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2002, 22.

14 Criteri e norme di discernimento vocazionale salesiano (Supplemento a FSDB), 30. Vgl. deutsch: Ratio. Die Ausbildung der Salesianer und Kriterien und Normen für die Entscheidungsfindung im Hinblick auf die salesianische Berufung, S. 451.

15 Juan Bartolomé, „La Llamada de Dios. Una reflexión biblica sobre la vocación”: Misión Joven 131 (1987) 6.

16 Benedikt XVI., Caritas in veritate, 1.

17 „Das authentische christliche Gebet schließt das ganze Leben dessen, der betet, mit ein… Wenn wir uns den täglichen Fakten nähern, die angesichts der unsozialen und historischen Tatsachen nur wenig bedeutsam erscheinen, entdecken wir Werte, die in der Wirklichkeit selbst liegen, und decken mit aller Deutlichkeit den Hintergrund der Zugehörigkeit zu den Plänen Gottes auf. Alle Situationen sind geeignet, ins Gebet aufgenommen zu werden, unter der Bedingung, dass sie sich in eine göttliche Erfahrung umwandeln“ (Il Direttore Salesiano. Un ministero per l’Animazione e il Governo della Comunità locale, Roma 1986, 209-210).

18 E. Viganò, „Dare forza ai fratelli“, ACG 295 (1980), S. 26.

19 Vgl. FSDB 7; Ratio, S. 29f.

20 23. GK, 95.

21 FSDB 29; vgl. Ratio, S. 47.

22 FSDB 4; vgl. Ratio, S. 26.

23 Vgl. FSDB, 25; Ratio, S. 44.

24 FSDB 41, vgl. Ratio, S. 56.

25 Neubeginn in Christus, 15.

26 FSDB 41; vgl. Ratio, S. 57.

27 Vgl. BKG 45-49.

28 Das nachsynodale apostolische Schreiben Vita consecrata von Papst Johannes Paul II. vom 25. März 1996 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 125, hg. v. Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1996) spricht von einer „besonderen Liebesgemeinschaft mit Christus” (VC 15).

29 FSDB 30, vgl. Ratio, S. 48.

30 „Indem er sich am Beispiel und den Lehren Don Boscos inspiriert, lebt der Salesianer die spirituelle, pädagogische und pastorale Erfahrung des Präventivsystems. Seine Beziehungen zu den Jugendlichen sind geprägt von Herzlichkeit und einer aktiven und freundschaftlichen Präsenz, die sie in ihrer Hauptrolle begünstigt. Er übernimmt mit Freude die Mühen und die Opfer, die seine Begegnung mit den Jungen mit sich bringt, in der Überzeugung, darin seinen Weg der Heiligkeit zu finden“ (FSDB 32; Ratio, S. 49).

31 BGK; Präsentation durch den GO, 31. Januar 1972, S. XVI.

32 FSDB, 42; vgl. Ratio S. 58.

33 FSDB, 33; vgl. Ratio S. 50. „Die salesianische Berufung ist nicht begreifbar ohne die Gemeinschaft, sie konkretisiert sich im gemeinsamen Leben der Mitglieder. Das gemeinschaftliche Band zwischen den Mitgliedern ist grundlegend für ihr Leben und Arbeiten als Salesianer“ (Il Progetto di vita dei Salesiani di Don Bosco, S. 408).

34 FSDB, 33; vgl. Ratio S. 50.

35 FSDB, 219; vgl. Ratio S. 165.

36 FSDB, 91, vgl. Ratio S. 91.

37 Vgl. VC, 96; 24. GK, 152.

38 FSDB, 34, vgl. Ratio S. 51.

39 FSDB 35, vgl. Ratio S. 52.

40 FSDB 35, vgl. Ratio S. 52.

41 24. GK 138.

42 FSDB, 45, vgl. Ratio S. 60.

43 FSDB, 82, vgl. Ratio S. 84.

44 Il Progetto di vita dei Salesiani di Don Bosco, S.120.

45 „Unsere Art, die Zugehörigkeit zur Kirche zu leben und beizutragen zu ihrem Aufbau, besteht darin, authentische und treue Salesianer zu sein. Unser Beitrag besteht darin, vor allem wir selbst zu sein“ (Il Progetto di vita dei Salesiani di Don Bosco, S. 122).

46 Vgl. FSDB, 83, vgl. Ratio S. 845f.

47 FSDB, 42, vgl. Ratio S. 85.

48 FSDB, 37, vgl. Ratio S. 54.

49 FSDB, 43, vgl. Ratio S. 58.

50 Anm. d. Red.: Im folgenden Textteil hat der GO verstärkt die Ausbildung im Blick, so dass hier der Begriff „formazione“ mit „Ausbildung“ wiedergeben wird. Viele Aussagen lassen sich jedoch auch auf die Phase der ständigen Fort- und Weiterbildung übertragen.

51 FSDB, 205, vgl. Ratio S. 156.

52 FSDB, 1, vgl. Ratio S. 24.

53 „Offen für den Hl. Geist, entfaltet er seine Fähigkeiten und die Gaben des Geistes in ständigem Bemühen um Umkehr und Erneuerung“ (Konst. 99). Vgl. CRIS, Los elementos esenciales de la ensenanza de la Iglesia sobre la vida religiosa (1983), 47.

54 FSDB, 206, vgl. Ratio S. 156. Die Ausbildung „ist sicherlich Geschenk des Geistes, aber sie wird von einer angemessenen Pädagogik gefördert“ (FSDB, 209, vgl. Ratio, S. 159).

55 FSDB, 208, vgl. Ratio S. 157.

56 „Die Berufungsidentifikation vollzieht sich im Herzen der Person, auf der intimsten Ebene der Gefühle, Affekte, Überzeugungen, Motivationen, und man beschränkt sich nicht auf die Annahme oder Übermittlung von Inhalten und Verhaltensweisen. Deshalb muss ‚die Ausbildung die Person selbst in der Tiefe erfassen, so dass jede ihrer Verhaltensweisen oder Gesten, in den wichtigen Momenten und in den gewöhnlichen Umständen des Lebens die volle und freudige Zugehörigkeit zu Gott zu offenbaren hat‘ (vgl. Konst. 98)“ (FSDB, 208; vgl. Ratio S. 157f).

57 „Nur wenn der Salesianer sich von Gott in der Tiefe des Herzens anfragen lässt, identifiziert er sich von innen heraus mit den Berufungskriterien und –werten, und er ist fähig, den Grundhaltungen zu entsagen, die sich dem entgegenstellen; er begründet den eigenen Plan und vereint das eigene Leben um die wahren und authentischen Motivationen herum; die Ausbildung hat ihr fundamentales Ziel erreicht“ (FSDB, 209, vgl. Ratio S. 158).

58 „Mehr noch als ein zu verwirklichender Text ist der Bildungsplan der Ausdruck und das Instrument einer Gemeinschaft, die zusammen arbeiten will im Dienst am Bildungsweg eines jeden Mitbruders“ (FSDB, 213, vgl. Ratio S. 162).

59 FSDB, 210, vgl. Ratio S. 160.

60 „Die Inhalte, die Erfahrungen, die Grundhaltungen, die Aktivitäten, die starken Momente werden durchdacht, programmiert und adressiert gemäß dem Ziel einer jeden Phase und der gesamten Ausbildung, durch eine Pädagogik, die sucht, die Gefahr der Bruchstückhaftigkeit und der Improvisation oder eines nicht zielgerichteten und nicht zusammengehörigen Handelns zu überwinden“ (FSDB, 212, vgl. Ratio S. 161).

61 „Es ist Aufgabe des Salesianers, von Anfang an eine Ausbildungseinstellung einzunehmen, die Zielsetzungen des inneren Prozesses und der einzelnen Momente zu verstehen, den Schritt von einer Phase zur anderen zu leben, indem er sich verantwortlich die Ziele des neuen Ausbildungsmoments zu eigen macht, sich konkrete Ziele und Verläufe festzulegen, die Verwirklichung des persönlichen Ausbildungsplans zu überprüfen und gemeinsam zu teilen. Es ist Aufgabe der Ausbilder, die Angaben des Provinzkonzeptes aufzugreifen und umzusetzen und zu bewirken, dass das Ausbildungsangebot vom Kandidaten, der mit Verantwortung in Gemeinschaft lebt, zu eigen gemacht wurde“ (FSDB, 213, vgl. Ratio Nr. S. 161).

62 FSDB, 212, vgl. Ratio S. 161.

63 Nachsynodales Apostolisches Schreiben Patsores dabo vobis von Papst Johannes Paul II., Rom, 25. März 1992, (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 105), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1992.

64 „Don Bosco als Erzieher hat die persönliche Beziehung gepflegt, er erscheint aber vor allem als Former eines Umfeldes, reich an Beziehungen und Erziehungsfiguren, an Angeboten und Anregungen (Momente, Maßnahmen, Rhythmen, Feiern etc.), Schöpfer eines Stils und einer Pädagogik des Lebens, Kommunikator eines Plans des Zusammenlebens, Animator einer Gemeinschaft mit einem klaren Erscheinungsbild und festgelegten Bezugspunkten. Die Gemeinschaft von Valdocco, ausgestattet mit den Grundzügen des Präventivsystems, bietet ein Umfeld, das aufnimmt, orientiert, begleitet, anspornt und fordert“ (FSDB, 219).

65 Pastores dabo vobis,, 69. Vgl. Neubeginn in Christus, 46; Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gemeinschaften des apostolischen Lebens, Richtlinien für die Ausbildung in den Ordensinstituten, Rom 2. Februar 1990, (Verlautbarungen des Apostolisches Stuhls 97), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1990, 29.

66 FSDB, 216, vgl. Ratio S. 163. „In ihm beschreibt jeder Mitbruder den Typus des Salesianers, der zu sein er sich berufen fühlt. Er beschreibt ferner den Weg, es zu werden, immer in Übereinstimmung mit den salesianischen Werten. Regelmäßig überprüft er – im Dialog mit seinem Direktor – den Fortschritt im Erreichen seines Ziels“ (ebd.).

67 FSDB, 221, vgl. Ratio S. 167.

68 Pastores dabo vobis, 42.

69 Vgl. Pastores dabo vobis, 60. „In einem Klima der Mitverantwortung engagieren sich alle, um zusammen die Werte, Zielsetzungen, Erfahrungen und Methoden der Ausbildung zu leben, indem sie regelmäßig das eigene Leben, die eigene Arbeit und die apostolischen Erfahrungen planen, überprüfen und an die Anforderungen der Berufung angleichen“ (FSDB, 222, vgl. Ratio, S. 168).

70 „Um den Beitrag aller anzuregen, fördert sie die Einbindung in die Erarbeitung des Konzeptes und der Planung der Gemeinschaft, die Gruppenarbeit, die Überprüfung des Lebens und andere Formen der Gemeinschaft, gekennzeichnet von der Begegnung und der Teilnahme. Jedes Mitglied übernimmt irgendeinen nützlichen Dienst für das Leben und Wachstum der Gemeinschaft“ (FSDB, 223, vgl. Ratio S. 169).

71 Vgl. FSDB, 222, vgl. 234-239. Vgl. auch Ratio S. 167f, 177-180.

72 FSDB, 233, vgl. Ratio S. 176.

73 FSDB, 231, vgl. Ratio S. 174f.

74 FSDB, 233, vgl. Ratio S. 176. „Es ist seine spezifische Aufgabe, jeden Mitbruder zu begleiten, ihm zu helfen, die Ausbildungsphase, die er durchlebt, zu verstehen und anzunehmen. Er unterhält mit ihm einen häufigen und herzlichen Dialog, er bemüht sich, die Qualitäten kennen zu lernen, er versteht es, klare und anfordernde Angebote zu machen und angemessene Ziele anzugeben, er unterstützt und weist die Richtung in den Momenten der Schwierigkeiten, er überprüft gemeinsam den Ausbildungsgang“ (ebenda).

75 FSDB, 233, vgl. Ratio S. 176.

76 FSDB, 227. Es ist offenkundig, dass diese Hinweise darauf abzielen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der das gelebt wird, was als Ideal in den Ausbildungshäusern präsentiert wird; man verwirklicht das, was man in der öffentlichen Profess versprochen hat. Das tägliche Leben der Provinz, die Qualität ihres gottgeweihten Lebens und die Wirksamkeit ihrer apostolischen Sendung sind unverzichtbare Bedingungen für die Ausbildungsqualität einer Provinz, wenngleich man die Distanz akzeptiert, die zwischen vorgenommenem Ideal und der gelebten Wirklichkeit bestehen kann.

77 FSDB, 226, vgl. Ratio S. 171f.

78 FSDB, 251, vgl. Ratio S. 192.

79 FSDB, 251, vgl. Ratio S. 192.

80 FSDB, 252, vgl. Ratio S. 193.

81 FSDB, 253, vgl. Ratio S. 194.

82 FSDB, 254, vgl. Ratio S. 195.

83 FSDB, 255. „Die unangenehmen Beziehungen und die Konfliktsituationen, die nicht angemessen durch Versöhnung geheilt sind, wirken im Innern der Person, indem sie den Reifungsprozess blockieren und Schwierigkeiten schaffen im Hinblick auf die heitere und freudige Hingabe an die Sendung und an Gott“ (J. E. Vecchi, „Esperti, testimoni e artefici di comunione“, ACG 363 [1998], S. 31).

84 FSDB, 257, vgl. Ratio S. 196.

85 FSDB, 258. „Das Fehlen von Begleitung oder eine Begleitung, die nicht in die Tiefe geht oder unbeständig ist, kann eine ernsthafte Hypothek für das gesamte formative Tun nach sich ziehen“ (ebd.).

86 FSDB, 259, vgl. Ratio S. 199.

87 FSDB, 261, vgl. Ratio S. 201.

88 FSDB, 261, vgl. Ratio S. 201f.

89 FSDB, 262, vgl. Ratio, S. 202.

90 FSDB, 262, vgl. Ratio, S. 203.

91 FSDB, 263, vgl. Ratio, S. 203.

92 Wegen des bestehenden Interesses lohnt sich die Mühe wiederzugeben, was von den anderen Ausbildern gefordert wird: „Verfügbarkeit und Hingabe; das Bewusstsein, Vermittler des Wirkens des Herrn, des Dienstamtes der Kirche, der ‚mens‘ der Kongregation zu sein. Des weiteren sind unverzichtbar… eine spirituelle Grundhaltung und eine Perspektive des Glaubens, die Sichtweise der salesianischen Berufung und somit die Kenntnis der Kriterien, um sie zu unterscheiden, und der Bedingungen, um sie zu leben, eine pädagogische Sensibilität, die ein Klima der Freiheit und der Aufmerksamkeit gegenüber der Person und ihrem Reifungsrhythmus fördert, einige spezifische Kompetenzen im Hinblick auf die menschliche Dimension wie auch auf die spirituelle Pädagogik“ (FSDB, 264, vgl. Ratio S. 204).

93 FSDB, 265. „Seit dem Vornoviziat ist er sich dessen bewusst, dass der Berufungsweg an erster Stelle Werk Gottes ist, der ‚sich der menschlichen Vermittlung bedient‘ (VC 66); dass die salesianische Ausbildung aufrichtiger und verantwortlicher Dialog mit der Gemeinschaft, der Trägerin des Charismas ist; dass die Selbstbildung nicht Selbstzufriedenheit oder individueller Weg besagen will“ (FSDB, 265, vgl. Ratio S. 204f).

94 FSDB, 266, vgl. Ratio, S. 205.

95 Vgl. P. Chavez, „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens (Joh 6,69). Wort Gottes und salesianisches Leben, Amtsblatt 386 (2004).

96 Vita consecrata, 94.

97 Neubeginn in Christus, 25.

98 FSDB, 268, vgl. Ratio, S. 206.

99 FSDB, 269, vgl. Ratio, S. 207.

100 FSDB, 270, vgl. Ratio, S. 208.

101 FSDB, 270, vgl. Ratio S. 208f.

102 FSDB, 271, vgl. Ratio, S. 209.

103 FSDB, 272, vgl. Ratio, S. 210.

104 FSDB, 321, vgl. Ratio, S. 231.

105 FSDB, 276, vgl. Ratio, S. 212. Für die Begleitung der Mitbrüder in besonderen Situationen, vgl. L’Ispettore Salesiano, Roma 1987, 390-395.

106 FSDB, 42, vgl. Ratio, S. 58..

107 Neubeginn in Christus, 15. Vgl. Vita consecrata, 65.

108 FSDB, 521, vgl. Ratio S. 334.

109 Neubeginn in Christus, 9.

110 FSDB, 308, vgl. Ratio, S. 224.

111 Neubeginn in Christus, 15.

112 FSDB, 309, vgl. Ratio, S. 225.

113 Es wird für uns die Erneuerung unseres Lebens nur geben, wenn die ständige Fort- und Weiterbildung die neue Existenzweise des gottgeweihten Lebens und die neue Denkweise der Ordensleute sein wird. Wenn wir wollen, dass der Skandal der Ordensleute, deren Feuer erlosch en ist und die ohne Begeisterung sind, die verhärtet sind und sich in ihren Sicherheiten selbst genügen,, unsensibel und kalt gegenüber jedwedem Ansporn sind, dann ist die ständige Fort- und Weiterbildung ein verpflichtender Weg, um aus dieser Situation herauszukommen.

114 FSDB, 5, vgl. Ratio, S. 28.

115 Neubeginn in Christus, 14. Vgl. Richtlinien für die Ausbildung in den Ordensinstituten, 1.

116 J. E. Vecchi, „Io per voi studio…“, ACG 361 (1997), S. 6.

117 J. E. Vecchi, daselbst S.25. „Wir dürfen nicht nur die Krise bewältigen, sondern müssen für die Zukunft säen“ (S. 35).

118 24. GK, 248.

119 Vgl. Neubeginn in Christus, 46.

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