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Der Heilige Stuhl
ENZYKLIKA
CARITAS IN VERITATE
VON PAPST
BENEDIKT XVI.
AN DIE BISCHÖFE
AN DIE PRIESTER UND DIAKONE
AN DIE PERSONEN
GOTTGEWEIHTEN LEBENS
AN DIE CHRISTGLÄUBIGEN LAIEN
UND AN ALLE MENSCHEN
GUTEN WILLENS
ÜBER DIE GANZHEITLICHE
ENTWICKLUNG DES MENSCHEN
IN DER LIEBE
UND IN DER WAHRHEIT
EINLEITUNG
1. Caritas in veritate – die Liebe in der Wahrheit, die Jesus Christus mit seinem irdischen Leben
und vor allem mit seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt hat, ist der hauptsächliche Antrieb
für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit. Die Liebe –
»caritas« – ist eine außerordentliche Kraft, welche die Menschen drängt, sich mutig und
großherzig auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens einzusetzen. Es ist eine Kraft, die
ihren Ursprung in Gott hat, der die ewige Liebe und die absolute Wahrheit ist. Jeder findet sein
Glück, indem er in den Plan einwilligt, den Gott für ihn hat, um ihn vollkommen zu verwirklichen: In
diesem Plan findet er nämlich seine Wahrheit, und indem er dieser Wahrheit zustimmt, wird er frei
(vgl. Joh 8, 32). Die Wahrheit zu verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen und sie im
Leben zu bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der Liebe. Denn diese
»freut sich an der Wahrheit« (1 Kor 13, 6). Alle Menschen spüren den inneren Impuls, wahrhaft zu
lieben: Liebe und Wahrheit weichen niemals gänzlich von ihnen, denn sie sind die Berufung, die
Gott ins Herz und in den Geist eines jeden Menschen gelegt hat. Jesus Christus reinigt und befreit

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die Suche nach der Liebe und der Wahrheit von unseren menschlichen Armseligkeiten und
offenbart uns vollends die Initiative der Liebe und den Plan eines wahren Lebens, das Gott für uns
vorbereitet hat. Die Liebe in der Wahrheit wird zum Gesicht Christi; und in Christus wird sie zur
Berufung für uns, unsere Mitmenschen in der Wahrheit seines Planes zu lieben. Er selbst ist ja die
Wahrheit (vgl. Joh 14, 6).
2. Liebe ist der Hauptweg der Soziallehre der Kirche. Jede von dieser Lehre beschriebene
Verantwortung und Verpflichtung geht aus der Liebe hervor, die nach den Worten Jesu die
Zusammenfassung des ganzen Gesetzes ist (vgl. Mt 22, 36-40). Sie verleiht der persönlichen
Beziehung zu Gott und zum Nächsten einen wahren Gehalt; sie ist das Prinzip nicht nur der Mikro-
Beziehungen – in Freundschaft, Familie und kleinen Gruppen –, sondern auch der Makro-
Beziehungen – in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen. Für die
Kirche ist – vom Evangelium her – die Liebe alles, denn, wie uns der heilige Johannes lehrt (vgl. 1
Joh 4, 8.16) und ich in meiner ersten Enzyklika in Erinnerung gerufen habe: »Gott ist Liebe«
(Deus caritas est): Aus der Liebe Gottes geht alles hervor, durch sie nimmt alles Gestalt an, und
alles strebt ihr zu. Die Liebe ist das größte Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat, sie ist
seine Verheißung und unsere Hoffnung.
Ich weiß um die Entstellungen und die Sinnentleerungen, denen die Liebe ausgesetzt war und ist,
mit der entsprechenden Gefahr, daß sie mißverstanden, aus der ethischen Lebenspraxis
ausgeschlossen und in jedem Fall daran gehindert wird, in rechter Weise zur Geltung zu kommen.
Im gesellschaftlichen, rechtlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bereich, also in den
Zusammenhängen, die für diese Gefahr am anfälligsten sind, wird die Liebe leicht als unerheblich
für die Interpretation und die Orientierung der moralischen Verantwortung erklärt. Daher ist es
notwendig, die Liebe und die Wahrheit nicht nur in der vom heiligen Paulus angegebenen
Richtung der »veritas in caritate« (Eph 4, 15) miteinander zu verbinden, sondern auch in der
entgegengesetzten und komplementären von »caritas in veritate«. Die Wahrheit muß in der
»Ökonomie« der Liebe gesucht, gefunden und ausgedrückt werden, aber die Liebe muß ihrerseits
im Licht der Wahrheit verstanden, bestätigt und praktiziert werden. Auf diese Weise werden wir
nicht nur der von der Wahrheit erleuchteten Liebe einen Dienst erweisen, sondern wir werden
auch dazu beitragen, daß sich die Wahrheit glaubwürdig erweist, indem wir ihre Authentizität und
ihre Überzeugungskraft im konkreten gesellschaftlichen Leben deutlich machen. Das ist heute von
nicht geringer Bedeutung in einem sozialen und kulturellen Umfeld, das die Wahrheit relativiert
und ihr gegenüber oft gleichgültig und ablehnend eingestellt ist.
3. Wegen dieser engen Verbindung mit der Wahrheit kann die Liebe als authentischer Ausdruck
des Menschseins und als ein Element von grundlegender Bedeutung in den menschlichen
Beziehungen – auch im öffentlichen Bereich – erkannt werden. Nur in der Wahrheit erstrahlt die
Liebe und kann glaubwürdig gelebt werden. Die Wahrheit ist ein Licht, das der Liebe Sinn und
Wert verleiht. Es ist das Licht der Vernunft wie auch des Glaubens, durch das der Verstand zur
natürlichen und übernatürlichen Wahrheit der Liebe gelangt: er erfaßt ihre Bedeutung als Hingabe,

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Annahme und Gemeinschaft. Ohne Wahrheit gleitet die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird ein
leeres Gehäuse, das man nach Belieben füllen kann. Das ist die verhängnisvolle Gefahr für die
Liebe in einer Kultur ohne Wahrheit. Sie wird Opfer der zufälligen Gefühle und Meinungen der
einzelnen, ein Wort, das mißbraucht und verzerrt wird, bis es schließlich das Gegenteil bedeutet.
Die Wahrheit befreit die Liebe von den Verengungen einer Emotionalisierung, die sie rationaler
und sozialer Inhalte beraubt, und eines Fideismus, der ihr die menschliche und universelle Weite
nimmt. In der Wahrheit spiegelt die Liebe die persönliche und zugleich öffentliche Dimension des
Glaubens an den biblischen Gott wider, der zugleich »Agape« und »Logos« ist: Caritas und
Wahrheit, Liebe und Wort.
4. Da die Liebe voll Wahrheit ist, kann sie vom Menschen in ihrem Reichtum an Werten begriffen,
zustimmend angenommen und vermittelt werden. Denn die Wahrheit ist „lógos“, der „diá-logos“
schafft und damit Austausch und Gemeinschaft bewirkt. Indem die Wahrheit die Menschen aus
den subjektiven Meinungen und Empfindungen herausholt, gibt sie ihnen die Möglichkeit,
kulturelle und geschichtliche Festlegungen zu überwinden und in der Beurteilung von Wert und
Wesen der Dinge einander zu begegnen. Die Wahrheit öffnet den Verstand der Menschen und
vereint ihre Intelligenz im Logos der Liebe: Das ist die Botschaft und das christliche Zeugnis der
Liebe. Wenn wir im augenblicklichen sozialen und kulturellen Umfeld, in dem die Tendenz zur
Relativierung der Wahrheit verbreitet ist, die Liebe in der Wahrheit leben, kommen wir zu der
Einsicht, daß die Zustimmung zu den Werten des Christentums ein nicht nur nützliches, sondern
unverzichtbares Element für den Aufbau einer guten Gesellschaft und einer echten ganzheitlichen
Entwicklung des Menschen ist. Ein Christentum der Liebe ohne Wahrheit kann leicht mit einem
Vorrat an guten, für das gesellschaftliche Zusammenleben nützlichen, aber nebensächlichen
Gefühlen verwechselt werden. Auf diese Weise gäbe es keinen eigentlichen Platz mehr für Gott in
der Welt. Ohne die Wahrheit wird die Liebe in einen begrenzten und privaten Bereich von
Beziehungen verbannt. Aus den Planungen und den Prozessen zum Aufbau einer menschlichen
Entwicklung von umfassender Tragweite – im Dialog zwischen Wissen und Praxis – wird sie
ausgeschlossen.
5. Caritas ist empfangene und geschenkte Liebe. Sie ist »Gnade« (cháris). Ihre Quelle ist die
ursprüngliche Liebe des Vaters zum Sohn im Heiligen Geist. Sie ist Liebe, die vom Sohn her zu
uns herabfließt. Sie ist schöpferische Liebe, aus der wir unser Sein haben; sie ist erlösende Liebe,
durch die wir wiedergeboren sind. Sie ist von Christus offenbarte und verwirklichte Liebe (vgl. Joh
13, 1), »ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist« (Röm 5, 5). Als Empfänger der
Liebe Gottes sind die Menschen eingesetzt, Träger der Nächstenliebe zu sein, und dazu berufen,
selbst Werkzeuge der Gnade zu werden, um die Liebe Gottes zu verbreiten und Netze der
Nächstenliebe zu knüpfen.
Auf diese Dynamik der empfangenen und geschenkten Liebe geht die Soziallehre der Kirche ein.
Sie ist »caritas in veritate in re sociali«: Verkündigung der Wahrheit der Liebe Christi in der
Gesellschaft. Diese Lehre ist Dienst der Liebe, aber in der Wahrheit. Die Wahrheit ist Hüterin und

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Ausdruck der befreienden Kraft der Liebe in den immer neuen Wechselfällen der Geschichte. Sie
ist zugleich Wahrheit des Glaubens und der Vernunft, in der Unterscheidung ebenso wie im
Zusammenwirken der beiden Erkenntnisbereiche. Für die Entwicklung, den gesellschaftlichen
Wohlstand und eine angemessene Lösung der schweren sozioökonomischen Probleme, welche
die Menschheit plagen, ist diese Wahrheit notwendig. Und noch notwendiger dafür ist, daß diese
Wahrheit geliebt und bezeugt wird. Ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem
Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein
Spiel privater Interessen und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft, um
so mehr in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung und in schwierigen Situationen wie
der augenblicklichen.
6. »Caritas in veritate«ist das Prinzip, um das die Soziallehre der Kirche kreist, ein Prinzip, das in
Orientierungsmaßstäben für das moralische Handeln wirksame Gestalt annimmt. Besonders zwei
von ihnen möchte ich erwähnen, die speziell beim Einsatz für die Entwicklung in einer
Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung erforderlich sind: die Gerechtigkeit und das
Gemeinwohl.
Zunächst die Gerechtigkeit. Ubi societas, ibi ius: Jede Gesellschaft erarbeitet ein eigenes
Rechtssystem. Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem
anderen von dem geben, was „mein“ ist; aber sie ist nie ohne die Gerechtigkeit, die mich dazu
bewegt, dem anderen das zu geben, was „sein“ ist, das, was ihm aufgrund seines Seins und
seines Wirkens zukommt. Ich kann dem anderen nicht von dem, was mein ist, „schenken“, ohne
ihm an erster Stelle das gegeben zu haben, was ihm rechtmäßig zusteht. Wer den anderen mit
Nächstenliebe begegnet, ist vor allem gerecht zu ihnen. Die Gerechtigkeit ist der Liebe nicht nur in
keiner Weise fremd, sie ist nicht nur kein alternativer oder paralleler Weg zur ihr: Die Gerechtigkeit
ist untrennbar mit der Liebe verbunden,[1] sie ist ein ihr innewohnendes Element. Die
Gerechtigkeit ist der erste Weg der Liebe oder – wie Paul VI. sagte – ihr »Mindestmaß«,[2] ein
wesentlicher Bestandteil jener Liebe »in Tat und Wahrheit« (1 Joh 3, 18), zu der der Apostel
Johannes aufruft. Zum einen erfordert die Liebe die Gerechtigkeit: die Anerkennung und die
Achtung der legitimen Rechte der einzelnen und der Völker. Sie setzt sich für den Aufbau der
„Stadt des Menschen“ nach Recht und Gerechtigkeit ein. Zum andern geht die Liebe über die
Gerechtigkeit hinaus und vervollständigt sie in der Logik des Gebens und Vergebens.[3] Die „Stadt
des Menschen“ wird nicht nur durch Beziehungen auf der Grundlage von Rechten und Pflichten
gefördert, sondern noch mehr und zuerst durch Verbindungen, die durch Unentgeltlichkeit,
Barmherzigkeit und Gemeinsamkeit gekennzeichnet sind. Die Nächstenliebe offenbart auch in den
menschlichen Beziehungen immer die Liebe Gottes; diese verleiht jedem Einsatz für Gerechtigkeit
in der Welt einen theologalen und heilbringenden Wert.
7. Ferner muß besonderer Wert auf das Gemeinwohl gelegt werden. Jemanden lieben heißt sein
Wohl im Auge haben und sich wirkungsvoll dafür einsetzen. Neben dem individuellen Wohl gibt es
eines, das an das Leben der Menschen in Gesellschaft gebunden ist: das Gemeinwohl. Es ist das

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Wohl jenes „Wir alle“, das aus einzelnen, Familien und kleineren Gruppen gebildet wird, die sich
zu einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen.[4] Es ist nicht ein für sich selbst gesuchtes
Wohl, sondern für die Menschen, die zu der sozialen Gemeinschaft gehören und nur in ihr wirklich
und wirkungsvoller ihr Wohl erlangen können. Das Gemeinwohl wünschen und sich dafür
verwenden ist ein Erfordernis von Gerechtigkeit und Liebe. Sich für das Gemeinwohl einzusetzen
bedeutet, die Gesamtheit der Institutionen, die das soziale Leben rechtlich, zivil, politisch und
kulturell strukturieren, einerseits zu schützen und andererseits sich ihrer zu bedienen, so daß auf
diese Weise die Polis, die Stadt Gestalt gewinnt. Man liebt den Nächsten um so wirkungsvoller, je
mehr man sich für ein gemeinsames Gut einsetzt, das auch seinen realen Bedürfnissen
entspricht. Jeder Christ ist zu dieser Nächstenliebe aufgerufen, in der Weise seiner Berufung und
entsprechend seinen Einflußmöglichkeiten in der Polis. Das ist der institutionelle – wir können
auch sagen politische – Weg der Nächstenliebe, der nicht weniger tauglich und wirksam ist als die
Liebe, die dem Nächsten unmittelbar, außerhalb der institutionellen Vermittlungen der Polis
entgegenkommt. Wenn der Einsatz für das Gemeinwohl von der Liebe beseelt ist, hat er eine
höhere Wertigkeit als der nur weltliche, politische. Wie jeder Einsatz für die Gerechtigkeit gehört er
zu jenem Zeugnis der göttlichen Liebe, das, während es in der Zeit wirkt, die Ewigkeit vorbereitet.
Wenn das Handeln des Menschen auf Erden von der Liebe inspiriert und unterstützt wird, trägt es
zum Aufbau jener universellen Stadt Gottes bei, auf die sich die Geschichte der
Menschheitsfamilie zubewegt. In einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung müssen das
Gemeinwohl und der Einsatz dafür unweigerlich die Dimensionen der gesamten
Menschheitsfamilie, also der Gemeinschaft der Völker und der Nationen,[5] annehmen, so daß sie
der Stadt des Menschen die Gestalt der Einheit und des Friedens verleihen und sie
gewissermaßen zu einer vorausdeutenden Antizipation der grenzenlosen Stadt Gottes machen.
8. Durch die Veröffentlichung der Enzyklika Populorum progressio im Jahr 1967 hat mein
verehrter Vorgänger Paul VI. das große Thema der Entwicklung der Völker unter dem Glanz der
Wahrheit und dem Licht der Liebe Christi beleuchtet. Er hat bekräftigt, daß die Verkündigung
Christi der erste und hauptsächliche Entwicklungsfaktor ist,[6] und er hat uns aufgegeben, auf
dem Weg der Entwicklung mit unserem Herzen und all unserer Intelligenz voranzugehen,[7] das
heißt mit dem Feuer der Liebe und der Weisheit der Wahrheit. Es ist die ursprüngliche Wahrheit
der Liebe Gottes, eine uns geschenkte Gnade, die unser Leben für die Gabe öffnet und es
möglich macht, eine Entwicklung »des ganzen Menschen und der ganzen Menschheit«,[8] einen
Übergang »von weniger menschlichen zu menschlicheren Bedingungen«[9] zu erhoffen, der durch
die Überwindung der unweigerlich auf dem Weg anzutreffenden Schwierigkeiten erreicht wird.
Über vierzig Jahre nach der Veröffentlichung der Enzyklika möchte ich dem Gedenken des großen
Papstes Paul VI. Anerkennung zollen und Ehre erweisen, indem ich seine Lehren über die
ganzheitliche Entwicklung des Menschen aufnehme und mich auf den von ihnen vorgezeichneten
Weg begebe, um sie in der gegenwärtigen Zeit zu aktualisieren. Dieser Prozeß der Aktualisierung
begann mit der Enzyklika Sollecitudo rei socialis, mit welcher der Diener Gottes Papst Johannes
Paul II. der Veröffentlichung von Populorum progressio anläßlich ihres zwanzigsten Jahrestags

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gedenken wollte. Ein solches Andenken war bis dahin nur der Enzyklika Rerum novarum zuteil
geworden. Nachdem nun weitere zwanzig Jahre vergangen sind, bringe ich meine Überzeugung
zum Ausdruck, daß die Enzyklika Populorum progressio verdient, als »die Rerum novarum
unserer Zeit« angesehen zu werden, welche die Schritte der Menschheit auf dem Weg zu einer
Einigung erleuchtet.
9. Die Liebe in der Wahrheit – caritas in veritate – ist eine große Herausforderung für die Kirche in
einer Welt der fortschreitenden und um sich greifenden Globalisierung. Die Gefahr unserer Zeit
besteht darin, daß der tatsächlichen Abhängigkeit der Menschen und der Völker untereinander
keine ethische Wechselbeziehung von Gewissen und Verstand der Beteiligten entspricht, aus der
eine wirklich menschliche Entwicklung als Ergebnis hervorgehen könnte. Nur mit der vom Licht
der Vernunft und des Glaubens erleuchteten Liebe ist es möglich, Entwicklungsziele zu erreichen,
die einen menschlicheren und vermenschlichenderen Wert besitzen. Das Teilen der Güter und der
Ressourcen, aus dem die echte Entwicklung hervorgeht, wird nicht allein durch technischen
Fortschritt und durch bloß vom Kalkül bestimmte Beziehungen gewährleistet, sondern durch das
Potential der Liebe, die das Böse durch das Gute besiegt (vgl. Röm 12, 21) und die Menschen
dafür öffnet, in ihrem Gewissen und mit ihrer Freiheit aufeinander einzugehen.
Die Kirche hat keine technischen Lösungen anzubieten[10] und beansprucht keineswegs, »sich in
die staatlichen Belange einzumischen«.[11] Sie hat aber zu allen Zeiten und unter allen
Gegebenheiten eine Sendung der Wahrheit zu erfüllen für eine Gesellschaft, die dem Menschen
und seiner Würde und Berufung gerecht wird. Ohne Wahrheit verfällt man in eine empiristische
und skeptische Lebensauffassung, die unfähig ist, sich über die Praxis zu erheben, weil sie nicht
daran interessiert ist, die Werte – und bisweilen sogar die Bedeutungen – zu erfassen, mit denen
diese zu beurteilen und nach denen sie auszurichten ist. Die Treue zum Menschen erfordert die
Treue zur Wahrheit, die allein Garant der Freiheit (vgl. Joh 8, 32) und der Möglichkeit einer
ganzheitlichen menschlichen Entwicklung ist. Darum sucht die Kirche die Wahrheit, verkündet sie
unermüdlich und erkennt sie an, wo immer sie sich offenbart. Diese Sendung der Wahrheit ist für
die Kirche unverzichtbar. Ihre Soziallehre ist ein besonderer Aspekt dieser Verkündigung: Sie ist
Dienst an der Wahrheit, die befreit. Offen für die Wahrheit, gleichgültig aus welcher
Wissensrichtung sie kommt, nimmt die Soziallehre der Kirche sie auf, setzt die Bruchstücke, in der
sie sie häufig vorfindet, zu einer Einheit zusammen und vermittelt sie in die immer neue
Lebenspraxis der Gesellschaft der Menschen und der Völker hinein.[12]
ERSTES KAPITEL
DIE BOTSCHAFT VON POPULORUM PROGRESSIO
10. Die erneute Lektüre von Populorum progressio über vierzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung

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regt dazu an, ihrer Botschaft der Liebe und der Wahrheit treu zu bleiben und sie im Kontext der
spezifischen Lehre Papst Pauls VI. und allgemeiner innerhalb der Tradition der Soziallehre der
Kirche zu betrachten. Alsdann sind die anderen Bedingungen zu erwägen, unter denen sich das
Problem der Entwicklung heute im Unterschied zu damals stellt. Der richtige Gesichtspunkt ist
also jener der Überlieferung des apostolischen Glaubens,[13] des alten und neuen Erbes,
außerhalb dessen Populorum progressio ein Dokument ohne Wurzeln wäre und die
Entwicklungsfragen sich einzig auf soziologische Daten reduzieren würden.
11. Die Publikation von Populorum progressio geschah unmittelbar nach Abschluß des Zweiten
Vatikanischen Konzils. Die Enzyklika selbst weist in den ersten Absätzen auf ihre enge Beziehung
zum Konzil hin.[14] Papst Johannes Paul II. unterstrich zwanzig Jahre danach in Sollicitudo rei
socialis seinerseits die fruchtbare Verbindung jener Enzyklika zum Konzil, insbesondere zur
Pastoralkonstitution Gaudium et spes.[15] Auch ich möchte hier an die Bedeutung des Zweiten
Vatikanischen Konzils für die Enzyklika Papst Pauls VI. und für das gesamte nachfolgende
Lehramt der Päpste in sozialen Fragen erinnern. Das Konzil vertiefte, was seit jeher zur Wahrheit
des Glaubens gehört, daß nämlich die Kirche, da sie im Dienst Gottes steht, bezüglich der Liebe
und der Wahrheit im Dienst der Welt steht. Genau von dieser Sicht ging Papst Paul VI. aus, um
uns zwei große Wahrheiten mitzuteilen. Die erste ist, daß die ganze Kirche, wenn sie verkündet,
Eucharistie feiert und in der Liebe wirkt, in all ihrem Sein und Handeln darauf ausgerichtet ist, die
ganzheitliche Entwicklung des Menschen zu fördern. Sie hat eine öffentliche Rolle, die sich nicht
in ihrem Einsatz in der Fürsorge oder der Erziehung erschöpft, sondern all ihre besonderen Kräfte
im Dienst der Förderung des Menschen und der weltweiten Geschwisterlichkeit offenbart, wenn
sie sich eines freiheitlichen Regimes bedienen kann. In nicht wenigen Fällen ist diese Freiheit
behindert durch Verbote und Verfolgungen oder auch eingeschränkt, wenn die öffentliche Präsenz
der Kirche einzig auf ihre karitativen Aktivitäten begrenzt wird. Die zweite Wahrheit ist, daß die
echte Entwicklung des Menschen einheitlich die Gesamtheit der Person in all ihren Dimensionen
betrifft.[16] Ohne die Aussicht auf ein ewiges Leben fehlt dem menschlichen Fortschritt in dieser
Welt der große Atem. Wenn er innerhalb der Geschichte eingeschlossen bleibt, ist er der Gefahr
ausgesetzt, sich auf eine bloße Zunahme des Besitztums zu beschränken; so verliert die
Menschheit den Mut, für die höheren Güter aufnahmebereit zu sein, für die großen und
selbstlosen Initiativen, zu denen die universale Nächstenliebe drängt. Der Mensch entwickelt sich
nicht bloß mit den eigenen Kräften, noch kann die Entwicklung ihm einfach von außen gegeben
werden. Im Laufe der Geschichte hat man oft gemeint, die Schaffung von Institutionen genüge,
um der Menschheit die Erfüllung ihres Rechtes auf Entwicklung zu gewährleisten. Leider hat man
in solche Institutionen ein übertriebenes Vertrauen gesetzt, so als könnten sie das ersehnte Ziel
automatisch erlangen. In Wirklichkeit reichen die Institutionen allein nicht aus, denn die
ganzheitliche Entwicklung des Menschen ist vor allem Berufung und verlangt folglich von allen
eine freie und solidarische Übernahme von Verantwortung. Eine solche Entwicklung erfordert
außerdem eine transzendente Sicht der Person, sie braucht Gott: Ohne ihn wird die Entwicklung
entweder verweigert oder einzig der Hand des Menschen anvertraut, der in die Anmaßung der
Selbst-Erlösung fällt und schließlich eine entmenschlichte Entwicklung fördert. Im übrigen

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gestattet nur die Begegnung mit Gott, nicht »im anderen immer nur den anderen zu sehen«,[17]
sondern in ihm das göttliche Bild zu erkennen und so dahin zu gelangen, wirklich den anderen zu
entdecken und eine Liebe reifen zu lassen, die »Sorge um den anderen und für den anderen«[18]
wird.
12. Die Verbindung zwischen Populorum progressio und dem Zweiten Vatikanischen Konzil stellt
nicht etwa einen Bruch zwischen dem Lehramt Papst Pauls VI. in sozialen Fragen und dem seiner
Vorgänger auf dem Stuhl Petri dar, denn das Konzil ist eine Vertiefung dieser Lehre in der
Kontinuität des Lebens der Kirche.[19] In diesem Sinn tragen gewisse abstrakte Unterteilungen
der modernen Soziallehre der Kirche, die auf die sozialen Aussagen der Päpste ihr fremde
Kategorien anwenden, nicht zur Klärung bei. Es gibt nicht zwei Typologien von Soziallehre, eine
vorkonziliare und eine nachkonziliare, die sich voneinander unterscheiden, sondern eine einzige
kohärente und zugleich stets neue Lehre.[20] Es ist richtig, die Besonderheiten der einen oder der
anderen Enzyklika, der Lehre des einen oder des anderen Papstes hervorzuheben, man darf
dabei aber niemals die Kohärenz des gesamten Corpus der Lehre aus den Augen verlieren.[21]
Kohärenz bedeutet nicht ein Einschließen in ein System, sondern vielmehr dynamische Treue zu
einem empfangenen Licht. Die Soziallehre der Kirche beleuchtet die immer neuen Probleme, die
auftauchen, mit einem Licht, das sich nicht verändert.[22] Das gewährleistet den sowohl
permanent aktuellen als auch geschichtlichen Charakter dieses doktrinellen »Erbes«,[23] das mit
seinen spezifischen Merkmalen Teil der stets lebendigen Überlieferung der Kirche ist.[24] Die
Soziallehre der Kirche ist auf dem Fundament aufgebaut, das die Apostel den Kirchenvätern
übermittelt haben und das dann von den großen christlichen Lehrmeistern aufgenommen und
vertieft wurde. Diese Lehre greift letztlich auf den Neuen Menschen zurück, auf den »Letzten
Adam«, der »lebendig machender Geist« wurde (1 Kor 15, 45) und Ursprung jener Liebe ist, die
»niemals aufhört« (1 Kor 13, 8). Sie ist bezeugt von den Heiligen und von allen, die auf dem
Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens ihr Leben für Christus, den Erlöser, hingegeben haben.
In ihr kommt die prophetische Aufgabe der Päpste zum Ausdruck, die Kirche Christi apostolisch zu
leiten und die jeweils neuen Erfordernisse der Evangelisierung zu erkennen. Aus diesen Gründen
ist die in den großen Strom der Überlieferung eingebettete Enzyklika Populorum progressio
imstande, uns heute noch etwas zu sagen.
13. Außer ihrer bedeutenden Verbindung mit der ganzen Soziallehre der Kirche ist die Enzyklika
Populorum progressio mit dem gesamten Lehramt Papst Pauls VI. und insbesondere mit seinem
Lehramt in sozialen Fragen verknüpft. Seine Unterweisungen zu diesem Thema waren durchaus
von großer Wichtigkeit: Er betonte die unabdingbare Rolle des Evangeliums für den Aufbau der
Gesellschaft im Sinne von Freiheit und Gerechtigkeit, in der geistigen und historischen
Perspektive einer von der Liebe geleiteten Zivilisation. Papst Paul VI. erfaßte klar, daß die soziale
Frage weltweit geworden war,[25] und sah die innere Entsprechung zwischen dem Drängen auf
eine Vereinheitlichung der Menschheit und dem christlichen Ideal einer einzigen, in der
allgemeinen Brüderlichkeit solidarischen Familie der Völker. Er bezeichnete die menschlich und
christlich verstandene Entwicklung als das Herz der christlichen Soziallehre und stellte die

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christliche Liebe als die hauptsächliche Kraft im Dienst der Entwicklung dar. Von dem Wunsch
bewegt, die Liebe Christi dem heutigen Menschen ganz sichtbar zu machen, ging Papst Paul VI.
mit Festigkeit wichtige ethische Fragen an, ohne den Schwächen der Kultur seiner Zeit
nachzugeben.
14. Mit dem Apostolischen Schreiben Octogesima adveniens von 1971 thematisierte Papst Paul
VI. dann den Sinn der Politik und die Gefahr seitens utopistischer und ideologischer Visionen, die
ihre ethische und menschliche Qualität beeinträchtigten. Es handelt sich um Argumente, die mit
der Entwicklung eng verbunden sind. Leider treiben die negativen Ideologien fortwährend Blüten.
Vor der technokratischen Ideologie, die heute besonders verbreitet ist, hatte Papst Paul VI. bereits
gewarnt,[26] wohl wissend, daß es sehr gefährlich ist, den gesamten Entwicklungsprozeß allein
der Technik zu überlassen, denn auf diese Weise würde ihm die Orientierung fehlen. Technik, für
sich genommen, ist ambivalent. Wenn heute einerseits die Neigung besteht, ihr den besagten
Entwicklungsprozeß gänzlich anzuvertrauen, ist andererseits das Aufkommen von Ideologien zu
beobachten, welche die Nützlichkeit der Entwicklung überhaupt leugnen, weil sie sie für
grundsätzlich anti-menschlich halten und meinen, sie führe zu allgemeinem Verfall. So verurteilt
man letztlich nicht nur die verzerrte und ungerechte Weise, in der die Menschen manchmal den
Fortschritt orientieren, sondern die wissenschaftlichen Entdeckungen selbst, die hingegen, wenn
sie recht genutzt werden, eine Wachstumschance für alle darstellen. Die Vorstellung von einer
Welt ohne Entwicklung drückt Mißtrauen gegenüber dem Menschen und gegenüber Gott aus. Es
ist also ein schwerer Irrtum, die menschlichen Fähigkeiten zur Kontrolle von Auswüchsen in der
Entwicklung geringzuschätzen, oder sogar zu ignorieren, daß der Mensch konstitutiv dem »Mehr-
Sein« entgegenstrebt. Den technischen Fortschritt ideologisch zu verabsolutieren oder die Utopie
einer zum ursprünglichen Naturzustand zurückgekehrten Menschheit zu erträumen, sind zwei
gegensätzliche Weisen, den Fortschritt von der moralischen Bewertung und somit von unserer
Verantwortung zu trennen.
15. Zwei weitere Dokumente Papst Pauls VI., die nicht unmittelbar mit der Soziallehre
zusammenhängen – die Enzyklika Humanae vitae vom 25. Juli 1968 und das Apostolische
Schreiben Evangelii nuntiandi vom 8. Dezember 1975 – sind sehr wichtig, um den vollkommen
menschlichen Gehalt der von der Kirche vorgeschlagenen Entwicklung zu beschreiben. Es ist also
angebracht, auch diese beiden Texte in Verbindung mit Populorum progressio zu lesen.
Die Enzyklika Humanae vitae unterstreicht die zweifache Bedeutung der Sexualität als
Vereinigung und als Zeugung und gründet damit die Gesellschaft auf das Fundament des
Ehepaares, eines Mannes und einer Frau, die sich gegenseitig annehmen in ihrer
Unterschiedenheit und Komplementarität; eines Paares also, das offen ist für das Leben.[27] Es
handelt sich nicht um eine bloß individuelle Moral: Humanae vitae zeigt die starken Verbindungen
auf, die zwischen der Ethik des Lebens und der Sozialethik bestehen, und hat damit eine
lehramtliche Thematik eröffnet, die nach und nach in verschiedenen Dokumenten Gestalt
gewonnen hat, zuletzt in der Enzyklika Evangelium vitae Papst Johannes Pauls II.[28] Die Kirche

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betont mit Nachdruck diesen Zusammenhang zwischen der Ethik des Lebens und der Sozialethik,
denn sie weiß: Unmöglich »kann eine Gesellschaft gesicherte Grundlagen haben, die – während
sie Werte wie Würde der Person, Gerechtigkeit und Frieden geltend macht – sich von Grund auf
widerspricht, wenn sie die verschiedensten Formen von Mißachtung und Verletzung des
menschlichen Lebens akzeptiert oder duldet, vor allem, wenn es sich um schwaches oder
ausgegrenztes Leben handelt«.[29]
Das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi hat seinerseits eine sehr enge Beziehung zur
Entwicklung, denn »die Evangelisierung wäre nicht vollkommen«, schrieb Papst Paul VI., »wenn
sie nicht dem Umstand Rechnung tragen würde, daß sich im Lauf der Zeit das Evangelium und
das konkrete, persönliche und gemeinschaftliche Leben des Menschen gegenseitig fordern«.[30]
»Zwischen Evangelisierung und menschlicher Förderung – Entwicklung und Befreiung – bestehen
in der Tat enge Verbindungen«:[31] Von dieser Kenntnis ausgehend, stellte Papst Paul VI. die
Beziehung zwischen der Verkündigung Christi und der Förderung des Menschen in der
Gesellschaft klar heraus. Das Zeugnis für die Liebe Christi durch Werke der Gerechtigkeit, des
Friedens und der Entwicklung gehört zur Evangelisierung, denn dem uns in Liebe zugewandten
Jesus Christus liegt der ganze Mensch am Herzen. Auf diese wichtigen Lehren gründet sich der
missionarische Aspekt[32] der Soziallehre der Kirche als wesentliches Element der
Evangelisierung.[33] Die Soziallehre der Kirche ist Glaubensverkündigung und Glaubenszeugnis.
Sie ist Instrument und unverzichtbarer Ort der Erziehung zum Glauben.
16. In der Enzyklika Populorum progressio wollte Papst Paul VI. uns vor allem sagen, daß der
Fortschritt in seinem Ursprung und seinem Wesen nach eine Berufung ist: »Nach dem Plan
Gottes ist jeder Mensch gerufen, sich zu entwickeln; denn das ganze Leben ist Berufung«.[34]
Genau dieses Faktum rechtfertigt das Eingreifen der Kirche in den Problemkomplex der
Entwicklung. Wenn es nur um technische Aspekte des menschlichen Lebens ginge und der
Mensch weder den Sinn seines Voranschreitens in der Geschichte gemeinsam mit seinen
Mitmenschen, noch die Zielbestimmung dieses Weges beachten würde, dann hätte die Kirche
kein Recht, über diese Dinge zu sprechen. Papst Paul VI. war sich – wie schon sein Vorgänger
Papst Leo XIII. in der Enzyklika Rerum novarum[35] – bewußt, eine seinem Amt eigene Pflicht zu
erfüllen, indem er das Licht des Evangeliums auf die sozialen Fragen seiner Zeit warf.[36]
Wenn man sagt, daß die Entwicklung eine Berufung ist, bedeutet das anzuerkennen, daß sie zum
einen aus einem transzendenten Ruf hervorgeht und zum andern nicht in der Lage ist, sich selbst
ihren letzten Sinn zu geben. Nicht ohne Grund kommt das Wort »Berufung« auch an einer
anderen Stelle der Enzyklika vor, wo es heißt: »Nur jener Humanismus also ist der wahre, der sich
zum Absoluten hin öffnet, in Dank für eine Berufung, die die richtige Auffassung vom
menschlichen Leben schenkt«.[37] Diese Sicht der Entwicklung ist das Herz von Populorum
progressio und motiviert alle Reflexionen Papst Pauls VI. über die Freiheit, die Wahrheit und die
Liebe in der Entwicklung. Sie ist auch der Hauptgrund, warum diese Enzyklika in unseren Tagen
noch aktuell ist.

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17. Die Berufung ist ein Appell, der eine freie und verantwortliche Antwort verlangt. Die
ganzheitliche menschliche Entwicklung setzt die verantwortliche Freiheit der Person und der
Völker voraus: keine Struktur kann diese Entwicklung garantieren, wenn sie die menschliche
Verantwortung beiseite läßt oder sich über sie stellt. Die »Messianismen«, reich an
»Verheißungen, die doch nur Gaukler einer Traumwelt sind«,[38] gründen ihre eigenen
Vorschläge immer auf die Leugnung der transzendenten Dimension der Entwicklung, in der
Sicherheit, daß diese ihnen ganz zur Verfügung steht. Diese falsche Sicherheit verwandelt sich in
Schwäche, weil sie die Unterjochung des Menschen mit sich bringt, der zu einem Mittel für die
Entwicklung herabgewürdigt wird, während die Demut dessen, der eine Berufung annimmt, sich in
wahre Autonomie verwandelt, weil sie den Menschen frei macht. Papst Paul VI. bezweifelt nicht,
daß Hindernisse und Bedingtheiten die Entwicklung hemmen, aber er ist auch sicher, daß »jeder
seines Glückes Schmied, seines Versagens Ursache [ist], wie immer auch die Einflüsse sind, die
auf ihn wirken«.[39] Diese Freiheit betrifft die Entwicklung, die wir vor uns haben, aber sie betrifft
zugleich auch die Situationen von Unterentwicklung, die nicht ein Ergebnis des Zufalls oder einer
geschichtlichen Notwendigkeit sind, sondern von der menschlichen Verantwortung abhängen. Aus
diesem Grund bitten »die Völker, die Hunger leiden, … die Völker im Wohlstand dringend um
Hilfe«.[40] Auch das ist Berufung, ein von freien Menschen an freie Menschen gerichteter Appell
für eine gemeinsame Übernahme von Verantwortung. Papst Paul VI. hatte ein lebendiges
Empfinden für die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Strukturen und der Institutionen, aber ebenso
deutlich war sein Empfinden für deren eigentliches Wesen als Werkzeuge der menschlichen
Freiheit. Nur wenn sie frei ist, kann die Entwicklung ganz menschlich sein; nur in Verhältnissen
von verantwortlicher Freiheit kann sie in angemessener Weise wachsen.
18. Neben der Forderung nach Freiheit verlangt die ganzheitliche menschliche Entwicklung als
Berufung auch, daß ihre Wahrheit respektiert wird. Die Berufung zum Fortschritt drängt die
Menschen, »mehr [zu] handeln, mehr [zu] erkennen, mehr [zu] besitzen, um mehr zu sein«.[41]
Doch da stellt sich das Problem: Was bedeutet »mehr sein«? Auf diese Frage antwortet Papst
Paul VI., indem er auf das wesentliche Kennzeichen der »wahren Entwicklung« verweist: Sie muß
»umfassend sein, sie muß den ganzen Menschen im Auge haben und die gesamte
Menschheit«.[42] In der Konkurrenz der verschiedenen Auffassungen vom Menschen, von denen
es in der heutigen Gesellschaft noch mehr gibt als zur Zeit Papst Pauls VI., hat die christliche
Sichtweise die Besonderheit, den unveräußerlichen Wert des Menschen und den Sinn seines
Wachsens zu bekräftigen und zu rechtfertigen. Die christliche Berufung zur Entwicklung hilft, die
Förderung aller Menschen und des ganzen Menschen zu verfolgen. Papst Paul VI. schrieb: »Was
für uns zählt, ist der Mensch, der einzelne, die Gruppe von Menschen bis zur gesamten
Menschheit«.[43] Der christliche Glaube kümmert sich um die Entwicklung, ohne sich auf
Privilegien oder auf Machtpositionen und nicht einmal auf die Verdienste der Christen zu
verlassen, auch wenn es sie gab und auch heute abgesehen von natürlichen Grenzen gibt.[44]
Der Glaube setzt vielmehr einzig auf Christus, auf den jede echte Berufung zur ganzheitlichen
menschlichen Entwicklung zurückzuführen ist. Das Evangelium ist grundlegendes Element der
Entwicklung, denn darin macht Christus »in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und

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12
seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund«.[45] Von ihrem Herrn belehrt,
erforscht die Kirche die Zeichen der Zeit, deutet sie und bietet der Welt »ihr Ureigenstes: eine
umfassende Sicht des Menschen und der Menschheit«.[46] Gerade weil Gott das größte »Ja«
zum Menschen sagt,[47] kann der Mensch nicht darauf verzichten, sich der göttlichen Berufung zu
öffnen, um die eigene Entwicklung zu verwirklichen. Die Wahrheit der Entwicklung besteht in ihrer
Ganzheit: Wenn die Entwicklung nicht den ganzen Menschen und jeden Menschen betrifft, ist sie
keine wahre Entwicklung. Das ist die zentrale Botschaft von Populorum progressio, die heute und
immer gilt. Die ganzheitliche Entwicklung des Menschen auf der natürlichen Ebene als Antwort auf
eine Berufung durch den Schöpfergott[48] erfordert ihre Verwirklichung in einem »Humanismus
jenseitiger … Art, der [dem Menschen] eine umgreifende Vollendung schenkt: das ist das Ziel und
der letzte Sinn menschlicher Entwicklung«.[49] Die christliche Berufung zu dieser Entwicklung
betrifft also sowohl die natürliche als auch die übernatürliche Ebene; aus diesem Grund gilt:
»Wenn Gott in den Schatten gestellt wird, schwindet unsere Fähigkeit, die natürliche Ordnung, ihr
Ziel und das ‚Gute‘ zu erkennen, allmählich dahin«.[50]
19. Schließlich verlangt die Auffassung von der Entwicklung als Berufung, daß in ihr die Liebe im
Zentrum steht. Papst Paul VI. stellte in der Enzyklika Populorum progressio fest, daß die
Ursachen der Unterentwicklung nicht in erster Linie materieller Art sind. Er forderte uns auf, sie in
anderen Dimensionen des Menschen zu suchen. Vor allem im Willen, der oft die Pflichten der
Solidarität mißachtet. An zweiter Stelle im Denken, das den Willen nicht immer in rechter Weise zu
orientieren weiß. Zu begleiten wäre die Entwicklung daher durch »weise Menschen mit tiefen
Gedanken, die nach einem neuen Humanismus Ausschau halten, der den Menschen von heute
sich selbst finden läßt«.[51] Aber das ist nicht alles. Die Unterentwicklung hat eine Ursache, die
noch wichtiger ist als die Unzulänglichkeit im Denken: Es ist das »Fehlen des brüderlichen Geistes
unter den Menschen und unter den Völkern«.[52] Können die Menschen eine solche
Brüderlichkeit jemals aus eigenem Antrieb erreichen? Die zunehmend globalisierte Gesellschaft
macht uns zu Nachbarn, aber nicht zu Geschwistern. Die Vernunft für sich allein ist imstande, die
Gleichheit unter den Menschen zu begreifen und ein bürgerliches Zusammenleben herzustellen,
aber es gelingt ihr nicht, Brüderlichkeit zu schaffen. Diese hat ihren Ursprung in einer
transzendenten Berufung durch Gott den Vater, der uns zuerst geliebt hat und uns durch den
Sohn lehrt, was geschwisterliche Liebe ist. In seiner Darstellung der verschiedenen Ebenen des
Entwicklungsprozesses des Menschen stellte Papst Paul VI., nachdem er den Glauben erwähnt
hatte, an die Spitze »die Einheit in der Liebe Christi, der alle gerufen hat, als Kinder am Leben des
lebendigen Gottes teilzunehmen, des Vaters aller Menschen«.[53]
20. Diese von Populorum progressio eröffneten Perspektiven bleiben grundlegend, um unserem
Einsatz für die Entwicklung der Völker Schwung und Orientierung zu verleihen. Die Enzyklika
unterstreicht außerdem immer wieder die Dringlichkeit von Reformen[54] und ruft dann auf,
angesichts der großen Probleme der Ungerechtigkeit in der Entwicklung der Völker mutig und
ohne Zögern zu handeln. Auch die Liebe in der Wahrheit schreibt diese Dringlichkeit vor. Die
Liebe Christi ist es, die uns drängt: »caritas Christi urget nos« (2 Kor 5, 14). Die Dringlichkeit liegt

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13
nicht nur in den Gegebenheiten, sie ergibt sich nicht nur daraus, daß die Ereignisse und Probleme
sich überstürzen, sondern auch aus der ausgesetzten Prämie: die Verwirklichung einer echten
Brüderlichkeit. Dieses Ziel hat eine solche Bedeutung, daß es unsere Aufgeschlossenheit
erfordert, damit wir es zutiefst begreifen und uns konkret und »von Herzen« dafür engagieren, daß
die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse zu wahrhaft menschlichen
Ergebnissen führen.
ZWEITES KAPITEL
DIE ENTWICKLUNG DES MENSCHEN IN UNSERER ZEIT
21. Papst Paul VI. hatte eine differenzierte Sicht der Entwicklung. Mit dem Begriff »Entwicklung«
wollte er das Ziel anzeigen, den Völkern vor allem zu einer Überwindung von Hunger, Elend,
endemischen Krankheiten und Analphabetismus zu verhelfen. Das bedeutete vom ökonomischen
Gesichtspunkt aus ihre aktive Teilnahme am internationalen Wirtschaftsprozeß unter paritätischen
Bedingungen; vom sozialen Gesichtspunkt aus ihre Entwicklung zu gebildeten und solidarischen
Gesellschaften; vom politischen Gesichtspunkt aus die Konsolidierung demokratischer Regime,
die imstande sind, Freiheit und Frieden zu sichern. Während wir nun nach vielen Jahren mit
Besorgnis auf die Entwicklungen und auf die Perspektiven der Krisen schauen, die in diesen
Zeiten einander folgen, fragen wir uns, wie weit die Erwartungen Papst Pauls VI. von dem in den
letzten Jahrzehnten angewendeten Entwicklungsmodell befriedigt worden sind. Wir erkennen so,
daß die Befürchtungen der Kirche bezüglich der Fähigkeiten des rein technisch orientierten
Menschen, sich realistische Ziele zu setzen und die zur Verfügung stehenden Mittel in
angemessener Weise zu handhaben, begründet waren. Der Gewinn ist nützlich, wenn er in seiner
Eigenschaft als Mittel einem Zweck zugeordnet ist, welcher der Art und Weise seiner Erlangung
ebenso wie der seiner Verwendung einen Sinn verleiht. Die ausschließliche Ausrichtung auf
Gewinn läuft, wenn dieser auf ungute Weise erzielt wird und sein Endzweck nicht das
Gemeinwohl ist, Gefahr, Vermögen zu zerstören und Armut zu schaffen. Die von Papst Paul VI.
herbeigewünschte wirtschaftliche Entwicklung sollte so geartet sein, daß sie ein reales, auf alle
ausdehnbares und konkret nachhaltiges Wachstum hervorruft. Es trifft zu, daß die Entwicklung ein
positiver Faktor war und weiterhin ist, der Milliarden von Menschen aus dem Elend befreit und in
letzter Zeit vielen Ländern die Möglichkeit gegeben hat, wirksame Partner in der internationalen
Politik zu werden. Man muß jedoch zugeben, daß ebendiese wirtschaftliche Entwicklung durch
Verzerrungen und dramatische Probleme belastet war und weiterhin ist, die durch die
augenblickliche Krisensituation noch mehr in den Vordergrund treten. Diese stellt uns
unaufschiebbar vor Entscheidungen, die zunehmend die Bestimmung des Menschen selbst
betreffen, der im übrigen nicht von seiner Natur absehen kann. Die auf dem Plan befindlichen
technischen Kräfte, die weltweiten Wechselbeziehungen, die schädlichen Auswirkungen einer
schlecht eingesetzten und darüber hinaus spekulativen Finanzaktivität auf die Realwirtschaft, die

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stattlichen, oft nur ausgelösten und dann nicht angemessen geleiteten Migrationsströme, die
unkontrollierte Ausbeutung der Erdressourcen – all das veranlaßt uns heute, über die notwendigen
Maßnahmen zur Lösung von Problemen nachzudenken, die im Vergleich zu den von Papst Paul
VI. unternommenen nicht nur neu sind, sondern auch und vor allem einen entscheidenden Einfluß
auf das gegenwärtige und zukünftige Wohl der Menschheit haben. Die Aspekte der Krise und ihrer
Lösungen wie auch die einer zukünftigen neuen möglichen Entwicklung sind immer mehr
miteinander verbunden, sie bedingen sich gegenseitig, erfordern neue Bemühungen um ein
Gesamtverständnis und eine neue humanistische Synthese. Die Kompliziertheit und Schwere der
augenblicklichen wirtschaftlichen Krise besorgt uns zu Recht, doch müssen wir mit Realismus,
Vertrauen und Hoffnung die neuen Verantwortungen übernehmen, zu denen uns das Szenario
einer Welt ruft, die einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung von
Grundwerten bedarf, auf denen eine bessere Zukunft aufzubauen ist. Die Krise verpflichtet uns,
unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue Einsatzformen zu finden, auf
positive Erfahrungen zuzusteuern und die negativen zu verwerfen. So wird die Krise Anlaß zu
Unterscheidung und neuer Planung. In dieser eher zuversichtlichen als resignierten Grundhaltung
müssen die Schwierigkeiten des gegenwärtigen Augenblicks in Angriff genommen werden.
22. Heute ist der Rahmen der Entwicklung polyzentrisch. Die Akteure und die Ursachen sowohl
der Unterentwicklung als auch der Entwicklung sind vielgestaltig, Schuld und Verdienste sind
voneinander zu unterscheiden. Diese Gegebenheit müßte dazu drängen, sich von den Ideologien
zu befreien, die in oft künstlicher Weise die Realität vereinfachen, und dazu veranlassen, objektiv
die menschliche Komplexität der Probleme zu überprüfen. Die Demarkationslinie zwischen
reichen und armen Ländern ist nicht mehr so deutlich wie zur Zeit der Enzyklika Populorum
progressio; darauf hatte schon Papst Johannes Paul II. hingewiesen.[55] Absolut gesehen, nimmt
der weltweite Reichtum zu, doch die Ungleichheiten vergrößern sich. In den reichen Ländern
verarmen neue Gesellschaftsklassen, und es entstehen neue Formen der Armut. In ärmeren
Regionen erfreuen sich einige Gruppen einer Art verschwenderischer und konsumorientierter
Überentwicklung, die in unannehmbarem Kontrast zu anhaltenden Situationen
entmenschlichenden Elends steht. »Der Skandal schreiender Ungerechtigkeit«[56] hält an.
Korruption und Illegalität gibt es leider im Verhalten wirtschaftlicher und politischer Vertreter der
alten und neuen reichen Länder ebenso wie in den armen Ländern selbst. Manchmal sind es
große transnationale Unternehmen oder auch lokale Produktionsgruppen, welche die
Menschenrechte der Arbeiter nicht respektieren. Die internationalen Hilfen sind oft durch
Verantwortungslosigkeiten sowohl in der Kette der Geber als auch in der der Nutznießer
zweckentfremdet worden. Auch im Bereich der nicht materiellen oder der kulturellen Ursachen der
Entwicklung bzw. der Unterentwicklung können wir die gleiche Aufteilung der Verantwortung
finden. Es gibt übertriebene Formen des Wissensschutzes seitens der reichen Länder durch eine
zu strenge Anwendung des Rechtes auf geistiges Eigentum, speziell im medizinischen Bereich.
Zugleich bestehen in einigen armen Ländern kulturelle Leitbilder und gesellschaftliche
Verhaltensnormen fort, die den Entwicklungsprozeß bremsen.

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23. Viele Regionen der Erde haben sich heute, wenn auch auf problematische und nicht
homogene Weise, fortentwickelt und sind in den Kreis der großen Mächte eingetreten, die dazu
bestimmt sind, in Zukunft wichtige Rollen zu spielen. Es muß jedoch unterstrichen werden, daß
ein Fortschritt allein unter wirtschaftlichem und technologischem Gesichtspunkt nicht genügt. Es
ist notwendig, daß die Entwicklung vor allem echt und ganzheitlich ist. Das Heraustreten aus dem
wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand, ein an sich positives Faktum, löst nicht die komplexe
Problematik der Förderung des Menschen: weder für die unmittelbar von diesem Fortschritt selbst
betroffenen Länder, noch für die wirtschaftlich bereits entwickelten, und auch nicht für die noch
armen Länder, die nicht nur unter den alten Formen der Ausbeutung, sondern auch unter den
negativen Konsequenzen eines durch Verzerrungen und Unausgeglichenheiten gekennzeichneten
Wachstums leiden können.
Nach dem Zusammenbruch der wirtschaftlichen und politischen Systeme der kommunistischen
Länder Osteuropas und dem Ende der sogenannten „gegnerischen Blöcke“ wäre ein
umfassendes Überdenken der Entwicklung nötig gewesen. Das hatte Papst Johannes Paul II.
gefordert, der 1987 die Existenz dieser „Blöcke“ als eine der Hauptursachen der Unterentwicklung
ausgewiesen hatte,[57] insofern die Politik der Wirtschaft und der Kultur Geldmittel entzog und die
Ideologie die Freiheit behinderte. Im Jahr 1991, nach den Ereignissen von 1989, forderte er auch,
daß dem Ende der „Blöcke“ eine globale Neuplanung der Entwicklung entsprechen müsse, und
zwar nicht nur in jenen Ländern, sondern auch im Westen und in jenen Teilen der Welt, die sich im
Stadium der Entwicklung befanden.[58] Das ist nur zum Teil geschehen und bleibt weiter eine
echte Verpflichtung, der Genüge getan werden muß, indem man vielleicht gerade aus den zur
Überwindung der aktuellen wirtschaftlichen Probleme notwendigen Entscheidungen Nutzen zieht.
24. Obwohl man angesichts des schon fortgeschrittenen Prozesses der Sozialisierung von einer
weltweit gewordenen sozialen Frage sprechen konnte, war die Welt, die Papst Paul VI. vor sich
hatte, noch viel weniger zusammengewachsen als die heutige. Wirtschaftliche Aktivität und
politische Tätigkeit spielten sich großenteils im selben räumlichen Bereich ab und konnten sich so
aufeinander verlassen. Die produktive Tätigkeit geschah vornehmlich innerhalb der nationalen
Grenzen, und die finanziellen Investitionen hatten eine eher begrenzte Zirkulation im Ausland, so
daß die Politik vieler Staaten noch die Prioritäten der Wirtschaft festsetzen und mit den ihr noch
zur Verfügung stehenden Mitteln deren Fortgang in gewisser Weise regeln konnte. Aus diesem
Grund schrieb Populorum progressio der »staatlichen Gewalt«[59] eine zentrale, wenn auch nicht
ausschließliche Aufgabe zu.
In unserer Zeit sieht sich der Staat mit der Situation konfrontiert, sich mit den Beschränkungen
auseinandersetzen zu müssen, die der neue internationale ökonomisch-kommerzielle und
finanzielle Kontext seiner Souveränität in den Weg legt – ein Kontext, der sich auch durch eine
zunehmende Mobilität des Finanzkapitals und der materiellen wie nicht materiellen
Produktionsmittel auszeichnet. Dieser neue Kontext hat die politische Macht der Staaten
verändert.

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Heute – auch unter dem Eindruck der Lektion, die uns die augenblickliche Wirtschaftskrise erteilt,
in der die staatliche Gewalt unmittelbar damit beschäftigt ist, Irrtümer und Mißwirtschaft zu
korrigieren – scheint eine neue Wertbestimmung der Rolle und der Macht der Staaten
realistischer; beides muß klug neu bedacht und abgeschätzt werden, so daß die Staaten wieder
imstande sind – auch durch neue Modalitäten der Ausübung –, sich den Herausforderungen der
heutigen Welt zu stellen. Mit einer besser ausgewogenen Rolle der staatlichen Gewalt kann man
davon ausgehen, daß sich jene neuen Formen der Teilnahme an der nationalen und
internationalen Politik stärken, die sich durch die Tätigkeit der in der Zivilgesellschaft arbeitenden
Organisationen verwirklichen. Es ist wünschenswert, daß in dieser Richtung eine tiefer
empfundene Aufmerksamkeit und Anteilnahme der Bürger an der Res publica wachse.
25. Vom sozialen Gesichtspunkt aus haben die Schutz- und Fürsorgeeinrichtungen, die es schon
zur Zeit Papst Pauls VI. in vielen Ländern gab, Mühe – und in Zukunft könnte es noch schwieriger
werden –, ihre Ziele wirklicher sozialer Gerechtigkeit in einem zutiefst veränderten Kräftespiel zu
verfolgen. Der global gewordene Markt hat vor allem bei den reichen Ländern die Suche nach
Zonen angetrieben, in die die Produktion zu Niedrigpreisen verlagert werden kann, mit dem Ziel,
die Preise vieler Waren zu senken, die Kaufkraft zu steigern und somit die auf vermehrtem
Konsum basierenden Wachstumsraten für den eigenen internen Markt zu erhöhen. Folglich hat
der Markt neue Formen des Wettstreits unter den Staaten angeregt, die darauf abzielen, mit
verschiedenen Mitteln – darunter günstige Steuersätze und die Deregulierung der Arbeitswelt –
Produktionszentren ausländischer Unternehmen anzuziehen. Diese Prozesse haben dazu geführt,
daß die Suche nach größeren Wettbewerbsvorteilen auf dem Weltmarkt mit einer Reduzierung der
Netze der sozialen Sicherheit bezahlt wurde, was die Rechte der Arbeiter, die fundamentalen
Menschenrechte und die in den traditionellen Formen des Sozialstaates verwirklichte Solidarität in
ernste Gefahr bringt. Die Systeme der sozialen Sicherheit können die Fähigkeit verlieren, ihre
Aufgabe zu erfüllen, und zwar nicht nur in den armen Ländern, sondern auch in den
Schwellenländern und in den seit langem entwickelten Ländern. Hier kann die Haushaltspolitik mit
Streichungen in den Sozialausgaben, die häufig auch von den internationalen Finanzinstituten
angeregt werden, die Bürger machtlos neuen und alten Gefahren aussetzen; diese Machtlosigkeit
wird durch das Fehlen eines wirksamen Schutzes durch die Arbeitnehmervereinigungen noch
erhöht. Die Gesamtheit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen bewirkt, daß
die Gewerkschaftsorganisationen bei der Ausübung ihrer Aufgabe, die Interessen der
Arbeitnehmer zu vertreten, auf größere Schwierigkeiten stoßen, auch weil die Regierungen aus
Gründen des wirtschaftlichen Nutzens oft die gewerkschaftlichen Freiheiten oder die
Verhandlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften selbst einschränken. So haben die traditionellen
Netze der Solidarität wachsende Hindernisse zu überwinden. Der Vorschlag seitens der
Soziallehre der Kirche – angefangen von der Enzyklika Rerum novarum[60] –,
Arbeitnehmervereinigungen zur Verteidigung der eigenen Rechte ins Leben zu rufen, sollte darum
heute noch mehr nachgekommen werden als früher, indem man vor allem eine sofortige und
weitblickende Antwort auf die Dringlichkeit gibt, neue Formen des Zusammenwirkens nicht nur auf
lokaler, sondern auch auf internationaler Ebene einzuführen.

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Die Arbeitsmobilität ist in Verbindung mit der verbreiteten Deregulierung ein wichtiges Phänomen
nicht ohne positive Aspekte gewesen, denn sie ist imstande, die Produktion von neuem Vermögen
und den Austausch zwischen verschiedenen Kulturen anzuregen. Wenn jedoch die Unsicherheit
bezüglich der Arbeitsbedingungen infolge von Prozessen der Mobilität und der Deregulierung um
sich greift, bilden sich Formen psychologischer Instabilität aus, Schwierigkeiten, eigene
konsequente Lebensplanungen zu entwickeln, auch im Hinblick auf die Ehe. In der Folge ergeben
sich Situationen nicht nur sozialer Kräftevergeudung, sondern auch menschlichen Niedergangs.
Vergleicht man dies mit dem, was in der Industriegesellschaft der Vergangenheit geschah, so
provoziert die Arbeitslosigkeit heute neue Aspekte wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit, und die
augenblickliche Krise kann die Situation nur noch verschlechtern. Der langzeitige Ausschluß von
der Arbeit oder die längere Abhängigkeit von öffentlicher oder privater Hilfe untergraben die
Freiheit und die Kreativität der Person sowie ihre familiären und gesellschaftlichen Beziehungen,
was schwere Leiden auf psychologischer und spiritueller Ebene mit sich bringt. Allen, besonders
den Regierenden, die damit beschäftigt sind, den Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen der
Welt ein erneuertes Profil zu geben, möchte ich in Erinnerung rufen, daß das erste zu schützende
und zu nutzende Kapital der Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit – »ist doch der Mensch
Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft«.[61]
26. Auf kultureller Ebene ist der Unterschied im Vergleich zur Zeit Papst Pauls VI. noch markanter.
Damals waren die Kulturen ziemlich gut umschrieben und hatten größere Chancen, sich vor
Versuchen kultureller Homogenisierung zu schützen. Heute haben die Möglichkeiten der
Wechselwirkung zwischen den Kulturen beträchtlich zugenommen und geben Raum für neue
Perspektiven des interkulturellen Dialogs – eines Dialogs, der, um wirkungsvoll zu sein, von den
verschiedenen Gesprächspartnern als Ausgangspunkt das tiefe Bewußtsein ihrer spezifischen
Identität verlangt. Man darf dabei allerdings nicht außer Acht lassen, daß die zunehmende
Kommerzialisierung des Kulturaustauschs heute eine zweifache Gefahr begünstigt. An erster
Stelle ist ein häufig unkritisch angenommener kultureller Eklektizismus zu beobachten: Die
Kulturen werden einfach nebeneinander gestellt und als im wesentlichen gleichwertig und
untereinander austauschbar betrachtet. Das fördert das Abgleiten in einen Relativismus, der dem
wahren interkulturellen Dialog wenig hilfreich ist; auf gesellschaftlicher Ebene bewirkt der kulturelle
Relativismus ein getrenntes Nebeneinanderher-Leben der Kulturgruppen ohne echten Dialog und
folglich ohne wirkliche Integration. An zweiter Stelle existiert die entgegengesetzte Gefahr, die in
der kulturellen Verflachung und der Vereinheitlichung der Verhaltensweisen und der Lebensstile
besteht. Auf diese Weise geht die tiefe Bedeutung der Kultur der verschiedenen Nationen und der
Traditionen der verschiedenen Völker verloren, in denen der Mensch sich mit den Grundfragen
der Existenz auseinandersetzt.[62] Eklektizismus und kulturelle Nivellierung laufen auf die
Trennung der Kultur von der menschlichen Natur hinaus. So können die Kulturen ihr Maß nicht
mehr in einer Natur finden, die über sie hinausgeht,[63] und reduzieren den Menschen schließlich
auf ein bloßes kulturelles Phänomen. Wenn das geschieht, gerät die Menschheit in neue
Gefahren der Hörigkeit und der Manipulation.

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27. In vielen armen Ländern hält als Folge der Nahrungsmittelknappheit die extreme Unsicherheit
des Lebens an und läuft Gefahr, sich noch zu verschärfen: Der Hunger rafft noch zahllose Opfer
unter den vielen Menschen gleich dem »Lazarus« hinweg, denen es nicht gestattet ist, mit dem
Reichen an derselben Tafel zu sitzen – wie Papst Paul VI. es gewünscht hatte.[64] Den Hungrigen
zu essen geben (vgl. Mt 25, 35.37.42) ist ein ethischer Imperativ für die Weltkirche, die den
Lehren ihres Gründers Jesus Christus über Solidarität und Teilen entspricht. Den Hunger in der
Welt zu beseitigen, ist darüber hinaus in der Ära der Globalisierung auch ein Ziel geworden, das
notwendigerweise verfolgt werden muß, um den Frieden und die Stabilität auf der Erde zu
bewahren. Der Hunger hängt weniger von einem materiellen Mangel ab, als vielmehr von einem
Mangel an gesellschaftlichen Ressourcen, deren wichtigste institutioneller Natur ist. Das heißt, es
fehlt eine Ordnung wirtschaftlicher Institutionen, die in der Lage sind, sowohl einen der richtigen
Ernährung angemessenen regulären Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln zu garantieren, als
auch die Engpässe zu bewältigen, die mit den Grundbedürfnissen und dem Notstand im Fall
echter Nahrungsmittelkrisen verbunden sind – Krisen, die natürliche Ursachen haben können oder
auch durch nationale und internationale politische Verantwortungslosigkeit hervorgerufen werden.
Das Problem der Unsicherheit auf dem Gebiet der Ernährung muß in einer langfristigen
Perspektive in Angriff genommen werden, indem man die strukturellen Ursachen, die sie
hervorrufen, beseitigt und die landwirtschaftliche Entwicklung der ärmsten Länder fördert. Dies
kann geschehen durch Investitionen in die ländliche Infrastruktur, in Bewässerungssysteme, in
Transportwesen, in die Organisation von Märkten, in die Bildung und Verbreitung von geeigneten
landwirtschaftlichen Techniken – also durch Investitionen, die geeignet sind, die menschlichen,
natürlichen und sozioökonomischen Ressourcen, die auf lokaler Ebene am zugänglichsten sind,
bestmöglich zu nutzen, so daß die Nachhaltigkeit dieser Investitionen auch langfristig
gewährleistet ist. All das muß verwirklicht werden, indem man die lokalen Gemeinschaften in die
Auswahl des Ackerlandes und die Entscheidungen bezüglich seiner Nutzung mit einbezieht. Aus
dieser Sicht könnte es sich als hilfreich erweisen, die neuen Horizonte zu betrachten, die sich
durch einen richtigen Einsatz der traditionellen wie auch der innovativen landwirtschaftlichen
Produktionstechniken auftun, vorausgesetzt, daß letztere nach angemessener Prüfung als
zweckmäßig, umweltfreundlich und für die am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen als
zuträglich erkannt wurden. Gleichzeitig sollte die Frage einer gerechten Agrarreform in den
Entwicklungsländern nicht vernachlässigt werden. Das Recht auf Ernährung sowie das auf
Wasser spielen eine wichtige Rolle für die Erlangung anderer Rechte, angefangen vor allem mit
dem Grundrecht auf Leben. Darum ist es notwendig, daß ein solidarisches Bewußtsein reift,
welches die Ernährung und den Zugang zum Wasser als allgemeine Rechte aller Menschen
betrachtet, ohne Unterscheidungen und Diskriminierungen.[65] Außerdem ist es wichtig zu
verdeutlichen, wie der Weg der Solidarisierung mit den armen Ländern ein Projekt zur Lösung der
augenblicklichen weltweiten Krise darstellen kann; Politiker und Verantwortliche internationaler
Institutionen haben das in letzter Zeit erfaßt. Indem man durch solidarisch ausgerichtete
Finanzierungspläne die armen Länder wirtschaftlich unterstützt, damit sie selber dafür sorgen, die
Nachfrage ihrer Bürger nach Konsumgütern und Entwicklung zu befriedigen, kann man nicht nur
ein echtes Wirtschaftswachstum erzielen, sondern auch dazu beitragen, die

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19
Produktionskapazitäten der reichen Länder zu erhalten, die Gefahr laufen, durch die Krise in
Mitleidenschaft gezogen zu werden.
28. Einer der augenscheinlichsten Aspekte der heutigen Entwicklung ist die Wichtigkeit des
Themas der Achtung vor dem Leben, das in keiner Weise von den Fragen bezüglich der
Entwicklung der Völker getrennt werden kann. Es handelt sich um einen Aspekt, der in letzter Zeit
eine immer größere Bedeutung gewinnt und uns verpflichtet, die Begriffe von Armut[66] und
Unterentwicklung auf die Fragen auszudehnen, die mit der Annahme des Lebens verbunden sind,
vor allem dort, wo dieses in verschiedener Weise behindert wird.
Nicht nur die Situation der Armut verursacht noch in vielen Regionen hohe Quoten der
Kindersterblichkeit, sondern in verschiedenen Teilen der Welt gibt es weiterhin Praktiken der
Bevölkerungskontrolle durch die Regierungen, die oft die Empfängnisverhütung verbreiten und
sogar so weit gehen, die Abtreibung anzuordnen. In den wirtschaftlich mehr entwickelten Ländern
sind die lebensfeindlichen Gesetzgebungen sehr verbreitet und haben bereits die Gewohnheit und
die Praxis entscheidend beeinflußt; sie tragen dazu bei, eine geburtenfeindliche Mentalität zu
lancieren, die man häufig auch auf andere Staaten zu übertragen sucht, als stelle sie einen
kulturellen Fortschritt dar.
Einige Nichtregierungsorganisationen arbeiten aktiv für die Verbreitung der Abtreibung und fördern
manchmal in den armen Ländern die Entscheidung für die Praxis der Sterilisierung, auch bei
Frauen, die sich der Bedeutung des Eingriffs nicht bewußt sind. Außerdem besteht der
begründete Verdacht, daß gelegentlich die Entwicklungshilfe selbst an bestimmte Formen der
Gesundheitspolitik geknüpft wird, die de facto die Auferlegung starker Geburtenkontrollen
einschließen. Besorgniserregend sind ferner Gesetzgebungen, welche die Euthanasie vorsehen,
und ebenso beunruhigend auch der Druck von nationalen und internationalen Gruppen, die deren
rechtliche Anerkennung fordern.
Die Offenheit für das Leben steht im Zentrum der wahren Entwicklung. Wenn eine Gesellschaft
den Weg der Lebensverweigerung oder -unterdrückung einschlägt, wird sie schließlich nicht mehr
die nötigen Motivationen und Energien finden, um sich für das wahre Wohl des Menschen
einzusetzen. Wenn der persönliche und gesellschaftliche Sinn für die Annahme eines neuen
Lebens verlorengeht, verdorren auch andere, für das gesellschaftliche Leben hilfreiche Formen
der Annahme.[67] Die Annahme des Lebens stärkt die moralischen Kräfte und befähigt zu
gegenseitiger Hilfe. Wenn die reichen Völker die Offenheit für das Leben pflegen, können sie die
Bedürfnisse der armen Völker besser verstehen, die Verwendung ungeheurer wirtschaftlicher und
intellektueller Ressourcen zur Befriedigung egoistischer Wünsche bei den eigenen Bürgern
vermeiden und statt dessen gute Aktionen im Hinblick auf eine moralisch gesunde und
solidarische Produktion fördern, in der Achtung des Grundrechtes jedes Volkes und jedes
Menschen auf das Leben.

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20
29. Es gibt noch einen anderen Aspekt des heutigen Lebens, der mit der Entwicklung sehr eng
verbunden ist: die Verweigerung des Rechtes auf Religionsfreiheit. Ich beziehe mich nicht nur auf
die Kämpfe und Konflikte, die in der Welt noch aus religiösen Gründen ausgefochten werden,
auch wenn das Religiöse manchmal nur der Deckmantel für andersartige Gründe ist wie die Gier
nach Herrschaft und Reichtum. Tatsächlich wird heute oft im heiligen Namen Gottes getötet, wie
mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. und ich selbst wiederholt öffentlich betont und mißbilligt
haben.[68] Gewalt aller Art bremst die authentische Entwicklung und behindert den Übergang der
Völker zu größerem sozioökonomischen und geistigen Wohlbefinden. Das gilt speziell für den
Terrorismus mit fundamentalistischem Hintergrund,[69] der Leid, Verwüstung und Tod verursacht,
den Dialog zwischen den Nationen blockiert und große Geldmittel von ihrem friedlichen und zivilen
Einsatz abzieht. Es muß jedoch hinzugefügt werden, daß außer dem religiösen Fanatismus, der in
einigen Bereichen die Ausübung des Rechtes auf Religionsfreiheit verhindert, auch die
planmäßige Förderung der religiösen Indifferenz oder des praktischen Atheismus durch viele
Länder den Bedürfnissen der Entwicklung der Völker widerspricht, indem sie ihnen spirituelle und
humane Reichtümer entzieht. Gott ist der Garant der wahren Entwicklung des Menschen, denn da
er ihn nach seinem Bild geschaffen hat, begründet er auch seine transzendente Würde und nährt
sein Grundverlangen, »mehr zu sein«. Der Mensch ist nicht etwa ein verlorenes Atom in einem
Zufalls-Universum,[70] sondern ein Geschöpf Gottes, das von ihm eine unsterbliche Seele
empfangen hat und von Ewigkeit her geliebt worden ist. Wenn der Mensch nur das Ergebnis des
Zufalls bzw. der Notwendigkeit wäre oder wenn er seine Bestrebungen auf den begrenzten
Horizont der Situationen reduzieren müßte, in denen er lebt, wenn alles allein Geschichte und
Kultur wäre und der Mensch nicht eine Natur besäße, die dazu bestimmt ist, sich in einem
übernatürlichen Leben selbst zu überschreiten, könnte man von Wachstum oder Evolution
sprechen, aber nicht von Entwicklung. Wenn der Staat Formen eines praktischen Atheismus
fördert, lehrt oder sogar durchsetzt, entzieht er seinen Bürgern die moralische und geistige Kraft,
die für den Einsatz in der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung unentbehrlich ist, und hindert
sie, mit neuer Lebendigkeit im eigenen Engagement für eine großherzigere menschliche Antwort
auf die göttliche Liebe voranzuschreiten.[71] Es kommt auch vor, daß die wirtschaftlich
entwickelten Länder oder die Schwellenländer im Rahmen ihrer kulturellen, kommerziellen und
politischen Beziehungen diese herabwürdigende Sicht des Menschen und seiner Bestimmung in
die armen Länder exportieren. Das ist der Schaden, den die »Überentwicklung«[72] der echten
Entwicklung zufügt, wenn sie von der »moralischen Unterentwicklung«[73] begleitet ist.
30. In dieser Richtung bekommt das Thema der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen eine
noch umfassendere Tragweite: Die Wechselbeziehung zwischen ihren vielfältigen Elementen
erfordert, daß man sich darum bemüht, die verschiedenen Ebenen des menschlichen Wissens im
Hinblick auf die Förderung einer wahren Entwicklung der Völker interagieren zu lassen. Oft wird
die Meinung vertreten, die Entwicklung bzw. die entsprechenden sozioökonomischen Maßnahmen
verlangten nur ihre Realisierung als Frucht eines gemeinsamen Handelns. Dieses gemeinsame
Handeln muß aber orientiert werden, denn »alles soziale Handeln setzt eine Lehre voraus«.[74]
Angesichts der Komplexität der Probleme ist es klar, daß die verschiedenen Disziplinen mittels

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3.1 Page 21

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einer geordneten Interdisziplinarität zusammenarbeiten müssen. Die Liebe schließt das Wissen
nicht aus, ja, sie verlangt, fördert und belebt es von innen her. Das Wissen ist niemals allein das
Werk der Intelligenz. Es kann zwar auf ein Kalkül oder Experiment reduziert werden, wenn es aber
Weisheit sein will, die imstande ist, den Menschen im Licht der Grundprinzipien und seiner letzten
Ziele zu orientieren, dann muß sie mit dem »Salz« der Liebe »gewürzt« sein. Das Tun ist blind
ohne das Wissen, und das Wissen ist steril ohne die Liebe. Denn »der wahre Liebende [ist]
erfinderisch im Entdecken von Ursachen des Elends, im Finden der Mittel, es zu überwinden und
zu beseitigen«.[75] Gegenüber den vor uns liegenden Phänomenen verlangt die Liebe in der
Wahrheit vor allem ein Erkennen und ein Verstehen im Bewußtsein und in der Achtung der
spezifischen Kompetenz jeder Ebene des Wissens. Die Liebe ist keine nachträgliche Hinzufügung,
gleichsam ein Anhängsel an die von den verschiedenen Disziplinen bereits getane Arbeit, sondern
sie steht mit diesen von Anfang an im Dialog. Die Ansprüche der Liebe stehen zu denen der
Vernunft nicht im Widerspruch. Das menschliche Wissen ist ungenügend, und die
Schlußfolgerungen der Wissenschaften können allein den Weg zur ganzheitlichen Entwicklung
des Menschen nicht weisen. Es ist immer nötig, darüber hinaus weiter vorzustoßen – das verlangt
die Liebe in der Wahrheit.[76] Darüber hinaus zu gehen bedeutet jedoch niemals, von den
Schlüssen der Vernunft abzusehen, noch ihren Ergebnissen zu widersprechen. Intelligenz und
Liebe stehen nicht einfach nebeneinander: Es gibt die an Intelligenz reiche Liebe und die von
Liebe erfüllte Intelligenz.
31. Das bedeutet, daß die moralischen Bewertungen und die wissenschaftliche Forschung
gemeinsam wachsen müssen und daß die Liebe sie in einer harmonischen interdisziplinären
Ganzheit, die aus Einheit und Unterschiedenheit besteht, beseelen muß. Die Soziallehre der
Kirche, die »eine wichtige interdisziplinäre Dimension«[77] hat, kann aus dieser Perspektive eine
Funktion von außerordentlicher Wirksamkeit erfüllen. Sie gestattet dem Glauben, der Theologie,
der Metaphysik und den Wissenschaften, ihren Platz innerhalb einer Zusammenarbeit im Dienst
des Menschen zu finden. Vor allem hier realisiert die Soziallehre der Kirche ihre auf der Weisheit
beruhende Dimension. Papst Paul VI. hatte deutlich gesehen, wie die Unterentwicklung unter
anderem auch dadurch verursacht wird, daß es an Weisheit, an Reflexion, an einem Denken fehlt,
das imstande ist, eine richtungweisende Synthese aufzustellen;[78] für sie bedarf es »einer klaren
Konzeption auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und geistigem Gebiet«.[79] Die
übertriebene Aufteilung des Wissens in Fachbereiche,[80] das Sich-Verschließen der
Humanwissenschaften gegenüber der Metaphysik,[81] die Schwierigkeiten im Dialog der
Wissenschaften mit der Theologie schaden nicht nur der Entwicklung des Wissens, sondern auch
der Entwicklung der Völker, denn in diesen Fällen wird der Blick auf das ganze Wohl des
Menschen in den verschiedenen Dimensionen, die es charakterisieren, verstellt. Die »Ausweitung
unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs«[82] ist unerläßlich, um alle Elemente der Frage nach
der Entwicklung und der Lösung der sozioökonomischen Probleme angemessen abwägen zu
können.
32. Die großen Neuheiten, die das Gesamtbild der Entwicklung der Völker heute aufweist, machen

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22
in vielen Fällen neue Lösungen erforderlich. Sie müssen unter Beachtung der Eigengesetze jeder
Realität und zugleich im Licht einer ganzheitlichen Sicht des Menschen gesucht werden – einer
Sicht, welche die verschiedenen Aspekte des Menschen widerspiegelt, wie sie sich dem von der
Liebe geläuterten Blick darstellen. Dann wird man einzigartige Übereinstimmungen und konkrete
Lösungsmöglichkeiten entdecken, ohne auf irgendeinen fundamentalen Bestandteil des
menschlichen Lebens zu verzichten.
Die Würde der Person und die Erfordernisse der Gerechtigkeit verlangen, daß – vor allem heute –
die wirtschaftlichen Entscheidungen die Unterschiede im Besitztum nicht in übertriebener und
moralisch unhaltbarer Weise vergrößern[83] und daß als Priorität weiterhin das Ziel verfolgt wird,
allen Zugang zur Arbeit zu verschaffen und für den Erhalt ihrer Arbeitsmöglichkeit zu sorgen.
Recht besehen erfordert das auch die »wirtschaftliche Vernunft«. Die systembedingte Zunahme
der Ungleichheit unter Gesellschaftsgruppen innerhalb eines Landes und unter den
Bevölkerungen verschiedener Länder bzw. das massive Anwachsen der relativen Armut neigt
nicht nur dazu, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu untergraben, und bringt auf diese Weise
die Demokratie in Gefahr. Auch auf wirtschaftlicher Ebene wirkt sie sich negativ aus: durch
fortschreitende Abtragung des »Gesellschaftskapitals« bzw. durch Untergrabung jener Gesamtheit
von Beziehungen, die auf Vertrauen, Zuverlässigkeit und Einhaltung der Regeln gründen und die
unverzichtbar sind für jedes bürgerliche Zusammenleben.
Zudem sagt uns die Wirtschaftswissenschaft, daß eine strukturelle Situation der Unsicherheit
Verhaltensweisen erzeugt, welche die Produktion hemmen und menschliche Ressourcen
verschwenden, insofern der Arbeitnehmer dazu neigt, sich passiv den automatischen
Mechanismen zu fügen, anstatt Kreativität zu entwickeln. Auch in diesem Punkt gibt es eine
Übereinstimmung zwischen Wirtschaftswissenschaft und moralischer Bewertung. Der
menschliche Preis ist immer auch ein wirtschaftlicher Preis, und die wirtschaftlichen Mißstände
fordern immer auch einen menschlichen Preis.
Ferner muß daran erinnert werden, daß die Reduzierung der Kulturen auf die technologische
Dimension, selbst wenn sie kurzfristig die Erlangung eines Gewinns fördern mag, auf lange Sicht
die gegenseitige Bereicherung und die Dynamiken der Zusammenarbeit behindert. Es ist wichtig,
zwischen kurzfristigen und langfristigen wirtschaftlichen oder soziologischen Überlegungen zu
unterscheiden. Die Senkung des Rechtsschutzniveaus für die Arbeiter oder der Verzicht auf
Mechanismen der Umverteilung des Gewinns, damit das Land eine größere internationale
Wettbewerbsfähigkeit erlangt, verhindern, daß sich eine langfristige Entwicklung durchsetzen
kann. So sollten die Konsequenzen, welche die aktuellen Tendenzen zu einer kurzfristig, bisweilen
extrem kurzfristig angelegten Wirtschaft für die Menschen haben, aufmerksam abgewogen
werden. Das verlangt »eine neue und vertiefte Reflexion über den Sinn der Wirtschaft und ihrer
Ziele«[84] sowie eine tiefgreifende und weitblickende Revision des Entwicklungsmodells, um seine
Mißstände und Verzerrungen zu korrigieren. Tatsächlich ist dies ein Erfordernis der ökologischen
Gesundheit des Planeten; und vor allem ist es eine Notwendigkeit, die sich aus der kulturellen und

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23
moralischen Krise des Menschen ergibt, deren Symptome seit langem in allen Teilen der Welt
sichtbar sind.
33. Über vierzig Jahre nach der Enzyklika Populorum progressio ist ihr Grundthema, eben der
Fortschritt, nach wie vor ein noch offenes Problem, das sich durch die augenblickliche Wirtschafts-
und Finanzkrise verschärft hat und noch dringender geworden ist. Wenn einige Regionen der
Erde, die einst durch die Armut belastet waren, bemerkenswerte Änderungen im Sinn eines
wirtschaftlichen Wachstums und einer Beteiligung an der Weltproduktion erfahren haben, so leben
andere Zonen noch in einer Situation des Elends, die jener zur Zeit Papst Pauls VI. vergleichbar
ist, ja, in einigen Fällen kann man sogar von einer Verschlechterung sprechen. Es ist
bezeichnend, daß einige Ursachen dieser Situation bereits in Populorum progressio ausgemacht
worden waren, wie zum Beispiel die von den wirtschaftlich entwickelten Ländern festgesetzten
hohen Grenzzölle, welche die Produkte aus den armen Ländern immer noch daran hindern, auf
die Märkte der reichen Länder zu gelangen. Andere Ursachen hingegen, welche die Enzyklika nur
angedeutet hatte, sind in der Folge deutlicher hervorgetreten. Das trifft auf die Bewertung des
Entkolonisierungsprozesses zu, der damals in vollem Gange war. Papst Paul VI. wünschte sich
einen autonomen Verlauf, der sich in Freiheit und Frieden vollziehen sollte. Nach über vierzig
Jahren müssen wir eingestehen, wie schwierig dieser Verlauf gewesen ist, sei es aufgrund neuer
Formen von Kolonialismus und Abhängigkeit von alten und neuen Hegemonialländern, sei es
durch schwerwiegende Verantwortungslosigkeiten innerhalb der Länder selbst, die sich
unabhängig gemacht haben.
Die hauptsächliche Neuheit war die Explosion der weltweiten wechselseitigen Abhängigkeit, die
inzwischen unter der Bezeichnung »Globalisierung« allgemein bekannt ist. Papst Paul VI. hatte
sie teilweise vorausgesehen, doch das Ausmaß und die Heftigkeit, mit der sie sich entwickelt hat,
sind erstaunlich. In den wirtschaftlich entwickelten Ländern entstanden, hat dieser Prozeß seiner
Natur entsprechend eine Einbeziehung sämtlicher Ökonomien verursacht. Er war der
Hauptantrieb für das Heraustreten ganzer Regionen aus der Unterentwicklung und stellt an sich
eine große Chance dar. Ohne die Führung der Liebe in der Wahrheit kann dieser weltweite Impuls
allerdings dazu beitragen, die Gefahr bisher ungekannter Schäden und neuer Spaltungen in der
Menschheitsfamilie heraufzubeschwören. Darum stellen uns die Liebe und die Wahrheit vor einen
ganz neuen und kreativen Einsatz, der freilich sehr umfangreich und komplex ist. Es geht darum,
die Vernunft auszuweiten und sie fähig zu machen, diese eindrucksvollen neuen Dynamiken zu
erkennen und auszurichten, indem man sie im Sinn jener »Kultur der Liebe« beseelt, deren
Samen Gott in jedes Volk und in jede Kultur gelegt hat.
DRITTES KAPITEL
BRÜDERLICHKEIT, WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG UND ZIVILGESELLSCHAFT

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24
34. Die Liebe in der Wahrheit stellt den Menschen vor die staunenswerte Erfahrung des
Geschenks. Die Unentgeltlichkeit ist in seinem Leben in vielerlei Formen gegenwärtig, die
aufgrund einer nur produktivistischen und utilitaristischen Sicht des Daseins jedoch oft nicht
erkannt werden. Der Mensch ist für das Geschenk geschaffen, das seine transzendente
Dimension ausdrückt und umsetzt. Manchmal ist der moderne Mensch fälschlicherweise der
Überzeugung, der einzige Urheber seiner selbst, seines Lebens und der Gesellschaft zu sein.
Diese Überheblichkeit ist eine Folge des egoistischen Sich-in-sich-selbst-Verschließens und rührt
– in Begriffen des Glaubens gesprochen – von der Ursünde her. Die Weisheit der Kirche hat stets
vorgeschlagen, die Erbsünde auch bei der Interpretation der sozialen Gegebenheiten und beim
Aufbau der Gesellschaft zu beachten: »Zu übersehen, daß der Mensch eine verwundete, zum
Bösen geneigte Natur hat, führt zu schlimmen Irrtümern im Bereich der Erziehung, der Politik, des
gesellschaftlichen Handelns und der Sittlichkeit«.[85] Zur Aufzählung der Bereiche, in denen sich
die schädlichen Auswirkungen der Sünde zeigen, gehört nun schon seit langer Zeit auch jener der
Wirtschaft. Auch unsere Zeit liefert uns dafür einen offensichtlichen Beleg. Die Überzeugung, sich
selbst zu genügen und in der Lage zu sein, das in der Geschichte gegenwärtige Übel allein durch
das eigene Handeln überwinden zu können, hat den Menschen dazu verleitet, das Glück und das
Heil in immanenten Formen des materiellen Wohlstands und des sozialen Engagements zu
sehen. Weiter hat die Überzeugung, daß die Wirtschaft Autonomie erfordert und keine moralische
„Beeinflussung“ zulassen darf, den Menschen dazu gedrängt, das Werkzeug der Wirtschaft sogar
auf zerstörerische Weise zu mißbrauchen. Langfristig haben diese Überzeugungen zu
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systemen geführt, die die Freiheit der Person
und der gesellschaftlichen Gruppen unterdrückt haben und genau aus diesem Grund nicht in der
Lage waren, für die Gerechtigkeit zu sorgen, die sie versprochen hatten. Wie ich schon in meiner
Enzyklika Spe salvi geschrieben habe, entfernt man auf diese Weise die christliche Hoffnung aus
der Geschichte,[86] die jedoch ein kraftvolles Potential im Dienste der umfassenden Entwicklung
des Menschen darstellt, die in der Freiheit und in der Gerechtigkeit gesucht wird. Die Hoffnung
ermutigt die Vernunft und gibt ihr die Kraft, den Willen zu lenken.[87] Sie ist bereits im Glauben
gegenwärtig, von dem sie geradezu geweckt wird. Die Liebe in der Wahrheit nährt sich aus ihr und
macht sie zugleich sichtbar. Da die Hoffnung ein völlig unentgeltliches Geschenk Gottes ist, tritt
sie als etwas Ungeschuldetes in unser Leben herein, das über jedes Gesetz der Gerechtigkeit
hinausgeht. Das Geschenk übertrifft seinem Wesen nach den Verdienst, sein Gesetz ist das
Übermaß. Es kommt uns in unserer Seele zuvor als Zeichen der Gegenwart Gottes in uns und
seiner Erwartung an uns. Die Wahrheit, die wie die Liebe ein Geschenk ist, ist, so lehrt der heilige
Augustinus, größer als wir.[88] Auch die Wahrheit über uns selbst, über unsere eigene Erkenntnis,
ist uns zu aller erst „geschenkt“. Denn in jedem Erkenntnisvorgang wird die Wahrheit nicht von
uns erzeugt, sondern immer gefunden, oder besser, empfangen. Die Wahrheit kommt wie die
Liebe »nicht aus Denken und Wollen, sondern übermächtigt gleichsam den Menschen«.[89]
Da die Liebe in der Wahrheit eine Gabe ist, die alle empfangen, stellt sie eine Kraft dar, die
Gemeinschaft stiftet, die die Menschen auf eine Weise vereint, die keine Barrieren und Grenzen
kennt. Die Gemeinschaft der Menschen kann von uns selbst gestiftet werden, aber sie wird allein

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25
aus eigener Kraft nie eine vollkommen brüderliche Gemeinschaft sein und jede Abgrenzung
überwinden, das heißt, eine wirklich universale Gemeinschaft werden: Die Einheit des
Menschengeschlechts, eine brüderliche Gemeinschaft jenseits jedweder Teilung, wird aus dem
zusammenrufenden Wort Gottes, der die Liebe ist, geboren. Bei der Behandlung dieser
entscheidenden Frage müssen wir einerseits präzisieren, daß die Logik des Geschenks die
Gerechtigkeit nicht ausschließt oder ihr in einem zweiten Moment und von außen hinzugefügt
wird, und andererseits, daß eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklung, die
wahrhaft menschlich sein will, dem Prinzip der Unentgeltlichkeit als Ausdruck der Brüderlichkeit
Raum geben muß.
35. Der Markt ist, wenn gegenseitiges und allgemeines Vertrauen herrscht, die wirtschaftliche
Institution, die die Begegnung zwischen den Menschen ermöglicht, welche als
Wirtschaftstreibende ihre Beziehungen durch einen Vertrag regeln und die gegeneinander
aufrechenbaren Güter und Dienstleistungen austauschen, um ihre Bedürfnisse und Wünsche zu
befriedigen. Der Markt unterliegt den Prinzipien der sogenannten ausgleichenden Gerechtigkeit,
die die Beziehungen des Gebens und Empfangens zwischen gleichwertigen Subjekten regelt.
Aber die Soziallehre der Kirche hat stets die Wichtigkeit der distributiven Gerechtigkeit und der
sozialen Gerechtigkeit für die Marktwirtschaft selbst betont, nicht nur weil diese in das Netz eines
größeren sozialen und politischen Umfelds eingebunden ist, sondern auch aufgrund des
Beziehungsgeflechts, in dem sie abläuft. Denn wenn der Markt nur dem Prinzip der
Gleichwertigkeit der getauschten Güter überlassen wird, ist er nicht in der Lage, für den sozialen
Zusammenhalt zu sorgen, den er jedoch braucht, um gut zu funktionieren. Ohne solidarische und
von gegenseitigem Vertrauen geprägte Handlungsweisen in seinem Inneren kann der Markt die
ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen erfüllen. Heute ist dieses Vertrauen
verlorengegangen, und der Vertrauensverlust ist ein schwerer Verlust.
Papst Paul VI. hat in der Enzyklika Populorum progressio richtigerweise die Tatsache
unterstrichen, daß allgemein verbreitete gerechte Handlungsweisen für das Wirtschaftssystem
selbst einen Vorteil darstellen, da die reichen Länder die ersten Nutznießer des wirtschaftlichen
Aufschwungs der armen Länder sind.[90] Dabei handelte es sich nicht nur darum, Fehlfunktionen
durch Hilfsleistungen zu korrigieren. Die Armen dürfen nicht als eine »Last«[91] angesehen
werden, sondern als eine Ressource, auch unter streng wirtschaftlichem Gesichtspunkt. Es muß
jedoch die Sichtweise jener als unrichtig verworfen werden, nach denen die Marktwirtschaft
strukturell auf eine Quote von Armut und Unterentwicklung angewiesen sei, um bestmöglich
funktionieren zu können. Es ist im Interesse des Marktes, Emanzipierung zu fördern, aber um dies
zu erreichen, darf er sich nicht nur auf sich selbst verlassen, denn er ist nicht in der Lage, von sich
aus das zu erreichen, was seine Möglichkeiten übersteigt. Er muß vielmehr auf die moralischen
Kräfte anderer Subjekte zurückgreifen, die diese hervorbringen können.
36. Das Wirtschaftsleben kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme durch die schlichte
Ausbreitung des Geschäftsdenkens überwinden. Es soll auf das Erlangen des Gemeinwohls

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ausgerichtet werden, für das auch und vor allem die politische Gemeinschaft sorgen muß. Es darf
daher nicht vergessen werden, daß die Trennung zwischen der Wirtschaftstätigkeit, der die
Aufgabe der Schaffung des Reichtums zukäme, und der Politik, die sich mittels Umverteilung um
die Gerechtigkeit zu kümmern habe, schwere Störungen verursacht.
Die Kirche vertritt seit jeher, daß die Wirtschaftstätigkeit nicht als antisozial angesehen werden
darf. Der Markt ist an sich nicht ein Ort der Unterdrückung des Armen durch den Reichen und darf
daher auch nicht dazu werden. Die Gesellschaft muß sich nicht vor dem Markt schützen, als ob
seine Entwicklung ipso facto zur Zerstörung wahrhaft menschlicher Beziehungen führen würde. Es
ist sicher richtig, daß der Markt eine negative Ausrichtung haben kann, nicht weil dies seinem
Wesen entspräche, sondern weil eine gewisse Ideologie ihm diese Ausrichtung geben kann. Es
darf nicht vergessen werden, daß es den Markt nicht in einer Reinform gibt. Er erhält seine Gestalt
durch die kulturellen Gegebenheiten, die ihm eine konkrete Prägung und Orientierung geben. Die
Wirtschaft und das Finanzwesen können, insofern sie Mittel sind, tatsächlich schlecht gebraucht
werden, wenn der Verantwortliche sich nur von egoistischen Interessen leiten läßt. So können an
sich gute Mittel in schadenbringende Mittel verwandelt werden. Doch diese Konsequenzen bringt
die verblendete Vernunft der Menschen hervor, nicht die Mittel selbst. Daher muß sich der Appell
nicht an das Mittel, sondern an den Menschen richten, an sein moralisches Gewissen und an
seine persönliche und soziale Verantwortung.
Die Soziallehre der Kirche ist der Ansicht, daß wahrhaft menschliche Beziehungen in
Freundschaft und Gemeinschaft, Solidarität und Gegenseitigkeit auch innerhalb der
Wirtschaftstätigkeit und nicht nur außerhalb oder »nach« dieser gelebt werden können. Der
Bereich der Wirtschaft ist weder moralisch neutral noch von seinem Wesen her unmenschlich und
antisozial. Er gehört zum Tun des Menschen und muß, gerade weil er menschlich ist, nach
moralischen Gesichtspunkten strukturiert und institutionalisiert werden.
Vor uns liegt eine große Herausforderung, die von den Problemen der Entwicklung in dieser Zeit
der Globalisierung hervorgebracht und durch die Wirtschafts- und Finanzkrise noch weiter
erschwert wurde: Wir müssen in unserem Denken und Handeln nicht nur zeigen, daß die
traditionellen sozialethischen Prinzipien wie die Transparenz, die Ehrlichkeit und die
Verantwortung nicht vernachlässigt oder geschwächt werden dürfen, sondern auch, daß in den
geschäftlichen Beziehungen das Prinzip der Unentgeltlichkeit und die Logik des Geschenks als
Ausdruck der Brüderlichkeit im normalen wirtschaftlichen Leben Platz haben können und müssen.
Das ist ein Erfordernis des Menschen in unserer jetzigen Zeit, aber auch ein Erfordernis des
wirtschaftlichen Denkens selbst. Es ist zugleich ein Erfordernis der Liebe und der Wahrheit.
37. Die Soziallehre der Kirche hat immer bekräftigt, daß die Gerechtigkeit alle Phasen der
Wirtschaftstätigkeit betrifft, da diese stets mit dem Menschen und mit seinen Bedürfnissen zu tun
hat. Die Beschaffung von Ressourcen, die Finanzierung, die Produktion, der Konsum und alle
übrigen Phasen haben unvermeidbar moralische Folgen. So hat jede wirtschaftliche Entscheidung

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27
eine moralische Konsequenz. All das bestätigt sich auch in den Sozialwissenschaften und in den
Tendenzen der heutigen Wirtschaft. Vielleicht war es früher denkbar, der Wirtschaft die Schaffung
des Reichtums anzuvertrauen, um dann der Politik die Aufgabe zu übertragen, diesen zu
verteilen. Heute erscheint das schwieriger, da die wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht an territoriale
Grenzen gebunden sind, während die Autorität der Regierungen weiter vorwiegend örtlich
beschränkt ist. Darum müssen die Regeln der Gerechtigkeit von Anfang an beachtet werden,
während der wirtschaftliche Prozeß in Gang ist, und nicht mehr danach oder parallel dazu.
Darüber hinaus ist es nötig, daß Räume für wirtschaftliche Tätigkeiten geschaffen werden, die von
Trägern durchgeführt werden, die ihr Handeln aus freiem Entschluß nach Prinzipien ausrichten,
die sich vom reinen Profitstreben unterscheiden, die aber dennoch weiter wirtschaftliche Werte
hervorbringen wollen. Die vielen Ausdrucksformen der Wirtschaft, die aus konfessionellen und
nicht konfessionellen Initiativen hervorgegangen sind, zeigen, daß das eine konkrete Möglichkeit
ist.
In der Zeit der Globalisierung leidet die Wirtschaft an konkurrierenden Modellen, die von sehr
unterschiedlichen Kulturen abhängig sind. Die daraus hervorgehenden wirtschaftlich-
unternehmerischen Verhaltensweisen finden vorwiegend in der Beachtung der ausgleichenden
Gerechtigkeit einen Berührungspunkt. Das Wirtschaftsleben braucht ohne Zweifel Verträge, um
den Tausch von einander entsprechenden Werten zu regeln. Ebenso sind jedoch gerechte
Gesetze, von der Politik geleitete Mechanismen zur Umverteilung und darüber hinaus Werke, die
vom Geist des Schenkens geprägt sind, nötig. Die globalisierte Wirtschaft scheint die erste Logik,
jene des vertraglich vereinbarten Gütertausches, zu bevorzugen, aber direkt und indirekt zeigt sie,
daß sie auch die anderen beiden Formen braucht, die Logik der Politik und die Logik des
Geschenks ohne Gegenleistung.
38. Mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. hat auf diese Problematik hingewiesen, als er in der
Enzyklika Centesimus annus die Notwendigkeit eines Systems mit drei Subjekten aufzeigte: dem
Markt, dem Staat und der Zivilgesellschaft.[92] In der Zivilgesellschaft sah er den geeignetsten
Bereich für eine Wirtschaft der Unentgeltlichkeit und der Brüderlichkeit, aber er wollte diese nicht
für die anderen beiden Bereiche ausschließen. Heute können wir sagen, daß das Wirtschaftsleben
als eine mehrdimensionale Realität verstanden werden muß: In allen muß in unterschiedlichem
Umfang und in eigenen Formen der Aspekt der brüderlichen Gegenseitigkeit vorhanden sein. In
der Zeit der Globalisierung kann die Wirtschaftstätigkeit nicht auf die Unentgeltlichkeit verzichten,
die die Solidarität und das Verantwortungsbewußtsein für die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl
in seinen verschiedenen Subjekten und Akteuren verbreitet und nährt. Es handelt sich dabei
schließlich um eine konkrete und tiefgründige Form wirtschaftlicher Demokratie. Solidarität
bedeutet vor allem, daß sich alle für alle verantwortlich fühlen,[93] und daher kann sie nicht allein
dem Staat übertragen werden. Während man früher der Ansicht sein konnte, daß man zuerst für
Gerechtigkeit sorgen müsse und daß die Unentgeltlichkeit danach als ein Zusatz hinzukäme, muß
man heute festhalten, daß ohne die Unentgeltlichkeit auch die Gerechtigkeit nicht erreicht werden
kann. Es bedarf daher eines Marktes, auf dem Unternehmen mit unterschiedlichen Betriebszielen

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28
frei und unter gleichen Bedingungen tätig sein können. Neben den gewinnorientierten
Privatunternehmen und den verschiedenen Arten von staatlichen Unternehmen sollen auch die
nach wechselseitigen und sozialen Zielen strebenden Produktionsverbände einen Platz finden und
tätig sein können. Aus ihrem Zusammentreffen auf dem Markt kann man sich erhoffen, daß es zu
einer Art Kreuzung und Vermischung der unternehmerischen Verhaltensweisen kommt und daß in
der Folge spürbar auf eine Zivilisierung der Wirtschaft geachtet wird. Liebe in der Wahrheit
bedeutet in diesem Fall, daß jenen wirtschaftlichen Initiativen Gestalt und Struktur verliehen wird,
die den Gewinn zwar nicht ausschließen, aber über die Logik des Äquivalenzprinzips und des
Gewinns als Selbstzweck hinausgehen wollen.
39. Papst Paul VI. sprach sich in der Enzyklika Populorum progressio für die Schaffung eines
Marktwirtschaftsmodells aus, das wenigstens tendenziell alle Völker einschließen kann und nicht
nur jene, die über entsprechende Möglichkeiten und Fähigkeiten verfügen. Er verlangte, sich dafür
einzusetzen, daß eine für alle menschlichere Welt entstehe, eine Welt, »wo alle geben und
empfangen können, ohne daß der Fortschritt der einen ein Hindernis für die Entwicklung der
anderen ist«.[94] Damit dehnte er die Forderungen und Ziele der Enzyklika Rerum novarum auf
eine universale Ebene aus. Als jene Enzyklika als Antwort auf die industrielle Revolution erschien,
setzte sich zum ersten Mal der damals sicher fortschrittliche Gedanke durch, daß der Fortbestand
der gesellschaftlichen Ordnung auch eines umverteilenden Eingreifens des Staates bedarf. Heute
erweist sich diese Sicht auch abgesehen davon, daß sie durch die Öffnung der Märkte und der
gesellschaftlichen Gruppen in Krise geraten ist, als unvollständig und kann die Ansprüche an eine
voll und ganz menschliche Wirtschaft nicht erfüllen. Was die Soziallehre der Kirche ausgehend
von ihrer Sicht des Menschen und der Gesellschaft immer vertreten hat, ist heute auch aufgrund
der Dynamiken erforderlich, die die Globalisierung mit sich bringt.
Wenn die Logik des Marktes und die Logik des Staates mit gegenseitigem Einverständnis auf dem
Monopol ihrer jeweiligen Einflußbereiche beharren, gehen langfristig die Solidarität in den
Beziehungen zwischen den Bürgern, die Anteilnahme und die Beteiligung sowie die unentgeltliche
Tätigkeit verloren. Diese unterscheiden sich vom „Geben, um zu haben“, das die Logik des
Tausches ausmacht, und vom „Geben aus Pflicht“, das für die öffentlichen Verhaltensweisen gilt,
die durch staatliche Gesetze auferlegt werden. Die Überwindung der Unterentwicklung erfordert
ein Eingreifen nicht nur zur Verbesserung der auf Gütertausch beruhenden Transaktionen, nicht
nur im Bereich der Leistungen der öffentlichen Hilfseinrichtungen, sondern vor allem eine
fortschreitende Offenheit auf weltweiter Ebene für wirtschaftliche Tätigkeiten, die sich durch einen
Anteil von Unentgeltlichkeit und Gemeinschaft auszeichnen. Die exklusive Kombination Markt-
Staat zersetzt den Gemeinschaftssinn. Die Formen solidarischen Wirtschaftslebens hingegen, die
ihren fruchtbarsten Boden im Bereich der Zivilgesellschaft finden, ohne sich auf diese zu
beschränken, schaffen Solidarität. Es gibt keinen Markt der Unentgeltlichkeit, und eine Haltung der
Unentgeltlichkeit kann nicht per Gesetz verordnet werden. Dennoch brauchen sowohl der Markt
als auch die Politik Menschen, die zur Hingabe aneinander bereit sind.

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29
40. Die derzeitigen internationalen wirtschaftlichen Dynamiken mit ihren schwerwiegenden
Verzerrungen und Mißständen erfordern, daß sich auch das Verständnis des Unternehmens
tiefgreifend verändern muß. Alte Formen der Unternehmertätigkeit gehen ihrem Ende entgegen,
doch am Horizont werden neue vielversprechende Formen sichtbar. Eine der größten Gefahren ist
sicher die, daß das Unternehmen fast ausschließlich gegenüber den Investoren verantwortlich ist
und so letztendlich an Bedeutung für die Gesellschaft einbüßt. Aufgrund der wachsenden Größe
und des zunehmenden Kapitalbedarfs hängen immer weniger Unternehmen von einem
gleichbleibenden Unternehmer ab, der sich langfristig – und nicht nur vorübergehend – für die
Tätigkeit und die Ergebnisse seines Unternehmens verantwortlich fühlt, und immer seltener
hängen Unternehmen nur von einer Region ab. Außerdem kann die sogenannte Auslagerung der
Produktionstätigkeit das Verantwortungsbewußtsein des Unternehmers gegenüber
Interessensträgern wie den Arbeitnehmern, den Zulieferern, den Konsumenten, der Umwelt und
dem größeren gesellschaftlichen Umfeld zugunsten der Aktionäre verringern, die nicht an einen
bestimmten Ort gebunden sind und daher außerordentlich beweglich sind. Der internationale
Kapitalmarkt bietet heute tatsächlich einen großen Handlungsspielraum. Zugleich wächst aber
auch das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer weiterreichenden „sozialen Verantwortung“ des
Unternehmens. Auch wenn nicht alle ethischen Konzepte, die heute die Debatte über die soziale
Verantwortung des Unternehmens bestimmen, aus der Sicht der Soziallehre der Kirche
annehmbar sind, so ist es doch eine Tatsache, daß sich eine Grundüberzeugung ausbreitet, nach
der die Führung des Unternehmens nicht allein auf die Interessen der Eigentümer achten darf,
sondern auch auf die von allen anderen Personenkategorien eingehen muß, die zum Leben des
Unternehmens beitragen: die Arbeitnehmer, die Kunden, die Zulieferer der verschiedenen
Produktionselemente, die entsprechende Gemeinde. In den vergangenen Jahren war eine
Zunahme einer kosmopolitischen Klasse von Managern zu beobachten, die sich oft nur nach den
Anweisungen der Hauptaktionäre richten, bei denen es sich normalerweise um anonyme Fonds
handelt, die de facto den Verdienst der Manager bestimmen. Auch heute gibt es jedoch viele
Manager, die sich dank weitblickender Analysen immer mehr der tiefgreifenden Verbindungen
bewußt werden, die ihr Unternehmen mit der Region oder den Regionen, in denen es arbeitet, hat.
Papst Paul VI. lud dazu ein, ernsthaft zu bedenken, welchen Schaden es dem eigenen Land
zufügen kann, wenn Kapital nur zum persönlichen Vorteil ins Ausland geschafft wird.[95] Papst
Johannes Paul II. merkte an, daß eine Investition neben der wirtschaftlichen immer auch eine
moralische Bedeutung hat.[96] Es muß betont werden, daß all das auch heute gilt, auch wenn der
Kapitalmarkt stark liberalisiert worden ist und die moderne technologische Denkweise dazu
verleiten kann, in einer Investition nur einen technischen Vorgang und nicht auch eine
menschliche und ethische Handlung zu sehen. Es gibt keinen Grund zu leugnen, daß ein
gewisses Kapital Gutes bewirken kann, wenn es im Ausland und nicht in der Heimat investiert
wird. Es müssen aber die aus Gerechtigkeit bestehenden Ansprüche gewährt sein, wobei auch zu
beachten ist, wie dieses Kapital entstanden ist und welchen Schaden die Menschen davontragen,
wenn es nicht an den Orten eingesetzt wird, wo es geschaffen wurde.[97] Man muß vermeiden,
daß die finanziellen Ressourcen zur Spekulation verwendet werden und man der Versuchung
nachgibt, nur einen kurzfristigen Gewinn zu suchen und nicht auch den langfristigen Bestand des

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30
Unternehmens, den Nutzen der Investition für die Realwirtschaft und die Sorge für die
angemessene und gelegene Förderung von wirtschaftlichen Initiativen in Entwicklungsländern.
Ebenso gibt es keinen Grund zu leugnen, daß eine Verlagerung ins Ausland, wenn sie mit
Investitionen und Ausbildung verbunden ist, für die Bevölkerung des betreffenden Landes Gutes
bewirken kann. Die Arbeit und das technische Wissen werden überall gebraucht. Es ist aber nicht
zulässig, eine Auslagerung nur vorzunehmen, um von bestimmten Begünstigungen zu profitieren
oder gar um andere auszubeuten, ohne einen echten Beitrag für die Gesellschaft vor Ort zur
Schaffung eines stabilen Produktions- und Sozialwesens zu leisten, das eine unverzichtbare
Bedingung für eine beständige Entwicklung darstellt.
41. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, darauf hinzuweisen, daß die unternehmerische
Tätigkeit eine mehrwertige Bedeutung hat und dieser immer mehr gerecht werden muß. Die seit
längerer Zeit vorherrschende Kombination Markt-Staat hat uns daran gewöhnt, nur an den
privaten Unternehmer nach kapitalistischer Art und andererseits an die Leiter staatlicher
Unternehmen zu denken. In Wirklichkeit ist ein differenziertes Verständnis der unternehmerischen
Tätigkeit erforderlich. Das resultiert aus einer Reihe von metaökonomischen Beweggründen. Die
unternehmerische Tätigkeit hat noch vor ihrer beruflichen eine menschliche Bedeutung.[98] Sie ist
Teil einer jeden Arbeit, wenn sie als »actus personae«[99] betrachtet wird; daher ist es gut, jedem
Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, seinen persönlichen Beitrag zu leisten, so daß er selbst
»das Bewußtsein hat, im eigenen Bereich zu arbeiten«.[100] Nicht zufällig lehrte Papst Paul VI.
daß »jeder, der arbeitet, schöpferisch tätig ist«.[101] Gerade um den Erfordernissen und der
Würde des arbeitenden Menschen sowie den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden,
gibt es verschiedene Arten von Unternehmen, weit hinaus über die alleinige Unterscheidung
zwischen »privat« und »staatlich«. Jede erfordert und verwirklicht eine besondere
unternehmerische Fähigkeit. Um eine Wirtschaft zu erreichen, die sich in der nahen Zukunft in den
Dienst des nationalen und weltweiten Gemeinwohls stellen kann, ist es angebracht, diese
weitreichende Bedeutung der unternehmerischen Tätigkeit zu beachten. Diese umfassendere
Sicht fördert den Austausch und die gegenseitige Prägung unter den verschiedenen Arten von
unternehmerischer Tätigkeit mit einem Kompetenzfluß vom nicht-gewinnorientierten Bereich zum
gewinnorientierten und umgekehrt, vom öffentlichen zu dem der Zivilgesellschaft, von den
fortgeschrittenen Wirtschaftsregionen zu jenen der Entwicklungsländer.
Auch die politische Autorität hat eine mehrwertige Bedeutung, die auf dem Weg zur
Verwirklichung einer neuen sozial verantwortlichen und nach dem Maß des Menschen
ausgerichteten wirtschaftlich-produktiven Ordnung nicht vergessen werden darf. So wie man auf
der ganzen Welt eine differenzierte unternehmerische Tätigkeit pflegen will, so muß auch eine
verteilte und auf verschiedenen Ebenen wirkende politische Autorität gefördert werden. Die
zusammengewachsene Wirtschaft unserer Zeit eliminiert die Rolle der Staaten nicht, sie
verpflichtet die Regierungen vielmehr zu einer engeren Zusammenarbeit untereinander. Gründe
der Weisheit und der Klugheit raten davon ab, vorschnell das Ende des Staates auszurufen.
Hinsichtlich der Lösung der derzeitigen Krise zeichnet sich ein Wachstum seiner Rolle ab, indem

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4.1 Page 31

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31
er viele seiner Kompetenzen wiedererlangt. Es gibt auch Länder, in denen der Aufbau oder der
Wiederaufbau des Staates weiterhin ein Schlüsselelement für ihre Entwicklung ist. Die
internationale Hilfe sollte gerade im Rahmen eines solidarischen Plans zur Lösung der
gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme die Festigung der Verfassungs-, Rechts- und
Verwaltungssysteme in den Ländern, die sich dieser Güter noch nicht vollkommen erfreuen, eher
fördern. Neben der wirtschaftlichen Hilfe bedarf es der Unterstützung, um die dem Rechtsstaat
eigenen Garantien, ein wirksames System der öffentlichen Ordnung und des Gefängniswesens
unter Einhaltung der Menschenrechte und wirklich demokratische Institutionen zu stärken. Der
Staat muß nicht überall dieselben Ausprägungen haben: Die Unterstützung zur Stärkung der
schwachen Verfassungssysteme kann auf hervorragende Weise von der Entwicklung anderer
politischer Akteure neben dem Staat begleitet werden, die kultureller, sozialer, regionaler oder
religiöser Art sind. Die Gliederung der politischen Autorität auf lokaler Ebene, auf der Ebene der
nationalen und internationalen Zivilgesellschaft und auf der Ebene der übernationalen und
weltweiten Gemeinschaft ist auch einer der Hauptwege, um die wirtschaftliche Globalisierung
lenken zu können. Sie ist auch die Vorgangsweise, um zu verhindern, daß diese de facto die
Fundamente der Demokratie untergräbt.
42. Manchmal sind gegenüber der Globalisierung fatalistische Einstellungen bemerkbar, als ob die
herrschenden Dynamiken von unpersönlichen anonymen Kräften und von vom menschlichen
Wollen unabhängigen Strukturen hervorgebracht würden.[102] Diesbezüglich ist es gut, in
Erinnerung zu rufen, daß die Globalisierung gewiß einen sozioökonomischen Prozeß darstellt,
dies aber nicht ihre einzige Dimension ist. Hinter dem deutlicher sichtbaren Prozeß steht eine
zunehmend untereinander verflochtene Menschheit; diese setzt sich aus Personen und Völkern
zusammen, denen dieser Prozeß zum Nutzen und zur Entwicklung gereichen soll,[103] weil
sowohl die Einzelnen als auch die Gesamtheit die jeweiligen Verantwortungen auf sich nehmen.
Die Überwindung der Grenzen ist nicht nur eine materielle Angelegenheit, sondern hinsichtlich
ihrer Gründe und Auswirkungen auch eine kulturelle Frage. Wenn die Globalisierung
deterministisch interpretiert wird, gehen die Kriterien für ihre Bewertung und ihre Ausrichtung
verloren. Sie ist eine menschliche Realität, hinter der verschiedene kulturelle Ausrichtungen
stehen können, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Die Wahrheit des
Globalisierungsprozesses und sein grundlegendes ethisches Kriterium sind in der Einheit der
Menschheitsfamilie und in ihrem Voranschreiten im Guten gegeben. Es ist daher ein unablässiger
Einsatz zur Förderung einer personalistischen und gemeinschaftlichen sowie für die
Transzendenz offenen kulturellen Ausrichtung des globalen Integrationsprozesses erforderlich.
Trotz einiger ihrer strukturell bedingten Dimensionen, die nicht zu leugnen sind, aber auch nicht
verabsolutiert werden dürfen, ist »die Globalisierung a priori weder gut noch schlecht. Sie wird das
sein, was die Menschen aus ihr machen«.[104] Wir dürfen nicht Opfer sein, sondern müssen
Gestalter werden, indem wir mit Vernunft vorgehen und uns von der Liebe und von der Wahrheit
leiten lassen. Blinder Widerstand wäre eine falsche Haltung, ein Vorurteil, das schließlich dazu
führen würde, einen Prozeß zu verkennen, der auch viele positive Seiten hat, und so Gefahr zu

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32
laufen, eine große Chance zu verpassen, an den vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten
teilzuhaben, die dieser bietet. Die angemessen geplanten und ausgeführten
Globalisierungsprozesse machen auf weltweiter Ebene eine noch nie dagewesene große
Neuverteilung des Reichtums möglich; wenn diese Prozesse jedoch schlecht geführt werden,
können sie hingegen zu einer Zunahme der Armut und der Ungleichheit führen sowie mit einer
Krise die ganze Welt anstecken. Es ist nötig, die auch schweren Mängel dieser Prozesse zu
beheben, die neue Spaltungen zwischen den Völkern und innerhalb der Völker verursachen, und
dafür zu sorgen, daß die Umverteilung des Reichtums nicht mittels einer Umverteilung der Armut
erfolgt oder diese sogar noch zunimmt, wie es ein schlechter Umgang mit der gegenwärtigen Lage
befürchten lassen könnte. Lange Zeit dachte man, daß die armen Völker in einem im voraus
festgelegten Entwicklungsstadium verbleiben und sich mit der Philanthropie der entwickelten
Völker begnügen müßten. Gegen diese Mentalität hat Papst Paul VI. in der Enzyklika Populorum
progressio Stellung bezogen. Heute sind die zur Verfügung stehenden materiellen Möglichkeiten,
um diesen Völkern aus der Armut herauszuhelfen, potentiell größer als früher, aber sie wurden
hauptsächlich von den entwickelten Völkern selbst in Beschlag genommen, die sich den Prozeß
der Liberalisierung des Finanz- und Arbeitskräfteverkehrs besser zunutze machen konnten. Die
weltweite Ausbreitung des Wohlstands darf daher nicht durch egoistische, protektionistische und
von Einzelinteressen geleitete Projekte gebremst werden. Die Einbeziehung der Schwellen- und
Entwicklungsländer ermöglicht heute einen besseren Umgang mit der Krise. Die zum
Globalisierungsprozeß gehörende Veränderung bringt große Schwierigkeiten und Gefahren mit
sich, die nur dann überwunden werden können, wenn man sich der anthropologischen und
ethischen Seele bewußt wird, die aus der Tiefe die Globalisierung selbst in Richtung einer
solidarischen Humanisierung führt. Leider ist diese Seele oft verschüttet und wird von
individualistisch und utilitaristisch geprägten ethisch-kulturellen Sichtweisen unterdrückt. Die
Globalisierung ist ein vielschichtiges und polyvalentes Phänomen, das in der Verschiedenheit und
in der Einheit all seiner Dimensionen – einschließlich der theologischen – erfaßt werden muß. Dies
wird es erlauben, die Globalisierung der Menschheit im Sinne von Beziehung, Gemeinschaft und
Teilhabe zu leben und auszurichten.
VIERTES KAPITEL
ENTWICKLUNG DER VÖLKER, RECHTE UND PFLICHTEN, UMWELT
43. »Die Solidarität aller, die etwas Wirkliches ist, bringt für uns nicht nur Vorteile mit sich, sondern
auch Pflichten«.[105] Viele Menschen neigen heute zu der Anmaßung, niemandem etwas
schuldig zu sein außer sich selbst. Sie meinen, nur Rechte zu besitzen, und haben oft große
Schwierigkeiten, eine Verantwortung für ihre eigene und die ganzheitliche Entwicklung des

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33
anderen reifen zu lassen. Es ist deshalb wichtig, eine neue Reflexion darüber anzuregen, daß die
Rechte Pflichten voraussetzen, ohne die sie zur Willkür werden.[106] Wir erleben heutzutage
einen bedrückenden Widerspruch. Während man einerseits mutmaßliche Rechte willkürlicher und
genießerischer Art unter dem Vorwand beansprucht, sie würden von den staatlichen Strukturen
anerkannt und gefördert, werden andererseits einem großen Teil der Menschheit elementare
Grundrechte aberkannt und verletzt.[107] Häufig festzustellen ist ein Zusammenhang zwischen
der Beanspruchung des Rechts auf Überfluß oder geradezu auf Rechtswidrigkeit und Laster in
den Wohlstandgesellschaften und dem Mangel an Nahrung, Trinkwasser, Schulbildung oder
medizinischer Grundversorgung in manchen unterentwickelten Weltregionen wie auch am Rande
von großen Metropolen. Der Zusammenhang beruht darauf, daß die Individualrechte, wenn sie
von einem sinngebenden Rahmen von Pflichten losgelöst sind, verrückt werden und eine
praktisch grenzenlose und alle Kriterien entbehrende Spirale von Ansprüchen auslösen. Die
Übertreibung der Rechte mündet in die Unterlassung der Pflichten. Die Pflichten grenzen die
Rechte ein, weil sie sie auf den anthropologischen und ethischen Rahmen verweisen, in dessen
Wahrheit sich auch diese letzteren einfügen und daher nicht zur Willkür werden. Die Pflichten
stärken demnach die Rechte und bieten deren Verteidigung und Förderung als eine Aufgabe im
Dienst des Guten an. Wenn hingegen die Rechte des Menschen ihr Fundament allein in den
Beschlüssen einer Bürgerversammlung finden, können sie jederzeit geändert werden, und daher
läßt die Pflicht, sie zu achten und einzuhalten, im allgemeinen Bewußtsein nach. Die Regierungen
und internationalen Organismen können da die Objektivität und »Unverfügbarkeit« der Rechte
außer Acht lassen. Wenn das geschieht, ist die echte Entwicklung der Völker gefährdet.[108]
Derartige Einstellungen kompromittieren das Ansehen der internationalen Organismen vor allem
in den Augen der am meisten entwicklungsbedürftigen Länder. Diese fordern nämlich, daß die
internationale Gemeinschaft es als eine Pflicht übernimmt, ihnen zu helfen, »Baumeister ihres
Schicksals«[109] zu sein, das heißt ihrerseits Pflichten zu übernehmen. Das Teilen der
wechselseitigen Pflichten mobilisiert viel stärker als die bloße Beanspruchung von Rechten.
44. Die Auffassung von den Rechten und Pflichten in der Entwicklung muß auch den Problemkreis
im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum berücksichtigen. Es handelt sich um einen
sehr wichtigen Aspekt der echten Entwicklung, weil er die unverzichtbaren Werte des Lebens und
der Familie betrifft.[110] In der Bevölkerungszunahme die Hauptursache der Unterentwicklung zu
sehen, ist – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – unkorrekt. Man braucht nur einerseits an den
bedeutenden Rückgang der Kindersterblichkeit und die Verlängerung des durchschnittlichen
Lebensalters in neuen wirtschaftlich entwickelten Ländern zu denken und andererseits an die
deutlichen Zeichen einer Krise in solchen Gesellschaften, die einen beunruhigenden
Geburtenrückgang verzeichnen. Die Kirche, der die wahre Entwicklung des Menschen am Herzen
liegt, empfiehlt ihm die umfassende Achtung menschlicher Werte, und dies gilt auch für den
Umgang mit der Sexualität: Man kann sie nicht auf eine lediglich hedonistische und spielerische
Handlung reduzieren, so wie man die Sexualerziehung nicht auf eine technische Anleitung
reduzieren kann, deren einzige Sorge es ist, die Betroffenen vor eventuellen Ansteckungen oder
vor dem »Risiko« der Fortpflanzung zu schützen. Das würde einer Verarmung und Mißachtung

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der tiefen Bedeutung der Sexualität gleichkommen, die jedoch sowohl von der einzelnen Person
wie von der Gemeinschaft anerkannt und verantwortungsvoll angenommen werden soll. Die
Verantwortung verbietet es nämlich ebenso, die Sexualität lediglich als Lustquelle zu betrachten,
wie sie in politische Maßnahmen einer erzwungenen Geburtenplanung einzubeziehen. In beiden
Fällen steht man vor materialistischen Auffassungen und deren politischen Umsetzungen, in
denen die Menschen schließlich verschiedene Formen von Gewalt erleiden. All dem muß man in
diesem Bereich die vorrangige Zuständigkeit der Familien[111] gegenüber dem Staat und seinen
restriktiven politischen Maßnahmen sowie eine entsprechende Erziehung der Eltern
entgegensetzen.
Die moralisch verantwortungsvolle Offenheit für das Leben ist ein sozialer und wirtschaftlicher
Reichtum. Große Nationen haben auch dank der großen Zahl und der Fähigkeiten ihrer
Einwohner aus dem Elend herausfinden können. Umgekehrt erleben einst blühende Nationen jetzt
wegen des Geburtenrückgangs eine Phase der Unsicherheit und in manchen Fällen sogar ihres
Niedergangs – ein entscheidendes Problem gerade für die Wohlstandsgesellschaften. Der
Geburtenrückgang, der die Bevölkerungszahl manchmal unter den kritischen demographischen
Wert sinken läßt, stürzt auch die Sozialhilfesysteme in die Krise, führt zur Erhöhung der Kosten,
schränkt die Rückstellung von Ersparnissen und in der Folge die für die Investitionen nötigen
finanziellen Ressourcen ein, reduziert die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und verringert
das Reservoir der »Köpfe«, aus dem man für die Bedürfnisse der Nation schöpfen muß.
Außerdem laufen die kleinen, manchmal sehr kleinen Familien Gefahr, die sozialen Beziehungen
zu vernachlässigen und keine wirksamen Solidaritätsformen zu gewährleisten. Diese Situationen
weisen die Symptome eines geringen Vertrauens in die Zukunft sowie einer moralischen
Müdigkeit auf. Daher wird es zu einer sozialen und sogar ökonomischen Notwendigkeit, den
jungen Generationen wieder die Schönheit der Familie und der Ehe vor Augen zu stellen sowie
die Übereinstimmung dieser Einrichtungen mit den tiefsten Bedürfnissen des Herzens und der
Würde des Menschen. In dieser Hinsicht sind die Staaten dazu aufgerufen, politische Maßnahmen
zu treffen, die die zentrale Stellung und die Unversehrtheit der auf die Ehe zwischen einem Mann
und einer Frau gegründeten Familie, der Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft,[112] dadurch
fördern, indem sie sich auch um deren wirtschaftliche und finanzielle Probleme in Achtung vor
ihrem auf Beziehung beruhenden Wesen kümmern.
45. Antworten auf die tiefsten moralischen Ansprüche des Menschen haben auch wichtige und
wohltuende Auswirkungen auf wirtschaftlicher Ebene. Die Wirtschaft braucht nämlich für ihr
korrektes Funktionieren die Ethik; nicht irgendeine Ethik, sondern eine menschenfreundliche Ethik.
Heute spricht man viel von Ethik im Bereich der Wirtschaft, der Finanzen und der Betriebe. Es
entstehen Studienzentren und Ausbildungsgänge für business ethics; in der Welt der
hochentwickelten Länder verbreitet sich im Gefolge der rund um die soziale Verantwortung des
Betriebs entstandenen Bewegung das System der ethischen Zertifikate. Die Banken bieten
sogenannte »ethische« Konten und Investitionsfonds an. Es entwickelt sich ein »ethisches
Finanzwesen«, vor allem durch den Kleinkredit und allgemeiner die Mikrofinanzierung. Diese

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Entwicklungen rufen Anerkennung hervor und verdienen eine breite Unterstützung. Ihre positiven
Auswirkungen sind auch in weniger entwickelten Zonen der Erde wahrzunehmen. Es ist jedoch
gut, auch ein gültiges Unterscheidungskriterium zu erarbeiten, da man eine gewisse Abnützung
des Adjektivs »ethisch« feststellt, das, wenn es allgemein gebraucht wird, auch sehr verschiedene
Inhalte bezeichnet. Das kann so weit gehen, daß unter seinem Deckmantel Entscheidungen und
Beschlüsse durchgehen, die der Gerechtigkeit und dem wahren Wohl des Menschen
widersprechen.
Viel hängt nämlich vom moralischen Bezugssystem ab. Zu diesem Thema hat die Soziallehre der
Kirche einen besonderen Beitrag zu leisten, der sich auf die Erschaffung des Menschen »als
Abbild Gottes« (Gen 1, 27) gründet, eine Tatsache, von der sich die unverletzliche Würde der
menschlichen Person ebenso herleitet wie der transzendente Wert der natürlichen moralischen
Normen. Eine Wirtschaftsethik, die von diesen beiden Säulen absähe, würde unvermeidlich
Gefahr laufen, ihre moralische Qualität zu verlieren und sich instrumentalisieren zu lassen;
genauer gesagt, sie würde riskieren, zu einer Funktion für die bestehenden Wirtschafts- und
Finanzsysteme zu werden, statt zum Korrektiv ihrer Mißstände. Unter anderem würde sie
schließlich auch die Finanzierung von ethisch nicht vertretbaren Projekten rechtfertigen. Ferner
soll das Wort »ethisch« nicht in ideologisch diskriminierender Weise angewandt werden, indem
man damit zu verstehen gibt, daß die Initiativen, die sich nicht formell mit dieser Bezeichnung
zieren, nicht ethisch seien. Man muß sich nicht nur darum bemühen – die Bemerkung ist hier
wesentlich! – , daß »ethische« Sektoren und Bereiche der Ökonomie oder des Finanzwesens
entstehen, sondern daß die gesamte Wirtschaft und das gesamte Finanzwesen ethisch sind und
das nicht nur durch eine äußerliche Etikettierung, sondern aus Achtung vor den ihrer Natur selbst
wesenseigenen Ansprüchen. Diesbezüglich spricht die jüngste Soziallehre der Kirche mit aller
Klarheit, wenn sie daran erinnert, daß die Wirtschaft mit allen ihren Zweigen ein Teilbereich des
vielfältigen menschlichen Tuns sei.[113]
46. Betrachtet man die mit der Beziehung zwischen Unternehmen und Ethik befaßten
Themenbereiche sowie die Entwicklung, die das Produktionssystem durchmacht, so scheint es,
daß die bisher allgemein verbreitete Unterscheidung zwischen gewinnorientierten (profit)
Unternehmen und nicht gewinnorientierten (non profit) Organisationen nicht mehr imstande ist,
über die tatsächliche Situation vollständig Rechenschaft zu geben oder zukünftige Entwicklungen
effektiv zu gestalten. In diesen letzten Jahrzehnten ist ein großer Zwischenbereich zwischen den
beiden Unternehmenstypologien entstanden. Er besteht aus traditionellen Unternehmen, die
allerdings Hilfsabkommen für rückständige Länder unterzeichneten; aus Unternehmensgruppen,
die Ziele mit sozialem Nutzen verfolgen; aus der bunten Welt der Vertreter der sogenannten
öffentlichen und Gemeinschaftswirtschaft. Es handelt sich nicht nur um einen »dritten Sektor«,
sondern um eine neue umfangreiche zusammengesetzte Wirklichkeit, die das Private und das
Öffentliche einbezieht und den Gewinn nicht ausschließt, ihn aber als Mittel für die Verwirklichung
humaner und sozialer Ziele betrachtet. Die Tatsache, daß diese Unternehmen die Gewinne nicht
verteilen oder daß sie die eine oder andere von den Rechtsnormen vorgesehene Struktur haben,

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wird nebensächlich angesichts ihrer Bereitschaft, den Gewinn als ein Mittel zu begreifen, um eine
Humanisierung des Marktes und der Gesellschaft zu erreichen. Es ist zu wünschen, daß diese
neuen Unternehmensformen in allen Ländern auch eine entsprechende rechtliche und steuerliche
Gestalt finden. Ohne den herkömmlichen Unternehmensformen etwas von ihrer wirtschaftlichen
Bedeutung und Nützlichkeit zu nehmen, bewirken die neuen Formen, daß sich das System zu
einer klareren und vollkommeneren Übernahme der Verpflichtungen seitens der
Wirtschaftsvertreter entwickelt. Nicht nur das. Gerade die Vielfalt der institutionellen
Unternehmensformen sollte einen humaneren und zugleich wettbewerbsfähigeren Markt
hervorbringen.
47. Die Vermehrung der verschiedenen Unternehmenstypologien und besonders derjenigen, die
dazu fähig sind, den Gewinn als ein Mittel zu begreifen, um den Zweck der Humanisierung des
Marktes und der Gesellschaften zu erreichen, muß auch in den Ländern verfolgt werden, die unter
Ausschluß oder Ausgrenzung aus den globalen Wirtschaftskreisläufen leiden. Dort ist es sehr
wichtig, mit Projekten angemessen konzipierter und verwalteter Subsidiarität voranzukommen, die
vor allem die Rechte zu stärken trachten, wobei jedoch immer auch die Übernahme
entsprechender Verantwortlichkeiten vorgesehen ist. In den Beiträgen zur Entwicklung muß das
Prinzip der zentralen Stellung der menschlichen Person sichergestellt sein, die das Subjekt ist,
das in erster Linie die Verpflichtung zur Entwicklung auf sich nehmen muß. Das Hauptinteresse
gilt der Verbesserung der Lebenssituationen der konkreten Menschen in einer bestimmten
Region, damit sie jenen Verpflichtungen nachkommen können, deren Erfüllung ihnen ihre
derzeitige Notlage unmöglich macht. Die Sorge kann niemals eine abstrakte Haltung sein. Um an
die einzelnen Situationen angepaßt werden zu können, müssen die Entwicklungsprogramme von
Flexibilität gekennzeichnet sein; und die Empfänger der Hilfe sollten direkt in die Planung der
Projekte einbezogen und zu Hauptakteuren ihrer Umsetzung werden. Ebenso ist es notwendig,
die Kriterien eines stufenweisen und begleitenden Fortschreitens – einschließlich der laufenden
Kontrolle der Ergebnisse – anzuwenden, da es keine universal gültigen Rezepte gibt. Viel hängt
von der konkreten Durchführung der Interventionen ab. »Weil die Völker die Baumeister ihres
eigenen Fortschritts sind, müssen sie selbst auch an erster Stelle die Last und Verantwortung
dafür tragen. Aber sie werden es nicht schaffen, wenn sie gegenseitig isoliert bleiben«.[114]
Angesichts der Konsolidierung des Prozesses der fortschreitenden Integration der Erde hat diese
Mahnung Papst Pauls VI. heute noch größere Gültigkeit. Die Dynamik der Einbeziehung hat nichts
Mechanisches an sich. Die Lösungen müssen auf der Grundlage einer behutsamen Einschätzung
der Situation genau auf das Leben der Völker und konkreten Personen zugeschnitten werden.
Neben den Großprojekten braucht es die kleinen Projekte und vor allem die tatkräftige
Mobilisierung aller Angehörigen der Zivilgesellschaft, sowohl der juristischen wie der physischen
Personen.
Die internationale Zusammenarbeit benötigt Personen, die den wirtschaftlichen und menschlichen
Entwicklungsprozeß durch die Solidarität ihrer Präsenz, der Begleitung, der Ausbildung und des
Respekts teilen. Unter diesem Gesichtspunkt müßten sich die internationalen Organismen selbst

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nach der tatsächlichen Wirksamkeit ihrer oft viel zu kostspieligen bürokratischen
Verwaltungsapparate fragen. Es kommt mitunter vor, daß der Hilfeempfänger zu einem Mittel für
den Helfer wird und die Armen dazu dienen, aufwendige bürokratische Organisationen
aufrechtzuerhalten, die für ihren eigenen Bestand allzu hohe Beträge aus jenen Ressourcen für
sich behalten, die eigentlich für die Entwicklung bestimmt sein sollten. Aus dieser Sicht wäre es
wünschenswert, daß sich alle internationalen Organismen und die Nichtregierungsorganisationen
zu einer größeren Transparenz verpflichteten, indem sie die Spender sowie die öffentliche
Meinung über den prozentualen Anteil der erhaltenen Gelder, der für die Programme der
Zusammenarbeit bestimmt ist, über den tatsächlichen Inhalt solcher Programme und schließlich
über die Zusammensetzung der Ausgaben der Einrichtung selbst informieren.
48. Das Thema Entwicklung ist heute stark an die Verpflichtungen gebunden, die aus der
Beziehung des Menschen zur natürlichen Umwelt entstehen. Diese Beziehung wurde allen von
Gott geschenkt. Der Umgang mit ihr stellt für uns eine Verantwortung gegenüber den Armen, den
künftigen Generationen und der ganzen Menschheit dar. Wenn die Natur und allen voran der
Mensch als Frucht des Zufalls oder des Evolutionsdeterminismus angesehen werden, wird das
Verantwortungsbewußtsein in den Gewissen schwächer. Der Gläubige erkennt hingegen in der
Natur das wunderbare Werk des schöpferischen Eingreifens Gottes, das der Mensch
verantwortlich gebrauchen darf, um in Achtung vor der inneren Ausgewogenheit der Schöpfung
selbst seine berechtigten materiellen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn diese
Auffassung schwindet, wird am Ende der Mensch die Natur entweder als ein unantastbares Tabu
betrachten oder, im Gegenteil, sie ausbeuten. Beide Haltungen entsprechen nicht der christlichen
Anschauung der Natur, die Frucht der Schöpfung Gottes ist.
Die Natur ist Ausdruck eines Plans der Liebe und der Wahrheit. Sie geht uns voraus und wird uns
von Gott als Lebensraum geschenkt. Sie spricht zu uns vom Schöpfer (vgl. Röm 1, 20) und von
seiner Liebe zu den Menschen. Sie ist dazu bestimmt, am Ende der Zeiten in Christus »vereint zu
werden« (vgl. Eph 1, 9-10; Kol 1, 19-20). Auch sie ist also eine »Berufung«.[115] Die Natur steht
uns nicht als »ein Haufen zufällig verstreuter Abfälle«[116] zur Verfügung, sondern als eine Gabe
des Schöpfers, der die ihr innewohnenden Ordnungen gezeichnet hat, damit der Mensch daraus
die gebotenen Aufschlüsse bezieht, »damit er [sie] bebaue und hüte« (Gen 2, 15). Aber es muß
auch betont werden, daß es der wahren Entwicklung widerspricht, die Natur für wichtiger zu halten
als die menschliche Person. Diese Einstellung verleitet zu neu-heidnischen Haltungen oder einem
neuen Pantheismus: Aus der in einem rein naturalistischen Sinn verstandenen Natur allein kann
man nicht das Heil für den Menschen ableiten. Allerdings muß man auch die gegenteilige Position
zurückweisen, die eine vollständige Technisierung der Natur anstrebt, weil das natürliche Umfeld
nicht nur Materie ist, über die wir nach unserem Belieben verfügen können, sondern wunderbares
Werk des Schöpfers, das eine „Grammatik“ in sich trägt, die Zwecke und Kriterien für eine weise,
nicht funktionelle und willkürliche Nutzung angibt. Viele Schäden für die Entwicklung rühren heute
aus diesen verzerrten Auffassungen her. Die Natur vollständig auf eine Menge einfacher
Gegebenheiten zu verkürzen, erweist sich schließlich als Quelle der Gewalt gegenüber der

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Umwelt und motiviert zu respektlosen Handlungen gegenüber der Natur des Menschen. Da diese
nicht nur aus Materie, sondern auch aus Geist besteht und als solche reich an Bedeutungen und
zu erreichenden transzendenten Zielen ist, hat sie auch einen normativen Charakter für die Kultur.
Der Mensch deutet und bildet die natürliche Umwelt durch die Kultur nach, die ihrerseits durch die
verantwortliche, auf die Gebote des Sittengesetzes achtende Freiheit bestimmt wird. Die Projekte
für eine ganzheitliche menschliche Entwicklung dürfen daher die nachfolgenden Generationen
nicht ignorieren, sondern müssen zur Solidarität und Gerechtigkeit zwischen den Generationen
bereit sein, indem sie den vielfältigen Bereichen – dem ökologischen, juristischen, ökonomischen,
politischen und kulturellen – Rechnung tragen.[117]
49. Die mit der Sorge und dem Schutz für die Umwelt zusammenhängenden Fragen müssen
heute der Energieproblematik entsprechende Beachtung schenken. Das Aufkaufen der nicht
erneuerbaren Energiequellen durch einige Staaten, einflußreiche Gruppen und Unternehmen stellt
nämlich ein schwerwiegendes Hindernis für die Entwicklung der armen Länder dar. Diese
verfügen weder über die ökonomischen Mittel, um sich Zugang zu den bestehenden nicht
erneuerbaren Energiequellen zu verschaffen, noch können sie die Suche nach neuen und
alternativen Quellen finanzieren. Das Aufkaufen der natürlichen Ressourcen, die sich in vielen
Fällen gerade in den armen Ländern befinden, führt zu Ausbeutung und häufigen Konflikten
zwischen den Nationen und auch innerhalb der Länder selbst. Solche Konflikte werden häufig
gerade auf dem Boden dieser Länder ausgetragen, mit einer bedrückenden Schlußbilanz von Tod,
Zerstörung und weiterem Niedergang. Die internationale Gemeinschaft hat die unumgängliche
Aufgabe, die institutionellen Wege zu finden, um der Ausbeutung der nicht erneuerbaren
Ressourcen Einhalt zu gebieten, und das auch unter Einbeziehung der armen Länder, um mit
ihnen gemeinsam die Zukunft zu planen.
Auch an dieser Front besteht die dringende moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität,
besonders in den Beziehungen zwischen den Entwicklungsländern und den hochindustrialisierten
Ländern.[118] Die technologisch fortschrittlichen Gesellschaften können und müssen ihren
Energieverbrauch verringern, weil die Produktion in der verarbeitenden Industrie sich weiter
entwickelt, aber auch weil sich unter ihren Bürgern eine größere Sensibilität für die Umwelt
verbreitet. Man muß außerdem hinzufügen, daß heute eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit
der Energie realisierbar und es gleichzeitig möglich ist, die Suche nach alternativen Energien
voranzutreiben. Es ist jedoch auch eine weltweite Neuverteilung der Energiereserven notwendig,
so daß auch die Länder, die über keine eigenen Quellen verfügen, dort Zugang erhalten können.
Ihr Schicksal darf nicht den Händen des zuerst Angekommenen oder der Logik des Stärkeren
überlassen werden. Es handelt sich um beachtliche Probleme, die, wenn sie in entsprechender
Weise angegangen werden sollen, von seiten aller die verantwortungsvolle Bewußtwerdung der
Folgen verlangen, die über die neuen Generationen hereinbrechen werden, vor allem über die
sehr vielen Jugendlichen in den armen Völkern, die »ihren Anteil am Aufbau einer besseren Welt
fordern«.[119]

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50. Diese Verantwortung ist global, weil sie nicht nur die Energie, sondern die ganze Schöpfung
betrifft, die wir den neuen Generationen nicht ausgebeutet hinterlassen dürfen. Es ist dem
Menschen gestattet, eine verantwortungsvolle Steuerung über die Natur auszuüben, um sie zu
schützen, zu nutzen und auch in neuen Formen und mit fortschrittlichen Technologien zu
kultivieren, so daß sie die Bevölkerung, die sie bewohnt, würdig aufnehmen und ernähren kann.
Es gibt Platz für alle auf dieser unserer Erde: Auf ihr soll die ganze Menschheitsfamilie die
notwendigen Ressourcen finden, um mit Hilfe der Natur selbst, dem Geschenk Gottes an seine
Kinder, und mit dem Einsatz ihrer Arbeit und ihrer Erfindungsgabe würdig zu leben. Wir müssen
jedoch auf die sehr ernste Verpflichtung hinweisen, die Erde den neuen Generationen in einem
Zustand zu übergeben, so daß auch sie würdig auf ihr leben und sie weiter kultivieren können.
Das schließt ein, »es sich zur Pflicht zu machen, nach verantwortungsbewußter Abwägung
gemeinsam zu entscheiden, welcher Weg einzuschlagen ist, mit dem Ziel, jenen Bund zwischen
Mensch und Umwelt zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe Gottes sein soll – des Gottes,
in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir unterwegs sind«.[120] Man kann nur
wünschen, daß die internationale Gemeinschaft und die einzelnen Regierungen es wirksam
verhindern können, daß die Umwelt zu ihrem Schaden ausgenutzt wird. Es ist ebenso erforderlich,
daß die zuständigen Autoritäten alle nötigen Anstrengungen unternehmen, damit die
wirtschaftlichen und sozialen Kosten für die Benutzung der allgemeinen Umweltressourcen offen
dargelegt sowie von den Nutznießern voll getragen werden und nicht von anderen Völkern oder
zukünftigen Generationen: Der Schutz der Umwelt, der Ressourcen und des Klimas erfordert, daß
alle auf internationaler Ebene Verantwortlichen gemeinsam handeln und bereit sind, in gutem
Glauben, dem Gesetz entsprechend und in Solidarität mit den schwächsten Regionen unseres
Planeten zu arbeiten.[121] Eine der größten Aufgaben der Ökonomie ist gerade der äußerst
effiziente Gebrauch der Ressourcen, nicht die Verschwendung, wobei man sich bewußt sein muß,
daß der Begriff der Effizienz nicht wertneutral ist.
51. Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die Umwelt behandelt, beeinflussen die
Verhaltensmuster, nach denen er sich selbst behandelt, und umgekehrt. Das fordert die heutige
Gesellschaft dazu heraus, ernsthaft ihren Lebensstil zu überprüfen, der in vielen Teilen der Welt
zum Hedonismus und Konsumismus neigt und gegenüber den daraus entstehenden Schäden
gleichgültig bleibt.[122] Notwendig ist ein tatsächlicher Gesinnungswandel, der uns dazu anhält,
neue Lebensweisen anzunehmen, »in denen die Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten
und die Gemeinschaft mit den anderen Menschen für ein gemeinsames Wachstum die Elemente
sein sollen, die die Entscheidungen für Konsum, Sparen und Investitionen bestimmen«.[123] Jede
Verletzung der bürgerlichen Solidarität und Freundschaft ruft Umweltschäden hervor, so wie die
Umweltschäden ihrerseits Unzufriedenheit in den sozialen Beziehungen auslösen. Die Natur ist
besonders in unserer Zeit so sehr in die Dynamik der sozialen und kulturellen Abläufe integriert,
daß sie fast keine unabhängige Variable mehr darstellt. Die fortschreitende Wüstenbildung und die
Verelendung mancher Agrargebiete sind auch Ergebnis der Verarmung der dort wohnenden
Bevölkerungen und der Rückständigkeit. Durch die Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen
Entwicklung jener Bevölkerungen schützt man auch die Natur. Wie viele natürliche Ressourcen

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werden zudem durch Kriege zerstört! Der Friede der Völker und zwischen den Völkern würde
auch einen größeren Schutz der Natur erlauben. Das Aufkaufen der Ressourcen, besonders des
Wassers, kann schwere Konflikte unter der betroffenen Bevölkerung hervorrufen. Ein friedliches
Einvernehmen über die Nutzung der Ressourcen kann die Natur und zugleich das Wohlergehen
der betroffenen Gesellschaften schützen.
Die Kirche hat eine Verantwortung für die Schöpfung und muß diese Verantwortung auch
öffentlich geltend machen. Und wenn sie das tut, muß sie nicht nur die Erde, das Wasser und die
Luft als Gaben der Schöpfung verteidigen, die allen gehören. Sie muß vor allem den Menschen
gegen seine Selbstzerstörung schützen. Es muß so etwas wie eine richtig verstandene Ökologie
des Menschen geben. Die Beschädigung der Natur hängt nämlich eng mit der Kultur zusammen,
die das menschliche Zusammenleben gestaltet. Wenn in der Gesellschaft die
»Humanökologie«[124] respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie. Wie die
menschlichen Tugenden miteinander verbunden sind, so daß die Schwächung einer Tugend auch
die anderen gefährdet, so stützt sich das ökologische System auf die Einhaltung eines Planes, der
sowohl das gesunde Zusammenleben in der Gesellschaft wie das gute Verhältnis zur Natur
betrifft.
Um die Natur zu schützen, genügt es nicht, mit anspornenden oder einschränkenden Maßnahmen
einzugreifen, und auch eine entsprechende Anleitung reicht nicht aus. Das sind wichtige
Hilfsmittel, aber das entscheidende Problem ist das moralische Verhalten der Gesellschaft. Wenn
das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn Empfängnis,
Schwangerschaft und Geburt des Menschen auf künstlichem Weg erfolgen, wenn Embryonen für
die Forschung geopfert werden, verschwindet schließlich der Begriff Humanökologie und mit ihm
der Begriff der Umweltökologie aus dem allgemeinen Bewußtsein. Es ist ein Widerspruch, von den
neuen Generationen die Achtung der natürlichen Umwelt zu verlangen, wenn Erziehung und
Gesetze ihnen nicht helfen, sich selbst zu achten. Das Buch der Natur ist eines und unteilbar
sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale
Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Unsere Pflichten gegenüber
der Umwelt verbinden sich mit den Pflichten, die wir gegenüber dem Menschen an sich und in
Beziehung zu den anderen haben. Man kann nicht die einen Pflichten fordern und die anderen
unterdrücken. Das ist ein schwerwiegender Widerspruch der heutigen Mentalität und Praxis, der
den Menschen demütigt, die Umwelt erschüttert und die Gesellschaft beschädigt.
52. Die Wahrheit und die Liebe, die sie erschließt, lassen sich nicht produzieren, man kann sie nur
empfangen. Ihre letzte Quelle ist nicht und kann nicht der Mensch sein, sondern Gott, das heißt
Er, der Wahrheit und Liebe ist. Dieses Prinzip ist sehr wichtig für die Gesellschaft und für die
Entwicklung, da weder die eine noch die andere lediglich menschliche Produkte sein können;
ebenso gründet sich die Berufung zur Entwicklung der Menschen und der Völker nicht auf eine
lediglich menschliche Entscheidung, sondern sie ist in einen Plan eingeschrieben, der uns
vorausgeht und für uns alle eine Pflicht darstellt, die freiwillig angenommen werden muß. Das,

5 Pages 41-50

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was uns vorausgeht, und das, was uns konstituiert – die Liebe und die Wahrheit –, zeigt uns, was
das Gute ist und worin unser Glück besteht. Es zeigt uns somit den Weg zur wahren Entwicklung.
FÜNFTES KAPITEL
DIE ZUSAMMENARBEIT DER MENSCHHEITSFAMILIE
53. Eine der schlimmsten Arten von Armut, die der Mensch erfahren kann, ist die Einsamkeit.
Genau betrachtet haben auch die anderen Arten von Armut, einschließlich der materiellen Armut,
ihren Ursprung in der Isolation, im Nicht-geliebt-Sein oder in der Schwierigkeit zu lieben. Oft
entstehen die Arten der Armut aus der Zurückweisung der Liebe Gottes, aus einem
ursprünglichen tragischen Verschließen des Menschen in sich selbst, der meint, sich selbst
genügen zu können oder nur eine unbedeutende und vorübergehende Erscheinung, ein
»Fremder« in einem zufällig gebildeten Universum zu sein. Der Mensch ist entfremdet, wenn er
allein ist oder sich von der Wirklichkeit ablöst, wenn er darauf verzichtet, an ein Fundament zu
denken und zu glauben.[125] Die Menschheit insgesamt ist entfremdet, wenn sie sich bloß
menschlichen Plänen, Ideologien und falschen Utopien verschreibt.[126] Heute erscheint die
Menschheit interaktiver als gestern: Diese größere Nähe muß zu echter Gemeinschaft werden.
Die Entwicklung der Völker hängt vor allem davon ab, sich als eine einzige Familie zu erkennen,
die in einer echten Gemeinschaft zusammenarbeitet und von Subjekten gebildet wird, die nicht
einfach nebeneinander leben.[127]
Papst Paul VI. bemerkte, daß »die Welt krank ist, weil ihr Gedanken fehlen«.[128] Diese Aussage
enthält eine Feststellung, vor allem aber einen Wunsch: Es bedarf eines neuen Schwungs des
Denkens, um die Implikationen unseres Familieseins besser zu verstehen; die wechselseitigen
Unternehmungen der Völker dieser Erde fordern uns zu diesem Schwung auf, damit die
Integration im Zeichen der Solidarität[129] und nicht der Verdrängung vollzogen wird. Ein solches
Denken verpflichtet auch zu einer kritischen und beurteilenden Vertiefung der Kategorie der
Beziehung. Es handelt sich um eine Aufgabe, die nicht von den Sozialwissenschaften allein
durchgeführt werden kann, insofern sie den Beitrag von Wissen wie Metaphysik und Theologie
verlangt, um die transzendente Würde des Menschen klar zu begreifen.
Der Mensch als Geschöpf von geistiger Natur verwirklicht sich in den zwischenmenschlichen
Beziehungen. Je echter er diese lebt, desto mehr reift auch seine eigene persönliche Identität.
Nicht durch Absonderung bringt sich der Mensch selber zur Geltung, sondern wenn er sich in
Beziehung zu den anderen und zu Gott setzt. Die Bedeutung solcher Beziehungen wird also
grundlegend. Dies gilt auch für die Völker. Ihrer Entwicklung ist daher eine metaphysische Sicht
der Beziehung zwischen den Personen sehr zuträglich. Diesbezüglich findet die Vernunft
Anregung und Orientierung in der christlichen Offenbarung. Gemäß dieser wird die Person nicht

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durch die Gemeinschaft der Menschen absorbiert, beziehungsweise ihre Autonomie zunichte
gemacht, wie es in den verschiedenen Formen des Totalitarismus geschieht. Vielmehr bringt die
Gemeinschaft im christlichen Denken die Person weiter zur Geltung, da die Beziehung zwischen
Person und Gemeinschaft der eines Ganzen gegenüber einem anderen Ganzen entspricht.[130]
Wie die Gemeinschaft der Familie in sich die Personen, die sie bilden, nicht auflöst und wie die
Kirche selbst die »neue Schöpfung« (vgl. Gal 6, 15; 2 Kor 5, 17), die durch die Taufe ihrem Leib
eingegliedert wird, voll hervorhebt, so löst auch die Einheit der Menschheitsfamilie in sich die
Personen, Völker und Kulturen nicht auf, sondern macht sie füreinander transparenter und vereint
sie stärker in ihrer legitimen Vielfalt.
54. Das Thema der Entwicklung der Völker fällt mit dem der Einbeziehung aller Personen und
Völker in die eine Gemeinschaft der Menschheitsfamilie zusammen, die auf der Basis der
Grundwerte der Gerechtigkeit und des Friedens in Solidarität gebildet wird. Diese Sicht findet von
der Beziehung der Personen der Dreifaltigkeit in dem einen Göttlichen Wesen her eine klare
Erhellung. Die Dreifaltigkeit ist völlige Einheit, insofern die drei Göttlichen Personen reine
Beziehung sind. Die gegenseitige Transparenz zwischen den Göttlichen Personen ist völlig und
die Verbindung untereinander vollkommen, denn sie bilden eine absolute Einheit und Einzigkeit.
Gott will auch uns in diese Wirklichkeit der Gemeinschaft aufnehmen: »denn sie sollen eins sein,
wie wir eins sind« (Joh 17, 22). Die Kirche ist Zeichen und Werkzeug dieser Einheit.[131] Auch die
Beziehungen zwischen Menschen in der Geschichte können nur Nutzen aus dem Bezug auf
dieses göttliche Modell ziehen. Insbesondere im Licht des offenbarten Geheimnisses der
Dreifaltigkeit versteht man, daß eine echte Öffnung nicht zentrifugale Zerstreuung bedeutet,
sondern tiefe Durchdringung. Dies ergibt sich auch aus der gemeinsamen menschlichen
Erfahrung der Liebe und der Wahrheit. Wie die sakramentale Liebe die Eheleute geistig als »ein
Fleisch« (Gen 2, 24; Mt 19, 5; Eph 5, 31) verbindet und aus den zweien eine echte Einheit in der
Beziehung macht, verbindet auf analoge Weise die Wahrheit die Vernunftwesen untereinander
und läßt sie im Einklang denken, indem sie sie anzieht und in sich vereint.
55. Die christliche Offenbarung über die Einheit des Menschengeschlechts setzt eine
metaphysische Interpretation des humanum voraus, in dem die Fähigkeit zur Beziehung ein
wesentliches Element darstellt. Auch andere Kulturen und Religionen lehren Brüderlichkeit und
Frieden und sind daher für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen von großer Bedeutung.
Es fehlen aber nicht religiöse und kulturelle Haltungen, in denen das Prinzip der Liebe und der
Wahrheit nicht vollständig angenommen und am Ende so die echte menschliche Entwicklung
gebremst oder sogar behindert wird. Die Welt von heute ist von einigen Kulturen mit religiösem
Hintergrund durchzogen, die den Menschen nicht zur Gemeinschaft verpflichten, sondern ihn auf
der Suche nach dem individuellen Wohl isolieren, indem sie sich darauf beschränken,
psychologische Erwartungen zu befriedigen. Auch eine gewisse Verbreitung von religiösen Wegen
kleiner Gruppen oder sogar einzelner Personen und der religiöse Synkretismus können Faktoren
einer Zerstreuung und eines Mangels an Engagement sein. Ein möglicher negativer Effekt des
Globalisierungsprozesses ist die Tendenz, solchen Synkretismus zu begünstigen[132] und dabei

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Formen von „Religionen“ zu nähren, die die Menschen einander entfremden, anstatt sie einander
begegnen zu lassen, und sie von der Wirklichkeit entfernen. Gleichzeitig bleiben mitunter kulturelle
und religiöse Vermächtnisse weiter bestehen, die die Gesellschaft in feste soziale Kasten
eingrenzen, in Formen von magischem Glauben, die die Würde der Person mißachten, und in
Haltungen der Unterwerfung unter okkulte Mächte. Auf dieser Ebene ist es für die Liebe und die
Wahrheit schwierig, sich zu behaupten, was Schaden für die echte Entwicklung mit sich bringt.
Wenn es einerseits wahr ist, daß die Entwicklung die Religionen und Kulturen der verschiedenen
Völker braucht, ist es aus diesem Grund andererseits ebenso wahr, daß eine angemessene
Unterscheidung vonnöten ist. Religionsfreiheit bedeutet nicht religiöse Gleichgültigkeit und bringt
nicht mit sich, daß alle Religionen gleich sind.[133] Die Unterscheidung hinsichtlich des Beitrags
der Kulturen und Religionen zum Aufbau der sozialen Gemeinschaft in der Achtung des
Gemeinwohls ist vor allem für den, der politische Gewalt ausübt, erforderlich. Solche
Unterscheidung muß sich auf das Kriterium der Liebe und der Wahrheit stützen. Da die
Entwicklung der Menschen und der Völker auf dem Spiel steht, wird sie die Möglichkeit der
Emanzipation und der Einbeziehung im Hinblick auf eine wirklich universale Gemeinschaft der
Menschen berücksichtigen. »Der ganze Mensch und alle Menschen« sind das Kriterium, um auch
die Kulturen und die Religionen zu beurteilen. Das Christentum, die Religion des »Gottes, der ein
menschliches Angesicht hat«,[134] trägt in sich selbst ein solches Kriterium.
56. Die christliche Religion und die anderen Religionen können ihren Beitrag zur Entwicklung nur
leisten, wenn Gott auch im öffentlichen Bereich mit spezifischem Bezug auf die kulturellen,
sozialen, wirtschaftlichen und insbesondere politischen Aspekte Platz findet. Die Soziallehre der
Kirche ist entstanden, um dieses »Statut des Bürgerrechts«[135] der christlichen Religion geltend
zu machen. Die Verweigerung des Rechts, öffentlich die eigene Religion zu bekennen und dafür
tätig zu sein, daß auch das öffentliche Leben über die Wahrheiten des Glaubens unterrichtet wird,
bringt negative Folgen für die wahre Entwicklung mit sich. Der Ausschluß der Religion vom
öffentlichen Bereich wie andererseits der religiöse Fundamentalismus behindern die Begegnung
zwischen den Menschen und ihre Zusammenarbeit für den Fortschritt der Menschheit. Das
öffentliche Leben verarmt an Motivationen, und die Politik nimmt ein unerträgliches und
aggressives Gesicht an. Die Menschenrechte laufen Gefahr, nicht geachtet zu werden, weil sie
entweder ihres transzendenten Fundaments beraubt werden oder weil die persönliche Freiheit
nicht anerkannt wird. Im Laizismus und im Fundamentalismus verliert man die Möglichkeit eines
fruchtbaren Dialogs und einer gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen Vernunft und
religiösem Glauben. Die Vernunft bedarf stets der Reinigung durch den Glauben, und dies gilt
auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf. Die Religion bedarf
ihrerseits stets der Reinigung durch die Vernunft, um ihr echtes menschliches Antlitz zu zeigen.
Der Abbruch dieses Dialogs ist mit einem schwer lastenden Preis für die Entwicklung der
Menschheit verbunden.
57. Der fruchtbare Dialog zwischen Glaube und Vernunft kann nur das Werk der sozialen

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Nächstenliebe wirksamer machen und bildet den sachgemäßen Rahmen, um die brüderliche
Zusammenarbeit zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen in der gemeinsamen Sicht, für die
Gerechtigkeit und den Frieden der Menschheit zu arbeiten, zu fördern. In der Pastoralkonstitution
Gaudium et spes sagten die Konzilsväter: »Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und
Nichtgläubigen, daß alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt
hinzuordnen ist«.[136] Für die Gläubigen ist die Welt nicht das Produkt des Zufalls noch der
Notwendigkeit, sondern eines Planes Gottes. Von daher kommt die Pflicht der Gläubigen, ihre
Bemühungen mit allen Menschen guten Willens – Angehörige anderer Religionen oder
Nichtgläubige – zu vereinen, damit unsere Welt wirklich dem göttlichen Plan entspricht: als eine
Familie unter dem Blick des Schöpfers zu leben. Besonderes Zeichen der Liebe und Leitkriterium
für die brüderliche Zusammenarbeit von Gläubigen und Nichtgläubigen ist ganz sicher das Prinzip
der Subsidiarität,[137] Ausdruck der unveräußerlichen Freiheit des Menschen. Die Subsidiarität ist
vor allem eine Hilfe für die Person durch die Autonomie der mittleren Gruppen und Verbände.
Solche Hilfe wird geboten, wenn die Person und die sozialen Subjekte es nicht aus eigener Kraft
schaffen, und schließt immer emanzipatorische Zielsetzungen ein, da sie die Freiheit und die
Partizipation, insofern sie Übernahme von Verantwortung ist, fördert. Die Subsidiarität achtet die
Würde der Person, in der sie ein Subjekt sieht, das immer imstande ist, anderen etwas zu geben.
Indem sie in der Gegenseitigkeit die innerste Verfassung des Menschen anerkennt, ist die
Subsidiarität das wirksamste Gegenmittel zu jeder Form eines bevormundenden Sozialsystems.
Sie kann sowohl die vielfache Gliederung der Ebenen und daher der Vielfalt der Subjekte erklären
als auch ihre Koordinierung. Es handelt sich demnach um ein besonders geeignetes Prinzip, um
die Globalisierung zu lenken und sie auf eine echte menschliche Entwicklung auszurichten. Um
nicht eine gefährliche universale Macht monokratischer Art ins Leben zu rufen, muß die Steuerung
der Globalisierung von subsidiärer Art sein, und zwar in mehrere Stufen und verschiedene Ebenen
gegliedert, da sie die Frage nach einem globalen Gemeingut aufwirft, das zu verfolgen ist; eine
solche Autorität muß aber auf subsidiäre und polyarchische Art und Weise organisiert sein,[138]
um die Freiheit nicht zu verletzen und sich konkret wirksam zu erweisen.
58. Das Prinzip der Subsidiarität muß in enger Verbindung mit dem Prinzip der Solidarität gewahrt
werden und umgekehrt. Denn wenn die Subsidiarität ohne die Solidarität in einen sozialen
Partikularismus abrutscht, so ist ebenfalls wahr, daß die Solidarität ohne die Subsidiarität in ein
Sozialsystem abrutscht, das den Bedürftigen erniedrigt. Diese Regel allgemeiner Art muß ebenso
sehr beachtet werden, wenn Fragen bezüglich internationaler Entwicklungshilfen angegangen
werden. Diese können jenseits der Absichten der Geber mitunter ein Volk in einer Lage der
Abhängigkeit halten oder sogar Situationen von lokaler Herrschaft und Ausbeutung innerhalb des
Hilfeempfängerlandes begünstigen. Damit die Wirtschaftshilfen auch wirklich solche sind, dürfen
sie keine Hintergedanken verfolgen. Sie müssen unter Miteinbeziehung nicht nur der Regierungen
der betroffenen Länder geleistet werden, sondern auch der örtlichen Wirtschaftstreibenden und
der Kulturträger der Zivilgesellschaft, einschließlich der örtlichen Kirchen. Die Hilfsprogramme
müssen in immer größerem Ausmaß die Merkmale von Programmen annehmen, die Ergänzung
und Partizipation von unten einbeziehen. Es ist nämlich wahr, daß in den Ländern, die

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Entwicklungshilfe empfangen, die größte hervorzuhebende Ressource der Reichtum an
Menschen ist: Das ist das echte Kapital, das wachsen muß, um den ärmsten Ländern eine wahre
autonome Zukunft zu sichern. Es ist auch daran zu erinnern, daß auf wirtschaftlichem Gebiet die
Haupthilfe, derer die Entwicklungsländer bedürfen, darin besteht, die schrittweise Eingliederung
ihrer Produkte auf den Weltmärkten zu erlauben und zu fördern und so ihre volle Teilnahme am
internationalen Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Zu oft haben in der Vergangenheit die Hilfen
dazu genützt, nur Nebenmärkte für die Produkte dieser Länder zu schaffen. Dies ist oft vom
Fehlen einer echten Nachfrage nach diesen Produkten bedingt: Daher ist es notwendig, diesen
Ländern zu helfen, ihre Produkte zu verbessern und sie besser der Nachfrage anzupassen.
Überdies haben einige oft die Konkurrenz der Einfuhr von – normalerweise landwirtschaftlichen –
Produkten aus den wirtschaftlich ärmeren Ländern gefürchtet. Dennoch muß daran erinnert
werden, daß für diese Länder die Möglichkeit zur Vermarktung solcher Produkte sehr oft bedeutet,
ihr Überleben auf kurze und lange Zeit zu sichern. Ein gerechter und ausgeglichener Welthandel
im Agrarbereich kann für alle Vorteile bringen, sowohl auf Seiten des Angebots wie der Nachfrage.
Aus diesem Grund ist es nicht nur notwendig, diese Produktionen kommerziell auszurichten,
sondern Welthandelsregeln festzulegen, die sie unterstützen, und die Finanzierungen für die
Entwicklung zu verstärken, um diese Wirtschaften produktiver zu machen.
59. Die Entwicklungszusammenarbeit darf nicht die wirtschaftliche Dimension allein betreffen; sie
muß eine gute Gelegenheit zur kulturellen und menschlichen Begegnung werden. Wenn die
Träger der Kooperation in den wirtschaftlich entwickelten Ländern nicht der eigenen und der
fremden kulturellen und auf menschlichen Werten gründenden Identität Rechnung tragen, wie es
mitunter geschieht, können sie keinen tiefen Dialog mit den Bürgern der armen Ländern
aufnehmen. Wenn letztere ihrerseits sich gleichgültig und unterschiedslos jedem kulturellen
Angebot öffnen, sind sie nicht in der Lage, die Verantwortung für ihre echte Entwicklung zu
übernehmen.[139] Die technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften dürfen die eigene
technologische Entwicklung nicht mit einer vermeintlichen kulturellen Überlegenheit verwechseln,
sondern müssen bei sich selber zuweilen vergessene Tugenden wiederentdecken, die ihnen eine
Blüte in der Geschichte gebracht haben. Die aufstrebenden Gesellschaften müssen dem treu
bleiben, was in ihren Traditionen an echt Menschlichem vorhanden ist, indem sie eine
automatische Überlagerung mit den Mechanismen der globalisierten technologischen Zivilisation
vermeiden. In allen Kulturen gibt es besondere und vielfältige ethische Übereinstimmungen, die
Ausdruck derselben menschlichen, vom Schöpfer gewollten Natur sind und die von der ethischen
Weisheit der Menschheit Naturrecht genannt wird.[140] Ein solches universales Sittengesetz ist
die feste Grundlage eines jeden kulturellen, religiösen und politischen Dialogs und erlaubt dem
vielfältigen Pluralismus der verschiedenen Kulturen, sich nicht von der gemeinsamen Suche nach
dem Wahren und Guten und nach Gott zu lösen. Die Zustimmung zu diesem in die Herzen
eingeschriebenen Gesetz ist daher die Voraussetzung für jede konstruktive soziale
Zusammenarbeit. In allen Kulturen gibt es Beschwerliches, von dem man sich befreien, und
Schatten, denen man sich entziehen muß. Der christliche Glaube, der in den Kulturen Gestalt
annimmt und sie dabei transzendiert, kann ihnen helfen, in universaler Gemeinschaft und

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Solidarität zum Vorteil der gemeinsamen weltweiten Entwicklung zu wachsen.
60. Bei der Suche nach Lösungen in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise muß die
Entwicklungshilfe für die armen Länder als ein echtes Mittel zur Vermögensschaffung für alle
angesehen werden. Welches andere Hilfsprojekt kann eine selbst für die Weltwirtschaft so
bedeutende Wertsteigerung in Aussicht stellen wie die Unterstützung von Völkern, die sich noch in
einer Anfangsphase oder wenig fortgeschrittenen Phase ihres wirtschaftlichen
Entwicklungsprozesses befinden? Aus diesem Blickwinkel werden die wirtschaftlich mehr
entwickelten Länder das Mögliche tun, um höhere Sätze ihres Bruttoinlandprodukts für die
Entwicklungshilfe bereitzustellen, wobei natürlich die auf der Ebene der internationalen
Gemeinschaft übernommenen Verpflichtungen einzuhalten sind. Sie können dies unter anderem
durch eine Revision der Politik der Fürsorge und sozialen Solidarität in ihrem Inneren tun, indem
sie das Prinzip der Subsidiarität anwenden und besser integrierte Systeme sozialer Vorsorge mit
aktiver Teilnahme der Privatpersonen und der Zivilgesellschaft schaffen. Auf diese Weise ist es
sogar möglich, die Sozial- und Fürsorgeleistungen zu verbessern und gleichzeitig Geldmittel zu
sparen – auch unter Beseitigung von Verschwendungen und mißbräuchlichen Bezügen –, die für
die internationale Solidarität zu bestimmen sind. Ein System sozialer Solidarität, das eine größere
Beteiligung kennt und organischer aufgebaut ist, das weniger bürokratisch, aber nicht weniger
koordiniert ist, würde es erlauben, viele heute schlummernde Energien auch zum Nutzen der
Solidarität unter den Völkern zur Geltung zu bringen.
Eine Möglichkeit der Entwicklungshilfe könnte auf der wirksamen Anwendung der sogenannten
steuerlichen Subsidiarität beruhen, die es den Bürgern gestatten würde, über den
Bestimmungszweck von Anteilen ihrer dem Staat erbrachten Steuern zu entscheiden. Wenn
partikularistische Ausartungen vermieden werden, kann dies dazu verhelfen, Formen sozialer
Solidarität von unten zu fördern, wobei offensichtliche Vorteile auch auf Seiten der Solidarität für
die Entwicklung bestehen.
61. Eine auf internationaler Ebene breitere Solidarität drückt sich vor allem in der weiteren
Förderung – selbst unter den Verhältnissen einer Wirtschaftskrise – eines größeren Zugangs zur
Bildung aus, die andererseits eine wesentliche Bedingung für die Wirksamkeit der internationalen
Zusammenarbeit selber ist. Der Begriff „Bildung“ bezieht sich nicht allein auf Unterricht und
Ausbildung zum Beruf, die beide wichtige Gründe für die Entwicklung sind, sondern auf die
umfassende Formung der Person. Diesbezüglich ist ein problematischer Aspekt hervorzuheben:
Bei der Erziehung muß man wissen, was die menschliche Person ist, und ihre Natur kennen. Die
Behauptung einer relativistischen Sicht dieser Natur stellt die Erziehung, vor allem die moralische
Erziehung, vor ernste Probleme, indem sie ihre erweiterte Bedeutung auf universaler Ebene
beeinträchtigt. Wenn man einem solchen Relativismus nachgibt, werden alle ärmer, was negative
Auswirkungen auch auf die Wirksamkeit der Hilfe für die notleidenden Völker hat, die nicht nur der
wirtschaftlichen und technischen Mittel bedürfen, sondern auch pädagogische Möglichkeiten und
Mittel brauchen, die die Personen in ihrer vollen menschlichen Verwirklichung unterstützen.

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Ein Beispiel für die Bedeutung dieses Problems bietet uns das Phänomen des internationalen
Tourismus,[141] der einen beträchtlichen Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung und das
kulturelle Wachstum darstellen kann, sich aber auch in eine Gelegenheit zu Ausbeutung und
moralischem Verfall verwandeln kann. Die gegenwärtige Situation bietet außergewöhnliche
Möglichkeiten, denn die wirtschaftlichen Aspekte der Entwicklung, das heißt die Geldflüsse und
der Anfang bedeutender unternehmerischer Erfahrungen vor Ort, können sich mit den kulturellen
Aspekten, in erster Linie mit jenem der Bildung, verbinden. In vielen Fällen geschieht dies, aber in
vielen anderen ist der internationale Tourismus ein in erzieherischer Hinsicht verderbliches
Ereignis sowohl für den Touristen als auch für die örtliche Bevölkerung. Letztere wird oft mit
unmoralischem oder sogar perversem Verhalten konfrontiert, wie es beim sogenannten
Sextourismus der Fall ist, dem viele Menschen, selbst in jugendlichem Alter, zum Opfer fallen. Es
ist schmerzlich festzustellen, daß dies sich oft mit Zustimmung der örtlichen Regierungen, mit dem
Schweigen der Regierungen der Herkunftsländer der Touristen und in Komplizenschaft vieler, die
in der Branche tätig sind, abspielt. Auch wenn es nicht zu solchen Auswüchsen kommt, wird der
internationale Tourismus nicht selten als Konsum und in hedonistischer Form gelebt, als Flucht
und unter den für die Herkunftsländer typischen Bedingungen organisiert, so daß eine echte
Begegnung mit den Menschen und der Kultur nicht begünstigt wird. Man muß daher an einen
anderen Tourismus denken, der in der Lage ist, ein echtes gegenseitiges Kennenlernen zu
fördern, ohne der Erholung und dem gesunden Vergnügen Raum wegzunehmen: Ein Tourismus
dieser Art muß – auch dank einer engeren Verbindung der Erfahrung von internationaler
Zusammenarbeit und zugunsten der Entwicklung – gefördert werden.
62. Ein anderer Aspekt, der in bezug auf die ganzheitliche menschliche Entwicklung Beachtung
verdient, ist das Phänomen der Migrationen. Dieses Phänomen erschüttert einen wegen der
Menge der betroffenen Personen, wegen der sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und
religiösen Probleme, die es aufwirft, wegen der dramatischen Herausforderungen, vor die es die
Nationen und die internationale Gemeinschaft stellt. Wir können sagen, daß wir vor einem
sozialen Phänomen epochaler Art stehen, das eine starke und weitblickende Politik der
internationalen Kooperation verlangt, um es in angemessener Weise anzugehen. Eine solche
Politik muß ausgehend von einer engen Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und
Aufnahmeländern der Migranten entwickelt werden; sie muß mit angemessenen internationalen
Bestimmungen einhergehen, die imstande sind, die verschiedenen gesetzgeberischen Ordnungen
in Einklang zu bringen in der Aussicht, die Bedürfnisse und Rechte der ausgewanderten Personen
und Familien sowie zugleich der Zielgesellschaften der Emigranten selbst zu schützen. Kein Land
kann sich allein dazu imstande sehen, den Migrationsproblemen unserer Zeit zu begegnen. Wir
alle sind Zeugen der Last an Leid, Entbehrung und Hoffnung, die mit den Migrationsströmen
einhergeht. Das Phänomen zu steuern ist bekanntermaßen komplex; dennoch steht fest, daß die
Fremdarbeiter trotz der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Integration durch ihre Arbeit
einen bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Gastlandes leisten und darüber
hinaus dank der Geldsendungen auch einen Beitrag zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer
erbringen. Offensichtlich können diese Arbeitnehmer nicht als Ware oder reine Arbeitskraft

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48
angesehen werden. Sie dürfen folglich nicht wie irgendein anderer Produktionsfaktor behandelt
werden. Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als solche unveräußerliche Grundrechte
besitzt, die von allen und in jeder Situation respektiert werden müssen.[142]
63. Bei der Betrachtung der Probleme der Entwicklung kann man nicht anders, als den direkten
Zusammenhang zwischen Armut und Arbeitslosigkeit hervorzuheben. In vielen Fällen sind die
Armen das Ergebnis der Verletzung der Würde der menschlichen Arbeit, da sowohl ihre
Möglichkeiten beschränkt werden (Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung) als auch »die Rechte, die
sich aus ihr ergeben, vor allem das Recht auf angemessene Entlohnung und auf die Sicherheit
der Person des Arbeitnehmers und seiner Familie, entleert werden«.[143] Deswegen hat mein
Vorgänger seligen Angedenkens Johannes Paul II. schon am 1. Mai 2000 anläßlich des Jubiläums
der Arbeiter zu einer »weltweiten Koalition für würdige Arbeit«[144] aufgerufen und dabei die
Strategie der Internationalen Arbeitsorganisation gefördert. Auf diese Weise hat er diesem Ziel als
Bestrebung der Familien in allen Ländern der Welt eine starke moralische Bestätigung verliehen.
Was bedeutet das Wort „Würde“ auf die Arbeit angewandt? Es bedeutet eine Arbeit, die in jeder
Gesellschaft Ausdruck der wesenseigenen Würde jedes Mannes und jeder Frau ist: eine frei
gewählte Arbeit, die die Arbeitnehmer, Männer und Frauen, wirksam an der Entwicklung ihrer
Gemeinschaft teilhaben läßt; eine Arbeit, die auf diese Weise den Arbeitern erlaubt, ohne jede
Diskriminierung geachtet zu werden; eine Arbeit, die es gestattet, die Bedürfnisse der Familie zu
befriedigen und die Kinder zur Schule zu schicken, ohne daß diese selber gezwungen sind zu
arbeiten; eine Arbeit, die den Arbeitnehmern erlaubt, sich frei zu organisieren und ihre Stimme zu
Gehör zu bringen; eine Arbeit, die genügend Raum läßt, um die eigenen persönlichen, familiären
und spirituellen Wurzeln wiederzufinden; eine Arbeit, die den in die Rente eingetretenen
Arbeitnehmern würdige Verhältnisse sichert.
64. Beim Nachdenken über das Thema Arbeit ist auch ein Hinweis auf den dringenden Bedarf
angebracht, daß die Gewerkschaftsorganisationen der Arbeitnehmer, die von der Kirche stets
gefördert und unterstützt wurden, sich den neuen Perspektiven öffnen, die im Bereich der Arbeit
auftauchen. In Überwindung der eigenen Grenzen der kategorialen Gewerkschaften sind die
Gewerkschaftsorganisationen dazu aufgerufen, sich um die neuen Probleme unserer Gesellschaft
zu kümmern: Ich beziehe mich zum Beispiel auf die Gesamtheit der Fragen, die die
Sozialwissenschaftler im Konflikt zwischen Arbeitnehmer und Konsument ermitteln. Ohne
notwendigerweise die These eines erfolgten Übergangs von der zentralen Rolle des Arbeiters zu
der des Konsumenten vertreten zu müssen, scheint es jedenfalls, daß auch das ein Gebiet für
innovative Gewerkschaftserfahrungen ist. Der globale Rahmen, in dem die Arbeit ausgeübt wird,
verlangt auch, daß die nationalen Gewerkschaftsorganisationen, die sich vorwiegend auf die
Verteidigung der Interessen der eigenen Mitglieder beschränken, den Blick ebenso auf die
Nichtmitglieder richten und insbesondere auf die Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern, wo die
Sozialrechte oft verletzt werden. Die Verteidigung dieser Erwerbstätigen, die auch durch
geeignete Initiativen gegenüber ihren Herkunftsländern gefördert wird, erlaubt den
Gewerkschaftsorganisationen, die echten ethischen und kulturellen Gründe hervorzuheben, die es

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49
ihnen unter anderen sozialen und Arbeitszusammenhängen gestattet haben, ein entscheidender
Faktor für die Entwicklung zu sein. Stets bleibt die traditionelle Lehre der Kirche gültig, die eine
Rollen- und Aufgabenunterscheidung von Gewerkschaft und Politik vorschlägt. Diese
Unterscheidung erlaubt den Gewerkschaftsorganisationen, in der Zivilgesellschaft jenen Bereich
herauszufinden, der am meisten ihrer Tätigkeit entspricht, für die notwendige Verteidigung und
Förderung der Arbeitswelt vor allem zugunsten der ausgebeuteten und nicht vertretenen
Arbeitnehmer Sorge zu tragen, deren bittere Lage dem zerstreuten Blick der Gesellschaft oft
entgeht.
65. Ferner bedarf das Finanzwesen als solches einer notwendigen Erneuerung der Strukturen und
Bestimmungen seiner Funktionsweisen, deren schlechte Anwendung die Realwirtschaft zuvor
geschädigt hat. Auf diese Weise kann es dann wieder ein auf die bessere Vermögensschaffung
und auf die Entwicklung zielgerichtetes Instrument werden. Die ganze Wirtschaft und das ganze
Finanzwesen – nicht nur einige ihrer Bereiche – müssen nach ethischen Maßstäben als
Werkzeuge gebraucht werden, so daß sie angemessene Bedingungen für die Entwicklung des
Menschen und der Völker schaffen. Es ist gewiß nützlich und unter manchen Umständen
unerläßlich, Finanzinitiativen ins Leben zu rufen, bei denen die humanitäre Dimension vorherrscht.
Dies darf aber nicht vergessen lassen, daß das Finanzsystem insgesamt auf die Unterstützung
einer echten Entwicklung zielgerichtet sein muß. Vor allem darf die Absicht, Gutes zu tun, nicht
der Intention nach der tatsächlichen Güterproduktionskapazität gegenübergestellt werden. Die
Finanzmakler müssen die eigentlich ethische Grundlage ihrer Tätigkeit wieder entdecken, um
nicht jene hoch entwickelten Instrumente zu mißbrauchen, die dazu dienen können, die Sparer zu
betrügen. Redliche Absicht, Transparenz und die Suche nach guten Ergebnissen sind miteinander
vereinbar und dürfen nie voneinander gelöst werden. Wenn die Liebe klug ist, kann sie auch die
Mittel finden, um gemäß einer weitblickenden und gerechten Wirtschaftlichkeit zu handeln, wie
viele Erfahrungen auf dem Gebiet der Kreditgenossenschaften deutlich unterstreichen.
Sowohl eine Regulierung des Bereichs, welche die schwächeren Subjekte absichert und
skandalöse Spekulationen verhindert, als auch der Versuch neuer Finanzformen, die zur
Förderung von Entwicklungsprojekten bestimmt sind, bedeuten positive Erfahrungen, die vertieft
und gefördert werden müssen und zugleich an die Eigenverantwortung des Sparers appellieren.
Auch die Erfahrung des Mikrofinanzwesens, das seine eigenen Wurzeln in den Überlegungen und
Werken der bürgerlichen Humanisten hat – ich denke vor allem an das Entstehen der Leihhäuser
–, muß bestärkt und ausgearbeitet werden, besonders in diesen Momenten, in denen die
Finanzprobleme für viele verwundbarere Teile der Bevölkerung, die vor den Risiken von Wucher
oder vor der Hoffnungslosigkeit geschützt werden müssen, dramatisch werden können. Die
schwächeren Subjekte müssen angeleitet werden, sich vor dem Wucher zu verteidigen. Ebenso
sind die armen Völker darin zu schulen, realen Nutzen aus dem Mikrokredit zu ziehen. Auf diese
Weise werden die Möglichkeiten von Ausbeutung in diesen zwei Bereichen gebremst. Da es auch
in den reichen Ländern neue Formen von Armut gibt, kann das Mikrofinanzwesen Hilfen geben,
neue Initiativen und Bereiche zugunsten der schwachen Gesellschaftsschichten selbst in Phasen

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einer möglichen Verarmung der Gesellschaft zu schaffen.
66. Die weltweite Vernetzung hat eine neue politische Macht aufsteigen lassen, und zwar jene der
Konsumenten und ihrer Verbände. Es handelt sich um ein Phänomen, das eingehend zu studieren
ist, weil es positive Elemente enthält, die gefördert werden müssen, wie auch Übertreibungen, die
zu vermeiden sind. Es ist gut, daß sich die Menschen bewußt werden, daß das Kaufen nicht nur
ein wirtschaftlicher Akt, sondern immer auch eine moralische Handlung ist. Die Konsumenten
haben daher eine klare soziale Verantwortung, die mit der sozialen Verantwortung des
Unternehmens einhergeht. Sie müssen ständig zu der Rolle erzogen werden,[145] die sie täglich
ausüben und die sie in der Achtung vor den moralischen Grundsätzen ausführen können, ohne
die eigene wirtschaftliche Vernünftigkeit des Kaufakts herabzusetzen. Gerade in Zeiten wie denen,
die wir erleben, in denen die Kaufkraft sich verringern könnte und man sich beim Konsum
mäßigen sollte, ist es auch im Bereich des Erwerbs notwendig, andere Wege zu beschreiten, wie
zum Beispiel die Formen von Einkaufskooperativen wie die Konsumgenossenschaften, die seit
dem neunzehnten Jahrhundert auch dank der Initiative von Katholiken tätig sind. Ferner ist es
nützlich, neue Formen der Vermarktung von Produkten, die aus unterdrückten Gebieten der Erde
stammen, zu fördern, um den Erzeugern einen annehmbaren Lohn zu sichern unter der
Bedingung, daß es sich wirklich um einen transparenten Markt handelt, daß die Erzeuger nicht nur
eine höhere Gewinnspanne, sondern auch eine bessere Ausbildung, Professionalität und
Technologie erhalten und daß sich schließlich mit solchen Wirtschaftserfahrungen für die
Entwicklung nicht parteiideologische Ansichten verbinden. Eine wirksamere Rolle der
Verbraucher, wenn diese selbst nicht von Verbänden manipuliert werden, die sie nicht wirklich
vertreten, ist als Faktor einer wirtschaftlichen Demokratie wünschenswert.
67. Gegenüber der unaufhaltsamen Zunahme weltweiter gegenseitiger Abhängigkeit wird gerade
auch bei einer ebenso weltweit anzutreffenden Rezession stark die Dringlichkeit einer Reform
sowohl der Organisation der Vereinten Nationen als auch der internationalen Wirtschafts- und
Finanzgestaltung empfunden, damit dem Konzept einer Familie der Nationen reale und konkrete
Form gegeben werden kann. Desgleichen wird als dringlich gesehen, innovative Formen zu
finden, um das Prinzip der Schutzverantwortung[146] anzuwenden und um auch den ärmeren
Nationen eine wirksame Stimme in den gemeinschaftlichen Entscheidungen zuzuerkennen. Dies
scheint gerade im Hinblick auf eine politische, rechtliche und wirtschaftliche Ordnung notwendig,
die die internationale Zusammenarbeit auf die solidarische Entwicklung aller Völker hin fördert und
ausrichtet. Um die Weltwirtschaft zu steuern, die von der Krise betroffenen Wirtschaften zu
sanieren, einer Verschlimmerung der Krise und sich daraus ergebenden Ungleichgewichten
vorzubeugen, um eine geeignete vollständige Abrüstung zu verwirklichen, sowie
Ernährungssicherheit und Frieden zu verwirklichen, den Umweltschutz zu gewährleisten und die
Migrationsströme zu regulieren, ist das Vorhandensein einer echten politischen Weltautorität, wie
sie schon von meinem Vorgänger, dem seligen Papst Johannes XXIII., angesprochen wurde,
dringend nötig. Eine solche Autorität muß sich dem Recht unterordnen, sich auf konsequente
Weise an die Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität halten, auf die Verwirklichung des

6 Pages 51-60

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6.1 Page 51

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51
Gemeinwohls hingeordnet sein,[147] sich für die Verwirklichung einer echten ganzheitlichen
menschlichen Entwicklung einsetzen, die sich von den Werten der Liebe in der Wahrheit
inspirieren läßt. Darüber hinaus muß diese Autorität von allen anerkannt sein, über wirksame
Macht verfügen, um für jeden Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu
gewährleisten.[148] Offensichtlich muß sie die Befugnis besitzen, gegenüber den Parteien den
eigenen Entscheidungen wie auch den in den verschiedenen internationalen Foren getroffenen
abgestimmten Maßnahmen Beachtung zu verschaffen. In Ermangelung dessen würde nämlich
das internationale Recht trotz der großen Fortschritte, die auf den verschiedenen Gebieten erzielt
worden sind, Gefahr laufen, vom Kräftegleichgewicht der Stärkeren bestimmt zu werden. Die
ganzheitliche Entwicklung der Völker und die internationale Zusammenarbeit erfordern, daß eine
übergeordnete Stufe internationaler Ordnung von subsidiärer Art für die Steuerung der
Globalisierung errichtet wird[149] und daß eine der moralischen Ordnung entsprechende
Sozialordnung sowie jene Verbindung zwischen moralischem und sozialem Bereich, zwischen
Politik und wirtschaftlichem und zivilem Bereich, die schon in den Statuten der Vereinten Nationen
dargelegt wurde, endlich verwirklicht werden.
SECHSTES KAPITEL
DIE ENTWICKLUNG DER VÖLKER UND DIE TECHNIK
68. Das Thema der Entwicklung der Völker ist eng mit dem der Entwicklung jedes einzelnen
Menschen verbunden. Der Mensch ist von seiner Natur aus in dynamischer Weise auf die eigene
Entwicklung ausgerichtet. Dabei handelt es sich nicht um eine von natürlichen Mechanismen
gewährleistete Entwicklung, denn jeder von uns weiß, daß er imstande ist, freie und
verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Es handelt sich auch nicht um eine Entwicklung,
die unserer Willkür überlassen ist, da wir alle wissen, daß wir Geschenk sind und nicht Ergebnis
einer Selbsterzeugung. Die Freiheit ist in uns ursprünglich von unserem Sein und dessen Grenzen
bestimmt. Niemand formt eigenmächtig das eigene Bewußtsein, sondern alle bauen das eigene
„Ich“ auf der Grundlage eines „Selbst“ auf, das uns gegeben ist. Wir können über andere
Menschen und auch über uns selbst nicht verfügen. Die Entwicklung des Menschen verkommt,
wenn er sich anmaßt, sein eigener und einziger Hervorbringer zu sein. Ähnlich gerät die
Entwicklung der Völker aus den Bahnen, wenn die Menschheit meint, sich wiedererschaffen zu
können, wenn sie sich der „Wunder“ der Technik bedient. So wie sich die wirtschaftliche
Entwicklung als trügerisch und schädlich herausstellt, wenn sie sich den „Wundern“ der
Finanzwelt anvertraut, um ein unnatürliches und konsumorientiertes Wachstum zu unterstützen.
Gegenüber dieser prometheischen Anmaßung müssen wir die Liebe zu einer Freiheit stärken, die
nicht willkürlich ist, sondern durch die Anerkennung des ihr vorausgehenden Guten menschlicher
geworden ist. Dazu muß der Mensch wieder zu sich kommen, um die Grundnormen des
natürlichen Sittengesetzes zu erkennen, das Gott ihm ins Herz geschrieben hat.

6.2 Page 52

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52
69. Das Problem der Entwicklung ist heute eng mit dem technologischen Fortschritt und mit
dessen erstaunlichen Anwendungen im Bereich der Biologie verbunden. Die Technik – das sei
hier unterstrichen – ist eine zutiefst menschliche Erscheinung, die an die Autonomie und Freiheit
des Menschen geknüpft ist. In der Technik kommt zum Ausdruck und bestätigt sich die Herrschaft
des Geistes über die Materie. »Der Geist des Menschen kann sich, von der Versklavung unter die
Sachwelt befreit, ungehinderter zur Kontemplation und Anbetung des Schöpfers erheben«.[150]
Die Technik gestattet es, die Materie zu beherrschen, die Risiken zu verringern, Mühe zu sparen,
die Lebensbedingungen zu verbessern. Sie entspricht der eigentlichen Berufung der
menschlichen Arbeit: In der Technik, die als Werk seines Geistes gesehen wird, erkennt der
Mensch sich selbst und verwirklicht das eigene Menschsein. Die Technik ist der objektive Aspekt
der menschlichen Arbeit,[151] deren Ursprung und Daseinsberechtigung im subjektiven Element
liegt: dem arbeitenden Menschen. Darum ist die Technik niemals nur Technik. Sie zeigt den
Menschen und sein Streben nach Entwicklung, sie ist Ausdruck der Spannung des menschlichen
Geistes bei der schrittweisen Überwindung gewisser materieller Bedingtheiten. Die Technik fügt
sich daher in den Auftrag ein, »die Erde zu bebauen und zu hüten« (vgl. Gen 2, 15), den Gott dem
Menschen erteilt hat, und muß darauf ausgerichtet sein, jenen Bund zwischen Mensch und
Umwelt zu stärken, der Spiegel der schöpferischen Liebe Gottes sein soll.
70. Die technologische Entwicklung kann zur Idee verleiten, daß sich die Technik selbst genügt,
wenn der Mensch sich nur die Frage nach dem Wie stellt und die vielen Warum unbeachtet läßt,
von denen er zum Handeln angespornt wird. Das ist der Grund dafür, daß die Technik ein
zwiespältiges Gesicht annimmt. Da sie aus der menschlichen Kreativität als dem Werkzeug der
Freiheit der Person hervorgegangen ist, kann die Technik als Element absoluter Freiheit
verstanden werden, jener Freiheit, die von den Grenzen absehen will, die die Dinge in sich tragen.
Der Globalisierungsprozeß könnte die Ideologien durch die Technik ersetzen,[152] die selbst zu
einer ideologischen Macht geworden ist und die Menschheit der Gefahr aussetzt, sich in einem
Apriori eingeschlossen zu finden, aus dem sie nicht ausbrechen kann, um dem Sein und der
Wahrheit zu begegnen. In diesem Fall würden wir alle unsere Lebensumstände innerhalb eines
technokratischen Kulturhorizonts, dem wir strukturell angehören würden, erkennen, einschätzen
und bestimmen, ohne je einen Sinn finden zu können, den wir nicht selbst erzeugt haben. Diese
Vorstellung macht heute die technizistische Mentalität so stark, daß sie das Wahre mit dem
Machbaren zusammenfallen läßt. Wenn aber die Effizienz und der Nutzen das einzige Kriterium
der Wahrheit sind, wird automatisch die Entwicklung geleugnet. Denn die echte Entwicklung
besteht nicht in erster Linie im Tun. Schlüssel der Entwicklung ist ein Verstand, der in der Lage ist,
die Technik zu durchdenken und den zutiefst menschlichen Sinn des Tuns des Menschen im
Sinnhorizont der in der Gesamtheit ihres Seins genommenen Person zu erfassen. Auch wenn der
Mensch durch einen Satelliten oder einen ferngesteuerten elektronischen Impuls tätig ist, bleibt
sein Tun immer menschlich, Ausdruck verantwortlicher Freiheit. Die Technik wirkt auf den
Menschen sehr anziehend, weil sie ihn den physischen Beschränkungen entreißt und seinen
Horizont erweitert. Aber die menschliche Freiheit ist nur dann im eigentlichen Sinn sie selbst,
wenn sie auf den Zauber der Technik mit Entscheidungen antwortet, die Frucht moralischer

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53
Verantwortung sind. Daraus ergibt sich die Dringlichkeit einer Erziehung zur sittlichen
Verantwortung im Umgang mit der Technik. Ausgehend von der Faszination, die die Technik auf
den Menschen ausübt, muß man den wahren Sinn der Freiheit wiedergewinnen, die nicht in der
Trunkenheit einer totalen Autonomie besteht, sondern in der Antwort auf den Aufruf des Seins,
angefangen bei dem Sein, das wir selbst sind.
71. Dieses mögliche Abweichen der technischen Denkweise von ihrem ursprünglichen
humanistischen Lauf ist heute in den Phänomenen der Technisierung sowohl der Entwicklung wie
des Friedens offenkundig. Häufig wird die Entwicklung der Völker als eine Frage der
Finanzierungstechnik, der Öffnung der Märkte, der Zollsenkung, der Produktionsinvestitionen, der
institutionellen Reformen – letztlich als eine rein technische Frage gesehen. Alle diese Bereiche
sind äußerst wichtig, aber man muß sich fragen, warum die Entscheidungen technischer Art bis
jetzt nur einigermaßen funktioniert haben. Der Grund dafür muß tiefer gesucht werden. Die
Entwicklung wird niemals von gleichsam automatischen und unpersönlichen Kräften – seien es
jene des Marktes oder jene der internationalen Politik – vollkommen garantiert werden. Ohne
rechtschaffene Menschen, ohne Wirtschaftsfachleute und Politiker, die in ihrem Gewissen den
Aufruf zum Gemeinwohl nachdrücklich leben, ist die Entwicklung nicht möglich. Sowohl die
berufliche Vorbereitung wie die moralische Konsequenz sind vonnöten. Wenn sich die
Verabsolutierung der Technik durchsetzt, kommt es zu einer Verwechslung von Zielen und Mitteln;
der Unternehmer wird als einziges Kriterium für sein Handeln den höchsten Gewinn der
Produktion ansehen; der Politiker die Festigung der Macht; der Wissenschaftler das Ergebnis
seiner Entdeckungen. So geschieht es, daß oft unter dem Netz der Wirtschafts-, Finanz- oder
politischen Beziehungen Unverständnis, Unbehagen und Ungerechtigkeiten weiterbestehen; die
Ströme technischen Fachwissens vervielfachen sich, allerdings zum Vorteil ihrer Eigentümer,
während die tatsächliche Situation der Völker, die jenseits und fast immer im Schatten dieser
Ströme leben, weiter unverändert und ohne reale Emanzipationsmöglichkeiten bleibt.
72. Auch der Friede läuft mitunter Gefahr, als ein technisches Produkt – lediglich als Ergebnis von
Abkommen zwischen Regierungen oder von Initiativen zur Sicherstellung effizienter
Wirtschaftshilfen – betrachtet zu werden. Es stimmt, daß der Aufbau des Friedens das ständige
Knüpfen diplomatischer Kontakte, wirtschaftlichen und technologischen Austausch, kulturelle
Begegnungen, Abkommen über gemeinsame Vorhaben ebenso erfordert wie die Übernahme
gemeinsam geteilter Verpflichtungen, um kriegerische Bedrohungen einzudämmen und die
regelmäßig wiederkehrenden terroristischen Versuchungen an der Wurzel freizulegen. Damit
diese Bemühungen dauerhafte Wirkungen hervorbringen können, müssen sie sich allerdings auf
Werte stützen können, die in der Wahrheit des Lebens verwurzelt sind. Das heißt, man muß die
Stimme der betreffenden Bevölkerung hören und sich ihre Lage anschauen, um ihre Erwartungen
entsprechend zu deuten. Hier muß man sich sozusagen ständig in eine Linie mit der anonym
geleisteten Anstrengung so vieler Menschen stellen, die sich sehr dafür engagieren, die
Begegnung zwischen den Völkern zu fördern und die Entwicklung ausgehend von Liebe und
gegenseitigem Verständnis zu begünstigen. Unter diesen Personen sind auch gläubige Christen,

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die an der großen Aufgabe beteiligt sind, der Entwicklung und dem Frieden einen vollauf
menschlichen Sinn zu geben.
73. Mit der technologischen Entwicklung verbunden ist die gestiegene Verbreitung der sozialen
Kommunikationsmittel. Es ist bereits fast unmöglich, sich die Existenz der menschlichen Familie
ohne sie vorzustellen. Im guten wie im bösen sind sie dermaßen im Leben der Welt präsent, daß
die Einstellung derjenigen, die die Neutralität der sozialen Kommunikationsmittel behaupten und
daher ihre Autonomie in bezug auf die die Menschen betreffende Moral fordern, wirklich absurd
erscheint. Derartige Sichtweisen, die die strikt technische Natur der Medien nachdrücklich
betonen, begünstigen tatsächlich oft ihre Unterordnung unter das wirtschaftliche Kalkül, unter die
Absicht, die Märkte zu beherrschen, und nicht zuletzt unter das Verlangen, kulturelle Parameter
aufzuerlegen, die Projekten ideologischer und politischer Macht dienen. Angesichts ihrer
fundamentalen Bedeutung bei der Bestimmung von Veränderungen in der Art und Weise, wie die
Wirklichkeit und die menschliche Person selbst wahrgenommen und kennengelernt wird, wird ein
aufmerksames Nachdenken über ihren Einfluß besonders gegenüber der ethisch-kulturellen
Dimension der Globalisierung und der solidarischen Entwicklung der Völker notwendig.
Entsprechend dem, was von einem korrekten Umgang mit der Globalisierung und Entwicklung
gefordert wird, müssen Sinn und Zielsetzung der Medien auf anthropologischer Grundlage
gesucht werden. Das heißt, daß sie nicht nur dann Gelegenheit zur Humanisierung werden
können, wenn sie dank der technologischen Entwicklung größere Kommunikations- und
Informationsmöglichkeiten bieten, sondern vor allem dann, wenn sie im Licht eines Bildes vom
Menschen und vom Gemeinwohl, das deren universale Bedeutung widerspiegelt, organisiert und
ausgerichtet werden. Die sozialen Kommunikationsmittel begünstigen weder die Freiheit noch
globalisieren sie die Entwicklung und die Demokratie für alle einfach deshalb, weil sie die
Möglichkeiten der Verbindung und Zirkulation von Ideen vervielfachen. Um solche Ziele zu
erreichen, müssen sie auf die Förderung der Würde der Menschen und der Völker ausgerichtet
sein, ausdrücklich von der Liebe beseelt sein und im Dienst der Wahrheit, des Guten sowie der
natürlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit stehen. In der Menschheit ist die Freiheit nämlich
mit diesen höheren Werten innerlich verbunden. Die Medien können eine wertvolle Hilfe
darstellen, um die Gemeinschaft der menschlichen Familie und das Ethos der Gesellschaften
wachsen zu lassen, wenn sie Werkzeuge zur Förderung der allgemeinen Teilnahme an der
gemeinsamen Suche nach dem, was gerecht ist, werden.
74. Der wichtigste und entscheidende Bereich der kulturellen Auseinandersetzung zwischen dem
Absolutheitsanspruch der Technik und der moralischen Verantwortung des Menschen ist heute
die Bioethik, wo auf radikale Weise die Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung
selbst auf dem Spiel steht. Es handelt sich um einen äußerst heiklen und entscheidenden Bereich,
in dem mit dramatischer Kraft die fundamentale Frage auftaucht, ob sich der Mensch selbst
hervorgebracht hat oder ob er von Gott abhängt. Die wissenschaftlichen Entdeckungen auf
diesem Gebiet und die Möglichkeiten technischer Eingriffe scheinen so weit vorangekommen zu
sein, daß sie uns vor die Wahl zwischen den zwei Arten der Rationalität stellen: die auf

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Transzendenz hin offene Vernunft oder die in der Immanenz eingeschlossene Vernunft. Man steht
also vor einem entscheidenden Entweder-Oder. Die Rationalität des auf sich selbst zentrierten
technischen Machens erweist sich jedoch als irrational, weil sie eine entschiedene Ablehnung von
Sinn und Wert mit sich bringt. Nicht zufällig prallen das Sich-Verschließen gegenüber der
Transzendenz und die Schwierigkeit zu denken, wie aus dem Nichts das Sein hervorgegangen
und wie aus dem Zufall der Verstand entstanden sein soll, aufeinander.[153] Angesichts dieser
dramatischen Probleme helfen sich Vernunft und Glaube gegenseitig. Nur gemeinsam werden sie
den Menschen retten. Die vom reinen technischen Tun gefesselte Vernunft ist ohne den Glauben
dazu verurteilt, sich in der Illusion der eigenen Allmacht zu verlieren. Der Glaube ist ohne die
Vernunft der Gefahr der Entfremdung vom konkreten Leben der Menschen ausgesetzt.[154]
75. Schon Papst Paul VI. hatte den weltweiten Horizont der sozialen Frage erkannt und auf ihn
hingewiesen.[155] Wenn man ihm auf diesem Weg folgt, muß man heute feststellen, daß die
soziale Frage in radikaler Weise zu einer anthropologischen Frage geworden ist, insofern sie die
Möglichkeit selbst beinhaltet, das Leben, das von den Biotechnologien immer mehr in die Hände
des Menschen gelegt wird, nicht nur zu verstehen, sondern auch zu manipulieren. In der heutigen
Kultur der totalen Ernüchterung, die glaubt, alle Geheimnisse aufgedeckt zu haben, weil man
bereits an die Wurzel des Lebens gelangt ist, kommt es zur Entwicklung und Förderung von In-
vitro-Fertilisation, Embryonenforschung, Möglichkeiten des Klonens und der Hybridisierung des
Menschen. Hier findet der Absolutheitsanspruch der Technik seinen massivsten Ausdruck. In
dieser Art von Kultur ist das Gewissen nur dazu berufen, eine rein technische Möglichkeit zur
Kenntnis zu nehmen. Man kann jedoch nicht die beunruhigenden Szenarien für die Zukunft des
Menschen und die neuen mächtigen Instrumente, die der »Kultur des Todes« zur Verfügung
stehen, bagatellisieren. Zur verbreiteten tragischen Plage der Abtreibung könnte in Zukunft – aber
insgeheim bereits jetzt schon in nuce vorhanden – eine systematische eugenische
Geburtenplanung hinzukommen. Auf der entgegengesetzten Seite wird einer mens euthanasica
der Weg bereitet, einem nicht weniger mißbräuchlichen Ausdruck der Herrschaft über das Leben,
das unter bestimmten Bedingungen als nicht mehr lebenswert betrachtet wird. Hinter diesen
Szenarien stehen kulturelle Auffassungen, welche die menschliche Würde leugnen. Diese
Praktiken sind ihrerseits dazu bestimmt, eine materielle und mechanistische Auffassung vom
menschlichen Leben zu nähren. Wer wird die negativen Auswirkungen einer solchen Mentalität
auf die Entwicklung ermessen können? Wie wird man sich noch über die Gleichgültigkeit
gegenüber den Situationen menschlichen Verfalls wundern können, wenn die Gleichgültigkeit
sogar unsere Haltung gegenüber dem, was menschlich ist oder nicht, kennzeichnet? Es
verwundert einen die willkürliche Selektivität all dessen, was heute als achtenswert vorgeschlagen
wird. Während viele gleich bereit sind, sich über Nebensächlichkeiten zu entrüsten, scheinen sie
unerhörte Ungerechtigkeiten zu tolerieren. Während die Armen der Welt noch immer an die Türen
der Üppigkeit klopfen, läuft die reiche Welt Gefahr, wegen eines Gewissens, das bereits unfähig
ist, das Menschliche zu erkennen, jene Schläge an ihre Tür nicht mehr zu hören. Gott enthüllt dem
Menschen den Menschen; die Vernunft und der Glaube arbeiten zusammen, ihm das Gute zu
zeigen, wenn er es nur sehen wollte; das Naturrecht, in dem die schöpferische Vernunft

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aufscheint, zeigt die Größe des Menschen auf, aber auch sein Elend, wenn er den Ruf der
moralischen Wahrheit nicht annimmt.
76. Einer der Aspekte des modernen technisierten Geistes besteht in der Neigung, die mit dem
Innenleben verbundenen Fragen und Regungen nur unter einem psychologischen Gesichtspunkt
bis hin zum neurologischen Reduktionismus zu betrachten. Die Innerlichkeit des Menschen wird
so entleert, und das Bewußtsein von der ontologischen Beschaffenheit der menschlichen Seele
mit ihren Tiefen, die die Heiligen auszuloten wußten, geht allmählich verloren. Die Frage der
Entwicklung ist auch mit unserer Auffassung von der Seele des Menschen eng verbunden, da
unser Ich oft auf die Psyche reduziert wird und die Gesundheit der Seele mit dem emotionalen
Wohlbefinden verwechselt wird. Diesen Verkürzungen liegt ein tiefes Unverständnis des
geistlichen Lebens zugrunde. Sie führen dazu, nicht anerkennen zu wollen, daß die Entwicklung
des Menschen und der Völker jedoch auch von der Lösung von Problemen geistlicher Art
abhängt. Die Entwicklung muß außer dem materiellen auch ein geistig-geistliches Wachstum
umfassen, weil der Mensch eine »Einheit aus Seele und Leib«[156] ist, geboren von der
schöpferischen Liebe Gottes und zum ewigen Leben bestimmt. Der Mensch entwickelt sich, wenn
er im Geist wächst, wenn seine Seele sich selbst und die Wahrheiten erkennt, die Gott ihr
keimhaft eingeprägt hat, wenn er mit sich selbst und mit seinem Schöpfer redet. Fern von Gott ist
der Mensch unstet und krank. Die soziale und psychologische Entfremdung und die vielen
Neurosen, die für die reichen Gesellschaften kennzeichnend sind, verweisen auch auf Ursachen
geistlicher Natur. Eine materiell entwickelte, aber für die Seele bedrückende
Wohlstandsgesellschaft ist an und für sich nicht auf echte Entwicklung ausgerichtet. Die neuen
Formen der Knechtschaft der Droge und die Verzweiflung, in die viele Menschen geraten, finden
nicht nur eine soziologische und psychologische, sondern eine im wesentlichen geistliche
Erklärung. Die Leere, der sich die Seele trotz vieler Therapien für Leib und Psyche überlassen
fühlt, ruft Leiden hervor. Es gibt keine vollständige Entwicklung und kein universales Gemeinwohl
ohne das geistliche und moralische Wohl der in ihrer Gesamtheit von Seele und Leib gesehenen
Personen.
77. Der Absolutheitsanspruch der Technik neigt dazu, eine Unfähigkeit entstehen zu lassen, das
wahrzunehmen, was sich nicht mit der bloßen Materie erklären läßt. Und doch erfahren alle
Menschen so viele immaterielle und geistige Aspekte ihres Lebens. Erkennen ist nicht ein nur
materieller Akt, weil das Erkannte immer etwas verbirgt, was über die empirische Gegebenheit
hinausgeht. Jede Erkenntnis, auch die einfachste, ist immer ein kleines Wunder, weil sie sich mit
den materiellen Mitteln, die wir anwenden, nie vollständig erklären läßt. In jeder Wahrheit steckt
mehr, als wir selbst es uns erwartet hätten, in der Liebe, die wir empfangen, ist immer etwas für
uns Überraschendes. Wir sollten niemals aufhören, angesichts dieser Wunder zu staunen. In jeder
Erkenntnis und in jeder Liebeshandlung erlebt die Seele des Menschen ein »Mehr«, das sehr
einer empfangenen Gabe gleicht, einer Erhabenheit, zu der wir uns erhöht fühlen. Auch die
Entwicklung des Menschen und der Völker steht auf einer ähnlichen Höhe, wenn wir die geistige
Dimension betrachten, die diese Entwicklung notwendigerweise kennzeichnen muß, damit sie

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echt sein kann. Sie erfordert neue Augen und ein neues Herz, die imstande sind, die
materialistische Sicht der menschlichen Geschehnisse zu überwinden und in der Entwicklung ein
„darüber hinaus“ zu sehen, das die Technik nicht geben kann. Auf diesem Weg wird es möglich
sein, jene ganzheitliche menschliche Entwicklung fortzusetzen, die ihr Orientierungskriterium in
der Antriebskraft der Liebe in der Wahrheit hat.
SCHLUSS
78. Ohne Gott weiß der Mensch nicht, wohin er gehen soll, und vermag nicht einmal zu begreifen,
wer er ist. Angesichts der enormen Probleme der Entwicklung der Völker, die uns fast zur
Mutlosigkeit und zum Aufgeben drängen, kommt uns das Wort des Herrn Jesus Christus zu Hilfe,
der uns wissen läßt: »Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen« (Joh 15, 5) und uns ermutigt:
»Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28, 20). Angesichts der Arbeitsfülle, die zu
bewältigen ist, werden wir im Glauben an die Gegenwart Gottes aufrechterhalten an der Seite
derer, die sich in seinem Namen zusammentun und für die Gerechtigkeit arbeiten. Papst Paul VI.
hat uns in Populorum progressio daran erinnert, daß der Mensch nicht in der Lage ist, seinen
Fortschritt allein zu betreiben, weil er nicht von sich aus einen echten Humanismus begründen
kann. Nur wenn wir daran denken, daß wir als einzelne und als Gemeinschaft dazu berufen sind,
als seine Kinder zur Familie Gottes zu gehören, werden wir auch dazu fähig sein, ein neues
Denken hervorzubringen und neue Kräfte im Dienst eines echten ganzheitlichen Humanismus zu
entfalten. Die große Kraft im Dienst der Entwicklung ist daher ein christlicher Humanismus,[157]
der die Liebe belebt und sich von der Wahrheit leiten läßt, indem er die eine und die andere als
bleibende Gabe Gottes empfängt. Die Verfügbarkeit gegenüber Gott öffnet uns zur Verfügbarkeit
gegenüber den Brüdern und gegenüber einem Leben, das als solidarische und frohe Aufgabe
verstanden wird. Umgekehrt stellen die ideologische Verschlossenheit gegenüber Gott und der
Atheismus der Gleichgültigkeit, die den Schöpfer vergessen und Gefahr laufen, auch die
menschlichen Werte zu vergessen, heute die größten Hindernisse für die Entwicklung dar. Der
Humanismus, der Gott ausschließt, ist ein unmenschlicher Humanismus. Nur ein für das Absolute
offener Humanismus kann uns bei der Förderung und Verwirklichung von sozialen und zivilen
Lebensformen – im Bereich der Strukturen, der Einrichtungen, der Kultur, des Ethos – leiten,
indem er uns vor der Gefahr bewahrt, zu Gefangenen von Moden des Augenblicks zu werden. Es
ist das Wissen um die unzerstörbare Liebe Gottes, das uns in dem mühsamen und erhebenden
Einsatz für die Gerechtigkeit und für die Entwicklung der Völker zwischen Erfolgen und
Mißerfolgen in der unablässigen Verfolgung rechter Ordnungen für die menschlichen
Angelegenheiten unterstützt. Die Liebe Gottes ruft uns zum Aussteigen aus allem, was begrenzt
und nicht endgültig ist; sie macht uns Mut, weiter zu arbeiten in der Suche nach dem Wohl für alle,
auch wenn es sich nicht sofort verwirklichen läßt, auch wenn das, was uns zu verwirklichen gelingt
– uns und den politischen Autoritäten und Wirtschaftsfachleuten –, stets weniger ist als das, was
wir anstreben.[158] Gott gibt uns die Kraft, zu kämpfen und aus Liebe für das gemeinsame Wohl

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zu leiden, weil er unser Alles, unsere größte Hoffnung ist.
79. Die Entwicklung braucht Christen, die die Arme zu Gott erheben in der Geste des Gebets,
Christen, die von dem Bewußtsein getragen sind, daß die von Wahrheit erfüllte Liebe, caritas in
veritate, von der die echte Entwicklung ausgeht, nicht unser Werk ist, sondern uns geschenkt wird.
Darum müssen wir auch in den schwierigsten und kompliziertesten Angelegenheiten nicht nur
bewußt reagieren, sondern uns vor allem auf seine Liebe beziehen. Die Entwicklung beinhaltet
Aufmerksamkeit für das geistliche Leben, ernsthafte Beachtung der Erfahrungen des
Gottvertrauens, der geistlichen Brüderlichkeit in Christus, des Sich-Anvertrauens an die göttliche
Vorsehung und Barmherzigkeit, der Liebe und Vergebung, des Selbstverzichts, der Annahme des
Nächsten, der Gerechtigkeit und des Friedens. Das alles ist unverzichtbar, um die »Herzen von
Stein« in »Herzen von Fleisch« zu verwandeln (Ez 36, 26), um so das Leben auf der Erde
„göttlich“ und damit menschenwürdiger zu machen. Das alles gehört dem Menschen, weil der
Mensch Subjekt seiner Existenz ist; und zugleich gehört es Gott, weil Gott am Anfang und am
Ende von all dem steht, was gilt und erlöst: »Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft: alles
gehört euch; ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott« (1 Kor 3, 22-23). Das tiefe
Verlangen des Christen ist, daß die ganze menschliche Familie Gott als »Vater unser!« anrufen
kann. Zusammen mit dem Eingeborenen Sohn können alle Menschen lernen, zum Vater zu beten
und ihn mit den Worten, die Jesus selbst uns gelehrt hat, zu bitten, ihn heiligen zu können, wenn
sie nach seinem Willen leben, und dann das nötige tägliche Brot zu haben sowie Verständnis und
Großzügigkeit gegenüber den Schuldigern, nicht zu sehr auf die Probe gestellt und vom Bösen
befreit zu werden (vgl. Mt 6, 9-13).
Zum Abschluß des Paulusjahres möchte ich diesen Wunsch mit den Worten des Apostels aus
dem Brief an die Römer zum Ausdruck bringen: »Eure Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das
Böse, haltet fest am Guten! Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in
gegenseitiger Achtung« (12, 9-10). Die Jungfrau Maria, die von Papst Paul VI. zur Mater Ecclesiae
erklärt wurde und vom christlichen Volk als Speculum iustitiae und Regina pacis verehrt wird,
beschütze uns und erhalte uns durch ihre himmlische Fürsprache die Kraft, die Hoffnung und die
Freude, die wir brauchen, um uns weiterhin großzügig der Verpflichtung zu widmen, »die
Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen«[159] zu verwirklichen.
Gegeben zu Rom, Sankt Peter, am 29. Juni, dem Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus, im
Jahr 2009, dem fünften Jahr meines Pontifikats.
BENEDICTUS PP. XVI

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59
[1] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 22: AAS 59 (1967), 268;
Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium
et spes, 69.
[2] Ansprache zum Tag der Entwicklung (23. August 1968): AAS 60 (1968), 626-627.
[3] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 2002: AAS 94 (2002), 132-140.
[4] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute
Gaudium et spes, 26.
[5] Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963): AAS 55 (1963), 268-270.
[6] Vgl. Nr. 16: a.a.O., 265.
[7] Vgl. ebd., 82: a.a.O., 297.
[8] Ebd., 42: a.a.O., 278.
[9] Ebd., 20: a.a.O., 267.
[10] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute
Gaudium et spes, 36; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), 4:
AAS 63 (1971), 403-404; Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 43: AAS
83 (1991), 847.
[11] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 13: a.a.O., 263-264.
[12] Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche,
Nr. 76.
[13] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache zur Eröffnung der V. Generalkonferenz der
Bischofskonferenzen von Lateinamerika und der Karibik (13. Mai 2007): Insegnamenti III, 1
(2007), 854-870.
[14] Vgl. Nrn. 3-5: a.a.O., 258-260.
[15] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 6-7: AAS 80
(1988), 517-519.
[16] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 14: a.a.O., 264.

6.10 Page 60

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60
[17] Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (25. Dezember 2005), 18: AAS 98 (2006), 232.
[18] Ebd., 6: a.a.O., 222.
[19] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder der Römischen Kurie beim
Weihnachtsempfang (22. Dezember 2005): Insegnamenti I (2005), 1023-1032.
[20] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 3: a.a.O., 515.
[21] Vgl. ebd., 1: a.a.O., 513-514.
[22] Vgl. ebd., 3: a.a.O., 515.
[23] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), 3: AAS 73 (1981),
583-584.
[24] Vgl. ders., Enzyklika Centesimus annus, 3: a.a.O., 794-796.
[25] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 3: a.a.O., 258.
[26] Vgl. ebd., 34: a.a.O., 274.
[27] Vgl. Nrn. 8-9: AAS 60 (1968), 485-487; Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer am
Internationalen Kongreß der Päpstlichen Lateranuniversität anläßlich des 40. Jahrestags der
Enzyklika »Humanae vitae« (10. Mai 2008): Insegnamenti, IV, 1 (2008), 753-756.
[28] Vgl. Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 93: AAS 87 (1995), 507-508.
[29] Ebd., 101: a.a.O., 516-518.
[30] Nr. 29: AAS 68 (1976), 25.
[31] Ebd., 31: a.a.O., 26.
[32] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 41: a.a.O., 570-572.
[33] Vgl. ebd.; ders., Enzyklika Centesimus annus, 5.54: a.a.O., 799.859-860.
[34] Nr. 15: a.a.O., 491.
[35] Vgl. ebd, 2: a.a.O., 258; Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum (15. Mai 1891): Leonis XIII P.M.

7 Pages 61-70

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7.1 Page 61

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61
Acta, XI, Romae 1892, 97-144; Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 8: a.a.O., 519-
520; ders., Enzyklika Centesimus annus, 5: a.a.O., 799.
[36] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 2.13: a.a.O., 258. 263-264.
[37] Ebd., 42: a.a.O., 278.
[38] Ebd., 11: a.a.O., 262; Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 25: a.a.O., 822-824.
[39] Enzyklika Populorum progressio, 15: a.a.O., 265.
[40] Ebd., 3: a.a.O., 258.
[41] Ebd., 6: a.a.O., 260.
[42] Ebd., 14: a.a.O., 264.
[43] Ebd.; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 53-62: a.a.O., 859-867; ders.,
Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 13-14: AAS 71 (1979), 282-286.
[44] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 12: a.a.O., 262-263.
[45] Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute
Gaudium et spes, 22.
[46] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 13: a.a.O., 263-264.
[47] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche in
Italien (19. Oktober 2006): Insegnamenti II, 2 (2006), 465-477.
[48] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 16: a.a.O., 265.
[49] Ebd.
[50] Benedikt XVI., Ansprache an die Jugendlichen am Barangaroo East Darling Harbour (Sydney,
17. Juli 2008): L’Osservatore Romano (dt.), 38. Jg., Nr. 30/31, S. 10.
[51] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 20: a.a.O., 267.
[52] Ebd., 66: a.a.O., 289-290.
[53] Ebd., 21: a.a.O., 267-268.

7.2 Page 62

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62
[54] Nrn. 3.29.32: a.a.O., 258.272.273.
[55] Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 28: a.a.O., 548-550.
[56] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 9: a.a.O., 261-262.
[57] Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 20: a.a.O., 536-537.
[58] Vgl. Enzyklika Centesimus annus, 22-29: a.a.O., 819-830.
[59] Vgl. Nrn. 23.33: a.a.O., 268-269.273-274.
[60] Vgl. a.a.O., 135.
[61] Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute
Gaudium et spes, 63.
[62] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 24: a.a.O., 821-822.
[63] Vgl. ders., Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), 33.46.51: AAS 85 (1993),
1160.1169-1171.1174-1175; ders., Ansprache an die UN-Vollversammlung zum 50. Jahrestag
ihrer Gründung (5. Oktober 1995), 3: Insegnamenti XVIII, 2 (1995), 732-733.
[64] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 47: a.a.O., 280-281; Johannes Paul II., Enzyklika
Sollicitudo rei socialis, 42: a.a.O., 572-574.
[65] Vgl. Benedikt XVI., Botschaft zum Welternährungstag 2007: AAS 99 (2007), 933-935.
[66] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 18.59.63.64: a.a.O., 419-421.467-
468.472-475.
[67] Vgl. Benedikt XVI., Botschaft zum Weltfriedenstag 2007, 5: Insegnamenti II, 2 (2006), 778.
[68] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 2002, 4-7.12-15: AAS 94 (2002), 134-
136.138-140; ders., Botschaft zum Weltfriedenstag 2004, 8: AAS 96 (2004), 119; ders., Botschaft
zum Weltfriedenstag 2005, 4: AAS 97 (2005), 177-178; Benedikt XVI., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2006, 9-10: AAS 98 (2006), 60-61; ders., Botschaft zum Weltfriedenstag 2007,
5.14: a.a.O., 778.782-783.
[69] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 2002, 6: a.a.O., 135; Benedikt XVI.,
Botschaft zum Weltfriedenstag 2006, 9-10: a.a.O., 60-61.

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63
[70] Vgl. Benedikt XVI., Homilie bei der Meßfeier auf dem »Islinger Feld« in Regensburg (12.
September 2006): Insegnamenti II, 2 (2006), 252-256.
[71] Vgl. ders., Enzyklika Deus caritas est, 1: a.a.O., 217-218.
[72] Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 28: a.a.O., 548-550.
[73] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 19: a.a.O., 266-267.
[74] Ebd., 39: a.a.O., 276-277.
[75] Ebd., 75: a.a.O., 293-294.
[76] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 28: a.a.O., 238-240.
[77] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 59: a.a.O., 864.
[78] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 40.85: a.a.O., 277.298-299.
[79] Ebd., 13: a.a.O., 263-264.
[80] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio (14. September 1998), 85: AAS 91 (1999), 72-
73.
[81] Vgl. ebd., 83: a.a.O., 70-71.
[82] Benedikt XVI., Vorlesung in der Universität Regensburg (12. September 2006): Insegnamenti
II, 2 (2006), 265.
[83] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 33: a.a.O., 273-274.
[84] Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 2000, 15: AAS 92 (2000), 366.
[85] Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 407; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus
annus, 25: a.a.O., 822-824.
[86] Vgl. Nr. 17: AAS 99 (2007), 1000.
[87] Vgl. ebd., 23: a.a.O., 1004-1005.
[88] Der hl. Augustinus behandelt diese Lehre ausführlich im Dialog über den freien Willen (De
libero arbitrio II 3,8ff). Er spricht von einem »inneren Sinn«, der in der menschlichen Seele

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existiert. Dieser Sinn besteht in einem Akt, der außerhalb der normalen Funktionen der Vernunft
vollzogen wird, ein unreflektierter und gleichsam instinktiver Akt, durch den die Vernunft, indem sie
sich ihrer vergänglichen und fehlbaren Verfaßtheit bewußt wird, über sich die Existenz von etwas
Ewigem, absolut Wahrem und Gewissem annimmt. Der hl. Augustinus nennt diese innere
Wahrheit manchmal Gott (Bekenntnisse X,24,35; XII,25,35; De libero arbitrio II 3,8) und häufiger
Christus (De magistro 11,38; Bekenntnisse VII,18,24; XI,2,4).
[89] Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 3: a.a.O., 219.
[90] Vgl. Nr. 49: a.a.O., 281.
[91] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 28: a.a.O., 827-828.
[92] Vgl. Nr. 35: a.a.O., 836-838.
[93] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 38: a.a.O., 565-566.
[94] Nr. 44: a.a.O., 279.
[95] Vgl. ebd., 24: a.a.O., 269.
[96] Vgl. Enzyklika Centesimus annus, 36: a.a.O., 838-840.
[97] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 24: a.a.O., 269.
[98] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 32: a.a.O., 832-833; Paul VI., Enzyklika
Populorum progressio, 25: a.a.O., 269-270.
[99] Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens, 24: a.a.O., 637-638.
[100] Ebd., 15: a.a.O., 616-618.
[101] Enzyklika Populorum progressio, 27: a.a.O., 271.
[102] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die
Befreiung Libertatis conscientia (22. März 1986), 74: AAS 79 (1987), 587.
[103] Vgl. Johannes Paul II., Interview mit der katholischen Tageszeitung »La Croix« vom 20.
August 1997.
[104] Johannes Paul II., Ansprache an die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften (27.
April 2001): Insegnamenti, XXIV, 1 (2001), 800.

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65
[105] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 17: a.a.O., 265-266.
[106] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 2003, 5: AAS 95 (2003), 343.
[107] Vgl. ebd.
[108] Vgl. Benedikt XVI., Botschaft zum Weltfriedenstag 2007, 13: a.a.O., 781-782.
[109] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 65: a.a.O., 289.
[110] Ebd., 36-37: a.a.O., 275-276.
[111] Vgl. ebd., 37: a.a.O., 275-276.
[112] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam
actuositatem, 11.
[113] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 14: a.a.O., 264; Johannes Paul II., Enzyklika
Centesimus annus, 32: a.a.O., 832-833.
[114] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 77: a.a.O., 295.
[115] Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 6: AAS 82 (1990), 150.
[116] Heraklit von Ephesus (ca. 535-475 v. Chr.), Fragment 22B124, in: H. Diehls – W. Kranz, Die
Fragmente der Vorsokratiker, Weidmann, Berlin 19526.
[117] Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche,
Nrn. 451-487.
[118] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 10: AAS 82 (1990), 152-153.
[119] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 65: a.a.O., 289.
[120] Benedikt XVI., Botschaft zum Weltfriedenstag 2008, 7: AAS 100 (2008), 41.
[121] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder der UN-Vollversammlung (18. April 2008):
Insegnamenti IV, 1 (2008), 618-626.
[122] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 13: a.a.O., 154-155.
[123] Ders., Enzyklika Centesimus annus, 36: a.a.O., 838-840.

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66
[124] Ebd., 38: a.a.O., 840-841; Benedikt XVI., Botschaft zum Weltfriedenstag 2007, 8: a.a.O.,
779.
[125] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 41: a.a.O., 843-845.
[126] Vgl. ebd.
[127] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 20: a.a.O., 422-424.
[128] Enzyklika Populorum progressio, 85: a.a.O., 298-299.
[129] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1998, 3: AAS 90 (1998), 150; ders.,
Ansprache an die Mitglieder der Stiftung »Centesimus annus« (9. Mai 1998), 2: Insegnamenti XXI,
1 (1998), 873-874; ders., Ansprache bei der Begegnung mit den Autoritäten und dem
Diplomatischen Corps in der Wiener Hofburg (20. Juni 1998), 8: Insegnamenti XXI, 1 (1998),
1435-1436; ders., Botschaft an den Rektor Magnificus der Katholischen Universität Sacro Cuore
anläßlich des jährlichen Tags der Universität (5. Mai 2000), 6: Insegnamenti XXIII, 1 (2000), 759-
760.
[130] Nach Thomas von Aquin: »ratio partis contrariatur rationi personae«, in: III Sent. d. 5,3,2;
auch: »Homo non ordinatur ad communitatem politicam secundum se totum et secundum omnia
sua«, in: Summa Theologiae I-II, q. 21, a. 4, ad 3.
[131] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 1.
[132] Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Öffentliche Sitzung der Päpstlichen Akademie für
Theologie und der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin (8. November 2001), 3:
Insegnamenti XXIV, 2 (2001), 676-677.
[133] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung über die Einzigkeit und Heilsuniversalität
Jesu Christi und der Kirche Dominus Jesus (6. August 2000), 22: AAS 92 (2000), 763-764; dies.,
Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im
politischen Leben (24. November 2002), 8: AAS 96 (2004), 369-370.
[134] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, 31: a.a.O., 1010; ders., Ansprache an die
Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche in Italien (19. Oktober 2006), a.a.O., 465-
477.
[135] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 5: a.a.O., 798-800; vgl. Benedikt XVI.,
Ansprache an die Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche in Italien (19. Oktober
2006), a.a.O., 471.

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67
[136] Nr. 12.
[137] Vgl. Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931), AAS 23 (1931), 203; Johannes
Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 48: a.a.O., 852-854; Katechismus der Katholischen Kirche,
Nr. 1883.
[138] Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris: a.a.O., 274.
[139] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 10.41; a.a.O., 262.277-278.
[140] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission
(5. Oktober 2007): Insegnamenti, III, 2 (2007), 418-421; ders., Ansprache an die Teilnehmer am
von der Päpstlichen Lateranuniversität veranstalteten Internationalen Kongreß über das
»natürliche Sittengesetz« (12. Februar 2007): Insegnamenti, III, 1 (2007), 209-212.
[141] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Bischöfe der Thailändischen Bischofskonferenz beim
Ad-limina-Besuch (16. Mai 2008): Insegnamenti , IV, 1 (2008), 798-801.
[142] Vgl. Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und die Menschen unterwegs,
Instruktion Erga migrantes caritas Christi (3. Mai 2004): AAS 96 (2004), 762-822.
[143] Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens, 8: a.a.O., 594-598.
[144] Ansprache am Ende der Eucharistiefeier anläßlich des Jubiläums der Arbeiter (1. Mai 2000):
Insegamenti XXIII, 1 (2000), 720.
[145] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 36: a.a.O., 838-840.
[146] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder der UN-Vollversammlung (18. April 2008):
a.a.O., 618-626.
[147] Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris: a.a.O., 293; Päpstlicher Rat für
Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, Nr. 441.
[148] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute
Gaudium et spes, 82.
[149] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 43: a.a.O., 574-575.
[150] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 41: a.a.O., 277-278; vgl. Zweites Vatikanisches
Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 57.

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[151] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens, 5: a.a.O., 586-589.
[152] Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens, 29: a.a.O., 420.
[153] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche
in Italien (19. Oktober 2006): a.a.O., 465-477; ders., Homilie bei der Meßfeier auf dem »Islinger
Feld« in Regensburg (12. September 2006): a.a.O., 252-256.
[154] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über einige Fragen der Bioethik Dignitas
personae (8. September 2008): AAS 100 (2008), 858-887.
[155] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 3: a.a.O., 258.
[156] Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute
Gaudium et spes, 14.
[157] Vgl. Nr. 42: a.a.O., 278.
[158] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, 35: a.a.O., 1013-1014.
[159] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 42: a.a.O., 278.
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