Per-vino-nuovo-otri-nuovi--de


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Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die
Gesellschaften apostolischen Lebens: Für jungen Wein neue
Schläuche. Geweihtes Leben und noch offene
Herausforderungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
LEITLINIEN
© Copyright 2017 Libreria Editrice Vaticana / hg. vom
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2018.
69 S. (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls ; 210)
Nachdruck verboten.

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3
INHALT
Einleitung ................................................................................... 5
I. Für junge Weine neue Schläuche............................................ 7
Das logion Jesu........................................................................... 7
Die postkonziliare Erneuerung ................................................ 12
Neue Wege rufen uns auf ......................................................... 17
II. Noch offene Herausforderungen.......................................... 24
Berufung und Identität.............................................................. 25
Ausbildungsentscheidungen ..................................................... 27
Beziehung im humanum ........................................................... 32
Wechselbeziehung zwischen Mann und Frau........................... 32
Dienst der Autorität.................................................................. 35
Beziehungsmodelle ................................................................... 39
III. Neue Schläuche bereiten .................................................... 47
Treue im Heiligen Geist ........................................................... 48
Ausbildungsmodelle und Ausbildung der Ausbilder ............... 51
Zu einer Relationalität im Sinne des Evangeliums .................. 55
Gegenseitigkeit und multikulturelle Prozesse .......................... 55
Dienst der Autorität.................................................................. 58
Dienst der Autorität: Beziehungsmodelle................................. 58
Dienst der Autorität: Kapitel und Räte .................................... 63
Schlusswort .............................................................................. 70

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4
Auch füllt niemand jungen Wein in alte Schläuche.
Sonst zerreißt der Wein die Schläuche; der Wein ist
verloren und die Schläuche sind unbrauchbar. Junger Wein
gehört in neue Schläuche.
(Mk 2,22)

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5
Einleitung
Vom 27. bis 30. November 2014 hielt die Kongregation für die
Institute geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen
Lebens die Vollversammlung des Dikasteriums zum Thema:
„Neuer Wein in neuen Schläuchen. Geweihtes Leben 50 Jahre
nach Lumen gentium und Perfectae caritatis“ ab, auf der sie sich
mit dem nach dem Konzil zurückgelegten Weg des geweihten
Lebens befasste und versuchte, die insgesamt noch bestehenden
Herausforderungen auf diesem zu beleuchten.
Die vorliegenden Leitlinien sind das Ergebnis der Erörterungen
während dieser Vollversammlung sowie nachfolgender
Überlegungen. Zum Teil wurden sie auch nach den zahlreichen
Zusammenkünften erarbeitet, zu denen sich geweihte Frauen und
Männer aus allen Teilen der Welt im Laufe des Jahres des
geweihten Lebens in Rom am Heiligen Stuhl versammelten.
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat das Lehramt der
Kirche das Leben der geweihten Frauen und Männer
kontinuierlich begleitet. Insbesondere hat dieses Dikasterium
große Wegmarken aufgezeigt, die wertvolle Bezugspunkte sind:
die Instruktionen Potissimum institutioni (1990), Das brüderliche
Leben in Gemeinschaft (1994), Neubeginn in Christus (2002),
Der Dienst der Autorität und der Gehorsam. Faciem tuam (2008),
und Identität und Sendung des
Ordensbruders in der Kirche (2015).
Die vorliegenden Leitlinien sind eingebunden in die „Übung
evangeliumsgemäßer Unterscheidung, bei der man im Licht des
Heiligen Geistes – jenen ,Anrufʻ zu erkennen sucht, ,den Gott
gerade in dieser geschichtlichen Situation vernehmen lässt. Auch

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6
in ihr und durch sie ruft Gottʻ1 die geweihten Frauen und Männer
unserer Zeit, denn ,alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf
anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und
den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht
des Evangeliums brauchenʻ“2.
Eine Übung der kirchlichen Unterscheidung also, bei der die
geweihten Frauen und Männer dazu aufgerufen sind, neue
Übergänge in Angriff zu nehmen, damit Ideale und Lehre Gestalt
im Leben annehmen: Systeme, Strukturen, Diakonien, Stile,
Beziehungen und Sprache. Papst Franziskus betont die
Notwendigkeit einer solchen Überprüfung: „Die Wirklichkeit ist
wichtiger als die Idee. [...] Die Wirklichkeit ist etwas, das einfach
existiert, die Idee wird erarbeitet. Zwischen den beiden muss ein
ständiger Dialog hergestellt und so vermieden werden, dass die
Idee sich schließlich von der Wirklichkeit löst. Es ist gefährlich,
im Reich allein des Wortes, des Bildes, des Sophismus zu leben“3.
Es kann geschehen, dass das geweihte Leben trotz des
umfassenden und reichen Prozesses der Accomodata renovatio,
der sich nach dem Konzil vollzogen hat, mit Herausforderungen
konfrontiert wird, die noch unbeantwortet sind und „mit
Entschiedenheit und Weitblick“4 in Angriff genommen werden
müssen.
Im Hinblick auf diese Übung der Unterscheidung sollen die
vorliegenden Leitlinien unzulängliche Praktiken beleuchten, sie
1 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013),
154: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des
Apostolischen Stuhls Nr. 194 (Bonn 2013), S. 112.
2 Ebd., 20: a. a. O., S. 21.
3 Ebd., 231: a. a. O., S. 158.
4 Ebd., 58: a. a. O., S. 48.

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7
sollen aufzeigen, wo Prozesse ins Stocken geraten sind, konkrete
Fragen stellen und Rechenschaft fordern über Beziehungs-,
Führungs- und Ausbildungsstrukturen, in denen geweihte
Personen in ihrer evangeliumsgemäßen Lebensform eine echte
Unterstützung finden.
Leitlinien, die in einem offenen Diskurs der Parrhesia prüfen, ob
die Schläuche für die Aufbewahrung des neuen Weins, den der
Heilige Geist seiner Kirche weiter schenkt, geeignet sind, und die
gleichzeitig dazu ermahnen, kurz- und langfristig durch konkrete
Taten Veränderungen einzuleiten.
I. Für junge Weine neue Schläuche
Das logion Jesu
1. Ein Wort des Herrn kann den Weg des geweihten Lebens
in Anbetracht der Herausforderungen unserer Zeit und im Geiste
der vom Zweiten Vatikanischen Konzil intendierten Erneuerung
erhellen: Junger Wein in neuen Schläuchen (Mk 2,22). Dieser
weise Ausspruch des Herrn ist bei allen Synoptikern
nachgewiesen, die im Zusammenhang mit den Anfängen des
öffentlichen Wirkens Jesu darüber berichten. Der Evangelist
Markus macht ihn zum Mittelpunkt der ersten herausfordernden
Kritik der Pharisäer von Kafarnaum an dem freien und
selbständigen Handeln Jesu (Mk 2,1822). Auch Matthäus greift
dieses logion auf und fasst es noch etwas weiter, um
gewissermaßen die prophetische Sprengkraft der zentralen
Bedeutung der Barmherzigkeit in seinen Worten und Gesten zu
besiegeln (Mt 9,1617). Lukas ordnet diese Provokation noch
genauer in ihren Kontext ein und unterstreicht, dass es unmöglich
ist, in der althergebrachten Weise miteinander zu sprechen (Lk

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8
5,3639). Dieser Evangelist hebt hervor, dass ein Stück Stoff von
einem bereits fertigen neuen Gewand abgeschnitten wird, (bei
Matthäus ist es ein grober Stoff), um es dann auf ein altes zu
nähen. Dies wäre ungeschickt und würde zu zweierlei Verderben
führen (Lk 5,36). So fügt er vielsagend hinzu: Und niemand, der
alten Wein trinkt, will jungen; denn er sagt: Der alte ist
bekömmlich (Lk 5,39).
Hier muss bei allen drei synoptischen Evangelisten der neue Stil
unterstrichen werden, in dem Jesus sich dadurch, dass er der Welt
das barmherzige Antlitz des Vaters offenbart, kritisch von der
einfachen Beibehaltung gewohnter religiöser Schemata
distanziert. Sünden zu vergeben und jeden Menschen im
Mysterium seines Leidens und gar in seinen Verirrungen
anzunehmen ist etwas radikal Neues. Diese Neuheit bringt jeden,
der an die einfache Wiederholung von Schemata gewohnt ist, in
denen alles bereits vorgesehen und klassifiziert ist, aus dem
Gleichgewicht. Eine solche Einstellung schafft nicht nur
Unbehagen, sondern ist von vornherein Grund für Ablehnung.
Der Stil, in dem Jesus das Reich Gottes ankündigt, beruht auf dem
Gesetz der Freiheit (vgl. Jak 2,12), das eine neue Möglichkeit
aufzeigt, in Beziehung zu den Menschen und ihren konkreten
Situationen zu treten. Dieser Stil hat genau die Farbe und den
Geschmack eines jungen Weins, der allerdings die alten
Schläuche zerreißen könnte. Das Bild offenbart eindeutig, dass
institutionelle, religiöse und symbolische Formen immer stärker
an Elastizität gewinnen müssen. Ohne die nötige Elastizität ist
keine institutionelle Form, sei sie auch noch so
verehrungswürdig, in der Lage, die Spannungen des Lebens
auszuhalten und auf die Rufe der Geschichte zu reagieren.
2. Der Vergleich, den Jesus hier anstellt, ist ebenso einfach
wie anspruchsvoll. Der Schlauch, von dem das kleine Gleichnis
spricht, ist ein Behältnis aus weichen Häuten, die sich noch weiter

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9
ausdehnen können, damit der ständig aufwallende, neue Wein
besser atmen kann. Wäre der Schlauch hingegen trocken und
durch den zeitlichen Verschleiß hart geworden, besäße er nicht
mehr die nötige Elastizität, um dem pulsierenden Druck des
neuen Weins standzuhalten. So würde er zwangsläufig zerreißen,
und Wein und Schlauch wären verloren. Der Evangelist Johannes
verwendet dieselbe Metapher von dem guten Wein (Joh 2,10), der
auf der Hochzeit von Kana ausgeschenkt wird, um auf die
prophetische Neuheit der freudigen und kraftspendenden
Verkündigung des Evangeliums hinzuweisen. Der gute Wein und
der junge Wein werden so zum Sinnbild für das Handeln und die
Lehre Jesu, die nicht in alten Schläuchen verweltlichter religiöser
Denkweisen aufbewahrt werden dürfen, die sich neuen
Verheißungen nicht öffnen können. Wenn der Evangelist Lukas
von altem Wein spricht, der angenehm (chrestòs) ist, bezieht er
sich natürlich darauf, dass die Pharisäer und Anführer des Volkes
standardisierten und starren Formen der Vergangenheit verhaftet
waren. Doch das ist vielleicht nicht alles. Eben jene Christen der
zweiten Generation müssen sich sagen lassen, dass sie sich der
Neuheit des Evangeliums tendenziell nicht vollständig öffnen.
Die Versuchung, zum alten Stil einer in ihren Gewissheiten und
Gewohnheiten verschlossenen Welt zurückzukehren, lauert
immer als Gefahr im Hinterhalt. Bereits von Anfang an existiert
in der Geschichte der Kirche die Versuchung, sich taktisch so
einzurichten, dass man den ständigen Herausforderungen der
Umkehr des Herzens ausweichen kann.
Das Wort Jesu hilft uns, diese Herausforderung bzw. Neuheit
anzunehmen, die nicht nur Aufnahmebereitschaft, sondern auch
Unterscheidungsvermögen erfordert. Es müssen Strukturen
geschaffen werden, die tatsächlich dazu geeignet sind, den
innovativen Reichtum des Evangeliums zu hüten, damit er gelebt
und in den Dienst aller gestellt und gleichzeitig in seiner Qualität

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und Güte bewahrt werden kann. Neuen Wein muss man gären und
sozusagen im Schlauch atmen lassen, damit er richtig reifen kann
und schließlich genießbar wird und gemeinsam getrunken werden
kann. Gleiches gilt für das Bild von dem Gewand und dem
Flicken: Man kann nicht ein Stück Stoff von einem neuen
Gewand abreißen und ein bereits verschlissenes Gewand damit
flicken. Durch die unterschiedliche Gewebespannung würde das
alte Gewand ausfransen, sodass der neue Flicken dann im Grund
nichts nützen würde.
3. Die Botschaft des Evangeliums darf nicht auf eine rein
soziologische Komponente reduziert werden. Es handelt sich hier
um eine spirituelle Ausrichtung, die immer neu bleibt. Sie
verlangt die geistige Offenheit, sich prophetische und
charismatische Formen einer Nachfolge vorzustellen, die in
angemessenen und eventuell ganz neuen Denkstrukturen gelebt
werden. Eine ganze Reihe innovativer Formen der Diakonie
werden außerhalb bereits bewährter Denkstrukturen der
Vergangenheit gelebt und müssen unbedingt auch in neue
institutionelle Strukturen Eingang finden. Diese Strukturen
müssen den Erwartungen und Herausforderungen wahrlich
gewachsen sein. Eine Erneuerung, die nicht in der Lage ist, außer
dem Herzen auch die Strukturen zu berühren und zu verändern,
führt nicht zu einer echten, dauerhaften Veränderung. Hier sollte
man immer daran denken, dass eine überzogene Auslegung, mag
sie auch noch so großzügig sein, auf Ablehnung stoßen kann.
Ablehnung führt zum Verlust eben jener Lebendigkeit des
unverzichtbar Neuen, das nicht nur anerkannt, sondern auch
konsequent gelebt und gewiss nicht einfach nur ertragen oder
erduldet werden will.
Wenn wir dieses evangelische Kriterium auf das übertragen, was
zum Zeitpunkt des Zweiten Vatikanischen Konzils, einem
Augenblick der Gnade, innerhalb der Kirche gelebt wurde,

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11
können und dürfen wir tatsächlich von jungem Wein sprechen.
Unter der Führung des Heiligen Geistes war die Kirche als
Weinberg des Herrn dazu in der Lage, eine erneute spirituelle
Ernte zu erleben, zu der alle großzügig ihren Beitrag geleistet
haben. Wir alle haben uns gefreut über die lebhaften Erfahrungen
der Erneuerung, die in neuen katechetischen Wegen, neu
gestalteten Modellen der Heiligkeit und des brüderlichen Lebens,
modernisierten Leitungsstrukturen, neuen theologischen
Strömungen, ungeahnten Formen der Solidarität und Diakonie
etc. zum Ausdruck kamen. Eine echte Weinernte, für die wir
überreiche, freudige Dankbarkeit empfinden.
Nichtsdestoweniger existieren neben all diesen Zeichen der
Erneuerung und Formen der Neuheit und auch das ist normal
alte, heilig gewordene und erstarrte Gewohnheiten. Es handelt
sich um Gewohnheiten, die sich in ihrer Starrheit und Unfähigkeit
dagegen sperren, sich an diese Erneuerung wirklich anzupassen,
die immer noch im Werden ist. Aus diesem Nebeneinander von
Stilen können Konflikte selbst heftigster Art entstehen. Aus den
Konflikten entstehen gegenseitige Vorwürfe, dass man nicht
guter Wein (Hld 7,10) sei, sondern zu gärendem, gewürztem Wein
(Ps 75,9) verdorben sei. Manche verurteilen die anderen sogar als
faule Beeren (vgl. Jes 5,2), weil sie das, was seit jeher festgelegt
und bewährt war, nicht treu genug befolgen würden. Von all dem
sollte man sich nicht beeindrucken und schon gar nicht
entmutigen lassen. Man kann keine angemessenen Strukturen für
eine echte Erneuerung gestalten, ohne für deren Ausarbeitung viel
Zeit und auf dem Weg dahin unvermeidliche Zwischenfälle
einzukalkulieren. Authentische und dauerhafte Veränderungen
ergeben sich nie automatisch.
Normalerweise ist mit einigem Widerstand zu rechnen und sogar
auch hier und da mit einem Rückzieher. Dabei ist zu bedenken,
dass dieser Widerstand nicht immer boshaft oder böswillig

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gemeint ist. Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten
Vatikanischen Konzils muss man zur Kenntnis nehmen, dass es
nie schmerzlos ist, sich von den belebendenden Aufforderungen
des Heiligen Geistes beunruhigen und aus dem Gleichgewicht
bringen zu lassen. Dies gilt gewiss auch für das geweihte Leben
und seine mehr oder weniger fruchtbaren Jahreszeiten im Sinne
der Antwort auf die Zeichen der Zeit und die Eingebungen des
Heiligen Geistes.
Die postkonziliare Erneuerung
4. Um nach vorne zu schauen und im Geiste der vom Konzil
beabsichtigten Erneuerung weiterzugehen, kann ein wenig
Geschichte den Weg aller erhellen und bestätigen. Das
Bewusstsein für das, was wir in den letzten 50 Jahren erlebt
haben, wird noch notwendiger, wenn wir die Anregungen
aufgreifen wollen, die sich aus den Worten und Gesten von
Papst Franziskus ergeben.
Die Accomodata renovatio des Lebens und der Regeln der
Institute des geweihten Lebens gemäß den „zeitbedingten
Erfordernissen“5 war eine ausdrückliche Forderung des Zweiten
Vatikanischen Konzils. Die Konzilsväter hatten insbesondere in
Kapitel VI der dogmatischen Konstitution Lumen gentium6 die
theologischen und ekklesiologischen Grundlagen für die
Erneuerung geschaffen. In dem Dekret Perfectae caritatis hatten
sie geeignetere Richtlinien und praktische Orientierungshilfe für
die geistliche, kirchliche, charismatische und institutionelle
5 ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung
des Ordenslebens Perfectae caritatis, 1.
6 Vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die
Kirche Lumen gentium, 4347.

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13
Aktualisierung des geweihten Lebens in der Kirche angeboten.
Was die anderen Konzilstexte betrifft, so wurden nur in der
Konstitution Sacrosanctum Consilium und in dem Dekret Ad
gentes einige praktische Auswirkungen aufgezeigt, die eine
gewisse Relevanz für das Ordensleben hatten.
Ein halbes Jahrhundert später können wir mit Zufriedenheit
feststellen, dass sich die Mens des Konzils ganz besonders
fruchtbar auf das geweihte Leben ausgewirkt hat. Der von
choralem Unterscheidungsvermögen und forschender
Aufmerksamkeit geprägte Stil brachte während der
Aktualisierung äußerst wirkungsvolle Impulse und Methoden
hervor. Der erste Schritt dieses tiefgreifenden Wandels betraf das
neue Selbstverständnis des geweihten Lebens. In der Zeit vor dem
Konzil bildete das Ordensleben mit all seinen Ausprägungen und
Strukturen die vereinte Arbeitskraft für Leben und Sendung einer
kämpferischen Kirche, die sich in ständiger Opposition zur Welt
erlebte. In der neuen Ära der Öffnung und des Dialogs mit der
Welt fühlte sich das geweihte Leben in erster Linie dazu
aufgerufen, zum Wohle des gesamten Kirchenkörpers die
Koordinaten für eine neue Beziehung zwischen Kirche und Welt
auszuloten. Dies ist eines der am stärksten inspirierenden und
transformierenden Themen, die das von dem hl. Johannes XXIII.
einberufene Zweite Vatikanische Konzil im Sinn hatte. Im Sinne
des Dialogs und des Annehmens ist das geweihte Leben tatkräftig
auf die Risiken dieses neuen Abenteuers, sich zu öffnen, Gehör
zu schenken und zu dienen, zugegangen. Um einen von Vertrauen
geprägten Beziehungsstil in der gegenwärtigen Welt tatsächlich
konkret umsetzen zu können und in dieser präsent zu sein, hat das
geweihte Leben seine zahlreichen Charismen und sein spirituelles
Erbe aufs Spiel gesetzt und sich tatkräftig neuen Wegen
ausgesetzt und diese angenommen.

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14
5. In den 50 Jahren, die seit dem Konzil vergangen sind, konnten
wir zur Kenntnis nehmen, dass alle Institute des geweihten
Lebens sich nach Kräften bemüht haben, auf die Anregungen
des Zweiten Vatikanischen Konzils einzugehen. Insbesondere
in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Konzil waren die
Erneuerungsbemühungen umfangreich und kreativ und wurden
auch in den Jahrzehnten danach fortgesetzt, wenn auch etwas
langsamer und weniger dynamisch. Die Vorschriften und
institutionellen Formen wurden anfangs als Reaktion auf die
Anregungen des Konzils und später als Anpassung an die
Bestimmungen des neuen Kodex des Kanonischen Rechts
(1983) überarbeitet. Jede Ordensfamilie hat sich intensiv dafür
eingesetzt, den „Geist des Ursprungs der Institute“ 7 neu zu
deuten und zu interpretieren. Damit wurden hauptsächlich zwei
Ziele verfolgt: den „Stifterwillen“ 8 getreulich zu bewahren
und „mutig den Unternehmungsgeist, die Erfindungsgabe und
die Heiligkeit der Gründer und Gründerinnen wieder
hervorzuheben.“9
Die Ergebnisse dieser großen Anstrengung, Identität, Lebensstil
und die jeweilige kirchliche Sendung neu zu gestalten, wurden
auch von der mutigen und geduldigen Suche nach neuen, auf das
Wesen und Charisma jeder einzelnen Ordensfamilie
abgestimmten Ausbildungswegen begleitet. Auch im Bereich der
Leitungsstrukturen, der wirtschaftlichen Verwaltung und der
Tätigkeit wurde vieles an die „körperlichen und seelischen
7 ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung
des Ordenslebens Perfectae caritatis, 2.
8 CIC, c. 578.
9 PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita
consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
(25. März 1996), 37: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.):
Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 125 (Bonn 1996), S. 47.

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15
Voraussetzungen der Menschen von heute [...] und die
Erfordernisse des Apostolats, die Ansprüche der Kultur, die
soziale und wirtschaftliche Umwelt“ angepasst.10
6. Nach diesem kurzen Rückblick auf die Geschichte der letzten
50 Jahre können wir in Demut anerkennen, dass das geweihte
Leben sich darin geübt hat, die Horizonte des Konzils
leidenschaftlich zu besetzen und kühn zu erforschen. Für den
insgesamt zurückgelegten Weg können wir Gott und uns
gegenseitig nur aufrichtig und wahrhaft Dank sagen.
Auf diesem engagierten und mühsamen Weg kam vom obersten
Lehramt der Päpste der letzten Jahrzehnte große Unterstützung.
Durch Texte und Beiträge unterschiedlichster Art haben die
Päpste in regelmäßigen Abständen versucht, die neuen
Überzeugungen zu festigen, neue Wege zu erkennen und bei
neuen Entscheidungen über Wirken und Dienst die Rufe des
Heiligen Geistes stets zu erhören und uns weise im kirchlichen
Sinne zu führen. Theologisch und kirchlich außerordentlich
wertvoll und richtungsweisend ist hier das Nachsynodale
Apostolische Schreiben Vita consecrata (1996), in dem die besten
Ergebnisse der nachsynodalen Erneuerung aufgegriffen und
bekräftigt werden.
Im Besonderen werden in Vita consecrata die Kontemplation und
der ursprüngliche Bezug zum Mysterium der Allerheiligsten
Dreifaltigkeit beleuchtet: „Das geweihte Leben ist Ankündigung
dessen, was der Vater durch den Sohn im Geist aus seiner Liebe,
seiner Güte und seiner Schönheit vollbringt. Denn ‚der
Ordensstand [...] macht die Erhabenheit des Gottesreiches
gegenüber allem Irdischen und seine höchsten Ansprüche in
10 ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung
des Ordenslebens Perfectae caritatis, 3.

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16
besonderer Weise offenkundig. Er zeigt auch allen Menschen die
überragende Größe der Herrscherkraft Christi und die
wunderbare, unbegrenzte Macht des Heiligen Geistes in der
Kirche auf. [...] So wird das geweihte Leben zu einer der
konkreten Spuren, die die Dreifaltigkeit in der Geschichte
hinterlässt, damit die Menschen das Faszinierende der göttlichen
Schönheit wahrnehmen könnenʻ“11. Das geweihte Leben wird zur
confessio trinitatis, auch weil es sich der Herausforderung des
brüderlichen Lebens stellt, „kraft dessen sich die Personen des
geweihten
Lebens bemühen, in Christus zu leben und ‚ein Herz und eine
Seeleʻ zu sein (Apg 4,32)“12. Aus dieser trinitarischen Perspektive
heraus ergibt sich die große Herausforderung, die Einheit und
Notwendigkeit der betenden, Zeugnis ablegenden und
märtyrerhaften Ökumene als Königsweg für die geweihten
Frauen und Männer: „Das Gebet Christi zum Vater vor seinem
Leiden, dass seine Jünger eins bleiben mögen (vgl. Joh. 17,21
23), setzt sich im Beten und Wirken der Kirche fort. Wie könnten
sich da die Personen des geweihten Lebens nicht miteinbezogen
fühlen?“13
Auch die engagierte und weise Leitung unserer Kongregation hat
auf verschiedene Weise, durch Instruktionen, Schreiben und
Richtlinien, und in fortlaufender Wachsamkeit leitende Kriterien
aufgezeigt, um authentisch auf der vom Konzil beschlossenen
Erneuerung zu bestehen und der Identität und kirchlichen
Funktion des geweihten Lebens in gemeinschaftlicher
11 PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita
consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
(25. März 1996), 20: a. a. O., S. 2728.
12 Ebd., 21: a. a. O., S. 29.
13 Ebd., 100: a. a. O., S. 119.

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Unterscheidungskraft und prophetischer Kühnheit treu zu
bleiben.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Schwachpunkte und Mühen
geleugnet werden. Diese müssen erkannt und beim Namen
genannt werden, damit der eingeschlagene Weg nicht nur
weitergeht, sondern treu und schaffenskräftig noch radikaler
fortgesetzt werden kann. So ist es auch notwendig, neuen
Situationen, in denen das geweihte Lebens aufgerufen ist, sich zu
messen und Gestalt anzunehmen, realistisch ins Gesicht zu
schauen.
Neue Wege rufen uns auf
7. Die reiche Vielfalt an Diakonien, die das geweihte Leben in
den letzten Jahrzehnten gelebt hat, ist aufgrund gesellschaftlicher,
wirtschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher und
technologischer Entwicklungen radikal zurückgegangen.
Gleiches gilt für staatliche Maßnahmen in vielen Bereichen, in
denen Ordensleute immer schon tätig waren. All dies hat die
Beziehungen zwischen den Ordensleuten und ihrem
Lebensumfeld und ihre gewohnte Art der
Auseinandersetzung mit ihren Mitmenschen verändert. In der
Zwischenzeit haben neue, bisher ungekannte Notsituationen
weitere Bedürfnisse aufbrechen lassen, auf die bisher noch nicht
reagiert wurde und die an die Tür der schaffenskräftigen Treue
des geweihten Lebens in all ihren Formen klopfen.
Neue Formen der Armut appellieren an das Gewissen vieler
geweihter Frauen und Männer und fordern historische Charismen
zu neuen tatkräftigen Formen der Antwort auf die neuen
Situationen und neuen Auswüchse der Geschichte auf. Dadurch
entstehen neue Formen der Präsenz und des Dienstes in
zahlreichen Randgebieten des Lebens. Auch die Verbreitung von

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18
Freiwilligeninitiativen darf nicht vergessen werden, in denen
Laien und Ordensleute, Männer und Frauen, sich engagieren und
„neue apostolische Tatkräfte“14 in reicher Synergie einbringen, so
dass „durch den einmütigen Beitrag der unterschiedlichen Gaben
die Antwort auf die großen Herausforderungen unserer
Zeit wirksamer“ 15 gemacht wird. Ein solcher gemeinsamer
Einsatz stützt sich auf die Wiederentdeckung der gemeinsamen
Wurzel der Taufe, die alle Jünger Christi vereint und sie dazu
aufruft, ihre Kräfte und Vorstellungsgabe zu bündeln, um diese
Welt für alle schöner und lebenswerter zu gestalten.
Viele Kongregationen und insbesondere Frauenorden haben
begonnen, die Gründungen in den jungen Kirchen in den
Vordergrund zu stellen, und sich so von fast ausschließlich
monokulturellen zu multikulturellen Gemeinschaften mit den
entsprechenden Herausforderungen entwickelt. In diesem Zuge
wurden internationale Gemeinschaften gegründet, die für einige
Institute der erste mutige Schritt aus ihren geografischen und
kulturellen Grenzen heraus waren. Es wurden erste Erfahrungen
in der Diakonie gemacht, und man war in unbekannten oder
multireligiösen Kontexten präsent. Neue Gemeinschaften wurden
in schwierigen Umfeldern angesiedelt, die oft von
unterschiedlichen Formen der Gewalt bedroht sind. Diese
Erfahrungen bewirkten große Veränderungen innerhalb der
Ordensfamilien, und zwar sowohl in Bezug auf das gemeinsame
kulturelle Ethos als auch auf kirchliche Modelle und innovative
spirituelle Stile. Dieser Exodus führte natürlich zu einer Krise der
traditionellen Bildungsstrukturen, die nicht mehr zu den neuen
Berufungen und Kontexten passten. All dies ist sicherlich sehr
bereichernd, aber auch Grund für unterschiedlichste Spannungen,
14 Ebd., 55: a. a. O., S. 64.
15 Ebd., 54: a. a. O., S. 64.

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19
die vor allem in Kongregationen mit weniger missionarischer
Erfahrung auftraten und teilweise sogar zum Bruch führten.
8. Die aktuelle Entwicklung der Gesellschaft und Kulturen, die
sich in einer Phase schneller und umfassender, unvorhersehbarer
und chaotischer Veränderungen befinden, konfrontiert das
geweihte Leben mit der ständigen Herausforderung, Korrekturen
vorzunehmen. Dies produziert und erfordert ständig neue
Antworten und geht mit einer Krise von historischem Ausmaß
und charismatischem Profil einher.
Das Zeichen dieser Krise ist eine offenkundige Mühe. In einigen
Fällen hat man es genau genommen mit einer Unfähigkeit zu tun,
von einer ordentlichen Geschäftsführung (Management) zu einer
Leitung überzugehen, die der neuen Realität, in der man weise
agieren muss, gewachsen ist. Es ist keine leichte Aufgabe, den
Sprung von der einfachen Verwaltung altbekannter
Gegebenheiten hin zu Zielen und Idealen mit so viel Überzeugung
zu schaffen, dass daraus Vertrauen entstehen kann. Dies
beinhaltet, sich nicht mit der Ausarbeitung reiner
Überlebensstrategien zufrieden zu geben, sondern die nötige
Freiheit zu haben, Prozesse anzustoßen, wie Papst Franziskus
immer wieder erinnert. Es erweist sich vor allen Dingen als immer
notwendiger, dass das Leitungsamt in der Lage ist, echte
Synodalität anzumahnen, indem von Synergie getragene
Dynamik genährt wird. Nur in einer solchen gemeinsamen
Absicht lässt sich der Übergang geduldig, klug und weitsichtig
gestalten.
Einige Problempunkte sind mit der Zeit immer komplexer
geworden und haben das geweihte Leben und seine Institutionen
gelähmt. Das geweihte Leben droht sich in dem rasanten Wandel
zu verstricken und hangelt sich von einer Notsituation zur
nächsten, ohne den Blick auf den Horizont zu richten. Zuweilen

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20
scheint es, als sei das geweihte Leben fast nur noch damit
beschäftigt, seinen Alltag bzw. das schlichte Überleben zu
bewältigen. Eine derartige Auseinandersetzung mit der Realität
geht zu Lasten eines sinnerfüllten Lebens, das prophetisch
Zeugnis ablegen kann.
Ständig mit Notsituationen umgehen zu müssen, die immer
gravierender werden, ist kräftezehrender, als man meint. Dies
birgt leider das Risiko, dass man, anstatt über Wege
nachzudenken, völlig von der Eindämmung der Probleme in
Anspruch genommen ist. In Anbetracht dieses mühevollen
Unterfangens kann man fast den Eindruck haben, der
charismatische Impuls des Konzils sei abhandengekommen. An
die Stelle des großartigen Bemühens um Erneuerung und
Kreativität scheint seit Kurzem ein auswegloser Stillstand
getreten zu sein, und dies, obwohl wir gerade jetzt aufgerufen
sind, einen neuen Exodus nach Kräften aufzuhalten. In vielen
Fällen schwächt und entkräftet die Zukunftsangst jenes
prophetische Amt, auf dem Papst Franziskus beharrt,16 zu dessen
Ausübung in der Kirche das geweihte Leben zum Wohl der
gesamten Menschen aufgerufen ist.
9. An dieser Stelle des Weges ist es heilsam und notwendig
innezuhalten, um Güte und Reifegrad des jungen Weins zu
erkennen, der in der langen Zeit der Erneuerung nach dem Konzil
erzeugt worden ist. Hier stellen sich einige Fragen. Die erste
betrifft die Harmonie und Kohärenz zwischen den schon seit
geraumer Zeit bestehenden Strukturen, Organen, Ämtern und
Stilen und denen, die als Reaktion auf die Vorgaben des Konzils
16 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben an alle Personen des
geweihten Lebens zum Jahr des geweihten Lebens (21. November 2014).

3 Pages 21-30

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3.1 Page 21

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21
in den letzten Jahren eingeführt wurden.17 Die zweite veranlasst
uns zu prüfen, ob die heutzutage im geweihten Leben
praktizierten Mediationspunkte dazu geeignet sind, die
offenkundigsten Neuheiten aufzunehmen und wie im Bild von
dem jungen Wein, der gärt und aufwallt den notwendigen
Übergang zu bewerkstelligen, bis volle Stabilität erreicht ist.
Schließlich können wir uns fragen, ob das, was wir kosten und zu
trinken anbieten, wirklich vollmundiger und gesunder junger
Wein ist. Oder handelt es sich trotz aller guten Absichten und
lobenswerten Bemühungen um mit Wasser verdünnten Wein, mit
dem über die sauren Folgen einer misslungenen Ernte und
schlecht gestutzte Rebstöcke hinweggetäuscht werden soll?
Diese Fragen kann man einfach und im Geiste der Parrhesie
stellen, ohne dabei in Schuldgefühle zu verfallen, die uns nur
weiter blockieren könnten. Wir können uns ein wenig Zeit
nehmen, um gemeinsam zu schauen, was in den Schläuchen
unseres geweihten Lebens vor sich geht. Es geht darum, ohne
Schuldgefühle und Vorwürfe die Güte des jungen Weins und des
guten Weins festzustellen. Diesen Wein, dessen liebevolle Hüter
wir sind, sollen wir zur Freude aller und ganz besonders der
Ärmsten und Kleinsten ausschenken.
Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, ehrlich zu erkennen, wie
schwer es dem alten institutionellen System trotz einer ganzen
Reihe von Veränderungen fällt, neuen Modellen entschieden
Platz zu machen. Die uns vertraute
Gesamtkonstellation aus Sprache und Vorbildern, Werten und
Pflichten, Spiritualität und kirchlicher Identität hat vielleicht noch
keinen Freiraum für die Prüfung und Stabilisierung des neuen, aus
der nachkonziliaren Inspiration und Praxis entstandenen
17 Vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die zeitgemäße
Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 24.

3.2 Page 22

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22
Paradigmas geschaffen. Wir erleben eine Phase, in der all das,
was das Erbe und die Identität des geweihten Lebens innerhalb
der Kirche und in Anbetracht der Geschichte ausmacht, geduldig
überarbeitet werden muss. So müssen wir auch jenen lange
übertünchten, zähen Widerstand aufzeigen und deuten, der nun
explizit in vielen Zusammenhängen auch als eventuelle Reaktion
auf ein fälschlicherweise verhohlenes Frustrationsgefühl wieder
zum Vorschein kommt. In einigen Kreisen des geweihten Lebens
mit teilweise erheblichen Mitgliederzahlen und verfügbaren
Mitteln ist man nicht in der Lage, die Zeichen des Neuen
aufzunehmen: An den Geschmack des alten Weins gewöhnt und
sich in der Sicherheit bewährter Modalitäten wiegend, ist man
nicht wirklich zu irgendeiner Änderung bereit, außer sie ist im
Wesentlichen unerheblich.
10. Nachdem wir den derzeitigen Zustand des geweihten
Lebens dargestellt und gemeinsam betrachtet haben, möchten wir
einige Widersprüche und Widerstände aufzeigen. Diese
gemeinsame
Betrachtungsweise soll wahrheitsgetreu und ehrlich erfolgen. Die
Aufgabe, gemeinsam zu ergründen, welcher Knoten zerschlagen
werden muss, um aus der Lähmung herauszufinden und die
Zukunftsangst zu überwinden, dürfen wir nicht länger vor uns
herschieben. Wir wollen versuchen zu benennen, was das
dynamische Wachstum und die der Prophezeiung des geweihten
Lebens innewohnende Erneuerung hemmt. Darüber hinaus
scheint es uns angebracht, einige Orientierungspunkte
aufzuzeigen, um nicht von Angst oder Trägheit gelähmt zu
werden. In diesem Sinne werden wir versuchen, einige
Vorschläge zu den Bildungswegen zu machen und rechtliche
Hinweise aufzuzeigen, die für ein Weiterkommen nötig sind,
sowie einige Ratschläge zum Amt der Autorität, damit dieses im
Dienste eines tatsächlich gemeinschaftlichen brüderlichen

3.3 Page 23

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23
Lebensstils steht. Außerdem scheint es uns notwendig, den
Schwerpunkt auf zwei weitere Bereiche zu legen, die das
geweihte Leben maßgeblich berühren: Ausbildung und
Gütergemeinschaft.
Zur Untermauerung eines jeden Weges scheint es uns wichtig, das
Bedürfnis nach einem neuen, von Heiligkeit getragenen Schwung
für die geweihten Personen zu unterstreichen, was ohne ein
Aufrütteln zu neuer Leidenschaft für das Evangelium im Dienste
des Reiches Gottes undenkbar wäre. Auf diesem Weg bewegt uns
der Geist des Auferstandenen, der mit seinen Eingebungen weiter
zur Kirche spricht.
Papst Franziskus bestärkt uns auf diesem Weg: „Neue Schläuche
für neuen Wein. Die Neuheit des Evangeliums. Was bringt uns
das Evangelium? Freude und Neuheit. Neuheit für die Neuheit;
neue Schläuche für den neuen Wein. Keine Angst davor, die
Dinge den Geboten des Evangeliums entsprechend zu verändern:
Die Kirche fordert uns alle zu einigen Veränderungen auf. Sie
fordert uns auf, hinfällige Strukturen aufzugeben. Sie sind
überflüssig.
Und neue Schläuche zu benutzen, jene des Evangeliums. Das
Evangelium ist Neuheit, das Evangelium ist ein Fest. Und nur mit
einem freudigen und erneuerten Herzen kann man das
Evangelium ganz leben. Mehr Platz für das Gesetz der
Seligpreisungen, der Freude und der Freiheit, die uns die Neuheit
des Evangeliums bringt. Der Herr möge uns die Gnade schenken,
keine Gefangenen zu bleiben, und er schenke uns die Gnade der

3.4 Page 24

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24
Freude und Freiheit, welche die Neuheit des Evangeliums uns
bringt.“18
II. Noch offene Herausforderungen
11. Was Jesus zum Widerstand gegen Veränderung sagt weil
der alte bekömmlich ist (vgl. Lk 5,39) , ist ein Phänomen, das
wir in allen menschlichen Verhaltensweisen und Kultursystemen
antreffen. Wie uns das Evangelium in den Gleichnissen vom
Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,2530) und vom Fischernetz
mit den guten und schlechten Fischen (Mt 13,4748) lehrt,
werden die guten Werke oft mit anderen, weniger guten
vermischt. Dies sollte uns nicht wundern, sondern uns vielmehr
dazu anhalten, stets wachsam zu sein, damit wir erkennen, welche
Grenzen und Schwachpunkte den für ein authentisches und
glaubhaftes Zeugnis nötigen Prozessen im Wege stehen.
Jedes etablierte System neigt dazu, sich gegen Veränderungen zu
sperren und bemüht sich, seine Stellung zu halten. Dabei werden
manches Mal Unstimmigkeiten verschleiert und manchmal Altes
und Neues vermischt, indem entweder die Realität und Reibungen
unter dem Deckmantel einer scheinbaren Eintracht ignoriert oder
die eigenen Zielsetzungen hinter oberflächlichen Korrekturen
künstlich verborgen werden. Leider trifft man immer wieder auf
Beispiele für eine rein formale Zustimmung ohne die gebührende
Umkehr des Herzens.
18 PAPST FRANZISKUS, Frühmesse im Vatikanischen Gästehaus Domus
Sanctae Marthae (Rom, 5. September 2014).

3.5 Page 25

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25
Berufung und Identität
12. Mit gesundem Realismus müssen wir als erstes feststellen,
dass die Anzahl der Austritte aus dem Ordensleben weiterhin
hoch ist. Wichtig ist, die Hauptgründe für diese Austritte zu
beleuchten, die sowohl nach den wichtigen Stationen des
Ausbildungsweges (Profess, Ordination) als auch im
fortgeschrittenen Alter erfolgen. Dieses Phänomen trifft man
heute in allen kulturellen und geographischen Kontexten an.
Hier ist klar zu sagen, dass es sich nicht immer nur um emotionale
Krisen handelt. Oft sind diese Gefühlskrisen das Ergebnis einer
bereits lange bestehenden Enttäuschung über ein
Gemeinschaftsleben, das nicht authentisch ist. Die Kluft zwischen
dem, was auf der Werteebene angeboten und dann im Konkreten
gelebt wird, kann bis hin zu einer Glaubenskrise führen. Ein zu
hoher Umfang an belastenden und übertrieben dringenden
Aufgaben lässt dann potenziell kein solides spirituelles Leben
mehr zu, das den Wunsch nach Treue nähren und fördern kann.
Die Isolierung der jüngsten Mitglieder in Gemeinschaften mit
vorwiegend alten Mitgliedern, die den Stil der neuen
Evangelisierung nur schwer in Spiritualität, Gebet und Seelsorge
übernehmen können, droht in einigen Fällen die Hoffnung auf ein
echtes Lebensversprechen zu untergraben. Aus dieser Frustration
heraus erweist sich manchmal der Austritt als einziger Ausweg,
um nicht unterzugehen.
Soziologische Untersuchungen haben gezeigt, dass junge
Menschen durchaus nach echten Werten streben und bereit sind,
sich ernsthaft für diese einzusetzen. Junge Menschen besitzen
eine Bereitschaft zur Transzendenz und die Fähigkeit, sich
leidenschaftlich für Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit zu
engagieren. Das Ordensleben läuft mit seinen allzu häufig
außerhalb kultureller Kontexte standardisierten Stilarten und

3.6 Page 26

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26
seiner eventuell überlasteten Leitung der Werke Gefahr, den
tiefsten Wunsch der jungen Menschen zu überhören. Dies schafft
eine Leere, die den Generationenwechsel immer schwieriger und
den notwendigen Dialog zwischen den Generationen allzu
mühsam macht.
Deshalb müssen wir uns ernsthaft fragen, wie es um unser
Ausbildungssystem bestellt ist. Natürlich haben wir in den letzten
Jahren auch positive Änderungen in die richtige Richtung
vorgenommen. Dies war jedoch nicht kontinuierlich der Fall und
ohne dass die wesentlichen Grundpfeiler der Ausbildung im
Endeffekt geändert worden wären. Anscheinend ist es trotz aller
in die Ausbildung investierten Anstrengungen und Bemühungen
nicht gelungen, das Herz der Menschen zu berühren und wirklich
zu ändern. Man hat den Eindruck, dass die Ausbildung mehr
informativ als performativ ist, mit dem Ergebnis, dass die
Menschen sowohl in ihren Grundüberzeugungen als auch auf
ihrem Glaubensweg weiterhin anfällig sind. Dies führt zu einer
psychischen und spirituellen Minimaleinstellung mit der daraus
resultierenden Unfähigkeit, die eigene Sendung engagiert und
mutig in Bezug auf den Dialog mit der Kultur und die
Eingliederung in Gesellschaft und Kirche zu leben.
13. Durch die jüngste Entwicklung in vielen Instituten hat sich
das Problem der Integration unterschiedlicher Kulturen noch
weiter verschärft. Bei einigen Instituten zeichnet sich mittlerweile
eine Situation ab, mit der kaum noch umzugehen ist: Einigen
Dutzend alten Mitgliedern, die sich kulturellen und teils
angepassten klassischen institutionellen Traditionen verbunden
fühlen steht eine große Schar an jungen Mitgliedern aus
verschiedenen Kulturen gegenüber, die voller Tatendrang sind,
sich ausgegrenzt fühlen und keine untergeordneten Rollen mehr
akzeptieren. Der Wunsch, selbst Verantwortung in die Hand zu

3.7 Page 27

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27
nehmen, um sich aus dieser Unterwerfung zu befreien, könnte so
manche Gruppe zu einem gewissen Druck auf die
Entscheidungsstellen veranlassen. Auf diese Weise entstehen
Leid und Ausgrenzung, Unverständnis und Verzerrungen, die den
unverzichtbaren Prozess der Inkulturation des Evangeliums in
eine Krise stürzen.
Diese Mühe der Inkulturation offenbart umso tiefer die
zunehmende Distanz zwischen der klassischen Vorstellung von
geweihtem Leben und seinen standardisierten Formen und der
anderen Art und Weise, wie dieses in aufstrebenden kirchlichen
und kulturellen Kontexten wahrgenommen und gewünscht wird.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein Prozess der
Entwestlichung bzw. der Enteuropäisierung des geweihten
Lebens stattfindet, der anscheinend mit einem massiven
Globalisierungsprozess einhergeht. Es wird immer klarer, dass
nicht die Bewahrung der Formen das wichtigste ist, sondern die
Bereitschaft, das geweihte Leben in kreativer Kontinuität wieder
als Erinnerung des Evangeliums an einen permanenten Zustand
der Umkehr zu sehen, aus dem konkrete Eingebungen und
Entscheidungen hervorgehen.
Ausbildungsentscheidungen
14. In diesem Bereich haben die Institute mit Unterstützung der
Initiativen der verschiedenen (nationalen und internationalen)
Konferenzen der obersten Ordensleitungen erhebliche
Anstrengungen unternommen. Trotz all dieser Bemühungen stellt
man immer noch fest, dass die theologische und anthropologische
Vision nur in geringem Maße in die Konzeption von Ausbildung,
Ausbildungsmodellen und erzieherischer Pädagogik integriert ist.
Dies ist nicht nur eine theoretische Fragestellung, denn diese
geringe Integration ermöglicht keine Interaktion und keinen

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28
Dialog zwischen den beiden wesentlichen Komponenten, die für
einen Weg der Weiterentwicklung unerlässlich sind: die
spirituelle und die menschliche Dimension. Man kann nicht mehr
meinen, diese beiden Dimensionen könnten unabhängig
voneinander weiterbestehen, ohne komplementär und harmonisch
gepflegt zu werden.
Die Sorge um eine harmonische Weiterentwicklung innerhalb der
spirituellen und menschlichen Dimension lenkt die
Aufmerksamkeit auf die spezifische Anthropologie der
verschiedenen Kulturen und die Empfänglichkeit der heutigen
Generationen ganz besonders in Bezug auf neue Lebenskontexte.
Nur ein tiefgreifendes Neuverständnis der Symbolik, die das Herz
der heutigen Generationen wirklich berührt, kann vor der Gefahr
bewahren, sich mit einer rein oberflächlichen, von Tendenzen
oder gar der Mode geprägten Zustimmung zufrieden zu geben, bei
der es scheint, dass die Suche nach äußeren Zeichen
identitätsstiftende Sicherheit bietet. Es muss dringend zwischen
den Berufungsmotivationen unterschieden und dabei ein
Schwerpunkt auf die verschiedenen kulturellen Bereiche und
Kontinente gelegt werden.19
15. Obwohl alle Institute in den letzten Jahren ihre jeweilige
Ratio formationis festgelegt haben, wird die Umsetzung des
Bildungsweges oft improvisiert und unterschätzt. Dies geschieht
insbesondere in den Fraueninstituten, wo dringende Aufgaben
der Werke häufig Vorrang vor einem fruchtbaren,
systematischen und organischen Bildungsweg haben. Unter dem
19 Vgl. KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Neubeginn in Christus, Ein
neuer Aufbruch des geweihten Lebens im Dritten Jahrtausend. Instruktion
(19. Mai 2002), 19: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.):
Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 155 (Bonn 2002), S. 2728.

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29
Druck der Arbeit und Pflichten wird die Bewältigung des
laufenden Lebens der Gemeinschaften zu einer immer größeren
Belastung und droht zu einem schädlichen Rückschritt
gegenüber dem direkt nach dem Konzil eingeschlagenen Weg zu
werden.
In dieser Hinsicht sollten sowohl der gelegentliche Besuch
theologischer Kurse als auch die ausschließliche Belegung von
professionellen Studiengängen vermieden werden, indem eine
ausgewogene Ausbildung für das geweihte Leben garantiert wird.
Eines der Risiken besteht nämlich darin, dass jeder sich seine
eigene Welt aufbaut und den Zugang dazu eifersüchtig vor allen
Bitten um eine gemeinsame Nutzung verschließt. So sollten wir
in naher Zukunft nicht nur junge Geweihte mit akademischen
Titeln haben, sondern auch mit einer Ausbildung in der
Identifikation mit den Werten für ein Leben in der Nachfolge
Christi.
16. In mehreren Instituten fehlt es an Personen, die entsprechend
für Ausbildungsaufgaben ausgebildet sind. Dieser Mangel ist
relativ verbreitet und betrifft insbesondere die kleinen
Institute, die ihre Tätigkeit auch auf andere Kontinente
ausgeweitet haben. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass
Ausbildung nicht improvisiert werden kann, sondern weit im
Voraus kontinuierlich vorbereitet werden muss. Ohne eine
solide Ausbildung der Ausbilder ist keine wirklich Erfolg
versprechende Begleitung der jüngeren Mitglieder durch
Brüder und Schwestern möglich, die richtig für dieses Amt
ausgebildet und zuverlässig sind. Damit eine Ausbildung
erfolgreich ist, muss sie pädagogisch auf den Betreffenden
zugeschnitten sein und darf sich nicht auf ein für alle gleiches
Angebot an Werten, Spiritualität, Zeit, Stil und Modalitäten
beschränken. Wir stehen vor der Herausforderung einer
individuell gestalteten Ausbildung, in die das

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30
Initiationsmodell tatsächlich wieder Eingang findet. Die
Initiation erfordert Kontakt zwischen Lehrer und Schüler, die
ihren Weg vertrauens- und hoffnungsvoll Seite an Seite
zurücklegen.
In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass
Ausbilderinnen und Ausbilder sehr sorgfältig ausgewählt werden
müssen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, den ihnen anvertrauten
Menschen „die Schönheit der Nachfolge des Herrn und den Wert
des Charismas, in dem diese sich erfüllt“20 zu vermitteln. Von
ihnen wird hauptsächlich verlangt, dass sie „erfahrene Personen
auf dem Weg der Suche nach Gott “21 sind.
Zu oft werden die jungen Frauen und Männer vorschnell für die
Erledigung dringender und belastender Tätigkeiten
herangezogen, wodurch es ihnen recht schwer gemacht wird, sich
einer ernsthaften Ausbildung zuzuwenden. Diese darf nicht nur
dem anvertraut werden, der direkt mit der Ausbildung der
jüngsten Mitglieder beauftragt ist, so als wäre diese nur sein
Problem, sondern hier ist die gesamte Gemeinschaft zur
Mitwirkung und entsprechenden harmonischen Präsenz
aufgefordert, da dies der Ort ist, an dem „die Einweihung in die
Mühe und in die Freude des Zusammenlebens“22 erfolgt. In der
Brüderlichkeit lernt ein jeder mit dem zu leben, den Gott neben
ihn gestellt hat, indem er seine positiven Wesensmerkmale und
zugleich seine Andersartigkeit und seine Grenzen annimmt. Und
in der Brüderlichkeit lernt man, die für die Erbauung aller
empfangenen Gaben mit den anderen zu teilen. In der
20 PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita
Consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
(25. März 1996), 66: a. a. O., S. 80.
21 Ebd.
22 Ebd., 67: a. a. O., S. 81.

4 Pages 31-40

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4.1 Page 31

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31
Brüderlichkeit lernt man die missionarische Dimension der
Weihe.23
In der Weiterbildung existiert das Risiko, dass viel darüber
gesprochen, aber wenig getan wird. Es reicht nicht aus,
theoretische Informationskurse über Theologie zu veranstalten
und spirituelle Themen zu behandeln, sondern es muss dringend
eine Fortbildungskultur entwickelt werden. Zu dieser Kultur
sollte nicht nur die Ausarbeitung theoretischer Konzepte gehören,
sondern auch die Fähigkeit zur Verarbeitung und Überprüfung
des konkret in der Gemeinschaft Erlebten. Außerdem sollte
Fortbildung, als Gelegenheit zur Reflexion und Überprüfung,
nicht mit einer Art religiösem Tourismus verwechselt werden, der
sich mit einem erneuten Besuch der Entstehungsorte des Instituts
zufrieden gibt. Ebenfalls besteht die
Gefahr, dass Ausbildungsmöglichkeiten an besondere
Gelegenheiten (Gedenkfeiern des Instituts, wiederkehrende
Feierlichkeiten zur 25- oder 50-jährigen Profess) geknüpft
werden, beinahe so, als wäre es kein Bedürfnis, das der Dynamik
der Treue in den verschiedenen Lebensphasen innewohnt.24
Es wird immer wichtiger, dass im Rahmen der Weiterbildung
auch eine seriöse Einweisung in die Leitungstätigkeit erfolgt. Bei
dieser im Leben der Gemeinschaft wirklich grundlegenden
Aufgabe wird manchmal improvisiert, und sie wird
unangemessen und lückenhaft erledigt.
23 Vgl. ebd.
24 Vgl. ebd., 70, 71: a. a. O., S. 8386.

4.2 Page 32

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32
Beziehung im humanum
Wechselbeziehung zwischen Mann und Frau
17. In Bezug auf Lebensmodelle, Organisations- und
Leitungsstrukturen, Sprachgebrauch und kollektive
Vorstellungswelt haben wir eine Mentalität geerbt, die
tiefgreifende Unterschiede zwischen Mann und Frau in der
Vordergrund gestellt und ihnen nicht dieselbe Würde
zugesprochen hat. Nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in
der Kirche haben einseitige Vorurteile verhindert, dass die Gaben
des echten Genius der Frau 25 und ihr ureigener Beitrag
anerkannt wurden. Diese Art von Unterschätzung betraf vor
allem die geweihten Frauen, die man nur am Rande des Lebens,
der Seelsorge und der Mission der Kirche hat wirken lassen.26 Im
Zuge der nachkonziliaren Erneuerung wurde der Rolle der Frau
ein höherer Stellenwert auf breiterer Basis zugemessen. Das 20.
Jahrhundert wurde vor allem aufgrund des wiedererwachten
weiblichen Bewusstseins in der modernen Kultur, in dem der hl.
Johannes XXIII. 50 Jahre zuvor eines der deutlichsten „Zeichen
der Zeit“ erkannt hatte, als „Jahrhundert der Frau“27 bezeichnet.
Trotzdem gab es in der kirchlichen Gemeinschaft und zum Teil
auch unter den geweihten Frauen selbst noch lange Zeit
Widerstände gegen dieses neue Empfinden. Ein besonderer
Impuls kam in jüngster Zeit vom Lehramt selbst, das die Frauen
zu diesem Bewusstsein für ihre Würde ermutigt hat. Dies ist
insbesondere das Verdienst der Päpste Paul VI., Johannes Paul
II. und Benedikt XVI., die wertvolle Lehren zu dem Thema
25 Vgl. ebd., 58: a. a. O., S. 67.
26 Vgl. ebd., 57: a. a. O., S. 6667.
27 PAPST JOHANNES XXIII., Enzyklika Pacem in terris zum Frieden unter
allen Völkern (11. April 1963), 22.

4.3 Page 33

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33
aufgezeigt haben. Viele geweihte Frauen haben heute eine
positive Einstellung, wodurch der Entwicklungsprozess einer
biblischen Sicht des humanum gegenüber einer Gesellschaft
unterstützt wird, die in ihren Denkschemata und ihrer
gesellschaftspolitisch-religiösen
Organisation
von
chauvinistischen Stereotypen geprägt ist. Solidarisch stellen sich
die geweihten Frauen an die Seite derjenigen Frauen, die in
verschiedenen Kontexten der Welt leidvolles Unrecht und
Ausgrenzung erfahren. Wertvoll ist hier der Beitrag derjenigen
unter ihnen, die die biblische Offenbarung mit den Augen der
Frau neu deuten und so neue Horizonte und Stile entdecken, um
das Charisma des Frauseins 28 kreativ zu leben. Ziel dieser
intelligenten, vom Glauben und von der Leidenschaft für die
Kirche erleuchteten Tätigkeit ist es, brüderliche und
schwesterliche Beziehungen zwischen den geweihten Frauen
und Männern innerhalb der Kirche zu fördern, damit diese zu
einem anthropologisch nachhaltigen Vorbild werden.
18. Trotz des zurückgelegten Weges muss man erkennen,
dass noch keine ausgewogene Synthese und keine Bereinigung
der aus der Vergangenheit übernommenen Schemata und
Modelle erreicht worden ist. Es gibt weiter Hindernisse in den
Strukturen, und es existiert immer noch etliches an Misstrauen,
wenn geprüft wird, ob Frauen in der Kirche und in der konkreten
Leitung des geweihten Lebens „Räume zur Mitwirkung in
verschiedenen Bereichen und auf allen Ebenen eröffnet werden,
auch in den Prozessen der Entscheidungsfindung, vor allem dort,
28 Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Mulieris
dignitatem über die Würde und Berufung der Frau anlässlich des
Marianischen Jahres (15. August 1988), 29: Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 86
(Bonn 1988), S. 6365.

4.4 Page 34

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34
wo es um sie selbst geht“29. Die jungen Berufungen, die hier nach
vorne treten, tragen ein natürlich ausgeprägtes weibliches
Bewusstsein in sich. Dieses wird leider nicht immer als Wert
erkannt und angenommen. Die Kritik, mit der eine gewisse
Missbilligung geäußert wird, kommt nicht nur von anderen
geweihten Frauen, sondern auch von einigen Kirchenmännern,
die weiter in chauvinistischen und klerikalen Klischees denken.
Wir sind weit von der Botschaft der Befreiung entfernt, die wir
von Christus erhalten haben und die die Kirche „prophetisch
verbreiten müsste, indem sie Denk- und Verhaltensweisen
fördert, die dem Willen des Herrn entsprechen“30. Ebenso wie der
hl. Johannes Paul II. hat auch Papst Franziskus oft wiederholt:
„Deshalb ist das Bestreben der Frau des geweihten Lebens
gerechtfertigt, ihre Identität, ihre Fähigkeit, ihre Sendung, ihre
Verantwortung sowohl im Bewusstsein der Kirche als auch im
täglichen Leben klarer anerkannt zu sehen“.31
Im Umfeld des geweihten Lebens fehlt es in der Beziehung
zwischen Mann und Frau an echter Reife: Geeignete
pädagogische Maßnahmen für junge Menschen sind dringend
nötig, um ein gesundes Gleichgewicht zwischen Identität und
Andersartigkeit zu erreichen. Ebenso sollte den Alten geholfen
werden, das Positive an einer respektvollen und entspannten
Beziehung zu erkennen. Wir können von einer kognitiven
Dissonanz sprechen, die zwischen alten und jungen Ordensleuten
existiert. Bei den einen sind die Beziehungen zu Weiblichem und
Männlichem von viel Zurückhaltung oder gar von Ablehnung
29 PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita
Consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
(25. März 1996), 58: a. a. O., S. 67.
30 Ebd., 57: a. a. O., S. 67.
31 Ebd.

4.5 Page 35

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35
geprägt, bei den anderen von Offenheit, Spontanität und
Natürlichkeit.
Ein weiterer erwähnenswerter Aspekt ist die Schwäche, die man
im Innern der Institute in Bezug auf diesen
anthropologischkulturellen Prozess einer tatsächlichen
Integration der weiblichen und männlichen Sensibilität und ihrer
wechselseitigen Komplementarität feststellt. Der hl. Johannes
Paul II. hat den Wunsch der geweihten Frauen nach „Räumen zur
Mitwirkung in verschiedenen Bereichen und auf allen Ebenen“32
als berechtigt anerkannt. De facto sind wir in der Praxis jedoch
noch weit davon entfernt. Und man riskiert, die Kirche selbst
massiv ärmer zu machen, wie Papst Franziskus gesagt hat:
„Schränken wir den Einsatz der Frauen in der Kirche nicht ein,
sondern fördern wir ihre aktive Rolle in der kirchlichen
Gemeinschaft. Wenn die Kirche die Frauen verliert, in ihrer
totalen und realen Dimension, riskiert sie, unfruchtbar zu
werden.“33
Dienst der Autorität
19. Die Autorität ist von der derzeitigen Krise innerhalb des
geweihten Lebens nicht ausgenommen. Bei einer ersten Analyse
bestimmter Situationen zeigt sich noch die Tendenz zu einer auf
die Leitungsspitze konzentrierten Zentralisierung in der
Ausübung der Autorität auf lokaler Ebene und auch weiter oben,
wobei die erforderliche Subsidiarität umgangen wird. In einigen
Fällen könnte es verdächtig wirken, dass manche Oberen darauf
bestehen, ihre Autorität sei an ihre Person gebunden. Dies kann
32 Ebd., 58: a. a. O., S. 67.
33 PAPST FRANZISKUS, Ansprache anlässlich der Begegnung mit den
brasilianischen Bischöfen, Rio de Janeiro (27. Juli 2013).

4.6 Page 36

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36
so weit gehen, dass die Zusammenarbeit mit den Räten in der
Überzeugung, (unabhängig) nach dem eigenen Gewissen zu
handeln, sozusagen vereitelt wird. Das Resultat ist eine schwache
oder wirkungslose Mitverantwortung in der Leitungspraxis oder
im Einzelfall, dass nicht entsprechend delegiert wird. Die Leitung
darf sich sicherlich nicht in der Hand einer einzigen Person
konzentrieren, denn so werden kirchenrechtliche Verbote
umgangen. 34 In verschiedenen Instituten gibt es immer noch
Oberinnen und Oberen, die Entscheidungen des Kapitels nicht
gebührend berücksichtigen.
In vielen Fällen überlagern sich General-, Provinz- und
Ortsebene, weil die Eigenständigkeit der jeweiligen Ebene nach
dem Subsidiaritätsprinzip nicht gewährleistet ist. So wird
Mitverantwortung, die Raum für richtige Eigenständigkeit
zulässt, nicht gefördert. Es gibt auch das Phänomen, das Obere
nur darauf bedacht sind, den Status quo beizubehalten, weil „es
immer so gemacht wurde“. Der Aufruf von Papst Franziskus
„wagemutig und kreativ zu sein [...], die Ziele, die Strukturen, den
Stil und die Methoden zu überdenken“3536 gilt genauso für die
Organe und die Leitungspraxis.
20. In Anbetracht solch schwerwiegender Fragen sind von der
Autorität vorab gebildete Mehrheiten sicher keine kluge Praxis,
wenn dabei Überzeugungen und Meinungen, eine korrekte und
ehrliche Unterrichtung und die Klärung von Einwänden
vernachlässigt werden. Noch weniger akzeptabel ist eine
Leitungspraxis, die auf der Logik verschiedener Lager aufbaut
oder sogar auf Vorteilen basiert, die die charismatische
34 Vgl. CIC, c. 636.
35 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013),
36 : a. a. O., S. 31.

4.7 Page 37

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37
Gemeinschaft der Institute zerstören und sich negativ auf das
Zugehörigkeitsgefühl auswirken. Der hl. Johannes Paul II. hat
unermüdlich an die alte Weisheit der monastischen Tradition
„,Der Herr offenbart oft einem Jüngeren, was das Bessere istʻ
(Regula Benedicti, III, 3). erinnert, die in der konkreten
Verwirklichung der Spiritualität der Gemeinschaft zur
Anwendung kommt und die tatsächliche Mitbeteiligung aller
fördert und gewährleistet“37.
Keine Autorität selbst wenn sie der Gründer ist darf meinen,
die ausschließliche Deutungshoheit in Bezug auf das Charisma zu
besitzen und annehmen, sich den Vorschriften des universalen
Kirchenrechts entziehen zu dürfen. Diese Verhaltensweisen
können bei den anderen Mitgliedern der Kirche, 38 der
Ordensfamilie oder der Bezugsgemeinde Misstrauen wecken und
zum Ausdruck bringen.
In den letzten Jahren kam es insbesondere bei den in letzter Zeit
gegründeten Instituten immer wieder zu Vorfällen und
Situationen, in denen die Freiheit und Würde der Personen
manipuliert wurde. Diese wurden nicht nur in eine totale
Abhängigkeit gezwungen, wodurch sie in ihrer Würde und sogar
37 Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Novo millennio
ineunte (6. Januar 2001), 45: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
(Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 150 (Bonn 2001), S. 41;
KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Neubeginn in Christus, Ein
neuer Aufbruch des geweihten Lebens im Dritten Jahrtausend. Instruktion
(19. Mai 2002), 14: a. a. O., S. 2021.
38 Vgl. KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Der Dienst der Autorität
und der Gehorsam. Instruktion (11. Mai 2008), 13f: Sekretariat der
Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen
Stuhls Nr. 181 (Bonn 2008), S. 3132.

4.8 Page 38

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38
in ihren grundlegenden Menschenrechten beschnitten wurden,
sondern sie wurden verschiedentlich hintergangen und unter dem
Vorwand der Treue zu den Plänen Gottes durch das Charisma
sogar dazu veranlasst, sich so weit zu unterwerfen, dass auch die
Sphäre der Moral und selbst der sexuellen Intimität betroffen war.
Zur großen Empörung aller, als die Fakten ans Licht kamen.
21. Im täglichen Dienst der Autorität lässt sich vermeiden,
dass jemand ständig im normalen Tagesablauf um Erlaubnis
fragen muss. Wer Macht ausübt, darf nicht zu infantilen
Einstellungen ermutigen, die zu verantwortungsfreiem Verhalten
führen können. Eine solche Linie wird Menschen wohl kaum zur
Reife führen.
Leider muss man erkennen, dass solche Situationen häufiger
vorkommen, als man zu akzeptieren und zu melden bereit ist.
Besonders deutlich ist dies bei den Fraueninstituten. Dies ist
scheinbar einer der Gründe für die zahlreichen Austritte. Für
einige ist dies die einzige Antwort auf eine Situation, die nicht
mehr zu ertragen ist.
Jedes Austrittsgesuch sollte eine Gelegenheit sein, sich ernsthaft
mit der Verantwortung der gesamten Gemeinschaft und
insbesondere der Oberen auseinanderzusetzen. Es muss klar
gesagt werden, dass autoritäres Verhalten der Lebendigkeit und
Treue der geweihten Personen schadet! Der Kodex bekräftigt
mutig: „Das jedem Institut eigene brüderliche Leben [...] soll so
geregelt werden, dass es durch gegenseitige Unterstützung allen
dazu verhilft, ihre persönliche Berufung zu erfüllen.“39
Wer daher sein Amt ausübt, ohne dem anderen geduldig
zuzuhören und ihn verständnisvoll anzunehmen, bringt sich in
39 CIC, c. 602; vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die
zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 15.

4.9 Page 39

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39
eine Lage, in der er wenig Ansehen bei seinen Mitbrüdern und
Mitschwestern genießt. So muss „die Autorität des Ordensobern
vom Geiste Christi gekennzeichnet sein, der nicht gekommen
ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen“. 40 Diese
Haltung orientiert sich an Jesus, der die Füße seiner Apostel
wäscht, damit sie an seinem Leben und seiner Liebe teilhaben.40
Beziehungsmodelle
22. Zu den neuen Schläuchen, von denen Jesus im Evangelium
spricht, wurde kommentiert, dass die Schläuche nicht automatisch
ersetzt werden, sondern dass dafür Engagement, Geschick und die
Bereitschaft zur Veränderung erforderlich sind. Damit dies
geschieht, muss man großzügig dazu bereit sein, auf jede Form
von Privileg zu verzichten. Es wird darauf hingewiesen, dass
niemand, und schon gar nicht, wer Autorität besitzt, meinen darf,
von dem Verzicht auf bisweilen überholte und schädliche
Schemata ausgenommen zu sein. Keine Veränderung ist möglich,
ohne auf veraltete Schemen zu verzichten, 41 denn nur so können
sich neue Horizonte und Leitungsmöglichkeiten im
Gemeinschaftsleben, in der
Verwaltung der Güter und in der Mission eröffnen. Auf keinen
Fall darf man in einer Haltung verharren, die mehr dem Erhalt
dient als einer authentischen Neuqualifizierung des Stils und der
Einstellungen.
Ein vielsagendes Indiz für diesen Stillstand sind der Fortbestand
der Entscheidungsbefugnis auf der zentralen Ebene und der
seltene Wechsel an der Spitze der Gemeinschaften und Institute.
40 Vgl. KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND

4.10 Page 40

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40
Mit evangeliumsgetreuer Parrhesie müssen wir uns dessen
bewusst sein, dass in einigen Frauenkongregationen Ämter
DIE GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Der Dienst der
Autorität und der Gehorsam. Instruktion (11. Mai 2008), 14b: a. a. O., S.
34.
40 Vgl. ebd., 12: a. a. O., S. 26.
41 ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung
des Ordenslebens Perfectae caritatis, 3.
immerfort besetzt bleiben. Einige Personen bleiben, wenn auch
in unterschiedlichen Funktionen, zu viele Jahre in der Leitung.
Es wäre angebracht, durch spezielle allgemeine Vorschriften
dafür zu sorgen, dass die mittel- und langfristigen Auswirkungen
der verbreiteten Praxis der Kooptation von Mitgliedern der
vorherigen allgemeinen Leitungen in verantwortungsvolle
Ämter gemildert werden. Mit anderen Worten Vorschriften, die
eine Beibehaltung der Ämter nach Ablauf der kirchenrechtlichen
Fristen verhindern, ohne dass dabei auf Methoden
zurückgegriffen werden kann, die in der Realität genau das
umgehen, was die Vorschriften zu verhindern versuchen.
23. Ein weiterer Punkt, den wir nicht verbergen dürfen, ist die
zunehmende Klerikalisierung des geweihten Lebens in den
letzten Jahrzehnten. Eines der deutlichsten Phänomene ist die
Krise der Mitgliedszahlen in den Laienorden.41
Ein weiteres Phänomen sind die Presbyter in den Orden, die fast
ausschließlich dem Leben der Diözese und weniger dem der
41 Vgl. KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Identität und Sendung des
Ordensbruders in der Kirche, LEV (Vatikanstadt 2013).

5 Pages 41-50

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5.1 Page 41

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41
Gemeinschaft ergeben sind, die dadurch geschwächt
zurückbleibt.
Die theologische und ekklesiologische Reflexion über die Rolle
und Funktion der Presbyter in den Orden bleibt offen,
insbesondere wenn sie einen Seelsorgedienst wahrnehmen.
Ebenso müsste man sich mit dem Phänomen der Priester in den
Orden auseinandersetzen, die vom Bischof ohne die
entsprechende Klärung und die nötigen Feststellungen
wohlwollend in eine Diözese aufgenommen werden. Umgekehrt
muss ebenfalls darüber gewacht werden, wie leicht einige
Ordensinstitute ohne entsprechende Klärung Seminaristen
aufnehmen, die aus den Seminaren der Diözese oder anderen
Instituten entlassen wurden. 42 Diese drei Punkte dürfen auch
deshalb keineswegs unbeachtet bleiben, weil größere Probleme
für die Betroffenen und die Gemeinschaften vermieden werden
müssen.
24. Gehorsam und Dienst der Autorität bleiben höchst
sensible Fragestellungen, denn auch die Kulturen und Modelle
haben tiefgreifende, ungeahnte Veränderungen erfahren, die in
gewisser Hinsicht zumindest auf einige vielleicht sogar
befremdlich wirken. In unserem Lebensumfeld sind die Begriffe
Oberer und Untergebener nicht mehr angemessen. Was in einem
pyramidenförmigen, autoritären Beziehungsumfeld noch
funktioniert hat, ist so, wie wir uns heute gemeinschaftlich als
Kirche empfinden und verstehen, nicht mehr wünschenswert bzw.
menschengerecht. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass echter
Gehorsam nicht umhin kann, sowohl den Gehorsam der Autorität
als auch den des Gehorchenden gegenüber Gott an die erste Stelle
zu stellen, so wie er nicht ohne einen Verweis auf den Gehorsam
42 Vgl. KONGREGATION FÜR DEN KLERUS, Das Geschenk der Berufung zum
Priestertum. Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis (8. De-

5.2 Page 42

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42
Jesu auskommt, einen Gehorsam, der den Ruf der Liebe Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mt 27,46) und
das Schweigen der Liebe des Vaters umfasst. Papst Franziskus
lädt eindringlich dazu ein: „Die Christen aller Gemeinschaften
der Welt möchte ich besonders um ein Zeugnis brüderlichen
Miteinanders bitten, das anziehend und erhellend wird. Damit alle
bewundern können, wie ihr euch umeinander kümmert, wie ihr
euch gegenseitig ermutigt und wie ihr einander begleitet.“44
zember 2016): Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.):
Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 209 (Bonn 2017).
44
PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November
2013), 99: a. a. O., S. 7576.
Wahrer Gehorsam schließt also nicht aus, sondern er fordert
sogar, dass jeder seine in der Erkenntnis gereifte eigene
Überzeugung äußern darf, auch wenn besagte Überzeugung nicht
mit dem übereinstimmt, was der Obere verlangt. Wenn sich dann
ein Bruder oder eine Schwester im Namen der Gemeinschaft
spontan zum Gehorsam entschließen, auch wenn sie etwas
Besseres sehen, dann wird caritativer Gehorsam43 praktiziert.
Es ist ein weit verbreiteter Eindruck, dass es im Verhältnis
zwischen Oberem und Untergebenem nicht selten an jener
Brüderlichkeit fehlt, die dem Evangelium zugrunde liegt. So wird
der Institution mehr Bedeutung zugemessen als den Menschen,
aus denen sie besteht. Diese Kongregation kann aus Erfahrung
sagen, dass es kein Zufall ist, dass zu den Hauptgründen für den
Austritt eine Schwächung der Glaubensvision, Konflikte im
43 Vgl. FRANZ VON ASSISI, Geistliche Weisungen, III.6.

5.3 Page 43

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43
brüderlichen Leben und ein menschlich schwaches Leben der
Brüderlichkeit zählen.
Der Führungsstil der Gemeinschaft durch die Oberen wird ja im
Kodex gut beschrieben und setzt das um, was Perfectae caritatis
dazu sagt: „Die Oberen haben [...] ihre Untergebenen wie Söhne
Gottes zu leiten und mit Achtung vor der menschlichen Person
deren freiwilligen Gehorsam zu fördern [...] und sollen sich
darum bemühen, eine brüderliche Gemeinschaft in Christus
aufzubauen, in der Gott vor allem gesucht und geliebt wird.“44
25. Besondere Bedeutung und Berücksichtigung verdient das
Verhältnis zwischen dem Oberen und dem Gründer bei
Neugründungen. Zwar müssen wir dem Heiligen Geist für so
viele Charismen danken, die das kirchliche Leben lebendig
machen, doch können wir nicht unsere Ratlosigkeit in Anbetracht
von Einstellungen verhehlen, bei denen man häufig auf ein
eingeschränktes Verständnis von Gehorsam stößt, das gefährlich
werden kann. In einigen Fällen wird nicht die Mitwirkung in
„aktivem und verantwortlichem Gehorsam“45 gefördert, sondern
eine kindliche Unterwerfung und skrupulöse Abhängigkeit. Auf
diese Weise kann die Würde der Person bis zur Erniedrigung hin
verletzt werden.
Bei solch neuen Erfahrungen oder in anderen Zusammenhängen
wird die Unterscheidung zwischen forum externum und forum
internum nicht immer richtig berücksichtigt und angemessen
respektiert.46 Wird diese Unterscheidung sichergestellt, werden
eine unrechtmäßige Einmischung und somit Situationen
verhindert, in denen mangelnde innere Freiheit und
44 CIC, c. 618619; vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die
zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 14.
45 Ebd.
46 Auf dieses Thema legt c. 630 einen besonderen Schwerpunkt.

5.4 Page 44

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44
psychologische Abhängigkeit entstehen, die Anlass für eine Art
Gewissenskontrolle sein könnten. In diesen wie in anderen Fällen
geht es darum, die Mitglieder nicht zu übermäßiger Abhängigkeit
zu verleiten, die Formen der Hörigkeit bis hin zur psychischen
Gewalt auslösen kann. In diesem Bereich erweist es sich
außerdem als notwendig, die Figur des Oberen von der des
Gründers zu trennen.
26. Ein nivelliertes Gemeinschaftsleben, das keinen Raum für
Echtheit, Verantwortungsgefühl und herzliche brüderliche
Beziehungen zulässt, führt zu einem dürftigen Miteinander im
realen Leben. Die Kompromittierung dieser Beziehungen tritt
deutlich zutage in der konkreten Art und Weise, die
Gütergemeinschaft nach dem Evangelium zu leben, wodurch sich
die brüderlichen Beziehungen ändern. Papst Franziskus warnt:
„Die Finanzkrise, die wir durchmachen, lässt uns vergessen, dass
an ihrem Ursprung eine tiefe anthropologische Krise steht: die
Leugnung des Vorrangs des Menschen!“47
Das geweihte Leben war in seiner langen Geschichte immer dann
dazu fähig, sich prophetisch zu widersetzen, wenn die
wirtschaftliche Macht die Menschen und insbesondere die
Ärmsten zu erniedrigen drohte. In der heutigen weltweiten
Finanzkrise, auf die Papst Franziskus immer wieder hinweist,
sind die Geweihten dazu aufgerufen, wahrhaft treu und kreativ zu
sein, um die Prophezeiung des gemeinsamen Lebens im Inneren
und die Solidarität nach außen besonders gegenüber den Armen
und den Schwächsten nicht zu vernachlässigen.
Aus der häuslichen Ökonomie sind Verwaltungs- und
Steuerungsprozesse geworden, die sich sozusagen unserer
47 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013),
55: a. a. O., S. 46.

5.5 Page 45

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45
Kontrolle entziehen, die aufzeigen, wie unsicher, und mehr noch,
wie schlecht wir vorbereitet sind. Wir müssen uns endlich wieder
auf wirtschaftliche und finanzielle Transparenz konzentrieren.
Dies ist der erste Schritt, um den echten Sinn der realen
Gütergemeinschaft innerhalb der Gemeinschaften
wiederherzustellen und diesen Besitz konkret mit denen, die an
unserer Seite leben, zu teilen.
27. In den Gemeinschaften soll die Verteilung der Güter
immer gerecht und in gemeinsamer Verantwortung erfolgen. In
manchen Fällen trifft man auf Systeme, die man fast als Verrat an
den unverzichtbaren Grundfesten des Lebens in
Brüderlichkeit bezeichnen könnte, während doch gilt: „Wer die
Autorität ausübt, ist angehalten, die Würde der Person zu
fördern“48. Man darf keinen Führungsstil akzeptieren, bei dem die
wirtschaftliche Eigenständigkeit der einen der Abhängigkeit der
anderen gegenüber steht, denn dadurch werden das beiderseitige
Zugehörigkeitsgefühl und die Sicherstellung von Gerechtigkeit
untergraben, selbst wenn die Unterschiedlichkeit der Rollen und
Dienste anerkannt wird.
Die Regel über den Lebensstil der geweihten Frauen und Männer
entbindet nicht von einer ernsthaften und besonnenen
Einschätzung der Armut des Instituts als Bewertung, Maßnahme
und bedeutsames Zeugnis in der Kirche und im Volk Gottes.
28. Die geweihten Frauen und Männer, die in der
Anerkennung verwurzelt sind, dass das Sein über dem Haben
steht und die Ethik über der Wirtschaft, müssten als Seele ihres
Handelns eine Ethik der Solidarität und des Teilens vertreten und
48 KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Der Dienst der Autorität und
der Gehorsam. Instruktion (11. Mai 2008), 13c: a. a. O., S. 29.

5.6 Page 46

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46
vermeiden, dass die Verwaltung der Mittel ausschließlich in der
Hand einiger weniger liegt.
Die Institutsleitungen sind kein geschlossener Kreis, andernfalls
drücken sie nicht die Summe der Ekklesialität aus. Der Besitz der
Institute ist Kirchenbesitz und trägt nach der Art des Evangeliums
zu eben jenen Zielen der Förderung des Menschen, der Sendung
und des karitativen und solidarischen Teilens mit dem Volk
Gottes bei: Besonders das Bemühen und die Sorge um die Armen
können, wenn sie als gemeinsame Verpflichtung gelebt werden,
dem Institut neue Lebenskraft schenken.
Diese Solidarität, die sicherlich innerhalb aller Institute und
Bruderschaften gelebt wird, muss auch auf andere Institute
ausgedehnt werden. In dem Apostolischen Schreiben an alle
Geweihten lädt Papst Franziskus zur „Gemeinschaft zwischen den
Mitgliedern der verschiedenen Institute“49 ein. Warum sollte man
nicht auch an eine effektive Gemeinschaft im wirtschaftlichen
Bereich gerade mit jenen Instituten denken, die Notsituationen
erleben, und seine Mittel gemeinsam einbringen?50 Dies wäre ein
schönes Zeugnis für Gemeinschaft innerhalb des geweihten
Lebens, ein prophetisches Zeichen in dieser unserer Gesellschaft,
die beherrscht ist von einer „neuen Tyrannei, die einseitig und
49 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben an alle Geweihten zum Jahr
des geweihten Lebens (21. November 2014), II, 3.
50 Vgl. KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND
DIE GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Richtlinien für die
Verwaltung der kirchlichen Güter der Institute des geweihten Lebens und
der Gesellschaften apostolischen Lebens (2. August 2014), 2.3:
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des
Apostolischen Stuhls Nr. 198 (Bonn 2014), S. 17.

5.7 Page 47

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47
unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt“ 51 , einer
Tyrannei der Macht und des Besitzes, die „keine Grenzen
kennt“52.
III. Neue Schläuche bereiten
29. Jesus hat seine Jünger viele Male davor gewarnt, sich dazu
verleiten zu lassen, die Neuheit der Evangeliumsverkündigung
auf die alten Gewohnheiten zurückzuführen, da so die Gefahr
besteht, dass sie auf ein Ethos der reinen Wiederholung reduziert
wird. Zusammen mit dem Gleichnis vom jungen Wein, der in
neue Schläuche gefüllt wird, sind wir dazu aufgerufen, uns von
der Logik der Seligpreisungen leiten zu lassen. Die Bergpredigt
ist die Magna Charta für den Weg eines jeden Jüngers und
Schülers: Ihr habt gehört, dass gesagt wurde [...] Ich aber sage
euch (vgl. Mt 5,21.27.33.38.43). Wenn dies die Richtung ist, in
die man gehen soll, so warnt uns der Herr auch vor jeder Gefahr
einer Rückkehr zum Legalismus: Hütet euch vor ... (Mk 8,15; Mt
16,11; Lk 12,15).
Alle Worte und Gesten Jesu drängen beständig dazu, sich für die
Neuheit des Reiches endlos zu öffnen. Der erste Schritt dieser
Öffnung ist das Erkennen und die Ablehnung all dessen, was im
Widerspruch zu den Grundwerten der Gottestreue steht, die sich
in der Bereitschaft zum Dienst manifestiert: Bei euch aber soll es
nicht so sein (vgl. Mk 10,43). Das Leben Jesu Christi ist die
Geschichte einer neuen Praxis, in der das neue Leben seiner
Jünger verwurzelt ist, die dazu aufgerufen sind, empfänglich für
51 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013),
56: a. a. O., S. 47.
52 Vgl. ebd.

5.8 Page 48

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48
die neuen Denkweisen und neuen Prioritäten des Evangeliums zu
sein.
Treue im Heiligen Geist
30. Die Auseinandersetzung mit den noch
offenen
Herausforderungen aus dem ersten Teil dieser Leitlinien muss uns
gemäß dem Evangelium zu dieser Schwelle führen, an der wir
bereitwillig die problematischen Punkte erkennen, um neue Pfade
der Hoffnung für alle zu eröffnen. Hier kann analog das gelten,
was Papst Franziskus empfiehlt: „Die Seelsorge unter
missionarischem Gesichtspunkt verlangt, das bequeme pastorale
Kriterium des ,Es wurde immer so gemachtʻ aufzugeben. Ich lade
alle ein, wagemutig und kreativ zu sein in dieser Aufgabe, die
Ziele, die Strukturen, den Stil und die EvangelisierungsMethoden
der eigenen Gemeinden zu überdenken.“53
Es geht also darum, neue Wege zur Authentizität eines
charismatischen Zeugnisses des geweihten Lebens nach dem
Evangelium zu entdecken, diese zu erkennen und dann die
notwendigen Prozesse der Reinigung und Heilung vom Sauerteig
der Bosheit und Schlechtigkeit (vgl. 1 Kor 5,8) einzuleiten. In
diesem fesselnden und anspruchsvollen Prozess sind Spannungen
und Leid unvermeidlich und können ein Zeichen dafür sein, dass
etwas Neues im Entstehen ist. In Wirklichkeit stehen wir bereits
an der Schwelle neuer Synthesen, die in unserem Herzen mit
53 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013),
33: a. a. O., S. 3031.

5.9 Page 49

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49
unaussprechlichen Seufzern (vgl. Röm 8,23.26) und mit
geduldigem Praktizieren der karitativen Treue54 entstehen.
31. Papst Franziskusʼ tägliche Ermahnungen zu freudiger
Evangelizität ohne Heuchelei spornen zu einer
Vereinfachung an, die den Glauben der Einfachen und den
Wagemut der Heiligen wiederentdecken soll. Die
Ursprünglichkeit des Evangeliums (Mk 10,43), dessen
Fleisch gewordene Prophezeiung das geweihte Leben sein
will, erfolgt über konkrete Einstellungen und
Entscheidungen: den Vorrang des Dienens (Mk 10,43
45), den beständigen Weg zu den Armen und die
Solidarität mit den Kleinsten (Lk 9,48); die Förderung der
Würde des Einzelnen, egal, in welcher Situation er lebt
und leidet (Mt 25,40); die Subsidiarität als Übung des
gegenseitigen Vertrauens und großzügigen Mitwirkens
aller und mit allen.
32. Um auf die Rufe des Geistes und die Provokationen der
Geschichte antworten zu können, sollte daran erinnert
werden, dass „das geweihte Leben als entscheidendes
Element für die Sendung der Kirche in deren Herz und
Mitte steht, da es ,das innerste Wesen der christlichen
Berufung offenbartʻ und ,das Streben der ganzen Kirche
als Braut nach der Vereinigung mit dem einen Bräutigam
zum Ausdruck bringtʻ.“ 55 Durch das Zeichenhafte,
welches das geweihte Leben auf dem historischen Weg
des Volkes Gottes prägt, erhält es einen privilegierten
Platz in der Linie der evangelischen Prophezeiung. Diese
54 Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Vita Consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und
Welt (25. März 1996), 37: a. a. O., S. 4748.
55 Ebd., 3: a. a. O., S. 10.

5.10 Page 50

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50
prophetische Linie ist Zeichen und Ergebnis seiner
charismatischen Natur, durch die es zur Erfindungsgabe
und Ursprünglichkeit befähigt wird. Dies erfordert,
beständig für die vom Heiligen Geist gesandten Zeichen
bereit zu sein und sogar das Säuseln zu hören (vgl. 1 Kön
19,12). Nur durch diese Haltung können die
geheimnisvollen Wege (vgl. Joh 3,8) der Gnade erkannt
werden, bis neue Hoffnung in der Fruchtbarkeit des
Wortes (vgl. Joh 4,35) erwacht.
33. Die Identität stellt sich in ihrer gesamten Tragweite nicht
als unbewegliche, theoretische Tatsache dar, sondern als
gemeinsam
erlebter
Wachstumsprozess.
Generationengefälle, Inkulturation und Multi- und
Interkulturalität, die die Institute des geweihten Lebens
immer mehr zu Orten der Mühe machen, können zu einer
Herausforderung für einen echten gemeinschaftlichen
Dialog in der Warmherzigkeit und Liebe Christi werden.
Nur so fühlt ein jeder sich in das gemeinschaftliche
Projekt einbezogen und für dieses verantwortlich, so „dass
es durch gegenseitige Unterstützung allen dazu verhilft,
ihre persönliche Berufung zu erfüllen“. 56 Diese
Bedürfnisse erfordern eine Änderung der Strukturen,
damit diese allen eine Stütze sind, in einem erneuerten
Vertrauen, das dynamische brüderliche Treue neu
entfacht.
56 CIC, c. 602.

6 Pages 51-60

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6.1 Page 51

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51
Ausbildungsmodelle und Ausbildung der
Ausbilder
34. Der Ausbildungsbereich hat sich in den letzten Jahren im
Hinblick auf Methodik, Sprachgebrauch, Dynamik, Werte, Ziele
und Abschnitte grundlegend verändert. Papst Franziskus betont
dazu: „Man muss immer im Volk Gottes denken, in dieses
hinein. [...] Nicht Verwalter und Geschäftsführer müssen wir
ausbilden, sondern Väter, Brüder und Weggefährten“ 57 , und
weiter:
„Ausbildung ist eine handwerkliche und keine polizeiliche
Tätigkeit“58.
Die Verabschiedung einer eigenen Ratio formationis hat einen
großen Teil der Institute dazu verpflichtet, auf die neuen
Erfordernisse zu reagieren. Dennoch sind erhebliche
Unterschiede in Sprache, Qualität und mystagogischer
Gelehrsamkeit festzustellen. Obwohl noch druckfrisch, sollten
diese im Übrigen voneinander abgeschriebenen Anleitungen
überarbeitet werden, weil die Frage der Ausbildung ein
grundlegender Aspekt für die Zukunft des geweihten Lebens ist.
35. Vor allem für die Weiterbildung muss speziell Sorge
getragen werden, wie der Papst in dem bekannten Dialog mit den
Generaloberen unterstrichen hat.
a) Die Weiterbildung muss an der kirchlichen Identität des
ge-weihten Lebens ausgerichtet werden. Es geht nicht nur um
Weiterbildung im Hinblick auf neue theologische Ansätze, neue
57 PAPST FRANZISKUS, Svegliate il mondo. Colloquio di Papa Francesco con
i Superiori Generali [Erwecket die Welt, Papst Franziskus im Gespräch mit
den Generaloberen], in: La Civiltà Cattolica, 165 (2014/I), 11.
58 Ebd., 10.

6.2 Page 52

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52
Kirchenvorschriften oder neue Studien über die eigene
Geschichte und das Charisma des Instituts. Die Aufgabe besteht
darin, den eigenen Platz in der Kirche im Dienste der Menschheit
zu festigen bzw. oft auch wiederzufinden. Häufig fällt dies
zusammen mit der klassischen zweiten Umkehr, die in
entscheidenden Momenten des Lebens wie der Lebensmitte, in
Krisensituationen oder auch beim Rückzug aus dem
Erwerbsleben aufgrund von
Krankheit oder Alter nötig wird.59
b) Wir alle sind überzeugt, dass man sich ein Leben lang wei-
terbilden muss. Dennoch müssen wir einräumen, dass es noch
keine Weiterbildungskultur gibt. Dieses Defizit ist das Ergebnis
einer eingeschränkten und oberflächlichen Sicht von
Weiterbildung mit der Konsequenz, dass man sich ihrer
Bedeutung nur wenig bewusst ist und der Einzelne kaum
einbezogen wird. In der pädagogischen Praxis haben wir noch
keine konkreten Wege auf der individuellen und
gemeinschaftlichen Ebene gefunden, wodurch sie zu einem
echten Weg der Weiterentwicklung in kreativer Treue mit
nennenswert nachhaltigen Auswirkungen auf das konkrete Leben
würde.
c) Insbesondere setzt sich nur mühsam der Gedanke durch,
dass es sich nur dann um wirkliche Weiterbildung handelt, wenn
diese planmäßig im Alltag verankert ist. Es besteht immer noch
eine schwache bzw. soziologische Interpretation von
Weiterbildung, die an eine einfache Fortbildungspflicht gebunden
ist oder an die eventuelle Forderung nach einem geistlichen
59 Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Vita Consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und
Welt (25. März 1996), 70: a. a. O., S. 8385.

6.3 Page 53

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53
Aufschwung und nicht an eine beständige Haltung des
Zuhörens und gemeinsamen Erlebens von Rufen,
Problemstellungen und Horizonten. Jeder ist dazu aufgerufen,
sich vom Leben und von der Geschichte, von dem, was
verkündet und zelebriert wird, von den Armen und
Ausgeschlossenen, von den Nahen und Fernen berühren, bilden,
provozieren und erleuchten zu lassen.
d) Außerdem muss die Rolle der anfänglichen Ausbildung
ge-klärt werden. Sie darf sich nicht damit begnügen, zu
Fügsamkeit, gesunden Gebräuchen und Traditionen in einer
Gruppe zu erziehen, sondern muss den jungen geweihten
Menschen wahrhaftig docibilis machen. Das bedeutet, ein Herz
zu formen, das frei ist, um aus der Geschichte des Alltags für das
gesamte Leben im Stile Christi zu lernen, um sich in den Dienst
aller zu stellen. e) Bei diesem Thema ist es vor allem unerlässlich,
sich Gedanken über die strukturell-institutionelle Dimension der
Fortbildung zu machen. So wie seinerzeit nach dem Konzil von
Trient Seminare und Noviziate für die Grundausbildung
eingerichtet wurden, sind wir heute dazu aufgerufen, Formen und
Strukturen zur Unterstützung der Geweihten auf ihrem Weg zu
schaffen, damit diese sich so ausrichten können, wie es dem Sohn
Gottes entspricht (vgl. Phil 2,5). Dies wäre ein äußerst
vielsagendes institutionelles Zeichen.
36. Die Oberen sind dazu aufgerufen, den Geweihten bei
allen Problemen beizustehen, mit denen diese auf ihrem Weg auf
persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene konfrontiert sind. Es
ist die besondere Aufgabe der Oberen, diejenigen, die in der
Ausbildung stehen oder aus unterschiedlichen Gründen in diese
zurückkehren, in einem ehrlichen und konstruktiven Dialog zu
begleiten. Die zu Tage getretenen Schwierigkeiten machen die
Förderung eines brüderlichen Lebens nötig, in dem
Gleichgewicht herrscht zwischen menschlichen und

6.4 Page 54

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54
evangelischen Elementen, damit jeder sich mitverantwortlich
fühlt und gleichzeitig als unverzichtbar erkannt wird,
Brüderlichkeit zu schaffen. Denn Brüderlichkeit ist der Ort einer
herausragenden Weiterbildung.
37. Auf neue Professionalität muss auch in der Ausbildung
von Ausbildern im multikulturellen Kontext angemessen
hingewirkt werden. „Gute Strukturen helfen, aber sie reichen
allein nicht aus.“ 60 Provinzübergreifende oder internationale
Strukturen für die Ausbildung der Kandidaten bringen die feste
Einbindung von Ausbildern und Ausbilderinnen mit sich, die
tatsächlich davon überzeugt sind, dass „das Christentum nicht
über ein einziges kulturelles Modell verfügt, sondern dass ,es voll
seine eigene Identität in totaler Treue zur Verkündigung des
Evangeliums und zur Tradition der Kirche bewahrt und auch das
Angesicht der vielen Kulturen und Völker trägt, in die es
hineingegeben und verwurzelt wirdʻ“. 61 Dies beinhaltet die
Fähigkeit und Demut, ein kulturelles System nicht von oben
aufzuerlegen, sondern jede Kultur mit dem Samen des
Evangeliums und ihrer eigenen charismatischen Tradition zu
befruchten und dabei sorgfältig die „selbstgefällige
Sakralisierung der eigenen Kultur“62 zu vermeiden.
Eine Synergie aus neuem Wissen und Kompetenzen kann in der
Ausbildungsbegleitung in speziellen multikulturellen Kontexten
vorteilhaft sein, damit Formen der Assimilierung oder
Vereinheitlichung überwunden werden, die dann langfristig auf
60 PAPST BENEDIKT XIV., Enzyklika Spe Salvi über die christliche Hoffnung
(30. November 2007), 25: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
(Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 179 (Bonn 2007), S. 34.
61 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013),
116: a. a. O., S. 86.
62 Ebd., 117: a. a. O., S. 87.

6.5 Page 55

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55
dem Ausbildungsweg und auch danach wieder zum Vorschein
kommen und Probleme auslösen, die sich negativ auf das
Zugehörigkeitsgefühl zu dem Institut und das Durchhalten in der
Berufung für die Nachfolge Christi auswirken.
Zu einer Relationalität im Sinne des
Evangeliums
Gegenseitigkeit und multikulturelle Prozesse
38. Über das geweihte Leben der Frauen nachzudenken
bedeutet, sich unter Berücksichtigung der Komplexität unserer
Zeit konkret mit den Institutionen und den geweihten Frauen als
einzelnen wie auch als Gemeinschaft auseinanderzusetzen. Hier
ist zur Kenntnis zu nehmen, dass das Lehramt in den letzten
Jahren insbesondere mit Mulieris dignitatem (1988) eine
respektvolle Sichtweise der kulturellen und kirchlichen Prozesse
in Bezug auf die weibliche Identität angemahnt und vertreten hat,
die sich deutlich (oder manchmal latent) auf das Erleben der
Institute auswirkt.
Die kulturellen Unterschiedlichkeiten verpflichten insbesondere
zu einem zweigleisigen Weg der Verwurzelung in dem eigenen
besonderen kulturellen Sein und in der Fähigkeit, dessen Grenzen
dann immer weiter im Sinne des Evangeliums zu überschreiten.
Mit der Profess entscheiden sich die Geweihten für ein Leben in
Mediation zwischen ihrer besonderen kulturellen Prägung und
ihrem Streben nach einem evangeliumsgemäßen Leben, die ihren
Horizont zwangsläufig erweitert und ihre Sensibilität vertieft.
Diese Mediationsfunktion muss dringend erforscht werden, ohne
sie den Partikularismen der kulturellen Vielfalt unterzuordnen.
In dieser Hinsicht erscheint es eindeutig notwendig, die Theologie
des geweihten Lebens in ihren Grundaspekten nochmals zu

6.6 Page 56

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56
überdenken und die Gesuche aus den Kreisen der Frauen zu
erhören und mit denen der Männer zu verbinden. Der Akzent auf
dem Besonderen darf nicht die Zugehörigkeit zur gemeinsamen
Menschheit überlagern. Interdisziplinäre Ansätze sollten daher
nicht nur in den Bereich der Theologie wiedereingebracht
werden, sondern auch in die
Humanwissenschaften mit ihren zahlreichen Ausprägungen.
39. Insbesondere sollte man sich unbedingt gezielt mit der
übereilten Internationalisierung befassen, die in letzter Zeit vor
allem in den Fraueninstituten mittels improvisierter Lösungen
erfolgt ist, ohne besonnen Schritt für Schritt vorzugehen. Hier ist
zur Kenntnis zu nehmen, dass die geographische Erweiterung
ohne eine angemessene Überprüfung der Stile und Strukturen,
Denkschemata und kulturellen Kenntnisse erfolgt ist, die eine
echte Inkulturation und Integration ermöglichen sollen.
Insbesondere betrifft diese fehlende Erneuerung die Aufwertung
der Art und Weise, sich in Kirche und Gesellschaft als Frau zu
fühlen, wie auch das päpstliche Lehramt es aufgezeigt hat. Das
gering ausgebildete Bewusstsein dafür oder gar die Verdrängung
der Frauenfrage wirken sich negativ auf die heutigen
Frauengenerationen aus und schaden ihnen sehr. Vielen Frauen,
die sich einem Institut anvertraut haben, um in die Nachfolge
Christi eingeführt und für diese ausgebildet zu werden, fühlen
sich nämlich verpflichtet, Verhaltensmodelle zu übernehmen, die
vor allem im Hinblick auf die Rollen veraltet sind und mehr an
„Knechtschaft“ als an einen Dienst in Freiheit im Sinne des
Evangeliums erinnern.
40. Die Internationalisierungsprozesse müssten alle Institute
(Männer- und Frauenorden) dazu verpflichten, zu sogenannten
Versuchsräumen zu werden, in denen unterschiedliche
Empfindungsweisen und Kulturen solidarisch aufgenommen
werden und eine Kraft und Bedeutung gewinnen können, die man

6.7 Page 57

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57
woanders nicht kennt und die daher im höchsten Sinne
prophetisch ist. Dieses solidarische Aufnehmen baut man durch
einen echten Dialog zwischen den Kulturen auf, damit alle sich
zum Evangelium bekehren können, ohne auf die eigenen
Besonderheiten verzichten zu müssen. Ziel des geweihten Lebens
soll es nicht sein, sich als dauerhafter Zustand in den
unterschiedlichen Kulturen zu halten, die man antrifft, sondern
die Umkehr im Sinne des Evangeliums dauerhaft im Herzen des
fortschreitenden Aufbaus einer interkulturellen menschlichen
Realität zu halten.
Zuweilen droht eine schwache, kulturell nicht angepasste
anthropologisch-spirituelle Sicht der weiblichen Identität die
Lebendigkeit der sodales in den Instituten des geweihten Lebens
auszulöschen oder zu verletzen. Hier muss noch viel getan
werden, um Gemeinschaftsmodelle zu fördern, die zur weiblichen
Identität der Geweihten passen. Dafür müssen die
Beziehungsstrukturen in der Auseinandersetzung und im
schwesterlichen Verhältnis zwischen Oberin und Schwestern
gestärkt werden. Keine Schwester darf in die Untertänigkeit
verbannt werden, was man leider häufig antrifft. Ein solcher
Zustand begünstigt gefährliche infantile Verhaltensweisen und
könnte den allgemeinen Reifungsprozess der Betreffenden
behindern.
Es soll darüber gewacht werden, dass das Gefälle zwischen den
Geweihten, die (auf verschiedenen Ebenen) in Autorität dienen
oder für die Verwaltung des Besitzes (auf verschiedenen Ebenen)
zuständig sind, und den ihnen unterstehenden Schwestern durch
das Anderssein und den Autoritarismus nicht zum Quell für Leid
wird. Dies geschieht, wenn erstere Reife und Projekte entwickeln,
während letztere selbst von den elementarsten
Entscheidungsformen und der Entwicklung ihrer persönlichen
und gemeinschaftlichen Ressourcen ausgeklammert werden.

6.8 Page 58

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58
Dienst der Autorität
41. In der seit dem Konzil ausgearbeiteten umfassenden Sicht auf
das geweihte Leben steht nun nicht mehr die zentrale Rolle der
Autorität im Mittelpunkt, sondern die Dynamik der
Brüderlichkeit. Daher kann die Autorität nur im Dienste der
Gemeinschaft stehen, als echtes Amt, das die Brüder und
Schwestern hin zu einer bewussten und verantwortungsvollen
Treue begleitet.
In der Tat sind die Auseinandersetzung zwischen Brüdern oder
Schwestern und das Erhören des Einzelnen unabdingbar für einen
Dienst der Autorität, der dem Evangelium entspricht. Der Einsatz
von Managementtechniken oder die spiritualisierende und
paternalistische Anwendung von Möglichkeiten, die als
Ausdruck des „Willens Gottes“ gelten, sind für ein Amt, das
aufgerufen ist, sich mit den Erwartungen des anderen, der Realität
des Alltags und den gemeinschaftlich gelebten und vertretenen
Werten auseinanderzusetzen, zu dürftig.
Dienst der Autorität: Beziehungsmodelle
42. In der Beziehung zwischen Oberen und Untergebenen
besteht die Herausforderung darin, zusammen die
Verantwortung für ein gemeinsames Projekt zu tragen und dabei
über die reine Ausübung des Gehorsams hinauszugehen. Dieser
dient nicht etwa dem Evangelium, sondern lediglich dem
Bedürfnis, die bestehende Situation beizubehalten oder auf
Notstände insbesondere in der wirtschaftlichen Leitung zu
reagieren.
In dieser Hinsicht können die häufig bei diesem Dikasterium
eingehenden Gesuche um Bewilligung von Konstitutionen
(Umschreibung und/oder Abänderung) bewertet werden, mit

6.9 Page 59

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59
denen eine Neuformulierung der geltenden juristischen
Terminologie in Bezug auf die Begriffe Oberer und
Untergebener bewirkt werden soll. Genau dazu hatte das
Konziliumsdekret Perfectae caritatis ausdrücklich aufgefordert,
als es sagte: „Lebensweise, Gebet und Arbeit müssen den
körperlichen und seelischen Voraussetzungen des Menschen von
heute, aber auch soweit die Eigenart des Instituts es verlangt
den Erfordernissen des Apostolats, den Ansprüchen der Kultur,
der sozialen und wirtschaftlichen Umwelt entsprechen.“63
43. Es muss daher zu einem Dienst der Autorität ermutigt
werden, der zur Zusammenarbeit und zu einer gemeinsamen
Sichtweise im Stil der Brüderlichkeit aufruft. In
Übereinstimmung mit dem Weg des Konzils hat das Dikasterium
damals die Instruktion Der Dienst der Autoriät und der
Gehorsam. Faciem tuam, Domine, requiram herausgegeben und
darin anerkannt, dass „diesem Thema eine besonders eingehende
Reflexion gewidmet werden muss, und zwar vor allem aufgrund
der Veränderungen, denen die Institute und Gemeinschaften
während der vergangenen Jahre ausgesetzt gewesen sind, aber
auch in Anbetracht der Beiträge, die vom Lehramt in jüngster Zeit
zur Erneuerung des geweihten Lebens geleistet wurden“.64
Daher kann man mehr als 50 Jahre nach Ende des Konzils
nicht anders als besorgt darüber sein, dass in der Leitung
weiterhin ein Stil und eine Praxis vorherrschen, die sich vom
63 ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung
des Ordenslebens Perfectae caritatis, 3.
64 KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Der Dienst der Autorität und
der Gehorsam. Instruktion (11. Mai 2008), 3: a. a. O., S. 8.

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60
Geist des Dienstes entfernen oder diesem sogar so widersprechen,
dass er zu einer Art Autoritarismus degeneriert.
44. Das legitime Vorrecht einer persönlichen Autorität der
Oberen und Oberinnen 65 wird in einigen Fällen als private
Autorität an der Grenze zu einem falsch verstandenen
Geltungsdrang missverstanden, wie Papst Franziskus mahnt:
„Denken wir an den Schaden, der dem Gottesvolk durch Männer
und Frauen der Kirche zugefügt wird, die Karrieremacher,
Emporkömmlinge sind, die das Gottesvolk, die Kirche, die
Brüder und Schwestern jene, denen sie dienen sollten als
Sprungbrett für eigene Interessen und persönlichen Ehrgeiz
,benutzenʻ. Diese fügen der Kirche jedoch großen Schaden
zu.“6667 Und nicht nur das. Denn wer den Dienst der Autorität
verrichtet, sollte sich davor hüten, „selbstherrlich zu glauben,
alles hinge von seiner Person ab.“68
45. Eine selbstbezogene Autorität entzieht sich der Logik des
Evangeliums, die von der Verantwortung unter Brüdern und
Schwestern spricht, und untergräbt in ihnen die Gewissheiten des
Glaubens, die sie leiten sollen.69 So entsteht ein Teufelskreis, der
die Glaubensvision als unmissverständliche Voraussetzung für
die Anerkennung der Rolle der Oberen gefährdet. Diese
Anerkennung beschränkt sich nicht darauf, die Persönlichkeit des
oder der diensthabenden Amtsinhabers/-in zur Kenntnis zu
65 Vgl. CIC, c. 618.
66 PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der
Internationalen Vereinigung der Generaloberinnen, Rom (8. Mai 2013),
67 .
68 KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Der Dienst der Autorität
und der Gehorsam. Instruktion (11. Mai 2008), 25a: a. a. O., S. 57.
69 Vgl. PAPST PAUL VI., Apostolisches Schreiben Evangelica testificatio (29.
Juni 1971), 25.

7 Pages 61-70

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7.1 Page 61

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61
nehmen, sondern geht weit darüber hinaus. Es geht darum, sich
einander in Wahrheit zu vertrauen und anzuvertrauen.
Auch in Konfliktsituationen und bei Streitigkeiten löst die
Anwendung von Formen des Autoritarismus eine Spirale von
Unverständnis und Verletzungen aus, die innerhalb des Instituts
weit über die konkreten Fälle hinaus Desorientierung und
Misstrauen schüren bzw. die nahe Zukunft des Instituts
gravierend belasten. Wer zum Dienst der Autorität aufgerufen ist,
darf egal, in welcher Situation keinerlei
Verantwortungsgefühl vermissen lassen, und dies verlangt
zuallererst ein ausgewogenes Gespür für die eigene
Verantwortung gegenüber den Brüdern und Schwestern. „All das
ist dadurch möglich, dass man vertrauensvoll das
Verantwortungsbewusstsein der Mitbrüder weckt, ,unter Achtung
vor der menschlichen Person deren freiwilligen Gehorsamʻ
fördert und auf den Dialog baut, wobei zu beachten ist, dass die
Zustimmung ,im Geist des Glaubens und der Liebeʻ erfolgen
muss, ,im Sinne der Nachfolge des bis zum Tode gehorsamen
Christusʻ und nicht aus anderen Beweggründen.“70
46. „Die Oberen, die für eine bestimmte Zeit eingesetzt sind,
sollen nicht allzu lange ohne Unterbrechung in Leitungsämtern
verbleiben.“ 71 Die Vorschrift des Kodex ist noch in der
Umsetzungsphase; in der Praxis der Institute gibt es zum Teil
erhebliche Variablen. Die Begründungen, die gewöhnlich für eine
Verlängerung der Amtszeit über die im Eigenrecht
vorgeschriebenen Fristen hinaus angeführt werden, sind im
Zusammenhang mit den Notsituationen oder mangelnden
70 KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Der Dienst der Autorität
und der Gehorsam. Instruktion (11. Mai 2008), 14b: a. a. O., S. 3435.
71 CIC, c. 624 § 2.

7.2 Page 62

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62
Ressourcen im spezifischen Kontext der lokalen Gemeinschaften
zu verstehen. Der Einfluss der eigenen Traditionen eines Instituts
hat dazu beigetragen, dass sich eine gewisse Mentalität etabliert
hat, die den Wechsel de facto behindert. So wird dann schließlich
ein dienendes Amt zu einer Dauerposition. In dieser Hinsicht
müssen die im Eigenrecht festgelegten Vorschriften, sofern sie
unzulänglich sind, revidiert und, wenn sie in ihrer Ausrichtung
klar sind, eingehalten werden.
Wenn man näher untersucht, weshalb der Wechsel von Oberen
und Oberinnen so schleppend erfolgt, scheint man zu erkennen,
dass man mehr um die Sicherstellung der Kontinuität in der
Leitung der Werke besorgt ist als um das Bedürfnis der
Gemeinschaften nach religiös-apostolischer Animation.
Außerdem ist die Präsenz von Brüdern und Schwestern der
jüngeren Generationen im Rahmen einer Beurteilung der
Gemeinschaften die Bedingung für einen Generationenwechsel.
Ein verzögerter Wechsel könnte als Misstrauen in ihre
Fähigkeiten und Möglichkeiten verstanden werden und letztlich
zu einem Vakuum führen, das sich später als unüberwindbar
erweisen könnte.
47. Wir alle müssen uns die Worte von Papst Franziskus zu
diesem Thema in Erinnerung rufen: „Und auch im geweihten
Leben lebt man die Begegnung zwischen Jung und Alt, zwischen
Gesetzestreue und Prophetie. Sehen wir sie nicht als zwei
gegensätzliche Realitäten! Es tut den alten Menschen gut, den
jungen die Weisheit weiterzugeben; und den jungen Menschen tut
es gut, diesen Schatz an Erfahrung und Weisheit aufzunehmen
und weiterzutragen, nicht um ihn in einem Museum zu hüten,
sondern um ihn voranzutragen, indem sie die Herausforderungen
annehmen, die das Leben uns stellt, um ihn weiterzutragen zum

7.3 Page 63

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63
Wohl der jeweiligen geistlichen Familie und der ganzen
Kirche“.72
Dienst der Autorität: Kapitel und Räte
48. Im Rahmen dieser stetigen Erkenntnis- und
Erneuerungsarbeit sind „die ,Kapitelʻ (oder analoge
Versammlungen), sei es besondere oder Generalkapitel,
von besonderer Bedeutung. Während dieser Kapitel ist
jedes Institut berufen, nach den von deren Konstitutionen
festgelegten Normen die Oberen oder die Oberinnen zu
wählen und im Lichte des Geistes die angemessenen
Bestimmungen zu treffen, um das eigene Charisma und
das eigene spirituelle Erbe zu bewahren und es in den
verschiedenen historischen und kulturellen Situationen
auf den aktuellen Stand zu bringen“.73 Außerdem soll das
Kapitel „so gebildet werden, dass es das ganze Institut
repräsentiert und ein wirkliches Zeichen seiner Einheit in
Liebe wird“74.
Die Überlegung, wie das Kapital repräsentiert sein soll, geht von
dessen ureigenem Horizont aus: der Einheit in Liebe. Die Regeln
und Verfahren für die Wahl der Schwestern und Brüder in die
Kapitel können insbesondere auf der Generalebene nicht
unberücksichtigt lassen, dass sich die kulturelle Struktur und das
Generationengefüge, die heute das Gesicht vieler Institute des
geweihten und Gesellschaften des apostolischen Lebens prägen,
72 PAPST FRANZISKUS, Predigt zum Fest der Darstellung des Herrn, XVIII.
Tag des geweihten Lebens, Rom (2. Februar 2014).
73 PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita
Consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
(25. März 1996), 42: a. a. O., S. 53.
74 CIC, c. 631 § 1.

7.4 Page 64

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64
verändert haben. Die multikulturelle Dimension muss in der
Zusammensetzung des Kapitels gerecht und ausgewogen zum
Ausdruck kommen.
49. Das Problem wird deutlich, wenn sich Regeln und
Verfahren als unangemessen oder veraltet erweisen und zu
Ergebnissen führen, die nicht repräsentativ sind, mit dem Risiko,
dass sich in der Zusammensetzung des Kapitels unpassende
kulturelle Hegemonialstrukturen oder ein eingeschränkter
Generationenquerschnitt wiederfinden. Um solche Verzerrungen
zu vermeiden, ist es notwendig, dass hier zunehmend mehr
Schwestern und Brüder aus unterschiedlichen Kulturräumen
repräsentiert sind. Es geht darum, denjenigen Vertrauen zu
schenken, die in unseren Kreisen zwar als zu jung gelten, in
anderen zivilgesellschaftlichen und kulturellen Kreisen jedoch
auch aufgrund ihrer Fähigkeiten die Voraussetzungen für die
Übernahme von Aufgaben mit erheblicher Verantwortung
mitbringen würden. Die Verfahren müssten an Flexibilität
gewinnen, um eine breitere und weitsichtigere Repräsentanz zu
gewährleisten, damit eine erstrebens- und lebenswerte Zukunft
gestaltet werden kann.
Hier stehen nicht nur gerechte Verfahren und ein intelligentes
Sichfügen in die methodischen Entscheidungen auf dem Spiel,
sondern es geht darum, „so klar wie möglich den Willen Christi
für den Weg der Communauté zu erkennen“, wie die Regel von
Taizé schreibt, und zwar im Geiste einer Suche, die von dem
Wunsch geläutert ist, das Zeichen Gottes zu erkennen.
50. Der Wille eines jeden Kapitulars, sich dem Heiligen Geist
zu öffnen, muss alle Entscheidungen innerhalb der
Versammlung begleiten. Diese darf die Äußerung anderer
Meinungen und Standpunkte nicht verschmähen, denn
auch sie tragen zur Suche nach der Wahrheit bei. Auf diese

7.5 Page 65

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65
Weise sind das Streben nach Einstimmigkeit und die
Möglichkeit, diese zu erreichen, keine utopischen Ziele,
sondern sogar ein besonders deutliches Zeichen dafür,
dass man sich zuhört und gemeinsam für den Heiligen
Geist bereit ist.
Es wäre unbesonnen, die Entscheidungsfindung in den privaten
Horizont der Kapitulare zu verbannen, als sei das Kapitel
sozusagen ein Unterfangen von Einzelgängern. Es geht darum,
„mit dem Wehen des Geistes in Berührung zu kommen“, und das
bedeutet, „zu hören, was Gott uns in unseren Situationen im
Institut sagt.“ Die Entscheidungsfindung „macht nicht bei der
Beschreibung der Situationen, der Probleme [...] halt, sondern
geht stets darüber hinaus und vermag hinter jedem Gesicht, jeder
Geschichte, jeder Situation eine Gelegenheit, eine Möglichkeit zu
sehen.“ 75 Hier sollte nicht vergessen werden, dass das
Generalkapitel der Ort des persönlichen und choralen Gehorsams
gegenüber dem Heiligen Geist ist; dieses fügsame Erhören erfleht
man, indem man Intelligenz, Herz und Knie im Gebet beugt. In
dieser Umkehr handelt jeder Kapitular im Augenblick der
Entscheidung nach seinem Gewissen und beurteilt das Wohl des
Instituts in der Kirche in dem vom Heiligen Geist empfangenen
Licht. Diese Einstellung des betenden Gehorsams ist die
Konstante, die die nicht ohne Grund am Pfingsttag begonnene
Geschichte der Generalkapitel zusammenhält.
51. Zu den Kapitelsereignissen gehört auch die Wahl des
Generaloberen und der Generaloberin. In den letzten
Jahren war eine gewisse Tendenz zur Wahlbitte
festzustellen. Das Institut ist nach den Canones 180183
des Kodex des Kanonischen Rechts geregelt. Daran
75 PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung der kirchlichen Tagung der
Diözese Rom (16. Juni 2016).

7.6 Page 66

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66
orientiert man sich in jenen Fällen, in denen der
kanonischen Wahl selbiger Person ein Hindernis
entgegensteht, oder bei Abweichungen von den für das
Amt geltenden persönlichen Voraussetzungen, die im
gemeinen Recht oder im Eigenrecht festgeschrieben sind,
wie zum Beispiel Alter, Jahre der Profess 76 oder eine
entsprechende Unvereinbarkeit von
Ämtern.77 Der häufigste Fall ist ein Hindernis, das der Neuwahl
(oder Wiederbestätigung) des Generaloberen oder der
Generaloberin nach Ablauf der in den Konstitutionen
vorgeschriebenen Amtsdauer entgegensteht. Dieser Sachverhalt
hängt mit den komplexen Kontexten (Institute), den persönlichen
Situationen (bereits amtierender Kandidaten) und zuletzt auch mit
zufälligen Umständen zusammen, die zum Gesuch um Wahlbitte
beim zuständigen Dikasterium führen. Hierzu seien einige
Hinweise angeführt.
Es ist keine bessere Voraussetzung für eine Wahlentscheidung,
die Wahlbitte als selbstverständlich zu betrachten, als würden
mögliche Alternativen sozusagen von vornherein ausgeschlossen.
Die erforderliche Mehrheit beträgt „mindestens zwei Drittel der
Stimmen“ 78 . Diese kanonische Bestimmung will zu der
Verpflichtung ermutigen, zuvor über die mögliche
Inanspruchnahme der Wahlbitte zu entscheiden. Kollegial
ausgeübte Mitverantwortung bringt auch die Verantwortung mit
sich, nach Alternativlösungen zu forschen. In der Praxis wurden
in einigen Instituten informelle Vorberatungen als Modus
eingeführt. Die empfohlene Ausrichtung dürfte die Schaffung von
76 Vgl. CIC, c. 623.
77 Vgl. CIC, c. 152.
78 Vgl. CIC, c. 181 § 1.

7.7 Page 67

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67
im Voraus gebildeten Mehrheiten verhindern. Andernfalls ist der
Schritt hin zu einer selbstverständlichen Wahlbitte kurz.
52. Die Generalkapitel wählen gewöhnlich neben dem
obersten Leiter 79 den Rat als Organ für die
Zusammenarbeit in der Institutsleitung. Von jedem seiner
Mitglieder wird in dem
Institut eine „überzeugende Teilnahme am Leben und an der
Sendung erwartet“ 80 , „eine Mitbeteiligung, die Dialog und
Entscheidung ermöglichen“81, im Geiste der Aufrichtigkeit82 und
der Treue, „damit die ständige Gegenwart des Herrn gesichert sei,
der erleuchtet und führt“83.
Unvermeidlicher Unmut und Unverständnis können den Willen
zum Einverständnis und die Fähigkeit zur Übereinstimmung
innerhalb des Rats gefährden, wenn ihnen nicht rechtzeitig
begegnet wird. Ein an der Institutsleitung beteiligtes Organ
übernimmt in der Sorge um dessen Gemeinwohl die
Verpflichtung, für seinen Betrieb Sorge zu tragen und dabei jene
begleitenden
(spirituellen,
professionellen
und
ausbildungsspezifischen) Mittel nicht zu vernachlässigen, die
Voraussetzung für eine weitsichtige Entscheidung sind. Der Rat
darf sich daher nicht an erster Stelle mit seinem eigenen Image
beschäftigen, sondern muss sich vor allem um seine
79 Vgl. CIC, c. 625 § 1.
80 KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Neubeginn in Christus,
Ein neuer Aufbruch des geweihten Lebens im Dritten Jahrtausend.
Instruktion (19. Mai 2002), 14: a. a. O., S. 20.
81 Ebd.
82 Vgl. CIC, c. 127 § 3.
83 KONGREGATION FÜR DIE INSTITUTE DES GEWEIHTEN LEBENS UND DIE

7.8 Page 68

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68
Glaubwürdigkeit als Organ kümmern, das in der Institutsleitung
mitwirkt.
53. Die neue Landkarte der Präsenz des geweihten Lebens in
der Kirche führt zu neuen kulturellen Gleichgewichten im
Leben und in der Leitung der Institute. 84 Die
internationale Zusammensetzung des Kapitels ist
gewöhnlich auch Ausdruck der multikulturellen Gestalt
des Rates. Viele Institute des geweihten Lebens und
Gesellschaften apostolischen Lebens haben in dieser
Hinsicht bereits Erfahrungen gesammelt und blicken auf
eine lange Tradition zurück. Jüngere Institute befinden
sich noch in einer Art Lernphase, um dahinzukommen,
„innerhalb der katholischen Einheit die Erfordernisse der
verschiedenen Völker und Kulturen zum Ausdruck zu
GESELLSCHAFTEN DES APOSTOLISCHEN LEBENS, Neubeginn in Christus,
Ein neuer Aufbruch des geweihten Lebens im Dritten Jahrtausend.
Instruktion (19. Mai 2002), 14: a. a. O., S. 20.
84 Vgl. ebd., 17: a. a. O., S. 2425.
bringen“84. Es handelt sich um einen anspruchsvollen Weg, der
„der Läuterung und der Reifung“8586 bedarf.
84 PAPST JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita
Consecrata über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt
(25. März 1996), 47: a. a. O., S. 57.
85 PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die
Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013),
86 : a. a. O., S. 56.

7.9 Page 69

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69
Die Internationalisierungsprozesse der letzten Zeit sind eine Art
Versuchsraum für eine Zukunft, die in Bezug auf die Ausbildung
für verantwortungsvolle Ämter und insbesondere die Übernahme
des Ratsamtes nicht improvisiert wird. Der Generationen- und
Kulturwechsel dürfte keinen Anlass zu Situationen geben, die die
interne Dynamik innerhalb der Ratsentscheidung, die eine gute
Institutsleitung widerspiegelt, beeinträchtigen können.
Als Beispiel für problematische Situationen seien genannt:
Personen, die zwar geeignet sind, aber noch nicht so weit sind zu
kandidieren oder dies zu früh tun; Ordensleute, die eher aufgrund
einer kulturellen Verteilungslogik hinzugewählt werden als
aufgrund der Wertschätzung ihrer Erfahrung und/oder
persönlichen Kompetenz; und schließlich auch Entscheidungen,
die aus Mangel an Alternativen unumgänglich sind.
54. Die Einbindung von Brüdern/Schwestern aus anderen
Kulturen und Generationen ändert das traditionelle Ratsamt
sicher nicht, sie wirkt sich aber auf die Wahrnehmung des Amtes
und seinen Interaktionsmodus inner- und außerhalb des Rats aus.
Durch den Beitrag anderer Standpunkte (Analysen/Bewertungen
von Problemen) erweitert sich der Verständnishorizont des
Instituts in Bezug auf die eigenen Gegebenheiten: mehr von den
Randgebieten als von der Mitte. Kulturen und
Generationenwechsel,
eine bereits an sich
komplexe Verbindung, dürften der Bewältigung einer
nachhaltigen Zukunft des Instituts neuen Schwung verleihen.
Die Einführung in ein verantwortungsvolles Amt ist in Erfahrung
eingebunden. Wenn Erfahrung ein täglicher Lernprozess ist, muss
das Lernen durch eine spezielle Ausbildung unterstützt werden.
Andernfalls wird die Erfahrung nicht voll ausgeschöpft, um das
Amt wirksam zu gestalten und in die Ratsdynamik einzubeziehen.
In diesem Fall geht es darum, Leitlinien wiederzuentdecken oder

7.10 Page 70

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70
zu überdenken, die in der Leitungstradition der Institute des
geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens
lange dadurch herangereift sind, dass man in die Gegenwart
investierte und so die Zukunft vorbereitet hat, nicht ohne die
erforderliche Überprüfung im Laufe der Zeit. Die nahe Zukunft
darf nicht den Horizont einengen: Neue Formen der
Professionalität (Wissen und Kompetenzen) können zur
Erweiterung unseres Horizonts beitragen und insbesondere dazu,
dass wir nicht an den Rändern der Zukunft in engstirnigen
Ansichten gefangen bleiben, die langfristig den gemeinsamen
Weg ins Stocken bringen.
Schlusswort
55. Im Weinberg des Herrn haben die geweihten Frauen und
Männer in den letzten Jahrzehnten der vom Konzil angestoßenen
Aktualisierung tatkräftig und wagemutig gearbeitet. Nun ist es
Zeit für die Lese und den jungen Wein, der freudig aus den
Trauben gepresst und sorgfältig in passenden Schläuchen
aufgehoben werden muss, damit sich während des für die
Reifezeit typischen Gärens kein Bodensatz bildet und neuer
Festigkeit Platz gemacht wird. Junger Wein und neue Schläuche
stehen gemeinsam für uns bereit; sie sind entstanden durch unser
Mitwirken gemäß den Charismen und Umständen in Kirche und
Gesellschaft, unter der Führung des Heiligen Geistes und der
Verantwortungsträger der Kirche. Nun ist die Zeit gekommen, die
Neuheit kreativ zu hüten, damit sie den unverfälschten
Geschmack der gebenedeiten Fruchtbarkeit Gottes bewahrt.
Junger Wein erfordert die Fähigkeit, über geerbte Modelle
hinauszugehen, um die vom Heiligen Geist erweckten Neuheiten
zu schätzen, sie in Dankbarkeit anzunehmen und sie zu hüten, bis
sie jenseits aller Vorläufigkeit vollständig vergoren sind. Auch

8 Pages 71-80

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8.1 Page 71

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71
das neue Gewand, von dem Jesus auf derselben Seite des
Evangeliums spricht, wurde zu unterschiedlichen Zeiten erneuert
und kann nun mit Freude inmitten des Volkes der Gläubigen
angelegt werden.
56. Junger Wein, neue Schläuche und neues Gewand weisen
auf eine Zeit der Reife und Vollendung hin, die nicht durch
unbesonnenes Nebeneinander oder taktische Kompromisse aufs
Spiel gesetzt werden darf: Altes und Neues dürfen nicht vermischt
werden, weil ein jedes einer eigenen Jahreszeit angehört, weil es
Frucht verschiedener Zeiten und Handwerke ist und in seiner ihm
eigenen Unverfälschtheit aufbewahrt werden muss.
Der Herr des Weinbergs, der unserer Hände Werk fruchtbar
gemacht und uns auf den Wegen der Aktualisierung geleitet hat,
möge gewähren, dass wir die uns anvertraute Neuheit furchtlos
mit erneutem Schwung im Sinne des Evangeliums mit den
passenden Mitteln und in geduldiger Wachsamkeit zu bewahren
wissen.
57. Heilige Maria, Frau des jungen Weins, bewahre in uns den
Wunsch, gehorsam der Neuheit des Heiligen Geistes
entgegenzugehen, indem wir das Zeichen seiner Gegenwart in
dem jungen Wein, der Frucht der Ernten und neuen Jahreszeiten
ist, erkennen.
Mache uns fügsam für seine Gnade und lass uns emsig Schläuche
bereiten, die dem Aufwallen des Rebensaftes Einhalt gebieten
können, damit er nicht verloren geht. Festige unsere Schritte im
Geheimnis des Kreuzes, das der Heilige Geist für jede neue
Schöpfung erbittet.
Lehre uns, das zu tun, was Christus, dein Sohn, uns sagt (vgl. Joh
2,5), um jeden Tag an seinem Tische zu sitzen: Er ist der junge
Wein, durch den wir Dank sagen, Segen empfangen und spenden.

8.2 Page 72

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72
Nähre in uns die Hoffnung, in der Erwartung des Tages, an dem
wir mit Christus von der neuen Frucht des Weinstocks trinken, im
Reich unseres Vaters (vgl. Mt, 26,29).
Der Heilige Vater hat die Veröffentlichung der hier
vorliegenden Leitlinien in der Audienz vom 3. Januar 2017
genehmigt.
Vatikanstadt, den 6. Januar 2017 Dreikönigsfest
João Kardinal Braz de Aviz Präfekt
+
José Rodríguez Carballo, O.F.M.
Erzbischof und Sekretär