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Der Heilige Stuhl
NACHSYNODALES
APOSTOLISCHES SCHREIBEN
VITA CONSECRATA
VON PAPST
JOHANNES PAUL II.
AN DEN EPISKOPAT UND DEN KLERUS,
AN DIE ORDEN UND KONGREGATIONEN,
AN DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS,
AN DIE SÄKULARINSTITUTE
UND AN ALLE GLÄUBIGEN
ÜBER DAS GEWEIHTE LEBEN UND SEINE SENDUNG
IN KIRCHE UND WELT
EINLEITUNG
1. Das Geweihte Leben, tief verwurzelt im Beispiel und in der Lehre Christi, des Herrn, ist ein
Geschenk Gottes des Vaters durch den Geist an seine Kirche. Mit dem Bekenntnis zu den
evangelischen Räten erlangen die Wesenszüge Jesu — Jungfräulichkeit, Armut und Gehorsam —
eine typische und beständige »Sichtbarkeit« mitten in der Welt, und der Blick der Gläubigen wird
auf jenes Geheimnis des Gottesreiches gelenkt, das bereits in der Geschichte wirksam ist, seine
Vollendung aber im Himmel erwartet.
Jahrhunderte hindurch hat es nie an Männern und Frauen gefehlt, die dem Ruf des Vaters und der
Einladung des Geistes folgten und diesen Weg der besonderen Nachfolge Christi wählten, um
sich ihm mit »ungeteiltem« Herzen (vgl. 1 Kor 7,34) hinzugeben. Auch sie haben wie die Apostel
alles verlassen, um bei ihm zu bleiben und sich wie er in den Dienst vor Gott und an den
Schwestern und Brüdern zu stellen. Auf diese Weise haben sie dazu beigetragen, das Geheimnis
und die Sendung der Kirche offenbar zu machen durch die vielfältigen Gnadengaben geistlichen
und apostolischen Lebens, die der Heilige Geist ihnen zuteilte, und folglich haben sie auch an der
Erneuerung der Gesellschaft mitgewirkt.

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Dank für das geweihte Leben
2. Die Rolle des geweihten Lebens in der Kirche ist so bedeutsam, dass ich die Einberufung einer
Synode beschlossen habe, um seine Bedeutung und seine Perspektiven im Hinblick auf das
bevorstehende neue Jahrtausend zu vertiefen. Ich wollte, dass bei der Synodenversammlung
neben den Synodenvätern auch zahlreiche Personen des geweihten Lebens anwesend wären,
damit bei den gemeinsamen Überlegungen ihr Beitrag nicht fehlte. Wir wissen alle um den
Reichtum, den das Geschenk des geweihten Lebens mit der Vielfalt seiner Charismen und
Einrichtungen für die kirchliche Gemeinschaft darstellt. Gemeinsam danken wir Gott für die Orden
und für die Ordensinstitute, die sich der Betrachtung und den Werken des Apostolats widmen, für
die Gesellschaften des apostolischen Lebens, für die Säkularinstitute und für andere Gruppen
geweihter Personen sowie für alle, die sich im Innersten ihres Herzens mit besonderer Weihe Gott
hingeben. Bei der Synode war die weltweite Verbreitung des geweihten Lebens, das in den
Kirchen überall auf der Erde präsent ist, mit Händen zu greifen. Es spornt die Entwicklung der
Evangelisierung in den verschiedenen Regionen der Welt an und begleitet sie, wo nicht nur die
von auswärts stammenden Institute dankbar aufgenommen werden, sondern auch neue
entstehen mit einer großen Vielfalt an Ausdrucksformen. Wenn auch die Institute des geweihten
Lebens in manchen Gegenden der Erde eine schwierige Zeit durchzumachen scheinen, gedeihen
sie in anderen Regionen mit erstaunlicher Kraft und beweisen damit, dass die Entscheidung für
die Ganzhingabe an Gott in Christus in keinster Weise mit der Kultur und der Geschichte eines
Volkes unvereinbar ist. Auch blüht das geweihte Leben nicht nur innerhalb der katholischen
Kirche; tatsächlich findet es sich besonders lebendig im Mönchtum der orthodoxen Kirchen und
gehört als Wesenszug zu deren Erscheinungsbild; und auch in den aus der Reformation
hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist es im Begriff zu entstehen oder
wiederzuentstehen, gleichsam als Zeichen einer gemeinsamen Gnade der Jünger Christi. Aus
dieser Feststellung ergibt sich ein Impuls für die Ökumene, die das Verlangen nach einer immer
volleren Gemeinschaft unter den Christen nährt, »damit die Welt glaubt« (Joh 17,21).
Das geweihte Leben - ein Geschenk an die Kirche
3. Die weltweite Präsenz des geweihten Lebens und der evangelische Charakter seines
Zeugnisses zeigen mit aller Deutlichkeit — falls notwendig — dass es keine isolierte
Randerscheinung ist , sondern die ganze Kirche betrifft. Die Bischöfe auf der Synode haben dies
wiederholt bestätigt: »de re nostra agitur«, »es geht um etwas, das uns betrifft«. Tatsächlich steht
das geweihte Leben als entscheidendes Element für die Sendung der Kirche in deren Herz und
Mitte, da es »das innerste Wesen der christlichen Berufung offenbart und darstellt« und das
Streben der ganzen Kirche als Braut nach der Vereinigung mit dem einen Bräutigam zum
Ausdruck bringt. Auf der Synode wurde mehrmals bestätigt, dass das geweihte Leben nicht nur in
der Vergangenheit eine Rolle der Hilfe und der Unterstützung für die Kirche gespielt habe,
sondern dass es auch für die Gegenwart und die Zukunft des Gottesvolkes ein kostbares und
unerlässliches Geschenk ist, weil es zutiefst zu dessen Leben, Heiligkeit und Sendung gehört. Die

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gegenwärtigen Schwierigkeiten, auf die nicht wenige Institute in einigen Gegenden der Welt
stoben, dürfen nicht zu Zweifeln daran verleiten, dass das Bekenntnis zu den evangelischen
Räten wesentlicher Bestandteil des Lebens der Kirche ist, dem es einen wertvollen Impuls zu
einer immer konsequenteren Verwirklichung des Evangeliums verleiht. Es wird in der Geschichte
eine weitere Vielfalt an Formen geben können, aber das Wesen einer Entscheidung, die in der
Radikalität der Selbsthingabe aus Liebe zum Herrn Jesus und in ihm zu jedem Angehörigen der
Menschheitsfamilie ihren Ausdruck findet, wird sich nicht ändern. Auf diese Gewissheit , die im
Laufe der Jahrhunderte zahllose Menschen zu mutigem Entschluss angeregt hat, zählt das
christliche Volk auch weiterhin, wohl wissend, dass es aus dem Beitrag dieser hochherzigen
Seelen eine wirksame Hilfe auf seinem Weg zur himmlischen Heimat erfahren kann.
Zusammenstellung der Ergebnisse der Synode
4. Dem Wunsch der Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode folgend, die
zusammengetreten war, um über das Thema »Das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche
und Welt« zu beraten, will ich in diesem Apostolischen Schreiben die Ergebnisse des synodalen
Programms vorlegen und allen Gläubigen — Bischöfen, Priestern, Diakonen, Ordensleuten und
Laien — sowie allen, die zuhören wollen, die Wunder aufzeigen, die der Herr auch heute durch
das geweihte Leben vollbringen will. Nach den Synoden, die den Laien und den Priestern
gewidmet waren, vervollständigt diese Synode die Behandlung der besonderen Eigenheiten, die
die vom Herrn Jesus für seine Kirche vorgesehenen Lebensstände kennzeichnen. Auch wenn auf
dem II. Vatikanischen Konzil die große Wirklichkeit der kirchlichen Gemeinschaft hervorgehoben
wurde, in der sämtliche Gaben zusammenströmen für den Aufbau des Leibes Christi und für die
Sendung der Kirche in der Welt, so machte sich doch in den letzten Jahren die Notwendigkeit
bemerkbar, die Identität der verschiedenen Stände des Lebens, ihre Berufung und ihren
besonderen Auftrag in der Kirche deutlicher herauszustellen. Die Gemeinschaft in der Kirche
bedeutet ja nicht Einförmigkeit, sondern Geschenk des Geistes, der auch die Vielfalt der
Charismen und der Lebensformen durchdringt. Diese werden für die Kirche und ihre Sendung um
so nützlicher sein, je konsequenter ihre Identität eingehalten wird. Denn jede Gabe des Geistes
wird gewährt, damit sie im Wachsen der Brüderlichkeit und der Sendung Frucht bringe für den
Herrn. Das Wirken des Geistes in den verschiedenen
Formen des geweihten Lebens
5. Wie sollte man nicht voll Dankbarkeit gegenüber dem Geist an die Fülle der historischen
Formen des geweihten Lebens erinnern, die von ihm geweckt wurden und noch immer im
kirchlichen Gefüge vorhanden sind? Sie erscheinen uns wie ein Baum mit vielen Zweigen, dessen
Wurzeln tief in das Evangelium hineinreichen und der in jeder Epoche der Kirche üppige Früchte
hervorbringt. Was für ein außerordentlicher Reichtum! Ich selbst habe zum Abschluss der Synode
den Wunsch verspürt, dieses in der Geschichte der Kirche konstante Element hervorzuheben: die
Schar von Ordensgründern und -gründerinnen, von heiligen Männern und Frauen, die sich in der

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Radikalität des Evangeliums und im Dienst an den Brüdern und Schwestern, besonders an den
Armen und Verlassenen, für Christus entschieden haben. Gerade in diesem Dienst wird mit
besonderer Klarheit sichtbar, dass das geweihte Leben die Einheitlichkeit des Liebesgebotes in
der untrennbaren Verbundenheit von Gottes- und Nächstenliebe offenbar macht. Die Synode hat
dieses unablässige Wirken des Heiligen Geistes erwähnt, das im Laufe der Jahrhunderte die
Reichtümer der Anwendung der evangelischen Räte durch die vielfältigen Charismen zur
Entfaltung bringt und auch auf diese Weise in Kirche und Welt, in Zeit und Raum beständig das
Geheimnis Christi gegenwärtig macht.
Monastisches Leben in Ost und West
6. Die Synodenväter der katholischen Ostkirchen und die Vertreter der anderen Kirchen des
Orients haben in ihren Ausführungen die evangelischen Werte des monastischen
Lebensunterstrichen, das bereits in den Anfangszeiten des Christentums in Erscheinung trat und
in ihren Ländern, besonders in orthodoxen Kirchen, noch heute von blühender Lebendigkeit ist.
Seit den ersten Jahrhunderten der Kirche hat es Männer und Frauen gegeben, die sich berufen
fühlten, den Dienst des fleischgewordenen Wortes nachzuahmen, und sich in seine Nachfolge
begeben haben, indem sie die Anforderungen, die sich aus der der Taufe entspringenden
Teilhabe am Ostergeheimnis seines Todes und seiner Auferstehung ergeben, im Ordensberuf in
besonderer und radikaler Weise lebten. Während sie auf diese Weise zu Trägern des Kreuzes
(staurophóroi) wurden, haben sie sich verpflichtet, Zeugen des Geistes (pneumatophóroi) zu
werden, wahrhaft geistliche Männer und Frauen, die in der Lage sind, durch Lobpreis und
ständige Fürbitte, durch die asketischen Ratschläge und durch die Werke der Liebe die
Geschichte im Verborgenen zu befruchten. In der Absicht, die Welt und das Leben in Erwartung
der endgültigen Schau des Angesichtes Gottes zu verwandeln, bevorzugt das orientalische
Mönchtum die Bekehrung, den Selbstverzicht und die Zerknirschung des Herzens, die Suche der
Hesychie, d. h. des inneren Friedens, und das unablässige Gebet, das Fasten und die
Nachtwachen, das geistige Ringen und das Schweigen, die österliche Freude über die Gegenwart
des Herrn und über die Erwartung seines endgültigen Kommens, die Hingabe seiner selbst und
seiner Habe, wie sie in der heiligen Gemeinschaft des Klosters oder in der Einsamkeit der
Eremitage gelebt wird. Auch das Abendland hat seit den ersten Jahrhunderten der Kirche das
monastische Leben praktiziert und eine große Vielfalt an Ausdrucksformen sowohl im klösterlichen
Bereich als auch im eremitischen Mönchtum gekannt. In seiner heutigen Gestalt, die vor allem
vom hl. Benedikt inspiriert wurde, ist das abendländische Mönchtum Erbe vieler Männer und
Frauen, die sich vom weltlichen Leben abgewandt haben, Gott suchten und sich ihm weihten,
»indem sie der Liebe zu Christus nichts vorzogen«. Auch die Mönche von heute bemühen sich um
einen harmonischen Einklang zwischen innerem Leben und Arbeit in der Verpflichtung nach dem
Evangelium zur Änderung der Gewohnheiten, zum Gehorsam, zur Beständigkeit und in der
eifrigen Hingabe an die Betrachtung des Wortes (lectio divina), an die Feier der Liturgie und das
Gebet. Die Klöster waren und sind noch immer im Herzen der Kirche und der Welt ein
ausdrucksvolles Zeichen von Gemeinschaft, ein einladender Aufenthaltsort für diejenigen, die Gott

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und die Welt des Geistes suchen; sie sind Glaubensschulen und wahre Werkstätten für Studium,
Dialog und Kultur zum Aufbau des kirchlichen Lebens und auch, in Erwartung der himmlischen
Stadt, zum Aufbau der irdischen.
Die Weihe der Jungfrauen, die Eremiten und die Witwen
7. Grund zu Freude und Hoffnung ist es zu sehen, dass die bereits seit der apostolischen Zeit in
den christlichen Gemeinden bezeugte alte Weihe der Jungfrauen heute wiederaufblüht. Durch ihre
Weihe durch den Diözesanbischof erwerben sie eine besondere Bindung an die Kirche, deren
Dienst sie sich widmen, auch wenn sie weiter in der Welt bleiben. Allein oder in Gemeinschaft
stellen sie ein besonderes eschatologisches Bild von der himmlischen Braut und dem zukünftigen
Leben dar, wenn die Kirche endlich die Liebe zu ihrem Bräutigam Christus in Fülle leben wird. Die
als Eremiten lebenden Männer und Frauen, die alten Orden oder neuen Instituten angehören oder
auch unmittelbar vom Bischof abhängig sind, bezeugen mit ihrer inneren und äußeren Trennung
von der Welt den vorläufigen Charakter der Gegenwart und beweisen durch Fasten und Bube,
dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern vom Wort Gottes (vgl. Mt 4,4). Ein solches
Leben »in der Wüste« ist eine Aufforderung an den Nächsten und zugleich an die kirchliche
Gemeinschaft, niemals die höchste Berufung aus den Augen zu verlieren, nämlich immer beim
Herrn zu sein. Heute wird auch wieder die schon zur Zeit der Apostel bekannte (vgl. 1 Tim 5,5.9-
10; 1 Kor 7,8) Weihe der Witwen vollzogen sowie jene der Witwer. Durch das Gelöbnis ewiger
Keuschheit als Zeichen des Reiches Gottes heiligen diese Personen ihren Stand, um sich dem
Gebet und dem Dienst an der Kirche zu widmen.
Institute, die sich ganz der Kontemplation widmen
8. Die Institute, die ganz auf die Kontemplation ausgerichtet sind und aus Frauen oder Männern
bestehen, sind für die Kirche ein Grund zur Freude und eine Quelle himmlischer Gnaden. Mit
ihrem Leben und ihrer Sendung ahmen die Personen dieser Institute Christus nach, der auf den
Berg stieg, um zu beten, geben Zeugnis von Gottes Herrschaft über die Geschichte und nehmen
die künftige Herrlichkeit vorweg. In der Einsamkeit und im Stillschweigen, durch das Hören des
Wortes Gottes, durch die Feier des Gottesdienstes, durch die persönliche Askese und das Gebet,
durch die Abtötung und die geschwisterliche Liebesgemeinschaft orientieren sie ihr ganzes Leben
und ihre Tätigkeit an der Kontemplation Gottes. Auf diese Weise geben sie der kirchlichen
Gemeinschaft ein einzigartiges Zeugnis der Liebe der Kirche zu ihrem Herrn und tragen mit einer
geheimnisvollen apostolischen Fruchtbarkeit zum Wachstum des Volkes Gottes bei. Daher ist der
Wunsch berechtigt, dass die verschiedenen Formen kontemplativen Lebens als Ausdruck tiefer
Verwurzelung im Evangelium eine zunehmende Verbreitung in den jungen Kirchen finden, vor
allem in jenen Regionen der Welt, wo andere Religionen stärker verbreitet sind. Dies wird es
ermöglichen, Zeugnis zu geben von der Kraft der Traditionen christlicher Askese und Mystik, und
wird den interreligiösen Dialog fördern.

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Das apostolische Ordensleben
9. Im Abendland sind im Laufe der Jahrhunderte vielfältige andere Ausdrucksformen des
Ordenslebens zur Blüte gelangt, in denen unzählige Menschen nach der Absage an die Welt
durch das öffentliche Bekenntnis zu den evangelischen Räten, entsprechend einem besonderen
Charisma und in einer festen Form gemeinschaftlichen Lebens sich Gott für einen vielgestaltigen
apostolischen Dienst am Volk Gottes geweiht haben. So etwa die verschiedenen Ordensfamilien
der Regularkanoniker, die Bettelorden, die Regularkleriker und im allgemeinen die männlichen
und weiblichen Ordenskongregationen, die sich der apostolischen Arbeit, der Missionstätigkeit und
den vielfältigen Werken widmen, die die christliche Liebe hervorgebracht hat. Es ist ein Zeugnis
von wunderbarer Mannigfaltigkeit, in dem sich die Vielfalt der von Gott den Ordensgründern und -
gründerinnen gespendeten Gaben widerspiegelt, die in ihrem Offensein für das Wirken des
Heiligen Geistes die Zeichen der Zeit zu deuten und den nach und nach auftretenden
Erfordernissen auf glänzende Weise zu entsprechen verstanden. Ihrem Beispiel folgend haben
viele andere mit Wort und Tat versucht, das Evangelium in ihrem eigenen Leben zu verwirklichen,
um die lebendige Gegenwart Jesu, des Geweihten im wahrsten Sinne des Wortes und des
Apostels des Vaters, in ihrer Zeit wieder geltend zu machen. Christus, den Herrn, müssen sich die
Personen des geweihten Lebens immer und zu allen Zeiten zum Vorbild nehmen, indem sie im
Gebet eine tiefe Gesinnungsgemeinschaft mit ihm pflegen (vgl. Phil 2,5-11), damit ihr ganzes
Leben von dem apostolischen Geist durchdrungen werde und die gesamte apostolische Tätigkeit
von Kontemplation erfüllt sei.
Die Säkularinstitute
10. Der Heilige Geist, wunderbarer Schöpfer der Vielfalt der Charismen, hat in unserer Zeit neue
Ausdrucksweisen geweihten Lebens geschenkt, gleichsam als wollte er, einem Plan der
Vorsehung entsprechend, den neuen Bedürfnissen Genüge tun, denen die Kirche heute bei der
Erfüllung ihrer Sendung in der Welt begegnet. Ich denke vor allem an die Säkularinstitute, deren
Mitglieder die Weihe an Gott in der Welt durch das Bekenntnis zu den evangelischen Räten im
Rahmen der zeitlichen Strukturen leben wollen, um auf diese Weise innerhalb des kulturellen,
wirtschaftlichen und politischen Lebens Sauerteig der Weisheit und Zeugen der Gnade zu sein.
Durch die ihnen eigene Synthese von Säkularem und Weihe wollen sie in die Gesellschaft die
neuen Kräfte des Reiches Christi einbringen und die Welt durch die Kraft der Seligpreisungen von
innen her zu verwandeln suchen. Während die völlige Zugehörigkeit zu Gott sie ganz für seinen
Dienst aufgehen lässt, bestärkt so ihre Tätigkeit in der normalen weltlichen Umgebung unter dem
Wirken des Geistes die Beseelung der säkularen Gegebenheiten aus dem Evangelium. Die
Säkularinstitute tragen so dazu bei, der Kirche je nach der spezifischen Gabe eines jeden Instituts
eine ausgeprägte Präsenz in der Gesellschaft zu gewährleisten. Eine wertvolle Funktion üben
auch die klerikalen Säkularinstitute aus, in denen sich Priester, die dem Presbyterium einer
Diözese angehören, auch wenn einigen von ihnen die Inkardination im eigenen Institut zuerkannt
wird, durch die einem besonderen Charisma entsprechende praktische Befolgung der

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evangelischen Räte Christus weihen. Sie finden in den geistlichen Reichtümern des Instituts, dem
sie angehören, eine große Hilfe, um die dem Priestertum eigene Spiritualität zu leben und so
Ansporn zu apostolischer Gemeinschaft und Großherzigkeit unter den Mitbrüdern zu sein.
Die Gesellschaften des apostolischen Lebens
11. Besondere Erwähnung verdienen sodann die männlichen und weiblichen Gesellschaften des
apostolischen Lebens oder des gemeinsamen Lebens, die mit einem ihnen eigenen Stil ein
besonderes apostolisches oder missionarisches Ziel verfolgen. In vielen von ihnen werden mit von
der Kirche offiziell anerkannten heiligen Weiheverpflichtungen die evangelischen Räte
ausdrücklich angenommen. Doch auch in diesem Fall unterscheidet die Eigenart ihrer Weihe sie
von den Ordensinstituten und Säkularinstituten. Es gilt, die Besonderheit dieser Lebensform zu
erhalten und zu fördern, die im Laufe der letzten Jahrhunderte besonders auf dem Gebiet der
Nächstenliebe und bei der missionarischen Verbreitung des Evangeliums so viele Früchte der
Heiligkeit und des Apostolats hervorgebracht hat.
Neue Ausdrucksformen geweihten Lebens
12. Die ewige Jugend der Kirche erweist sich auch heute: in den letzten Jahrzehnten, nach dem II.
Vatikanischen Konzil, sind neue oder erneuerte Formen geweihten Lebens in Erscheinung
getreten. In vielen Fällen handelt es sich um Institute, die den bereits bestehenden zwar ähnlich,
aber aus neuen spirituellen und apostolischen Impulsen heraus entstanden sind. Ihre
Lebensfähigkeit muss von der Autorität der Kirche geprüft werden, der die Durchführung der
zweckmäßigen Untersuchungen obliegt, sowohl um die Echtheit der inspirierenden Zielsetzung zu
prüfen wie auch die übermäßige Vermehrung nahezu gleicher Institutionen zu vermeiden, die die
Gefahr einer schädlichen Aufsplitterung in zu kleine Gruppen nach sich ziehen könnte. In anderen
Fällen handelt es sich um echte Erfahrungen, die nach einer eigenen Identität in der Kirche
suchen und die offizielle Anerkennung durch den Apostolischen Stuhl erwarten, bei dem allein der
letzte Entscheid liegt. Diese neuen Formen geweihten Lebens, die zu den früheren hinzukommen,
bezeugen die stete Anziehungskraft, die die Ganzhingabe an den Herrn, das Ideal der
apostolischen Gemeinschaft, die Gründungscharismen auch auf die heutige Generation ausüben,
und sind ebenso Zeichen für die Komplementarität der Gaben des Heiligen Geistes. Der Geist
widerspricht sich jedoch nicht in der Neuheit! Beweis dafür ist die Tatsache, dass die neuen
Formen geweihten Lebens die früheren nicht verdrängt haben. Bei derart vielgestaltiger
Mannigfaltigkeit konnte dank derselben Berufung, die grundlegende Einheit gewahrt bleiben,
nämlich auf der Suche nach der vollkommenen Liebe dem keuschen, armen und gehorsamen
Jesus zu folgen. Wie diese Berufung in allen bereits bestehenden Formen anzutreffen ist, so gilt
sie auch in den neu hinzugetretenen.
Zielsetzungen des Apostolischen Schreibens

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8
13. Während ich die Früchte der Arbeiten der Synode sammle, will ich mich mit diesem
Apostolischen Schreiben an die ganze Kirche wenden, um nicht nur den Personen des geweihten
Lebens, sondern auch den Hirten und den Gläubigen die Früchte einer anregenden
Auseinandersetzung darzubieten, über deren Fortgang der Heilige Geist es nicht fehlen lieb, mit
seinen Gaben der Wahrheit und der Liebe zu wachen. In diesen Jahren der Erneuerung hat das
geweihte Leben, wie übrigens auch andere Lebensformen in der Kirche, eine schwierige und
mühsame Zeit durchgemacht. Es war eine Zeit reich an Hoffnungen sowie an
Erneuerungsversuchen und -vorschlägen, die das Bekenntnis zu den evangelischen Räten auf
den heutigen Stand bringen sollten. Doch es war auch eine Zeit, die nicht frei von Spannungen
und Schwierigkeiten war und in der selbst edle Erfahrungen nicht immer von positiven
Ergebnissen gekrönt waren. Die Schwierigkeiten dürfen jedoch nicht zur Entmutigung verleiten. Es
ist vielmehr notwendig, sich mit neuem Eifer zu engagieren, denn die Kirche braucht die geistliche
und apostolische Mitwirkung eines erneuerten und gestärkten geweihten Lebens. Mit dem
vorliegenden nachsynodalen Schreiben will ich mich an die Ordensgemeinschaften und an die
einzelnen Personen des geweihten Lebens im selben Geist wenden, der den Brief beseelte, der
einst vom Apostelkonzil in Jerusalem an die Christen von Antiochien gesandt worden war; ich
hege dabei die Hoffnung, dass sich heute dieselbe Erfahrung wiederholen möge, wie sie uns von
damals überliefert ist: »Die Brüder lasen den Brief und freuten sich über die Ermunterung« (Apg
15,31). Aber nicht nur das: ich hege auch die Hoffnung, dadurch die Freude des ganzen
Gottesvolkes zu vermehren, das durch besseres Kennenlernen des geweihten Lebens dem
Allmächtigen bewusster für dieses große Geschenk zu danken vermag. In einer Haltung herzlicher
Offenheit gegenüber den Synodenvätern habe ich mir die wertvollen Beiträge zunutze gemacht,
die während der intensiven Arbeiten bei den Versammlungen zutage traten, bei denen ich ständig
anwesend sein wollte. Während dieser Zeit war ich auch darauf bedacht, dem ganzen Volk Gottes
einige systematische Katechesen über das geweihte Leben in der Kirche zu halten. Darin habe ich
die in den Texten des II. Vatikanischen Konzils enthaltenen Lehraussagen erneut vorgestellt. Das
Konzil war leuchtender Bezugspunkt für die folgenden Lehrentwicklungen und für die von der
Synode während der Wochen intensiver Arbeit angestellten Überlegungen. Während ich darauf
vertraue, dass die Söhne und Töchter der Kirche, insbesondere die geweihten Personen dieses
Schreiben mit hochherziger Zustimmung annehmen, wünsche ich, dass man auch weiterhin
darüber nachdenken möge, um zu einer Vertiefung des großen Geschehens des geweihten
Lebens in seiner dreifachen Dimension der Weihe, der Gemeinschaft und der Sendung zu
gelangen, und dass die geweihten Personen in völliger Übereinstimmung mit der Kirche und ihrem
Lehramt auf diese Weise weiter angespornt werden, den drängenden Herausforderungen geistlich
und apostolisch zu begegnen.
KAPITEL I
CONFESSIO TRINITATIS
AN DEN CHRISTOLOGISCH-TRINITARISCHEN QUELLEN

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9
DES GEWEIHTEN LEBENS
Das Bild des verklärten Christus
14. Das Fundament des geweihten Lebens im Evangelium ist in der besonderen Beziehung zu
suchen, die Jesus während seines irdischen Daseins mit einigen seiner Jünger herstellte, indem
er sie nicht nur einlud, das Reich Gottes im eigenen Leben anzunehmen, sondern ihr Leben in
den Dienst dieses Anliegens zu stellen, alles zu verlassen und aus der Nähe seine Lebensform
nachzuahmen. Eine solche »Christus gemäße« Existenz, die so vielen Getauften im Verlauf der
Geschichte angeboten wurde, ist nur auf Grund einer besonderen Berufung und kraft eines
eigenen Geschenkes des Geistes möglich. In ihr ist die Taufweihe in der Tat zu einer radikalen
Antwort in der Nachfolge Christi durch die Annahme der evangelischen Räte geführt, deren erster
und wesentlicher die heilige Bindung der Keuschheit um des Himmelreiches willen ist. Diese
»besondere Nachfolge Christi«, an deren Ursprung immer die Initiative des Vaters steht, hat also
ein wesentlich christologisches und pneumatologisches Merkmal, indem sie so auf besonders
lebendige Weise den Trinitätscharakter des christlichen Lebens ausdrückt, dessen
eschatologische Verwirklichung sie irgendwie vorwegnimmt, nach der die ganze Kirche trachtet.
Im Evangelium gibt es viele Worte und Taten Christi, die den Sinn dieser besonderen Berufung
erhellen. Um jedoch in einer Zusammenschau die Wesensmerkmale zu sammeln, stellt es sich als
besonders hilfreich dar, den Blick auf das leuchtende Antlitz Christi im Geheimnis der Verklärung
zu richten. Auf dieses »Bild« bezieht sich eine ganz alte geistliche Tradition, wenn sie das
kontemplative Leben mit dem Gebet Jesu »auf dem Berg« verbindet. Auf diese Tradition lassen
sich außerdem in gewisser Weise selbst die »aktiven« Dimensionen des geweihten Lebens
zurückführen, da die Verklärung nicht nur Enthüllung der Herrlichkeit Christi ist, sondern auch
Vorbereitung zur Übernahme des Kreuzes. Sie beinhaltet ein »Aufsteigen zum Berg« und ein
»Herabsteigen vom Berg«: die Jünger, die sich der Vertraulichkeit des Meisters erfreut haben, für
einen Augenblick vom Glanz des trinitarischen Lebens und der Gemeinschaft der Heiligen umhüllt,
gleichsam verzückt im Horizont der Ewigkeit, sind sogleich zur Wirklichkeit des Alltags
zurückgeführt, wo sie nur »Jesus allein« in der Niedrigkeit der menschlichen Natur sehen und
eingeladen sind talwärts zu gehen, um mit ihm die Mühe des Planes Gottes zu leben und mit Mut
den Kreuzweg einzuschlagen.
»Und er wurde vor ihren Augen verwandelt ...«
15. »Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und
führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete
wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht. Da erschienen plötzlich vor
ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus. Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass
wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und
eine für Elija. Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie, und
aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe;

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auf ihn sollt ihr hören. Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit
dem Gesicht zu Boden. Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine
Angst! Und als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus. Während sie den Berg hinab stiegen,
gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von
den Toten auferstanden ist« (Mt 17,1-9).Die Begebenheit der Verklärung bezeichnet einen
entscheidenden Augenblick in der Sendung Jesu. Es handelt sich um ein Offenbarungsereignis,
das den Glauben im Herzen der Jünger festigt, sie auf das Drama des Kreuzes vorbereitet und die
Herrlichkeit der Auferstehung vorwegnimmt. Dieses Geheimnis wird von der Kirche, dem Volk auf
dem Pilgerweg zur endzeitlichen Begegnung mit seinem Herrn, ständig neu erlebt. Wie die drei
auserwählten Apostel, so betrachtet die Kirche das verklärte Antlitz Christi, um sich im Glauben zu
stärken und die Ohnmacht vor seinem entstellten Antlitz am Kreuz nicht zu riskieren. Im einen wie
im anderen Fall ist sie die Braut, die vor dem Bräutigam steht, die an seinem Geheimnis teilhat
und von seinem Licht eingehüllt ist. Von diesem Licht werden alle ihre Söhne und Töchter erreicht,
die alle in gleicher Weise berufen sind, Christus zu folgen, indem sie den letzten Sinn des eigenen
Lebens in ihn setzen, um mit dem Apostel sagen zu können: »Für mich ist Christus das Leben!«
(Phil 1,21). Aber eine einzigartige Erfahrung des von dem fleischgewordenen Wort ausgestrahlten
Lichtes machen mit Sicherheit jene, die zum geweihten Leben berufen sind. Das Bekenntnis zu
den evangelischen Räten bestimmt sie nämlich zum Zeichen und zur Prophetie für die
Gemeinschaft der Brüder und Schwestern sowie für die Welt. Daher müssen bei ihnen die
begeisterten Worte des Petrus: »Herr, es ist gut, dass wir hier sind!« (Mt 17,4) besonderen
Widerhall finden. Diese Worte drücken die christozentrische Spannung des ganzen christlichen
Lebens aus. Jedoch bekunden sie mit besonderer Ausdruckskraft den Totalitätsanspruch, den der
tiefe Dynamismus der Berufung zum geweihten Leben darstellt: »Es ist gut, bei Dir zu sein, uns
Dir zu widmen, unser Leben ausschließlich auf Dich zu konzentrieren!«. Wer die Gnade dieser
besonderen Liebesgemeinschaft mit Christus empfangen hat, fühlt sich in der Tat von seinem
Lichtglanz erfasst: Er ist »der Schönste von allen Menschen« (Ps 45 [44],3), der Unvergleichliche.
»Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!«
16. Die drei verzückten Jünger erreicht der Anruf des Vaters, auf Christus zu hören, in ihn ihr
ganzes Vertrauen zu setzen und ihn zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen. Im Wort, das von
oben kommt, erhält die Einladung eine neue Tiefe, mit der Jesus selbst sie am Anfang seines
öffentlichen Wirkens zu seiner Nachfolge berufen hatte, indem er sie aus dem Alltagsleben riss
und in sein Vertrauen nahm. Aus dieser besonderen Gnade innerer Verbundenheit erwächst im
geweihten Leben die Möglichkeit und der Anspruch der totalen Selbsthingabe im Bekenntnis zu
den evangelischen Räten. Diese sind zuerst, mehr als ein Verzicht, eine besondere Annahme des
im Inneren der Kirche gelebten Geheimnisses Christi .In der Einheit des christlichen Lebens sind
die verschiedenen Berufungen gleichsam Strahlen des einen Lichtes Christi, das »auf dem Antlitz
der Kirche widerscheint«. Die Laien spiegeln auf Grund des weltlichen Charakters ihrer Berufung
das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes wider vor allem als das A und O der Welt,
Fundament und Maß des Wertes alles Geschaffenen. Die Inhaber des geweihten Amtes sind

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ihrerseits lebendige Abbilder Christi, des Hauptes und Hirten, der sein Volk in der Zeit des »bereits
und noch nicht«, in Erwartung seines Kommens in Herrlichkeit, leitet. Dem geweihten Leben ist
die Aufgabe anvertraut, den menschgewordenen Sohn Gottes zu zeigen als das eschatologische
Ziel, nach dem alles strebt, den strahlenden Glanz, dem gegenüber jedes andere Licht verblasst,
die unermessliche Schönheit, die allein das Herz des Menschen vollständig zu erfüllen vermag. Im
geweihten Leben geht es also nicht nur darum, Christus aus ganzem Herzen zu folgen, ihn »mehr
als Vater und Mutter, mehr als Sohn oder Tochter« (vgl. Mt 10,37) zu lieben, wie es von jedem
Jünger gefordert wird, sondern dies mit der sich Christus »anpassenden« Zustimmung oder
gesamten Existenz in einer allumfassenden Spannung zu leben und auszudrücken, die im
möglichen Zeitrahmen und entsprechend den verschiedenen Charismen die eschatologische
Vollkommenheit vorwegnimmt. Denn die geweihte Person macht durch das Bekenntnis zu den
Räten nicht nur Christus zum Sinn ihres Lebens, sondern bemüht sich, soweit als möglich, »jene
Lebensform, die der Sohn Gottes annahm, als er in die Welt eintrat«, in sich wiederzugeben. Mit
dem Entschluss zur Keuschheit macht sie sich die jungfräuliche Liebe Christi zu eigen und
bekennt ihn vor der Welt als eingeborenen Sohn, der eins ist mit dem Vater (vgl. Joh 10,30;
14,11); durch Nachahmung seiner Armut bekennt sie ihn als den Sohn, der alles vom Vater
empfängt und in der Liebe ihm alles zurückgibt (vgl. Joh 17,7.10). Mit dem Opfer der eigenen
Freiheit, bekennt sie ihn durch die Verpflichtung zum Geheimnis ihres kindlichen Gehorsams, als
den unendlich Geliebten und Liebenden, als den, der allein Wohlgefallen daran findet, den Willen
des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34), mit dem sie vollkommen verbunden ist und von dem sie in allem
abhängt. Mit diesem anpassenden Sich-Einfühlen ins Geheimnis Christi verwirklicht das geweihte
Leben in besonderer Weise jene confessio Trinitatis, die das gesamte christliche Leben
kennzeichnet, indem es voll Bewunderung die erhabene Schönheit Gottes, des Vaters, des
Sohnes und des Heiligen Geistes anerkennt und voll Freude seine liebevolle Hinwendung zu
jedem Menschen bezeugt.
I. ZUM LOB DER DREIFALTIGKEIT
A Patre ad Patrem: die Initiative Gottes
17. Den Personen des geweihten Lebens enthüllt die kontemplative Anschauung der Herrlichkeit
des Herrn Jesus im Bild der Verklärung vor allem den Vater, Schöpfer und Spender alles Guten,
der sein Geschöpf mit einer besonderen Liebe und im Hinblick auf eine spezielle Sendung an sich
zieht (vgl. Joh 6,44). »Das ist mein geliebter Sohn: auf ihn sollt ihr hören!« (Mt 17,5). Indem sie
diesem Ruf, der von einer innigen Anziehung begleitet ist, folgt, vertraut die berufene Person sich
der Liebe Gottes an, der sie in seinen ausschließlichen Dienst beruft, und weiht sich vollständig
ihm und seinem Heilsplan (vgl. 1 Kor 7,32-34).Hier liegt der Sinn der Berufung zum geweihten
Leben: eine ganz und gar vom Vater ausgehende Initiative (vgl. Joh 15,16), die von denen, die er
erwählt hat, die Antwort einer ausschließlichen Ganzhingabe fordert. Die Erfahrung dieser
unentgeltlichen Liebe Gottes ist dermaßen tief und stark, dass der Betreffende spürt, mit der
bedingungslosen Hingabe seines Lebens antworten zu müssen, indem er alles, Gegenwart und

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12
Zukunft, in seine Hände hinein opfert. Auf Grund dessen kann man, im Sinne des hl. Thomas, die
Identität der geweihten Personen von der Totalität ihrer Hingabe her begreifen, die mit wahrer
Selbstaufopferung vergleichbar ist.
Per Filium: in den Fußstapfen Christi
18. Der Sohn, der Weg, der zum Vater führt (vgl. Joh 14,6), ruft alle, die ihm der Vater gegeben
hat (vgl. Joh 17,9), in eine Nachfolge, die für ihr Dasein richtungweisend ist. Von einigen aber —
eben den Personen des geweihten Lebens — verlangt er eine totale Verpflichtung, die damit
verbunden ist, dass sie alles verlassen (vgl. Mt 19,27), um in innigem Vertrauen mit ihm zu leben
und ihm überallhin zu folgen (vgl. Offb 14,4).Im Blick Jesu (vgl. Mk 10,21), »Ebenbild des
unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15), Abglanz der Herrlichkeit des Vaters (vgl. Hebr 1,3), ist die Tiefe
einer ewigen und unermesslichen Liebe wahrzunehmen, die an die Wurzeln des Seins rührt. Wer
sich davon ergreifen lässt, muss alles verlassen und ihm folgen (vgl. Mk 1,16-20; 2,14; 10,21.28).
Wie Paulus, sieht er alles übrige »als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu alles übertrifft«,
und zögert nicht, verglichen mit ihm alles »für Unrat« zu halten, »um Christus zu gewinnen« (Phil
3,8). Seine Sehnsucht geht dahin, sich in ihn hineinzudenken, indem er seine Gefühle und seine
Lebensform annimmt. Dass also einer alles verlässt und dem Herrn folgt (vgl. Lk 18,28), stellt ein
für alle Berufenen und für alle Zeiten gültiges Programm dar. Die evangelischen Räte, durch die
Christus einige dazu einlädt, seine Erfahrung der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams zu
teilen, erfordern bei dem, der sie annimmt, das ausdrückliche Verlangen nach vollständiger
Gleichförmigkeit mit ihm und lassen dieses Verlangen klar zutage treten. Durch ein Leben »in
Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit« bekennen die Personen des geweihten Lebens,
dass Jesus das Vorbild ist, in dem jede Tugend zur Vollkommenheit gelangt. Seine Lebensform in
Keuschheit, Armut und Gehorsam erscheint in der Tat als die radikalste Weise, das Evangelium
auf dieser Erde zu leben, eine sozusagen göttliche Lebensform, weil sie von ihm, dem
Gottmenschen, als Ausdruck seiner Beziehung als des eingeborenen Sohnes zum Vater und zum
Heiligen Geist angenommen wurde. Das ist der Grund, warum in der christlichen Überlieferung
immer von der objektiven Vollkommenheit des geweihten Lebens gesprochen wurde. Darüber
hinaus lässt sich nicht bestreiten, dass die Übung der Räte eine besonders tiefe und fruchtbare
Weise darstellt, auch an der Sendung Christi teilzunehmen, nach dem Vorbild Mariens von
Nazaret, der ersten Jüngerin, die es annahm, sich durch die Ganzhingabe ihrer selbst in den
Dienst des göttlichen Heilsplanes zu stellen. Jede Sendung beginnt mit derselben Haltung, wie sie
von Maria bei der Verkündigung zum Ausdruck gebracht worden ist: »Ich bin die Magd des Herrn;
mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lk 1,38).
In Spiritu: vom Heiligen Geist geweiht
19. »Eine leuchtende Wolke warf ihren Schatten auf sie« (Mt 17,5). Eine bedeutende geistliche
Interpretation der Verklärung sieht in dieser Wolke das Bild des Heiligen Geistes. Die die ganze
christliche Existenz, so steht auch die Berufung zum geweihten Leben in enger Beziehung zum

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13
Wirken des Heiligen Geistes. Er ist es, der im Laufe der Jahrtausende immer aufs neue Menschen
dafür empfänglich macht, das Faszinierende einer derart verpflichtenden Entscheidung
wahrzunehmen. Unter seinem Wirken erleben sie gewissermaßen wieder die Erfahrung des
Propheten Jeremia: »Du hast mich betört, o Herr, und ich lieb mich betören« (20,7). Der Geist ist
es, der das Verlangen nach einer vollkommenen Antwort weckt; er leitet das Wachstum dieses
Verlangens, indem er die positive Antwort heranreifen lässt und dann ihre getreue Ausführung
unterstützt; er formt und bildet die Seele der Berufenen, indem er sie nach dem keuschen, armen
und gehorsamen Christus gestaltet und sie anspornt, sich seine Sendung zu eigen zu machen.
Während sie sich auf einem Weg unablässiger Läuterung vom Geist leiten lassen, werden sie
immer mehr zu Personen, die mit Christus gleichförmig sind, zur Verlängerung einer besonderen
Gegenwart des auferstandenen Herrn in die Geschichte hinein. Mit treffender Intuition haben die
Kirchenväter diesen geistlichen Weg als filocalia bezeichnet, das heißt Liebe zur göttlichen
Schönheit, die Ausstrahlung der göttlichen Güte ist. Wer von der Macht des Heiligen Geistes
stufenweise zur vollkommenen Gleichgestaltung mit Christus geführt wird, spiegelt in sich einen
Strahl des unerreichbaren Lichtes wider und geht auf seinem irdischen Pilgerweg bis zur
unerschöpflichen Quelle des Lichtes. So wird das geweihte Leben zu einem besonders tiefen
Ausdruck für die Kirche als Braut, die, vom Geist geführt, in sich die Wesenszüge des Bräutigams
wiederzugeben, »herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler, heilig und makellos« vor ihm
erscheint (Eph 5,27).Weit davon entfernt, diejenigen, die der Vater berufen hat, der
Menschheitsgeschichte vorzuenthalten, stellt sie derselbe Geist sodann, je nach den
Bestimmungen ihres Lebensstandes, in den Dienst der Brüder und Schwestern und leitet sie an,
in Bezug auf die Bedürfnisse von Kirche und Welt durch die den verschiedenen Instituten eigenen
Charismen besondere Aufgaben zu erfüllen. Daraus erklärt sich das Entstehen so vielfältiger
Formen geweihten Lebens, durch die die Kirche »mit den mannigfachen Gnadengaben ihrer
Kinder wie eine Braut für ihren Mann geschmückt dasteht (vgl. Offb 21,2)«und durch jedes Mittel
bereichert wird, um ihre Sendung in der Welt zu erfüllen.
Die evangelischen Räte, Geschenk der Dreifaltigkeit
20. Die evangelischen Räte sind also vor allem eine Gnadengabe der Heiligsten Dreifaltigkeit. Das
geweihte Leben ist Ankündigung dessen, was der Vater durch den Sohn im Geist aus seiner
Liebe, seiner Güte und seiner Schönheit vollbringt. Denn »der Ordensstand [...] macht die
Erhabenheit des Gottesreiches gegenüber allem Irdischen und seine höchsten Ansprüche in
besonderer Weise offenkundig. Er zeigt auch allen Menschen die überragende Größe der
Herrscherkraft Christi und die wunderbare, unbegrenzte Macht des Heiligen Geistes in der Kirche
auf«. Vorrangige Aufgabe des geweihten Lebens ist das Sichtbarmachen der Wunder, die Gott in
der schwachen Menschlichkeit derer wirkt, die er berufen hat. Mehr als mit Worten bezeugen sie
diese Wunder mit der beredten Sprache einer verklärten Existenz, die in der Lage ist, die Welt zu
überraschen. Zum Staunen der Menschen antworten sie mit der Ankündigung der Wunder der
Gnade, die der Herr in denen wirkt, die er liebt. In dem Maße, in dem sich der geweihte Mensch
vom Geist zu den Höhen der Vollkommenheit führen lässt, kann er ausrufen: »Ich sehe die

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Schönheit deiner Gnade und versenke mich in ihr Licht; ich betrachte voll Staunen diesen
unsagbaren Glanz; ich bin außer mir, während ich doch über mich selber nachdenke: was ich war
und was ich geworden bin. O Wunder! Ich bin aufmerksam, erfüllt von heiligem Respekt vor mir
selbst, von Ehrfurcht, von Angst, als stünde ich vor dir, und weiß nicht, was ich tun soll, denn mich
hat die Angst ergriffen; ich weiß nicht, wo ich mich niederlassen, wohin ich mich wenden soll,
wohin diese Glieder legen, die deine sind; für welche Taten, für welche Werke sie verwenden,
diese überraschenden göttlichen Wunder«. So wird das geweihte Leben zu einer der konkreten
Spuren, die die Dreifaltigkeit in der Geschichte hinterlässt, damit die Menschen das Faszinierende
der göttlichen Schönheit und die Sehnsucht nach ihr wahrnehmen können.
Der Abglanz des trinitarischen Lebens in den Räten
21. Der Bezug der evangelischen Räte auf die Heilige und heiligende Dreifaltigkeit offenbart ihren
tiefsten Sinn. Sie sind nämlich Ausdruck der Liebe, die der Sohn dem Vater in der Einheit des
Heiligen Geistes entgegenbringt. Durch ihr Befolgen erlebt derjenige, der sich Gott geweiht hat,
besonders intensiv den trinitarischen und christologischen Charakter, der das ganze christliche
Leben kennzeichnet. Die Keuschheit der unverheirateten Männer und der Jungfrauen als
Bekundung der ungeteilten Hingabe an Gott (vgl. 1 Kor 7,32-34) stellt einen Abglanz der
grenzenlosen Liebe dar, die die drei göttlichen Personen in der geheimnisvollen Tiefe des
trinitarischen Lebens verbindet; der Liebe, die von dem fleischgewordenen Wort bis zur Hingabe
seines Lebens bezeugt wird; der Liebe, die vom Heiligen Geist »in unsere Herzen ausgegossen«
wurde (Röm 5,5), die zu einer Antwort totaler Liebe zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern
anspornt. Die Armut bekennt, dass Gott der einzige wahre Reichtum des Menschen ist. Nach dem
Beispiel Christi gelebt, der, obwohl er »reich war, arm wurde« (2 Kor 8,9), wird die Armut
Ausdruck jener Ganzhingabe, zu der sich die drei göttlichen Personen gegenseitig machen. Es ist
die Hingabe, die in die Schöpfung überströmt und sich voll in der Menschwerdung des Wortes und
in seinem erlösenden Tod offenbart. Der Gehorsam, der in der Nachahmung Christi geübt wird,
dessen Speise es war, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34), stellt die befreiende
Schönheit einer von Verantwortungsgefühl erfüllten und von gegenseitigem Vertrauen beseelten
kindlichen und nicht sklavischen Abhängigkeit dar, die Abglanz der liebevollen Gegenseitigkeit der
drei göttlichen Personen in der Geschichte ist. Das geweihte Leben ist daher berufen, die Gabe
der evangelischen Räte mit einer immer aufrichtigeren und stärkeren Liebe in trinitarischer
Dimension beständig zu vertiefen: Liebe zu Christus, der in seinem Vertrauen ruft; zum Heiligen
Geist, der die Seele bereit macht für die Aufnahme seiner Eingebungen; zum Vater, Ursprung und
höchstes Ziel des geweihten Lebens. So wird es zum Bekenntnis und Zeichen der Dreifaltigkeit,
deren Geheimnis der Kirche als Vorbild und Quelle jeder christlichen Lebensform hingestellt wird.
Gerade das geschwisterliche Leben, kraft dessen sich die Personen des geweihten Lebens
bemühen, in Christus zu leben und »ein Herz und eine Seele« zu sein (Apg 4,32), stellt sich als
beredtes Bekenntnis zur Dreifaltigkeit dar. Es bekennt den Vater, der aus allen Menschen eine
einzige Familie machen will; es bekennt den menschgewordenen Sohn, der die Erlösten in der
Einheit versammelt und ihnen mit seinem Beispiel, mit seinem Gebet, mit seinen Worten und vor

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15
allem mit seinem Tod, der Quelle der Versöhnung für die entzweiten und zerstreuten Menschen,
den Weg zeigt; es bekennt den Heiligen Geist als Prinzip der Einheit in der Kirche, wo er nicht
aufhört, geistliche Familien und brüderliche Gemeinschaften ins Leben zu rufen.
Für das Reich Gottes geweiht wie Christus
22. Das geweihte Leben ahmt auf Anregung des Heiligen Geistes die Lebensform »ausdrücklicher
nach und bringt sie in der Kirche ständig zur Darstellung«, die Jesus, der höchste Geweihte und
Gesandte des Vaters für sein Reich, annahm und für die Jünger, die ihm folgten, bestimmt hat
(vgl. Mt 4,18-22; Mk 1,16-20; Lk 5,10-11; Joh 15,16). Im Lichte der Weihe Jesu kann man in der
Initiative des Vaters, der Quelle aller Heiligkeit, die ursprüngliche Quelle des geweihten Lebens
entdecken. Denn Jesus selbst ist derjenige, den »Gott gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit
Kraft« (Apg 10,38), »den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat« (Joh 10,36). Der Sohn,
der die Weihe durch den Vater empfängt, weiht sich ihm seinerseits für die Menschen (vgl. Joh
17,19): sein Leben in Keuschheit, Gehorsam und Armut ist Ausdruck seiner kindlichen und
vollständigen Zustimmung zum Plan des Vaters (vgl. Joh 10,30; 14,11). Seine vollkommene
Hingabe verleiht allen Begebenheiten seines irdischen Daseins eine Bedeutung von heiligender
Weihe. Er ist der Gehorsame schlechthin , der vom Himmel herabgekommen ist, nicht um seinen
Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 6,38; Hebr 10,5.7). Er legt
seine Lebens- und Handlungsweise zurück in die Hände des Vaters (vgl. Lk 2,49). In kindlichem
Gehorsam nimmt er den Stand eines Sklaven an: »Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave
[...], und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz« (Phil 2,7-8). In dieser
Gehorsamshaltung gegenüber dem Vater nimmt Christus, obwohl er die Würde und Heiligkeit des
ehelichen Lebens anerkennt und verteidigt, die jungfräuliche Lebensform an und enthüllt auf diese
Weise den hohen Wert und die geheimnisvolle geistliche Fruchtbarkeit der Jungfräulichkeit . Seine
volle Zustimmung zum Plan des Vaters offenbart sich auch in der Loslösung von den irdischen
Gütern: »Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen«
(2 Kor 8,9). Die Tiefgründigkeit seiner Armut erweist sich in der vollkommenen Aufopferung alles
dessen an Gott, was sein ist. Das geweihte Leben stellt wahrhaftig lebendige Erinnerung an die
Lebens- und Handlungsweise Jesu als fleischgewordenes Wort gegenüber dem Vater und
gegenüber den Brüdern und Schwestern dar. Es ist lebendige Überlieferung des Lebens und der
Botschaft des Erlösers.
II. ZWISCHEN OSTERN UND VOLLENDUNG
Vom Tabor auf den Kalvarienberg
23. Das strahlende Ereignis der Verklärung bereitet jenes dramatische, doch nicht weniger
glorreiche Geschehen auf dem Kalvarienberg vor. Petrus, Jakobus und Johannes sehen den
Herrn Jesus zusammen mit Mose und Elija, mit denen er — nach dem Evangelisten Lukas —
»von seinem Ende (spricht), das sich in Jerusalem erfüllen sollte« (9,31). Die Augen der Jünger

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16
sind also auf Jesus gerichtet, der an das Kreuz denkt (vgl. Lk 9,43-45). Dort wird seine
jungfräuliche Liebe zum Vater und zu allen Menschen ihren höchsten Ausdruck erreichen; seine
Armut wird zur völligen Entäußerung gelangen; sein Gehorsam bis zur Hingabe des Lebens. Die
Jünger sind eingeladen, den am Kreuz erhöhten Jesus zu betrachten, an dem Kreuz, von dem her
»das Wort, das aus dem Schweigen hervorgegangen war«, in seinem Schweigen und seiner
Einsamkeit prophetisch die absolute Transzendenz Gottes über alle geschaffenen Güter bestätigt,
in seinem Fleisch unsere Sünde besiegt, jeden Mann und jede Frau an sich zieht und jedem das
neue Leben der Auferstehung schenkt (vgl. Joh 12,32; 19,34.37). In der Betrachtung des
gekreuzigten Christus finden alle Berufungen Erleuchtung; von ihr nehmen alle Gnadengaben und
insbesondere die Gabe des geweihten Lebens mit der grundlegenden Gabe des Geistes ihren
Ausgang. Nach Maria, der Mutter Jesu, empfängt Johannes diese Gnadengabe, der Jünger, den
Jesus liebte, der Zeuge, der zusammen mit Maria unter dem Kreuz stand (vgl. Joh 19,26-27).
Seine Entscheidung zur Ganzhingabe ist Frucht der göttlichen Liebe, die ihn umhüllt, ihn trägt und
sein Herz erfüllt. Johannes gehört neben Maria zu den ersten in der langen Reihe von Männern
und Frauen, die von den Anfängen der Kirche bis zu ihrem Ende von der Liebe Gottes erfasst
werden und sich gerufen fühlen, dem Lamm, das geopfert wurde und lebt, zu folgen, wohin es
geht (vgl. Offb 14,1-5).
Österliche Dimension des geweihten Lebens
24. Der Mensch, der sich Gott geweiht hat, macht in den verschiedenen Lebensformen, die vom
Heiligen Geist im Laufe der Geschichte eingegeben wurden, die Erfahrung der Wahrheit über den
Gott der Liebe um so unmittelbarer und intensiver, je mehr er sich unter das Kreuz Christi stellt.
Er, der in seinem Tod den menschlichen Augen so entstellt und unschön erscheint, dass die
Anwesenden vor ihm das Gesicht verhüllen (vgl. Jes 53,2-3), offenbart gerade am Kreuz die
Schönheit und die Macht der Liebe Gottes in Fülle. Der hl. Augustinus besingt ihn so: »Schön ist
Gott, das Wort bei Gott [...] Schön im Himmel, schön auf Erden; schön im Schob, schön in den
Armen der Eltern; schön in den Wundern, schön in den Todesqualen; schön, wenn er zum Leben
einlädt, schön, wenn man sich nicht um den Tod kümmert, schön im Verlassen des Lebens und
schön, wenn er dieses Leben wieder nimmt; schön am Kreuz, schön im Grab, schön im Himmel.
Hört den Gesang mit Klugheit und die Schwachheit des Fleisches möge eure Augen nicht vom
Glanz seiner Schönheit ablenken«. Diesen Glanz der Liebe spiegelt das geweihte Leben wider,
weil es mit seiner Treue zum Kreuzesgeheimnis bekennt, an die Liebe des Vaters, des Sohnes
und des Heiligen Geistes zu glauben und aus ihr zu leben. Auf diese Weise trägt es dazu bei, in
der Kirche das Bewusstsein lebendig zu erhalten, dass das Kreuz der Überfluss der Liebe Gottes
ist, die auf diese Welt überströmt , das großartige Zeichen der Heilsgegenwart Christi. Und dies
besonders bei Schwierigkeiten und Heimsuchungen. Das alles wird mit zutiefst
bewundernswertem Mut von einer großen Anzahl geweihter Personen fortwährend bezeugt, die
oft in schwierigen Situationen, bis hin zu Verfolgung und Martyrium ausharren. Ihre Treue zur
einzigen Liebe zeigt und stärkt sich in der Demut eines verborgenen Lebens, in der Annahme von
Leiden, um in ihrem Leben, im schweigenden Opfer, in der Hingabe an den heiligen Willen Gottes,

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17
in Treue auch angesichts des Schwindens der Kräfte und des eigenen Ansehens »das zu
ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt« (Kol 1,24). Aus der Treue zu Gott erwächst auch
die Hingabe an den Nächsten, die die Personen des geweihten Lebens in der ständigen Fürbitte
für die Nöte der Brüder und Schwestern, im hochherzigen Dienst an den Armen und Kranken, im
Teilen und Mittragen der Schwierigkeiten anderer, in der eifrigen Teilnahme an den Sorgen und
Heimsuchungen der Kirche nicht ohne Opfer leben.
Zeugen Christi in der Welt
25. Aus dem Ostergeheimnis entspringt auch der missionarische Charakter, eine das gesamte
kirchliche Leben kennzeichnende Dimension. Sie findet eine besondere Verwirklichung im
geweihten Leben. Denn auch unabhängig von den Charismen jener Institute, die sich der Mission
ad gentes widmen oder apostolische Aktivitäten im eigentlichen Sinne des Wortes ausüben, kann
man sagen, dass der missionarische oder Sendungscharakter jeder Form des geweihten Lebens
zutiefst innewohnt. In dem Maße, in dem der Geweihte ein Leben lebt, das ausschließlich dem
Vater gewidmet (vgl. Lk 2,49; Joh 4,34), von Christus ergriffen (vgl. Joh 15,16; Gal 1,15-16), und
vom Geist beseelt ist (vgl. Lk 24,49; Apg 1,8; 2,4), arbeitet er wirksam mit an der Sendung des
Herrn Jesus (vgl. Joh 20,21) und trägt in besonders intensiver Weise zur Erneuerung der Welt bei.
Die erste missionarische Aufgabe haben die Personen des geweihten Lebens gegenüber sich
selbst und sie erfüllen sie dadurch, dass sie ihr Herz dem Wirken des Geistes Christi öffnen. Ihr
Zeugnis hilft der ganzen Kirche, sich daran zu erinnern, dass an erster Stelle der unentgeltliche
Dienst an Gott steht, der durch Christi Gnade ermöglicht wird, die dem Gläubigen durch das
Geschenk des Geistes mitgeteilt wird. So wird der Welt der Friede verkündet, der vom Vater
herkommt, die Hingabe, die vom Sohn bezeugt wird, und die Freude, die Frucht des Heiligen
Geistes ist. Die Personen des geweihten Lebens werden vor allem dann missionarisch sein, wenn
sie unablässig das Bewusstsein vertiefen, von Gott berufen und erwählt worden zu sein, dem sie
daher ihr ganzes Leben zuwenden und alles, was sie sind und haben, darbringen und sich von
den Hindernissen befreien müssen, die die Vollkommenheit der aus der Liebe kommenden
Antwort verzögern könnten. Auf diese Weise werden sie zu einem echten Zeichen Christi in der
Welt werden können. Auch ihr Lebensstil muss das Ideal, zu dem sie sich bekennen, sichtbar
werden lassen und sich als lebendiges Zeichen Gottes und als beredte, wenn auch oft
schweigende Verkündigung des Evangeliums darstellen. Immer, aber besonders in der heutigen,
oft so säkularisierten Kultur, die aber trotzdem für die Sprache der Zeichen empfänglich ist, muss
sich die Kirche bemühen, ihre Anwesenheit im Alltagsleben sichtbar zu machen. Einen
bedeutsamen Beitrag in diesem Sinne erwartet sie sich zu Recht von den Personen des
geweihten Lebens, die berufen sind, in jeder Situation konkret von ihrer Zugehörigkeit zu Christus
Zeugnis abzulegen. Da das Ordensgewand Zeichen der Weihe, der Armut und der Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Ordensfamilie ist, empfehle ich zusammen mit den Synodenvätern den
Ordensleuten nachdrücklich, ihr den Umständen von Zeit und Ort entsprechend angepasstes
Gewand zu tragen. Wo entsprechende apostolische Erfordernisse es verlangen, können sie der
Tradition und den Normen ihres Instituts gemäß auch gewöhnliche, aber geziemende Kleidung

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18
tragen mit einem geeigneten Symbol, das ihre Weihe erkennbar macht. Die Institute, die
ursprünglich bzw. durch Verfügung ihrer Konstitutionen kein eigenes Gewand vorsehen, sollen
dafür sorgen, dass die Kleidung der Brüder und Schwestern durch Würde und Schlichtheit der
Natur ihrer Berufung entspreche.
Eschatologische Dimension des geweihten Lebens
26. Da sich heute die apostolischen Sorgen als immer dringender erweisen und das Engagement
für die Dinge dieser Welt die Menschen immer mehr in Anspruch zu nehmen droht, ist es
besonders geboten, die Aufmerksamkeit auf die eschatologische Natur des geweihten Lebens zu
lenken.» Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz« (Mt 6,21): der einzige Schatz des
Gottesreiches ruft das Verlangen, die Erwartung, den Einsatz und das Zeugnis hervor. In der
Urkirche wurde die Erwartung der Wiederkunft des Herrn besonders intensiv gelebt. Die Kirche
hat jedoch während all der Jahrhunderte nicht aufgehört, diese Hoffnungshaltung zu pflegen: sie
hat immer wieder die Gläubigen eingeladen, nach dem Heil Ausschau zu halten, das schon bald
offenbar werden wird, »denn die Gestalt dieser Welt vergeht« (1 Kor 7,31; vgl. 1 Petr 1,3-6). Vor
diesem Hintergrund ist die Rolle des endzeitlichen Zeichens gerade des geweihten Lebens besser
zu verstehen. Denn unveränderlich ist die Lehre, die sie als Vorwegnahme des zukünftigen
Reiches darstellt. Das II. Vatikanische Konzil greift diese Lehre wieder auf, wenn es sagt, »der
Ordensstand [...] kündigt die zukünftige Auferstehung und die Herrlichkeit des Himmelreiches an«.
Das geschieht vor allem durch die Entscheidung für die Jungfräulichkeit, die von der Überlieferung
immer als eine Vorwegnahme der endgültigen Welt verstanden wurde, die schon jetzt am Werk ist
und den Menschen in seiner Ganzheit verwandelt. Die Menschen, die ihr Leben Christus geweiht
haben, müssen in der Sehnsucht leben, ihm zu begegnen, um endlich und für immer bei ihm zu
sein. Daher die brennende Erwartung, daher das Verlangen, »einzutauchen in das Feuer der
Liebe, das in ihnen brennt und das nichts anderes ist als der Heilige Geist«, Erwartung und
Sehnsucht, gestärkt von den Gaben, die der Herr freigiebig denen gewährt, die nach dem streben,
was im Himmel ist (vgl. Kol 3,1).Die Person des geweihten Lebens, die in den Dingen des Herrn
feststeht, erinnert sich, dass »wir hier keine Stadt haben, die bestehen bleibt« (Hebr 13,14), denn
»unsere Heimat ist im Himmel« (Phil 3,20). Es kommt allein darauf an, nach dem »Reich Gottes
und seiner Gerechtigkeit« zu suchen (Mt 6,33) mit der unaufhörlichen Bitte um das Kommen des
Herrn.
Eine tätige Erwartung: Einsatz und Wachsamkeit
27. «Komm, Herr Jesus!« (Offb 22,20). Diese Erwartung ist alles andere als untätig: auch wenn
sie sich dem künftigen Reich zuwendet, setzt sie sich in Arbeit und Mission um, damit durch das
Erwecken des Geistes der Seligpreisungen, der auch in der menschlichen Gesellschaft wirksame
Forderungen nach Gerechtigkeit, Frieden, Solidarität und Vergebung zu stellen vermag, das Reich
schon jetzt gegenwärtig werde. Das wird von der Geschichte des geweihten Lebens, das immer
reiche Früchte auch für die Welt hervorgebracht hat, ausführlich bewiesen. Mit ihren

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19
Gnadengaben werden die Personen des geweihten Lebens zu einem Zeichen des Geistes für
eine neue, vom Glauben und von der christlichen Hoffnung erleuchtete Zukunft hin. Die
Endzeitstimmung setzt sich in Sendung um, damit das Reich hier und jetzt in steigendem Maße
Wirklichkeit werde. An die Bitte: »Komm, Herr Jesus!« schließt sich die andere inständige Bitte an:
»Dein Reich komme!« (Mt 6,10).Wer wachsam die Erfüllung der Verheißungen Christi erwartet, ist
imstande, auch bei seinen im Hinblick auf die Zukunft oft misstrauischen und pessimistischen
Brüdern und Schwestern Hoffnung zu wecken. Seine Hoffnung gründet sich auf die Verheißung
Gottes, die im Wort der Offenbarung enthalten ist: die Geschichte der Menschen geht auf den
»neuen Himmel und die neue Erde« zu (Offb 21,1), wo der Herr »alle Tränen von ihren Augen
abwischen wird: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was
früher war, ist vergangen« (Offb 21,4).Das geweihte Leben steht im Dienst dieser endgültigen
Ausstrahlung der göttlichen Herrlichkeit, wenn alle Menschen das Heil sehen werden, das von
Gott kommt (vgl. Lk 3,6; Jes 40,5). Der christliche Orient stellt diese Dimension heraus, wenn er
die Mönche als Engel Gottes auf Erden betrachtet, die die Erneuerung der Welt in Christus
verkünden. Im Abendland ist das Mönchtum feierliches Gedenken und Vigil: Gedenken der von
Gott vollbrachten Wunder, Vigil der letzten Erfüllung der Hoffnung. Die Botschaft des Mönchtums
und des kontemplativen Lebens wiederholt unablässig, dass der Vorrang Gottes für die
menschliche Existenz Fülle von Bedeutung und Freude ist, weil der Mensch für Gott geschaffen
und unruhig ist, bis er in ihm Frieden findet.
Die Jungfrau Maria, Modell der Weihe und Nachfolge
28. Von ihrer unbefleckten Empfängnis an spiegelt Maria am vollkommensten die göttliche
Schönheit wider. »Ganz und gar Schöne« ist der Titel, mit dem die Kirche sie anruft. »Die
Beziehung zur seligsten Jungfrau Maria, die jeder Gläubige wegen seiner Verbundenheit mit
Christus hat, ist im Leben der Ordensleute besonders ausgeprägt... Alle [Institute des geweihten
Lebens] sind davon überzeugt, dass die Gegenwart Mariens eine grundlegende Bedeutung hat
sowohl für das geistliche Leben jeder geweihten Person als auch für die Beständigkeit, die Einheit
und den Fortschritt der ganzen Gemeinschaft«. Maria ist in der Tat das höchste Vorbild
vollkommener Weihe in der vollen Zugehörigkeit und Ganzhingabe an Gott. Vom Herrn erwählt,
der in ihr das Geheimnis der Menschwerdung vollzogen hat, erinnert sie die Personen des
geweihten Lebens an den Vorrang der Initiative Gottes . Gleichzeitig stellt sich Maria, die dem
göttlichen Wort, das in ihr Fleisch geworden ist, ihre Zustimmung gegeben hat, als Modell des
Gnadenempfanges seitens der menschlichen Kreatur dar. Die Jungfrau, die während des
verborgenen Lebens in Nazaret zusammen mit Josef Christus nahe und in den entscheidenden
Augenblicken seines öffentlichen Lebens neben dem Sohn zugegen war, ist Lehrmeisterin
bedingungsloser Nachfolge und beständigen Dienstes. In ihr, dem »Heiligtum des Heiligen
Geistes«, erstrahlt so der ganze Glanz der neuen Schöpfung. Das geweihte Leben blickt auf sie
als höchstes Modell der Weihe an den Vater, der Einheit mit dem Sohn und der Fügsamkeit
gegenüber dem Heiligen Geist in dem Bewusstsein, dass das Befolgen »der jungfräulichen und
armen Lebensweise« Christi bedeutet, sich auch die Lebensweise Mariens zu eigen zu machen.

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20
In der Jungfrau begegnet die geweihte Person außerdem einer Mutter mit ganz besonderem
Anrecht. Denn auch wenn die am Kalvarienberg Maria übertragene neue Mutterschaft ein
Geschenk an alle Christen ist, hat sie für denjenigen, der sein Leben vollständig Christus geweiht
hat, eine besondere Bedeutung. »Siehe, deine Mutter« (Joh 19,27): Jesu Worte an den Jünger,
»den er liebte« (Joh 19,26), gewinnen im Leben der geweihten Person eine besondere Tiefe.
Denn sie ist mit Johannes aufgerufen, Maria zu sich zu nehmen (vgl. Joh 19,27), wobei sie diese
mit der Radikalität seiner Berufung liebt und nachahmt und, als Erwiderung, eine besondere
mütterliche Zärtlichkeit erfährt. Die Jungfrau vermittelt ihr jene Liebe, die sie jeden Tag das Leben
für Christus darbringen lässt, indem er mit ihr für die Rettung der Welt wirkt. Darum stellt die
kindliche Beziehung zu Maria den bevorzugten Weg für die Treue zu der empfangenen Berufung
und eine äußerst wirksame Hilfe dar, um in dieser Berufung voranzukommen und sie in Fülle zu
leben.
III. IN DER KIRCHE UND FÜR DIE KIRCHE
»Es ist gut, dass wir hier sind«: das geweihte Leben im Geheimnis der Kirche
29. Beim Anblick der Verklärung spricht Petrus im Namen der anderen Apostel: »Es ist gut, dass
wir hier sind« (Mt 17,4). Die Erfahrung der Herrlichkeit Christi, die ihm sogar den Verstand und
das Herz berauscht, isoliert ihn nicht, sondern bindet ihn im Gegenteil noch enger an das »wir«
der Jünger. Diese Dimension des »wir« lässt uns den Stellenwert betrachten, den das geweihte
Leben im Geheimnis der Kirche innehat. Die theologische Reflexion über das Wesen des
geweihten Lebens hat in diesen Jahren die aus der Lehre des II. Vatikanischen Konzils
hervorgegangenen neuen Sichtweisen vertieft. So hat man in ihrem Licht erkannt, dass das
Bekenntnis zu den evangelischen Räten unerschütterlich zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche
gehört. Das bedeutet, dass das von Anfang an vorhandene geweihte Leben in der Kirche als ein
für sie unverzichtbares und kennzeichnendes Element nie wird fehlen können, weil es Ausdruck
ihres eigentlichen Wesens ist. Dies geht klar daraus hervor, dass das Bekenntnis zu den
evangelischen Räten zutiefst mit dem Geheimnis Christi verbunden ist, da es die Aufgabe hat, so
gut wie möglich die Lebensform darzustellen, die er für sich wählte, und sie als absoluten und
eschatologischen Wert aufzuzeigen. Jesus selbst hat durch die Berufung einiger Personen, die er
aufforderte, alles zu verlassen und ihm zu folgen, diese Lebensform eingeführt, die sich unter der
Wirkung des Geistes im Laufe der Jahrhunderte allmählich in den verschiedenen Formen des
geweihten Lebens entfalten wird. Die Vorstellung von einer Kirche, die einzig aus geweihten
Amtsinhabern und aus Laien zusammengesetzt ist, entspricht deswegen nicht den Absichten ihres
göttlichen Gründers, wie sie uns aus den Evangelien und den neutestamentlichen Schriften
ersichtlich sind.
Die neue und besondere Weihe
30. In der Tradition der Kirche wird die Ordensprofess als eine einzigartige und fruchtbare

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21
Vertiefung der Taufweihe betrachtet, da sich durch sie die bereits mit der Taufe eingeleitete innige
Verbindung mit Christus in dem Geschenk einer durch das Bekenntnis zu den evangelischen
Räten vollkommener zum Ausdruck gebrachten und verwirklichten Anpassung an ihn entfaltet.
Diese weitere Weihe weist dennoch ihre Eigenart im Vergleich zur ersten auf, insofern sie nicht
eine notwendige Folge daraus ist. Tatsächlich ist jeder, der in Christus zu neuem Leben erweckt
wurde, berufen, mit der aus der Gabe des Geistes stammenden Kraft seinem Lebensstand gemäß
die Keuschheit, den Gehorsam gegenüber Gott und der Kirche und eine vernünftige Loslösung
von den materiellen Gütern zu leben, weil alle zur Heiligkeit berufen sind, die in der
Vollkommenheit der Liebe besteht. Aber die Taufe ist an und für sich nicht mit der Berufung zum
Zölibat oder zur Jungfräulichkeit, mit dem Verzicht auf Besitz von Gütern und mit dem Gehorsam
gegenüber einem Oberen in der eigentlichen Form der evangelischen Räte verbunden. Deshalb
setzt das Bekenntnis zu diesen evangelischen Räten ein besonderes, nicht allen gewährtes
Geschenk Gottes voraus, wie Jesus selber für den Fall des freiwilligen Zölibats hervorhebt (vgl. Mt
19,10-12).Dieser Berufung entspricht allerdings eine spezifische Gabe des Heiligen Geistes ,
damit derjenige, der sich Gott weiht, seiner Berufung und seiner Sendung zu entsprechen vermag.
Wie die Liturgie im Orient und im Abendland bezeugt, ruft deshalb die Kirche beim Ritus der
Ablegung des Ordensgelübdes und bei der Jungfrauenweihe auf die erwählten Personen die
Gabe des Heiligen Geistes herab und verbindet ihre Selbsthingabe mit dem Opfer Christi. Das
Bekenntnis zu den evangelischen Räten ist auch eine Entfaltung der Gnade des Sakramentes der
Firmung, geht aber über die normalen Ansprüche der Chrisam-Weihe hinaus, kraft einer
besonderen Gabe des Geistes, die, wie die Geschichte des geweihten Lebens beweist, neue
Möglichkeiten und Früchte der Heiligkeit und des Apostolats eröffnet. Was die Priester betrifft, die
das Gelübde der evangelischen Räte ablegen, zeigt die Erfahrung, dass das Weihesakrament in
dieser Weihe zu einer besonderen Fruchtbarkeit gelangt, da sie die Anforderung einer engeren
Zugehörigkeit zum Herrn stellt und begünstigt. Der Priester, der das Gelübde der evangelischen
Räte ablegt, ist auch dank der je eigenen Spiritualität seines Instituts und der apostolischen
Dimension des zugehörigen Charismas in besonderer Weise dafür ausgestattet, die Fülle des
Geheimnisses Christi in sich neu zu beleben. Im Priester laufen nämlich die Berufung zum
Priestertum und zum geweihten Leben in tiefer, dynamischer Einheit zusammen. Von
unermesslichem Wert ist auch der Beitrag, der von den Ordenspriestern zum Leben der Kirche
geleistet wird, die sich gänzlich der Kontemplation widmen. In der Eucharistiefeier vollziehen sie
insbesondere eine Handlung der Kirche und für die Kirche, mit der sie ihre Selbsthingabe
verbinden in Gemeinschaft mit Christus, der sich für das Heil der ganzen Welt dem Vater hingibt.
Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen des Christen
31. Die verschiedenen Lebensformen, in die sich nach dem Plan des Herrn Jesus das kirchliche
Leben gliedert, weisen wechselseitige Beziehungen auf, die einer eingehenderen Betrachtung
wert sind. Alle Gläubigen teilen kraft ihrer Wiedergeburt in Christus eine gemeinsame Würde; alle
sind zur Heiligkeit berufen; alle wirken am Aufbau des einen Leibes Christi mit, ein jeder
entsprechend seiner Berufung und der vom Geist empfangenen Gabe (vgl. Röm 12,3-8).Die

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gleiche Würde unter allen Gliedern der Kirche ist das Werk des Geistes, sie ist begründet auf der
Taufe und der Firmung und wird gestärkt durch die Eucharistie. Aber Werk des Geistes ist auch
die Vielgestaltigkeit. Er ist es, der in der Vielfalt von Berufungen, Charismen und Dienstämtern die
Kirche in einer organischen Gemeinschaft begründet. Die Berufungen zum Leben als Laie, zum
geweihten Dienst und zum geweihten Leben können gleichsam als beispielhaft angesehen
werden, da alle einzelnen Berufungen sich unter dem einen oder anderen Aspekt auf sie berufen
oder auf sie zurückführen lassen, ob man sie nun einzeln oder zusammen empfängt, je nach dem
Reichtum der Gabe Gottes. Darüber hinaus dienen sie einander zum Wachstum des Leibes
Christi in der Geschichte und zu seiner Sendung in der Welt. Alle in der Kirche haben die Tauf-
oder Firmweihe erhalten, aber das geweihte Dienstamt und das geweihte Leben setzen jeweils
eine unterschiedliche Berufung und eine besondere Weiheform im Hinblick auf eine bestimmte
Sendung voraus. Angemessene Grundlage für die Sendung der Laien, deren Aufgabe es ist, »in
der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen«, ist
die allen Gliedern des Gottesvolkes gemeinsame Taufweihe. Die geweihten Diener empfangen
außer dieser grundlegenden Weihe jene der Ordination, um das apostolische Dienstamt in der
Zeit fortzuführen. Die Personen des geweihten Lebens, die die evangelischen Räte befolgen,
erhalten eine neue und besondere Weihe, die – auch wenn sie keinen sakramentalen Charakter
hat – sie verpflichtet, sich in Zölibat, in der Armut und im Gehorsam die Lebensform zu eigen zu
machen, die Jesus persönlich gelebt hat und von ihm den Jüngern empfohlen worden ist. Obwohl
diese verschiedenen Stände Bekundungen des einzigartigen Geheimnisses Christi sind, haben
die Laien als besonderes, wenn auch nicht ausschließliches Merkmal den Weltcharakter, die
geweihten Hirten den Dienstamtscharakter, die Ordensleute die besondere Gleichförmigkeit mit
dem keuschen, armen und gehorsamen Christus.
Der besondere Wert des geweihten Lebens
32. In dieser harmonischen Gesamtheit von Gaben ist jede der grundlegenden Lebensformen mit
der Aufgabe betraut, in ihrem eigenen Lebensstand die eine oder andere Dimension des
einzigartigen Geheimnisses Christi zum Ausdruck zu bringen. Wenn das Laienleben einen
besonderen Auftrag hat, der Botschaft des Evangeliums innerhalb der zeitlichen Wirklichkeit
Gehör zu verschaffen, so wird im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft von den Mitgliedern des
geweihten Standes ein unersetzlicher Dienst versehen, in besonderer Weise von den Bischöfen.
Diese haben die Aufgabe, das Volk Gottes zu leiten durch die Lehre des Wortes, die Spendung
der Sakramente und die Ausübung der heiligen Amtsgewalt im Dienste der kirchlichen
Gemeinschaft, die eine organische, hierarchisch geordnete Gemeinschaft ist. Das die Bedeutung
der Heiligkeit der Kirche angeht, muss ein objektiver Vorrang dem geweihten Leben zuerkannt
werden, das die Lebensweise Christi selbst widerspiegelt. Eben deshalb findet sich darin eine
besonders reichhaltige Beschreibung der evangelischen Güter und eine vollkommenere
Verwirklichung des Zieles der Kirche, das die Heiligung der Menschheit ist. Das geweihte Leben
kündigt die künftige Zeit an und nimmt sie gewissermaßen vorweg, wenn jenes Himmelreich, das
schon jetzt im Keim und im Geheimnis gegenwärtig ist, zur Vollendung gelangt ist, und die Kinder

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der Auferstehung nicht mehr heiraten, sondern sein werden wie die Engel Gottes (vgl. Mt 22,
30).Tatsächlich ist die Vorzüglichkeit der vollkommenen Keuschheit um des Himmelreiches willen,
die zu Recht als das »Tor« zum ganzen geweihten Leben gilt, Thema der feststehenden Lehre der
Kirche. Sie zollt allerdings große Hochachtung der Berufung zur Ehe, die die Eheleute zu »Zeugen
und Mitarbeitern der fruchtbaren Mutter Kirche« macht »zum Zeichen und in Teilnahme jener
Liebe, in der Christus seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben hat« Unter diesem
Gesichtspunkt, der dem ganzen geweihten Leben gemeinsam ist, bewegen sich untereinander
verschiedene, aber sich ergänzende Wege. Die Personen des geweihten Lebens, die sich
gänzlich der Kontemplation widmen, sind in besonderer Weise Abbild Christi, der auf dem Berg
betet. Die geweihten Personen mit einem aktiven Leben tun ihn kund, »wie er den Scharen das
Reich Gottes verkündigt oder wie er die Kranken und Schwachen heilt und die Sünder zum Guten
bekehrt oder wie er die Kinder segnet und allen Wohltaten erweist«. Einen besonderen Dienst an
der Ankunft des Reiches Gottes versehen die Personen geweihten Lebens in den
Säkularinstituten ; sie vereinen in einer spezifischen Synthese den Wert der Weihe mit dem
Charakter des Säkularen. Indem sie ihre Weihe in der Welt und von der Welt ausgehend leben,
»sind [sie] bestrebt, wie ein Sauerteig alles mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen zur
Stärkung und zum Wachstum des Leibes Christi«. Sie haben zu diesem Zweck Anteil am
Verkündigungsdienst der Kirche durch das persönliche Zeugnis eines christlichen Lebens, durch
den Einsatz, damit die zeitlichen Dinge nach dem Willen geordnet seien, durch die Mitarbeit im
Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft, entsprechend dem ihrer Lebensausrichtung eigenen
Weltcharakter.
Das Evangelium der Seligpreisungen bezeugen
33. Besondere Aufgabe des geweihten Lebens ist es, in den Getauften das Bewusstsein für die
wesentlichen Werte des Evangeliums lebendig zu erhalten, indem sie »ein deutliches und
hervorragendes Zeugnis dafür geben, dass die Welt nicht ohne den Geist der Seligpreisungen
verwandelt und Gott dargebracht werden kann«. Auf diese Weise lässt das geweihte Leben
fortwährend im Bewusstsein des Gottesvolkes das Bedürfnis aufbrechen, mit der Heiligkeit des
Lebens auf die durch den Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe Gottes zu antworten
(vgl. Röm 5,5), indem sich in der Haltung die sakramentale Weihe widerspiegelt, die durch Gottes
Wirken in der Taufe und in der Firmung oder in der Weihe erfolgt ist. Es ist in der Tat notwendig,
von der in den Sakramenten vermittelten Heiligkeit zur Heiligkeit des täglichen Lebens
überzugehen. Das geweihte Leben stellt sich mit seiner Existenz in der Kirche in den Dienst der
Heiligung des Lebens jedes Gläubigen, des Laien wie des Klerikers. Andererseits darf man nicht
vergessen, dass die Personen des geweihten Lebens auch ihrerseits vom eigenen Zeugnis der
anderen Berufungen eine Hilfe erhalten, um die Zugehörigkeit zum Geheimnis Christi und der
Kirche in ihren vielfältigen Dimensionen vollständig zu leben. Auf Grund dieser wechselseitigen
Bereicherung wird die Sendung des geweihten Lebens bedeutsamer und wirksamer: den anderen
Brüdern und Schwestern mit festem Blick auf den zukünftigen Frieden als Ziel die endgültige
Seligkeit bei Gott aufzuzeigen.

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Lebendiges Bild der Kirche als Braut
34. Einen besonderen Stellenwert im geweihten Leben hat der Sinn des Bräutlichen, der auf das
Bedürfnis der Kirche hinweist, in ausschließlicher Ganzhingabe an ihren Bräutigam zu leben, von
dem sie alles Gute empfängt. In dieser Dimension des Bräutlichen, die dem ganzen geweihten
Leben zueigen ist, ist es vor allem die Frau, die sich in einzigartiger Weise wiederfindet, so als
würde sie den besonderen Charakter ihrer Beziehung zum Herrn entdecken. Eindrucksvoll ist
diesbezüglich die neutestamentliche Stelle, die Maria mit den Aposteln im Abendmahlssaal in
betender Erwartung des Heiligen Geistes darstellt (vgl. Apg 1,13-14). Da kann man ein lebendiges
Bild der Kirche als Braut sehen, die auf die Zeichen des Bräutigams achtet und bereit ist, sein
Geschenk zu empfangen. Bei Petrus und den anderen Aposteln tritt vor allem die Dimension der
Fruchtbarkeit hervor, die sich im kirchlichen Dienstamt ausdrückt, das durch die Weitergabe des
Wortes, die Feier der Sakramente und die Seelsorge zum Werkzeug des Geistes für die Zeugung
neuer Söhne und Töchter wird. In Maria ist die Dimension der bräutlichen Aufnahme besonders
lebendig, mit der die Kirche durch ihre ganze jungfräuliche Liebe in sich das göttliche Leben
fruchtbar werden läbt. Das geweihte Leben wurde immer vorwiegend von Seiten Mariens, der
jungfräulichen Braut, gesehen. In dieser jungfräulichen Liebe hat eine besondere Fruchtbarkeit
ihren Ursprung, die zum Entstehen und Wachstum des göttlichen Lebens in den Herzen beiträgt.
Auf den Spuren Mariens, der neuen Eva, bringt die Person des geweihten Lebens ihre geistliche
Fruchtbarkeit dadurch zum Ausdruck, dass sie aufnahmebereit wird für das Wort, um mit ihrer
bedingungslosen Hingabe und ihrem lebendigen Zeugnis am Aufbau der neuen Menschheit
mitzuwirken. So offenbart die Kirche voll ihre Mütterlichkeit sowohl durch die dem Petrus
anvertraute Mitteilung des göttlichen Handelns als auch durch die für Maria typische
verantwortungsvolle Annahme des göttlichen Geschenkes. Das christliche Volk findet seinerseits
im geweihten Dienstamt die Mittel des Heils, im geweihten Leben den Ansporn zu einer
vollkommenen Antwort der Liebe in allen verschiedenen Formen der Diakonie.
IV. VOM GEIST DER HEILIGKEIT GEFÜHRT
»Verklärte« Existenz: der Ruf zur Heiligkeit
35. «Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu
Boden« (Mt 17,6). Im Ereignis der Verklärung betonen die Synoptiker, wenn auch mit
verschiedenen Nuancen, den Sinn der Angst, die die Jünger ergreift. Der Glanz des verklärten
Antlitzes Christi verhindert nicht, dass sie sich angesichts der göttlichen Majestät, die sie in ihren
Bann schlägt, bestürzt vorkommen. Wann immer der Mensch die Herrlichkeit Gottes erfährt,
berührt er auch mit den Händen sein Kleinsein, und er bekommt davon ein Gefühl des
Schreckens. Diese Angst ist heilbringend. Sie erinnert den Menschen an die göttliche
Vollkommenheit und gleichzeitig drängt sie ihn mit einem dringenden Aufruf zur »Heiligkeit«. Alle
Söhne und Töchter der Kirche, die vom Vater aufgerufen sind, auf Christus »zu hören«, müssen
ein tiefes Bedürfnis nach Bekehrung und Heiligkeit verspüren. Wie bei der Synode betont wurde,

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ruft dieses Bedürfnis aber in erster Linie das geweihte Leben auf den Plan. Denn die Berufung der
Personen des geweihten Lebens, vor allen anderen Dingen das Reich Gottes zu suchen, ist vor
allem ein Ruf zur völligen Umkehr, in der Selbstaufgabe, um ganz vom Herrn zu leben, damit Gott
alles in allen sei. Die Personen des geweihten Lebens sind berufen, das verklärte Angesicht
Christi zu betrachten und zu bezeugen; sie sind aber auch zu einem »verklärten« Dasein berufen.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, was im Schlussbericht der II. Außerordentlichen
Versammlung der Synode formuliert wurde: »In der ganzen Kirchengeschichte sind heilige
Männer und Frauen stets in den schwierigsten Situationen Quelle und Ursprung der Erneuerung
gewesen. Heute haben wir größten Bedarf an Heiligen, die wir eindringlich von Gott erflehen
müssen. Die Institute des geweihten Lebens müssen sich durch das Bekenntnis zu den
evangelischen Räten ihrer besonderen Sendung in der Kirche von heute bewusst sein, und wir
müssen sie in ihrer Sendung ermutigen«. Dieser Beurteilung stimmten die Väter der IX.
Synodenversammlung zu, die erklärten: »Das geweihte Leben ist während der ganzen
Kirchengeschichte eine lebendige Gegenwart dieses Wirkens des Geistes gewesen. Es war ein
bevorzugter Raum der absoluten Liebe zu Gott und zum Nächsten, ein Zeugnis für den göttlichen
Plan, aus der ganzen Menschheit in der Zivilisation der Liebe die große Familie der Kinder Gottes
zu machen«. Die Kirche hat stets im Bekenntnis zu den evangelischen Räten einen bevorzugten
Weg zur Heiligkeit gesehen. Die Ausdrücke selbst, mit denen sie diese umschreibt — Schule des
Dienstes am Herrn, Schule der Liebe und Heiligkeit, Weg oder Stand der Vollkommenheit —,
weisen sowohl auf die Wirksamkeit und den Reichtum der dieser evangelischen Lebensform
eigenen Wege wie auf das besondere Engagement derer hin, die sie annehmen. Es ist kein Zufall,
dass im Laufe der Jahrhunderte so viele Personen des geweihten Lebens eindrucksvolle
Zeugnisse der Heiligkeit hinterlassen und besonders großherzige und schwierige Werke der
Evangelisierung und des Dienstes vollbracht haben.
Treue zum Charisma
36. In der Nachfolge Christi und in der Liebe zu seiner Person gibt es einige Punkte bezüglich des
Wachstums der Heiligkeit im geweihten Leben, die heute besonders hervorgehoben zu werden
verdienen. Vor allem wird die Treue zum Gründungscharisma und dem sich daraus ergebenden
geistlichen Erbe jedes Instituts verlangt. Gerade in dieser Treue zur Inspiration der Gründer und
Gründerinnen, einer Gabe des Heiligen Geistes, lassen sich die wesentlichen Elemente des
geweihten Lebens leichter wiederentdecken und intensiver wiederbeleben. Jedes Charisma hat
nämlich an seinem Anfang eine dreifache Orientierung: vor allem ist es auf den Vater ausgerichtet
im Verlangen, kindlich seinen Willen zu suchen durch einen dauernden Bekehrungsprozess, in
dem der Gehorsam die Quelle wahrer Freiheit ist, die Keuschheit die Erwartung eines von jeder
vergänglichen Liebe unbefriedigten Herzens zum Ausdruck bringt, die Armut jenen Hunger und
Durst nach Gerechtigkeit nährt, den zu stillen Gott verheißen hat (vgl. Mt 5,6). In dieser Sicht wird
das Charisma jedes Instituts die Person des geweihten Lebens anspornen, ganz Gott zu gehören,
mit Gott oder von Gott zu reden, wie vom hl. Dominikus gesagt wird, um zu kosten, wie gütig der
Herr in allen Situationen ist (vgl. Ps 34 [33],9).Die Charismen des geweihten Lebens schließen

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auch eine Orientierung auf den Sohn hin ein: sie leiten dazu an, mit ihm eine innige und frohe
Lebensgemeinschaft in der Schule seines großherzigen Dienstes vor Gott und an den Brüdern
und Schwestern zu pflegen. »Der nach und nach Christus ähnlich gewordene Blick lernt so, sich
abzukehren vom Äußerlichen, vom Sturm der Gefühle, das heißt von allem, was den Menschen
daran hindert, sich leicht und bereitwillig vom Geist ergreifen zu lassen«, und erklärt sich so bereit,
mit Christus in die Mission zu gehen, indem er mit ihm bei der Ausbreitung seines Reiches arbeitet
und leidet. Schließlich wohnt jedem Charisma eine Orientierung nach dem Heiligen Geist inne,
denn es veranlasst den Betreffenden, sowohl auf seinem persönlichen geistlichen Weg wie im
Leben der Gemeinschaft und bei der apostolischen Tätigkeit sich von ihm leiten und bestärken zu
lassen, um in jener Haltung des Dienens zu leben, die jede Entscheidung eines glaubwürdigen
Christen inspirieren muss. Tatsächlich tritt bei jedem Gründungscharisma immer diese dreifache
Beziehung zutage, wenn auch mit den je spezifischen Zügen der verschiedenen Lebensmodelle,
auf Grund der Tatsache, dass in ihm »eine tiefe, brennende Sehnsucht des Herzens« herrscht,
»Christus gleichförmig zu werden, um einen gewissen Aspekt seines Geheimnisses zu
bezeugen«; gemeint ist der spezifische Aspekt, gemäß den Regeln, Konstitutionen und Statuten in
die echte Tradition des Instituts hineinzuwachsen und sich darin zu entfalten.
Schöpferische Treue
37. Die Institute werden daher eingeladen, als Antwort auf die in der heutigen Welt auftretenden
Zeichen der Zeit mutig den Unternehmungsgeist, die Erfindungsgabe und die Heiligkeit der
Gründer und Gründerinnen wieder hervorzuheben. Diese Einladung ist vor allem ein Aufruf zur
Beharrlichkeit auf dem Weg der Heiligkeit durch die materiellen und geistlichen Schwierigkeiten
hindurch, von denen das Alltagsgeschehen gezeichnet ist. Sie ist aber auch ein Aufruf, die
Zuständigkeit wieder in der eigenen Arbeit zu suchen und eine dynamische Treue zur eigenen
Sendung zu pflegen, indem die Institute in voller Fügsamkeit gegenüber der göttlichen Eingebung
und der kirchlichen Erkenntnis die Formen, falls nötig, an die neuen Situationen und
verschiedenen Bedürfnisse anpassen. Es muss freilich die Überzeugung lebendig bleiben, dass
auf der Suche nach immer vollkommenerer Gleichförmigkeit mit dem Herrn die Gewähr für jede
Erneuerung gegeben ist, die der ursprünglichen Inspiration treu bleiben will. In diesem Geist wird
heute für jedes Institut eine erneuerte Bezugnahme auf die Regel zur dringenden Notwendigkeit,
da in ihr und in den Konstitutionen ein Weg der Nachfolge enthalten ist, der von einem eigenen,
von der Kirche beglaubigten Charisma gekennzeichnet ist. Eine stärkere Beachtung der Regel
wird es nicht versäumen, den Personen des geweihten Lebens ein sicheres Kriterium anzubieten
auf der Suche nach geeigneten Formen eines Zeugnisses, das auf die Forderungen der Zeit zu
antworten imstande ist, ohne sich von der Anfangsinspiration zu entfernen.
Gebet und Askese: der geistliche Kampf
38. Der Ruf zur Heiligkeit wird nur in der Stille der Anbetung vernommen und kann nur vor der
unendlichen Transzendenz Gottes gepflegt werden: »Wir müssen uns eingestehen, dass wir alle

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dieses von angebeteter Gegenwart erfüllte Schweigen nötig haben: die Theologie, um die eigene
Seele der Weisheit und des Geistes voll erschließen zu können; das Gebet, damit es niemals
vergesse: Gott schauen heißt, mit so strahlendem Gesicht vom Berg hinabzusteigen, dass man es
mit einem Schleier verhüllen muss (vgl. Ex 34,33) [...]; das Engagement, damit es darauf
verzichte, sich in einen Kampf zu verbeißen, der keine Liebe und Gnade kennt [...]. Alle,
Glaubende und Nicht-Glaubende, müssen ein Schweigen erlernen, das dem anderen zu sprechen
erlaubt, wann und wo er will, und uns jenes Wort verstehen lässt«. Dies schließt konkret eine
große Treue zum liturgischen und persönlichen Gebet ein, zu den für das geistige Gebet und die
Betrachtung vorgesehenen Zeiten, zur eucharistischen Anbetung, zu den monatlichen
Einkehrtagen und zu den geistlichen Exerzitien. Es gilt auch die für die geistliche Tradition der
Kirche und des eigenen Instituts typischen asketischen Mittel wiederzuentdecken. Sie waren und
sind noch immer eine wirksame Hilfe für einen echten Weg der Heiligkeit. Da die Askese die
Neigungen der von der Sünde verletzten menschlichen Natur zu beherrschen und zu korrigieren
hilft, ist sie für die Person des geweihten Lebens wirklich unentbehrlich, um ihrer Berufung treu zu
bleiben und Jesus auf dem Kreuzweg zu folgen. Es ist ebenso notwendig, einige Versuchungen
zu erkennen und zu überwinden, die bisweilen durch teuflische Verlockung unter dem Anschein
des Guten auftreten. So kann zum Beispiel das berechtigte Bedürfnis, die heutige Gesellschaft
kennenzulernen, um auf ihre Herausforderungen zu antworten, dazu verleiten, bei Minderung des
geistlichen Eifers oder mit erkennbaren Anzeichen von Mutlosigkeit den Moden des Augenblicks
nachzugeben. Die Möglichkeit einer höheren geistlichen Bildung könnte die Personen des
geweihten Lebens zu einem gewissen Überlegenheitsgefühl gegenüber den anderen Gläubigen
verleiten, während die Dringlichkeit begründeter und gebührender beruflicher Qualifikation zu
einem übertriebenen Bemühen um Effizienz werden kann, als hinge der apostolische Dienst
vorwiegend von den menschlichen Mitteln und nicht von Gott ab. Das lobenswerte Anliegen, den
Männern und Frauen unserer Zeit, Glaubenden und Nicht-Glaubenden, Armen und Reichen,
näherzukommen, kann zur Annahme eines säkularisierten Lebensstils oder zu einer Förderung
der menschlichen Werte in rein horizontalem Sinne führen. Die Billigung der berechtigten
Forderungen der eigenen Nation oder Kultur könnte dazu verleiten, sich Formen des
Nationalismus anzuschließen oder gewohnheitsmäßige Elemente anzunehmen, die jedoch der
Reinigung und Verbesserung im Lichte des Evangeliums bedürfen. Der Weg zur Heiligkeit schließt
also die Annahme des geistlichen Kampfes ein. Das ist eine anspruchsvolle Tatsache, der man
heute nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit widmet. In der Überlieferung ist häufig das
geistliche Ringen in Jakobs Kampf mit dem Geheimnis Gottes dargestellt worden, den er angreift,
um zu seinem Segen zu gelangen und sein Angesicht zu schauen (vgl. Gen 32,23-31). In diesem
Geschehen der Anfänge der biblischen Geschichte können die Personen des geweihten Lebens
das Symbol des asketischen Eifers lesen, den sie brauchen, um das Herz weit zu machen und für
die Annahme des Herrn sowie der Brüder und Schwestern zu öffnen.
Die Förderung der Heiligkeit
39. Ein erneuertes Engagement der Personen des geweihten Lebens zur Heiligkeit ist heute

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notwendiger denn je, auch um das Streben jedes Christen nach Vollkommenheit zu fördern und
zu unterstützen. »Es muss daher in jedem Gläubigen eine echte Sehnsucht nach Heiligkeit
geweckt werden, ein starkes Verlangen nach Umkehr und persönlicher Erneuerung in einem
Klima immer intensiveren Betens und solidarischer Annahme des Nächsten, besonders des am
meisten Bedürftigen«. In dem Maße, in dem sie ihre Freundschaft mit Gott vertiefen, versetzen
sich die Personen des geweihten Lebens in die Lage, durch wirksame geistliche Initiativen
Brüdern und Schwestern zu helfen, wie Gebetsschulen, Exerzitien und geistliche Einkehrtage,
geistliches Hören und geistliche Anleitung. Auf diese Weise wird der Fortschritt im Gebet von
Menschen erleichtert, die daraufhin eine bessere Erkenntnis hinsichtlich des Willens Gottes in
Bezug auf sich selbst erreichen und sich für die vom Glauben geforderten mutigen, ja bisweilen
heroischen Optionen entscheiden können. In der Tat »fügen sich die Ordensleute durch ihr
tiefstes Wesen in den Dynamismus der Kirche ein, ergriffen vom Absoluten, das Gott ist, und zur
Heiligkeit aufgerufen. Von dieser Heiligkeit geben sie Zeugnis«. Die Tatsache, dass wir alle
aufgerufen sind, heilig zu werden, muss jene in höherem Maße anspornen, die auf Grund ihrer
Lebensentscheidung die Sendung haben, die anderen daran zu erinnern.
»Steht auf, habt keine Angst«: ein erneuertes Vertrauen
40. «Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst« (Mt 17,7). Wie
die drei Apostel im Ereignis der Verklärung, so wissen die Personen des geweihten Lebens aus
Erfahrung, dass ihr Leben nicht immer von jenem spürbaren Eifer erleuchtet ist, der rufen lässt:
»Es ist gut, dass wir hier sind« (Mt 17,4). Es ist jedoch immer ein von der Hand Christi
»berührtes« Leben, von seiner Stimme erreicht und seiner Gnade unterstützt.» Steht auf, habt
keine Angst«. Diese Ermutigung des Meisters ist selbstverständlich an jeden Christen gerichtet.
Aber sie gilt noch mehr für den, der berufen ist »alles zu verlassen« und folglich für Christus »alles
zu riskieren«. Dies gilt in besonderer Weise jedes Mal, wenn man mit dem Meister vom »Berg«
herabsteigt, um den Weg einzuschlagen, der vom Tabor auf den Kalvarienberg führt. Wenn Lukas
sagt, dass Mose und Elija mit Christus von seinem Ostergeheimnis sprachen, benützt er
bezeichnenderweise den Ausdruck »Ende« (éxodos): »sie sprachen von seinem Ende, das sich in
Jerusalem erfüllen sollte« (Lk 9,31). »Ende«: Grundbegriff der Offenbarung, auf den sich die
ganze Heilsgeschichte beruft und der den tiefen Sinn des Ostergeheimnisses zum Ausdruck
bringt. Ein für die Spiritualität des geweihten Lebens besonders wichtiges Thema, das seine
Bedeutung gut hervorhebt. Darin ist unvermeidlich enthalten, was zum mysterium Crucis gehört.
Aber dieser anspruchsvolle »Weg zum Ende hin«, aus der Perspektive des Berges Tabor
betrachtet, erscheint wie ein Weg zwischen zwei Lichtern: das vorwegnehmende Licht der
Verklärung und jenes endgültige Licht der Auferstehung. Die Berufung zum geweihten Leben —
unter dem Blickwinkel des ganzen christlichen Lebens — ist trotz seiner Entsagungen und
Prüfungen, im Gegenteil, gerade deswegen, Weg »des Lichtes«, über den der Blick des Erlösers
wacht: »steht auf, habt keine Angst«.
KAPITEL II

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SIGNUM FRATERNITATIS
DAS GEWEIHTE LEBEN ALS ZEICHEN
DER GEMEINSCHAFT IN DER KIRCHE
I. BLEIBENDE WERTE
Als Abbild der Dreifaltigkeit
41. Während seines Erdenlebens rief der Herr Jesus jene zu sich, die er erwählt hatte, um sie bei
sich zu haben und sie zu unterweisen, nach seinem Beispiel für den Vater und für den von ihm
erhaltenen Auftrag zu leben (vgl. Mk 3,13-15). Damit begründete er jene neue Familie, zu der im
Laufe der Jahrhunderte alle gehören sollen, die bereit sein werden, »den Willen Gottes zu
erfüllen« (vgl. Mk 3,32-35). Nach der Himmelfahrt entstand unter der Wirkung der Gabe des
Geistes um die Apostel eine brüderliche Gemeinde, die sich versammelte, um Gott zu loben und
Gemeinschaft konkret zu erfahren (vgl. Apg 2,42-47; 4,32-35). Das Leben dieser Gemeinde und
noch mehr die Erfahrung der vollen Zugehörigkeit zu Christus, wie sie von den zwölf Aposteln
gelebt wurde, sind stets das Modell gewesen, an dem sich die Kirche inspirierte, wenn sie den
glühenden Eifer der Anfangszeiten wiederbeleben und sich mit erneuerter evangelischer Kraft
wieder auf ihren Weg in der Geschichte machen wollte. In der Tat ist die Kirche ihrem Wesen
nach Geheimnis der Gemeinschaft, »das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes geeinte Volk«. Die Tiefe und die Fülle dieses Geheimnisses will das
geschwisterliche Leben dadurch widerspiegeln, dass es sich als von der Dreifaltigkeit bewohnter
menschlicher Raum gestaltet, der auf diese Weise die den drei göttlichen Personen eigenen
Gaben der Gemeinschaft in die Geschichte einbringt. Vielfältig sind im kirchlichen Leben die
Bereiche und Modalitäten, in denen die geschwisterliche Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht
wird. Das geweihte Leben hat zweifellos das Verdienst, wirksam dazu beigetragen zu haben, in
der Kirche das Verlangen nach Geschwisterlichkeit als Bekenntnis zur Dreifaltigkeit lebendig zu
erhalten. Es hat durch die ständige Förderung der geschwisterlichen Liebe auch in der Form des
Gemeinschaftslebens gezeigt, dass die Teilnahme an der trinitarischen Gemeinschaft die
menschlichen Beziehungen dahingehend zu verändern vermag , dass sie eine neue Art von
Solidarität hervorbringt. Auf diese Weise zeigt das geweihte Leben den Menschen sowohl die
Schönheit der geschwisterlichen Gemeinschaft als auch die Wege, die konkret zu ihr führen. Denn
die Personen des geweihten Lebens leben »für« Gott und »von« Gott und können sich eben
deshalb zur Macht der versöhnenden Wirkung der Gnade bekennen, die die im Herzen des
Menschen und in den sozialen Beziehungen vorhandenen zersetzenden Kräfte niederwirft.
Geschwisterliches Leben in Liebe
42. Das geschwisterliche Leben, verstanden als in Liebe geteiltes Leben, ist ein ausdrucksvolles
Zeichen der kirchlichen Gemeinschaft. Es wird mit besonderer Sorgfalt von den Ordensinstituten

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und den Gesellschaften des apostolischen Lebens gepflegt, wo das Leben in Gemeinschaft
besondere Bedeutung erlangt. Doch die Dimension der geschwisterlichen Gemeinschaft ist weder
den Säkularinstituten noch den individuellen Formen geweihten Lebens fremd. So entziehen sich
die Eremiten in ihrer tiefen Einsamkeit keineswegs der kirchlichen Gemeinschaft, sondern dienen
ihr mit ihrem besonderen Charisma der Kontemplation; die gottgeweihten Jungfrauen in der Welt
verwirklichen ihre Weihe durch eine besondere Verbindung der Gemeinschaft mit der Teil- und der
Universalkirche. Ähnliches gilt für Witwen und Witwer, die die Weihe empfangen haben. Alle diese
Personen bemühen sich, in Verwirklichung der Jüngerschaft im Sinn des Evangeliums das »neue
Gebot« des Herrn zu leben, nämlich einander zu lieben, wie er uns geliebt hat (vgl. Joh 13,34).
Die Liebe hat Christus zur Selbsthingabe bis hin zum höchsten Opfer am Kreuz geführt. Auch
unter seinen Jüngern gibt es keine echte Einheit ohne diese bedingungslose gegenseitige Liebe,
die Verfügbarkeit zum Dienst unter Einsatz aller Kräfte erfordert, Bereitschaft, den anderen so, wie
er ist, ohne Vorurteil anzunehmen, die Fähigkeit, auch »siebenundsiebzigmal« zu vergeben (Mt
18,22), den Willen, keinen zu verurteilen (vgl. Mt 7,1-2). Für die Personen des geweihten Lebens,
die durch diese vom Heiligen Geist in die Herzen ausgegossene Liebe (vgl. Röm 5,5) »ein Herz
und eine Seele« geworden sind (Apg 4,32), wird es zum inneren Bedürfnis, alles gemeinsam zu
haben: materielle Güter und geistliche Erfahrungen, Begabungen und Eingebungen sowie
apostolische Ideale und Dienst der Nächstenliebe: »Im Gemeinschaftsleben geht die in einem
vorhandene Kraft des Geistes gleichzeitig auf alle über. Da erfreut man sich nicht nur der eigenen
Gabe, sondern vervielfältigt sie, indem man andere daran teilhaben lässt, und genießt die Frucht
der Gabe der anderen wie die eigene«. Sodann muss im Gemeinschaftsleben irgendwie
erkennbar werden, dass die geschwisterliche Gemeinschaft, noch eher als Weg für eine
bestimmte Sendung, göttlicher Ort ist, an dem die mystische Gegenwart des auferstandenen
Herrn erfahren werden kann (vgl. Mt 18,20).Das geschieht dank der gegenseitigen Liebe aller, die
die Gemeinschaft bilden, einer Liebe, die vom Wort und von der Eucharistie genährt, im
Sakrament der Versöhnung gereinigt und von der Bitte um Einheit gestärkt wird, dem besonderen
Geschenk des Geistes für diejenigen, die gehorsam auf das Evangelium hören. Er, der Geist
selbst ist es, der die Seele zur Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn Jesus Christus führt
(vgl. 1 Joh 1,3), zur Gemeinschaft, in der die Quelle des geschwisterlichen Lebens ist. Vom Geist
werden die Gemeinschaften des geweihten Lebens bei der Erfüllung ihrer Sendung zum Dienst an
der Kirche und an der ganzen Menschheit entsprechend ihrer ursprünglichen Inspiration geleitet.
In dieser Perspektive sind die »Kapitel« (oder analoge Versammlungen), sei es besondere oder
Generalkapitel, von besonderer Bedeutung. Während dieser Kapitel ist jedes Institut berufen, nach
den von deren Konstitutionen festgelegten Normen die Oberen oder die Oberinnen zu wählen und
im Lichte des Geistes die angemessenen Bestimmungen zu treffen, um das eigene Charisma und
das eigene spirituelle Erbe zu bewahren und es in den verschiedenen historischen und kulturellen
Situationen auf den aktuellen Stand zu bringen.
Die Aufgabe der Autorität
43. Im geweihten Leben war das Amt der Oberen und Oberinnen, auch der Ortsoberen, stets von

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großer Bedeutung sowohl für das geistliche Leben als auch für die Sendung. In diesen Jahren des
Suchens und der Veränderungen war gelegentlich auch von der Notwendigkeit einer Revision
dieses Amtes zu hören. Es gilt aber anzuerkennen, dass derjenige, der die Autorität ausübt, auf
seine Aufgabe als erster Verantwortlicher der Gemeinschaft, nämlich auf die Leitung der Brüder
und Schwestern auf dem geistlichen und apostolischen Weg, nicht verzichten kann. Es ist nicht
leicht, in einem stark vom Individualismus geprägten Milieu die Aufgabe, die die Autorität zum
Vorteil aller ausübt, anzuerkennen und anzunehmen. Es muss jedoch die Wichtigkeit dieser
Aufgabe erneut herausgestellt werden, die sich als notwendig erweist, um die geschwisterliche
Gemeinschaft zu festigen und nicht den gelobten Gehorsam zu vereiteln. Auch wenn die Autorität
vor allem geschwisterlich und geistlicher Art sein soll und infolgedessen derjenige, der mit ihr
ausgestattet ist, die Mitbrüder und Mitschwestern durch den Dialog in den Entscheidungsprozess
einzubeziehen wissen muss, ist es dennoch angebracht, sich daran zu erinnern, dass die Autorität
das letzte Wort hat und es ihr zusteht, dass die gefassten Beschlüsse eingehalten werden.
Die Rolle der alten Leute
44. Die Sorge um die Alten und Kranken gehört ganz wesentlich zum geschwisterlichen Leben,
besonders in einer Zeit wie der unseren, in der in manchen Gegenden der Welt die Zahl der
Personen des geweihten Lebens zunimmt, die in den Jahren nunmehr fortgeschritten sind. Die
zuvorkommende Aufmerksamkeit, die sie verdienen, entspricht nicht nur einer eindeutigen
Verpflichtung zu Liebe und Anerkennung, sondern sie ist auch Ausdruck der Erkenntnis, dass ihr
Zeugnis für die Kirche und die Institute sehr nützlich ist und ihre Sendung auch dann gültig und
verdienstvoll bleibt, wenn sie wegen des Alters oder aus Krankheit ihre eigentliche Tätigkeit
aufgeben müssen. Sie haben zweifellos der Gemeinschaft viel an Weisheit und Erfahrung zu
geben, wenn diese imstande ist, ihnen voll Aufmerksamkeit und mit der Fähigkeit zum Zuhören
nahezustehen. In der Tat besteht die apostolische Sendung noch vor dem Tun im Zeugnis der
eigenen vollkommenen Hingabe an den Heilswillen des Herrn, einer Hingabe, die sich an den
Quellen des Gebets und der Bube nährt. Es gibt daher viele Möglichkeiten, wie die alten Mitglieder
ihre Berufung leben können: das eifrige Gebet, die geduldige Annahme der eigenen Situation, die
Verfügbarkeit für den Dienst als Spiritual, als Beichtvater und Begleiter des Betens.
Als Abbild der apostolischen Gemeinschaft
45. Das geschwisterliche Leben spielt auf dem geistlichen Weg der Personen des geweihten
Lebens eine grundlegende Rolle sowohl für ihre ständige Erneuerung als auch für die
vollkommene Erfüllung ihrer Sendung in der Welt: dies lässt sich aus den theologischen
Begründungen schließen, die dem geschwisterlichen Leben zugrunde liegen, findet aber auch in
der eigenen Erfahrung weitgehende Bestätigung. Ich ermahne daher die Personen des geweihten
Lebens, das Gemeinschaftsleben eifrig zu pflegen und damit dem Beispiel der ersten Christen von
Jerusalem zu folgen, die voll Eifer die Lehre der Apostel hörten, am gemeinsamen Gebet und an
der Feier der Eucharistie teilnahmen und die materiellen Güter und Gnadengaben miteinander

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teilten (vgl. Apg 2,42-47). Vor allem ermahne ich die Ordensleute und die Mitglieder der
Gesellschaften des apostolischen Lebens, vorbehaltlos die gegenseitige Liebe zu leben und
dieser durch die Bestimmungen, die der Natur eines jeden Instituts entsprechen, Ausdruck zu
verleihen, damit sich jede Gemeinschaft als leuchtendes Zeichen des neuen Jerusalem, der
»Wohnung Gottes unter den Menschen« (Offb 21,3), erweise. Denn die ganze Kirche zählt sehr
auf das Zeugnis von Gemeinschaften, die »voll Freude und erfüllt vom Heiligen Geist« sind (Apg
13, 52). Sie möchte die Welt auf das Beispiel von Gemeinschaften hinweisen, in denen die
gegenseitige Aufmerksamkeit die Einsamkeit überwinden hilft, die Kommunikation alle dazu
anspornt, sich mitverantwortlich zu fühlen, und in denen Vergebung die Wunden heilt und in jedem
einzelnen den Vorsatz zur Gemeinschaft stärkt. In derartigen Gemeinschaften lenkt die Natur des
Charismas die Kräfte, festigt die Treue und richtet die apostolische Arbeit aller auf die eine
Sendung aus. Um der heutigen Menschheit ihr wahres Gesicht zu zeigen, braucht die Kirche
dringend solche brüderliche Gemeinschaften, die schon allein durch ihr Bestehen einen Beitrag
zur Neuevangelisierung leisten, da sie konkret die Früchte des »neuen Gebotes« erbringen.
Sentire cum Ecclesia
46. Eine große Aufgabe ist dem geweihten Leben auch im Lichte der vom II. Vatikanischen Konzil
mit fester Entschiedenheit dargestellten Lehre von der Kirche als Gemeinschaft anvertraut. Von
den Personen des geweihten Lebens wird verlangt, als »Zeugen und Baumeister jenes ‘göttlichen
Planes für Gemeinschaft', der die Geschichte der Menschen krönen soll«, wirklich Experten der
Gemeinschaft zu sein und deren Spiritualität in die Praxis umzusetzen. Der Sinn der kirchlichen
Gemeinschaft, die sich zu einer Spiritualität der Gemeinschaft entwickelt, fördert eine Weise des
Denkens, Sprechens und Handelns, die die Kirche an Tiefe und Weite wachsen lässt. Denn das
Gemeinschaftsleben »wird zu einem Zeichen für die Welt, zur anziehenden Kraft , die zum
Glauben an Christus führt [...] Auf diese Weise öffnet sich die communio der Sendung, wird selbst
Sendung«, ja, » die communio schafft communio und stellt sich wesentlich als missionarische
communio dar«. Bei den Stiftern und Stifterinnen erscheint der Sinn für die Kirche immer lebendig
und zeigt sich in ihrer vollkommenen Teilnahme am kirchlichen Leben in allen seinen
Dimensionen und im bereitwilligen Gehorsam den Bischöfen, insbesondere dem Papst von Rom
gegenüber. Vor diesem Horizont der Liebe zur heiligen Kirche, »Säule und Fundament der
Wahrheit« (1 Tim 3,15), begreifen wir die Ergebenheit eines Franz von Assisi dem »Herrn Papst«
gegenüber, den kindlichen Unternehmungsgeist einer Katharina von Siena dem gegenüber, den
sie den »süßen Christus auf Erden nennt«, den apostolischen Gehorsam und das »Sentire cum
Ecclesia« eines Ignatius von Loyola, das freudige Glaubensbekenntnis einer Theresia von Jesus:
»Ich bin Tochter der Kirche«. Man versteht auch die Sehnsucht der Theresia von Lisieux: »Im
Herzen der Kirche, meiner Mutter, werde ich die Liebe sein«. Ähnliche Zeugnisse stellen die volle
kirchliche Gemeinschaft dar, die Heilige sowie Stifter und Stifterinnen zu ganz verschiedenen
Zeiten und unter verschiedenen und oft sehr schwierigen Umständen gegeben haben. Auf diese
Vorbilder müssen die Personen des geweihten Lebens immer wieder Bezug nehmen, um den
heutzutage besonders aktiven zentrifugalen und zersetzenden Antriebskräften entgegenzuwirken.

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Ein Wesensmerkmal dieser kirchlichen communio ist das Festhalten mit Herz und Verstand am
Lehramt der Bischöfe, das von allen Personen des geweihten Lebens, besonders jenen, die in der
theologischen Forschung, in der Lehre, im Publikationswesen, in der Katechese, im Bereich der
sozialen Kommunikationsmittel tätig sind, treu gelebt und vor dem Volk Gottes klar und deutlich
bezeugt werden muss. Da die Personen des geweihten Lebens einen besonderen Platz in der
Kirche einnehmen, kommt ihrer diesbezüglichen Haltung für das ganze Volk Gottes große
Bedeutung zu. Ihr apostolisches Wirken, das sich im Rahmen der prophetischen Sendung aller
Getauften im allgemeinen durch Aufgaben besonderer Zusammenarbeit mit der Hierarchie
qualifiziert, gewinnt aus ihrem Zeugnis kindlicher Liebe Kraft und Schärfe. Auf diese Weise leisten
sie mit dem Reichtum ihrer Charismen einen besonderen Beitrag, damit die Kirche ihr Wesen als
Sakrament der innigen Vereinigung mit Gott und der Einheit des gesamten Menschengeschlechts
immer vollkommener verwirkliche.
Die Brüderlichkeit in der Universalkirche
47. Die Personen des geweihten Lebens sind auf Grund der Tatsache selbst, dass die vielfältigen
Charismen der jeweiligen Institute vom Heiligen Geist geschenkt werden im Hinblick auf das Wohl
des ganzen mystischen Leibes, zu dessen Aufbau sie beitragen sollen (vgl. 1 Kor 12,4-11), dazu
berufen, Sauerteig missionarischer Gemeinschaft in der Universalkirche zu sein.
Bezeichnenderweise ist es die Liebe, die nach den Worten des Apostels »der Weg« ist, »der alles
übersteigt« (1 Kor 12,31), die Wirklichkeit, die »die größte unter allen ist« (1 Kor 13,13), die alle
Unterschiede harmonisch in Einklang bringt und allen die Kraft verleiht, im apostolischen Einsatz
einander Stütze zu sein. Gerade danach strebt das besondere Band der Gemeinschaft, das die
verschiedenen Formen des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens
zum Nachfolger Petri in seinem Dienst an der Einheit und der missionarischen Universalität
haben. Die Geschichte der Spiritualität veranschaulicht dieses Band eingehend dadurch, dass sie
deren günstige Aufgabe zeigt, um sowohl die dem geweihten Leben eigene Identität als auch die
missionarische Ausbreitung des Evangeliums zu gewährleisten. Die machtvolle Verbreitung der
evangelischen Botschaft ebenso wie die feste Verwurzelung der Kirche in so vielen Gegenden der
Welt und der christliche Frühling, der heute in den jungen Kirchen festzustellen ist, wären — wie
die Synodenväter festgestellt haben — ohne den Beitrag so vieler Institute des geweihten Lebens
und der Gesellschaften des apostolischen Lebens undenkbar. Sie haben über Jahrhunderte hin
die Gemeinschaft mit den Nachfolgern des hl. Petrus aufrechterhalten, die bei ihnen großzügige
Bereitschaft vorfanden, sich der Mission mit einer Verfügbarkeit zu widmen, die, wenn nötig, bis
zum Heroismus reichen konnten. So ragt das Wesensmerkmal der Universalität und der
Gemeinschaft hervor, das den Instituten des geweihten Lebens und den Gesellschaften des
apostolischen Lebens eigen ist. Aufgrund des in ihrer besonderen Beziehung zum Petrusamt
verwurzelten überdiözesanen Charakters stehen sie auch im Dienst der Zusammenarbeit
zwischen den verschiedenen Teilkirchen, unter denen sie den »Austausch der Gaben« wirksam
fördern und dadurch zu einer Inkulturation des Evangeliums beitragen können, die die Reichtümer
der Kulturen aller Völker reinigen, bewerten und annehmen soll. Auch heute offenbart die Blüte an

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Berufungen zum geweihten Leben in den jungen Kirchen die Fähigkeit, die es besitzt, um
innerhalb der katholischen Einheit die Erfordernisse der verschiedenen Völker und Kulturen zum
Ausdruck zu bringen.
Das geweihte Leben und die Teilkirche
48. Eine bedeutsame Rolle kommt den Personen des geweihten Lebens auch innerhalb der
Teilkirchen zu. Ausgehend von der Lehre des Konzils über die Kirche als Gemeinschaft und
Geheimnis und über die Teilkirchen als Teil des Gottesvolkes, in denen »die eine, heilige,
katholische und apostolische Kirche Christi wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist«, ist dieser Aspekt
in verschiedenen Nachfolgedokumenten vertieft und kodifiziert worden. Im Lichte dieser Texte
zeigt sich mit aller Klarheit die fundamentale Bedeutung, die der Zusammenarbeit der Personen
des geweihten Lebens mit den Bischöfen für die harmonische Entwicklung der Pastoral in der
Diözese zukommt. Die Charismen des geweihten Lebens können viel zum Aufbau der Liebe in der
Teilkirche beitragen. Die verschiedenen Formen, in denen die evangelischen Räte gelebt werden,
sind in der Tat Ausdruck und Frucht der von den Stiftern und Stifterinnen empfangenen geistlichen
Gaben und stellen als solche eine »Erfahrung des Geistes [dar], die den eigenen Schülern
überliefert wurde, damit sie von ihnen gelebt, bewahrt, vertieft und ständig weiterentwickelt
werden in der Übereinstimmung mit dem Leib Christi, der ständig im Wachsen begriffen ist«. Der
eigene Charakter jedes Instituts enthält einen besonderen Stil der Heiligung und des Apostolats,
der sich in einer bestimmten, von objektiven Elementen geprägten Tradition zu festigen sucht.
Darum sorgt die Kirche dafür, dass die Institute dem Geist der Stifter und Stifterinnen und ihren
gesunden Überlieferungen gemäß wachsen und sich entfalten. Demzufolge wird den einzelnen
Instituten eine gebührende Autonomie zuerkannt, kraft derer sie sich eine eigene Ordnung
zunutze machen und ihr spirituelles und apostolisches Erbe unversehrt bewahren können. Diese
Autonomie zu wahren und zu schützen ist Aufgabe der Ortsordinarien. Die Bischöfe werden daher
ersucht, die Charismen des geweihten Lebens anzunehmen und zu achten, indem sie ihnen in
den Entwürfen der diözesanen Pastoral Raum geben. Besondere Aufmerksamkeit müssen sie
den Instituten diözesanen Rechts widmen, die der besonderen Sorge des Ortsbischofs anvertraut
sind. Eine Diözese ohne geweihtes Leben würde nicht nur vieler geistlicher Gaben, geeigneter
Orte für die Suche nach Gott, spezifischer apostolischer Aktivitäten und pastoraler Methoden
verlustig gehen, sondern sie würde darüber hinaus Gefahr laufen, in hohem Maße in jenem
missionarischen Geist geschwächt zu werden, der der Mehrheit der Institute eigen ist. Daher
verlangt es die Pflicht, der Gabe des geweihten Lebens, die der Geist in der Teilkirche schenkt,
dadurch zu entsprechen, dass man sie hochherzig und voll Dankbarkeit annimmt.
Eine fruchtbare und geordnete kirchliche Gemeinschaft
49. Der Bischof ist Vater und Hirt der ganzen Teilkirche. Seine Zuständigkeit ist es, die einzelnen
Charismen anzuerkennen und zu beachten, sie zu fördern und zu koordinieren. Er wird also in
seiner pastoralen Liebe das Charisma des geweihten Lebens als Gnade annehmen, die nicht nur

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ein Institut betrifft, sondern zum Vorteil der ganzen Kirche ausströmt. Er wird so versuchen, den
Personen des geweihten Lebens beizustehen und zu helfen, sich in Gemeinschaft mit der Kirche
den spirituellen und pastoralen Perspektiven, die den Erfordernissen unserer Zeit entsprechen, in
Treue zur Gründungsinspiration zu öffnen. Die Personen des geweihten Lebens werden es
ihrerseits nicht versäumen, nach den eigenen Kräften und unter Wahrung des eigenen Charismas
der Teilkirche großzügig ihre Mitarbeit anzubieten, wobei sie im Bereich der Evangelisierung, der
Katechese, und des Lebens der Pfarrgemeinden in voller Gemeinschaft mit dem Bischof tätig
sind. Es sei daran erinnert, dass sich die Institute bei der Koordination des Dienstes an der
Universalkirche mit jenem an der Teilkirche nicht auf die gebührende Autonomie und auch nicht
auf die Exemtion berufen können, die viele von ihnen genießen, um Entscheidungen zu
rechtfertigen, die zu den von einem heilsamen kirchlichen Leben an eine organische
Gemeinschaft gestellten Erfordernissen tatsächlich im Widerspruch stehen. Statt dessen müssen
die pastoralen Initiativen der Personen des geweihten Lebens auf der Basis eines freundlichen
und offenen Dialogs zwischen Bischöfen und Oberen der verschiedenen Institute entschieden und
in die Tat umgesetzt werden. Die besondere Aufmerksamkeit der Bischöfe für die Berufung und
Sendung der Institute und die Achtung vor dem Amt der Bischöfe von Seiten der Institute, die mit
der Annahmebereitschaft der konkreten pastoralen Anweisungen für das diözesane Leben
verbunden ist, stellen zwei eng miteinander verknüpfte Formen jener einzigartigen kirchlichen
Liebe dar, die alle zum Dienst an der — charismatischen und zugleich hierarchisch gegliederten
— organischen Gemeinschaft des ganzen Gottesvolkes verpflichtet.
Ein beständiger, von der Liebe beseelter Dialog
50. Zur Förderung des gegenseitigen Kennenlernens als unerlässlicher Voraussetzung für eine
tatkräftige Zusammenarbeit vor allem auf pastoralem Gebiet erweist sich ein ständiger Dialog der
Oberen und Oberinnen der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des
apostolischen Lebens mit den Bischöfen angebrachter als je zuvor. Dank dieser regelmäßigen
Kontakte werden Obere und Oberinnen die Bischöfe über die apostolischen Initiativen, die sie in
ihren Diözesen in die Wege zu leiten beabsichtigen, informieren können, um mit ihnen zu den für
die Durchführung notwendigen Vereinbarungen zu gelangen. In gleicher Weise ist es angebracht,
dass von den Konferenzen der höheren Ordensoberen und -oberinnen delegierte Personen zur
Teilnahme an den Versammlungen der Bischofskonferenzen und umgekehrt, dass Delegierte der
Bischofskonferenzen zu Konferenzen der höheren Ordensoberen und -oberinnen eingeladen
werden; die entsprechenden Modalitäten dafür sind noch festzulegen. So gesehen, wird es von
großem Nutzen sein, dass dort, wo dies noch nicht geschehen ist, auf nationaler Ebene gemischte
Kommissionen aus Bischöfen und höheren Ordensoberen und -oberinnengebildet und tätig
werden, um miteinander Probleme von gemeinsamem Interesse zu untersuchen. Zum besseren
gegenseitigen Kennenlernen wird auch die Aufnahme der Theologie und der Spiritualität des
geweihten Lebens in den theologischen Studienplan der Diözesanpriester beitragen; und dasselbe
gilt für das Einbringen einer entsprechenden Behandlung der Theologie der Teilkirche und der
Spiritualität des Diözesanklerus bei der Ausbildung der Personen des geweihten Lebens. Tröstlich

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ist schließlich daran zu erinnern, dass es auf der Synode nicht nur zahlreiche Beiträge zur Lehre
über die Gemeinschaft gegeben hat, sondern auch große Genugtuung angesichts der in einem
Klima des gegenseitigen Vertrauens und der Offenheit erlebten Erfahrung des Dialogs zwischen
den anwesenden Bischöfen und Ordensleuten. Dies löste den Wunsch aus, dass »diese geistliche
Erfahrung von Gemeinschaft und Zusammenarbeit sich auch nach Abschluss der Synode auf die
ganze Kirche erstrecken möge«. Ich wünsche mir, dass die Gesinnung und die Spiritualität der
Gemeinschaft in allen wachsen möge.
Die Geschwisterlichkeit in einer gespaltenen und ungerechten Welt
51. Die Kirche vertraut den Gemeinschaften des geweihten Lebens die besondere Aufgabe an,
die Spiritualität der Gemeinschaft vor allem innerhalb der eigenen Gemeinschaft und dann in der
kirchlichen Gemeinschaft und über deren Grenzen hinaus dadurch zu stärken, dass sie vor allem
dort, wo die heutige Welt von Rassenhass oder mörderischem Wahn zerrissen ist, den Dialog der
Liebe eröffnet bzw. immer wieder aufnimmt. Inmitten der verschiedenen Gesellschaften unserer
Erde — Gesellschaften, die häufig von Leidenschaften und entgegen gesetzten Interessen
beeinträchtigt sind, die sich nach Einheit sehnen, jedoch unsicher bezüglich der einzuschlagenden
Wege sind — stehen die Gemeinschaften des geweihten Lebens, in denen sich Menschen
unterschiedlichen Alters und verschiedener Sprache und Kultur als Brüder und Schwestern
begegnen, als Zeichen für einen Dialog, der immer möglich ist, und für eine Gemeinschaft, die die
Unterschiede in harmonischen Einklang zu bringen vermag. Die Gemeinschaften des geweihten
Lebens sind gehalten, durch das Zeugnis ihres Lebens den Wert der christlichen Brüderlichkeit
und die verändernde Kraft der Frohen Botschaft zu verkünden, die alle als Kinder Gottes
anerkennt und zur aufopfernden Liebe gegenüber allen drängt, besonders gegenüber den
Geringsten. Diese Gemeinschaften sind Orte der Hoffnung und der Entdeckung der
Seligpreisungen, Orte, an denen die aus dem Gebet, der Quelle der Gemeinschaft schöpfende
Liebe zur Logik des Lebens und Quelle der Freude werden soll. In dieser Zeit, die von der
weltweiten Ausdehnung der Probleme und zugleich vom Rückfall in die Idole des Nationalismus
gekennzeichnet ist, haben vor allem die internationalen Institute die Aufgabe, den Sinn für die
Gemeinschaft unter den Völkern, Rassen und Kulturen lebendig zu erhalten und zu bezeugen. In
einem Klima der Brüderlichkeit wird die Offenheit für die weltweite Dimension der Probleme den
Reichtum der einzelnen nicht ersticken, noch wird die Bejahung einer Eigenart Gegensatz zu den
anderen oder Zwiespalt mit der Einheit hervorrufen. Die internationalen Institute können dies
wirksam tun, indem sie sich doch selbst auf kreative Weise der Herausforderung der Inkulturation
bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Identität stellen müssen.
Gemeinschaft unter den verschiedenen Instituten
52. Die brüderliche geistliche Beziehung und die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen den
verschiedenen Instituten des geweihten Lebens und den Gesellschaften des apostolischen
Lebens werden vom kirchlichen Gemeinschaftssinn getragen und genährt. Personen, die durch

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die gemeinsame Verpflichtung zur Nachfolge Christi miteinander verbunden und vom selben
Heiligen Geist beseelt sind, müssen als Reben des einen Weinstocks die Fülle des Evangeliums
der Liebe sichtbar bekunden. Die verschiedenen Stifter und Stifterinnen sind berufen, eingedenk
der geistlichen Freundschaft, die sie auf Erden oft miteinander verbunden hat, in Treue zum
Wesen ihres Instituts eine vorbildliche Geschwisterlichkeit zum Ausdruck zu bringen, die den
anderen Mitgliedern der Kirche in ihrem täglichen Bemühen um die Bezeugung des Evangeliums
Ansporn sein möge. Die Worte des hl. Bernhard bezüglich der verschiedenen Orden sind nach
wie vor aktuell: »Ich bewundere sie alle. Einem von ihnen gehöre ich durch die Befolgung der
Regel an, allen aber in der Liebe. Wir alle brauchen einander: das geistliche Gut, das ich nicht
habe und nicht besitze, empfange ich von den anderen [...]. Die Kirche ist hier im irdischen Leben
noch unterwegs und, wenn ich so sagen darf, pluralisch: wir haben es mit einer einzigartigen
Pluralität und mit einer pluralischen Einheit zu tun. Und alle unsere Verschiedenheiten, die die
Fülle der Gaben Gottes offenkundig machen, werden in dem einen Haus des Vaters, das viele
Wohnungen umfasst, anzutreffen sein. Jetzt gibt es unterschiedliche Gnadengaben: dann wird es
unterschiedliche Seligkeiten geben. Die Einheit besteht hier wie dort in ein und derselben Liebe«.
Koordinierungsorgane
53. Einen beachtlichen Beitrag zur Gemeinschaft können die Konferenzen der höheren
Ordensoberen und -oberinnen sowie der Säkularinstitute leisten. Hauptzweck dieser Organe, die
vom II. Vatikanischen Konzil und von nachfolgenden Dokumentenermutigt und geregelt wurden,
ist die Förderung des geweihten Lebens im Gesamtgefüge der kirchlichen Sendung. Durch diese
Konferenzen bringen die Institute die Gemeinschaft unter ihnen zum Ausdruck und suchen nach
den Mitteln, um sie unter Achtung und Erschließung der Besonderheit der verschiedenen
Charismen zu stärken, in denen sich das Geheimnis der Kirche und die vielgestaltige Weisheit
Gottes widerspiegelt. Ich ermutige die Institute des geweihten Lebens zur gegenseitigen
Zusammenarbeit, insbesondere in jenen Ländern, in denen wegen besonderer Schwierigkeiten
die Versuchung stark sein mag, sich auf sich selbst zurückzuziehen, zum Schaden des geweihten
Lebens und der Kirche. Es ist jedoch erforderlich, dass sie sich gegenseitig in dem Bemühen
helfen, den Plan Gottes in den gegenwärtigen Lasten der Geschichte zu begreifen zu suchen, um
mit geeigneten apostolischen Initiativen besser darauf zu antworten. Vor diesem Horizont der
Gemeinschaft, der offen ist für die Herausforderungen unserer Zeit, mögen die Oberen und
Oberinnen »in Abstimmung mit den Bischöfen« versuchen, »sich das Wirken der besten
Mitarbeiter jedes Instituts zunutze zu machen und Dienste anzubieten, die nicht nur etwaige
Grenzen überwinden helfen, sondern einen gültigen Stil von Ordensausbildung hervorbringen
sollen«. Die Konferenzen der höheren Ordensoberen und -Oberinnen und die Konferenzen der
Säkularinstitute fordere ich auf, als Bekundung ihrer Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl auch
häufige und regelmäßige Kontakte mit der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens
und die Gesellschaften des apostolischen Lebens zu pflegen. Eine aktive und vertrauensvolle
Beziehung wird auch zu den Bischofskonferenzen der einzelnen Länder gepflegt werden müssen.
Diese Beziehung soll im Geiste des Dokumentes Mutuae relationes zweckmäßigerweise eine

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feste Form annehmen, um auf diese Weise die ständige und rechtzeitige Koordination der nach
und nach anstehenden Initiativen zu ermöglichen. Wenn dies alles beharrlich und im Geist treuer
Befolgung der Anweisungen des Lehramtes durchgeführt wird, werden sich die Verbindungs- und
Gemeinschaftsorgane als besonders nützlich erweisen, um Lösungen zu finden, die
Unverständnis und Spannungen sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich
vermeiden; auf diese Weise werden sie nicht nur für das Wachsen der Gemeinschaft zwischen
den Instituten des geweihten Lebens und den Bischöfen eine Hilfe sein, sondern auch für die
Erfüllung der eigentlichen Sendung der Teilkirchen.
Gemeinschaft und Zusammenarbeit mit den Laien
54. Zu den Früchten der Lehre von der Kirche als Gemeinschaft gehörte in diesen Jahren das
Sich-Bewusstwerden der Tatsache, dass ihre verschiedenen Glieder ihre Kräfte durch
Zusammenarbeit und Austausch der Gaben vereinen können und sollen, um wirksamer an der
kirchlichen Sendung teilzuhaben. Dies trägt zu einem klarer umrissenen und vollständigeren Bild
der Kirche selbst bei und macht darüber hinaus durch den einmütigen Beitrag der
unterschiedlichen Gaben die Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit wirksamer.
Die Beziehungen zu den Laien gestalten sich seitens der monastischen und kontemplativen
Institute als vorwiegend geistlich, während sie bei den Instituten, die sich dem Apostolat widmen,
die Form pastoraler Zusammenarbeit annehmen. Die Mitglieder der Säkularinstitute, Laien wie
Kleriker, treten mit den anderen Gläubigen im gewöhnlichen Alltagsleben in Beziehung. Nicht
wenige Institute sind heute, häufig auf Grund neuer Situationen, zu der Überzeugung gelangt,
dass sich ihr Charisma mit den Laien teilen lässt. Diese werden daher eingeladen, intensiver an
der Spiritualität und an der Sendung des betreffenden Instituts teilzunehmen. Man kann sagen,
dass im Gefolge historischer Erfahrungen, wie jener der verschiedenen Säkular- oder Drittorden,
ein neues, hoffnungsvolles Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen den Personen
des geweihten Lebens und den Laien begonnen hat.
Für eine erneuerte geistliche und apostolische Tatkraft
55. Diese neuen Wege von Gemeinschaft und Zusammenarbeit verdienen aus verschiedenen
Gründen ermutigt zu werden. Vor allem wird von diesen die Ausstrahlung tätiger Spiritualität über
die Grenzen des Instituts hinaus gehen können, das auf diese Weise mit neuen Energien rechnen
wird, auch um die Kontinuität mancher seiner typischen Formen des Dienstes für die Kirche
sicherzustellen. Eine weitere positive Folge kann sodann die Erleichterung eines intensiveren
Zusammenwirkens zwischen Personen des geweihten Lebens und den Laien im Hinblick auf die
Mission sein: von den Beispielen der Heiligkeit von Personen des geweihten Lebens angeleitet,
werden die Laien in die unmittelbare Erfahrung des Geistes der evangelischen Räte eingeführt
und werden so ermutigt, den Geist der Seligpreisungen angesichts der Umgestaltung der Welt im
Sinne Gottes zu leben und zu bezeugen. Die Beteiligung der Laien führt nicht selten zu
unerwarteten und fruchtbaren Vertiefungen mancher Aspekte des Charismas, indem diese eine

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spirituellere Deutung dieses Charismas erweckt und den Anstoß gibt, Hinweise für neue
apostolische Tatkräfte zu geben. Die Personen des geweihten Lebens sollen sich daher bei jeder
Tätigkeit und jedem Dienst, mit dem sie betraut sind, erinnern, dass sie vor allem erfahrene Führer
und Begleiter des geistlichen Lebens sein müssen, und sie sollen unter dieser Perspektive »das
kostbarste Talent: den Geist« pflegen. Die Laien ihrerseits sollen den Ordensfamilien den
wertvollen Beitrag ihrer Weltlichkeit und ihres besonderen Dienstes anbieten.
Freiwillige und assoziierte Laien
56. Eine bedeutende Ausdrucksform der Teilnahme der Laien an den Reichtümern des geweihten
Lebens ist der Beitritt der Gläubigen im Laienstand zu den verschiedenen Instituten in der neuen
Form der sogenannten assoziierten Mitglieder oder, je nach den in einigen kulturellen Umfeldern
vorhandenen Bedürfnissen, der Beitritt von Personen, die sich für einen bestimmten Zeitabschnitt
der Aufgaben des Gemeinschaftslebens und der besonderen beschaulichen und apostolischen
Hingabe annehmen, natürlich immer vorausgesetzt, dass die Identität des Instituts in seinem
internen Leben dadurch keinen Schaden erleidet. Es ist durchaus richtig, dem Volontariat, das aus
den Reichtümern des geweihten Lebens schöpft, hohe Wertschätzung entgegenzubringen; es
muss jedoch für dessen Formation gesorgt werden, damit die freiwilligen Laien außer der
sachlichen Kompetenz immer tiefgründige übernatürliche Motivationen für ihre Vorhaben sowie
einen lebendigen Sinn für Gemeinschaft und Kirche bei ihren Projekten haben. Ferner ist zu
bedenken, dass Initiativen, bei denen auch auf Entscheidungsebene Laien mitwirken, damit diese
als Werke eines bestimmten Instituts betrachtet werden, dessen Ziele verfolgen und unter dessen
Verantwortung durchgeführt werden müssen. Wenn also Laien die Leitung übernehmen, werden
sie den zuständigen Oberen und Oberinnen gegenüber die Verantwortung für diese Durchführung
tragen. All dies sollte durch geeignete Vorschriften der einzelnen Institute geprüft und geregelt
werden, die von der vorgesetzten Autorität genehmigt sind und in denen die jeweiligen
Kompetenzen des Instituts selbst, der Kommunitäten und der assoziierten oder freiwilligen
Mitglieder vorgesehen sind. Die von ihren Oberen und Oberinnen entsandten und abhängigen
Personen des geweihten Lebens können sich mit Sonderformen von Zusammenarbeit an
Laieninitiativen beteiligen, besonders in Organisationen und Einrichtungen, die sich der
Randgruppen annehmen und sich die Linderung menschlichen Leides zum Ziel setzen. Wenn
diese Zusammenarbeit von einer klaren und starken christlichen Identität beseelt und getragen
wird und das dem geweihten Leben eigene Wesen berücksichtigt, vermag sie in den dunkelsten
Situationen des menschlichen Daseins die Leuchtkraft des Evangeliums zum Strahlen zu bringen.
In diesen Jahren sind zahlreiche Personen des geweihten Lebens einer der kirchlichen
Bewegungen beigetreten, die sich in unserer Zeit entwickelt haben. Aus solchen Erfahrungen
ziehen die Interessierten im allgemeinen Nutzen, besonders auf der Ebene der geistlichen
Erneuerung. Doch lässt sich nicht leugnen, dass dies in einigen Fällen Unbehagen und Verwirrung
im persönlichen und kommunitären Bereich auslöst, besonders dann, wenn diese Erfahrungen mit
den Anforderungen des Gemeinschaftslebens und der Spiritualität des Instituts in Konflikt geraten.
Man wird daher Sorge tragen müssen, dass der Beitritt zu den kirchlichen Bewegungen unter

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Beachtung des Charismas und der Disziplin des eigenen Instituts, unter Zustimmung der Oberen
und Oberinnen und in voller Verfügbarkeit zur Annahme ihrer Entscheidungen erfolgt.
Die Würde und die Rolle der Frau des geweihten Lebens
57. Die Kirche enthüllt vollständig ihren vielgestaltigen geistlichen Reichtum, wenn sie nach
Überwindung der Diskriminierungen die von Gott sowohl auf die Männer als auch auf die Frauen
ausgegossenen Gaben als wahren Segen empfängt und sie alle in ihrer gleichen Würde
anerkennt. Die Frauen des geweihten Lebens sind in ganz besonderer Weise dazu berufen, durch
ihre in Fülle und mit Freude gelebte Hingabe ein Zeichen für Gottes Zärtlichkeit gegenüber dem
Menschengeschlecht und ein besonderes Zeugnis des Geheimnisses der Kirche zu sein, die
Jungfrau, Braut und Mutter ist. Die Sendung der Frauen des geweihten Lebens trat natürlich auch
bei der Synode zutage, an der sie in großer Zahl teilnahmen und sich zu Wort melden konnten
–und ihre Stimme wurde gehört und von allen geschätzt. Auch aus ihren Beiträgen haben sich
nützliche Anleitungen für das Leben der Kirche und deren Evangelisierungsauftrag ergeben.
Sicher muss man viele Forderungen, die die Stellung der Frau in verschiedenen gesellschaftlichen
und kirchlichen Bereichen betreffen, als berechtigt anerkennen. In gleicher Weise gilt es
hervorzuheben, dass das neue Bewusstsein der Frau auch den Männern hilft, ihre Denkmuster,
ihr Selbstverständnis und die Art und Weise zu überprüfen, wie sie sich in der Geschichte
etablieren und diese auslegen, wie sie ihr soziales, politisches, wirtschaftliches, religiöses und
kirchliches Leben gestalten. Die Kirche, die von Christus eine Botschaft der Befreiung empfangen
hat, hat den Auftrag, diese prophetisch zu verbreiten, indem sie Denk- und Verhaltensweisen
fördert, die dem Willen des Herrn entsprechen. In diesem Zusammenhang kann die Frau des
geweihten Lebens, ausgehend von ihrer Erfahrung von Kirche und von der Frau in der Kirche, zur
Beseitigung mancher einseitiger Ansichten beitragen, die nicht die volle Anerkennung ihrer Würde,
ihres spezifischen Beitrags zum Leben und zum pastoralen und missionarischen Wirken der
Kirche zum Ausdruck bringen. Deshalb ist das Bestreben der Frau des geweihten Lebens
gerechtfertigt, ihre Identität, ihre Fähigkeit, ihre Sendung, ihre Verantwortung sowohl im
Bewusstsein der Kirche als auch im täglichen Leben klarer anerkannt zu sehen. Auch die Zukunft
der Neuevangelisierung, wie übrigens aller anderen Formen missionarischer Tätigkeit, ist ohne
einen erneuerten Beitrag der Frauen, insbesondere der Frauen des geweihten Lebens undenkbar.
Neue Perspektiven für Präsenz und Tätigkeit
58. Es bedarf daher dringend einiger konkreter Schritte, davon ausgehend, dass den Frauen
Räume zur Mitwirkung in verschiedenen Bereichen und auf allen Ebenen eröffnet werden, auch in
den Prozessen der Entscheidungsfindung, vor allem dort, wo es um sie selbst geht. Notwendig ist
auch, dass die Ausbildung der Frauen ebenso wie die der Männer des geweihten Lebens den
neuen Erfordernissen angepasst wird und genügend Zeit und brauchbare institutionelle
Möglichkeiten für eine systematische Erziehung vorgesehen sind, die alle Gebiete, von der
theologisch-pastoralen Ausbildung bis zur beruflichen Praxis, umfassen soll. Die stets wichtige

5 Pages 41-50

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pastorale und katechetische Ausbildung gewinnt im Hinblick auf die Neuevangelisierung
besondere Bedeutung, die auch von den Frauen neue Formen der Mitwirkung verlangt. Man kann
davon ausgehen, dass die Vertiefung bei der Ausbildung der Frau des geweihten Lebens zu
einem besseren Verständnis ihrer eigenen Gaben verhilft und auch Anregung zur notwendigen
Gegenseitigkeit innerhalb der Kirche sein wird. Auch auf dem Gebiet der theologischen, kulturellen
und spirituellen Reflexion darf man sich vom Genius der Frau viel erwarten, nicht nur in Bezug auf
die besondere Eigenart des geweihten Lebens, sondern auch was das Verständnis des Glaubens
in allen seinen Ausdrucksformen betrifft. Wie viel hat in diesem Zusammenhang die Geschichte
der Spiritualität einer hl. Theresia von Jesus und einer hl. Katharina von Siena, den beiden ersten
mit dem Titel Kirchenlehrer ausgezeichneten Frauen, und vielen anderen Mystikerinnen zu
verdanken, was die Erforschung des Geheimnisses Gottes und die Analyse seiner Wirkung auf
den Gläubigen betrifft! Die Kirche zählt sehr auf die Frauen des geweihten Lebens wegen ihres
ureigenen Beitrags in der Förderung der Lehre, der Bräuche, und selbst des Familien- und
Gesellschaftslebens, besonders was die Würde der Frau und die Achtung vor dem menschlichen
Leben angeht .Denn »die Frauen haben einen einzigartigen und vielleicht entscheidenden Denk-
und Handlungsspielraum: sie sind es, die einen ‘neuen Feminismus' fördern müssen, der, ohne in
die Versuchung zu verfallen, ‘Männlichkeits'-Vorbildern nachzujagen, durch den Einsatz zur
Überwindung jeder Form von Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung den echten weiblichen
Geist in allen Ausdrucksformen des bürgerlichen Zusammenlebens zu erkennen und zu bekunden
versteht«. Es besteht Grund zu der Hoffnung, dass sich das geweihte Leben der Frau durch eine
fundiertere Anerkennung der Sendung der Frau immer stärker der eigenen Rolle und ihrer
gesteigerten Hingabe an das Gottesreiches bewusst wird. Das wird sich in vielfältige Werke
umsetzen lassen, wie in den Einsatz für die Evangelisierung, die Erziehungstätigkeit, die
Mitwirkung an der Ausbildung der künftigen Priester und der Personen des geweihten Lebens, die
Beseelung der christlichen Gemeinde, die geistliche Begleitung und die Förderung der
grundlegenden Güter des Lebens und des Friedens. Den Frauen des geweihten Lebens und ihrer
außergewöhnlichen Fähigkeit zur Hingabe spreche ich noch einmal die Bewunderung und
Dankbarkeit der ganzen Kirche aus, die ihnen beisteht, damit sie ihre Berufung in Fülle und mit
Freude leben und sich zu der erhabenen Aufgabe aufgefordert wissen, mitzuhelfen bei der
Ausbildung der Frau von heute.
II. BESTÄNDIGKEIT IM WIRKEN DES GEISTES: TREUE IN DER NEUERUNG
Die Schwestern in der Klausur
59. Besondere Aufmerksamkeit verdienen das Klosterleben der Frau und die Schwestern in der
Klausur wegen der Hochachtung, die die christliche Gemeinschaft dieser Lebensform
entgegenbringt, die ein Zeichen der ausschließlichen Vereinigung der bräutlichen Kirche mit dem
über alles geliebten Herrn ist. Das Leben der Schwestern in der Klausur, die sich hauptsächlich
dem Gebet, der Askese und dem leidenschaftlichen Vorankommen im geistlichen Leben widmen,
ist in der Tat »nichts anderes als ein Streben nach dem himmlischen Jerusalem, eine

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Vorwegnahme der endzeitlichen Kirche, unverwandt ausgerichtet auf den Besitz und die
Anschauung Gottes«. Im Lichte dieser kirchlichen Berufung und Sendung entspricht die Klausur
dem als prioritär erkannten Bedürfnis, beim Herrn zu sein. Durch die Wahl eines begrenzten
Raumes als Lebensort nehmen die Schwestern in der Klausur an der tiefen Demut Christi teil
durch eine radikale Armut, die sich im Verzicht nicht nur auf Dinge, sondern auch auf den
»Raum«, auf die Kontakte und auf so viele Güter der Schöpfung ausdrückt. Diese besondere Art,
den »Leib« zu schenken, führt sie mit mehr Feingefühl in das eucharistische Geheimnis ein. Sie
bringen sich mit Jesus für das Heil der Welt dar. Über den Aspekt des Opfers und der Sühne
hinaus erwirbt ihre Hingabe auch den Aspekt der Danksagung an den Vater in der Teilhabe an der
Danksagung des geliebten Sohnes. Die in dieser geistlichen Spannung verwurzelte Klausur ist
nicht nur ein asketisches Mittel von sehr hohem Wert, sondern eine Art und Weise, das Ostern
Christi zu leben. Aus Erfahrung des »Todes« wird die Klausur Überfluss des Lebens, indem sie
sich als frohe Ankündigung und prophetische Vorwegnahme der jedem einzelnen und der ganzen
Menschheit angebotenen Möglichkeit darstellt, allein für Gott in Christus Jesus zu leben (vgl. Röm
6,11). Die Klausur ruft also jene Kammer des Herzens wach, in der jeder berufen ist, die Einheit
mit dem Herrn zu leben. Als Geschenk empfangen und als freie Antwort der Liebe gewählt ist die
Klausur der Ort der geistlichen Gemeinschaft mit Gott und mit den Brüdern und Schwestern, wo
die Raum- und Kontaktbeschränkung zum Vorteil der Verinnerlichung der evangelischen Räte
gereicht (vgl. Joh 13,34; Mt 5,3.8).Die Klausurgemeinschaften, die die Stadt auf dem Berg und
das Licht auf dem Leuchter (vgl. Mt 5,14-15) darstellen, versinnbildlichen bei aller Einfachheit
ihres Lebens sichtbar das Ziel, auf das die ganze Gemeinschaft der Kirche zugeht, die »voll Eifer
der Tätigkeit hingegeben und doch frei für die Beschauung« auf den Straßen der Zeit
vorwärtsgeht, den Blick fest auf die künftige Erneuerung von allem in Christus gerichtet, wenn die
Kirche mit ihrem Bräutigam vereint in Herrlichkeit erscheint (vgl. Kol 3,1-4)«und Christus »jede
Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt [...], damit
Gott herrscht über alles und in allem« (1 Kor 15,24.28).Diesen geliebten Schwestern gilt deshalb
meine Dankbarkeit und die Ermunterung, dem Klausurleben gemäß ihrem Charisma treu zu
bleiben. Dank ihres Beispiels verzeichnet diese Lebensform ständig zahlreiche Berufungen, die
von der Radikalität eines »bräutlichen« Daseins angezogen sind, das sich Gott in der
Kontemplation vollkommen hingibt. Als Ausdruck reiner Liebe, die mehr wert ist als jedes Werk,
entfaltet das kontemplative Leben eine außerordentliche apostolische und missionarische
Wirksamkeit Die Synodenväter haben dem Wert des Klausurlebens gegenüber hohe
Anerkennung zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig die hie und da vorgetragenen Anfragen
bezüglich dessen konkreter Ordnung geprüft. Die Hinweise der Synode zum Thema und
besonders der Wunsch nach einem stärkeren Verantwortungsbewußtmachen der höheren
Oberinnen auf dem Gebiet der Teilaufhebung der Klausur aus einem gerechten und
schwerwiegenden Grundwerden zum Gegenstand einer organischen Überlegung auf der Linie des
Weges der vom II. Vatikanischen Konzil ausgehenden und bereits verwirklichten Erneuerung. Auf
diese Weise wird die Klausur in den verschiedenen Formen und Stufen– von der päpstlichen und
der konstitutionsmäßigen bis hin zur monastischen Klausur– der Verschiedenheit der
kontemplativen Institute und der Traditionen der Klöster besser entsprechen. Wie die Synode

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weiter betont hat, sollen darüber hinaus die Vereinigungen und Föderationen zwischen Klöstern
gefördert werden, wie sie schon von Pius XII. und vom II. Vatikanischen Konzil empfohlen wurden,
besonders dort, wo keine anderen wirksamen Formen der Koordinierung und der Hilfe bestehen,
um die Werte des kontemplativen Lebens zu schützen und zu fördern. Unter Berücksichtigung der
rechtmäßigen Autonomie der Klöster können derartige Organismen in der Tat eine wirksame Hilfe
bieten zu angemessener Lösung gemeinsamer Probleme, wie der vorteilhaften Erneuerung der
Aus- und Weiterbildung, der gegenseitigen wirtschaftlichen Unterstützung und auch der
Reorganisation der Klöster selbst.
Die Ordensbrüder
60. Gemäß der überlieferten Lehre der Kirche ist das geweihte Leben seiner Natur nach weder
laikal noch klerikal ,und darum stellt die »Weihe von Laien«, von Männern wie Frauen, einen in
sich vollkommenen Stand der Gelübde der evangelischen Räte dar. Sie hat daher sowohl für die
betreffende Person als auch für die Kirche einen eigenen Wert, unabhängig vom Weiheamt.
Entsprechend der Lehre des II. Vatikanischen Konzils hat die Synode hohe Wertschätzung für
diese Form des geweihten Lebens ausgesprochen, in der die Ordensbrüder innerhalb und
außerhalb der Kommunität verschiedene und wertvolle Dienste vollbringen und so an dem
Sendungsauftrag teilnehmen, das Evangelium zu verkünden und es im täglichen Leben durch die
Liebe zu bezeugen. Denn einige dieser Dienste können als kirchliche Dienstämter betrachtet
werden, die die rechtmäßige Autorität ihnen überträgt. Dies erfordert eine angemessene und
vollständige Ausbildung: menschlich, geistlich, theologisch, pastoral und beruflich. Nach
geltendem Sprachgebrauch heißen die Institute, die durch Entscheidung des Stifters oder kraft
einer rechtmäßigen Überlieferung eine Eigenart und Zielsetzung haben, die nicht die Ausübung
der heiligen Weihe einschließen, »laikale Institute«. Doch wurde auf der Synode klar
herausgestellt, dab diese Bezeichnung die besondere Eigenart der Berufung der Mitglieder
solcher Ordensinstitute nicht angemessen zum Ausdruck bringt. Denn auch wenn sie viele
Dienste ausführen, die ebenso den gläubigen Laien gemeinsam sind, tun sie es mit ihrer Identität
geweihter Personen und bringen so den Geist der Ganzhingabe an Christus und an die Kirche
gemäß ihrem spezifischen Charisma zum Ausdruck. Um jede Zweideutigkeit und Verwechslung
mit dem Weltcharakter der gläubigen Laien zu vermeiden ,haben deshalb die Synodenväter die
Bezeichnung Ordensinstitute der Brüder vorgeschlagen. Der Vorschlag ist bedeutungsvoll, vor
allem wenn man bedenkt, dass die Bezeichnung »Bruder« auch auf eine reiche Spiritualität
hinweist. »Diese Ordensmänner sind berufen, Brüder Christi zu sein, mit ihm, ‘dem Erstgeborenen
von vielen Brüdern' (Röm 8,29), eng verbunden; Brüder untereinander zu sein in der
gegenseitigen Liebe und in der Zusammenarbeit im selben Dienst zum Wohl der Kirche; Brüder
eines jeden Menschen zu sein durch das Zeugnis der Liebe Christi zu allen, besonders den
Niedrigsten und Bedürftigsten; Brüder zu sein für eine gröbere Brüderlichkeit in der Kirche«.
Während die »Ordensbrüder« in besonderer Weise diesen Aspekt des christlichen und zugleich
geweihten Lebens leben, erinnern sie die Ordenspriester wirksam an die fundamentale Dimension
der Brüderlichkeit in Christus, die untereinander und mit jedem Menschen gelebt werden mub, und

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verkündigen allen das Wort des Herrn: »Ihr alle seid Brüder« (Mt 23,8).In diesen »Ordensinstituten
der Brüder« hindert nichts daran, dass einige Mitglieder für den priesterlichen Dienst in der
eigenen Ordenskommunität die heiligen Weihen empfangen, wenn das Generalkapitel dies
festgelegt hat. Doch das II. Vatikanische Konzil bietet dazu keine ausdrückliche Ermutigung, eben
weil es wünscht, dass die Institute der Brüder ihrer Berufung und Sendung treu bleiben. Das gilt
auch für den Zugang zum Amt des Superiors, wenn man bedenkt, dass dies in besonderer Weise
die Natur des Instituts widerspiegelt. Anders ist die Berufung der Brüder in jenen Instituten, die als
»klerikal« bezeichnet werden, weil sie aufgrund des Planes des Stifters oder kraft einer
rechtmäßigen Überlieferung die Ausübung der heiligen Weihe vorsehen, unter der Leitung von
Klerikern stehen und von der Autorität der Kirche als solche anerkannt sind. In diesen Instituten ist
das Weiheamt eben grundlegend für das Charisma und bestimmt dessen Eigenart, Zielsetzung
und Geist. Die Anwesenheit von Brüdern stellt eine differenzierte Beteiligung am Auftrag des
Instituts durch Dienste dar, die im Zusammenwirken mit jenen, die das Priesteramt ausüben,
sowohl innerhalb der Kommunitäten als auch in den apostolischen Werken geleistet werden.
Gemischte Institute
61. Einige Ordensinstitute, die aufgrund des ursprünglichen Planes des Stifters die Gestalt von
Brüdergemeinschaften hatten, in denen alle Mitglieder – Priester und Nichtpriester – untereinander
als gleich angesehen wurden, haben im Laufe der Zeit einen verschiedenen Charakter
angenommen. Diese sogenannten »gemischten« Institute sollen auf der Grundlage der Vertiefung
des eigenen Gründungscharismas erwägen, ob eine Rückkehr zur ursprünglichen Inspiration
angebracht und möglich ist. Die Synodenväter haben den Wunsch geäußert, dass in diesen
Instituten allen Personen des geweihten Lebens gleiche Rechte und Pflichten zuerkannt werden,
ausgenommen jene, die sich aus der heiligen Weihe ergeben. Zur Prüfung und Lösung der mit
dieser Frage verbundenen Probleme ist eine eigene Kommission eingerichtet worden, deren
Beschlüsse man abwarten sollte, um dann entsprechend der autoritätsgemäßen Entscheidung die
angebrachten Wahlen zu treffen.
Neue Formen evangelischen Lebens
62. Der Heilige Geist, der zu verschiedenen Zeiten zahlreiche Formen des geweihten Lebens
geweckt hat, steht der Kirche unaufhörlich bei sowohl dadurch, dass er in den bereits
bestehenden Instituten das Engagement zur Erneuerung in Treue zum ursprünglichen Charisma
fördert, als auch dadurch, dass er Männern und Frauen unserer Zeit neue Charismen zuteilt,
damit sie Institutionen ins Leben rufen, die auf die Herausforderungen von heute eine Antwort
geben können. Ein Zeichen für dieses göttliche Eingreifen sind die sogenannten Neugründungen ,
die im Vergleich zu den herkömmlichen Instituten in gewisser Weise originelle Wesenszüge
aufweisen. Die Originalität der neuen Gemeinschaften besteht häufig darin, dass es sich um
gemischte Gruppen aus Frauen und Männern, aus Klerikern und Laien, aus Verheirateten und
zölibatär Lebenden handelt, die einen besonderen Lebensstil befolgen, der sich bisweilen an der

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einen oder anderen traditionellen Form inspiriert oder sich an die Bedürfnisse der heutigen
Gesellschaft anpasst. Auch die Verpflichtung zu einem Leben nach dem Evangelium findet in
unterschiedlichen Formen Ausdruck, während als allgemeine Ausrichtung sich ein intensives
Verlangen nach dem Gemeinschaftsleben, nach der Armut und nach dem Gebet abzeichnet. Die
Leitung wird je nach ihren Kompetenzen Klerikern und Laien übertragen, und das apostolische
Ziel öffnet sich den Erfordernissen der Neuevangelisierung. Wenn auch angesichts des Wirkens
des Geistes einerseits Grund zur Freude besteht, muss man andererseits die Unterscheidung der
Charismen vornehmen. Um von geweihtem Leben sprechen zu können, gilt grundsätzlich, dass
sich die spezifischen Wesenszüge der neuen Gemeinschaften und Lebensformen tatsächlich auf
die dem geweihten Leben eigenen wesentlichen theologischen und kanonischen Elemente
gründen. Diese Unterscheidung ist sowohl auf Orts- als auch auf Universalebene notwendig, um
dem einen Geist gemeinsam Gehorsam zu leisten. In den Diözesen überprüfe der Bischof das
Lebenszeugnis und die Rechtgläubigkeit von Stiftern und Stifterinnen solcher Gemeinschaften,
ihre Spiritualität, die kirchliche Gesinnung bei der Erfüllung ihrer Sendung, die
Ausbildungsmethoden und die Formen der Eingliederung in die Gemeinschaft; er beurteile mit
Weisheit eventuelle Schwachheiten, indem er geduldig auf die Überprüfung der Früchte wartet,
um die Echtheit des Charismas erkennen zu können (vgl. Mt 7,16).Insbesondere wird er ersucht,
im Lichte klarer Kriterien die Eignung all derer in diesen Gemeinschaften festzustellen, die um
Zulassung zu den heiligen Weihen bitten. Kraft desselben Unterscheidungsgrundsatzes können in
die besondere Kategorie des geweihten Lebens jene an sich lobenswerten Formen des
Engagements nicht einbezogen werden, das einige christliche Eheleute in kirchlichen
Vereinigungen oder Bewegungen zeigen, wenn sie in der Absicht, ihre Liebe, die schon »geweiht«
ist wie im Ehesakrament zur Vollkommenheit zu bringen, mit einem Gelübde die Pflicht der
eigenen Keuschheit im Eheleben bestätigen und, ohne ihre Pflichten gegenüber den Kindern zu
vernachlässigen, die Armut und den Gehorsam geloben. Die notwendige Präzisierung bezüglich
der Art einer solchen Erfahrung möchte diesen besonderen, an seinen Gaben und Anregungen
unendlich reichen Weg der Heiligung, an der das Wirken des Heiligen Geistes sicher nicht
unbeteiligt ist, nicht unterbewerten. Angesichts des großen Reichtums an Gaben und
Erneuerungsimpulsen scheint es zweckmäßig, eine Kommission für Fragen in Bezug auf die
neuen Formen des geweihten Lebens mit dem Ziel zu errichten, Kriterien für die Echtheit
festzulegen, die bei der Unterscheidung und bei den Entscheidungen hilfreich sein sollen. Diese
Kommission wird unter anderen Aufgaben im Lichte der Erfahrung der letzten Jahrzehnte
bewerten müssen, welche neuen Weiheformen die kirchliche Autorität mit pastoraler Klugheit und
zum allgemeinen Nutzen offiziell anerkennen und den Gläubigen, die nach einem vollkommeneren
christlichen Leben verlangen, vorschlagen könne. Diese neuen Vereinigungen eines Lebens nach
dem Evangelium sind keine Alternativen zu den früheren Institutionen, die weiter den
hervorragenden Platz einnehmen, den die Überlieferung ihnen eingeräumt hat. Auch die neuen
Formen sind eine Gabe des Geistes, damit die Kirche ihrem Herrn mit steter hochherziger
Begeisterung folge und aufmerksam auf den Ruf Gottes achte, der sich durch die Zeichen der Zeit
offenbart. So zeigt sie sich der Welt in der Mannigfaltigkeit der Formen von Heiligkeit und
Diensten, was »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der

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ganzen Menschheit« ist. Die alten Institute, von denen viele zwar härteste Prüfungen
durchgemacht, aber sich Jahrhunderte lang tapfer gehalten haben, können eine Bereicherung
erfahren, wenn sie mit den in unserer Zeit entstehenden Gründungen den Dialog aufnehmen und
Gaben austauschen. Auf diese Weise wird die Lebenskraft der verschiedenen Einrichtungen des
geweihten Lebens, von den ältesten bis zu den jüngsten, ebenso wie die Lebendigkeit der neuen
Gemeinschaften die Treue zum Heiligen Geist fördern, der Ursprung der Gemeinschaft und
ewiger Erneuerung des Lebens ist.
III. DER BLICK IN DIE ZUKUNFT
Schwierigkeiten und Perspektiven
63. Die Veränderungen, die in der Gesellschaft in Gang sind, und der Rückgang an Berufungen
lasten schwer auf dem geweihten Leben in einigen Gegenden der Welt. Die apostolischen Werke
vieler Institute und selbst ihre Anwesenheit in manchen Ortskirchen stehen auf dem Spiel. Wie
schon öfter in der Geschichte, gibt es sogar Institute, deren Existenz Gefahr läuft aufzuhören. Die
Universalkirche ist ihnen außerordentlich dankbar für den großartigen Beitrag, den sie durch ihr
Zeugnis und ihren Dienst zum Aufbau der Kirche geleistet haben. Die heutige besorgniserregende
Situation macht ihre Verdienste und die Früchte, die dank ihrer Mühen zur Reife gelangten,
keineswegs zunichte. Für andere Institute wiederum stellt sich mehr das Problem der
Reorganisation der Werke. Diese nicht einfache und nicht selten schmerzvolle Aufgabe erfordert
Studium und Unterscheidung im Licht bestimmter Kriterien. So gilt es zum Beispiel den Sinn des
eigenen Charismas zu wahren, das geschwisterliche Leben zu fördern, die Bedürfnisse sowohl
der Gesamt- als auch der Teilkirche zu berücksichtigen, sich um das zu kümmern, was die Welt
vernachlässigt, großzügig und mutig, wenn auch mit notgedrungen spärlichen Eingriffen, auf die
neuen Formen von Armut, vor allem an den verlassensten Orten, zu antworten. Die
verschiedenen Schwierigkeiten, die vom Rückgang an Personal und an Initiativen herrühren,
dürfen auf keinen Fall zu einem Vertrauensverlust in die evangelische Kraft des geweihten Lebens
führen, die in der Kirche immer vorhanden und wirksam sein wird. Auch wenn die einzelnen
Institute kein Vorrecht auf ihren Fortbestand haben, wird das geweihte Leben weiterhin unter den
Gläubigen die Antwort der Liebe zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern fördern. Darum gilt
es, die historische Wechselfolge eines bestimmten Instituts oder einer Form des geweihten
Lebens von der kirchlichen Sendung des geweihten Lebens als solchem zu unterscheiden.
Ersteres kann sich mit der Veränderung der Situationen ändern, die zweite aber ist zum
Nichtvergehen bestimmt. Das gilt sowohl für das geweihte Leben in der kontemplativen Form als
auch für jenes, das sich den Werken des Apostolats widmet. Es ist in seiner Gesamtheit unter
dem immer neuen Wirken des Geistes bestimmt, weiterzubestehen als leuchtendes Zeugnis der
unauflöslichen Einheit von Gottesliebe und Nächstenliebe, als lebendige Erinnerung an die auch
menschliche und soziale Fruchtbarkeit der Gottesliebe. Man muss sich daher den neuen
Notsituationen mit der Gelassenheit desjenigen stellen, der weiß, dass von jedem einzelnen nicht
so sehr der Erfolg als die Verpflichtung zur Treue verlangt wird. Was unbedingt vermieden werden

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muss, ist die wirkliche Niederlage des geweihten Lebens, die nicht in der zahlenmäßigen
Abnahme, sondern im Schwinden der geistlichen Hinwendung zum Herrn und zur eigenen
Berufung und Sendung besteht. Hingegen wird durch treues Ausharren in ihr mit großer
Wirksamkeit auch gegenüber der Welt das eigene feste Vertrauen in den Herrn der Geschichte
bekannt, in dessen Händen die Zeit und die Geschicke der einzelnen, der Institutionen, der Völker
und somit auch die geschichtliche Ausführung seiner Gaben liegen. Die schmerzlichen
Krisensituationen sind für die Personen des geweihten Lebens ein Ansporn, mit Festigkeit den
Glauben an den Tod und die Auferstehung Christi zu verkünden, um zum sichtbaren Zeichen des
Durchgangs vom Tod zum Leben zu werden.
Neuaufschwung der Berufungspastoral
64. Die Sendung des geweihten Lebens und die Lebenskraft der Institute hängen gewiss von der
Treueverpflichtung ab, mit der die Personen des geweihten Lebens auf ihre Berufung antworten,
sie haben aber nur in dem Maße Zukunft, in dem andere Männer und Frauen den Ruf des Herrn
hochherzig annehmen. Das Problem der Berufungen ist eine echte Herausforderung, die direkt die
Institute betrifft, aber die ganze Kirche mit einbezieht. Auf dem Gebiet der Berufungspastoral
werden große geistige und materielle Energien eingesetzt, doch die Ergebnisse entsprechen nicht
immer den Erwartungen und Anstrengungen. So kann es geschehen, dass die Berufungen zum
geweihten Leben in den jungen Kirchen und in jenen, die unter Verfolgungen durch totalitäre
Regime gelitten haben, blühen, während es in den traditionellerweise an Berufungen– auch für die
Mission– reichen Ländern mangelt. Diese schwierige Lage stellt die Personen des geweihten
Lebens auf die Probe und sie fragen sich mitunter: haben wir etwa die Fähigkeit verloren, neue
Berufungen anzuziehen? Man muss Vertrauen in den Herrn Jesus setzen, der immer noch in
seine Nachfolge ruft, und sich dem Heiligen Geist anvertrauen, dem Urheber und Anstifter der
Charismen des geweihten Lebens. Während wir uns also über das Wirken des Geistes freuen, der
die Braut Christi dadurch verjüngt, dass er das geweihte Leben in vielen Nationen blühen lässt,
müssen wir inständig zum Herrn der Ernte beten, damit er Arbeiter in seine Kirche sende, um sie
für die dringenden Erfordernisse der Neuevangelisierung bereit zu machen (vgl. Mt 9,37-38).
Außer der Förderung des Gebets um Berufungen ist es dringend notwendig, sich durch eine klare
Verkündigung und eine entsprechende Katechese darum zu bemühen, bei den zum geweihten
Leben Berufenen jene freie, aber bereite und hochherzige Antwort zu fördern, die die Gnade der
Berufung wirksam werden lässt. Die Einladung Jesu: »Kommt und seht!« (Joh 1,39) ist noch heute
die goldene Regel der Berufungspastoral. Diese setzt sich zum Ziel, nach dem Beispiel der Stifter
und Stifterinnen den Glanz der Person des Herrn Jesus und die Schönheit der Ganzhingabe
seiner selbst an die Sache des Evangeliums zu zeigen. Vorrangige Aufgabe aller Personen des
geweihten Lebens ist es also, mutig durch Wort und Beispiel das Ideal der Nachfolge Christi
vorzustellen und dann die Antwort auf die Impulse des Heiligen Geistes in den Herzen der
Berufenen zu unterstützen. Auf die Begeisterung der ersten Begegnung mit Christus wird natürlich
die geduldige Mühe um die Entsprechung im täglichen Leben folgen, das die Berufung zu einer
Geschichte der Freundschaft mit dem Herrn macht. Zu diesem Zweck bedient sich die

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Berufungspastoral geeigneter Hilfsmittel, wie der geistlichen Führung , um jene persönliche
Antwort der Liebe zum Herrn zu fördern, die wesentliche Bedingung ist, um Jünger und Apostel
seines Reiches zu werden. Auch wenn das Blühen von Berufungen, wie es sich in verschiedenen
Teilen der Welt zeigt, Optimismus und Hoffnung rechtfertigt, so darf der Mangel in anderen
Regionen weder zur Mutlosigkeit noch zur Versuchung zu leichtfertigen und unbedachten
Anwerbungen verleiten. Die Aufgabe der Förderung von Berufungen muss so erfüllt werden, dass
sie zunehmend als eine gemeinsame Verpflichtung der ganzen Kirche erscheint. Sie erfordert
daher die aktive Zusammenarbeit von Seelsorgern, Ordensleuten, Familien und Erziehern, wie es
einem Dienst zusteht, der integraler Bestandteil der Gesamtpastoral jeder Teilkirche ist. Es soll
daher in jeder Diözese diesen gemeinsamen Dienst geben, der die Kräfte koordiniert und
vermehrt, ohne jedoch die für Berufungen entwickelte Aktivität jedes einzelnen Instituts zu
beeinträchtigen, ja vielmehr diese zu fördern. Diese von der Vorsehung getragene tätige
Zusammenarbeit des ganzen Gottesvolkes wird notwendigerweise die Fülle der göttlichen Gaben
anregen. Die christliche Solidarität möge den Notwendigkeiten der Ausbildung von Berufungen in
den wirtschaftlich ärmeren Ländern weithin entgegenkommen. Die Förderung von Berufungen in
diesen Nationen soll von den verschiedenen Instituten in vollem Einklang mit den Ortskirchen auf
der Grundlage einer aktiven und langfristigen Einbeziehung in ihre Pastoral vorgenommen
werden. Die zutreffendste Art, das Wirken des Geistes zu unterstützen, wird es sein, großzügig
die besten Kräfte in die Berufungsaktivität zu investieren, besonders durch entsprechende
Hingabe an die Jugendpastoral.
Die Aufgabe der Anfangsausbildung
65. Besondere Aufmerksamkeit hat die Synodenversammlung der Ausbildung dessen
vorbehalten, der die Absicht hat, sich dem Herrn zu weihen, indem ihre entscheidende Bedeutung
anerkannt wird. Zentrales Ziel des Ausbildungsweges ist die Vorbereitung des einzelnen auf seine
Ganzhingabe an Gott in der Nachfolge Christi zum Dienst der Sendung. »Ja« zu sagen auf den
Ruf des Herrn und persönlich die Dynamik des Wachsens der Berufung anzunehmen, liegt in der
unveräußerlichen Verantwortung eines jeden Berufenen, der den Raum seines Lebens für das
Wirken des Heiligen Geistes öffnen muss; es heißt, den Ausbildungsweg mit Edelmut beschreiten
und in Treue die Fürsprache annehmen, die der Herr und die Kirche anbieten. Die Ausbildung wird
daher die Person in ihrem tiefsten Inneren erreichen müssen, so dass jede ihrer Verhaltensweisen
oder Gebärden sowohl in den wichtigen Augenblicken als auch in den gewöhnlichen
Lebensumständen ihre volle und frohe Zugehörigkeit zu Gott enthülle. Da das Ziel des geweihten
Lebens in der Gleichgestaltung mit dem Herrn Jesus und in der Ganzhingabe an ihn besteht,
muss die Ausbildung vor allem auf dieses abzielen. Es handelt sich um einen Weg der
fortschreitenden Assimilierung der Gesinnung Christi an den Vater. Wenn dies der Zweck des
geweihten Lebens ist, wird die Methode, die darauf vorbereitet, das Merkmal der Ganzheit
annehmen und ausdrücken müssen. Sie muss Ausbildung der ganzen Personsein, in jedem
Aspekt ihrer Individualität, im Verhalten wie in den Absichten. Es ist klar, dass gerade wegen des
Strebens nach der Umgestaltung der ganzen Person die Aufgabe der Bildung niemals aufhört. Es

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ist tatsächlich notwendig, dass den Personen des geweihten Lebens bis zum Ende die Chance
geboten wird, im Festhalten am Charisma und an der Sendung ihres Instituts zu wachsen. Die
Ausbildung soll, um vollständig zu sein, alle Bereiche des christlichen Lebens und des geweihten
Lebens umfassen. Es ist daher eine menschliche, kulturelle, spirituelle und pastorale Vorbereitung
vorzusehen, wobei besonders darauf zu achten ist, dass die harmonische Integration der
verschiedenen Aspekte begünstigt wird. Für die Anfangsausbildung, die als Entwicklungsprozess
verstanden wird, der jede Stufe der persönlichen Reifung – von der psychologischen und
geistlichen bis hin zur theologischen und pastoralen – durchläuft, muss ein ausreichender
Zeitraum vorgesehen werden. Im Fall der Berufungen zum Priestertum fällt dieser mit einem
spezifischen Studienprogramm als Teil eines umfassenderen Ausbildungsganges zusammen und
wird mit ihm in Einklang gebracht.
Das Werk der Ausbilder und Ausbilderinnen
66. Gott Vater ist in der ständigen Gabe Christi und des Geistes im wahrsten Sinne des Wortes
der Ausbilder dessen, der sich ihm weiht. Aber bei diesem Werk bedient er sich der menschlichen
Vermittlung, indem er dem, den er ruft, einige ältere Brüder und Schwestern an die Seite stellt. Die
Ausbildung ist also Teilhabe am Handeln des Vaters, der durch den Geist im Herzen der jungen
Männer und Frauen die Gesinnung des Sohnes formt. Die Ausbilder und Ausbilderinnen müssen
daher erfahrene Personen auf dem Weg der Suche nach Gott sein, um auch andere auf diesem
Weg begleiten zu können. Wenn sie auf das Wirken der Gnade achten, werden sie in der Lage
sein, auch auf die weniger augenfälligen Hindernisse hinzuweisen, vor allem aber werden sie die
Schönheit der Nachfolge des Herrn und den Wert des Charismas aufzeigen, in dem diese sich
erfüllt. Im Licht geistlicher Weisheit werden sie das von den menschlichen Mitteln gebotene
Wissen verbinden, das eine Hilfe sein kann sowohl in der Entscheidung bezüglich der Berufung
als auch in der Ausbildung des neuen Menschen, damit er ganz frei werde. Ein wichtiges Mittel
der Ausbildung ist das persönliche Gespräch, das als Gewohnheit von unersetzlicher und
erprobter Wirksamkeit mit Regelmäßigkeit und einer gewissen Häufigkeit geführt werden soll.
Angesichts so heikler Aufgaben erscheint die Ausbildung geeigneter Ausbilder wirklich wichtig, die
in ihrem Dienst eine großbe Übereinstimmung mit dem Weg der ganzen Kirche gewährleisten
sollen. Es wird notwendig sein, entsprechende Strukturen für die Ausbildung der Ausbilder
möglichst an Orten zu errichten, wo der Kontakt mit der Kultur möglich ist, innerhalb der sie ihren
pastoralen Dienst dann ausüben sollen. Bei diesem Ausbildungswerk sollen die Institute älterer
und bewährter Tradition den Instituten jüngerer Gründung durch die Bereitstellung einiger ihrer
besten Mitglieder Hilfe leisten.
Eine gemeinschaftliche und apostolische Ausbildung
67. Da die Ausbildung auch gemeinschaftlich sein soll, ist die Kommunität für die Institute des
geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens der bevorzugte Ort. In ihr
erfolgt die Einweihung in die Mühe und in die Freude des Zusammenlebens. In der Brüderlichkeit

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lernt ein jeder mit dem zu leben, den Gott neben ihn gestellt hat, indem er seine positiven
Wesensmerkmale und zugleich seine Andersartigkeit und seine Grenzen annimmt. Insbesondere
lernt er, die für die Erbauung aller empfangenen Gaben mit den anderen zu teilen, denn »jedem
wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt« (1 Kor 12, 7).Gleichzeitig
soll das Gemeinschaftsleben von der ersten Ausbildung an die missionarische Dimension der
Weihe an Gott zeigen. Darum wird es während der Anfangsausbildung in den Instituten des
geweihten Lebens nützlich sein, konkrete und vom Ausbilder bzw. von der Ausbilderin umsichtig
begleitete Erfahrungen zu machen, um im Dialog mit der umgebenden Kultur apostolische
Verhaltensweisen, Anpassungsfähigkeiten und Unternehmungsgeist zu üben. Wenn es einerseits
wichtig ist, dass die Person des geweihten Lebens sich nach und nach ein im Sinne des
Evangeliums kritisches Bewusstsein gegenüber den Werten und Unwerten der eigenen und jener
Kultur bildet, der sie in ihrem künftigen Arbeitsbereich begegnen wird, so muss sie sich
andererseits in der schwierigen Kunst der Einheit des Lebens, der gegenseitigen Durchdringung
der Liebe zu Gott und der Liebe zu den Brüdern und Schwestern üben und dabei erfahren, dass
das Gebet die Seele des Apostolates ist, aber auch, dass das Apostolat das Gebet belebt und
anregt.
Die Notwendigkeit einer vollständigen und zeitgemäßen ratio
68. Eine ausdrückliche Dauer der Ausbildung, die bis zur ewigen Profess reichen soll, wird auch
den weiblichen Instituten ebenso wie den männlichen bzw. den Ordensbrüdern empfohlen. Das
gilt im wesentlichen auch für die Klausurgemeinschaften, die sich im Hinblick auf eine
authentische Ausbildung zum kontemplativen Leben und auf ihren besonderen Auftrag in der
Kirche um die Ausarbeitung eines angemessenen Programms bemühen sollen. Die Synodenväter
haben alle Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens
inständig gebeten, sobald wie möglich eine ratio institutionis, d. h. einen am Charisma des Instituts
inspirierten Ausbildungsplan zu erarbeiten, in dem klar und dynamisch der Weg dargelegt wird,
der gegangen werden muss, um sich die Spiritualität des eigenen Instituts vollkommen
anzueignen. Die ratio antwortet heute auf eine echte Notwendigkeit: sie zeigt einerseits auf, wie
der Geist des Instituts vermittelt werden soll, damit er von den jungen Generationen in der
Unterschiedlichkeit der Kulturen und der geographischen Lagen unverfälscht gelebt werde;
andererseits erläutert sie den Personen des geweihten Lebens die Wege, um den gleichen Geist
in den verschiedenen Lebensphasen im Fortschreiten auf die volle Reife des Glaubens an
Christus hin zu leben. Wenn es also zutrifft, dass die Erneuerung des geweihten Lebens
hauptsächlich von der Ausbildung abhängt, so ist es ebenfalls richtig, dass diese ihrerseits an die
Fähigkeit gebunden ist, eine an geistlicher und pädagogischer Weisheit reiche Methode
vorzuschlagen, die den, der sich Gott zu weihen wünscht, nach und nach dahin führt, die
selbstlose Gesinnung Christi, des Herrn, anzunehmen. Die Ausbildung ist ein Lebensprozess,
durch den sich der Mensch bis in die Tiefen seines Seins zum Wort Gottes bekehrt und zugleich
die Kunst erlernt, in der Wirklichkeit der Welt die Zeichen Gottes zu suchen. In einer Zeit
wachsender Verdrängung der religiösen Werte aus der Kultur ist dieser Ausbildungsweg in

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51
doppeltem Sinn bedeutsam: dank diesem vermag die Person des geweihten Lebens nicht nur
Gott weiterhin mit den Augen des Glaubens in einer Welt zu »sehen«, die seine Gegenwart
ignoriert, sondern es gelingt ihr auch, durch das Zeugnis des eigenen Charismas seine Gegenwart
irgendwie »wahrnehmbar« zu machen.
Die ständige Weiterbildung
69. Die ständige Weiterbildung ist sowohl für die Institute des apostolischen Lebens als auch für
die des kontemplativen Lebens ist eine für die Weihe an Gott wesentliche Forderung. Der
Ausbildungsprozess beschränkt sich, wie gesagt, nicht auf seine Anfangsphase, weil nun einmal
wegen der menschlichen Grenzen die Person des geweihten Lebens niemals annehmen kann, sie
habe das Heranwachsen jenes neuen Menschen vollendet, der in sich in jeder Lebenssituation die
Gesinnung Christi erfährt. Die Anfangsausbildung muss sich darum mit jener ständigen
Weiterbildung verbinden, die im Menschen die Bereitschaft erzeugt, sich an jedem Tag des
Lebens bilden zu lassen. Infolgedessen wird es sehr entscheidend sein, dass jedes Institut als Teil
der ratio institutionis die möglichst präzise und systematische Definition eines Planes für die
ständige Weiterbildung vorsieht, dessen Hauptzweck es sein soll, jede Person des geweihten
Lebens mit einem das ganze Leben umfassenden Programm zu begleiten. Keiner kann umhin,
sich seinem menschlichen und religiösen Wachstum zu widmen, so wie sich keiner anmaßen
kann, sein Leben in Selbstgenügsamkeit zu führen. Keine Lebensphase kann sich für so sicher
und eifrig halten, dab man die Notwendigkeit besonderer Vorsichtsmaßnahmen ausschließen soll,
um so das Ausharren in der Treue zu gewährleisten, ebenso wie es kein Alter gibt, das die
Reifung der Person als beendet ansehen könnte.
In einem Dynamismus der Treue
70. Es gibt eine Jugendlichkeit des Geistes, die zeitlich weiterbesteht: sie steht in Verbindung mit
der Tatsache, dass der einzelne für jeden Lebensabschnitt eine andere zu erfüllende Aufgabe,
eine besondere Seinsweise, eine besondere Art zu dienen und zu lieben sucht und findet. Im
geweihten Leben stellen die ersten Jahre der vollen Eingliederung in die apostolische Tätigkeit
eine an und für sich kritische Phase dar, die gekennzeichnet ist vom Übergang aus einem
gelenkten Leben in eine Situation der vollen tätigen Verantwortlichkeit. Es ist wichtig, dass junge
Personen des geweihten Lebens von einem Mitbruder oder einer Mitschwester unterstützt und
begleitet werden, der oder die ihnen helfen soll, die jugendliche Frische ihrer Liebe und ihrer
Begeisterung für Christus voll zu leben. In der anschließenden Phase kann sich das Risiko der
Gewohnheit und die daraus folgende Versuchung zur Enttäuschung über die Dürftigkeit der
Ergebnisse einstellen. Da gilt es nun, den Personen des geweihten Lebens des mittleren
Lebensalters zu helfen, im Lichte des Evangeliums und der charismatischen Inspiration ihre
ursprüngliche Option neu zu überdenken, wobei die Vollständigkeit der Hingabe nicht mit der
Vollständigkeit des Ergebnisses verwechselt werden darf. Dadurch wird es möglich, der eigenen
Entscheidung neuen Schwung und neue Motivationen zu geben. Es ist die Phase der Suche nach

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dem Wesentlichen. Die Phase des reifen Alters kann zusammen mit dem persönlichen Wachstum
die Gefahr eines gewissen Individualismus mit sich bringen, der sowohl von der Furcht, nicht mehr
in die Zeit zu passen, als auch von Phänomenen wie Erstarrung, Aufhören und Erschlaffung
begleitet ist. Hier hat die ständige Weiterbildung den Zweck zu helfen, damit nicht nur eine höhere
geistliche und apostolische Lebenshaltung wiedererlangt, sondern auch die besondere Eigenart
dieser Lebensphase entdeckt wird. Nach Läuterung einiger Aspekte der Persönlichkeit steigt in
dieser Lebensphase tatsächlich die Selbsthingabe mit gröberer Lauterkeit und Hochherzigkeit zu
Gott empor und kommt ruhiger, diskreter und zugleich transparenter und gnadenreicher auf die
Brüder und Schwestern nieder. Das ist das Geschenk und die Erfahrung der geistlichen Vater-
und Mutterschaft. Das fortgeschrittene Alter wirft neue Probleme auf, denen man mit einem
umsichtigen Programm der spirituellen Haltung vorbeugend begegnen muss. Das zunehmende
Sich-Zurückziehen aus dem aktiven Wirken, in manchen Fällen Krankheit und notgedrungene
Untätigkeit, stellen eine Erfahrung dar, die in hohem Maße formend sein kann. Obwohl dieser
Rückzug oft schmerzlich ist, bietet er der Person des geweihten Lebens dennoch die Gelegenheit,
sich von der österlichen Erfahrung formen zu lassen und die Gestalt des gekreuzigten Christus
anzunehmen, der in allem den Willen des Vaters erfüllt und sich in seine Händen gibt, bis er ihm
den Geist zurückgibt. Diese Gleichgestaltung ist eine neue Weise, die Weihe an Gott zu leben, die
nicht an die Effizienz einer Führungsaufgabe oder einer apostolischen Arbeit gebunden ist. Wenn
dann der Augenblick kommt, um sich mit der letzten Stunde der Passion des Herrn zu vereinen,
weiß die Person des geweihten Lebens, dass der Vater in ihm jenen geheimnisvollen, vor langer
Zeit eingeleiteten Bildungsprozess nunmehr beendet. Der Tod wird nun als der letzte Akt der
Liebe und Selbsthingabe erwartet und vorbereitet. Es muss hinzugefügt werden, dass jedes Alter,
unabhängig von den verschiedenen Lebensphasen, kritische Situationen kennenlernen kann
durch die Einwirkung äußerer Faktoren– Orts- oder Amtswechsel, Schwierigkeiten bei der Arbeit
oder apostolischer Misserfolg, Unverständnis oder Ausgrenzung usw. –oder persönlicher Faktoren
im engeren Sinn– physische oder psychische Erkrankung, geistliche Leere, Trauer, Probleme
zwischenmenschlicher Beziehungen, starke Versuchungen, Glaubens- oder Identitätskrisen,
Gefühl der Bedeutungslosigkeit, und ähnliches. Wenn die Treue schwieriger wird, muss dem
einzelnen mehr Vertrauen und gröbere Liebe auf persönlicher wie gemeinschaftlicher Ebene als
Hilfe entgegengebracht werden. Dabei ist vor allem die liebevolle Nähe des Oberen nötig; großer
Trost wird auch von der geeigneten Hilfe eines Bruders oder einer Schwester kommen, dessen
oder deren zuvorkommende und bereite Anwesenheit zur Wiederentdeckung des Sinnes des
Bundes führen kann, den Gott als erster geschlossen hat und nicht zu widerrufen gedenkt. So wird
der Geprüfte schließlich Läuterung und Entäußerung als wesentliche Handlungen der Nachfolge
des gekreuzigten Christus annehmen. Die Prüfung selbst wird ihm als Ausbildungsmittel der
Vorsehung in den Händen des Vaters erscheinen, nicht nur als psychologischer Kampf, der vom
Ich mit Bezug auf sich selbst und auf seine Schwächen geführt wird, sondern als religiöser Kampf,
der jeden Tag von der Gegenwart Gottes und von der Macht des Kreuzes gekennzeichnet ist!
Dimensionen der ständigen Weiterbildung

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71. Wenn die Person Subjekt der Ausbildung in jeder Lebensphase ist, so ist das Ziel der
Ausbildung die Ganzheit des Menschen, der aufgerufen ist, Gott zu suchen und »mit ganzem
Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft« (Dtn 6,5) zu lieben und den Nächsten wie sich
selbst (vgl. Lev 19,18; Mt 22,37-39). Die Liebe zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern ist ein
mächtiger Dynamismus, der den Weg des Wachstums und der Treue ständig zu inspirieren
vermag. Das Leben im Geist hat seinen selbstverständlichen Vorrang. In ihm findet die Person
des geweihten Lebens wieder ihre Identität und eine tiefe heitere Ruhe, wächst in der
Aufmerksamkeit auf die täglichen Herausforderungen des Gotteswortes und lässt sich von der
ursprünglichen Inspiration seines Instituts leiten. Unter dem Wirken des Heiligen Geistes werden
die Zeiten des Gebetes, der Stille und der Einsamkeit fest verteidigt, und die Gabe der Weisheit
wird inständig vom Himmel in der Mühsal des Alltags erfleht (vgl. Weish 9,10).Die menschliche
und brüderliche Dimension erfordert die Erkenntnis seiner selbst und die der eigenen Grenzen,
um daraus die notwendige Anregung und Unterstützung auf dem Weg zur vollen Befreiung zu
gewinnen. Von besonderer Bedeutung sind in der heutigen Situation die innere Freiheit der
Person des geweihten Lebens, seine gefühlsmäßige Integration, die Kommunikationsfähigkeit mit
allen, besonders in der eigenen Kommunität, die Gelassenheit des Geistes und das Mitgefühl mit
dem Leidenden, die Liebe zur Wahrheit sowie der klare Zusammenhang zwischen Wort und Tat.
Die apostolische Dimension öffnet Verstand und Herz der Person des geweihten Lebens und
macht sie bereit für ein ständiges aktives Bemühen als Zeichen der Liebe Christi, die sie drängt
(vgl. 2 Kor 5,14). In der Praxis bedeutet dies die zeitgemäße Erneuerung der Methoden und
Zielsetzungen der apostolischen Tätigkeiten in Treue zum Geist und zur Zielsetzung des Gründers
oder der Gründerin sowie zu den in der Folge gereiften Traditionen, unter Beachtung der
veränderten historischen und kulturellen, allgemeinen und lokalen Verhältnisse des Umfeldes, in
dem man sich betätigt. Die kulturelle und berufliche Dimension schließt auf der Grundlage einer
soliden theologischen Ausbildung, die zur Unterscheidung befähigt, eine ständige zeitgemäße
Erneuerung und eine besondere Beachtung der verschiedenen Bereiche ein, auf die jedes
einzelne Charisma verweist. Es ist daher notwendig, geistig offen und möglichst anpassungsfähig
zu bleiben, damit der Dienst gemäß den Erfordernissen der Zeit geplant und durchgeführt wird,
indem man sich der vom kulturellen Fortschritt bereitgestellten Mittel bedient. In der Dimension
des Charismas schließlich finden sich alle anderen Forderungen gesammelt, wie in einer
Synthese, die eine dauernde Vertiefung der eigenen besonderen Weihe in ihren verschiedenen
Komponenten– nicht nur in der apostolischen, sondern auch in der asketischen und mystischen
–verlangt. Das schließt für jedes Mitglied ein eifriges Studium des Geistes des Institutes, dem es
angehört, seiner Geschichte und seiner Sendung ein, um dessen persönliche und
gemeinschaftliche Assimilation zu verbessern.
KAPITEL III
SERVITIUM CARITATIS
DAS GEWEIHTE LEBEN,

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SICHTBARWERDEN DER LIEBE GOTTES IN DER WELT
Geweiht für die Sendung
72. Nach dem Bilde Jesu, des geliebten Sohnes, »den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt
hat« (Joh 10,36), werden auch diejenigen, die Gott in seine Nachfolge ruft, geheiligt und in die
Welt gesandt, um sein Beispiel nachzuahmen und seine Sendung fortzusetzen. Grundsätzlich gilt
das für jeden Jünger. Doch in besonderer Weise gilt es für alle, die in der charakteristischen Form
des geweihten Lebens dazu berufen sind, Christus »aus nächster Nähe« zu folgen und ihn »zum
Ganzen« ihrer Existenz zu machen. In dem Anruf an sie ist daher die Aufgabe enthalten, sich
vollständig der Sendung zu widmen: ja, das geweihte Leben wird unter dem Wirken des Heiligen
Geistes, dem Ursprung jeder Berufung und jedes Charismas, selbst zur Sendung, wie es das
ganze Leben Jesu gewesen ist. Das Bekenntnis zu den evangelischen Räten, das die Person des
geweihten Lebens für die Sache des Evangeliums völlig frei macht, offenbart auch unter diesem
Gesichtspunkt seine Bedeutung. Man darf also behaupten, dass die Sendung für jedes Institut
wesentlich ist, nicht nur für die des tätigen apostolischen Lebens, sondern auch für die des
beschaulichen Lebens.
Denn noch ehe sich die Sendung durch äußere Werke kennzeichnet, entfaltet sie sich dadurch,
dass sie durch das persönliche Zeugnis für die Welt Christus selbst gegenwärtig macht. Das ist
die Herausforderung, das ist die erstrangige Aufgabe des geweihten Lebens! Je mehr man
Christus gleichförmig wird, umso gegenwärtiger und wirksamer macht man ihn in der Welt zum
Heil der Menschen. Man kann also sagen, die Person des geweihten Lebens ist »in Mission«
eben kraft ihrer Weihe selbst, die entsprechend dem Plan des eigenen Instituts bezeugt ist. Wenn
das Gründungscharisma pastorale Tätigkeiten vorsieht, sind offensichtlich Lebenszeugnis und
Werke des Apostolats oder menschlicher Förderung in gleicher Weise notwendig: beide stellen
Christus dar, der geheiligt ist zur Ehre des Vaters und zugleich in die Welt gesandt zum Heil der
Brüder und Schwestern. Das Ordensleben nimmt noch mit einem anderen, ganz besonderen
Element an der Sendung Christi teil: dem geschwisterlichen Leben in Gemeinschaft für die
Sendung. Das Ordensleben wird daher um so apostolischer sein, je inniger seine Hingabe an den
Herrn Jesus, je brüderlicher seine gemeinschaftliche Lebensform, je glühender die Einbeziehung
in die besondere Sendung des Instituts ist.
Im Dienste Gottes und des Menschen
73. Das geweihte Leben hat die prophetische Aufgabe, sich auf Gottes Plan in Bezug auf die
Menschen zu besinnen und ihm zu dienen, wie es von der Schrift verkündet wird und wie es aus
einem aufmerksamen Lesen der Zeichen des weisen Wirkens Gottes in der Geschichte
hervorgeht. Es ist der Plan für eine gerettete und versöhnte Menschheit (vgl. Kol 2,20-22). Um
diesen Dienst in angemessener Weise zu erfüllen, müssen die Personen des geweihten Lebens
eine tiefe Gotteserfahrung haben und sich die Herausforderungen der Zeit bewusst machen,

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indem sie deren tiefe theologische Bedeutung durch die mit Hilfe des Heiligen Geistes gewirkte
Unterscheidung erfassen. In der Tat verbirgt sich in den geschichtlichen Ereignissen oft der Anruf
Gottes, nach seinem Plan durch eine aktive und fruchtbare Einbeziehung in die Belange unserer
Zeit zu wirken. Die Unterscheidung der Zeichen der Zeit muss, wie das Konzil sagt, im Lichte des
Evangeliums vorgenommen werden, damit man »auf die bleibenden Fragen der Menschen nach
dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider
zueinander Antwort geben kann«. Es ist daher notwendig, das Herz für die inneren Eingebungen
des Geistes zu öffnen, der dazu einlädt, die Zeichen der Vorsehung in ihrer Tiefe zu erfassen. Er
ruft das geweihte Leben, auf die neuen Probleme der Welt von heute neue Antworten zu
erarbeiten. Das sind göttliche Mahnungen, die nur Menschen, die gewohnt sind, in allem den
Willen Gottes zu suchen, getreu aufzunehmen und dann mutig in Entscheidungen umzusetzen
vermögen, die sowohl mit dem ursprünglichen Charisma als auch mit den Erfordernissen der
konkreten geschichtlichen Situation übereinstimmen. Angesichts der zahlreichen Probleme und
Nöte, die das geweihte Leben mitunter zu gefährden oder gar mit sich zu reiben scheinen,
müssen die Berufenen die Aufgabe wahrnehmen, die vielen Bedürfnisse der ganzen Welt im
Herzen und im Gebet zu tragen und zugleich eifrig auf den zum Gründungscharisma gehörenden
Gebieten tätig zu sein. Ihre Hingabe wird offensichtlich von dem übernatürlichen
Unterscheidungsvermögen geleitet sein müssen und wird das, was vom Geist kommt, von dem zu
unterscheiden wissen, was ihm entgegengesetzt ist (vgl. Gal 5,16-17.22; 1 Joh 4,6). Er bewahrt
durch die Treue zur Ordensregel und zu den Konstitutionen die volle Gemeinschaft mit der Kirche.
Auf diese Weise wird sich das geweihte Leben nicht darauf beschränken, die Zeichen der Zeit zu
lesen, sondern es wird dazu beitragen, auch neue Pläne der Evangelisierung für die Situationen
der heutigen Zeit auszuarbeiten und zu verwirklichen. Das alles geschieht in der
Glaubensgewissheit, dass der Geist auch auf die schwierigsten Fragen die geeigneten Antworten
zu geben vermag. In diesem Zusammenhang gilt es wiederzuentdecken, was die großen
Hauptvertreter der apostolischen Tätigkeit schon immer gelehrt haben: man muss auf Gott
vertrauen, als hinge alles von ihm ab, und sich gleichzeitig so großherzig einsetzen, als hinge
alles von uns ab.
Kirchliche Zusammenarbeit und apostolische Spiritualität
74. Alles muss in Gemeinschaft und im Dialog mit den anderen Mitgliedern der Kirche getan
werden. Die Herausforderungen an die Sendung sind so groß, dass sie ohne die Zusammenarbeit
aller Glieder der Kirche sowohl bei der Unterscheidung als auch beim Tun nicht wirksam
angegangen werden können. Die einzelnen verfügen kaum über die entscheidende Antwort: diese
kann hingegen aus der Gegenüberstellung und dem Dialog entspringen. Insbesondere wird es die
durch die verschiedenen Charismen tätige Gemeinschaft nicht unterlassen, außer einer
gegenseitigen Bereicherung eine ausgeprägtere Wirksamkeit in der Sendung sicherzustellen. Die
Erfahrung dieser Jahre bestätigt weitgehend, dass »der neue Name der Liebe ‘Dialog' ist«,
besonders jener kirchlichen Liebe; der Dialog hilft, die Probleme in ihren tatsächlichen
Dimensionen zu sehen, und ermöglicht, sie mit größerer Hoffnung auf Erfolg anzugehen. Das

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geweihte Leben stellt sich auf Grund der Tatsache, dass es den Wert des geschwisterlichen
Lebens pflegt, als bevorzugte Dialogerfahrung dar. Es kann daher zur Schaffung eines Klimas
gegenseitiger Annahme beitragen, in dem die verschiedenen Personen der Kirche, während sie
sich aufgewertet fühlen durch das, was sie sind, in überzeugterer Weise der auf die große
universale Sendung ausgerichteten kirchlichen Gemeinschaft zustreben .Die in der einen oder der
anderen Form des apostolischen Dienstes tätigen Institute müssen schließlich eine solide
Spiritualität der Tätigkeit pflegen, die in allen Dingen Gott und alle Dinge in Gott sieht. »Man muss
nämlich wissen, dass, wie das gute geordnete Leben danach strebt, vom tätigen zum
kontemplativen Leben überzugehen, die Seele so meistens in nützlicher Weise aus dem
kontemplativen in das tätige Leben zurückkehrt, um noch vollkommener das tätige Leben dafür zu
bewahren, was das beschauliche Leben im Herzen entzündet hat. Das tätige Leben soll uns also
ins beschauliche hinüberführen und bisweilen soll uns die Kontemplation aufgrund dessen, was
wir im Inneren sehen, besser zum Handeln anleiten« .Jesus selbst hat uns das vollkommene
Beispiel gegeben, wie man die Gemeinschaft mit dem Vater mit einem intensiven tätigen Leben
vereinen kann. Ohne das ständige Streben nach dieser Einheit lauert im Hinterhalt ständig die
Gefahr der inneren Ermattung, der Orientierungslosigkeit und der Entmutigung. Die enge
Verbindung zwischen Beschaulichkeit und Tätigkeit wird es heute wie gestern ermöglichen, sich
den schwierigsten Aufträgen zu stellen.
I. DIE LIEBE BIS ZUM ENDE
Mit dem Herzen Christi lieben
75. »Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur
Vollendung. Es fand ein Mahl statt [...], Jesus stand vom Mahl auf [...] und begann, den Jüngern
die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war« (Joh 13,1-
2.4-5).Bei der Fußwaschung macht Jesus die Tiefe der Liebe Gottes zum Menschen offenbar: in
ihm stellt sich Gott selber in den Dienst der Menschen! Zugleich enthüllt er den Sinn des
christlichen Lebens und noch mehr des geweihten Lebens, das ein Leben hingebungsbereiter
Liebe, konkreten und selbstlosen Dienstes ist. Da das geweihte Leben sich in die Nachfolge des
Menschensohnes stellt, »der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern zu dienen«
(Mt 20,28), ist es, zumindest in den besten Zeiten seiner langen Geschichte, durch dieses
»Waschen der Füße« gekennzeichnet, das heißt durch den Dienst besonders an den Ärmsten
und Bedürftigsten. Wenn das geweihte Leben sich einerseits in das erhabene Geheimnis des
Wortes vertieft, das bei Gott war (vgl. Joh 1,1), so folgt es andererseits eben demselben Wort, das
Fleisch wird (vgl. Joh 1,14), sich erniedrigt, sich demütigt, um den Menschen zu dienen. Die
Personen, die Christus auf dem Weg der evangelischen Räte folgen, beabsichtigen auch dort
hinzugehen, wo Christus hingegangen ist, und das zu tun, was er getan hat. Er ruft unablässig
neue Jünger, Männer und Frauen zu sich, um ihnen durch die Ausgießung des Geistes (vgl. Röm
5, 5) die göttliche Agape, seine Art zu lieben mitzuteilen und sie so anzuspornen, in demütiger
Selbsthingabe, fernab von eigennützigen Überlegungen, den anderen zu dienen. An Petrus, der in

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ekstatischer Begeisterung über den Glanz der Verklärung ausruft: »Herr, es ist gut, dass wir hier
sind« (Mt 17,4), ergeht die Einladung, auf die Straßen der Welt zurückzukehren, um weiterhin dem
Reich Gottes zu dienen: »Steige hinab, Petrus; du wolltest auf dem Berge ausruhen: steige hinab;
verkündige das Wort, greife bei jeder Gelegenheit ein, sei es gelegen oder ungelegen, tadle,
ermahne und ermuntere mit aller Großmut und mit jeder Art von Unterweisung. Arbeite, strenge
dich sehr an, nimm auch Leiden und Qualen auf dich, damit du mittels des Glanzes und der
Schönheit der guten Werke in der Liebe das besitzen mögest, was im Glanz der Kleider des Herrn
versinnbildlicht ist«. Der auf das Angesicht des Herrn gerichtete Blick schwächt im Apostel den
Einsatz für den Menschen nicht; im Gegenteil, er verstärkt ihn noch, weil er den Apostel mit einer
neuen Fähigkeit zum Einwirken auf die Geschichte ausstattet, um sie von allem Entstellenden zu
befreien. Die Suche nach der göttlichen Schönheit veranlasst die Personen des geweihten Lebens
dazu, sich für das in den Gesichtern von Brüdern und Schwestern entstellte göttliche Abbild zu
sorgen, Gesichter, die durch Hunger verzerrt, Gesichter, die von politischen Versprechungen
enttäuscht sind, gedemütigte Gesichter, die die Schmähung ihrer Kultur erleben, erschrockene
Gesichter angesichts täglicher und wahlloser Gewalt, verängstigte Gesichter von Minderjährigen,
Gesichter beleidigter und gedemütigter Frauen, müde Gesichter von Emigranten, die keine
würdige Aufnahme finden, Gesichter alter Menschen ohne geringste Voraussetzungen für ein
würdiges Leben«. So beweist das geweihte Leben durch die Beredtheit der Werke, dass die
göttliche Liebe Fundament und Ansporn zu selbstloser und tätiger Liebe ist. Davon war der hl.
Vinzenz von Paul überzeugt, als er den Schwestern von der Liebe folgendes Lebensprogramm
gab: »Der Geist der Gesellschaft besteht in der Hingabe an Gott, um unseren Herrn zu lieben und
ihm in der Person der materiell und geistlich Armen in ihren Häusern oder anderswo zu dienen,
um die armen jungen Mädchen, die Kinder und ganz allgemein alle zu unterrichten, die Euch die
göttliche Vorsehung schickt«. Unter den verschiedenen möglichen Bereichen der Liebe ist
heutzutage jener, der der Welt die Liebe »bis zur Vollendung« auf besondere Weise offenbar
macht, mit Gewissheit die begeisterte Verkündigung Jesu Christi an all jene, die ihn noch nicht
kennen, an jene, die ihn vergessen haben, und vorzugsweise an die Armen.
Der besondere Beitrag des geweihten Lebens zur Evangelisierung
76. Der besondere Beitrag der Personen des geweihten Lebens zur Evangelisierung besteht vor
allem im Zeugnis eines Lebens der vollständigen Hingabe an Gott und an die Brüder und
Schwestern in der Nachfolge des Erlösers, der sich aus Menschenliebe zum Knecht gemacht hat.
Denn im Heilswerk kommt alles aus der Teilhabe an der göttlichen Agape. Die Personen des
geweihten Lebens machen in ihrer Weihe und Ganzhingabe die liebende und heilbringende
Gegenwart Christi sichtbar, der vom Vater geheiligt und in die Welt gesandt wurde. Wenn sie sich
von ihm ergreifen lassen (vgl. Phil 3,12), sind sie bereit, gewissermaßen zu einer Verlängerung
seines Menschseins zu werden. Das geweihte Leben ist beredter Ausdruck dafür, dass einer, je
mehr er aus Christus lebt, ihm um so besser in den anderen dienen kann, indem er bis in die
vorderste Missionsfront vorstößt und größte Risiken auf sich nimmt.

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Die erste Evangelisierung: den Völkern Christus verkündigen
77. Wer Gott, den Vater aller, liebt, muss auch den Nächsten lieben, in denen er ebenso Brüder
und Schwestern erkennt. Gerade deswegen kann er angesichts der Feststellung, dass viele von
ihnen die volle Bezeigung der Liebe Gottes in Christus nicht kennen, nicht indifferent bleiben. Im
Gehorsam gegenüber dem Gebot Christi entsteht hier der missionarische Elan ad gentes, den
jeder bewusste Christ mit der Kirche teilt, die ihrer Natur nach missionarisch ist. Ein Aufschwung,
der vor allem von den Mitgliedern der Institute sowohl des kontemplativen als auch des tätigen
Lebens wahrgenommen wird. Denn die Personen des geweihten Lebens haben die Aufgabe,
auch unter den Nichtchristenden keuschen, armen, gehorsamen, betenden und missionarischen
Christus gegenwärtig zu machen. Wenn sie auf dynamische Weise ihrem Charisma treu bleiben,
müssen sie sich auf Grund ihrer innigen Weihe an Gott in eine besondere Mitwirkung an der
Missionstätigkeit der Kirche miteinbezogen fühlen. Das von Theresia von Lisieux wiederholt
geäußerte Verlangen, »dich zu lieben und dich lieben zu lassen«, der glühende Wunsch des hl.
Franz Xaver, dass »viele, die die Wissenschaften studieren, über die Rechenschaft nachdenken
sollten, die Gott, unser Herr, von ihnen und bezüglich des ihnen übergebenen Talents verlangen
wird; viele würden davon abrücken und sich jenen Mitteln und jenen geistlichen Exerzitien
zuwenden, die den göttlichen Willen im eigenen Herzen erkennen und spüren lassen, und sie
würden sich so mehr nach dem göttlichen Willen richten als nach den eigenen Neigungen und
sagen: »Herr, hier bin ich, was willst du, dass ich tue? Sende mich, wohin du willst«, und andere
ähnliche Zeugnisse unzähliger Heiliger stellen das unaufhebbare missionarische Bestreben
heraus, das das geweihte Leben unterscheidet und kennzeichnet.
Anwesend in jedem Winkel der Erde
78. »Die Liebe Christi drängt uns« (2 Kor 5,14): diese Worte sollten die Mitglieder jedes Instituts
mit dem Apostel wiederholen können, weil es Aufgabe des geweihten Lebens ist, in jedem Teil der
Welt für die Festigung und Ausbreitung des Reiches Christi zu arbeiten, indem sie die Botschaft
des Evangeliums überallhin, auch in die entferntesten Gegenden bringen. In der Tat zeugt die
Missionsgeschichte von dem großartigen Beitrag, der von ihnen zur Evangelisierung der Völker
geleistet worden ist: von den ältesten monastischen Familien bis hin zu den jüngsten Gründungen,
die ausschließlich in der Mission »ad gentes« engagiert sind, von den Instituten des tätigen
Lebens bis hin zu jenen, die sich der Beschaulichkeit widmen, haben zahllose Personen ihre
Kräfte in dieser »wesentlichen und nie abgeschlossenen Haupttätigkeit der Kirche« eingesetzt, da
diese sich an die wachsende Vielzahl derjenigen wendet, die Christus nicht kennen. Auch heute
verlangt diese Verpflichtung weiterhin dringend die Mitwirkung der Institute des geweihten Lebens
und der Gesellschaften des apostolischen Lebens: die Verkündigung des Evangeliums Christi
erwartet von ihnen den größtmöglichen Beitrag. Auch die Institute, die in den jungen Kirchen
entstehen oder tätig sind, werden aufgefordert, sich der Mission unter den Nichtchristen innerhalb
und außerhalb ihrer Heimat zu öffnen. Trotz begreifbarer Schwierigkeiten, die manche von ihnen
durchmachen mögen, ist es gut, alle daran zu erinnern, dass, wie »der Glaube stark wird durch

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Weitergabe«, die Mission das geweihte Leben stärkt, ihm neue Begeisterung und neue
Motivationen verleiht und es zur Treue anspornt. Die Missionstätigkeit bietet ihrerseits breiten
Raum für die Aufnahme der verschiedenen Formen des geweihten Lebens. Den Frauen des
geweihten Lebens, den Ordensbrüdern und den Mitgliedern der Säkularinstitute bietet die Mission
ad gentes besondere und außergewöhnliche Chancen für ein besonders ausgeprägtes
apostolisches Wirken. Letztere können dann durch ihre Präsenz in den verschiedenen typischen
Bereichen der laikalen Berufung eine wertvolle Evangelisierungsarbeit entfalten im Hinblick auf die
Umgebung, die Strukturen und sogar auf die Gesetze, die das Zusammenleben regeln. Außerdem
können sie an der Seite von Menschen, die noch nichts von Jesus wissen, von den Werten des
Evangeliums Zeugnis geben und damit einen spezifischen Beitrag zur Mission leisten. Es muss
betont werden, dass in den Ländern, wo nichtchristliche Religionen Wurzel gefasst haben, die
Anwesenheit des geweihten Lebens sowohl durch erzieherische, karitative und kulturelle
Tätigkeiten als auch durch dessen kontemplative Ausprägung enorme Bedeutung gewinnt.
Deshalb soll in den neuen Kirchen besonders zur Gründung kontemplativer Gemeinschaften
ermutigt werden, da »das beschauliche Leben zur vollen Anwesenheit der Kirche gehört«. Es ist
sodann notwendig, mit geeigneten Mitteln, sei es durch die Entsendung von Missionaren und
Missionarinnen, sei es durch die gebührende Hilfe der Institute des geweihten Lebens an die
ärmeren Diözesen, eine angemessene Versorgung des geweihten Lebens in seinen
verschiedenen Formen zu fördern, um einen neuen Impuls zur Evangelisierung zu geben.
Christusverkündigung und Inkulturation
79. Die Verkündigung Christi »hat in der Mission der Kirche jederzeit Vorrang« und hat die
Bekehrung zum Ziel, d. h. die volle und ehrliche Zustimmung zu Christus und seinem Evangelium.
In das Gesamtbild der missionarischen Tätigkeit treten auch der Prozess der Inkulturation und der
interreligiöse Dialog. Die Herausforderung der Inkulturation wird von den Personen des geweihten
Lebens als Appell zu einem fruchtbaren Zusammenwirken mit der Gnade bei der Annäherung an
die verschiedenen Kulturen aufgegriffen. Voraussetzung dafür sind ernsthafte persönliche
Vorbereitung, reifes Unterscheidungsvermögen, treues Festhalten an den unverzichtbaren
Kriterien für die Rechtgläubigkeit in der Lehre sowie für die Authentizität und kirchliche
Gemeinschaft. Gestützt auf das Charisma der Stifter und Stifterinnen haben viele Personen des
geweihten Lebens es verstanden, den verschiedenen Kulturen in der Verhaltensweise Jesu
nahezukommen, der »sich entäußerte und wurde wie ein Sklave« (Phil 2,7), und in geduldigem
und mutigem Bemühen um Dialog haben sie nützliche Kontakte zu den verschiedensten Völkern
hergestellt und dabei allen den Weg zum Heil verkündet. Auch heute sind viele von ihnen in der
Lage, in der Geschichte einzelner Personen und ganzer Völker Spuren der Gegenwart Gottes zu
suchen und aufzuspüren, der die ganze Menschheit zum Erkennen der Zeichen seines
Erlösungswillens führt. Dieses Suchen erweist sich für die Personen des geweihten Lebens selbst
als Vorteil: sie können in der Tat durch die in den verschiedenen Zivilisationen entdeckten Werte
angespornt werden, den eigenen Eifer zur Betrachtung und zum Gebet zu erhöhen, das
gemeinschaftliche Miteinander und die Gastfreundschaft intensiver zu praktizieren sowie mit

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gröberer Aufmerksamkeit die Achtung vor der Person und vor der Natur zu pflegen. Für eine echte
Inkulturation sind Verhaltensweisen vonnöten, die jenen des Herrn ähnlich sind, als er Mensch
geworden und mit Liebe und Demut in unsere Mitte gekommen ist. In diesem Sinne macht das
geweihte Leben die Menschen besonders dafür geeignet, die umfassende, mühsame Arbeit der
Inkulturation anzugehen, weil dies sie an das Abstandnehmen von den Dingen und sogar von so
vielen Aspekten der eigenen Kultur gewöhnt. Wenn die Personen des geweihten Lebens sich mit
dieser Verhaltensweise dem Studium und dem Verständnis der Kulturen widmen, können sie in
ihnen besser die echten Werte erkennen und die Art und Weise, in der sie mit Hilfe ihres
Charismas diese Werte aufnehmen und vervollkommnen können. Man darf freilich nicht
vergessen, dass in vielen alten Kulturen der religiöse Ausdruck so tief integriert ist, dass die
Religion oft die transzendentale Dimension der Kultur selbst darstellt. In diesem Fall ist eine echte
Inkulturation notwendigerweise mit einem ernsthaften, offenen interreligiösen Dialog verbunden,
der »nicht in Gegensatz zur Mission ad gentes » steht und »nicht von der Verkündigung des
Evangeliums enthebt«.
Die Inkulturation des geweihten Lebens
80. Das geweihte Leben, das an und für sich Träger der Werte des Evangeliums ist, kann
seinerseits dort, wo es authentisch gelebt wird, einen originellen Beitrag zu den
Herausforderungen der Inkulturation leisten. Da es in der Tat ein Zeichen für den Vorrang Gottes
und seines Reiches ist, wird es zu einer Provokation, die im Dialog das Gewissen der Menschen
aufrütteln kann. Wenn das geweihte Leben die ihm eigene prophetische Kraft bewahrt, wird es
innerhalb einer Kultur zum Sauerteig des Evangeliums, der zu ihrer Reinigung und Entwicklung
beizutragen vermag. Dies beweist die Geschichte zahlreicher heiliger Männer und Frauen, die es
in verschiedenen Epochen verstanden, jeweils in ihre Zeit einzutauchen, ohne sich von ihr
untertauchen zu lassen, wobei sie aber ihrer Generation neue Wege aufzeigten. Der
evangeliumsgemäße Lebensstil ist eine wichtige Quelle für den Vorschlag eines neuen
Kulturmodells. Wie viele Stifter und Stifterinnen haben, wenn auch mit allen von ihnen selbst
anerkannten Einschränkungen, manche Forderungen ihrer Zeit aufgegriffen und ihre Antwort
darauf gegeben, die dann zu einem kulturellen Erneuerungsvorschlag geworden ist. Die
Gemeinschaften der Ordensinstitute und der Gesellschaften des apostolischen Lebens können in
der Tat konkrete und bedeutsame kulturelle Vorschläge anbieten, wenn sie von der Art des
Evangeliums Zeugnis ablegen: die gegenseitige Annahme in der Verschiedenheit zu leben und
die Autorität, die Teilung sowohl der materiellen wie der geistlichen Güter, die Internationalität, die
Zusammenarbeit zwischen den Kongregationen sowie das Hinhören auf die Männer und Frauen
unserer Zeit zu üben. Die Denk- und Handlungsweise dessen, der Christus mehr aus der Nähe
folgt, bringt in der Tat eine echte und eigene Kultur der Beziehung hervor und dient dazu
aufzudecken, was unmenschlich ist, und gibt Zeugnis davon, dass Gott allein den Werten Kraft
und Erfüllung verleiht. Eine echte Inkulturation wird ihrerseits den Personen des geweihten
Lebens helfen, entsprechend dem Charisma ihres Instituts und dem Wesen der Menschen, mit
denen sie in Kontakt treten, die Radikalität des Evangeliums zu leben. Aus solch einer fruchtbaren

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Beziehung gehen Lebensweisen und pastorale Methoden hervor, die sich als echter Reichtum für
das ganze Institut werden erweisen können, wenn sich deren Übereinstimmung mit dem vom
Stifter vorgesehenen Charisma und mit dem Einheit stiftenden Wirken des Heiligen Geistes ergibt.
In diesem Prozess, der aus Unterscheidung und Unerschrockenheit, Dialog und Herausforderung
im Geist des Evangeliums besteht, wird vom Heiligen Stuhl, dem die Aufgabe obliegt, die
Evangelisierung der Kulturen zu ermutigen, die diesbezüglichen Entwicklungen für authentisch zu
erklären und die Ergebnisse im Hinblick auf die Inkulturation zu bestätigen, eine Gewähr für den
richtigen Weg angeboten, »eine schwierige und heikle Aufgabe, denn sie stellt die Treue der
Kirche zum Evangelium und zur apostolischen Überlieferung in der ständigen Entwicklung der
Kulturen in Frage«.
Die Neuevangelisierung
81. Um den großen Herausforderungen, die die gegenwärtige Geschichte an die
Neuevangelisierung stellt, in angemessener Weise zu begegnen, bedarf es vor allem eines
geweihten Lebens, das sich ständig vom geoffenbarten Wort und von den Zeichen der Zeit
befragen lässt. Das Andenken der großen Verkünder des Evangeliums — Männer und Frauen —,
die zuvor selbst evangelisiert worden waren, macht offenkundig, dass es zu einem Begegnen mit
der heutigen Welt Personen bedarf, die sich voll Liebe dem Herrn und seinem Evangelium
weihen. »Die Personen des geweihten Lebens sind auf Grund ihrer besonderen Berufung dazu
aufgerufen, die Einheit zwischen Selbstevangelisierung und Zeugnis, zwischen innerer
Erneuerung und apostolischem Eifer, zwischen Sein und Handeln sichtbar werden zu lassen,
indem sie herausstellen, dass der Dynamismus stets aus dem ersten Element der Wortpaare
herrührt«. Die die herkömmliche Evangelisierung, so wird auch die Neuevangelisierung dann
wirksam sein, wenn sie von den Dächern zu verkünden vermag, was sie vorher in der innigen
Vertraulichkeit mit dem Herrn gelebt hat. Gebraucht werden dafür zuverlässige, vom Eifer der
Heiligen beseelte Persönlichkeiten. Die Neuevangelisierung erfordert von den Männern und
Frauen des geweihten Lebens, dass sie sich der theologischen Bedeutung der
Herausforderungen unserer Zeit voll bewusst sind. Diese Herausforderungen müssen im Hinblick
auf die Erneuerung der Mission durch aufmerksame und gemeinsame Abwägung geprüft werden.
Der Mut zur Verkündigung des Herrn Jesus muss von dem Vertrauen in das Wirken der
Vorsehung begleitet sein, die in der Welt wirkt und »alles, auch menschliches Missgeschick, zum
gröberen Wohl der Kirche bereitstellt«. Wichtige Elemente für eine nützliche Einbeziehung der
Institute in den Prozess der Neuevangelisierung sind die Treue zum Gründungscharisma, die
Gemeinschaft mit all jenen in der Kirche, die in demselben Auftrag engagiert sind, besonders mit
den Seelsorgern, und schließlich die Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens. Dies
erfordert eine ernsthafte Beurteilung des Rufes, den der Geist an jedes einzelne Institut ergehen
lässt, und zwar sowohl in jenen Gegenden, in denen keine großen Fortschritte unmittelbar
vorherzusehen sind, als auch in anderen Regionen, in denen sich ein tröstliches Wiederaufleben
ankündigt. Die Personen des geweihten Lebens sollen an jedem Ort und in jeder Situation
leidenschaftliche Verkünder des Herrn Jesus sein, bereit, mit der Weisheit des Evangeliums auf

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die Fragen zu antworten, die heute von der Unruhe des menschlichen Herzens und dessen
dringenden Bedürfnissen her gestellt werden.
Die Vorzugsoption für die Armen und die Förderung der Gerechtigkeit
82. Zu Beginn seines öffentlichen Wirkens sagt Jesus in der Synagoge von Nazaret, der Geist
habe ihn gesalbt, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe, den Gefangenen die Entlassung
verkünde, den Blinden das Augenlicht zurückgebe, die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein
Gnadenjahr des Herrn ausrufe (vgl. Lk 4,16-19). Die Kirche, die sich die Sendung des Herrn zu
eigen macht, verkündet jedem Mann und jeder Frau das Evangelium und trägt damit Sorge für
deren vollständiges Heil. Doch mit besonderer Aufmerksamkeit, ja mit einer echten
»Vorzugsoption« wendet sie sich allen zu, die sich in einer Situation gröberer Schwachheit und
daher einer schwerwiegenderen Not befinden. »Arme« in den vielfältigen Dimensionen der Armut
sind die Unterdrückten, die Ausgegrenzten, die Alten, die Kranken, die Kleinen und alle, die als
»Letzte« in der Gesellschaft angesehen und behandelt werden. Die Option für die Armen wohnt
der Dynamik der nach dem Vorbild Christi gelebten Liebe inne. Zu dieser sind daher alle Jünger
Christi verpflichtet; diejenigen jedoch, die dem Herrn durch Nachahmung seiner Verhaltensweisen
mehr aus der Nähe folgen wollen, müssen sich in ganz besonderer Weise hingezogen fühlen. Die
Ehrlichkeit ihrer Antwort auf die Liebe Christi regt sie an, als Arme zu leben und sich der Sache
der Armen anzunehmen. Dies bringt für jedes Institut, je nach dem spezifischen Charisma, die
Annahme eines bescheidenen und strengen Lebensstils sowohl im persönlichen als auch im
Gemeinschaftsleben mit sich. Durch dieses gelebte Zeugnis gestärkt, werden die Personen des
geweihten Lebens durch Wege, die mit ihrem Lebensweg übereinstimmen und indem sie
gegenüber politischen Ideologien frei bleiben, die Ungerechtigkeiten anzeigen können, die gegen
so viele Kinder Gottes begangen werden, und sich für die Förderung der Gerechtigkeit im sozialen
Umfeld, in dem sie tätig sind, einsetzen können. Auf diese Weise wird die jenen Stiftern und
Stifterinnen eigene Hingabe auch in der gegenwärtigen Lage durch das Zeugnis unzähliger
Personen des geweihten Lebens eine Erneuerung erfahren, die ihr Leben einsetzten, um dem in
den Armen gegenwärtigen Herrn zu dienen. In der Tat »findet man« Christus »auf Erden in der
Person seiner Armen [...]. Als Gott reich und als Mensch arm. In der Tat ist der schon reiche
Mensch zum Himmel aufgestiegen und sitzt zur Rechten des Vaters, doch hier unten leidet er
noch in Armut Hunger und Durst und ist nackt«. Das Evangelium wird durch die Liebe wirksam,
die Ruhm der Kirche und Zeichen ihrer Treue zum Herrn ist. Das beweist die ganze Geschichte
des geweihten Lebens, die man als eine lebendige Exegese des Wortes Jesu betrachten kann:
»Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25,40). Viele
Institute, besonders in neuerer Zeit, sind entstanden, um eben dem einen oder anderen Bedürfnis
der Armen entgegenzukommen. Aber auch dann, wenn diese Zielsetzung nicht bestimmend
gewesen ist, waren die durch das Gebet, durch die Annahme und die Gastfreundschaft zum
Ausdruck gebrachte Aufmerksamkeit und Sorge für die Bedürftigen stets mit den verschiedenen
Formen des geweihten — auch des kontemplativen — Lebens ganz natürlich verbunden. Wie
könnte es auch anders sein, da Christus, zu dem man in der Kontemplation gelangt ist, derselbe

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ist, der in den Armen lebt und leidet? Der hl. Paulinus von Nola, der seinen Besitz an die Armen
verteilt hatte, um sich ganz Gott zu weihen, errichtete die Zellen seines Klosters über einem
Hospiz, das für die Betreuung der Armen bestimmt war. Er freute sich bei dem Gedanken an
diesen einzigartigen »Gabenaustausch«: die Armen, denen er geholfen hatte, festigten durch ihr
Gebet die »Fundamente« seines Hauses, das ganz dem Lobpreis Gottes gewidmet war. Der hl.
Vinzenz von Paul hat seinerseits gern gesagt, wenn er das Gebet unterbrechen musste, um
einem Armen in Not beizustehen, dass dies in Wirklichkeit keine Unterbrechung sei, »denn man
lässt Gott für Gott zurück«. Der Dienst an den Armen ist ein Akt der Evangelisierung und zugleich
»Evangelizitäts«-Siegel für das geweihte Leben und Ansporn zu ständiger Bekehrung, denn —
wie der hl. Gregor der Große sagt — »wenn die Liebe sich liebevoll herabneigt, um auch für die
niedrigsten Bedürfnisse des Nächsten zu sorgen, dann lodert sie bis zu den höchsten Gipfeln
empor. Und wenn sie wohlwollend der äußersten Not gehorcht, dann nimmt sie kraftvoll den
Höhenflug wieder auf«.
Die Sorge für die Kranken
83. Einer ruhmvollen Tradition folgend üben unzählige Personen des geweihten Lebens, vor allem
Frauen, ihr Apostolat, je nach dem Charisma ihres Instituts, in den Bereichen des
Gesundheitswesens aus. Viele Personen des geweihten Lebens haben im Laufe der Jahrhunderte
ihr Leben im Dienst an den Opfern ansteckender Krankheiten geopfert und haben damit gezeigt,
dass die Hingabe bis zum Heroismus zur prophetischen Natur des geweihten Lebens gehört. Die
Kirche blickt mit Bewunderung und Dankbarkeit auf die vielen Personen des geweihten Lebens,
die durch ihre Hilfe für die Kranken und Leidenden in bedeutsamer Weise zu ihrer Sendung
beitragen. Sie setzen Christi Dienst der Barmherzigkeit fort, der »umherzog, Gutes tat und alle
heilte« (Apg 10,38). Indem sie in seine, d. h. in die Fußstapfen des göttlichen Samariters, des
Arztes der Seele und des Leibes, treten und dem Beispiel ihrer Stifter bzw. Stifterinnen folgen,
sollen die Personen des geweihten Lebens, die vom Charisma ihres Instituts dazu hingeführt
werden, in ihrem Zeugnis der Liebe zu den Kranken ausharren, indem sie sich ihnen mit
einfühlendem Verständnis und mit tiefer Anteilnahme widmen. Bei ihren Auswahlentscheidungen
sollen sie den ärmsten und verlassensten Kranken sowie den Alten, den Behinderten, den
Ausgegrenzten, den unheilbar Kranken und den Opfern von Drogenmissbrauch und von neuen
Infektionskrankheiten den Vorzug geben. Sie sollen in den Kranken die Aufopferung des eigenen
Leidens in Gemeinschaft mit dem zum Heil aller gekreuzigten und verherrlichten Christus fördern,
ja sie sollen in ihnen das Bewusstsein nähren, dass sie mit dem Gebet und mit dem Zeugnis ihres
Wortes und Verhaltens durch das besondere Charisma des Kreuzes aktive Personen der
Seelsorge sind. Außerdem erinnert die Kirche die Personen des geweihten Lebens daran, dass es
zu ihrer Sendung gehört, die Bereiche des Gesundheitswesens, in denen sie tätig sind, zu
evangelisieren, indem sie versuchen, durch die Vermittlung der Werte des Evangeliums das
Leben, das Leiden und das Sterben der Menschen unserer Zeit zu erleuchten. Es ist ihre Aufgabe,
sich im Dienst des Evangeliums vom Leben der Humanisierung der Medizin und der Vertiefung
der Bioethik zu widmen. Daher sollen sie in voller Übereinstimmung mit der Morallehre der Kirche

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vor allem die Achtung vor der Person und vor dem menschlichen Leben, von der Empfängnis bis
zum natürlichen Ende, fördern und dazu auch Ausbildungszentren einrichten und mit den
kirchlichen Einrichtungen der Krankenpastoral brüderlich zusammenarbeiten.
II. EIN PROPHETISCHES ZEUGNIS ANGESICHTS GROSSER HERAUSFORDERUNGEN
Das Prophetentum des geweihten Lebens
84. Der prophetische Charakter des geweihten Lebens wurde von den Synodenvätern
nachdrücklich betont. Dieser stellt sich wie eine besondere Form der Teilhabe an dem
prophetischen Amt Christi dar, die dem ganzen Volk Gottes vom Geist mitgeteilt wird. Es ist ein
Prophetentum, das auf Grund der radikalen Christusnachfolge und der konsequenten Hingabe an
die Sendung, die sie kennzeichnet, dem geweihten Leben als solchem innewohnt. Die
Zeichenhaftigkeit, die das II. Vatikanische Konzil dem geweihten Leben zuerkennt, findet
Ausdruck in dem prophetischen Zeugnis von der Vorrangstellung, die Gott und die Werte des
Evangeliums im christlichen Leben haben. Kraft dieser Vorrangstellung darf nichts über die
persönliche Liebe zu Christus und zu den Armen, in denen er lebt, gestellt werden. Die Tradition
der Kirchenväter hat in Elija, dem furchtlosen Propheten und Gottesfreund, ein Vorbild des
monastischen Ordenslebens gesehen. Er lebte in der Gegenwart des Herrn und betrachtete in der
Stille seinen Vorübergang, legte Fürsprache für das Volk ein und verkündete mutig den Willen
Gottes, verteidigte seine Rechte und erhob sich, um die Armen gegen die Mächtigen der Welt zu
verteidigen (vgl. 1 Kön 18-19). In der Kirchengeschichte hat es neben anderen Christen nicht an
Männern und Frauen des gottgeweihten Lebens gefehlt, die kraft einer besonderen Gabe des
Geistes ein glaubwürdiges Prophetenamt ausgeübt haben, wenn sie im Namen Gottes zu allen,
auch zu den Hirten der Kirche sprachen. Die wahre Prophetie entsteht aus Gott , aus der
Freundschaft mit ihm, aus dem aufmerksamen Hören seines Wortes in den verschiedenen
geschichtlichen Gegebenheiten. Der Prophet fühlt in seinem Herzen die Leidenschaft für die
Heiligkeit Gottes brennen und, nachdem er im Dialog des Gebets sein Wort vernommen hat,
verkündet er es mit seinem Leben, mit seinen Lippen und Handlungen, indem er sich zum
Sprecher Gottes gegen das Böse und die Sünde macht. Das prophetische Zeugnis erfordert die
ständige, leidenschaftliche Suche nach dem Willen Gottes, die großherzige und unverzichtbare
kirchliche Gemeinschaft, die Übung der geistlichen Unterscheidung und die Liebe zur Wahrheit.
Es drückt sich auch durch die Klarstellung von all dem aus, was im Gegensatz zum göttlichen
Willen steht, und durch die Erkundung neuer Wege, um das Evangelium in der Geschichte im
Hinblick auf das Reich Gottes zu verwirklichen.
Seine Bedeutung für die Welt von heute
85. In unserer heutigen Welt, in der sich die Spuren Gottes oft zu verlieren scheinen, erweist sich
ein starkes prophetisches Zeugnis seitens der Personen des geweihten Lebens als dringend
notwendig. Es wird vor allem die Bejahung der Vorrangstellung Gottes und der künftigen Güter

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betreffen, wie diese sich aus der Nachfolge und Nachahmung des keuschen, armen und
gehorsamen Christus erkennen lässt, der sich völlig der Verherrlichung des Vaters und der Liebe
zu den Brüdern und Schwestern geweiht hat. Das geschwisterliche Leben ist verwirklichte
gegenwärtige Prophetie im Kontext einer Gesellschaft, die ohne sich dessen manchmal bewusst
zu sein, eine tiefe Sehnsucht nach einer Geschwisterlichkeit ohne Grenzen hat. Die Treue zum
eigenen Charisma ermöglicht es den Personen des geweihten Lebens, an jedem Ort mit der
Unerschrockenheit des Propheten, der sich nicht scheut, auch sein Leben zu riskieren, ein
wahrhaftiges Zeugnis darzubringen. Eine innere Überzeugungskraft erwächst der Prophetie aus
der Übereinstimmung zwischen Verkündigung und Leben. Die Personen des geweihten Lebens
werden ihrer Sendung in Kirche und Welt treu sein, wenn sie imstande sein werden, sich selbst
ständig im Licht des Gotteswortes zu prüfen. Auf diese Weise können sie die anderen Gläubigen
mit den empfangenen charismatischen Gaben bereichern, indem sie sich ihrerseits durch die von
den anderen Gliedern der Kirche kommenden prophetischen Herausforderungen ansprechen
lassen. In diesem Austausch der Gaben, der durch die völlige Übereinstimmung mit dem Lehramt
und der Ordnung der Kirche sichergestellt ist, wird das Wirken des Hl. Geistes aufleuchten, der sie
»in Gemeinschaft und Dienstleistung eint, sie durch die verschiedenen hierarchischen und
charismatischen Gaben bereitet und lenkt«.
Eine Treue bis zum Martyrium
86. In unserem Jahrhundert wie in anderen Epochen der Geschichte haben Männer und Frauen
des geweihten Lebens durch die Hingabe ihres Lebens Zeugnis von Christus, dem Herrn,
gegeben. Tausende, die durch die Verfolgung seitens totalitärer Regime oder gewalttätiger
Gruppen zum Leben im Untergrund gezwungen und in ihrer Missionstätigkeit, im Einsatz
zugunsten der Armen, in der Sorge und Hilfe für die Kranken und die Menschen am Rande der
Gesellschaft behindert waren, haben in langem und heroischem Leiden und oft durch Vergießen
des Blutes ihre Weihe an Gott gelebt — und leben sie noch immer — und sind so ganz dem
gekreuzigten Herrn gleichförmig geworden. Einigen von ihnen hat die Kirche bereits offiziell die
Heiligkeit zuerkannt und ehrt sie damit als Märtyrer Christi. Sie erleuchten uns durch ihr Beispiel,
sie leisten Fürbitte für unsere Treue, sie erwarten uns in der Herrlichkeit. Es besteht der lebhafte
Wunsch, dass das Andenken so vieler Glaubenszeugen als Anregung zur Verehrung und
Nachahmung im Bewusstsein der Kirche erhalten bleibe. Die Institute des geweihten Lebens und
die Gesellschaften des apostolischen Lebens mögen hierzu beitragen, indem sie die Namen und
Zeugnisse aller Personen des geweihten Lebens zusammenstellen, die in das Martyrologium des
zwanzigsten Jahrhunderts aufgenommen werden können.
Die großen Herausforderungen des geweihten Lebens
87. Die prophetische Aufgabe des geweihten Lebens wird von drei hauptsächlichen
Herausforderungen gestellt, die an die Kirche selbst gerichtet sind: es sind die schon immer
dagewesenen Herausforderungen, die von der modernen Gesellschaft, zumindest in manchen

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Teilen der Welt, in neuer und vielleicht radikalerer Form gestellt werden. Sie berühren direkt die
evangelischen Räte von Armut, Keuschheit, Gehorsam und spornen die Kirche und insbesondere
die Personen des geweihten Lebens an, deren tiefe anthropologische Bedeutung zu erhellen und
zu bezeugen. Weit davon entfernt, eine Verarmung echter menschlicher Werte zu begründen,
erscheint die Wahl dieser Räte in der Tat vielmehr als ihre Verklärung. Die evangelischen Räte
dürfen nicht als Leugnung der Werte angesehen werden, die der Sexualität, dem rechtmäßigen
Wunsch nach materiellem Besitz und nach autonomer Selbstentscheidung innewohnen. Diese
Neigungen sind, sofern sie in der Natur begründet sind, in sich gut. Der durch die Erbsünde
geschwächte Mensch ist jedoch der Gefahr ausgesetzt, diese in einer die Norm übertretenden
Weise in die Tat umzusetzen. Das Bekenntnis zu Keuschheit, Armut und Gehorsam wird zur
Mahnung, die durch die Erbsünde verursachten Verletzungen nicht unter zu bewerten, und es
relativiert die geschaffenen Güter, auch wenn es ihren Wert bejaht, weil es Gott als absolutes Gut
zeigt. So sollen diejenigen, die den evangelischen Räten folgen, während sie nach der Heiligkeit
für sich selbst streben, sozusagen eine »geistliche Therapie« für die Menschheit vorschreiben, da
sie die Vergötterung der Schöpfung ablehnen und in irgendeiner Weise den lebendigen Gott
sichtbar machen. Das geweihte Leben ist insbesondere in schwierigen Zeiten ein Segen für das
menschliche und auch für das kirchliche Leben.
Die Herausforderung der geweihten Keuschheit
88. Die erste Herausforderung ist die einer hedonistischen Kultur, die die Sexualität jeder
objektiven moralischen Norm entbindet, indem sie diese häufig auf das Niveau von Spiel und
Konsum herabsetzt und in Komplizenschaft mit den sozialen Kommunikationsmitteln einer Art
Vergötterung des Triebes frönt. Die Folgen davon sind für alle sichtbar: Pflichtverletzungen
verschiedenster Art, mit denen unzählige psychische und moralische Leiden für die einzelnen und
für die Familien einhergehen. Die Antwort des geweihten Lebens besteht vor allem in der
freudigen Übung der vollkommenen Keuschheit als Zeugnis für die Macht der Liebe Gottes in der
Schwachheit des menschlichen Zustandes. Die Person des geweihten Lebens beweist: was von
den meisten für unmöglich gehalten wurde, wird durch die Gnade des Herrn Jesus möglich und
wirklich befreiend. Ja, in Christus ist es möglich, Gott mit ganzem Herzen zu lieben, indem man
ihn über jede andere Liebe stellt, und so mit der Freiheit Gottes jeden Menschen zu lieben! Dies
ist ein Zeugnis, das heute nötiger denn je ist, gerade weil es von unserer Welt so wenig
verstanden wird. Es ist ein Angebot an jeden Menschen — an die Jugendlichen, an die Verlobten,
an die Eheleute, an die christlichen Familien —, um zu beweisen, dass die Kraft der Liebe Gottes
gerade in den Wechselfällen der menschlichen Liebe Großes zu bewirken vermag. Es ist ein
Zeugnis, das auch einem wachsenden Bedürfnis nach innerer Klarheit in den menschlichen
Beziehungen entgegenkommt. Das geweihte Leben muss der Welt von heute Beispiele einer
Keuschheit vor Augen führen, die von Männern und Frauen gelebt wird, die Ausgeglichenheit,
Selbstbeherrschung, Unternehmungslust, psychische und affektive Reife beweisen. Kraft dieses
Zeugnisses wird der menschlichen Liebe ein fester Bezugspunkt geboten, den die Person des
geweihten Lebens aus der Betrachtung der uns in Christus offenbarten dreifaltigen Liebe erfährt.

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Da sie sich in dieses Geheimnis vertieft, fühlt sie sich zu einer radikalen und universalen Liebe
fähig, die ihr die Kraft zur notwendigen Selbstbeherrschung und Disziplin gibt, um nicht der
Knechtschaft der Sinne und der Triebe zu verfallen. Die geweihte Keuschheit erscheint somit als
Erfahrung von Freude und Freiheit. Erleuchtet vom Glauben an den auferstandenen Herrn und
von der Erwartung des neuen Himmels und der neuen Erde (vgl. Offb 21,1), bietet sie auch für die
Erziehung zur gebotenen Keuschheit in anderen Lebensformen wertvolle Anregungen.
Die Herausforderung der Armut
89. Eine andere Herausforderung ist heute die eines habgierigen Materialismus, der gegenüber
den Bedürfnissen und Leiden der Schwächsten gleichgültig ist und sich nicht um das
Gleichgewicht der natürlichen Hilfsquellen kümmert. Die Antwort des geweihten Lebens besteht
im Bekenntnis zur evangelischen Armut, die in verschiedenen Formen gelebt wird und oft von
einem aktiven Einsatz bei der Förderung von Solidarität und Nächstenliebe begleitet wird. Wie
viele Institute widmen sich der Erziehung, dem Unterricht und der Berufsausbildung und versetzen
dadurch junge und nicht mehr ganz junge Leute in die Lage, ihre Zukunft selbst in die Hand zu
nehmen! Wie viele Personen des geweihten Lebens opfern sich für die Letzten und Geringsten
dieser Erde, ohne ihre Kräfte zu schonen! Wie viele von ihnen sind in der Ausbildung künftiger
Erzieher und Verantwortlicher im sozialen Leben in der Weise tätig, dass sie sich verpflichten,
unterdrückende Strukturen zu beseitigen und Projekte der Solidarität zum Vorteil der Armen zu
fördern! Sie kämpfen, um den Hunger und dessen Ursachen zu beseitigen, beleben das Wirken
von freiwilligen Helfern und die humanitären Organisationen, sensibilisieren öffentliche und private
Einrichtungen für die Förderung einer gerechten Verteilung der internationalen Hilfeleistungen. In
der Tat haben die Nationen diesen unternehmungsfreudigen, im Namen der Nächstenliebe tätigen
Männern und Frauen viel zu verdanken, die mit ihrer unermüdlichen Selbstlosigkeit einen
spürbaren Beitrag zur Humanisierung der Welt geleistet haben und leisten.
Die evangelische Armut im Dienst an den Armen
90. In Wirklichkeit ist die evangelische Armut, noch ehe sie ein Dienst an den Armen ist, ein Wert
an sich, ruft doch die erste Seligpreisung zur Nachahmung des armen Christus auf. Ihr erster Sinn
besteht in der Tat darin, Gott als eigentlichen Reichtum des menschlichen Herzens zu bezeugen.
Eben darum kämpft sie vehement gegen die Vergötterung des Mammons, indem sie als
prophetischer Appell gegenüber einer Gesellschaft auftritt, die in so vielen Teilen der Welt des
Wohlstands Gefahr läuft, den Sinn für das Maß und die eigentliche Bedeutung der Dinge zu
verlieren. Deshalb findet ihr Ruf heute mehr als zu anderen Zeiten auch bei denjenigen
Beachtung, die im Wissen um die Beschränktheit der Hilfsquellen des Planeten die Achtung und
Bewahrung der Schöpfung durch Einschränkung des Konsums, durch Mäßigung und Auferlegung
einer gehörigen Zügelung der eigenen Wünsche beschwören. Von den Personen des geweihten
Lebens wird also ein erneuertes und kraftvolles evangelisches Zeugnis der Entsagung und der
Mäßigung in einem von den Kriterien der Einfachheit und Gastfreundschaft inspirierten

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brüderlichen Lebensstil verlangt, auch als Beispiel für alle, die den Bedürfnissen des Nächsten
gegenüber gleichgültig sind. Dieses Zeugnis wird natürlich mit der bevorzugten Liebe für die
Armen einhergehen und in besonderer Weise dort in Erscheinung treten, wo die
Lebensverhältnisse der Allerärmsten geteilt werden. Nicht wenige Gemeinschaften leben und
arbeiten unter den Armen und den Ausgegrenzten der Gesellschaft, nehmen sich ihrer Situation
an und teilen ihre Leiden, Probleme und Gefahren. Großartige Seiten der Geschichte
evangeliumsgemäßer Solidarität und heroischer Hingabe sind in diesen Jahren tiefgreifender
Veränderungen und großer Ungerechtigkeiten, Hoffnungen und Enttäuschungen, bedeutender
Errungenschaften und bitterer Niederlagen von den Personen des geweihten Lebens geschrieben
worden. Und nicht minder bedeutsame Seiten wurden und werden noch immer von zahllosen
anderen Personen des geweihten Lebens geschrieben, die ihr »mit Christus in Gott verborgenes«
Leben (Kol 3,3) ganz für das Heil der Welt leben, zum Zeichen der Unentgeltlichkeit, der Hingabe
des eigenen Lebens in wenig anerkannte und noch weniger mit Beifall bedachte Anliegen. Durch
diese verschiedenen und einander ergänzenden Formen hat das geweihte Leben teil an der vom
Herrn angenommenen äußersten Armut und lebt seine besondere Rolle im Heilsgeheimnis seiner
Menschwerdung und seines Erlösertodes.
Die Herausforderung der Freiheit im Gehorsam
91. Die dritte Herausforderung kommt von jenen Auffassungen von Freiheit, die dieses
fundamentale menschliche Vorrecht von seiner grundlegenden Beziehung zur Wahrheit und zur
moralischen Norm loslösen .In Wirklichkeit ist die Kultur der Freiheit ein echter Wert, zuinnerst
verbunden mit der Achtung vor der menschlichen Person. Wer aber sieht nicht, zu welchen
abnormen Folgen von Ungerechtigkeit und sogar von Gewalt im Leben der einzelnen und der
Völker der verfälschte Gebrauch der Freiheit führt? Eine wirkungsvolle Antwort auf diese Situation
ist der Gehorsam, der für das geweihte Leben charakteristisch ist. Er stellt uns auf besonders
lebendige Weise wieder den Gehorsam Christi gegenüber dem Vater vor Augen und bezeugt,
eben von seinem Geheimnis ausgehend, dass kein Widerspruch zwischen Gehorsam und Freiheit
besteht. Tatsächlich enthüllt das Verhalten des Sohnes das Geheimnis der menschlichen Freiheit
als Weg des Gehorsams gegenüber dem Willen des Vaters und das Geheimnis des Gehorsams
als Weg fortschreitender Eroberung der wahren Freiheit. Und genau diesem Geheimnis will die
Person des geweihten Lebens durch dieses bestimmte Gelübde Ausdruck verleihen. Sie will
dadurch bezeugen, dass sie sich einer Kindschaftsbeziehung bewusst ist, kraft derer sie den
väterlichen Willen als tägliche Speise (vgl. Joh 4,34), als ihren Felsen, ihre Freude, ihren Schild
und Schutzwall (vgl. Ps 18 [17],3) anzunehmen sucht. So beweist sie, dass sie in der vollen
Wahrheit über sich selbst wächst, während sie mit der Quelle ihres Seins verbunden bleibt und
darum die tröstliche Botschaft anbietet: »Alle, die deine Weisung lieben, empfangen Heil in Fülle;
es trifft sie kein Unheil« (Ps 119 [118],165).
Miteinander den Willen des Vaters erfüllen

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92. Besondere Bedeutung gewinnt dieses Zeugnis der geweihten Personen im Ordensleben auch
für die Dimension der Gemeinschaft, die zu seinen Wesensmerkmalen gehört. Das
geschwisterliche Leben ist der bevorzugte Ort, um den Willen Gottes zu erkennen und
anzunehmen und eines Sinnes und Herzens gemeinsam voranzugehen. Der von der Liebe
belebte Gehorsam vereint trotz der Vielfalt der Gaben und der Achtung der individuellen
Persönlichkeit der einzelnen die Mitglieder eines Instituts in demselben Zeugnis und in derselben
Sendung. In der vom Geist beseelten Brüderlichkeit führt jeder mit dem anderen einen wertvollen
Dialog, um den Willen des Vaters zu erkennen, und alle anerkennen in dem, der die Leitung
innehat, den Ausdruck der Vaterschaft Gottes und die Ausübung der von Gott im Dienst der
Unterscheidung und der Gemeinschaft empfangenen Autorität. Das Gemeinschaftsleben ist
sodann gegenüber der Kirche und der Gesellschaft in besonderer Weise das Zeichen der
Verbundenheit, die aus derselben Berufung und aus dem gemeinsamen Willen, ihr zu gehorchen,
jenseits aller Unterschiede von Rasse und Herkunft, Sprache und Kultur, erwächst. Gegen den
Geist von Zwietracht und Spaltung leuchten Autorität und Gehorsam als ein Zeichen jener
einzigartigen Vaterschaft, die von Gott stammt, der aus dem Geist geborenen Brüderlichkeit, der
inneren Freiheit dessen, der auf Gott vertraut trotz der menschlichen Grenzen all derer, die ihn
repräsentieren. Durch diesen Gehorsam, den manche als Lebensregel annehmen, wird die
Seligkeit erfahren und zum Nutzen aller verkündet, die Jesus denen verheißen hat, »die das Wort
Gottes hören und es befolgen« (Lk 11,28). Wer gehorcht, hat darüber hinaus die Gewähr,
tatsächlich in Mission, in der Nachfolge des Herrn zu sein und nicht auf seinen eigenen Wünschen
oder Erwartungen zu beharren. So kann er sich vom Geist des Herrn geführt und auch inmitten
großer Schwierigkeiten von seiner sicheren Hand gehalten wissen (vgl. Apg 20,22f).
Eine entschiedene Verpflichtung zum geistlichen Leben
93. Eine der auf der Synode wiederholt geäußerten Sorgen war die um ein gottgeweihtes Leben,
das sich an den Quellen einer starken und tiefen Spiritualität nährt. Hier handelt es sich tatsächlich
um eine vorrangige Forderung, die dem Wesen des geweihten Lebens eingeschrieben ist, denn
wer sich zu den evangelischen Räten bekennt, ist wie jeder Getaufte und sogar aus noch
zwingenderen Gründen dazu verpflichtet, mit allen seinen Kräften nach der Vollkommenheit der
Liebe zu streben. Das ist eine Verpflichtung, an die die unzähligen Beispiele heiliger Ordensstifter
und -stifterinnen und vieler Personen des geweihten Lebens deutlich erinnern, die die Treue zu
Christus bis hin zum Martyrium bezeugt haben. Streben nach Heiligkeit: das ist zusammengefasst
das Programm jedes geweihten Lebens, auch im Hinblick auf dessen Erneuerung an der Schwelle
des dritten Jahrtausends. Der Anfang dieses Programms besteht darin, dass um Christi willen
alles verlassen (vgl. Mt 4,18-22; 19,21.27; Lk 5,11) und er allen Dingen vorgezogen wird, um voll
an seinem Ostergeheimnis teilhaben zu können. Das hatte der hl. Paulus richtig verstanden, als er
ausrief: »Ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles
übertrifft [...] Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung« (Phil 3, 8.10). Es ist
der von den Aposteln von Anfang an vorgezeichnete Weg, wie die christliche Tradition im Orient
und im Abendland in Erinnerung ruft: »Diejenigen, die derzeit Jesus nachfolgen und um

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seinetwillen alles verlassen, erinnern an die Apostel, die seine Einladung annahmen und auf alles
andere verzichteten. Traditionsgemäß spricht man deshalb gewöhnlich vom Ordensleben als einer
apostolica vivendi forma «.Dieselbe Tradition hat im geweihten Leben auch die Dimension des
besonderen Bundes mit Gott, ja des bräutlichen Bundes mit Christus herausgestellt, dessen
Meister der hl. Paulus durch sein Beispiel (vgl. 1 Kor 7,7) und durch seine unter der Anleitung des
Geistes dargebotene Lehre war (vgl. 1 Kor 7,40).Wir können sagen, dass das geistliche Leben,
das als Leben in Christus, als Leben nach dem Geist verstanden wird, als ein Weg wachsender
Treue Gestalt annimmt, auf dem die Person des geweihten Lebens in voller Gemeinschaft der
Liebe und des Dienstes der Kirche vom Geist geleitet und von ihm Christus gleichförmig gestaltet
wird. Alle diese in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens sich begründenden
Elemente bringen eine eigene Spiritualität hervor, das heißt einen konkreten Plan der Beziehung
zu Gott und zur Umgebung, der von besonderen geistlichen Akzenten und Entscheidungen zum
Handeln gekennzeichnet ist, die bald den einen, bald den anderen Aspekt des einen
Geheimnisses Christi herausstellen und verkörpern. Wenn die Kirche eine Form des geweihten
Lebens oder ein Institut anerkennt, garantiert sie, dass sich in deren geistlichem und
apostolischem Charisma alle objektiven Anforderungen finden, um die persönliche und
gemeinschaftliche Vollkommenheit im Sinne des Evangeliums zu erreichen. Das geistliche Leben
muss also im Programm der Familien des geweihten Lebens an erster Stelle stehen, so dass
jedes Institut und jede Kommunität sich als Schule einer echten evangeliumsgemäßen Spiritualität
darstellen. Von dieser Vorzugsoption, die im persönlichen und gemeinschaftlichen Engagement
entfaltet wird, hängen die Fruchtbarkeit des Apostolats, die Selbstlosigkeit in der Liebe für die
Armen und die Anziehungskraft der Berufung auf die jungen Generationen selber ab. Gerade die
spirituelle Qualität des geweihten Lebens vermag die Menschen unserer Zeit, die ja auch Durst
nach absoluten Werten haben, aufzurütteln, und sie wird auf diese Weise zu einem faszinierenden
Zeugnis.
Im Hören auf das Wort Gottes
94. Das Wort Gottes ist die erste Quelle jeder christlichen Spiritualität. Es nährt eine persönliche
Beziehung zum lebendigen Gott und zu seinem heilwirkenden und heiligenden Willen. Deshalb ist
seit dem Entstehen der Institute des geweihten Lebens, insbesondere im Mönchtum der lectio
divina höchste Achtung entgegengebracht worden. Dank dieser wird das Gotteswort ins Leben
übertragen, auf das es das Licht der Weisheit wirft, die die Gabe des Geistes ist. Obwohl die
ganze Heilige Schrift »nützlich zur Belehrung« (2 Tim 3,16) und »reiner, unversieglicher Quell des
geistlichen Lebens« ist, verdienen die Schriften des Neuen Testamentes, vor allem die
Evangelien, die »das Herzstück aller Schriften« sind, besondere Verehrung. Es wird deshalb für
die Personen des geweihten Lebens von Nutzen sein, die Texte der Evangelien und die anderen
neutestamentlichen Schriften zum Thema ihrer beharrlichen Betrachtung zu machen, die die
Worte und die Beispiele Christi und der Jungfrau Maria sowie die apostolica vivendi forma
darstellen. Die Stifter und Stifterinnen haben sich bei der Annahme der Berufung sowie beim
Erkennen des Charismas und der Sendung ihres Institutes ständig darauf bezogen. Von großem

8 Pages 71-80

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71
Wert ist die gemeinschaftliche Bibelbetrachtung. Wenn diese den Möglichkeiten und den
Umständen des gemeinschaftlichen Lebens entsprechend geschieht, führt sie zum freudigen
Teilen der aus dem Wort Gottes geschöpften Reichtümer, durch die Brüder und Schwestern
gemeinsam wachsen und einander helfen, im geistlichen Leben Fortschritte zu machen. Diese
Praxis muss aber auch den anderen Mitgliedern des Gottesvolkes, den Priestern und Laien
nahegebracht werden, so dass sie jeweils in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Charisma
Schulen des Gebets, Schulen für Spiritualität und zur Lesung der Heiligen Schrift fördern, in der
Gott »die Menschen wie Freunde« anredet (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15), »und mit ihnen verkehrt
(vgl. Bar 3,28), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen«. Aus der Meditation des Wortes Gottes,
und besonders der Geheimnisse Christi, erwachsen, so lehrt die geistliche Tradition, die Intensität
der Kontemplation und der Eifer der apostolischen Tätigkeit. Sowohl im kontemplativen als auch
im apostolischen Ordensleben hat es immer Männer und Frauen des Gebets gegeben, die als
glaubwürdige Interpreten und Vollzieher des göttlichen Willens große Werke vollbracht haben. Aus
dem häufigen Umgang mit dem Wort Gottes haben sie die notwendige Erleuchtung für jene
individuelle und gemeinschaftliche Unterscheidung geschöpft, die ihnen geholfen hat, in den
Zeichen der Zeit die Wege des Herrn zu suchen. Auf diese Weise haben sie eine Art von
übernatürlichem Instinkt erworben, der es ermöglicht hat, sich nicht dem Geist der Welt
anzugleichen, sondern den eigenen Verstand zu erneuern, damit sie prüfen und erkennen
können, »was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist« (Röm 12,2).
In Gemeinschaft mit Christus
95. Wesentliche Mittel für eine wirksame Förderung der Gemeinschaft mit dem Herrn ist zweifellos
die heilige Liturgie, insbesondere die Feier der Eucharistie und das Stundengebet. or allem die
»Eucharistie enthält das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser
Osterlamm und das lebendige Brot. Durch sein Fleisch, das durch den Heiligen Geist lebt und
Leben schafft, spendet er den Menschen das Leben«. Wie für das kirchliche Leben, ist die
Eucharistie auch Herzstück für das geweihte Leben. Wie könnte die Person, die berufen ist, durch
das Gelübde der evangelischen Räte Christus als den einzigen Sinn ihres Daseins zu wählen,
nicht wünschen, mit ihm eine immer tiefere Gemeinschaft herzustellen durch die tägliche
Teilnahme am Sakrament, das ihn im Opfer gegenwärtig werden lässt, wenn es das
Liebesgeschenk auf Golgota aktuell macht, im Gastmahl, das das pilgernde Volk Gottes nährt und
schützt. Die Eucharistie steht aufgrund ihrer Natur im Zentrum des geweihten Lebens, des
persönlichen und des kommunitären. Sie ist tägliche Wegzehrung sowie Quelle der Spiritualität für
den einzelnen und für das Institut. Jede Person des geweihten Lebens ist berufen, das
Ostergeheimnis Christi zu leben, indem sie sich mit ihm in der Hingabe des eigenen Lebens an
den Vater durch den Geist vereint. Die eifrige und lange Anbetung Christi, der in der Eucharistie
anwesend ist, ermöglicht in gewisser Weise, die Erfahrung des Petrus in der Verklärung neu zu
erleben: »Es ist gut, dass wir hier sind«. Und in der Feier des Geheimnisses des Leibes und
Blutes des Herrn festigt sich und wächst die Einheit und die Liebe derer, die Gott ihr Leben
geweiht haben. Neben der Eucharistie und in enger Beziehung zu ihr wird das Stundengebet

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entsprechend dem Charakter jedes einzelnen Instituts gemeinschaftlich oder persönlich, in
Gemeinschaft mit dem Gebet der Kirche gefeiert. Es ist Ausdruck der den Personen des
geweihten Lebens eigenen Berufung zum Lobpreis und zur Fürbitte. In tiefer Beziehung zur
Eucharistie steht die Verpflichtung zu ständiger Umkehr und notwendiger Läuterung, die die
Personen des geweihten Lebens im Sakrament der Versöhnung entfalten. Dadurch, dass sie
häufig der Barmherzigkeit Gottes begegnen, reinigen und erneuern sie ihr Herz und machen durch
das demütige Bekenntnis der Sünden ihre Beziehung zu ihm transparent; die freudige Erfahrung
der sakramentalen Vergebung auf dem mit den Brüdern und Schwestern gemeinsam gegangenen
Weg macht das Herz fügsam und gibt dem Bemühen um wachsende Treue Auftrieb. Um auf dem
Weg des Evangeliums, besonders während der Ausbildungszeit und in bestimmten Augenblicken
des Lebens, Fortschritte zu machen, ist die vertrauensvolle, demütige Inanspruchnahme der
geistlichen Führung sehr hilfreich; durch sie wird dem Menschen geholfen, auf die
Motivationsanstöße des Geistes hochherzig einzugehen und sich entschlossen nach der Heiligkeit
auszurichten. Schließlich ermahne ich alle Personen des geweihten Lebens, ihren jeweiligen
Traditionen gemäß täglich die geistliche Gemeinschaft mit der Jungfrau Maria zu erneuern, indem
sie besonders durch das Beten des heiligen Rosenkranzes immer wieder mit ihr über die
Geheimnisse des Sohnes nachdenken.
III. EINIGE SCHAUPLÄTZE DER SENDUNG
Präsenz in der Welt der Erziehung
96. Die Kirche hat seit jeher die Erziehung als ein wesentliches Element ihrer Sendung
verstanden. Ihr innerer Lehrmeister ist der Heilige Geist, der die unzugänglichsten Tiefen des
Herzens jedes Menschen durchdringt und den geheimnisvollen Dynamismus der Geschichte
kennt. Die ganze Kirche wird vom Geist beseelt und vollbringt durch ihn ihre erzieherische
Aufgabe. Innerhalb der Kirche obliegt jedoch eine besondere Aufgabe in diesem Bereich den
Personen des geweihten Lebens, die berufen sind, das radikale Zeugnis der Güter des Reiches,
die jedem Menschen in Erwartung der endgültigen Begegnung mit dem Herrn der Geschichte
angeboten werden, in den Erziehungshorizont einzubringen. Durch ihre besondere Weihe, durch
die ihnen eigene Erfahrung der Gaben des Geistes, durch das sorgfältige Hören des Wortes und
die Übung der Unterscheidung, durch das im Laufe der Zeit vom eigenen Institut gesammelte
reiche Erbe an Traditionen, die die Erziehung betreffen, durch die vertiefte Erkenntnis der
geistlichen Wahrheit (vgl. Eph 1,17) sind die Personen des geweihten Lebens in der Lage, eine
besonders wirksame Erziehungstätigkeit zu entfalten und so einen spezifischen Beitrag zu den
Initiativen der anderen Erzieher und Erzieherinnen zu leisten. Da sie mit diesem Charisma
ausgestattet sind, können sie Erziehungsräume schaffen, die vom Geist der Freiheit und der Liebe
des Evangeliums durchdrungen sind und in denen die jungen Menschen Hilfe erhalten sollen, um
unter der Führung des Geistes an Menschlichkeit zu wachsen. Auf diese Weise wird die
Erziehungsgemeinschaft Erfahrung von Gemeinschaft und zum Ort der Gnade, wo das
pädagogische Vorhaben dazu beiträgt, das Göttliche und das Menschliche, das Evangelium und

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die Kultur, den Glauben und das Leben zu einer harmonischen Synthese zu vereinen. Die
Kirchengeschichte von der Antike bis in unsere Tage ist reich an bewundernswürdigen Beispielen
von Personen des geweihten Lebens, die das Streben nach Heiligkeit durch das pädagogische
Engagement gelebt haben und leben, wobei sie gleichzeitig die Heiligkeit als Erziehungsziel
angeben. Tatsächlich haben viele von ihnen die Vollkommenheit der Liebe durch Erziehung
verwirklicht. Das ist eines der wertvollsten Geschenke, die die Personen des geweihten Lebens
auch heute der Jugend anzubieten haben, indem sie diese zum Objekt eines liebevollen
erzieherischen Dienstes machen, wie der hl. Johannes Bosco weise bemerkte: »Die Jugendlichen
sollen nicht nur geliebt werden, sondern sie sollen auch wissen, dass sie geliebt sind«.
Notwendigkeit eines erneuten Engagements im Erziehungsbereich
97. Mit feinfühliger Ehrfurcht und mit missionarischem Mut sollen Personen des geweihten Lebens
deutlich machen, dass der Glaube an Jesus Christus den ganzen Erziehungsbereich erleuchtet,
indem dieser die menschlichen Werte nicht beeinträchtigt, sondern sie vielmehr bestätigt und
erhöht. Auf diese Weise werden sie zu Zeugen und Werkzeugen der Kraft der Menschwerdung
und der Stärke des Geistes. Diese ihre Aufgabe ist eine der bedeutsamsten Ausdrucksweisen
jener Mutterschaft, die die Kirche nach dem Vorbild Mariens gegenüber allen ihren Kindern
ausübt. Deshalb hat die Synode die Personen des geweihten Lebens eindringlich aufgefordert, wo
immer es nur möglich ist, den Erziehungsauftrag an Schulen jeglicher Art und jeglichen Grades,
an Universitäten und Hochschulen mit neuem Engagement wahrzunehmen. Indem ich mir die
Weisung der Synode zu eigen mache, lade ich die Mitglieder der Institute ein, die sich der
Erziehung widmen, ihrem ursprünglichen Charisma und ihren Traditionen treu zu bleiben. Sie
sollen dies in dem Bewusstsein tun, dass die Liebe, die den Armen vorzugsweise zuteil wird, ihre
besondere Anwendung in der Wahl geeigneter Mittel findet, um die Menschen von jener schweren
Form des Elends zu befreien, das der Mangel an kultureller und religiöser Bildung darstellt.
Angesichts der Bedeutung, die die katholischen und kirchlichen Universitäten und Fakultäten im
Bereich der Erziehung und der Evangelisierung haben, müssen sich die mit deren Leitung
betrauten Institute ihrer Verantwortung bewusst sein und sicherstellen, dass, während der aktive
Dialog in ihnen mit dem gegenwärtigen kulturellen Umfeld gepflegt wird, der eigentliche
katholische Charakter in voller Treue zum Lehramt der Kirche bewahrt werde. Außerdem sollen
die Mitglieder dieser Institute und Gesellschaften je nach den Umständen bereit sein, in den
staatlichen Erziehungsstrukturen Fuß zu fassen. Zu dieser Art der Beteiligung sind auf Grund ihrer
spezifischen Berufung in besonderer Weise die Mitglieder der Säkularinstitute gerufen.
Evangelisierung der Kultur
98. Die Institute des geweihten Lebens haben stets großen Einfluss auf die Bildung und
Weitergabe der Kultur gehabt. Das war im Mittelalter der Fall, als die Klöster Zugangsstätten zu
den Kulturschätzen der Vergangenheit wurden und sich in ihnen eine neue humanistische und
christliche Kultur herausbildete. Das ereignete sich jedesmal, wenn das Licht des Evangeliums

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neue Völker erreichte. Viele Personen des geweihten Lebens haben die Kultur gefördert und oft
die autochthonen Kulturen erforscht und verteidigt. Die Notwendigkeit, zur Förderung der Kultur,
zum Dialog zwischen Kultur und Glauben beizutragen, wird heutzutage in der Kirche besonders
wahrgenommen. Die Personen des geweihten Lebens müssen sich von dieser dringenden
Notwendigkeit besonders angesprochen fühlen. Auch sie sind aufgerufen, bei der Verkündigung
des Wortes Gottes Methoden zu finden, die den Bedürfnissen der verschiedenen menschlichen
Gruppen und der vielfältigen Berufsbereiche angemessener sind, damit das Licht Christi in jeden
menschlichen Bereich eindringe und der Sauerteig des Heils von innen her das soziale Leben
umwandle, indem dieses dafür sorgt, dass sich eine von evangelischen Werten durchdrungene
Kultur behaupte. Auch durch diesen Einsatz wird das geweihte Leben an der Schwelle des dritten
christlichen Jahrtausends sein Entsprechen gegenüber dem Willen Gottes erneuern können, der
allen Menschen entgegenkommt, die bewusst oder unbewusst tastend nach der Wahrheit und
nach dem Leben suchen (vgl. Apg 17,27).Doch außer dem Dienst an den anderen ist auch
innerhalb des geweihten Lebens die Erneuerung der Liebe zum kulturellen Engagement nötig, die
Widmung zum Studium als Mittel zur ganzheitlichen Bildung und — angesichts der
Verschiedenheit der Kulturen — als außerordentlich aktueller asketischer Weg. Eine
Verminderung der Pflicht zum Studium kann auch für das Apostolat schwerwiegende Folgen
haben, weil dadurch Außenseiter- und Minderwertigkeitsgefühle ausgelöst oder Oberflächlichkeit
und Unbesonnenheit bei den Initiativen begünstigt werden. Bei der Vielfalt der Charismen und der
realen Möglichkeiten der einzelnen Institute kann sich die Pflicht zum Studium nicht auf die
Anfangsausbildung oder auf das Erlangen akademischer Titel und beruflicher Fachkenntnisse
beschränken. Es ist vielmehr Ausdruck des nie erfüllten Verlangens, Gott, den Abgrund des Lichts
und die Quelle jeder menschlichen Wahrheit, immer tiefer kennenzulernen. Daher isoliert diese
Verpflichtung die Person des geweihten Lebens nicht in einen abstrakten Intellektualismus und
schließt sie nicht in das Um-sich-Kreisen eines erdrückenden Narzismus ein; hingegen spornt es
zum Dialog und zur Teilnahme an, bildet die Urteilsfähigkeit, regt an zur Kontemplation und zum
Gebet in der ständigen Suche nach Gott und seinem Wirken in der komplexen Realität der
modernen Welt. Die Person des geweihten Lebens, die sich vom Geist umwandeln lässt, wird
fähig, den engen Horizont der menschlichen Wünsche zu erweitern und gleichzeitig die tiefen
Dimensionen jedes Individuums und seiner Geschichte jenseits auffälliger, aber oft
nebensächlicher Aspekte zu erfassen. Zahllos sind heutzutage die von den verschiedenen
Kulturen ausgehenden Herausforderungen: neue oder traditionell besetzte Bereiche des
geweihten Lebens, zu denen unbedingt fruchtbare Beziehungen unterhalten werden sollen in der
Haltung eines wachen kritischen Geistes, aber auch vertrauensvollen Verständnisses dem
gegenüber, der sich den typischen Schwierigkeiten der intellektuellen Arbeit stellt, besonders
wenn es angesichts der unbekannten Probleme unserer Zeit nötig ist, sich mit neuen Analysen
und Synthesen zu befassen. Eine ernsthafte und wirksame Evangelisierung der neuen Bereiche,
wo die Kultur aufgebaut und weitergegeben wird, kann ohne eine aktive Zusammenarbeit mit den
dort beschäftigten Laien nicht durchgeführt werden.
Präsenz in der Welt der sozialen Kommunikation

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99. Wie die Personen des geweihten Lebens in der Vergangenheit imstande waren, sich mit
jedem Mittel in den Dienst der Evangelisierung zu stellen und sich dabei genial mit den
Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, so sind sie heute auf neue Weise gefordert, das
Evangelium durch die sozialen Kommunikationsmittel zu bezeugen. Diese Medien haben durch
äußerst leistungsfähige Technologien, die jeden Winkel der Erde zu erreichen vermögen,
kosmische Ausstrahlungskapazität erlangt. Die Personen des geweihten Lebens sind vor allem
verpflichtet, wenn sie auf Grund des Charismas ihres Instituts auf diesem Gebiet tätig sind, solide
Kenntnisse des den Medien eigenen Sprachgebrauchs zu erwerben, um zum Menschen von
heute wirksam von Christus zu sprechen, indem sie dessen »Freude und Hoffnung, Trauer und
Angst« darstellen, und so zum Aufbau einer Gesellschaft beizutragen, in der sich alle als Brüder
und Schwestern auf dem Weg zu Gott fühlen sollen. Wegen der außerordentlichen
Überzeugungskraft, über die diese Medien verfügen, gilt es jedoch gegenüber ihrem
unvorsichtigen Gebrauch wachsam zu sein. Es ist gut, die Probleme nicht zu verhehlen, die
daraus für das geweihte Leben selbst erwachsen können; vielmehr wird man ihnen mit klarem
Urteilsvermögen begegnen müssen. Die Antwort der Kirche ist vor allem erzieherischer Natur: sie
zielt darauf ab, eine Haltung des richtigen Verstehens der zugrundeliegenden dynamischen Kräfte
und eine sorgfältige ethische Bewertung der Programmgestaltung ebenso zu fördern wie die
Annahme gesunder Gewohnheiten bei ihrem Gebrauch. Bei dieser Erziehungsaufgabe, die der
Ausbildung weiser Medienempfänger und -experten gilt, sind die Personen des geweihten Lebens
gefordert, ihr besonderes Zeugnis über die Bedingtheit sämtlicher sichtbarer Wirklichkeiten
dadurch anzubieten, dass sie den Brüdern und Schwestern helfen, sie gemäß dem Plan Gottes zu
bewerten, aber auch sich von der Zwangsvereinnahmung der Bühne dieser vergänglichen Welt zu
befreien (vgl. 1 Kor 7,31).Jede Anstrengung auf diesem wichtigen und neuen apostolischen
Gebiet muss ermutigt werden, damit das Evangelium Christi auch über diese modernen Medien
vernehmbar wird. Die verschiedenen Institute sollen durch Bereitstellung von Kräften, Mitteln und
Personen zur Zusammenarbeit bereit sein, um gemeinsame Pläne in den verschiedenen
Bereichen der sozialen Kommunikation zu verwirklichen. Außerdem sollen die Personen des
geweihten Lebens, insbesondere die Mitglieder der Säkularinstitute, je nach den pastoralen
Zweckmäßigkeiten ihren Dienst zur religiösen Bildung der Verantwortlichen und der Mitarbeiter
des öffentlichen oder privaten Medienwesens leisten, um einerseits die vom Missbrauch der
Medien hervorgerufenen Schäden abzuwenden und andererseits eine höhere Qualität der
Sendungen mit Botschaften zu fördern, die das Moralgesetz achten und an menschlichen und
christlichen Werten reich sind.
IV. ENGAGIERT IM DIALOG MIT ALLEN
Im Dienst an der Einheit der Christen
100. Das Gebet Christi zum Vater vor seinem Leiden, dass seine Jünger eins bleiben mögen (vgl.
Joh 17,21-23), setzt sich im Beten und Wirken der Kirche fort. Wie könnten sich da die Personen
des geweihten Lebens nicht miteinbezogen fühlen? Die Wunde der noch immer bestehenden

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Trennung unter den Christgläubigen und die Dringlichkeit, für die Förderung der Einheit aller
Christen zu beten und zu arbeiten, wurden auf der Synode besonders stark empfunden. Die
Sensibilität der Personen des geweihten Lebens für die Ökumene ist auch durch das Bewusstsein
wiederbelebt, dass sich in anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften das Mönchtum erhält
und blüht, wie es in den orientalischen Kirchen der Fall ist, oder dass das Bekenntnis zu den
evangelischen Räten eine Erneuerung erfährt, wie in der anglikanischen Gemeinschaft und in den
aus der Reformation hervorgegangenen Gemeinschaften. Die Synode hat den tiefen
Zusammenhang des geweihten Lebens mit dem Anliegen der Ökumene und die Dringlichkeit
eines intensiveren Zeugnisses auf diesem Gebiet herausgestellt. Wenn nämlich die Seele der
Ökumene das Gebet und die Umkehr sind, besteht kein Zweifel, dass die Institute des geweihten
Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens eine besondere Verpflichtung haben,
sich dieser Aufgabe zu widmen. Es ist also dringend geboten, im Leben der Personen des
geweihten Lebens dem ökumenischen Gebet und dem glaubwürdigen Zeugnis des Evangeliums
mehr Raum zugeben, damit die Mauern der Trennungen und der Vorurteile zwischen den Christen
durch die Kraft des Heiligen Geistes niedergerissen werden können.
Formen des ökumenischen Dialogs
101. Die gemeinsame Teilnahme an der lectio divina bei der Suche nach der Wahrheit, die
Beteiligung am gemeinsamen Gebet, bei dem der Herr seine Gegenwart zusichert (vgl. Mt 18,20),
der Dialog der Freundschaft und der Liebe, der spüren lässt, wie gut und schön es ist, wenn
Brüder miteinander in Eintracht wohnen (vgl. Ps 133 [132]), die herzliche Gastfreundschaft, die
gegenüber den Brüdern und Schwestern der verschiedenen christlichen Konfessionen gepflegt
wird, das gegenseitige Kennenlernen und der Austausch der Gaben, die Zusammenarbeit bei
gemeinsamen Initiativen des Dienstes und des Zeugnisses: dies alles sind ebenfalls Formen des
ökumenischen Dialogs, dem gemeinsamen Vater wohlgefällige Äußerungen und Zeichen des
Willens, gemeinsam auf dem Weg der Wahrheit und der Liebe auf die vollkommene Einheit hin zu
gehen. Auch das Kennenlernen der Geschichte, der Lehre, der Liturgie sowie der karitativen und
apostolischen Tätigkeit der anderen Christen wird einem erfolgreicheren ökumenischen Wirken
von Nutzen sein. Ich möchte jene Institute ermutigen, die auf Grund ihres ursprünglichen
Charakters oder durch darauffolgende Berufung sich der Förderung der Einheit der Christen
widmen und dafür Initiativen für Studien und für konkrete Tätigkeiten durchführen. Tatsächlich darf
sich kein Institut des geweihten Lebens von der Arbeit für dieses Anliegen entbunden fühlen.
Meine Gedanken gehen darüber hinaus zu den katholischen orientalischen Kirchen mit dem
Wunsch, dass sie auch über das männliche und weibliche Mönchswesen, dessen Blüte Gnade ist,
die ständig erfleht werden muss, zur Einheit mit den orthodoxen Kirchen beitragen mögen durch
den Dialog der Liebe und des Teilhabens an der gemeinsamen Spiritualität, dem Erbe der
ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends. In besonderer Weise vertraue ich die geistliche
Ökumene des Gebets, der Umkehr des Herzens und der Liebe den Klöstern des beschaulichen
Lebens an. Zu diesem Zweck ermutige ich sie, dort präsent zu sein, wo christliche
Gemeinschaften verschiedener Konfessionen leben, damit ihre Ganzhingabe an das »einzig

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Notwendige« (vgl. Lk 10,42), an die Verehrung Gottes und an die Fürbitte um das Heil der Welt,
zusammen mit ihrem Zeugnis des Lebens nach dem Evangelium entsprechend ihren Charismen,
für alle ein Ansporn sei, nach dem Abbild der Dreifaltigkeit in jener Einheit zu leben, die Jesus
gewollt und für alle seine Jünger vom Vater erfleht hat.
Der interreligiöse Dialog
102. Da »der interreligiöse Dialog Teil der Sendung der Kirche zur Verkündigung des Evangeliums
ist«, können sich die Institute des geweihten Lebens nicht der Verpflichtung entziehen, sich auch
auf diesem Gebiet zu engagieren, ein jedes gemäß seinem Charisma und nach den Weisungen
der kirchlichen Autorität. Die erste Form der Evangelisierung im Hinblick auf die Brüder und
Schwestern einer anderen Religion wird das Zeugnis eines armen, demütigen und keuschen
Lebens sein, das von geschwisterlicher Liebe zu allen durchdrungen ist. Zugleich wird die Freiheit
des Geistes, die dem geweihten Leben eigen ist, jenen »Dialog des Lebens« begünstigen, in dem
sich ein Grundmodell der Mission und der Verkündigung des Evangeliums Christi verwirklicht. Um
das gegenseitige Kennenlernen, die Achtung voreinander und die Liebe zu fördern, werden die
Ordensinstitute außerdem mit den monastischen Kreisen anderer Religionen zweckmäßige
Dialogformen pflegen können, die von herzlicher Freundschaft und gegenseitiger Aufrichtigkeit
durchdrungen sind. Einen weiteren Bereich der Zusammenarbeit mit Männern und Frauen
unterschiedlicher religiöser Tradition stellt die gemeinsame Sorge um das menschliche Leben dar,
die vom Mitleid wegen physischen und geistigen Leides bis zum Einsatz für die Gerechtigkeit, den
Frieden und die Bewahrung der Schöpfung reicht. Auf diesen Gebieten werden vor allem die
Institute des tätigen Lebens die Verständigung mit den Mitgliedern anderer Religionen in jenem
»Dialog der Werke« suchen, der den Weg zu einem intensiveren Miteinander vorbereitet. Ein
eigenes Gebiet reger Begegnung mit Personen anderer religiöser Traditionen ist jenes der
Ermittlung und Förderung der Würde der Frau. Aus der Sicht der Gleichheit und richtigen
Gegenseitigkeit zwischen Mann und Frau kann vor allem von den Frauen des geweihten Lebens
ein wertvoller Dienst geleistet werden. Diese und andere Aufgaben der Personen des geweihten
Lebens im Dienst des interreligiösen Dialogs erfordern eine angemessene Vorbereitung bei der
Anfangsausbildung und bei der ständigen Weiterbildung sowie im Studium und in der Forschung,
da in diesem nicht einfachen Bereich eine gründliche Kenntnis des Christentums und der anderen
Religionen erforderlich ist, die von einem gefestigten Glauben sowie von geistlicher und
menschlicher Reife begleitet ist.
Eine Antwort der Spiritualität auf die Suche nach dem Heiligen und auf die Sehnsucht nach Gott
103. Alle Männer und Frauen, die sich dem geweihten Leben widmen, sind auf Grund des
Wesens ihrer Entscheidung gleichsam bevorzugte Gesprächspartner für jene Suche nach Gott,
die seit jeher das Herz des Menschen bewegt und ihn zu vielfältigen Formen der Askese und der
Spiritualität hinführt. Diese Suche tritt heute in vielen Gegenden eindringlich als beherrschende
Antwort auf Kulturen auf, die dazu tendieren, die religiöse Dimension des Daseins zwar nicht

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immer zu leugnen, doch sicherlich an den Rand zu drängen. Die Personen des geweihten Lebens,
die die frei übernommenen Verpflichtungen konsequent und vollständig leben, können eine
Antwort auf die Sehnsucht ihrer Zeitgenossen anbieten, wenn sie diese von zumeist trügerischen
und häufig die heilbringende Menschwerdung Christi leugnenden Lösungen (vgl. 1 Joh 4,2-3), wie
diese z. B. von den Sekten vorgeschlagen werden, befreien. Durch das Praktizieren einer
persönlichen und gemeinschaftlichen Askese, die die ganze Existenz läutert und verklärt,
bezeugen sie gegen die Versuchung des Egozentrismus und der Sinnlichkeit die
Wesensmerkmale der authentischen Gottsuche und warnen davor, sie mit der subtilen Suche
ihrer selbst oder mit der Flucht in die Gnosis zu verwechseln. Jeder, der sein Leben Gott geweiht
hat, ist verpflichtet, den inneren Menschen zu bilden, der sich weder von der Geschichte fernhält
noch sich auf sich selbst zurückzieht. Wenn er in gehorsamem Hören des Wortes lebt, dessen
Hüter und Dolmetscher die Kirche ist, weist er im besonders geliebten Christus und im
trinitarischen Geheimnis hin auf das Objekt der tiefen Sehnsucht des menschlichen Herzens und
auf das Ziel jedes für die Transzendenz aufrichtig offenen religiösen Weges. Darum haben die
Personen des geweihten Lebens die Pflicht, all jenen großzügig Aufnahme und geistliche
Begleitung anzubieten, die sich vom Durst nach Gott bewegt und mit dem Wunsch, die
Anforderungen des Glaubens zu leben, an sie wenden.
SCHLUSS
Das Übermaß an Unentgeltlichkeit
104. Nicht wenige fragen sich heutzutage ratlos: Wozu soll das geweihte Leben gut sein? Warum
lassen sich Menschen auf diese Lebensform ein, wo es doch im Bereich der Nächstenliebe und
selbst der Evangelisierung so viele dringende Notwendigkeiten gibt, auf die man auch antworten
kann, ohne die besonderen Verpflichtungen des geweihten Lebens zu übernehmen? Ist das
geweihte Leben nicht vielleicht so etwas wie eine »Verschwendung« menschlicher Kräfte, die,
würde man einem Wirksamkeitskriterium folgen, für ein gröberes Gut zum Vorteil der Menschheit
und der Kirche nutzbar wären? Fragen dieser Art sind in unserer Zeit häufiger anzutreffen, weil sie
von einer utilitaristischen und technokratischen Kultur angeregt werden, die dazu neigt, die
Bedeutung der Dinge und selbst der Personen in Bezug auf ihre unmittelbare »Zweckdienlichkeit«
zu werten. Doch solche Fragen hat es immer gegeben, wie die Episode der Salbung in Betanien
aus dem Evangelium anschaulich beweist: »Da nahm Maria ein Pfund echtes, kostbares
Nardenöl, salbte Jesus die Füße und trocknete sie mit ihrem Haar. Das Haus wurde vom Duft des
Öls erfüllt« (Joh 12,3). Als Judas unter dem Vorwand der Not der Armen diese Verschwendung
beklagte, antwortete ihm Jesus: »Laß sie gewähren!« (Joh 12,7).Das ist die noch immer gültige
Antwort auf die Frage, die sich, und sei es auch in gutem Glauben, so viele in Bezug auf die
Aktualität des geweihten Lebens stellen: Könnte man nicht sein Leben wirksamer und rationeller
für die Verbesserung der Gesellschaft einsetzen?«. Darauf lautet die Antwort Jesu: »Lab sie
gewähren«. Wem das unschätzbare Geschenk gewährt wird, dem Herrn Jesus mehr aus der
Nähe zu folgen, dem erscheint es klar, dass er mit ungeteiltem Herzen geliebt werden kann und

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muss, dass man ihm das ganze Leben und nicht nur einige Gesten, einige Momente oder einige
Aktivitäten widmen kann. Das kostbare Salböl, das als reiner Akt von Liebe und daher fern jeder
»utilitaristischen« Überlegung vergossen wurde, ist Zeichen von Übermaß an Unentgeltlichkeit,
wie es in einem Leben zum Ausdruck kommt, das hingegeben wird, um den Herrn zu lieben und
ihm zu dienen, um sich seiner Person und seinem mystischen Leib zu widmen. Aber von diesem
»verschwendeten« Leben verbreitet sich ein Duft, der das ganze Haus erfüllt. Das Haus Gottes,
die Kirche, ist durch das Vorhandensein des geweihten Lebens heute nicht weniger geschmückt
und bereichert als gestern. Was in den Augen der Menschen als Verschwendung erscheinen mag,
ist für den in seinem innersten Herzen von der Schönheit und der Güte des Herrn angezogenen
Menschen eine klare Antwort der Liebe und eine überschwängliche Dankbarkeit dafür, auf ganz
besondere Weise zum Kennenlernen des Sohnes und zur Teilhabe an seiner göttlichen Sendung
in der Welt zugelassen worden zu sein.» Wenn ein Kind Gottes die göttliche Liebe kennenlernte
und kostete, den ungeschaffenen Gott, den menschgewordenen Gott, den Gott, der Leiden und
Tod erlitten hat, Gott, der das höchste Gut ist, würde er sich ihm ganz hingeben, sich nicht nur den
anderen Geschöpfen, sondern sogar sich selbst entziehen und würde mit seinem ganzen Selbst
diesen Gott der Liebe lieben, bis er sich ganz zu dem Gott-Menschen wandelt, der der
Höchstgeliebte ist«.
Das geweihte Leben im Dienst des Gottesreiches
105. »Was würde aus der Welt, wenn es die Ordensleute nicht gäbe?«. Jenseits der
oberflächlichen Zweckeinschätzungen ist das geweihte Leben gerade in seinem Übermaß an
Unentgeltlichkeit und Liebe von Bedeutung, und das um so mehr in einer Welt, die Gefahr läuft, im
Strudel des Vergänglichen zu ersticken. »Ohne dieses konkrete Zeichen würde die Liebe, die die
ganze Kirche beseelt, Gefahr laufen zu erkalten, das Paradoxon heilwirkender Kraft des
Evangeliums sich abschwächen, das ‘Salz' des Glaubens in einer Welt zunehmender
Säkularisierung schal werden«. Das Leben der Kirche und der Gesellschaft hat Menschen nötig,
die fähig sind, sich ganz Gott und aus Liebe zu Gott den anderen zu widmen. Die Kirche kann
absolut nicht auf das geweihte Leben verzichten, weil es auf anschauliche Weise ihr inneres
»bräutliches« Wesen zum Ausdruck bringt. In ihm findet die Verkündigung des Evangeliums auf
der ganzen Welt neuen Schwung und neue Kraft. In der Tat, es bedarf solcher Menschen, die das
väterliche Antlitz Gottes und das mütterliche Antlitz der Kirche zeigen, die das eigene Leben aufs
Spiel setzen, damit andere Leben und Hoffnung haben. Die Kirche braucht Personen des
geweihten Lebens, die, noch ehe sie sich dem Dienst an der einen oder anderen edlen Sache
widmen, sich von der Gnade Gottes verwandeln lassen und dem Evangelium vollständig
gleichförmig werden. Die ganze Kirche findet diese große Gabe in ihren Händen und widmet sich
in Dankbarkeit ihrer Förderung durch Wertschätzung, Gebet und durch die ausdrückliche
Aufforderung zu ihrer Annahme. Wichtig ist, dass die von der evangeliumsgemäßen Vorzüglichkeit
dieser Lebensform überzeugten Bischöfe, Priester und Diakone sich bemühen, durch die
Verkündigung, die Unterscheidungsgabe und eine weise geistliche Begleitung die Keime der
Berufung zu entdecken und zu stützen. Alle Gläubigen werden um ständiges Gebet für die

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Personen des geweihten Lebens ersucht, damit deren Eifer und Fähigkeit zur Liebe unablässig
zunehmen und sie damit zur Verbreitung des Wohlgeruches Christi in der heutigen Gesellschaft
beitragen. Die gesamte christliche Gemeinschaft — Seelsorger, Laien und Personen des
geweihten Lebens — ist für das geweihte Leben, für seine Annahme und für den den
Neuberufenen angebotenen Beistand verantwortlich.
An die Jugend
106. Euch jungen Leuten, sage ich: wenn ihr den Ruf des Herrn vernehmt, weist ihn nicht zurück!
Fügt euch vielmehr mutig ein in die großen Richtungswege der Heiligkeit, die herausragende
heilige Männer und Frauen in der Nachfolge Christi angebahnt haben. Pflegt eure
altersspezifischen Sehnsüchte, aber folgt bereitwillig dem Vorhaben, das Gott mit euch plant,
wenn er euch einlädt, die Heiligkeit im geweihten Leben zu suchen. Bewundert alle Werke Gottes
in der Welt, aber wisset den Blick auf die Wirklichkeiten zu richten, die zur Unvergänglichkeit
bestimmt sind. Das dritte Jahrtausend erwartet den Beitrag des Glaubens und der Phantasie von
Scharen junger Menschen des geweihten Lebens, auf dass die Welt heiterer und fähiger werde,
Gott und in ihm alle seine Söhne und Töchter anzunehmen.
An die Familien
107. Ich wende mich an euch, christliche Familien. Ihr Eltern, dankt dem Herrn, wenn er eines
eurer Kinder zum geweihten Leben berufen hat. Es muss — wie es immer gewesen ist — als eine
große Ehre angesehen werden, wenn der Herr auf eine Familie blickt und eines ihrer Glieder
auswählt, um es einzuladen, den Weg der evangelischen Räte einzuschlagen! Hegt den Wunsch,
eines eurer Kinder dem Herrn zu schenken, damit die Liebe Gottes in der Welt wachsen möge.
Welche schönere Frucht der ehelichen Liebe könnte es für euch geben? Es muss daran erinnert
werden: wenn die Eltern die Werte des Evangeliums nicht leben, werden der Junge und das
Mädchen nur schwer in der Lage sein, den Ruf zu vernehmen, die Notwendigkeit der Opfer zu
verstehen, die es auf sich zu nehmen gilt, sowie die Schönheit des Zieles zu schätzen wissen, das
erreicht werden soll. Denn die Kinder machen in der Familie die ersten Erfahrungen der Werte des
Evangeliums und der Liebe, die sich an Gott und an die anderen verschenkt. Sie müssen auch
zum verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Freiheit erzogen werden, um bereit zu sein,
ihrer Berufung gemäß höchste geistliche Wirklichkeiten zu leben. Ich bete, dass ihr, christliche
Familien, durch das Gebet und das sakramentale Leben mit dem Herrn verbunden, Berufungen
annehmende Heimstätten seid.
An die Männer und Frauen guten Willens
108. Alle Männer und Frauen, die meine Stimme hören wollen, möchte ich einladen, nach den
Wegen zu suchen, die auch auf den vom geweihten Leben vorgezeichneten Pfaden zum
lebendigen und wahren Gott führen. Die Personen des geweihten Lebens geben Zeugnis davon,

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dass »wer Christus, dem vollkommenen Menschen, folgt, auch selbst mehr Mensch wird«. Wie
viele von ihnen haben sich als barmherzige Samariter über die unzähligen Wunden der Brüder
und Schwestern gebeugt — und beugen sich jetzt noch —, denen sie unterwegs begegneten.
Schaut auf diese Menschen, die von Christus ergriffen sind, die in der von der Gnade und der
Liebe Gottes getragenen Selbstbeherrschung auf das Heilmittel hinweisen, das von Habgier,
Genuss- und Herrschsucht befreit. Vergebt nicht die Charismen, die wunderbare »Gottsucher«
und Wohltäter der Menschheit geformt und denjenigen, die mit aufrichtigem Herzen Gott suchen,
sichere Wege geöffnet haben. Betrachtet die große Zahl von Heiligen, die in dieser Lebensform
gewachsen sind, betrachtet das Gute, das der Welt gestern und heute von denen erwiesen wurde
und wird, die sich Gott geweiht haben! Braucht diese unsere Welt etwa nicht frohe Zeugen und
Propheten der segensreichen Macht der Liebe Gottes? Braucht sie nicht auch Männer und
Frauen, die es durch ihr Leben und ihre Tätigkeit verstehen, Samen des Friedens und der
Brüderlichkeit zu säen?.
An die Personen des geweihten Lebens
109. Vor allem aber richte ich an euch, Männer und Frauen des geweihten Lebens, zum
Abschluss dieses Apostolischen Schreibens meinen vertrauensvollen Appell: lebt ganz eure
Hingabe an Gott, um es dieser Welt an keinem Strahl der göttlichen Schönheit fehlen zu lassen,
der den Weg des menschlichen Daseins erhellt. Die Christen, die tief in die Geschäftigkeit und die
Sorgen dieser Welt verwickelt, aber auch zur Heiligkeit berufen sind, müssen in euch geläuterte
Herzen finden, die im Glauben Gott »schauen«, Menschen, die dem Wirken des Hl. Geistes
gegenüber fügsam sind, die in der Treue zum Charisma der Berufung und der Sendung zügig
vorangehen. Ihr wisst gut, dass ihr einen Weg ständiger Bekehrung, ausschließlicher Hingabe an
die Liebe Gottes und der Brüder eingeschlagen habt, um immer leuchtender von der Gnade
Zeugnis zu geben, die die christliche Existenz verklärt. Die Welt und die Kirche suchen nach
glaubwürdigen Zeugen Christi. Das geweihte Leben ist ein Geschenk, das Gott anbietet, damit
das »einzig Notwendige« (vgl. Lk 10,42) allen vor Augen gestellt werde. Mit dem Leben, mit den
Werken und den Worten Christus zu bezeugen ist einzigartiger Auftrag des geweihten Lebens in
Kirche und Welt. Ihr wisst, wem ihr Glauben geschenkt habt (vgl. 2 Tim 1,12): gebt ihm alles! Die
jungen Leute sollen sich nicht irreführen lassen: wenn sie zu euch kommen, wollen sie das sehen,
was sie anderswo nicht zu sehen bekommen. Ihr habt angesichts der Zukunft eine ungeheure
Aufgabe: insbesondere die jungen Personen des geweihten Lebens können durch das Zeugnis
ihrer Weihe ihre Altersgenossen zur Erneuerung ihres Lebens anleiten. Die leidenschaftliche
Liebe zu Jesus Christus stellt eine mächtige Anziehungskraft für die anderen jungen Menschen
dar, die er in seiner Güte ruft, ihm aus der Nähe und für immer zu folgen. Unsere Zeitgenossen
wollen an den Personen des geweihten Lebens die Freude sehen, die davon kommt, dass sie
beim Herrn sind. Ihr Personen des geweihten Lebens, alt und jung, lebt die Treue zu eurer
Verpflichtung gegenüber Gott, in gegenseitiger Erbauung und Hilfe. Trotz der Schwierigkeiten,
denen ihr bisweilen begegnen mochtet, und trotz der nachlassenden Wertschätzung für das
geweihte Leben in einer gewissen öffentlichen Meinung habt ihr den Auftrag, die Männer und

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Frauen unserer Zeit aufs neue einzuladen, nach oben zu schauen, sich nicht von den Dingen des
Alltags mitreißen, sondern sich von Gott und vom Evangelium seines Sohnes faszinieren zu
lassen. Vergebt nicht, dass ihr in ganz besonderer Weise sagen könnt und müsst, dass ihr nicht
nur von Christus seid, sondern dass »ihr Christus geworden seid!«.
In die Zukunft blicken
110. Ihr sollt euch nicht nur einer glanzvollen Geschichte erinnern und darüber erzählen, sondern
ihr habt eine große Geschichte aufzubauen! Blickt in die Zukunft, in die der Geist euch versetzt,
um durch euch noch große Dinge zu vollbringen. Macht euer Leben zu einer leidenschaftlichen
Christuserwartung, indem ihr ihm entgegengeht wie die klugen Jungfrauen dem Bräutigam
entgegengehen. Seid immer bereit, treu zu Christus, zur Kirche, zu eurem Institut und gegenüber
dem Menschen unserer Zeit. So werdet ihr Tag für Tag von Christus erneuert werden, um mit
seinem Geist brüderliche Gemeinschaften aufzubauen, mit ihm den Armen die Füße zu waschen
und euren unersetzlichen Beitrag zur Verklärung der Welt zu leisten. Diese unsere, den Händen
des Menschen anvertraute Welt, die im Begriff ist, in das neue Jahrtausend einzutreten, soll
immer menschlicher und gerechter sein können, Zeichen und Vorwegnahme der künftigen Welt, in
der er, der erniedrigte und verherrlichte, der arme und gepriesene Herr, mit dem Vater und dem
Heiligen Geist für uns und für unsere Brüder und Schwestern die vollkommene und bleibende
Freude sein wird.
Gebet an die Heiligste Dreifaltigkeit
111. Selige und seligmachende Heiligste Dreifaltigkeit, mache deine Söhne und Töchter selig, die
du berufen hast, die Größe deiner Liebe, deiner barmherzigen Güte und deiner Schönheit zu
bekennen. Heiliger Vater, heilige die Söhne und Töchter, die sich um der Ehre deines Namens
willen dir geweiht haben. Begleite sie mit deiner Macht, damit sie bezeugen können, dass du der
Ursprung von allem bist, die einzige Quelle der Liebe und der Freiheit. Wir danken dir für das
Geschenk des geweihten Lebens, das im Glauben dich sucht und in seiner universalen Sendung
alle einlädt, den Weg zu dir zu gehen. Erlöser Jesus Christus, menschgewordenes Wort, wie du
deine Lebensform jenen anvertraut hast, die du gerufen hast, so ziehe weiterhin Menschen zu dir,
die für die Menschheit unserer Zeit Hüter der Barmherzigkeit, Vorboten deiner Wiederkunft,
lebendiges Zeichen der Güter der künftigen Auferstehung sein sollen. Keine Bedrängnis trenne sie
von dir und von deiner Liebe! Heiliger Geist, in die Herzen ausgegossene Liebe, die du Geist und
Sinn, Gnade und Inspiration schenkst, ewige Lebensquelle, die du durch die zahlreichen
Charismen die Sendung Christi vollendest, wir bitten dich für alle Personen des geweihten
Lebens. Erfülle ihr Herz mit der innigen Gewissheit, dazu auserwählt worden zu sein, um zu
lieben, zu loben und zu dienen. Lab sie deine Freundschaft kosten, erfülle sie mit deiner Freude
und mit deinem Trost, hilf ihnen, Momente der Schwierigkeit zu überwinden und nach dem Fall in
Vertrauen wieder aufzustehen, mache sie zum Spiegel der göttlichen Schönheit. Gib ihnen den
Mut, sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, und die Gnade, den Menschen die Güte

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und Menschenfreundlichkeit unseres Retters Jesus Christus zu bringen (vgl. Tit 3,4).
Anrufung der Jungfrau Maria
112. Maria, Sinnbild der Kirche, Braut ohne Falte und Makel, die, indem sie dich nachahmt,
»jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe
bewahrt«, stehe den Personen des geweihten Lebens in ihrem Streben nach der ewigen und
einzigen Seligkeit bei. Dir, Jungfrau der Heimsuchung, vertrauen wir sie an, damit sie auf die Nöte
der Menschen einzugehen verstehen, um ihnen Hilfe, vor allem aber Jesus zu bringen. Lehre sie
die Wunder zu verkündigen, die der Herr in der Welt vollbringt, damit alle Völker seinen Namen
rühmen. Stehe ihnen bei in ihrer Arbeit für die Armen, die Hungernden, die Hoffnungslosen, die
Geringsten und für alle, die mit aufrichtigem Herzen deinen Sohn suchen .An dich, Mutter, die du
die geistliche und apostolische Erneuerung deiner Söhne und Töchter in der Antwort der Liebe
und der Ganzhingabe an Christus willst, wenden wir uns vertrauensvoll mit unserem Gebet. Du,
die du bereit im Gehorsam, mutig in der Armut, empfangsbereit in der fruchtbaren Jungfräulichkeit
den Willen des Vaters erfüllt hast, erwirke von deinem göttlichen Sohn, dass alle, die die Gabe
empfangen haben, ihm im geweihten Leben zu folgen, von ihm mit einer verklärten Existenz
Zeugnis geben können, indem sie mit allen anderen Brüdern und Schwestern voll Freude auf die
himmlische Heimat und auf das nie erlöschende Licht zugehen.
Wir bitten Dich darum, dass der höchste Herr aller Dinge, Vater, Sohn und Heiliger Geist, in allen
und in allem verherrlicht, gepriesen und geliebt werde.
Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 25. März, dem Hochfest der Verkündigung des Herrn, des
Jahres 1996, dem 18. Jahr meines Pontifikats.
JOHANNES PAUL II. © Copyright 1996 - Libreria Editrice Vaticana
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